Xenophon
Anabasis
Xenophon

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5.

So nun wurde die Nacht zugebracht. Mit Tagesanbruch aber führten die Feldherrn das Heer, das ihnen mit Waffen und Gepäck folgte, in jene haltbare Gegend. Am Eingange in dieselbe zogen sie, noch vor der Stunde der Frühmahlzeit, einen Graben und besetzten ihn überall mit 203 Pallisaden, drei Stellen ausgenommen, wo sie Thore ließen. Nun kam auch ein Schiff von Heraklea mit Gerstenmehl, Schlachtvieh und Wein. Xenophon stand früh auf und opferte wegen des Ausmarsches der Armee, und gleich das erste Opfer versprach einen glücklichen Erfolg. Schon am Ende der Feierlichkeiten erblickte der Seher Arexion aus Parrhasia einen glückweissagenden Adler und forderte Xenophon auf, die Truppen anzuführen. Sie passirten den Graben und traten unter die Waffen; darauf wurde durch den Herold bekannt gemacht, nach geendigter Frühmahlzeit sollte das Heer gerüstet ausmarschiren, das Gepäck aber und die Sklaven zurücklassen. Alle zogen nun aus, nur Neon nicht, weil man für gut befunden hatte, diesen zur Bedeckung des Lagers stehen zu lassen. Allein seine Hauptleute und Soldaten, die sich schämten, bei dem Ausmarsch der Andern zurückzubleiben, gingen von ihm ab und ließen nur diejenigen im Lager stehen, die über fünfundvierzig Jahr alt waren. Ehe die Armee noch fünfzehn Stadien zurückgelegt hatte, stieß sie schon auf Todte. Diejenigen Soldaten, welche auf dem Flügel, wo man die ersten Körper erblickte, das Hintertreffen ausmachten, blieben stehen und begruben alle Todte, die in dem Umfange des Flügels lagen. Nach der Beerdigung derselben rückte die Armee weiter, und bei den ersten Körpern, auf die man wieder stieß, blieben diejenigen, die an dem Orte gerade das Hintertreffen bildeten, abermals stehen, und so wurden Alle, die in dem Bezirke der Armee lagen, begraben. Als sie auf die Straße kamen, die zu den Dörfern führt, lagen die Todten haufenweise. Man trug sie zusammen und begrub sie.

Es war schon Nachmittags, als die Armee über die Dörfer hinaus vorrückte und alle Lebensmittel, deren man habhaft werden konnte, hinter die Fronte gebracht wurden. Auf einmal erblickten sie den Feind, der, stark an Reiterei und Fußvolk, in phalangischer Stellung, von einigen 204 gegenüber stehenden Anhöhen herabkam; Spithridates und Rhatines nämlich rückten mit den Hilfstruppen, die Pharnabazus schickte, heran. Beim Anblicke der Griechen machte der Feind in einem Abstande von ungefähr fünfzehn Stadien Halt. Sogleich schlachtete der griechische Seher Arexion Opfer, und schon das erste gewährte glückliche Anzeigen. Xenophon sagte hierauf: »Heerführer, ich rathe, hinter der Fronte Reservecorps aufzustellen, um durch sie, wo es nöthig ist, die Hauptarmee zu unterstützen und den in Verwirrung gebrachten Feind durch geordnete und frische Truppen angreifen zu lassen.« Der Vorschlag wurde allgemein gut geheißen. »Ihr nun,« fuhr er fort, »marschirt voraus gerade auf den Feind zu, um nicht zu zaudern, nachdem die beiderseitigen Armeen einander erblickt haben: ich werde nur die Reservecorps, meinem Gutbefinden gemäß, abtheilen und dann wieder kommen.« Hierauf rückte die Armee langsam vorwärts, Xenophon aber sonderte vom Hintertreffen drei Corps, jedes zweihundert Mann stark, ab, und ließ das eine, angeführt von dem Achäer Samolas, auf dem rechten Flügel ungefähr in dem Abstande eines Plethrums, folgen, das andre, unter dem Commando des Arkadiers Pyrias, stellte er in die Mitte, und das dritte, commandirt von dem Athenienser Phrasias, auf den linken Flügel. Als beim Fortrücken der Armee das Vordertreffen an ein großes und unwegsames Waldthal kam, machte es in der Ungewißheit, ob es zu passiren sei, Halt, und rief den Heerführern und Hauptleuten zu, ans Vordertreffen heranzukommen. Xenophon, der sich wunderte, was den Marsch aufhielte und sogleich jenen Zuruf vernahm, eilte mit größter Geschwindigkeit hin. Die Anführer kamen zusammen, und Sophänetus, der älteste von ihnen, erklärte es für eine unrichtige Maßregel, durch einen so beschwerlichen Paß zu ziehen. Schnell unterbrach ihn Xenophon durch folgende Anrede:

»Ihr wißt doch, Soldaten, daß ich euch nie wissentlich 205 in Gefahr setze: denn ich sehe es ein, nicht Ruhm, sondern Lebenserhaltung ist der Zweck eurer Tapferkeit. In der jetzigen Lage aber können wir ohne Kampf nicht von dannen kommen: denn wenn wir nicht auf den Feind losgehen, so wird er uns auf dem Rückmarsche verfolgen und angreifen. Ueberlegt also, ob es besser ist, auf den Feind loszugehen und selbst anzugreifen, oder umzukehren und uns rückwärts angreifen zu lassen. Bedenkt wenigstens, daß es durchaus gegen die Ehre ist, dem Feinde den Rücken zu kehren: daß hingegen auch der furchtsamere Krieger ermuthigt wird, wenn er dem Feinde nachsetzen kann. Was mich betrifft, ich wollte lieber mit der Hälfte der Mannschaft einem Feinde nachsetzen, als mit einer doppelt starken Macht mich zurückziehen. Ich bin überzeugt, ihr erwartet nicht, daß diese, wenn wir sie angreifen, uns Stand halten: aber Allen ist einleuchtend, daß sie, wenn wir vor ihnen weichen, Muth genug haben werden, uns zu verfolgen. Sollten Truppen, die im Begriff sind, zu schlagen, die Gelegenheit, zuvor einen beschwerlichen Paß zurückzulegen, nicht mit Begierde ergreifen? Den Feinden wünsche ich zwar, daß ihnen, um sich zurückzuziehen, die Gegend in jeder Richtung wegsam genug schiene: uns aber kann auch dieser Paß zum Beweise dienen, daß nur der Sieg uns retten kann. Ich wundre mich aber, wie Jemand diese Bergschlucht für furchtbarer halten kann, als andre Gegenden, durch die wir unsren Marsch genommen haben. Wird etwa die Ebene, wenn wir nicht die Reiterei besiegen, mindere Schwierigkeiten für uns haben? Wie wollen wir über die schon überstiegenen Berge kommen, wenn uns so viele leichte Truppen verfolgen? Doch gesetzt, wir kämen wohlbehalten ans Meer, was für ein Abgrund ist erst der Pontus selbst! Dort haben wir weder Schiffe, um abzusegeln, noch Lebensmittel, um dazubleiben: sobald wir also dort angekommen wären, sogleich müßten wir wieder auf Lebensmittel ausgehen. Es ist also besser, jetzt, wo wir 206 gesättigt sind, als morgen, wenn wir hungern, zu fechten. Soldaten, die Opferung, der Vogelflug, die Anzeigen der Eingeweide, Alles verspricht uns einen glücklichen Erfolg: vorwärts gegen den Feind! Da er uns Alle gesehen hat, so gewinne er keine Zeit, ruhig zu essen, oder sich willkürlich zu lagern.«

Die Hauptleute forderten ihn nun auf, die Armee anzuführen, und Niemand widersprach. Er that es und befahl, Jeder sollte da, wo er eben stünde, in das Waldthal vorrücken: denn in dieser breiten Stellung glaubte er die Armee schneller hindurch führen zu können, als wenn er sie über die Brücke beim Walde defiliren ließ. Nach dem Durchmarsch ritt er an der Fronte herunter und sagte:

»Soldaten, erinnert euch, in wie vielen Schlachten ihr durch der Götter Hilfe die Feinde besiegtet, und wie nachtheilig es ist, vor dem Feinde zu fliehen; bedenkt, daß wir vor den Thoren Griechenlands sind. Wohlan, folgt dem führenden Herkules und muntert euch einander namentlich auf: es ist ein erhebender Gedanke, sich jetzt durch eine mannhafte und edle Rede und That ein Andenken bei denen zu stiften, bei welchen wir es wünschen.«

Nach dieser im Vorüberreiten gehaltenen Anrede führte er sogleich das Centrum vorwärts; die Peltasten schlossen sich an die Flügel an, und man ging auf den Feind los. Xenophon hatte Befehl gegeben, die Lanzen auf der rechten Schulter zu halten, bis die Trompete das Zeichen gäbe: dann aber sie zum Angriff zu fällen und Schritt für Schritt vorzurücken, ohne daß Jemand im Laufe den Feind angriffe. Hierauf wurde das Feldgeschrei gegeben: »Zeus, Retter! Führer Herkules!« Die Feinde, die ihre Stellung für vortheilhaft hielten, blieben stehen. Bei mehrerer Annäherung aber erhoben die griechischen Peltasten ein Geschrei und liefen, ehe sie noch Befehl hatten, auf den Feind los. Die feindliche Reiterei und das Corps der Bithynier brach gegen sie los und trieb sie zurück. Als ihnen aber der Phalanx der Hopliten entgegen rückte, unter dem Klange der Trompete den Päan begann, dann das Kriegsgeschrei erhob und die Lanzen fällte, da hielten die Feinde nicht länger Stand, sondern nahmen die Flucht. Timasion und seine Reiter setzten ihnen nach und hieben so Viele nieder, als sie bei ihrer geringen Anzahl vermochten. Der linke Flügel der Feinde also, dem die griechische Reiterei gegenüber gestanden hatte, war sogleich zersprengt: ihr rechter Flügel aber, da man ihn nicht sonderlich verfolgen konnte, setzte sich auf einer Anhöhe. Als aber die Griechen sahen, daß dieser Halt machte, so hielten sie es für die leichteste und sicherste Maßregel, auch noch diesen anzugreifen und gingen also sogleich, unter Anstimmung des Päan auf ihn los. Der Feind aber erwartete sie nicht. Die Peltasten verfolgten ihn, bis auch der rechte Flügel zerstreuet war: doch war der Verlust auf Seiten des Feindes sehr gering, da seine zahlreiche Reiterei den Griechen furchtbar war. Als aber die Griechen wahrnahmen, daß die Reiterei des Pharnabazus noch beisammen stand und mit den bithynischen Reitern, die sich mit ihr vereinigten, den Vorfällen in der Ebene zusah, so beschlossen sie, ungeachtet ihrer Müdigkeit, auch noch auf diese mit der möglichsten Anstrengung einen Angriff zu unternehmen, um ihr nicht Zeit zu lassen, sich zu erholen und neuen Muth zu sammeln. Sie ordneten sich also und rückten vorwärts. Nun floh die Reiterei die Anhöhe herunter, nicht anders, als ob sie von berittenen Truppen verfolgt würden: denn sie hatten ein waldiges Thal vor sich; da dies aber die Griechen nicht wußten, so kehrten sie, weil es schon spät war, vom Nachsetzen zurück. Als sie den Platz erreichten, wo der erste Angriff geschah, so errichteten sie ein Siegeszeichen und marschirten ans Meer zurück, wo sie um Sonnenuntergang ankamen, denn sie hatten bis zum Lager sechzig Stadien zu gehen. 208

 


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