Ernst von Wolzogen
Der Thronfolger - Erster Band
Ernst von Wolzogen

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Siebentes Kapitel.

Hans Jochen versucht Abschied zu nehmen.

Wie ein Lauffeuer hatte sich die Kunde von der bedenklichen Erkrankung des Großherzogs in der Residenz verbreitet und bei dem raschen Wandern von Mund zu Munde gar bald die bestimmte Form angenommen, daß es sich um einen Schlaganfall handle, für den man ohne Zweifel die extravagante Verlobung der Prinzessin Georgine verantwortlich machen müsse. Der Klatsch über das Verhältnis des Thronfolgers zu dem schönen Fräulein von Treysa war doch noch nicht so weit gedrungen, wie Frau Thea Lindner gewähnt hatte, sondern auf einen engeren Hof- und Theaterkreis beschränkt geblieben. Und die guten Bürger, die ihren leutseligen Landesherrn so aufrichtig verehrten, entrüsteten sich aus voller Ueberzeugung über die harmlose arme Cousine, die durch ihre verliebte Narrheit das teure Leben des hohen Familienoberhauptes in Gefahr brachte. Trotz des abscheulichen Tauwetters, welches die abschüssigen Straßen um das Residenzschloß herum in schlammige, strudelnde Wildbäche verwandelte, trotz des feinen Regens, der unaufhörlich von dem bleigrauen Himmel herniederrieselte, wurde doch der Platz vor dem Hauptportal des Schlosses den ganzen Tag über nicht leer von Menschen, die dort ungeduldig warteten, bis irgend jemand herauskam, den man um den Zustand des hohen Kranken befragen konnte.

In die abgelegene Hofjägerei drang die aufregende Kunde von den Vorgängen im Schlosse erst verhältnismäßig spät. Baron Kospoth, der den Treysas gegen ein Uhr seine Aufwartung machen wollte, war der erste Ueberbringer der Nachricht. Er wußte, daß Frau von Treysa wieder zu Bette liege und daß er darum wahrscheinlich auf die Gesellschaft des alten Generals allein angewiesen sein würde. In seiner heutigen Gemütsverfassung war es ihm aber unmöglich, das Gestammel des Greises anzuhören und das übliche Gespräch in Gang zu bringen. Er verfügte sich deshalb sogleich in das Atelier hinauf, in der schwachen Hoffnung, Melanie vielleicht bei dem Fräulein von der Rast zu finden.

Doris war allein, als er die große Dachstube betrat. Sie hatte sich einen Stuhl vor die Staffelei gerückt und betrachtete mit einer Miene, so trübselig wie das Wetter da draußen, Melanies Bildnis, welches zwar eigentlich längst fertig war, an dem sie aber doch noch täglich herumkratzte und -strichelte, ohne daß es dadurch mehr Leben bekommen hätte. Die kleine Malerin erhob sich errötend, um dem jungen Baron einige Schritte entgegenzugehen.

»Sie werden heute Melanie nicht sehen,« sagte sie, sobald die ersten Begrüßungsworte gewechselt waren. »Es geht ihrer Mutter sehr schlecht. In der Nacht hat sich hitziges Fieber eingestellt – es soll eine Lungenentzündung sein. Der Arzt meint, bei ihrer zarten Konstitution wäre das Schlimmste zu befürchten. Soll ich einmal hinuntergehen und fragen, ob Melanie einen Augenblick loskommen kann?«

»Nein, bitte, bemühen Sie sich nicht, liebes Fräulein,« wehrte Kospoth ab, »ich will Melanie nicht ihrer Pflicht entziehen; aber wenn Sie gestatten, bleibe ich noch ein wenig.«

»Ach, Sie sind sehr liebenswürdig!« sagte Doris hoch erfreut, und dann fügte sie demütig hinzu: »Wenn Sie mit mir vorlieb nehmen wollen,«

»O, ich bitte, wie können Sie so etwas sagen! Es ist mir sogar sehr lieb, daß ich Sie allein treffe; ich . . .«

Doris wartete eine ganze Zeitlang vergebens darauf, daß er den Satz vollenden sollte. Er war vor ihre Staffelei getreten und schien im Anblick des Gemäldes ganz zu vergessen, was er hatte sagen wollen.

»Sagen Sie es nur offen heraus,« unterbrach das Fräulein endlich das Schweigen. »Es ist verpfuscht, nicht wahr? Ganz und gar verpfuscht – die Ähnlichkeit, Haltung, Ausdruck, Farbe, alles! Ach ja, ich hätte es gar nicht wagen sollen! Sie glauben nicht, wie ich mich jetzt schäme, und ich habe doch mit solcher Liebe daran gearbeitet! Da sehen Sie die alten Männer und Frauen an den Wänden, die sind doch nicht so übel. Mein Lehrer hat sie wenigstens sehr gelobt. Ach, ich sage Ihnen, das ist freilich ein andres Arbeiten! Da rührt man sich lauter schmutzige Sößchen zurecht und streicht sie recht dick in die Runzeln hinein – das findet man gleich wundervoll charakteristisch! Aber so ein lebensprühendes Auge, so einen durchscheinenden Teint und das alles nur einigermaßen wiederzugeben, dazu muß man doch wohl schon wirklich Künstler sein!«

Kospoth schaute der Sprecherin voll Mitgefühls in die feucht blinkenden dunkelblauen Gazellenaugen. Noch nie hatte sie in seiner Gegenwart eine so lange Rede gewagt. Wie erschrocken über ihre eigne Kühnheit, schlug sie nun errötend die Lider mit den langen dunklen Wimpern zu Boden und hörte gesenkten Hauptes seine gutgemeinte Einwendungen gegen ihre Selbstanklagen an. Zum Schluß sagte er, sich zu einem scherzenden Tone zwingend: »Hätten Sie mein kurzborstiges Haupt zum Modell genommen, dann hätten Sie es freilich leichter gehabt und Ihre breitesten Pinsel tief in braune Sauce tunken können.«

»Ach, wirklich, hätten Sie sich dazu hergegeben?« rief die kleine Malerin und blickte ungläubig zu ihm auf. »Nach der Stümperei, die Sie hier von mir gesehen haben, darf ich aber wohl nicht mehr wagen . . .«

»O, mein liebes Fräulein, ich würde Ihnen ja mit dem größten Vergnügen sitzen, wenn ich nicht fort müßte.«

»Sie wollen fort?«

»Ja, vielleicht schon morgen!«

Doris war ganz blaß geworden bei der überraschenden Eröffnung. Das schmale, längliche Gesicht noch tiefer zur Seite gebeugt, so daß sich ihr Höcker noch höher aufzubäumen schien, stand sie vor ihm, ein rührendes Bild hilflosen Jammers.

»Dann kamen Sie wohl schon, um Abschied zu nehmen?«

Er sah, wie schwer es ihr wurde, die wenigen Worte herauszubringen, und sagte bewegt: »Ich weiß, bei Ihnen wenigstens hinterlasse ich ein freundliches Andenken – Sie werden gern an unsre Plauderstunden hier oben zurückdenken.«

»O, Herr von Kospoth, Sie werden gewiß von vielen hier vermißt werden!« ersetzte Doris leise. »Weiß Melanie schon?«

»Nein!« antwortete er kurz, und dann trat er ans Fenster und starrte verlorenen Blickes in den grau wallenden Nebel hinaus. Wieder trat eine verlegene Pause ein. Doris war froh, daß er sie nicht ansah und ihr Zeit ließ, sich zu fassen. Natürlich wußte sie es längst, daß er Melanie liebte und hatte es auch erraten, daß er nur um ihretwillen noch so lange in der Residenz geblieben war, in der er doch eigentlich nichts mehr zu thun hatte, es sei denn, daß er die Hilfe, die er dem Erbgroßherzog bei der Abfassung seiner Reiseerinnerungen lieh, für eine gar so ernste Pflicht ansah. Da das aber kaum der Fall sein konnte, so blieb ihr nur der Schluß übrig, daß er seine Liebe als eine hoffnungslose betrachtete und darum sein Heil in der Flucht suchen wolle. Endlich aber begann ihr sein Schweigen peinlich zu werden. Sie holte ihre Skizzenmappe herbei und kramte darin herum.

»Könnten Sie nicht wenigstens noch ein paar Tage zugeben?« Hub sie zaghaft an. »Sehen Sie, ich habe da aus dem Kopfe eine Kreideskizze versucht; aber Sie müssen mich nicht auslachen – sehr ähnlich ist es freilich nicht geworden.«

Er trat zu ihr an den Tisch, auf dem sie die Mappe aufgeschlagen hatte, und nahm das Blatt, das sie ihm darbot, zur Hand. »Ah, Sie haben mich aus dem Gedächtnis porträtiert!« rief er, sich den Anschein geschmeichelter Eitelkeit gebend. »Ah ja, das ist ja ganz unverkennbar – diese echt Kospothsche Nase!«

»Sie finden es wirklich ähnlich?« sagte Doris, halb freudig und halb zweifelnd. Und als er sie freundlich lächelnd und sein Urteil lebhaft bestätigend anblickte, da setzte sie, verlegen stotternd, hinzu: »Melanie wünschte nämlich gern . . .«

»Melanie wünschte mein Bild zu besitzen?« fiel er lebhaft ein. »Nein, Fräulein Doris, das kann ich kaum glauben.«

So streng und vorwurfsvoll fixierten sie seine hellen grauen Augen, daß sie sich ängstlich beeilte, die Wahrheit zu gestehen. »Ja, das heißt: sie hat es nicht gerade direkt ausgesprochen! aber ich glaube, ich würde ihr zu ihrem Geburtstage eine Freude damit machen. Wenn Sie mir nur noch ein paar Stunden dazu sitzen könnten, dann getraute ich mich wohl, es einigermaßen zu stande zu bringen. Ich könnte mir vielleicht auch mit der Photographie helfen. Der Erbgroßherzog war nämlich so liebenswürdig, mir einen photographischen Apparat zum Geschenk anzubieten. Alle Maler photographieren ja jetzt.«

Kospoth horchte auf, und sobald die kleine Malerin geendet hatte, überraschte er sie mit der Frage: »Der Erbgroßherzog war wohl überhaupt sehr liebenswürdig gegen Sie in letzter Zeit?«

»O ja! Er ist schon ein paarmal hier oben gewesen bei mir und war so freundlich! Ich verdanke das natürlich nur Melanie.«

»Wie merkwürdig, daß ich Seine Königliche Hoheit nur ein einziges Mal hier getroffen habe! Ich bin doch fast jeden Vormittag hier gewesen!«

»Ja, er war einige Male auch nachmittags hier. Er liebe die Schummerstunde so, sagt er. Ich durfte nur die große chinesische Laterne anzünden. Wir saßen dann alle drei auf dem alten Diwan da, und er erzählte uns so hübsch von seiner Reise.«

»Und warum haben Sie mir davon nicht schon früher etwas gesagt? Hat Ihnen Melanie vielleicht verboten . . .?«

»Verboten? Nein! Wie Sie nur fragen! Sie haben sie doch fast jeden Tag unten bei ihren Eltern gesehen oder sind mit ihr ausgeritten, ins Theater gegangen, in Gesellschaft gewesen – da verstand es sich doch von selbst, daß sie Ihnen so etwas erzählte.«

»Nun ja, allerdings, einmal hat sie mir auch davon gesprochen, aber . . . Sagen Sie, wie oft war der Erbgroßherzog denn hier oben bei Ihnen?«

»Nur dreimal! Warum sehen Sie mich denn so an, Herr von Kospoth?«

Er beachtete ihre ängstliche Frage nicht, sondern fuhr, sie wie einen armen Sünder mit seinem strengen Richterblick in Verwirrung setzend, zu fragen fort: »Und Sie waren bei diesen Besuchen immer zu dreien? Ich meine: haben Sie nie den Erbgroßherzog mit Melanie allein gelassen?«

»Aber, Herr von Kospoth!« rief die kleine Malerin in ängstlich vorwurfsvollem Tone. »Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen! Sie werden doch wohl nicht glauben, daß Melanie . . . aber nein, das ist ja gar nicht möglich. Sie lieben sie ja doch!«

»Ja, eben, weil ich sie liebe! Vor Ihnen, Fräulein, brauche ich wohl kein Geheimnis daraus zu machen. Auf die Nebenbuhlerschaft einer Königlichen Hoheit kann man schon eifersüchtig sein, dächte ich! Und wenn ich einen gewissen Verdacht in mir aufkommen lasse . . . o, Sie können überzeugt sein, daß ich meine Gründe dazu habe! – Noch eine Frage: waren Sie immer zur Dämmerstunde hier oben?«

»Meistens ja, nur in dieser letzten Woche nicht, da hat mir mein Vater immer in der Zeit nach seiner Siesta bis zum Theater etwas vorgelesen.«

»Unten in seinem Zimmer?«

»Ja gewiß! Aber ich schließe mein Zimmer ab und trage den Schlüssel bei mir.«

»Und – ist das eine alte Gewohnheit von ihm, Ihnen vorzulesen?«

»Ach nein – das heißt: früher hat er es wohl manchmal gethan – immer, wenn ich krank war; aber neulich sprach ich mal mit ihm über Litteratur und da fand er, daß mein Geschmack eigentlich sehr ungebildet wäre, weil ich alles bunt durcheinander lese, was mir so in die Hände kommt. Da liest mir nun Papa seitdem alle Tage ein bis zwei Stunden aus den besten Dichtern vor, um meinen Geschmack zu bilden. Und damit ich nicht denken soll, daß er mir ein Opfer bringe, sagte er, er thäte es hauptsächlich zur Übung seiner Stimme und seiner Deklamation – Papa ist nämlich ein passionierter Schauspieler. O, gestern hat er mir Richard den Dritten vorgelesen, daß mir angst und bange wurde; so wild hat er die Augen dabei gerollt – Papa ist wirklich sehr gut zu mir – besonders seit Treysas im Hause wohnen! Das ist auch Melanies Einfluß, glaube ich. Ach, sie ist so lieb und gut, daß auch alle Menschen, die ihr nahe sein dürfen – ich möchte sagen: etwas davon abbekommen.«

Doris hatte sich in einen solchen Eifer hineingeredet, daß ein sanftes Rot ihre wachsbleichen Wangen überzog und ihre Gazellenaugen noch wärmer strahlten als gewöhnlich. Sie setzte sich erschöpft auf den nächsten Stuhl und schaute mit ihrem erstaunten Kinderblick zu Hans Joachim empor, als wollte sie sagen: Ich begreife nicht, wie man von einem Menschen, den man liebt, etwas Schlechtes denken kann; ich würde an dir, Hans Joachim, niemals zweifeln, und wenn die ganze Welt mir beweisen wollte, daß du meiner Liebe unwürdig wärest!

Kospoth hielt immer noch ihre Kreidezeichnung in der Hand und starrte mit düster zusammengezogenen Brauen darauf hinab. Die Worte des arglosen Mädchens hatten seinen Verdacht nur bestätigt. Er wußte nicht, was er ihr darauf erwidern sollte, da er wohl empfand, wie grausam es gewesen wäre, ihr das Vertrauen zu dem Vater zu zerstören, die Begeisterung für die angebetete Freundin zu trüben. Endlich legte er das Blatt aus der Hand und sagte: »Es wäre mir doch lieb, wenn ich Fräulein von Treysa einen Augenblick allein sprechen könnte.«

»Ich will gern hinuntergehen und es ihr sagen,« versetzte Doris eifrig und schrägelte alsbald zur Thür hinaus.

Hans Joachim warf sich auf den Diwan, drückte eine Faust gegen seine Stirn und harrte, den Kopf gegen die Wand gelehnt, der Geliebten. Er versuchte, sich klar zurecht zu legen, was er ihr sagen wollte, aber es war ihm unmöglich, seine Gedanken zu ordnen. Immer wieder drängte sich zwischen seine vernünftige Erwägung die Raserei der Eifersucht, und seine erregte Einbildungskraft ließ ihn fortwährend die Geliebte in der Umarmung des Prinzen schauen. Ein rasender Schmerz wühlte in seiner Seele, wie wenn eine grausame Macht, der er sich nicht widersetzen konnte, ihn dazu verurteilt hätte, der stumme Zeuge aller Küsse und Liebesschwüre zu sein, die Melanie mit ihrem fürstlichen Liebhaber austauschte. Es drängte ihn fortwährend, aufzuspringen und wütende Schläge in die Luft zu führen, den unsichtbaren Feind an der Gurgel zu packen. – Er mußte lange warten; aber als Melanie endlich erschien, war es ihm doch noch immer nicht gelungen, seiner Aufregung Herr zu werden.

Melanie kam allein. Sie war im Morgenrock, das reiche dunkle Haar noch unfrisiert, nur lose aufgesteckt. Ihre Augen verrieten deutlich die Spuren einer durchwachten Nacht, ihre Wangen waren blaß, aber die Hand, die sie zum Gruße in die seine legte, glühte wie im Fieber.

»Guten Tag, Hans Jochen! Sie haben mir etwas zu sagen? – Verzeihen Sie, daß ich in diesem Aufzuge komme – ich habe noch keine Zeit gefunden, Toilette zu machen. Mama hat eine sehr schlechte Nacht gehabt – wir mußten sogar den Arzt holen lassen, weil wir fürchteten . . . Papa ist ganz außer sich. Der Arzt hat gesagt, mir müßten uns auf das Schlimmste gefaßt machen, obgleich er die Hoffnung noch nicht aufgibt. Ach, lieber Freund, es ist so schrecklich, an dem Krankenbette der Mutter zu wachen, wenn man immer fürchten muß, daß die nächste Stunde die letzte sein könnte. Ich . . .« Sie fuhr sich mit ihrem Tüchlein über die feuchten Augen. »Ich bin nicht fähig . . . sagen Sie mir rasch, was Sie herführt. Ich darf sie nicht lange allein lassen.«

Kospoth hatte die heiße kleine Hand nicht losgelassen. Es zuckte schmerzlich um seinen Mund, als er ihr mit bebender Stimme eröffnete, daß er Abschied zu nehmen gekommen sei.

»Wie, Sie wollen uns verlassen?« rief Melanie, erstaunt aufblickend. »Gerade jetzt, wo wir einen Freund vielleicht sehr nötig haben werden?«

Er biß sich auf die Lippen und versetzte tonlos: »An Freunden wird es Ihnen hier doch jedenfalls nicht fehlen.«

»Ah! Sie sind mir böse, weil ich Ihnen noch immer nicht auf Ihre Frage geantwortet habe.«

»Ich glaube, ich habe Ihnen Zeit gelassen, sich über Ihre Gefühle klar zu werden. Ich weiß, Sie sind sich bereits klar darüber – und doch haben Sie mir nicht antworten wollen! Nun, ich habe mir die Antwort heute früh geholt – von einer andern Stelle. Der Erbgroßherzog hat es mir ungefragt zu verstehen gegeben, wie die Dinge liegen. Daß ich jetzt nicht mehr hier bleiben kann, keinen Tag länger, das werden Sie wohl verstehen.«

Eine jähe Röte ergoß sich plötzlich über Melanies ganzes Gesicht, um fast ebenso rasch wieder daraus zu verschwinden. Sie setzte sich auf den nächsten Stuhl und ließ die Hände matt auf dem Schoße ruhen. Ihre schlanken Finger spielten mit dem thränenfeuchten Batisttüchlein, und ihre niedergeschlagenen Augen schauten dem Spiele zu. Dann aber blickte sie wehmütig lächelnd empor und sagte, ruhig dem verzehrenden Blicke Kospoths begegnend: »Wenn Sie es denn einmal wissen: ja – ich liebe Georg Friedrich! und er liebt mich wieder und wird mich zu seiner Frau machen, selbst wenn er deshalb dem Throne entsagen müßte. Ach, lieber Hans Jochen, ich weiß, was ich Ihnen anthue, aber ich kann nicht anders, und ich durfte es Ihnen bisher nicht sagen, weil ich auf seine Stellung Rücksicht nehmen muß. Ich muß es ihm überlassen, den Zeitpunkt zu bestimmen, wann er das Geheimnis unsrer Liebe vor der Welt veröffentlichen will. Aber nun, da er es Ihnen selbst gesagt hat . . . Ach, lieber Freund, wenn diese Liebe nicht über mich gekommen wäre wie ein Sturm, um mir die innerste Seele durchzurütteln, Empfindungen aufzuwecken, von denen ich bisher keine Ahnung hatte . . . nein, man kann nicht davon sprechen – es ist so etwas Geheimnisvolles, Wunderbares! Aber ich weiß gewiß, das ist die rechte Liebe – und was ich für Sie fühlte . . . Ach, lieber Hans Jochen, wenn dies nicht über mich gekommen wäre, dann hätte ich mit Freuden Ihnen die Hand gereicht und – wir wären vielleicht auch glücklich geworden zusammen.«

Sie erhob sich plötzlich und legte ihre Hände auf seine Schultern, ihre volle Gestalt leicht an seine Seite schmiegend, und dabei sah sie, die schönen Augen ganz in Thränen, zu ihm auf und seufzte lächelnd: »Ach, lieber Hans Jochen, wenn du mir doch nicht böse sein wolltest! Das kommt nun einmal so und man kann nicht anders. Aber ich bin dir ja trotz alledem so gut, und es ist wirklich keine Redensart, daß ich dich liebe wie einen Bruder. Siehst du, ich glaube, es ist gut, daß es so gekommen ist; denn wäre ich deine Frau geworden und hätte dich anders lieben gelernt, dann hättest du sehr bald mit Schrecken erfahren müssen, wie furchtbar rücksichtslos, wie selbstsüchtig ich in meiner Liebe bin. Ich hätte dich gewiß schrecklich gequält, sobald ich gefunden hätte, daß in deinem Herzen noch für irgend etwas andres Platz ist neben deiner Frau.«

Er fühlte ihren warmen Atem in seinem Gesicht, ihren blühenden Leib an seiner Brust, in seinen zitternden Armen – seine Sinne drohten sich zu verwirren, und er rief mit letzter Kraftanstrengung: »Melanie, dein Trost macht mich wahnsinnig, laß mich los – – du bist fremdes Eigentum!«

Sie prallte zurück und sah ihn erschrocken an. Ein Blick in diese flackernden Augen sagte ihr, der wissend Gewordenen, ein wie gefährliches Spiel sie da in bester Absicht getrieben hatte. Aengstlich schritt sie wieder der Thüre zu und sagte, während sie eine Hand schon auf die Klinke gelegt, ihm ihre Rechte entgegenstreckte: »Wenn es also nicht anders sein kann, so leben Sie wohl! Wollen Sie nicht Papa noch sehen, ehe Sie reisen?«

Er antwortete nicht auf ihre letzte Frage, sondern hielt ihr vielmehr eine andre Frage entgegen: »Und du, Schwärmerin, glaubst wirklich, daß Georg Friedrich auf die Thronfolge verzichten wird, um dich zu heiraten?!«

Sie ließ die Klinke los und trat, die kleinen Hände zornig geballt, ihm einen raschen Schritt entgegen. »Sie vergessen wohl, daß Sie den Mann Ihren Freund genannt haben, den Sie jetzt durch solchen Verdacht beleidigen!«

»Nein, Melanie,« entgegnete Kospoth, bitter lächelnd. »Ich nehme nichts von dem zurück, was ich jemals Lobendes über den Erbgroßherzog gesagt habe; aber ich weiß auch, daß der Zwang der Verhältnisse stärker sein wird als er. Er sieht sich jetzt vor die Wahl gestellt, entweder der Mörder seines Vaters zu heißen, oder nur ein allzu feuriger Liebhaber. Ihr Schicksal, das Sie mit Hunderttausend verlassenen Mädchen aus allen Ständen teilen, würde die Gesellschaft nicht lange in Aufregung erhalten; aber ganz Europa würde sich über den Thronfolger entrüsten, der um einer romantischen Grille willen das Leben seines Vaters in Gefahr setzt.«

»Ah, ist das Ihre Freigeisterei? Eine romantische Grille nennen Sie eine Liebe, die sich gegen herkömmliche Anschauungen auflehnt? Es scheint, Sie sind nur so lange ein gefährlicher Radikaler, als Ihre persönliche Empfindlichkeit nicht berührt wird. O pfui! Und was soll das heißen: er würde der Mörder seines Vaters werden, wenn er mir sein Wort hält? Wollen Sie mir durch solche Romanphrasen einen Schreck einjagen? O pfui! sage ich noch einmal.«

Wie schön sie war in ihrem flammenden Zorn! Kospoth hatte ihr zu Füßen stürzen mögen; aber er zwang sich gewaltsam zur Ruhe und teilte ihr zu seiner Rechtfertigung mit, was an diesem Morgen im großherzoglichen Schlosse zwischen Vater und Sohn vorgegangen war und welche Folgen für den regierenden Herrn die Aufregung jener Unterredung gehabt hatte. »Sie wissen wohl,« schloß er seinen Bericht, »welch schönes Verhältnis zwischen Eltern und Kindern in der großherzoglichen Familie herrscht, und wie sehr insbesondere der Prinz seinen Vater verehrt!«

Melanie war wieder sehr bleich geworden. Die Hand auf den Busen gedrückt, mit halbgeöffnetem Munde hatte sie ihn bis zu Ende angehört. Er sah es, irgend ein Ausruf der Angst schwebte auf ihren Lippen; aber sie unterdrückte ihn. Sie strich mit beiden Händen das Haar von den Schläfen zurück, wie um sich dadurch zu beruhigen, und dann leuchteten ihre Augen auf und ein Lächeln stolzer Zuversicht spielte um ihre Lippen, als sie endlich wieder Worte fand.

»Sie werden sehen, Hans Jochen, daß auch dies ihn nicht in seinem Entschlusse wankend machen wird. Verzeihen Sie mir, was ich in der Heftigkeit gesagt habe. Ich muß jetzt zugeben, daß Sie ein Recht hatten, solche Worte zu gebrauchen. Sie müssen doch sehen aus diesem Ereignis, daß er mich in Wahrheit über alles liebt, mehr selbst als seine Eltern und seinen Thron. Ich bin überzeugt, daß er den rechten Weg finden wird, seinen Vater zu versöhnen – trotz alledem. Sie wissen ja, daß ich selbst fürstliches Geblüt in meinen Adern habe!« Sie versuchte übermütig zu lachen, was ihr jedoch schlecht gelang, und dann, als er sich abwendete und nur stumm die Achseln zuckte, fuhr sie fort: »Nun ja, das ist dummes Zeug! Aber ich meine doch, wenn Sie bei dieser Geschichte nicht persönlich beteiligt wären – nehmen Sie es mir nicht übel – dann müßten Sie sich eigentlich Ihres Schülers freuen, daß er den Mut hat, die Theorie in die Praxis umzusetzen: denn Ihrem Zukunftsstaate kann doch an so einem kleinen Großherzog nichts gelegen sein, nicht wahr?«

Kospoth wandte sich ihr wieder zu und versetzte mit schmerzlicher Ergebenheit: »Ich sehe, es kann zu nichts führen – wir quälen einander nur. Als Ihr aufrichtiger Freund kann ich Ihnen nur wünschen, daß Ihnen eine grausame Enttäuschung erspart bleiben möge. Behalten Sie wirklich recht – nun, dann will ich Ihnen Glück wünschen – und sehen, wie ich mit mir fertig werde. Leben Sie wohl, Melanie!«

Jetzt ging er nach der Thür, und sie war es, die ihn zurückhielt.

»Wollen wir wirklich so auseinandergehen?« rief sie lebhaft, indem sie mit warmem Drucke seine Hand ergriff. »Soll es nicht bei dem Du und bei der Brüderlichkeit bleiben dürfen?«

»Also: leb wohl, Melanie!« sagte er, trübe lächelnd und den Druck ihrer Hand erwidernd.

Allein sie wollte ihn noch nicht fortlassen und beharrte: »Nein, geh nicht! Reise wenigstens noch nicht heute ab! In diesen Tagen muß sich ja so vieles entscheiden. Halte noch so lange bei uns aus! Ja, Hans Jochen? In Trauer oder in überschwenglicher Freude – dein liebes Gesicht würde ich immer vermissen. Die Wunde, die ich deinem Herzen schlagen mußte, wird die Zeit heilen. Das ist zwar eine banale Phrase; aber ich glaube, es ist doch wahr. Es ist ja doch dein Ziel, die Menschheit glücklich zu machen, und darüber wirst du schon einmal ein Mädchen vergessen, das vielleicht . . . Ach, was rede ich da alles! Sei mir nicht böse! Sei gut und gerecht, wie du immer warst, Hans Jochen!« Und mit schelmischem Lächeln setzte sie hinzu: »Weißt du, wir treten vielleicht doch noch einmal in nahe verwandtschaftliche Beziehungen zu einander. Ja, sieh mich nur ungläubig an! Hast du denn wirklich nicht bemerkt, wie sehr Prinzeß Eleonore für dich schwärmt?«

»Melanie, ich bitte dich, was soll das hier?« sagte er, ernst abweisend. »Die Prinzessin ist eine gescheite Dame, mit der es sich vortrefflich plaudert und musiziert.«

»Und die dich außerdem anbetet,« fiel Melanie ein. »O, glaube mir, wir Frauen haben ein scharfes Auge aufeinander. Ich bin nicht die einzige, die bemerkt hat, wie es um das Herz der Prinzessin steht. Uebrigens hat es mir auch die kleine Katz bestätigt, und ich glaube, sie hat damit ganz im Sinne der Herrin gehandelt, der es wahrscheinlich sehr recht ist, wenn ich dir so etwas wiedererzähle. Sie weiß ja auch um unsre Liebe und steht ganz auf der Seite ihres Bruders. Der arme Großherzog wird sich wohl darein finden müssen, daß auch seine Kinder dem bösen Beispiele der Tante Chochotte folgen.«

Kospoth schüttelte den blonden Kopf und entgegnete fast grimmig: »Verzeih, ich besitze wohl nicht den Humor, um die Dinge so gemütlich aufzufassen. Ich hätte übrigens nicht geglaubt, daß du noch ein solches Kind sein kannst.«

Jetzt war wieder Melanie die Gekränkte. Sie biß sich leicht auf die Lippen und seufzte: »Wenn du durchaus nicht anders willst – dann also: leb wohl! Aber nur für heute, nicht wahr? Warte wenigstens, bis es sich mit Mama entschieden hat – und das andre vielleicht auch! Versprich mir das!«

»Versprechen kann ich es dir nicht; aber ich möchte es dir gern zuliebe thun.«

Sie wollte eben die Thür öffnen, als daran geklopft wurde. Es war das Treysasche Dienstmädchen, welches Melanie an das Krankenlager der eben aus kurzem Fieberschlaf erwachten Mutter zurückrief. Sie drückte Kospoth flüchtig die Hand und eilte mit einem kurzen »Auf Wiedersehen!« die Treppen hinunter. Ein paar Sekunden stand er unschlüssig – dann lief er ihr rasch nach und holte sie vor der Thür ihrer Wohnung ein.

»Sollte es mir unmöglich sein wiederzukommen,« flüsterte er ihr zu, »dann . . . dann grüße deine Eltern von mir, und vergiß nicht, Melanie: was auch immer kommen mag, ich bleibe dir gegenüber der alte. Wenn du einen Freund brauchst, bin ich bei dir. Adieu! Und gute Besserung deiner Mutter!«

»Danke!« sagte sie herzlich und drückte ihm warm die Hand. Dann schlüpfte sie eilig durch die nur angelehnte Thür hinein, und er stieg langsam die Treppe hinunter.

Als er unten aus der Hausthür trat, kam ihm der Kammerherr von der Rast entgegen. Mit hochgeklapptem Paletotkragen und aufgekrempelten Beinkleidern watschelte die dicke Gestalt eilfertig unter dem triefenden Regenschirm heran: aber selbst die Unbill des Wetters und die aufgeregte Hast vermochten das gewohnte süßliche Lächeln nicht aus seinem Gesichte zu verbannen. Schon auf sechs Schritte Entfernung streckte er Kospoth die Hand entgegen und rief im jovialsten Tone, als ob es sich um irgendwelchen harmlosen Spaß handle: »Morgen, lieber Baron! Haben Sie unsern Damen bereits die Trauerbotschaft aus dem Schlosse mitgeteilt? Sie wissen doch natürlich? Mein Gott, es ist wirklich schrecklich! Hier im Hause unsre liebe, gute Generalin in Lebensgefahr und dort im Schlosse unser allergnädigster Herr gefährlich erkrankt! Wer hätte gedacht, daß der Affront dieser unglückseligen Prinzessin Chochotte ihn dermaßen alterieren könnte! Es ist ein Nervenchok – sollen die Aerzte gesagt haben. Oder wissen Sie vielleicht, was sonst der Grund sein könnte? Ich hörte im Schlosse, daß der Erbgroßherzog heute morgen eine längere Unterredung mit seinem Vater gehabt habe.« Dabei sah er ihm lauernd ins Gesicht.

Kospoth hatte sich mit seinem Regenschirm zu thun gemacht, um den Händedruck dieses Mannes, der ihm seit dem Gespräch mit Doris noch bedeutend unangenehmer geworden war als bisher, zu entgehen. Er wußte, wo der Kammerherr mit seiner letzten Frage hinzielte, und antwortete nur durch ein bedauerndes Achselzucken darauf. »Wie geht es jetzt dem Großherzog? Sie haben ja die neuesten Nachrichten,« sagte er, nur um doch etwas zu sagen.

»Er soll wieder bei Bewußtsein, aber noch sehr schwach sein. Prinzessin Eleonore pflegt ihn,« versetzte der Kammerherr. »Haben Sie Fräulein von Treysa gesehen?«

»Ja, auf einen Augenblick; aber sie ist so durch die Krankheit ihrer Mutter in Anspruch genommen . . .«

»Versteht sich! Ja – das arme Kind! Na, wir wollen uns nicht erkälten. Auf Wiedersehen!« Er bemerkte wohl, daß sich aus Kospoth nichts herausholen lasse, und lüpfte daher mit seinem allerfreundlichsten Lächeln den Cylinderhut.

Kospoth that mit einer sehr abgemessenen Verbeugung das gleiche und schritt rasch davon. Hätte er noch einmal zu den Fenstern des ersten Stockwerks hinaufgesehen, so würde er vielleicht bemerkt haben, daß aus einem derselben, die schmale Stirn an die Scheiben gedrückt, ein kummervolles Gesicht ihm nachblickte. Er aber dachte gar nicht daran, daß er ganz vergessen hatte, der armen kleinen Malerin Lebewohl zu sagen, die er vielleicht nie im Leben wiedersehen würde. –

Der Kammerherr klingelte, ehe er seine eigne Wohnung betrat, erst einmal bei Treysas und ließ das gnädige Fräulein herausrufen. Er mußte ziemlich lange warten, ehe Melanie erschien. Und als sie dann endlich kam, so bleich, verstört und verweint, da vergaß selbst er für einen Augenblick zu lächeln und begann mit der ängstlich geflüsterten Frage, ob es denn mit ihrer Frau Mutter etwa schlimmer geworden sei.

»Immer noch dasselbe,« versetzte sie kopfschüttelnd. »Aber ich hörte eben von Baron Kospoth, daß der Erbgroßherzog sich geweigert hat, zu heiraten, und daß es darüber zu einer sehr erregten Auseinandersetzung mit dem Großherzog gekommen ist.«

Baron von der Rast horchte hoch auf und rief: »Ah, also doch! Ich dachte mir gleich, daß irgend so etwas dahinter stecken müßte. Herr von Kospoth thut natürlich mir gegenüber, als wüßte er von nichts. Hat er Ihnen vielleicht einen Auftrag von seiner Königlichen Hoheit ausgerichtet?«

»Er? Wo denken Sie hin!«

»Ach so! Ich verstehe,« sagte der Kammerherr mit ironischem Lächeln. »Dazu gibt er sich nicht her; aber ich habe Ihnen einen Auftrag auszurichten: der Prinz wünscht Sie heute zur üblichen Stunde zu sprechen.«

In Melanies überwachten Augen blitzte es freudig auf, und sie flüsterte lächelnd vor sich hin: »Ich wußte es wohl, er kann mich nicht im Stiche lassen, jetzt erst recht nicht!«

Der Kammerherr hatte sie wohl verstanden, obwohl sie so leise sprach. Und ebenso leise, sein listiges Faungesicht ihrem Ohre nahe bringend, versetzte er: »Seien Sie ganz ruhig, mein liebes, gnädiges Fräulein, ich stehe Ihnen dafür, daß er Sie nicht im Stiche läßt – mag aus dieser Heirat werden, was da will. Wenn Herr von Kospoth Ihnen etwa bange gemacht hat – dann kennt er eben Seine Königliche Hoheit nicht, glauben Sie mir! Nein, nein, seien Sie ganz ruhig, mein liebes, teures Fräulein! Was auch immer daraus werden mag, auf Ihren unterthänigsten Diener können Sie sich unter allen Umständen verlassen.«

Melanie war zu sehr mit ihren eignen Gedanken beschäftigt, auch wohl zu abgespannt, um den versteckten Sinn aus dem zutraulichen Geflüster des dicken Herrn herauszuhören. Aber diese Zutraulichkeit selbst berührte sie unangenehm und darum entzog sie sich rasch seinem zärtlichen Händedrucke unter dem Vorgeben, daß die Kranke ihrer dringend bedürfe. – – –

Es war Kospoth heute in seinem aufgeregten Zustande unmöglich, an der Table d'hôte in seinem kleinen Hotel teilzunehmen. Er ließ sich ein paar Gerichte auf sein Zimmer kommen und setzte sich nachher hin, um einen Brief an seinen Vater zu schreiben, in welchem er ihm anzeigte, daß er ihn, wenn er nichts anders depeschiere, übermorgen in Volkramstein erwarten möge.

Er war eben damit fertig geworden, als ein großherzoglicher Lakai ins Zimmer trat und ihm einen Brief überreichte. Das Monogramm mit der Fürstenkrone und die große, aber flüchtige Damenhandschrift ließ ihn auf den ersten Blick Prinzessin Eleonore als die Schreiberin erkennen. Er schnitt den fest verklebten Umschlag mit seinem Federmesser auf und las:

»Mein lieber Baron Kospoth!

»Ich komme eben von dem Krankenlager des Großherzogs. Zu meiner Freude darf ich Ihnen sagen, daß es ihm ein wenig besser geht. Die Aerzte meinen, daß keine unmittelbare Gefahr mehr vorhanden sei; aber er bedarf der allergrößten Schonung und muß vor jeder Gemütsbewegung ängstlich bewahrt werden. Seit er wieder zum Bewußtsein gekommen ist, beschäftigen sich seine Gedanken fortwährend mit meinem Bruder und er wünscht dringend, ihn zu sehen. Sie begreifen, daß, trotzig wie Georg nun einmal auf seinem Willen beharrt, eine neue Unterredung mit ihm für meinen teuren Vater die allergrößte Gefahr heraufbeschwören könnte. Mit Georg ist immer noch nicht zu reden. Er hat sich auf seinem Zimmer eingeschlossen und läßt niemand vor; aber ich habe trotz des Zusammenstoßes zwischen Ihnen beiden, von dem ich heute morgen Zeuge war, dennoch nicht die Hoffnung aufgegeben, daß Ihr Einfluß im stande sein könnte, doch noch günstig auf ihn einzuwirken. Ehe Sie mit ihm wieder zusammentreffen, möchte ich Sie bitten, die Frage erst mit mir allein durchzusprechen – wir meinen es ja beide gut mit Georg und finden vielleicht ein Mittel, ihn umzustimmen. Heute abend – sagen wir um Sechs – hoffe ich mich auf eine halbe Stunde frei machen zu können. Lassen Sie sich nur bei der Katz melden. Sollten Sie dringend verhindert sein, so bitte ich um Benachrichtigung durch den Ueberbringer. Andernfalls erwartet Sie

Ihre
Ihnen aufrichtig zugethane

Eleonore, Prinzessin zu . . . . . .«

Kospoth blickte noch eine kleine Weile nachdenklich in den Brief hinein. Dann wandte er sich rasch zu dem Lakaien und sagte: »Ich danke Ihnen. Es ist keine Antwort.«



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