Ernst v. Wolzogen
Der Kraft-Mayr
Ernst v. Wolzogen

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Achtes Kapitel.

Die Prüfung.

Wie alljährlich zu Beginn des Wonnemonds, so traf auch heuer wieder der Altmeister Franz Liszt pünktlich in seiner Sommerresidenz Weimar ein, und das vielsprachige Gezwitscher der bunt zusammengewürfelten Schar von Zugvögeln, die mit ihm zwischen Rom und Weimar, mit gelegentlichen Abstechern nach Budapest, hin- und herzufliegen pflegte, fiel auch diesmal wieder mit dem üblichen Lärm in die liebliche Musenstadt ein. Die berühmte Zeitung »Deutschland«, als welche den »fetten Salzknochen«-Annoncen der weimarischen Wirte ihr wohlgenährtes Dasein verdankt, hatte, wie üblich, am Vorabend der Ankunft Liszts einem schwungvollen Begrüßungsgedichte Raum gegeben, unterzeichnet mit den Buchstaben: A. W. G., welche der weimarische Volkswitz als »altes Weimersches Gärluder« zu deuten pflegte, obwohl jedermann mußte, daß es die Initialen des trefflichen Herrn Stadtorganisten waren. Und schon am nächsten Morgen, an dem die Sonne programmmäßig lachte, zeigten die Straßen der Residenz die charakteristische Veränderung, welche die Lisztsaison hervorzubringen pflegte. Gruppenweise schlenderten Schüler und Schülerinnen, wohnungsuchend und den Neulingen die Sehenswürdigkeiten zeigend, umher. Schmachtäugige Mädchen, vom schwedischen Weißblond bis zum semitischen Beinschwarz abschattiert, trugen Riesenhüte und seltsame Gewänder zur Schau; bleiche Jünglinge mit unheimlich langen knochigen Fingern, fast alle bartlos und bemüht, dem Meister möglichst ähnlich zu sehen, hielten schlottrige Kameradschaft mit den Damen und forderten das Staunen der Philister durch allerlei kleine Seltsamkeiten der Kleidung, besonders aber durch auffallendes Benehmen heraus. Fast alle trugen sie goldene Schaumünzen mit dem Brustbilde Liszts als Busennadeln. Einer, der als Berliner Jude entlarvt war, sobald er nur den Mund aufthat, spielte sich vermittelst eines Fez mit abnorm tief herabbaumelnder Troddel als Türke auf; ein andrer schwitzte in einem ungeheuer langen und ganz schließenden Bratenrock einher, um womöglich für einen Abbé gehalten zu werden; ein dritter hatte sich aus Italien einen fürchterlich karrierten hellen Flanellanzug mitgebracht, zu dem er eine rotseidene Leibbinde trug, welche die kleinen Bürgermädchen Weimars in nicht geringe Aufregung versetzte. Je zwei von diesen Halbgöttern schleppten gewöhnlich eine Nymphe unter dem Arm mit sich – sie lockten durch Pfeifen meist Wagnerscher Motive ihre Kameraden und Kameradinnen in den Häusern ans Fenster und führten laute Unterhaltungen mit ihnen, auch über die Gasse, wenn es so paßte. Und mittags wurde es erst gar lebendig in den pianistischen Gärten der Restaurants, in welchen die verschiedenen Tafelrunden sich aufthaten! Das lachte, schwatzte, sang und gröhlte durcheinander in einem tollen Sprachgewirr, in dem aber doch Deutsch, Französisch und Russisch die tonangebenden Zungen waren. Gerade, wie wenn die Schwalben heimgekehrt sind und mit ohrenbetäubendem Gezwitscher in die alten Nester einfallen oder neue zu bauen beginnen.

Im Garten des Hotels Chemnitius hatte ein besonders großer, lauter und bunter Haufe von Lisztianern beiderlei Geschlechts sich zum Mittagstisch eingefunden, um bei einer Maibowle die Eröffnung der Sommersaison zu feiern. Die Fröhlichkeit dieser Tafelrunde war schon fast bis zur Ausgelassenheit gediehen, als ein junger Mann, lang und hager von Gestalt, mit braunem, schmalem Antlitz und tiefliegenden runden Aeuglein darin, einen neuen, sehr hohen Cylinder auf dem langhaarigen Haupte, den Garten betrat und unbemerkt von jenen lustigen Gästen an einem entfernten Tischchen Platz nahm. Wenn irgend jemand, so sah dieser neue Ankömmling wie ein Lisztianer aus. Aber er war, einen absichtlich weiten Bogen schlagend, an der Tafel der Bowlentrinker vorbeigegangen, nur mit finsteren Blicken hinüberschielend wie ein ganz sauertöpfischer Tugendpfaff. Er konnte es aber doch nicht unterlassen, von seinem entfernten Platz aus die sündhaft lustige Gesellschaft zu beobachten und nach Kräften die Ohren zu spitzen, um von ihrem Scherzen und Schwatzen womöglich etwas zu erhaschen. Er hatte bereits begonnen, seine dünne Brühsuppe auszulöffeln, als er plötzlich auf seinem Stuhl zusammenfuhr, als hätte ihn ein elektrischer Schlag getroffen. Er ließ den Löffel in die Suppe patschen, daß sie weit über das Tischtuch und hoch auf seine Hemdenbrust hinaufspritzte, ohne des zu achten. Er starrte hinüber nach dem andern Tisch und knirschte halblaut vor sich hin: »Himmelherrgottsakrament, führt dich der Deixl auch wieder daher!«

Es war eine Frauenstimme gewesen, die den langen Burschen so erschreckt hatte, und diese Stimme gehörte ganz zweifellos dem Fräulein Ilonka Badacs an. Richtig, da saß sie mitten drin unter dem tollen Pack! Sie drehte ihm den Rücken, darum hatte er sie nicht früher erkannt. Neben ihr saß das Gigerl im italienischen Flanellanzug, hatte ihr seinen rechten Arm um die Schultern gelegt und flüsterte ihr offenbar recht starke Sachen ins Ohr; denn sie schrie von Zeit zu Zeit ganz laut auf, puffte den Flanellenen in die Rippen und rief der Gesellschaft in ihrem breiten Ungarisch-Deutsch irgend etwas zu, was jedesmal mit wieherndem Gelächter begrüßt wurde.

Der einsame Gast, der seinen Aerger über das Benehmen des Fräulein Badacs so deutlichen Ausdruck zu geben wußte, indem er, fortwährend kernbayrische Sprüche vor sich hinbrummend, die Fettflecken auf seinem Vorhemd wütend mit der Serviette bearbeitete, war natürlich kein andrer als Florian Mayr. Er war nach dem unangenehmen Erlebnis auf der Soiree der Gräfin Tockenburg nicht gerade friedlich mit der Ungarin auseinandergekommen. und daß sie ihm an jenem Abend ihr Wort nicht gehalten, sondern vorgezogen hatte, mit dem durchlauchtigen Husarenlieutenant zu soupieren – wie sie ganz ehrlich eingestand –, das hatte er ihr noch mehr übelgenommen als selbst die gesellschaftliche Blamage, die er ihrer dreisten Einführung zu verdanken hatte. Und da sie auch keinen großen Geschmack daran fand, sich von einem jungen Kollegen herunterputzen zu lassen wie ein unartiges Schulmädel, so waren die beiden in hellem Zorn voneinander geschieden. Aber vergessen hatte er sie darum nicht – o ganz im Gegenteil! Sobald er sich ein wenig beruhigt hatte, schalt er sich einen Erzflegel und jämmerlich unweltläufigen Büffel. Was wußte er als Bayreuther Kantorssohn, der sich zwanzig Jahre lang in dürftigen, engen Verhältnissen herumgedrückt und ums tägliche Brot gerungen hatte, was wußte er davon, was droben in der oberen Welt Gesetz und Sitte war? Das Fräulein Ilonka war doch heimisch in dieser Welt, und wie sie sich darin zu bewegen beliebte, so mußte es wohl recht und üblich sein. Er hielt nun einmal Ilonka Badacs für eine große Weltdame, und sie war die erste dieser Gattung, die auf ihn einen tieferen Eindruck gemacht hatte, weil sie mit der Gewandtheit und Grazie des Benehmens, der mehrsprachigen Vielwisserei und jener geschmackvollen Wohlgepflegtheit des Körpers und des Geistes, welche eben die Dame ausmacht, dies echt künstlerische Temperament verband, diese naive Herzlichkeit des guten Kameraden. Schließlich verdankte er ihr auch den Mut, so ohne alle Empfehlung auf gut Glück nach Weimar zu fahren. Die Hoffnung, sie hier wiederzufinden, hatte auch nicht wenig dazu beigetragen, ihn zum Entschluß zu treiben. Er hatte sich's nie eingestehen mögen, daß er am Ende gar in sie verliebt sei, aber sie war thatsächlich das einzige Weib, an das er mit Sehnsucht dachte, um dessen Bild sich seine Gedanken in kindlich süßen Träumen rankten. Und nun mußte er sie so wiederfinden, in dieser reichlich beschwipsten Gesellschaft von Lotterbuben und Lottermädeln, wie er sie in seinem Grimme titulierte! Er würgte sein Mittagessen ohne Genuß hinunter und nahm sich vor, davonzugehen, ohne das Fräulein Badacs zu begrüßen.

Er zahlte, schlug sich seinen Cylinder auf den Schädel, daß es knallte, und ging abgewandten Hauptes an der Tafel der Kollegen vorbei. Da hörte er hinter sich tuscheln und kichern, und ehe er noch den halben Weg zum Garteneingang zurückgelegt hatte, rief Ilonkas Stimme laut hinter ihm her: »Strof mich Gott! Ise der Florian Mayr. Kinder, halt's ihn fest! Is sähr bärihmter Kollege, sähr liebär Freind von mir!«

Es half nichts, daß Florian seine Schritte beschleunigte und that, als ob er nicht hörte, Ilonka lief ihm einfach nach, packte ihn beim Rockschoß und hielt ihn fest: »Allj baratom!« rief sie lachend, »das paßt sich nicht, liebär Junge. Man lauft nicht so fort, wo sitzen lauter sähr bärihmte Kollägen!«

Florian hatte sich umgewandt, zog seinen Hut und machte ihr eine rasche linkische Verbeugung, bei der ihm die Haarsträhnen um die Nase schlugen, dann heftete er seine braunen Aeuglein fest auf ihr lachendes Gesicht und flüsterte sehr entschieden: »Dank' schön, zu der Bande setz' ich mich nit! Wenn's Ihnen Spaß macht, Fräulein – mein G'schmack ist des nit!«

Ilonka faßte ihn kräftig bei beiden Armen, schüttelte ihn und fuhr ihn, immer noch lachend, an: »Grober Kärl, scheißlicher! Wos is wieder für Dummhait!« Damit zog sie ihn zum nächsten unbesetzten Tisch, drückte ihn auf einen Stuhl nieder und setzte sich ihm gegenüber. Sie stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch, daß die weiten Aermel ihres leichten Kleides die weißen vollen Unterarme bloß ließen, und dann drückte sie ihr gutmütiges, lustiges Gesicht, das wie immer viel zu stark gepudert war, in die hohlen Hände und schnitt ihm eine urkomische Fratze.

»Nu, is Herr Florian immer noch bese wegen die klainwinzige Prinz? Ich schwöre, doß ich ihm nicht lieb' so viel!« Und sie pustete über ihre ausgestreckte Handfläche hin.

Florian mußte wider Willen lächeln. Sie nahm sich zu drollig aus. Und dann versetzte er, bedeutend milder gestimmt: »Wissen S', der Prinz thät' mich weniger genieren, aber die G'sellschaft da – sind des wirklich lauter Lisztschüler? Gott soll mich bewahren!«

»Ah wos, Frainderl,« sagte Ilonka begütigend, »wos mocht dos! Sind doch gonze liebä Menschen: bißl dumm, bißl verrickt, bißl verliebt – olle kein Geld und immär lustik! Verkehr' ich gäwehnlich nicht mit – wohn' ich im Hotel Erbprinz, ess' ich Table d'hote mit fainste Gesällschaft, crême de la crême! Obär is heit erstemol in Weimar, hoben sie mich aingeladen, die liebän Kollägen; will ich doch nicht haißen gemainer Kärl!«

»Ach so, ja,« murmelte Florian verlegen und machte ein nicht besonders gescheites Gesicht dazu. »Ich habe Ihnen natürlich keine Vorschriften zu machen – und von Bössein kann schon gar keine Rede sein, natürlich; denn ich bin überhaupt's – natürlich . . .« Er wußte nicht weiter.

Sie lachte und streckte ihm ihre Rechte über den Tisch hin bis dicht unter die Nase, indem sie neckisch ausrief: »Olso obbitten, schenes Handerl küssen – gonze brov sein!«

Er beugte sich über die Hand und berührte sie flüchtig mit komisch gespitzten Lippen, ohne sie dabei anzufassen, und obendrein errötete er noch wie ein schüchterner Knabe. Die Versöhnung war also äußerlich besiegelt, aber dennoch weigerte er sich standhaft, sich zu der lustigen Gesellschaft zu setzen; denn ehe er nicht wisse, ob der Meister ihn als Schüler annehmen wolle, sei er nicht in der Stimmung, neue Bekanntschaften zu schließen. Er sei aufgeregt wie ein Schulbub' vor dem Examen bei dem Gedanken, daß er vielleicht heute noch dem verehrten Altmeister gegenübertreten und von ihm aufgefordert werden könnte, etwas vorzuspielen. Fräulein Ilonka schlug ihm vor, sich von ihr Liszt vorstellen zu lassen, aber da wäre er beinahe wieder grob geworden, indem er sie daran erinnerte, wie übel ihm damals ihre Empfehlung bei der Gräfin Tockenburg bekommen war. Da ließ sie denn den Querkopf laufen.

Florian kehrte in sein Hotel zurück, hielt eine kurze Mittagsruh, und dann bürstete er aufs sorgfältigste seinen schwarzen Anzug ab, glättete seinen Cylinder und knüpfte einen frischen Hemdkragen um, um würdig vor das Angesicht des Vergötterten zu treten. Er fragte sich nach dem Hofgärtnereigebäude in der Marienstraße durch und ging, sehnsüchtig wie ein Liebhaber zu den Fenstern des ersten Stocks emporschauend, wohl ein Halbdutzendmal im langsamsten Schritt vor dem gelben, schmucklosen Gebäude auf und nieder. Aber zur Thüre hineinzugehen und einfach zu fragen, ob der Meister zu Hause sei, das wagte er nicht. So stand er denn verzagt und unschlüssig da und machte allemal, wenn Leute kamen, wieder einen kleinen Gang auf und ab, um nicht gar verdächtig zu erscheinen. Endlich trat ein Mädchen aus der Thür, anscheinend eine Dienerin, und die fragte er ganz schüchtern, ob der »Herr Abbé Doktor Franz von Liszt« vielleicht daheim sei.

Das angenehme freundliche Mädchen lächelte ob der umständlichen Titulatur und gab ihm den Bescheid, daß der Meister zwar daheim, aber augenblicklich nicht zu sprechen sei, er werde aber wahrscheinlich sehr bald herunterkommen, um seine Rosenkultur im Hofgarten zu besichtigen.

»Ach, Fräulein, Sie gehören wohl zum Hause?« fragte Florian Mayr, schon ein wenig mutiger.

»I nu, freilich!« versetzte das Mädchen heiter, »ich bin ja doch die Bauline.«

Florian hatte keine Ahnung von der Bedeutung der »Bauline«, aber sein Gesicht erglänzte plötzlich, als ob ihm ein guter Genius erschienen wäre, bereit, den Felsblock vor dem Eingang zur Wunderhöhle für ihn wegzuwälzen, und er sagte mit hoffnungsfrohem Aufschwung der Stimme: »Also, Fräulein Pauline, des freut mich jetzt wirklich! Können Sie mir nit vielleicht sagen, wie ich des anfang', daß ich den Meister zu sehen krieg', und wenn's auch nur von weitem wär'?«

Seine bescheidene Verehrung rührte Paulinens Herz, und sie führte ihn durchs Haus hindurch in den Hofgarten und empfahl ihm, dort auf und ab zu spazieren, bis der Herr Doktor herauskommen würde.

So sah er sich denn allein in dem nicht eben großen Grundstück der Hofgärtnerei. Die Sonne brannte für diese Jahreszeit schon recht heiß in dem schattenlosen Blumengarten. Florian schwitzte fürchterlich in seinem eng zugeknöpften Gehrock, aber mehr vor Aufregung und Schwäche, als vor Hitze. Er drückte sich in den engen Wegen zwischen den Beeten herum, wischte sich das Gesicht ab und schaute dabei in seinen Cylinder hinein wie ein frommer Protestant, der sein Gebetlein spricht beim Betreten der Kirche. Hunderte von Malen hatte er sich schon überlegt, was er etwa sagen sollte, wenn er wirklich den Mut fände, den Meister anzusprechen, aber jetzt, wo der große Augenblick gekommen war, erschien ihm der Gedanke allzu kühn. Schon daß er hier allein im Garten weilte und dem Verehrten auflauerte, wollte ihm als eine arge Dreistigkeit erscheinen, und er hatte nicht übel Lust, sich gleich bis an den entgegengesetzten Ausgang zurückzuziehen, um zur Thür hinausschlüpfen zu können, sobald Liszt ihm etwa näher kommen sollte.

Während er noch so feige sinnierte, that sich die Hinterthür der Hofgärtnerei auf, und heraus trat Franz Liszt in eigener Person, nur von einem Gartengehilfen begleitet. Er trug den breitkrempigen Hut und den langschößigen schwarzen Rock der Weltgeistlichen. Das schneeweiße Haar fiel tief über den ungestärkten Umlegekragen herab, und zwischen den etwas kurzen Hosen und den ausgeschnittenen Schuhen blieb gerade noch ein Streifen der schwarzseidenen Strümpfe zu sehen. Noch fast ungebeugt schritt die hohe Greisengestalt den von niedrig beschnittenen Fichten eingefaßten Mittelweg hinaus. Jetzt war der Meister kaum noch zehn Schritte von Florian entfernt, der ihm, überwältigt und erschrocken, wie einer schon längst erwarteten Geistererscheinung entgegenschaute. Er trat zur Seite, um dem Meister den Weg freizulassen, und zwängte sich in seiner Erregung gleich mit dem halben Leibe nach rückwärts in die Fichtenhecke hinein. Dann riß er seinen Hut vom Kopfe und verbeugte sich, als der Meister ihm noch näher kam, schier bis zur Erde.

Liszt hatte ihn scharf ins Auge gefaßt, sobald er seiner ansichtig ward. Er zögerte einen Moment, um sich zu besinnen, wo er den Mann hinthun solle, der offenbar zu den Seinigen gehörte. Aber diese Verbeugung war so grotesk, daß er lachen mußte. Er blieb stehen, lüpfte den Hut, neigte freundlich das Haupt und sagte: »Pcha, Sie erweisen mir zu viel Ehre – pcha, zu viel Ehre! Hoho! Mit wem, bitte, habe ich . . .?«

»Mein Name ist Mayr,« stieß Florian, all seinen Mut zusammennehmend, rasch hervor. Er hätte in diesem Augenblick freudig sein letztes Hemd dafür geopfert, wenn er anders als gerade Mayr hätte heißen können. Und um den schlechten Eindruck einigermaßen zu verwischen, fügte er rasch hinzu: »Florian Mayr, bitte – M–a–y–r – aus Bayreuth.«

Das freundlich lächelnde Gesicht des alten Herrn wurde sofort ernst, als er den Namen »Bayreuth« hörte. Er hob die buschigen weißen Brauen ein paarmal rasch in die Höhe, schloß die beiden Lippen fest zusammen, nickte wie befriedigt und stieß dann wieder seinen ihm eigentümlichen Räusperlaut hervor, der andeutungsweise mit »pcha« wiedergegeben werden möchte. »Pcha – Bayreuth – bravo!« Dann faßte er Florian aufmerksamer ins Auge und fragte, mit einer bezeichnenden Geste auf sein langes Haar deutend: »Auch Künstler?«

Der freundliche Blick des gütigen Greisenauges flößte plötzlich dem ängstlichen Florian einen ungeheuren Mut ein, so daß er in warmem Tone zu antworten vermochte: »Jawohl, ich bin Pianist, aber ich möchte gerne ein rechter Künstler werden. Darum habe ich gewagt . . .« Mehr vermochte er nicht zu sagen; die Aufregung schnürte ihm plötzlich die Kehle zusammen.

»Oh, Sie wollen bei mir studieren? – Eh bien – bravo! Wollen sehen, mein junger Freund! Kommen Sie morgen zu mir, spielen Sie mir etwas vor. Kommen Sie acht Uhr früh! Sie sind aus Bayreuth? – bravo! Haben Sie Empfehlung von Wahnfried?«

»Nein, ich bin, ich habe – ich bitte um Entschuldigung, ich habe gar keine Empfehlungen,« stammelte Florian entsetzt.

Liszt zuckte die breiten Schultern und schüttelte nachdenklich den Kopf. Als aber sein Auge dem angstvollen Blicke des jungen Mannes begegnete, lächelte er ihm aufmunternd zu und sagte: »Pcha, was thut's! Protektion ist für die Schwachen. Empfehlen Sie sich selbst, mein junger Freund! Also, morgen früh acht Uhr! – A revoir!« Er erhob artig seinen Hut und dann bog er mit dem Gartengehilfen in den nächsten Seitenpfad ein.

Florian trat aus seinem Fichtendickicht hervor und stürzte, vor Aufregung und Begeisterung halb närrisch, davon. Zwei Stunden lang rannte er fast im Laufschritt in dem prachtvollen Park umher, ohne doch für dessen landschaftliche Reize ein Auge zu haben. Ein Glückspilz sondergleichen, ein unverschämtes Sonntagskind dünkte er sich selbst, weil es ihm gleich so ohne alle Schwierigkeit geglückt war, die große Sehnsucht seines Lebens erfüllt zu sehen. Daß die Aufforderung, Liszt vorzuspielen, schließlich durchaus noch nicht seine Annahme als Schüler bedeutete, daran dachte Florian im ersten Freudenrausche nicht. Die Prüflingsangst kam erst über ihn, als er im Bette lag. Dann aber auch mit fürchterlicher Heftigkeit. Wie leicht konnte es ihm passieren, daß er vor Aufregung ganz erbärmlich spielte, und dann wär's doch wahrlich kein Wunder gewesen, wenn ihm der Meister in gerechtem Zorn über seine unwürdige Zudringlichkeit ein für allemal die Thür gewiesen hätte! Die Schande hätte er sein Lebtag nicht überwunden.

Es half nichts, daß Florian mit aller Gewalt seine Gedanken abzulenken suchte, daß er bis hundert zählte und sogar zwölf Vaterunser hintereinander betete – das Schreckgespenst war einmal da und ließ sich nicht verscheuchen. Er wollte keine gefährlichen Sachen versuchen, die »Appassionata« wollte er spielen, mit der er schon als fünfzehnjähriger Knabe geglänzt hatte und die er, wie man zu sagen pflegt, im Schlafe konnte. Er ging die ganze Sonate in Gedanken durch und ließ die Finger dazu auf der Bettdecke spielen. Nein, es war ganz unmöglich, daß er mit der Appassionata Schiffbruch leiden konnte! Aber dennoch gelang es ihm nicht, sich zu beruhigen. In Schweiß gebadet, wälzte er sich im Bette herum und fand erst lange nach Mitternacht ein wenig Schlaf. Aber schon vor sechs Uhr in der Früh war er wieder wach – und da hob die rechte Höllenpein erst an. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Frühstück gab es in dem Hotel so früh noch nicht. Er stand auf und ging eine Stunde spazieren, um nur noch elender, an allen Gliedern wie zerschlagen, und mit Anwandlung von Uebelkeiten heimzukehren. Er trank einen Schnapp zum Kaffee, aber das half auch nichts. Sein Magen war ganz in Unordnung, und es erging ihm wie der Witwe Stoltenhagen, als sie von seinem »Gesundheits-Kaffee« genascht hatte.

Unter so traurigen Begleitumständen vollendete sich die achte Stunde des bedeutungsvollen Tages. Florian stand trotz alledem pünktlich mit dem Schlage Acht vor der Hofgärtnerei. Aber er traute sich nicht hinein ins Haus. Er war überzeugt, daß er in seinem jammervollen Zustande erbärmlich spielen würde, und überlegte, ob er nicht lieber die Flucht ergreifen solle, um sich nie wieder in Weimar sehen zu lassen und sich mit dem bescheidenen Dasein eines besseren Klavierlehrers für die höheren Stufen zu begnügen. Da klingelte der Postbote am Hause an, und alsbald öffnete die freundliche »Bauline« und nahm ihm die Briefe ab. Dabei gewahrte sie auch den schlotternden Florian, winkte ihm eifrig zu und rief ihn an: »Sie sind doch der Herr Mayr mit ayr, nich' wahr? Gomm'n Se, machen Se zu! Der Herr Doktor wart' schon auf Sie.«

Wie ein ertappter Sünder schlich Florian ins Haus, und er hätte sich gar nicht gewundert, wenn die gute Pauline ihm im Vorbeigehen hinterrücks eins ausgewischt hätte. Mit zitternden Knieen klomm er mühsam die Treppe empor. Elend und mit bösem Gewissen zugleich, wie ein Dieb, der zum erstenmal stehlen will und noch dazu ohne Talent. Wäre ihm Pauline nicht so dicht auf den Fersen gefolgt, so hätte er vielleicht gar jetzt noch kehrt gemacht und das Hasenpanier ergriffen. Eine Ewigkeit deuchte es ihm, bis er die Treppe hinauf kam, und doch befand er sich, ehe er sich dessen recht versah, in dem geräumigen Vorzimmer, in welchem Spiridion, der griechische Sekretär des Meisters, eine französische Zeitung lesend, am Fenster saß. In seiner Angst machte Florian diesem schwarzen Herrn eine tiefe Verbeugung, die jener jedoch kaum beachtete. Er richtete einen fragenden Blick auf Pauline und vertiefte sich sogleich wieder in seine Zeitung, als sie ihm sagte, daß »es schon recht sei«. Dann betrat Pauline das Arbeitszimmer des Meisters, der an seinem Schreibtische saß, überreichte ihm die Briefe und meldete Herrn Mayr an.

»Ah, bravo! Pauline, ich will nicht gestört sein – mein junger Freund will mir einen Kunstgenuß bereiten!« Und mit einer einladenden Handbewegung hieß er Florian nähertreten.

Florian war nicht einmal im stande, »guten Morgen« zu sagen. Er machte eine von seinen kurzen, tiefen Verbeugungen und dann stand er blaß und zitternd mit feuchtkalten Händen neben der Thür, die Pauline leise hinter sich ins Schloß gedrückt hatte.

»Nun, was wollen wir spielen?« fragte Liszt, ohne ihn anzuschauen, während er die eingelaufenen Briefe prüfend von außen beschaute und dann einen davon öffnete und mit sichtlicher Teilnahme zu lesen begann.

»Ich dachte vielleicht: Beethoven!« stotterte Florian kaum hörbar hervor. Der Meister hatte ihn wohl gar nicht gehört. Er las ruhig den Brief zu Ende, der ihn sehr zu amüsieren schien, denn er lächelte sehr vergnügt dabei. Dann ließ er das Schreiben achtlos auf die Tischplatte fallen und sagte leichthin: »Ah, Beethoven! Bravo!« Er hatte also doch gehört. Ein ermutigender Strahl aus seinen wunderbaren Augen, ein freundliches Lächeln um den geschlossenen Mund, verbunden mit einer gebietenden Handbewegung nach dem Flügel hin – und Florian Mayr saß davor mit gelähmten Händen und zitternden Knieen.

Er berührte die Tasten und spielte die Einleitungstakte der Appassionata – pianissimo nach Vorschrift. Er spielte in der That so leise, daß er meinte, es könne überhaupt kein Ton zu hören gewesen sein. Er selbst hörte wenigstens nichts, so sauste es ihm in die Ohren. Er sah nur seine Finger sich bewegen, krabbelnd wie lange dürre Käferbeine unter dem Thorax der mächtigen Tatzen; aber diese Käferbeine krabbelten da herum wie etwas ganz Selbständiges. Er empfand gar nicht mehr den Zusammenhang zwischen sich und diesen Händen. Da vernahm er plötzlich von der Stelle her, wo Liszt saß, ein leises »Bravo!« und plötzlich spürte er einen Ruck in seinen Händen, als ob alle zehn Finger auf einmal sich daran festsaugten, und nun fühlte er sich auch Herr dieser Hände und spielte mit Todesverachtung darauf los.

Als er geendigt hatte, trat der Meister lebhaft auf ihn zu, klopfte ihm auf die Schulter und sagte liebenswürdig schmunzelnd: »Sehr brav, sehr brav! Man kann das Stück zwar noch anders spielen, aber so wie Sie es gespielt haben, hat es auch seine Berechtigung.«

Florian erhob sich vom Klaviersessel und fragte zaghaft, ob der Meister ihm wohl erlauben würde, sich seinen Schülern beizuzählen und ob er glaube, daß er das Zeug zu einem hervorragenden Künstler habe.

Da griff Liszt nach Florians herabhängender linker Hand, hob dies gewaltige Tastwerkzeug an zwei Fingern empor, betrachtete es aufmerksam und sagte dann zufrieden nickend: »Sie haben eine gute Hand, pcha – und besonders einen guten Kopf.« Damit ließ er die Hand fallen und strich ihm, überaus gütig lächelnd, über die hohe runde Stirn, wie ein Großpapa einem artigen Kinde. »Ihr Kopf hat mir gleich gefallen!« fügte er noch hinzu, »bleiben Sie nur bei mir, junger Freund, und kommen Sie mit den andern, wann Sie wollen!«

Florian hätte laut hinausjauchzen mögen vor Freude. Er vermochte kein Wort hervorzubringen, aber er erhaschte des Meisters Hand und drückte einen Kuß darauf. Dann beantwortete er ihm noch einige Fragen über seinen Bildungsgang, seine bisherigen Studien und seine persönlichen Verhältnisse und war dann für dies erste Mal entlassen.

Wie gestern, so rannte Florian auch heute wieder zunächst in den Park hinaus, und das Erste, was er that, sobald er sich allein sah, war, daß er in Thränen ausbrach, in helle Freudenthränen. Er war ein hartgewöhnter Bursch, Sentimentalität war gewiß nicht seine Sache, und richtig geweint hatte er zum letztenmal beim Tode seiner Mutter. Er ließ die warmen Tropfen laufen, er schämte sich ihrer gar nicht – aber den Menschen ging er doch aus dem Wege. Droben bei der künstlichen Ruine fand er ein einsames Plätzchen, da trocknete er sich das Gesicht und dann schneuzte er sich ausgiebig und lachte laut hinaus. Er stellte seinen schönen neuen Cylinderhut auf die Erde, sprang fünfundzwanzigmal hin und zurück mit Schlußsprung darüber, führte sodann noch eine Reihe kräftiger Freiübungen aus – und befand sich wieder urwohl. Nunmehr sehnte er sich aber gar lebhaft nach einer verständnisvollen Menschenseele, die geneigt wäre, an seinem Jubel teilzunehmen, und er eilte mit Riesenschritten durch den unteren Park nach der Stadt zurück und suchte das Hotel »zum Erbprinzen« auf, das ihm Fräulein Badacs als ihre Wohnung angegeben hatte.

Das Fräulein Badacs werde schwerlich schon zu sprechen sein – wurde ihm auf seine Erkundigung Bescheid gegeben; aber Florian konnte sich nicht vorstellen, daß jemand an einem so schönen Frühlingsmorgen bis um neun Uhr zu schlafen im stande sei. Er ließ sich ungeduldig die Zimmernummer nennen und stürmte die Treppen hinaus. Da war die angegebene Nummer, und er hatte schon den Fingerknöchel gezückt, um kräftig anzuklopfen, als die Thür sich aufthat und ein sehr vornehm aussehender Herr heraustrat und, auf der Schwelle sich noch einmal ins Zimmer hineinwendend, zurückflüsterte: »Adieu, mon chat!« Indem er die Thür zudrückte, erblickte der Herr den langen schwarzgekleideten Jüngling im Cylinder, wandte seinen Kopf rasch zur Seite, wie wenn er nicht erkannt sein wollte, und huschte äußerst geschwind, fast geräuschlos die Treppe hinunter. Florian hatte sich wirklich in der Geschwindigkeit das Gesicht nicht merken können; er wußte nur, daß der Herr schlank, blond und sehr fein gekleidet gewesen war. Mit offenem Munde starrte er ihm nach; er glaubte nicht recht gesehen zu haben – oder nein, Unsinn! er hatte wohl falsch gehört – die Zimmernummer mußte eine andre sein. Er stieg geschwind die Treppe wieder hinunter und sagte zu dem Kellner, der ihm eben Bescheid gegeben hatte: »Ach, entschuldigen Sie! Welche Nummer hat doch das Fräulein Badacs?«

»Zweiundzwanzig!« erwiderte der Kellner, fein lächelnd.

Florian schüttelte den Kopf und sagte unsicher: »Dreiundzwanzig, nicht wahr?«

»Nein, zweiundzwanzig, bitte!« betonte der Kellner mit vollkommenster Deutlichkeit.

»Ja, aber,« stammelte Florian ratlos, »da ist doch eben ein Herr . . .«

»Ah so!« fiel der Kellner ein und lächelte noch viel feiner. »Das war der Herr Doktor – das heißt: der Herr Masseur.«

»So, so! Das Fräulein laßt sich massieren?« fragte Florian und schaute dabei nachdenklich zu Boden, ein bißchen verwirrt zugleich, denn dieser Schlingel von Kellner lächelte so unerhört fein! »Spricht der Herr Doktor auch französisch?«

»O, ich glaube, der spricht sieben Sprachen.«

»So? Also, dann werde ich meine Karte dalassen, und sagen Sie dem Fräulein, daß ich später wieder kommen würde!«

»Sehr wohl, mein Herr!« Der Kellner biß sich auf die Lippen und zog sich eiligst zurück. –

Florian begab sich nun zunächst nach seinem bescheidenen Gasthaus, um sich bequemer anzuziehen. Unterdessen sann er über das merkwürdige Erlebnis nach. Er besaß allerdings in gewissen Dingen ein sehr harmloses Gemüt, aber in diesem Falle konnte er doch einen kränkenden Verdacht gegen Fräulein Ilonka nicht ganz zurückweisen. Du lieber Gott, ja: es gab ja Masseure! Er hatte auch gehört, daß sehr vornehme Damen sich sogar auf Reisen solche Knetkünstler in ihrem Gefolge zu halten pflegten; aber für so vornehm vermochte er denn doch seine schöne Ungarin nicht zu halten. Er zerkratzte sich den Schädel, schnitt peinvolle Fratzen und knurrte eine feine Auswahl bajuvarischer Kraftworte vor sich hin, und so gelang es ihm allmählich, das Gleichgewicht seiner Seele wieder zu finden. Was sollte er sich auch heute an einem solchen Erzfreuden und Jubeltage mit solchen vertrackten Weibergeschichten herumplagen! Sobald er sich umgezogen hatte, machte er sich auf den Weg, um sich eine Wohnung zu suchen.

Da er womöglich in nächster Nähe des Meisters bleiben wollte, so suchte er zunächst die Gegend um die Kunstschule ab. In der Amalienstraße, gegenüber dem Friedhof, fand er bald, was er suchte: ein Zimmer zu ebener Erde, mit dessen Möbeln der Wirt, ein Schreinermeister, eine Probe seines Könnens abgelegt hatte; sämtliche Möbel waren nämlich von Eichenholz und schön geschnitzt, die Polster ganz neu, das Bett gar mit einem Himmel versehen, und der Plafond mit buntbemaltem Balkenwerk. Florian getraute sich kaum zu fragen, was diese Herrlichkeit koste; aber das Zimmer war bedeutend billiger als seine öde, wenn auch freilich weit größere Berliner »Bude«. So mietete er denn, nachdem er sich noch vergewissert hatte, daß man hier im Hause Klavier spielen durfte, so viel es einem beliebte; allerdings bei geschlossenen Fenstern – das verlangte die Polizei. Ein Flügel war freilich in dem engen Raum nicht unterzubringen, und Florian seufzte bei dem Gedanken, sich wieder an so ein abscheuliches Pianino gewöhnen zu müssen. Er war übrigens nicht der einzige seines Zeichens im Hause des Schreinermeisters, denn ihm gegenüber auf der andern Seite der Durchfahrt hauste, wie die gesprächige Meisterin ihm berichtete, eine polnische Familie, aus Mutter und zwei Töchtern bestehend. von denen die älteste ebenfalls »bei Liszten ging«, und über ihm ein Engländer mit seinen beiden großen Söhnen, von denen der eine geigte und der andre – wie die Wirtin sich ausdrückte – »so e kleenen Baß« spielte.

Florian kehrte nun in seinen Gasthof zurück, packte seine wenigen Habseligkeiten zusammen und ließ sie nach der Amalienstraße bringen. Dann gedachte er, sein Heil nochmals bei der schönen Ilonka zu versuchen. Jedoch vor der Thür des »Erbprinzen« zögerte er und schritt dann rasch vorbei. Es wäre ihm doch peinlich gewesen, diesmal vielleicht – dem Hühneraugenoperateur auf ihrer Schwelle zu begegnen oder . . . kurz und gut, er mochte sie jetzt doch lieber nicht sehen, es hätte ihm am Ende doch nur die schöne Feststimmung verdorben. So zog er denn einen Spaziergang nach Belevedere vor, frühstückte dort oben und kehrte in außerordentlich frischer Verfassung des Leibes und der Seele erst nach ein Uhr durch den Park zur Stadt zurück.

Beim Theehaus stieß er auf eine kleine Gesellschaft junger Herren und Damen, unter denen er beim Vorüberschreiten seine Ilonka erkannte. Sie trug eine sehr schöne und anscheinend kostbare Frühjahrstoilette und sah so duftig und rosig aus wie ein frischgebadetes Engerl. Sie hatte nicht so bald ihren groben Freund erkannt, als sie, ihre Gesellschaft im Stiche lassend, ihm nachlief, den Arm unter den seinen schob und seine Rechte kräftig mit ihren beiden Händen drückte. »Gratuliere, liebär Freind!« rief sie laut, »hob' schon olles gähert. Hob' ich Maister erzählt, daß ich Ihnen kenn' und daß Sie ein sähr bädeitender grober Mensch sind. Hot er gesagt: Sie hoben ein tête de bronze, gefollt ihn sähr gut, Sie spielen ein bißl wie Schulmaister, ober sähr deitsch und solid. Und wissen, Herr Mayr, wos er hot noch gesagt, der Maister? Sie sollen mir Unterricht geben, denken Sie, mir! C'est charmant! Ahaha, hob' ich so gelocht, ober hot mich der liebe Maister geschimpft; hot er gesogt, ich spiel' gemain, comme un diable boiteux. Ober wie ich hob' sähr gewaint, hot mir liebär Meister doch Bussel gägeben. Der Maister kann nicht sehn, wenn ich wain, muß er mir immer Bussel geben.«

»Ist's wirklich wahr, ich soll Ihnen Unterricht geben?« unterbrach Florian ihr anmutiges Geschwätz, und drückte dabei unwillkürlich ihren Arm fester gegen den seinen.

»Frait Ihnen das?«

»Ja, freilich – das heißt . . .«

»Ach, wos haißt?! Dummer Kärl, sog doch einmal wos Liebäs!« schalt das Fräulein lachend auf ihn ein, indem sie sich an ihn schmiegte.

Florian wußte nicht, was er darauf erwidern sollte, und darum begann er ganz ungeschickt: »Uebrigens, ich war heute schon einmal bei Ihnen!«

»Ja, hob' ich gähert,« versetzte Ilonka gleichgültig.

»Waren Sie denn krank?«

»Worum krank?!«

»Nu, weil ich dem Doktor vor Ihrer Thür begegnete.«

Ilonka zuckte zusammen und rief leise: »Szentséges isten!« (Heiliger Gott!)

»Wie meinen Sie? – Lassen Sie sich regelmäßig massieren? Der Kellner hat mir gesagt, der Herr wäre der Masseur gewesen.«

Da blickte sie dankbar zu ihm auf, lächelte harmlos und sagte: »Jo gewiß, war der Masseur, hob' ich bißl steifen Arm, hob' ich gäfirchtet, ich konnt' nicht spielen!«

»Ach, wissen S',« versetzte Florian mit ernsthaftem Eifer, »wenn S' bei mir Unterricht haben, brauchen Sie sich nicht mehr von einem Doktor massieren zu lassen. Ich hab' auf Medizin studiert – des könne mir a!«

»A geh!« lachte Ilonka verschmitzt und stieß ihn dabei derb in die Seite.

Ein Weilchen schwieg Florian. Dann hob er nachdenklich wieder an: »Viel Französisch kann ich grad nit, aber › Adieu, mon chat‹ heißt doch: ›Adieu, meine Katz'!‹ Das finde ich für einen Masseur doch ein bissel, na . . .«

»Nicht wohr, hob' ich auch gedocht!« rief das Fräulein lebhaft mit einem drolligen Stirnrunzeln. »Gonser unverschämter Mänsch, dieser Masseur! Ich bin nicht sein Katz'! Teremtete! werd' ich mir verbitten nächstesmol.«

»Wahrhaftig?« rief Florian mit hoffnungsfreudiger Frage.

Sie drückte seinen Arm fest zur Bekräftigung. Und stolz zog er mit seiner Ilonka in Weimar ein.


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