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Jedes Mädchen, und wäre es noch so sehr über die gewöhnlichen Schwächen des Geschlechtes erhaben, wird etwas wie Neid empfinden, wenn es eine jüngere Schwester vor sich selbst als glückliche Braut sieht. Die schöne Baronesse Asta machte von dieser Regel um so weniger eine Ausnahme, weil ihr selbst erst vor kurzem ein gleiches Glück wie vom Himmel zu Füßen gefallen war – nur daß sie zu stolz gewesen, sich danach ein wenig zu bücken! Und gegenwärtig schien ihr alle Hoffnung auf Erfüllung ihrer gerechten Forderung an das Schicksal in unendliche Ferne gerückt. Sie hatte es nach der Zurückweisung des Antrages ebenso machen wollen, wie Rudolf, das heißt sich möglichst rasch in jemand anders verlieben. Der Prinz Führingen war ihr so in den Wurf gekommen. Wäre es ihm heute eingefallen, ihre Hand zu begehren, sie hätte sie ihm ohne Besinnen gereicht – nur um dem eigensinnigen Amerikaner zu zeigen, daß sie nicht auf seinesgleichen angewiesen sei. Der Prinz, der sie von früher her oberflächlich kannte, hätte recht wohl die Gelegenheit ihres Besuches bei seiner Tante benutzen können, um etwas anzubahnen, aber er hatte kaum ein Dutzend Worte an sie gewendet, und dies Dutzend hatte sich obendrein ausschließlich mit Fräulein Grigori beschäftigt. Asta mußte sich wirklich sagen, daß sie auf den guten Prinzen keinesfalls einen überwältigenden Eindruck gemacht habe. Sie war ihm jedoch deswegen nicht im geringsten gram – vielmehr verbanden sich alle die Bächlein der Enttäuschung, des Aergers, der Herzensverlassenheit zu einem schwellenden Strome des Zornes gegen die Geliebte ihrer Pensionatsjahre. – Eifersucht? – Lächerlich! Sie nahm ihr ja nichts fort. Was ging dieser Herr von Eckardt sie noch an, was der Prinz Führingen?
Wenn Asta auch wirklich eine Art wehmütigen Neides beim Anblick von Trudis Glückseligkeit empfand, so ließ doch ihr Betragen nichts davon merken. Es war im Gegenteil rührend, zu sehen, wie sie die jüngere Schwester, die sie bisher doch immer etwas von oben herab angesehen hatte, mit einer gewissen bewundernden Zärtlichkeit umgab, sich ihren kleinsten Wünschen mit Eifer dienstbar machte, wie fleißig sie mit Hand anlegte zur raschen Herstellung von Trudis bescheidener kleinen Aussteuer an Kleidern und Leibwäsche. Die Excellenz Mama war sogar dahintergekommen, daß sie einige ihrer wertvollsten Schmuckgegenstände veräußert hatte, um das Material zu einem Hochzeitsgeschenk zu beschaffen, an welchem sie oft bis spät in die Nacht hinein arbeitete – denn die Hochzeit sollte, da durchaus kein Grund zum langen Warten war, schon Mitte Juni stattfinden. Auch ihren zukünftigen Schwager begann sie nun mit andern Augen anzusehen. Sie entdeckte, zu Trudis heller Freude, täglich neue vortreffliche Eigenschaften an ihm, hörte ihm mit Vergnügen zu und veranlaßte ihn selbst, eine angefangene Erörterung bis zu Ende zu führen, sie auf den Grund der Dinge blicken zu lassen, während sie bisher recht sehr von jener vornehmen, geistreich thuenden Sprunghaftigkeit angekränkelt war, die ernsten Menschen so leicht unausstehlich wird.
Auch auf Frau von Lersen übte die Freude über Trudis Verlobung einen sehr wohlthuenden Einfluß aus. Sie erkannte jetzt, auch ohne daß Trudi es ihr eingestanden hätte, wie liebenswürdig das Mädchen mit seiner Kindlichkeit Komödie gespielt hatte; denn die junge Braut bewies täglich durch die Art, wie sie von ihrem zukünftigen Haushalte sprach, wie sie mit der Mama rechnete und überlegte, um die Mittel, welche sie zu erwarten hatte, den Lebensgewohnheiten ihres Hans und ihren eignen bescheidenen Bedürfnissen anzupassen, daß sie durchaus nicht kindisch in den Tag hineingelebt, sondern von jeher mit sehr klaren Augen um sich geschaut und sich an den Erfahrungen ihrer neuen beschränkten Lage zur allervortrefflichsten Hausfrau nach bürgerlichen, behaglich einfachen Begriffen herangebildet hatte. Jetzt, da der alte Muz trotz seines grollenden Verstummens sich doch gewillt zeigte, ihrem leichtsinnigen Bodo noch einmal aus der Schlinge zu helfen, die ihm beinahe schon den Hals zugeschnürt hatte; da der rechtmäßige Eigentümer jener Summe endlich gefunden war, welche bestimmt sein sollte, den Vorhang fortzuziehen, mit welchem Scham und Herzenskümmernis das Bild des Gatten in ihrer Seele verhüllt hatten: jetzt hätte sie meinen können, daß Wetter- und Wandernot ausgestanden und ihr ein freundlicher Lebensabend im friedlichen Lampenscheine bescheidenen Familienglückes zugedacht sei. O, wie schön ruhig und glatt wäre alles abgelaufen, wenn Asta ohne ihre unselige, überverständige Grübelei der Stimme ihres Herzens gefolgt wäre, die so rasch und entschieden für den amerikanischen Freier gesprochen hatte.
Ja, die gute Excellenz war und blieb wie ein Kind, welches mit dem Kopf gegen die harte Thürkante gerannt ist, daß es ihm nur so in den Ohren summt und die Funken vor den Augen tanzen – und doch zufrieden ist, sobald man ihm ein Guts auf die Beule legt. Der Leichtsinn Bodos, Astas Zurückweisung des Freiers, das waren Beulen gewesen, die einem wohl Kopfschmerzen machen und am Ende gar veranlassen konnten, die gefährlichen Thüren lieber auszuheben, als sich immerwährend von ihnen aufs neue bedrohen zu lassen! Frau von Lersen prügelte die »unartige Thür« und legte sich das Bonbon einer angenehmen Verlobung und eines aufflackernden Hoffnungsschimmers auf die schmerzende Stirn – – und die dreißigtausend Mark blieben in der Reichsbank liegen, der Brief an Bodos Oberst ungeschrieben!
Sie sollte aus ihrer glaubensfreudigen Osterstimmung bald und grob genug aufgeschreckt werden!
Es war noch keine Woche seit jenem gemeinsamen Besuche bei der Fürstin Berleburg-Dromst-Führingen vergangen, als eines Vormittags, etwa eine Stunde vor Tische, der junge Dragoneroffizier in größter Aufregung zu seiner Mutter ins Zimmer trat, die Thür zum Nebenzimmer hinter sich zuriegelte, um vor dem Einbruch der Schwestern sicher zu sein, und dann, ohne jede Einleitung, in mühsam unterdrückter Wut die Worte hinausstieß: »Unser alter Muz ist ja der ärgste Krawattenmacher von ganz Berlin!«
»Bodo! Ist das eine Art und Weise, von dem treuesten Freunde unsres Hauses zu sprechen?« sagte die Excellenz leise mit vorwurfsvollem Tone.
»Nun, Mama, wie findest du das, wenn dieser treueste Freund unsres Hauses mir sans gêne et compliment den Gerichtsvollzieher auf die Bude schickt, was?«
»Ich bitte dich, sprich ernsthaft – verschone mich mit deinen Scherzen.« Frau von Lersen sprach sehr aufgebracht, erhob sich rasch von ihrem Sitze und trat ihrem Sohne einige Schritte entgegen.
Bodo ergriff ihre Hand mit Ungestüm und sagte, seine Stimme dämpfend: »Mir ist effektiv nicht scherzhaft zu Mute. Wie ich heute aus der Turnanstalt nach Hause komme, finde ich den ominösen Beamten in meinem Wohnzimmer, und mein Bursche, das gemütvolle alte Roß, steht vor ihm und flennt, wie ein verwitwetes Krokodil bei Neumond. Ich schicke den Bengel 'raus und frage den Mann mit der Blechmarke nach seinem Begehr. Da zeigt er mir einen Wisch vor: Infolge Auftrages des Herrn Major a. D. von Muzell hier und so weiter . . . Zahlung von viertausend Mark bei Vermeidung sofortiger Pfändung. Ich, selbstredend, lächle mit unnachahmlicher Grazie und lade ihn höflichst ein, meine bewegliche Habe in Augenschein zu nehmen. Dieselbe besteht außer den Möbeln, die meiner Fileuse gehören, in meinen Uniformstücken, meinem Räubercivil, diversen Rauchutensilien, einem Photographiealbum, einigen militärischen Handbüchern, Wippchens sämtlichen Kriegsberichten, einer Kollektion von Kotillonorden und der etwas schadhaften Flöte meines Großpapas, auf welcher ich trotzdem zuweilen zu blasen pflege. Der Beamte verkneift sich das Lachen und meint, daß unter diesen Umständen die Pfändung allerdings wenig erfolgreich ausfallen dürfte. Und dann macht mich der Biedermann mit einer verdammt freundlichen Miene darauf aufmerksam, daß im Falle der Nichtzahlung von seiten meines Gläubigers unzweifelhaft meinem Herrn Regimentskommandeur Mitteilung gemacht werden werde! Ich hatte die größte Lust, den freundlichen Mann für den alten Muz anzusehen und ihm den Hals umzudrehen – aber trotzdem lächelte ich nochmals unwiderstehlich und sagte ganz kaltblütig: Mein Herr, ich habe selbstredend solche Summen nicht bei mir im Schreibtisch liegen, ich werde jedoch sofort zu meinem Bankier fahren und die Kleinigkeit flüssig machen. Wenn Sie mir das Vergnügen machen wollen, mich heute nachmittag um vier Uhr nochmals zu besuchen, so können Sie das Geld erhalten. Darf ich Ihnen vielleicht eine Cigarre anbieten? – Na, die Augen hättest du sehen sollen, Mama!«
Die Excellenz wandte den Blick von ihrem Sohne ab. Ihre Hände rissen voll nervöser Unruhe an der Uhrkette, ihre Lippen bebten. Sie war empört über die Handlungsweise des Majors, über den übel angebrachten Humor ihres Sohnes. Ihre feinen Nasenflügel zitterten, sie vermochte keine Worte zu finden.
Bodo bemerkte diese Zeichen des höchsten mütterlichen Unwillens und erwartete mit ängstlicher Spannung ihre Antwort. Er mochte fühlen, daß sein leichter Ton ihr ganz besonders mißfallen habe und fügte entschuldigend seiner Rede hinzu: »Man kann sich doch von solcher Blechmarke nicht imponieren lassen!«
»Leider Gottes lässest du dir von der Not der Deinigen, von den Bitten deiner Mutter noch weniger imponieren, wie es scheint,« versetzte Frau von Lersen rasch.
»O, sage das nicht, Mama. Seit unsrer Unterredung von neulich habe ich die besten Vorsätze gefaßt – auf Ehre, Mama! Ich habe von meinem Gehalt sofort einige kleine Ausstände reguliert, ich habe mir zu gunsten meiner Gläubiger effektiv die Taschen umgedreht und wie ich nichts mehr hatte, gar nichts mehr hatte . . .«
»Nun? Da hast du wieder Schulden machen müssen!«
»Schulden – ich?! Gott bewahre! Ich habe nur den Prinzen Führingen angepumpt – du weißt, ich reite seine Pferde beim Rennen – da war es doch effektiv selbstredend . . .«
Die Excellenz wollte ihm ins Wort fallen, aber die Entrüstung machte sie sprachlos. Sie ließ sich wieder in ihren Stuhl sinken und klapperte heftig mit den Anhängern an ihrer Uhrkette.
Bodo trat rasch zu ihr, streichelte ihr begütigend mit der Hand über die Schulter und sagte stolz: »Ich hab' ihm schon auf Heller und Pfennig meine Schuld bezahlt – nach kaum acht Tagen, Mama!«
»So wirklich? Und wovon denn?«
»Ich habe ihm neulich mit seiner ›Diva Bianka‹ ein paar hundert Märker eingebracht, wovon er mir die Hälfte schuldig war, und dann hab ich auch letzten Sonntag in Westend beim Wetten auf ›Teresina‹ ein ganz bärenmäßiges Schw . . . pardon! fortune gehabt! Und siehst du, Mama, jetzt läßt sich die fatale Wechselgeschichte auch mit einer gewissen Grazie aus der Welt schaffen: Wir fahren gleich zusammen nach der Reichsbank, heben die dreißigtausend Mark ab, und ich bezahle dem gänzlich konsternierten Muz seinen Mammon bar auf den Tisch. Und dann bohre ich energisch, aber mit Vorsicht, den Prinzen an. O, ich sage dir, Führingen ist eine Seele von Mensch – er wird mir nicht gleich den Gerichtsvollzieher auf den Hals hetzen, wie dieser nette alte Muz! – Er wird ruhig abwarten, bis ich die Summe ganz solide peu à peu beim Totalisator flüssig gemacht oder ihm mit seinen Gäulen herausgeritten habe.«
»Aber Bodo! Hast du denn vergessen, daß ich diese Summe nicht antasten darf!«
»Sie wird ja auch gar nicht angetastet, Mama. Heute, morgen, in ein paar Tagen spätestens zahlen wir die entnommenen Gelder wieder ein. Ich begreife nicht, wie man aus dem schnöden Mammon so eine heilige Sache machen kann! Sollte der rechtmäßige Eigentümer der dreißigtausend Mark jemals gefunden werden, so wird es ihm doch jedenfalls höchst gleichgültig sein, ob einmal einige Tausend davon abgehoben wurden, um in wenigen Tagen durch ein paar gleichartige andre Banknoten ersetzt zu werden! Das kann doch, weiß Gott, kein Grund für eine Mutter sein, ihren einzigen Sohn der Schande auszuliefern!«
Bodo hob die letzten Worte pathetisch hervor und trat der Excellenz in einer schauspielermäßigen Stellung gegenüber. Er bemerkte, daß sie bereits schwankend gemacht war und beeilte sich, seiner Rede hinzuzusetzen, daß der Major, nach der jüngst gegebenen Probe, sicherlich im stande sei, ihn sofort wegen leichtsinnigen Schuldenmachens bei seinem Regimentskommandeur zu verklagen.
»Der Major kennt ja doch unsre Verhältnisse viel zu genau,« sagte Frau von Lersen nach einigem Nachdenken, »als daß er nicht gleich wissen müßte, in wie leichtsinniger Weise wir ihn bezahlt gemacht haben. Ich meine, es wäre weit besser, sich an die Dienstwilligkeit unsres guten Musikdirektors zu wenden. . . .«
»Mama, ich begreife dich nicht!« fuhr Bodo auf. »Den Schwiegervater meiner Schwester anzupumpen – und gar noch vor der Hochzeit! O, o, nein! So etwas darfst du mir wahrhaftig nicht zutrauen.«
Frau von Lersen schlug die Augen beschämt nieder und hatte wirklich das Gefühl, als ob sie ihren feinfühligen Sohn schwer gekränkt habe. Schwache Naturen, wie sie, lassen sich ja so leicht von ihrem eignen Empfinden ins Unrecht setzen, wenn ihnen die entgegengesetzte Meinung nur mit dem Brustton der Überzeugung vorgetragen wird.
»Nun, wenn du meinst . . .« versetzte sie schüchtern. »Aber der Major wird mir mit Fug und Recht vorwerfen . . .«
»Ha! Ich meine, wir brauchen uns von dem Major gar nichts mehr vorwerfen zu lassen!« lachte der Lieutenant höhnisch auf. »Ein alter treuer Freund des Hauses hat wohl das Recht dazu; aber hat er sich vielleicht als ein solcher benommen in der Affaire mit Asta und dem Republikaner? Seit Asta dem unverschämten Kerl seinen gebührenden Korb gegeben hat, bricht er jeden Verkehr mit uns ab, beantwortet unsre Briefe nicht, ist nie für uns zu Hause, kauft meine Wechsel, um mich hinterlistigerweise zu schikanieren wie der ärgste Hebräer, und hilft seinem Spezi Pflaumenschmeißer seine Dollars verlumpen.«
»Was soll das heißen?«
»Nun, Herr von Eckardt, genannt Pflaumenschmeißer, hat vor Zeugen seine Absicht erklärt, sich für Fräulein Grigori – Astas verflossene Intima! – zu ruinieren. Und mit diesem verwünschten Kerl liiert sich unser alter Freund, Vormund, Vertrauensmann und ich weiß nicht was, in einer so eklatant herausfordernden Manier, als ob unsre Asta verpflichtet gewesen wäre zu heiraten, wen er ihr präsentierte; überhaupt, als ob wir Lersens alle nach seiner Pfeife tanzen und von ihm uns geduldig alles gefallen lassen müßten!«
Ohne daß er es selbst wußte, hatte Bodo mit dieser letzten ärgerlichen Aeußerung seiner Mutter den stärksten Anstoß zu einer raschen Entscheidung in seinem Sinne gegeben.
»Komm,« sagte sie, entschlossen aufspringend: »Wir fahren nach der Reichsbank. Dies eine, letzte Mal, will ich dir noch vertrauen!«
Der Dragoner bedeckte ihre beiden Hände mit dankbaren Küssen.
Der armen Excellenz schlug das Herz hoch während der Fahrt. Sie war im Begriff, eine schwere Verantwortung auf sich zu nehmen. Aber hatte Bodo nicht recht? Sollte sie diesem ungetreuen, eigensinnigen alten Freunde zu Gefallen ihren einzigen Sohn, der ja doch noch lange kein schlechter Mensch war, in Verzweiflung stürzen, nur um vielleicht ein paar Tage früher das Vermächtnis ihres Gatten einem Manne zur Verfügung stellen zu können, der es doch nur zum Ergötzen seiner Geliebten zum Fenster hinauswerfen würde? An diesem Gelde hingen so viele Thränen, so viel Kummer und reuevolle Gedanken, daß es ihr sündhaft erschien, es nun in die Taschen eines Wüstlings zu stecken, aus denen es verschwinden würde, wie Wasser aus dem Siebe. Nein, wenn dieser Eckardt, dieser wunderliche Idealmensch des alten Muz, sich hier ruiniert haben und als ein Bettler nach der Neuen Welt zurückgekehrt sein würde, dann wollte sie ihm das Geld schicken, dann mochte es Gutes stiften, feurige Kohlen auf seinem Haupte sammeln und böse alte Tage vergessen machen! –
Die beiden Mädchen hatten im Nebenzimmer wo sie mit Wäschezeichnen beschäftigt waren, hin und wieder ein lautes Wort aus dem erregten Gespräch nebenan aufgefangen; und als die Mutter so eilig mit dem Bruder fortgegangen war, ohne ihnen über den Zweck des Ausganges irgend welche Auskunft zu geben, da konnten sie sich leicht zusammenreimen, daß Bodos unseliger Leichtsinn gewiß wieder neue drohende Ungewitter über dem Himmel ihres friedlichen Glückstraumes aufgetürmt habe.
»Hast du gehört, Asta?« fragte Trudi die Schwester, »Bodo sprach von dreißigtausend Mark! Er wird doch nicht so viele Schulden haben? Das wäre ja entsetzlich!«
»Es war auch von dem Major die Rede, wenn ich recht gehört habe,« sagte Asta nachdenklich. »O Trudi, mir ist, als stünde uns noch weit mehr Unglück bevor, als uns seit Vaters Tode schon betroffen hat. Es ist doch absolut unbegreiflich, warum sich Muz so gänzlich von uns zurückgezogen hat, seit dem Tage . . .«
»Er hat aber an Hans einen sehr lieben Gratulationsbrief geschrieben. Ich sage dir, es standen furchtbar nette Sachen über mich darin; ich bin ganz rot geworden beim Lesen! Aber freilich, daß er sich um Mama gar nicht mehr kümmert und immer mit diesem Herrn von Eckardt . . . du, übrigens habe ich dir schon erzählt? Gestern traf ich die Grete Rochwitz auf der Straße, die wußte ja Wunderdinge von dem sonderbaren Amerikaner zu berichten! Er soll überall in unsern Kreisen Besuch machen, außerordentlich nobel auftreten und sehr angenehme Manieren haben. Die Grete nannte mir ein halbes Dutzend Namen von jungen Mädchen aus der Gesellschaft, die sich alle auf ihn Hoffnung machten. Natürlich ließ sie durchblicken, daß sie selbst ohne Zweifel die Auserkorene sein dürfte – haha! Sie hat ihm auch schon halb und halb das Versprechen abgeschmeichelt, daß er seine Gold- und Silberadern in Deutschland verzehren wollte.«
»Gold- und Silberadern?«
»Jawohl – Herr von Eckardt soll in Kalifornien und anderswo Goldwäschereien und Silberbergwerke und wer weiß, was noch alles besitzen, überhaupt unermeßlich reich sein. Ein ganz romantischer Charakter! Er bleibt dabei, daß er nur in mäßigem Wohlstande lebe, um eine Frau zu finden, die ihn aus ganz uneigennütziger Liebe nimmt. Ein zu komischer Mensch, nicht wahr? Aber er soll sich in den wenigen Wochen seit dem Bazar zu einem perfekten Kavalier entwickelt haben – sagte Grete.«
»Du hast ihr doch nicht erzählt, daß ich . . .?« fragte Asta unsicher.
»O nein, gewiß nicht, obwohl ich die größte Lust hatte.«
In dieser Weise plauderten die Schwestern fort, bis das Ertönen der Flurthürglocke sie aufhorchen machte.
»Ich glaube, die Minna ist noch nicht wieder zurück,« sagte Trudi sich erhebend. »Ich muß doch nachsehen – wahrscheinlich ist das mein Hans.« Damit eilte sie hinaus.
Asta seufzte schwer auf und ließ ihre Arbeit auf den Schoß sinken. Gleich darauf vernahm sie draußen eine ihr wohlbekannte Stimme, deren einst so geliebter, weicher Klang sie erschreckt emporscheuchte. Doch ehe sie noch das Zimmer verlassen konnte, hatte sich bereits die Thür geöffnet und, von Trudi hereingeleitet, war Adriane Grigorescu über die Schwelle getreten.
Mit ausgebreiteten Armen ging sie der alten Freundin einige rasche Schritte entgegen, blieb aber plötzlich stehen, wandte sich nach Trudi zurück und fragte: »Weiß deine Schwester?«
Asta nickte nur mit dem Kopfe. Sie war im Augenblick, noch völlig fassungslos über den unerwarteten Einbruch der Operettensängerin und wußte nicht, wie sie ihr begegnen sollte. Nun fühlte sie gar die Arme Adrianes um ihren Nacken und die frischen Lippen preßten sich gegen ihre heiße Wange und suchten dann ihrem Munde zu begegnen. Doch Asta beugte unwillkürlich ihren Kopf zur Seite und löste die feste Schlinge der zärtlichen Arme von ihren Schultern, indem sie die beiden feinbeschuhten Hände mit den ihrigen ergriff und mit sanfter Gewalt herabzog.
Die einstigen Pensionatsfreundinnen standen nun Brust an Brust und blickten einander in die Augen.
»O meine Asta, ich mußte dich wiedersehen!« nahm Adriane das Wort. »Neulich bei der Fürstin durften wir uns ja nicht kennen. Und du, Böse, hast deine Rolle so gut gespielt, daß ich ganz unglücklich war und glaubte, du wolltest wirklich nichts mehr von mir wissen, weil ich zur Bühne gegangen bin. Aber, nicht wahr, das ist nicht so? Hier bin ich nicht Bianka Grigori, nicht wahr, sondern deine alte, liebe Adriane?«
Wie ihr diese Stimme wieder zu Herzen drang! Ohne daß sie es wußte, drückte sie die beiden weichen Hände fester in den ihren, während sie fast stotternd erwiderte: »Adriane! Ich weiß nicht . . . ich war so erschrocken, entrüstet, als ich erfuhr, durch ein Bild von dir, das mein Bruder mit sich herumträgt . . . wer die Grigori . . .«
»Die Grigori, diese Person!« rief die Sängerin, lächelnd mit hochmütigem Tone und scharfer Aussprache des S. Und dann kam sie Trudis Aufforderung Platz zu nehmen nach und lachte: »Wie g'spaßig, daß grade dieser kleine Lieutenant von Lersen sich unter die Schar meiner hoffnungslosen Anbeter begeben mußte, um der Schwester mein Inkognito zu verraten. Ich hatte die größte Lust, den jungen Herrn, dessen Karte ich so häufig in meinen Blumen fand, zu fragen, ob er mit jener Asta von Lersen verwandt sei, welche – et cetera. . . . Aber ich hätte dadurch zu leicht mein Geheimnis preisgeben können . . . und außerdem empfing ich auch damals noch keine Herrenbesuche!«
»Damals?! Und jetzt?« fragte Asta mit rasch aufsteigendem Mißbehagen.
»O, jetzt bin ich ganz leichtsinnig geworden, jetzt empfange ich sogar den kecken kleinen Lieutenant von Lersen!« versetzte die Grigori heiter. Aber sie bemerkte sofort, daß ihr Ton erkältend auf Astas Empfindungen wirkte, welche sich schon so geneigt gezeigt hatten, im warmen Strahl der herzlichen Begegnung zur alten Liebe aufzublühen. Und sie setzte klug und entschlossen hinzu: »Du weißt vielleicht aus eigner Erfahrung, Asta, daß ein Mädchen, welches einen Pfeil tief da drin sitzen hat, gegen alle Geschosse fest ist. Ja wirklich, warum soll ich es nicht sagen? – Adriane, die Stolze, ist verliebt bis über die Ohren in einen Mann, zu dem sie in ganz erbärmlicher Anbetung emporschaut, den sie für den einzigen wirklichen Mann hält, der ihr noch je begegnet ist. . . . Denke dir, ich könnte alle Tage Prinzessin werden, wenn ich wollte; der gute Prinz Führingen hat mir's gestern auf dem Feste seiner Tante in unzweideutigster Weise zu verstehen gegeben, aber ich habe mich schönstens bedankt und ihn ausgespottet noch obendrein; denn ich bin nun einmal so dumm, diesen amerikanischen Mr. Nobody, diesen republikanischen Kavalier von altem deutschen Adel, der sich vom Schlossergesellen . . .«
»Herr von Eckardt!« Der laute Ausruf entfuhr Trudi unwillkürlich.
Adriane wandte sich zu dem jungen Mädchen: »Sie kennen Herrn von Eckardt?«
»Ich? O, wir sahen ihn einmal bei einem Bazar – er war so komisch! – Und, dann sahen wir Sie mit ihm in einer Droschke vom Rennen zurückkommen.« Trudi sagte es einigermaßen befangen und mit unsicheren Seitenblicken auf ihre Schwester, welche offenbar erregt mit der Quaste an der Armlehne ihres Polstersessels spielte.
Asta lachte nervös auf: »Dieser erstaunliche Amerikaner geht ja jetzt in der Berliner Gesellschaft um wie ein Geist, um den kleinen, heiratsfähigen Mädchen bange zu machen! Bricht wie ein Wolf in die Schafhürden ein und stört den Seelenfrieden der Lämmer, die er nicht frißt!«
Trudi blickte erstaunt ihrer Schwester in das erbleichende Gesicht und Adriane zuckte aus ihrer nachlässigen Haltung empor, als wenn sie ein eisiger Hauch im Rücken getroffen hätte. Ihre Augen bekamen einen eigentümlichen Glanz, ihre Mienen eine auffällige Gespanntheit.
»Was willst du damit sagen?« fragte sie mit ironischer Schärfe. »Bin ich das aufgegessene Schaf nach deiner Ansicht? Oder hat er dich vielleicht selbst angebissen, daß du ihm seinen Appetit so übelnimmst?«
»Ich? Was geht mich dieser Herr mit seinem Appetit und Geschmack an?«
Asta schlug die Füße übereinander und warf verächtlich das schöne Haupt auf.
»Sein Geschmack, willst du sagen – für eine Theaterprinzessin, wie?« Auch Adriane sprach nun sehr erregt. Sie erhob sich von ihrem Platze und machte zwei Schritte gegen die Thür, wie um das Zimmer ohne ein weiteres Wort zu verlassen.
Sie besann sich jedoch, ging wieder auf Asta zu und sprach, sich ersichtlich mühsam beherrschend: »Nein, Fräulein von Lersen, so dürfen doch zwei einst so gute Freundinnen nicht auseinandergehen! Asta! Was hast du mir vorzuwerfen? Wie kannst du mich verdammen, ungehört – bloß weil du nicht begreifst, wie eine Dame meiner Herkunft und Bildung zur Operettensängerin werden kann!«
»Unser Temperament war ja immer sehr verschieden,« warf Asta leicht hin.
»O, weit gefehlt! Mein Temperament allein hat mich nicht zur Bühne getrieben – aber ein unglückliches Schicksal, ein Schicksal – für das gerade ihr ewiges Verständnis haben solltet!«
»Wir?!« Beide Mädchen riefen es gleichzeitig und blickten überrascht zu der Sprecherin auf.
Sie trat dicht hinter Astas Stuhl und flüsterte ihr fast ins Ohr: »Es war mein eigner Vater, der mich in namenloses Elend stürzte, mein leiblicher Vater, der an dem Lande, dem er diente, zum Verräter, zum Diebe wurde!«
Auch Asta sprang nun auf und ihre blauen Augen blitzten die ehemalige Freundin zornfunkelnd an. »Dein Vater ein . . .« Sie sprach es nicht aus, aber ihre Brust wogte heftig und sie ballte krampfhaft die schmalen Finger zur Faust: »Und dafür sollen gerade wir ein besondres Verständnis haben? Ich hoffe, du wirst uns das erklären?«
»Nun, ich dachte, ihr müßtet mich recht gut verstehen,« versetzte die Serbin trotzig. »Lebt ihr nicht auch elend und kümmerlich genug in eurem vornehmen Müßiggange, von euren früheren Lebensgewohnheiten wie durch eine chinesische Mauer getrennt? Und wem verdankt ihr das anders, als dem Leichtsinn eures Vaters?«
Nun erhob sich auch Trudi erschrocken und empört. Asta winkte ihr Schweigen zu und nahm das Wort für beide: »Und du wagst durch einen solchen Vergleich das Andenken unsers edlen, hochsinnigen Vaters zu verunglimpfen, der das Geld mit vollen Händen ausgab, weil er es verachtete . . .«
»Und auch mit vollen Händen nahm, wo er es bekam, ohne sich über die Folgen große Gewissensbisse zu machen, wie es scheint!« fiel Adriane ihr gereizt in die Rede. »Ist es etwa so viel edler, seinen besten Freund um das Seine zu bringen, als einem Lande durch seinen Eigennutz Schaden zuzufügen, das gar nicht einmal das Vaterland ist, sondern nur der schlechte Zahler für große Dienste, die man ihm erwies?«
»Unser Vater hätte seinen besten Freund . . .?!« rief Trudi entrüstet.
Adriane sah die beiden Mädchen erstaunt an. »Kennt ihr denn die Geschichte wirklich nicht? – Ja, mein Gott, dann hätte ich freilich lieber schweigen sollen!«
»Du bist uns Rechenschaft schuldig,« herrschte Asta sie an. »Wir brauchen dein beleidigendes Bedauern nicht!«
Ein Blick in Astas zornbleiches Gesicht, ihre haßerfüllten Augen zeigten Adriane, daß hier nichts mehr gut zu machen sei, und darum bequemte sie sich zu erzählen, was erst am gestrigen Abend ein Gespräch mit der offenherzigen, schwatzhaften alten Fürstin Berleburg-Dromst-Führingen zufällig ans Licht gebracht hatte.
Die muntere alte Dame hatte sie scherzhaft wegen ihres Verhältnisses zu dem merkwürdigen Amerikaner geneckt, sie dann beiseite gezogen und ihr unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, daß sie selbst vor dreißig und einigen Jahren, als junge kinderlose Witwe sterblich in einen Lieutenant von Eckardt verliebt gewesen sei, der mitsamt seinem Freunde, dem Lieutenant Freiherrn von Lersen, während eines Manövers in ihrem Schlosse einquartiert gewesen. Der kühne junge Lersen habe ihr allerschleunigst – jedenfalls zur Einrenkung seiner stets etwas ausgerenkten Verhältnisse, da sie immerhin etwa zehn bis zwölf Jahre älter gewesen sei! – einen Heiratsantrag gemacht, den sie jedoch lächelnd abgewiesen habe. Für den wunderschönen Herrn von Eckardt dagegen und seinen sanften Tenor habe sie drei ganze Tage hindurch förmlich herzbrechend geschmachtet, bis sie am Abend des letzten, ihren Liebeskummer noch spät im Park bei Mondschein spazieren führend, ihre englische Gesellschaftsdame in den Armen des schönen jungen Offiziers überrascht habe. Diese so plötzlich aufgesprungene Liebesglut erwies sich seltsamerweise als ein starkes Dauerfeuer und führte nach einem Jahre schon zur Heirat – einer recht unvernünftigen Lieutenantsheirat: denn Miß O'Calloghan, so hieß die junge Dame, war sehr hübsch, sehr brav und recht gescheit, aber arm und kränklich obendrein. Herr von Eckardt hatte auch nichts zuzusetzen, er mußte bald seinen Abschied nehmen und einen bürgerlichen Beruf ergreifen. Nun kamen die hinkenden Boten in Gestalt von recht traurigen Briefen der einstigen Miß O'Calloghan an ihre hohe Gönnerin. Die Geschäfte ihres Mannes gingen von Jahr zu Jahr schlechter. Er hatte einst seinem geliebten Kameraden, dem genialen jungen Freiherrn von Lersen, nach und nach den größten Teil seines Vermögens geliehen und dieser war, bei seinem unverbesserlichen Leichtsinn in Geldsachen, stets außer stande, die Schuld seinen Versprechungen gemäß abzutragen. Er zahlte zwar ziemlich regelmäßig die Zinsen, aber Eckardt bedurfte zu seinen Unternehmungen durchaus des Kapitals. Immer von neuem rechnete er damit, daß Lersen endlich seinen Verbindlichkeiten nachkommen würde – stets vergebens! Die kränkliche kleine Frau war dem Drucke der von Jahr zu Jahr schwerer auf ihr lastenden Sorgen – ganz gemeiner Nahrungssorgen! – nicht gewachsen, und starb mit Hinterlassung eines vierjährigen Knaben – Rudolfs.
Trotzdem Astas Hochmut sie gereizt und erbittert hatte, empfand Adriane doch nun Mitleid mit den beiden Mädchen, als sie sah, welch tief schmerzhaften Eindruck ihre Erzählung auf sie machte. Ihr gutes Herz war rasch bereit, die vorausgegangene Kränkung zu vergessen. Sie verwünschte innerlich ihre vorschnelle Zunge und wollte entschuldigend und begütigend den Lersens zusprechen.
Doch unterbrach sie Asta schon bei den ersten Worten, und sagte mit schlecht gespielter Gelassenheit: »Und die gute Fürstin hat natürlich ihrer einstigen Gesellschaftsdame das alles bereitwilligst geglaubt! Jeder, der unsern Vater gekannt hat, würde nicht einen Augenblick zweifeln, daß diese ganze herzbrechende Geschichte das Märchen einer geübten Briefbettlerin sei: aber freilich, diese harmlose alte Operettenfürstin scheint von jeher das Talent besessen zu haben, die fragwürdigsten Persönlichkeiten zu ihren Vertrauten zu wählen!«
Adrianes ganzes Gesicht bedeckte sich für eine Sekunde mit dunkler Röte, um dann leichenblaß zu werden. Ihre Rechte faßte den Griff ihres Sonnenschirmes fester, wie wenn sie ihn als eine Schutzwaffe gegen einen plötzlichen Angriff zu brauchen gedächte. Mit den zitternden Fingern der Linken zog sie den kurzen rötlichen Schleier vor das Gesicht, wandte sich langsam der Thüre zu und brachte nur mühsam die Worte heraus: »Mademoiselle vous . . . c'est assez. Je m'en vais.«
Damit ging sie hinaus. Trudi wollte ihr folgen, um ihr die Flurthür zu öffnen und ihr ein gutes Wort zur Entschuldigung für die Schwester mitzugeben. Aber Asta war schneller als sie, ergriff sie hart am Arme und herrschte sie an: »Du bleibst!«
Beide Schwestern horchten auf das Schließen der Thür draußen, auf das Verhallen der Tritte auf der Treppe, dann ließen sie sich jede in einen Sessel fallen, wie hingeschleudert von der Wucht der Schreckenskunde.
Trudi fand zuerst Thränen und Worte. »Ach! Asta – Du glaubst es ja doch auch? Wenn du nur weinen wolltest! Ich fürchte mich so vor deinen trockenen Augen – sie machen dich so grausam, so ungerecht!«
»Laß mir meine Zeit,« sagte Asta nur und dann starrte sie wieder vor sich hin, aber ihr Blick schien nach innen gerichtet, wie wenn sie mit übermüdeten Augen über die sturmgepeitschte Wellenöde ihrer aufgeschreckten Gedanken nach einem fernen Strande ausluge.
Das unheimliche Zwiegespräch der Mädchen wurde gar bald durch die Rückkehr der Excellenz unterbrochen. Trudi trocknete geschwind ihre Thränen und versuchte der Mutter mit leidlich heiteren Mienen entgegenzugehen. Doch ehe sie sie noch bewillkommnet hatte, war Asta zwischen sie getreten und hatte fest, wenn auch mit bebenden Lippen, die Frage gethan: »Ist es wahr, Mama, daß unser Vater seinen Jugendfreund Eckardt um sein Vermögen betrogen hat? Ist es wahr, daß Frau von Eckardt den Sorgen zum Opfer gefallen ist, die unser Vater über ihr Haupt brachte; daß er den Freund immer tiefer ins Elend sinken sah, während er von Stufe zu Stufe hinaufstieg zu Ehren, Glanz und Wohlleben; daß er den Vater sterben und den Sohn übers Meer ziehen ließ, ohne einen Finger zu rühren?«
»Großer Gott im Himmel – ihr wißt alles!« stöhnte Frau von Lersen und stützte sich schwer auf die Kante des Tisches, um nicht umzusinken. »Wer – wer in aller Welt hat es euch gesagt?«
»Es ist also wahr? Alles wahr!« schrie Asta dumpf auf. Und Trudi drängte sich unwillkürlich an die Brust der Schwester und umklammerte sie fest, wie um sie mit ihren zärtlichen Armen zu schützen gegen das Uebermaß des eignen, wütenden Schmerzes.
»Wer hat es euch gesagt?« beharrte die Mutter in atemloser Spannung, »War der Major hier?«
»Nein, der war nicht da. Aber der weiß es also auch, der gute Mann – und wollte mich an den wiederaufgefundenen Sohn verkuppeln! Wie muß ich mich da bei ihm bedanken, daß er mich ein ganzes Vermögen wert schätzte!« Asta sagte es mit trostloser Bitterkeit.
»O nein, nicht so, Asta,« schluchzte die Mutter auf. »Du solltest ihm mit deiner Hand auch die Schuld des Vaters wiederbringen, ihm, dem Nichtsahnenden. O, verdammt euren Vater nicht. Er war leichten Sinnes, er konnte nicht rechnen und sparen und er hat es nie gelernt, denn kein Mensch ändert jemals seine Natur. Aber er hat doch auf seine Weise redlich gekämpft, und die bitterste Reue hat ihn gequält und gestraft bis zum letzten Atemzuge. Und wenn es ihm auch spät, zu spät erst glückte, die dreißigtausend Mark zurückzulegen, es ist ihm doch endlich geglückt und nun . . .«
»Nun hast du sie dem rechtmäßigen Erben natürlich gleich ausgeliefert?« rief Asta dazwischen.
»Nein, ich war schwach, ich habe das Geld noch zurückbehalten, nachdem du durch deine Abweisung die schöne Idee des Majors zerstört hattest; ich dachte . . . ich wollte . . . Herr von Eckardt weiß ja noch von nichts.«
»Er weiß es noch nicht?« rief das glühende Mädchen und griff sich an die schmerzende Stirn. »Wenn er es wirklich noch nicht gewußt hat, Mama, so wird er es jetzt in einer Stunde wissen; denn Adriane hat uns alles entdeckt und Adriane haßt mich seit einer Stunde – und sie hatte immer ein Talent zur Rache! Er muß das Geld noch heute haben, heute noch haben, Mama! Wenn du davor zurückscheust, Mama, gib mir das Geld, gib es mir sofort, und ich – Trudi und ich wollen es ihm selbst hintragen – oder Bodo kann es ihm hintragen, wenn sich das besser schickt; nur gleich, gleich – wenn sich deine Kinder nicht unter die Erde schämen sollen. Wo ist das Geld, Mama?«
Die Excellenz hatte sich den Hut vom Kopfe gerissen, ohne vorher die Hutnadel herauszuziehen. Ihre Flechten hatten sich halb losgelöst von der Frisur. Sie atmete krampfhaft, mit offnem Munde, ihre Augen starrten Asta an, als sähen sie ein Gespenst.
»Das Geld? – Das Geld! – Mein Gott, was habe ich gethan!«
Und sie floh hinweg vor den forschenden, strafenden Blicken ihrer Tochter, vor diesen reinen, glänzenden Mädchenaugen floh sie davon und schloß sich in ihrem Zimmer ein.