Ernst von Wolzogen
Die Kinder der Excellenz
Ernst von Wolzogen

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Siebentes Kapitel.

Ein Monolog des alten Muz. Was Bodo gute Neuigkeiten nennt. Fräulein Grigori vom Walhallatheater macht ihre Aufwartung. Eine alte Dame, die kein passender Umgang für junge Mädchen ist. Wie »Pflaumenschmeißer« aufs hohe Pferd kommt, und die Excellenz Gespenster sieht.

»I, nun seh' mir einer die gescheite kleine Marjell an!« rief der Major aus, indem seine Augen immer wieder und wieder die wenigen Zeilen überflogen, die auf der goldgeränderten Karte gedruckt waren, welche ihm soeben Lautenschläger auf den Kaffeetisch gelegt hatte.

»Die Verlobung ihrer jüngsten Tochter Gertrud mit Herrn Professor Doktor Hans Diedrichsen beehrt sich hierdurch ganz ergebenst anzuzeigen

Mathilde, verw. Freifrau von Lersen
geb. Freiin von Brock.«          

Und auf der andern Seite, angebogen, beehrte sich der Doktor Hans Diedrichsen, Professor der Zoologie an der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, der Sicherheit halber dasselbe noch einmal anzuzeigen.

Und darunter stand mit Bleistift flüchtig hingekritzelt:

»Vorläufig dies mit schönstem Gruß,
Die Trudi folgt ihm auf dem Fuß!«

»Das ist der erste vernünftige Einfall, den die Lersens seit Jahr und Tag gehabt haben,« brummte der Major halblaut vor sich hin. »Ich könnte fast der Trudi zuliebe mich erweichen lassen und der scharmanten, unvernünftigen Mama noch einmal aus der Klemme helfen.« Er zündete sich eine Cigarre an und paffte nachdenklich vor sich hin. »Aber nein!« sann er weiter. »Durch solche Nachgiebigkeit thäte ich ihnen am Ende doch einen recht zweifelhaften Gefallen. Diese Art Menschen muß vom Schicksal auf Kandare geritten werden; immer fest 'ran an den Zügel, und muß hin und wieder die Sporen gehörig in die Weichen gesetzt kriegen, sonst stecken sie den Kopf zwischen die Beine, wenn's einmal scharf bergunter geht, überschlagen sich dreimal und wundern sich noch, wenn sie mit zerbrochenem Genick unten liegen. Herr Gott, was war mein alter Lersen für ein großartiger Kerl auf dem Schlachtfelde, und selbst auf dem Exerzierplatz! Immer wußte er ganz genau, was er wollte, immer behielt er den kalten Kopf und das klare Gehirn, und immer neue Ideen drin, die er doch nicht eher herausließ, bis sie ganz reif waren. Und dagegen diese Hilflosigkeit, dies lottrige, fahrige Wesen, wenn sich's um den elenden Quark des bürgerlichen Lebens handelte. Wie ein Stier ins rote Tuch rannte er mit offnem Portemonnaie auf alles los, was viel Geld kostete und ihn reizte. Und wenn man ihm dann seinen Leichtsinn vorhielt und ihn fragte: Mensch, wie willst du das bezahlen, wie willst du je aus dieser Patsche wieder herauskommen? dann lächelte er nur mit so einem wehmütigen Anflug und seufzte: Ja, freilich, so kann es nicht bleiben; es muß ganz entschieden anders werden! Aber wie, dafür ließ er einen Hund sorgen. Himmlischer Vater, wenn ich dran denke, wie er sich 'mal als Premierlieutenant auf der Auktion den authentischen Spieltisch des alten Blücher erstand, und nun ganz überzeugt war, es müsse fortan jede Tante seine Tante werden und ihm alle Schulden bezahlen! Ja, und wie Gott den Schaden besah, da nahm er sich freilich das Unheil, das er angerichtet hatte, arg zu Herzen, wurde in vierzehn Tagen grau vor Reue und Seelenangst und verschwur sich hoch und teuer. – Er hat's nicht mehr erlebt. Aber ich will seinen Schwur halten, wenn es mir auch sauer ankommt. Frau Mathilde ist eine liebe Dame, kann ganz bescheiden und vernünftig sein; aber daß man unter Umständen auch das thun muß, was ›doch nicht geht‹ oder was man ›doch nicht kann‹, das begreift sie auch nicht. Mit frommem Augenaufschlag sich in ihr Schicksal ergeben, das können diese guten Leute allenfalls; der Anstand gebietet ihnen, nicht zu laut zu murren und zu jammern, aber den plumpen Gesellen, die schmutzige, gemeine Wirklichkeit ohne Handschuhe beim Schopfe packen und mit ihr ringen, um sie zu überwinden, das ›kann man doch nicht!‹

»O mein braver Yankee! Du hast mich alten Krippensetzer auch erst recht auf den Trab gebracht! Ins alte Eisen mit den heillosen Vorurteilen, unserm ganzen, steifleinenen Anstand, unserm Bildungshochmut, wenn das alles nur dazu dient, uns kriegsuntauglich für den Kampf des Lebens zu machen! Du hast ja das Handwerk gelernt! Du sollst mir helfen, sie umzuschmelzen und neu auszuhämmern. – Ehe nicht der Bodo seinen blauen Rock ausgezogen und die Excellenz dir dein Vermögen wieder eingehändigt hat, eher setze ich meinen Fuß nicht mehr über ihre Schwelle!

»Die kleine Trudi darf mich auch nicht mehr hier finden! Vielleicht ist diese Verlobung schon eine Folge unsrer Kurmethode: aber das liebe Kind könnte mich vorzeitig weich machen und das darf nicht sein!«

Als der Major durch solche Erwägungen sich in seiner beschworenen Grausamkeit wieder hinreichend bestärkt glaubte, warf er sich schleunigst in sein forsches, neues Frühlingsjackett aus gelb, grün und gräulich gemustertem Cheviot, ergriff den braunen, steifen Filz und das Bambusrohr mit dem Tulaknopf, und machte sich auf den Weg nach der Reitbahn in der Karlsstraße, woselbst er um diese Morgenstunde seinem jungen Freunde Rudolf Reitunterricht zu erteilen pflegte. –

Kaum eine Stunde später kletterte Frau von Lersen mit Trudi die drei Treppen in der Zietenstraße hinauf und hörte mit Staunen und ängstlicher Betrübnis von Lautenschläger, daß sein Herr ausgegangen sei.

»Wohl wieder mit Herrn von Eckardt?« erkundigte sich die Excellenz, nicht ohne einige Bitterkeit im Tone.

»Wahrscheinlich ja, er läßt den Herrn jetzt reiten,« erklärte der rothaarige Bursche und fügte dann halb flüsternd hinzu: »Ach, gnädige Excellenz, seit der Herr Major die amerikanische Freundschaft haben, sind der Herr Major kaum wieder zu erkennen. Sie haben mich schon seit Wochen nicht mehr angeblasen – und sonst konnten der Herr Major doch so schön fluchen! Aber jetzt geht immer gleich das Gepolter mit den Stühlen los, daß sich die Leute im zweiten Stock schon beim Wirt beschwert haben. – Und wie ich einmal 'reinkommen thu' beim Herrn Major, da hauen sie mit den Bambussen nur immer so auf den Tisch und knurren wie so'n Paar Löwen vor sich hin: Alt Eisen, alt Eisen! Ach Gott, hab' ich mir bloß verschrocken über den Herrn Major!«

Die Damen trösteten den guten Burschen mit einigen allgemeinen Redensarten und stiegen die drei Treppen wieder hinunter.

»Er weicht uns offenbar aus!« sagte die Mama.

»Meinst du, weil er Asta so böse ist, daß sie seinen Musterknaben nicht gleich genommen hat?«

»Das muß wohl der Grund sein!« antwortete die Excellenz ausweichend.

»Laß uns das Asta nicht sagen; es würde sie nur noch hartnäckiger machen.«

Als die beiden Frauen um die Apostelkirche herumbogen, kam ihnen von der Genthinerstraße her Bodo entgegen. Er schien recht aufgeräumt zu sein, hatte wieder seine vergnügten blauen Augen wie sonst und überschüttete die junge Braut mit harmlosen Neckereien. Dann gab er seiner Mama den Arm, nachdem er erfahren, daß der alte Muz, den er gerade aufsuchen gewollt, nicht daheim sei und flüsterte ihr, rascher ausschreitend, damit die Schwester ihn nicht hören sollte, ins Ohr: »Gute Neuigkeiten, Mama! Vorgestern sind mir meine Wechsel präsentiert worden!«

»Das nennst du eine gute Neuigkeit? Du hast sie doch nicht bezahlen können.«

»Selbstredend, nein! Aber jetzt hat's auch keine so große Eile damit. Weißt du, wer die Dinger gekauft hat?«

»Nein. Ich weiß nur, daß sie mir gestern auch präsentiert wurden.«

»Dir auch, Mama? Haha! Das ist gut!«

»Bodo, ich begreife nicht, wie du darüber lachen kannst! Ich war empört darüber, daß du auf diesen kompromittierenden Papieren meinen Namen als Notadresse angabst. Ich weiß nicht, wie du ein so über die Maßen leichtsinniges Verfahren entschuldigen willst.«

»Ich mußte Geld haben, denn meine Offiziersehre war verpfändet. Und ohne diese Bemerkung hätte Beseler niemals einen Wechsel an den Mann gebracht. Aber du hast recht, Mama, es war eine große Feigheit von mir, daß ich dir nicht früher alles gebeichtet habe. Du kannst mir glauben, daß ich mir selbst die bittersten Vorwürfe gemacht habe, und daß ich mir die böse Erfahrung in Zukunft zur Lehre dienen lassen will. Für diesmal ist der gute, alte Muz noch einmal als deus ex machina im richtigen Augenblicke eingesprungen.«

»Der Major?«

»Ja, hast du denn die Indossaments nicht gelesen?«

»Was ist das? Ich habe die Papiere gleich zurückgegeben mit der Erklärung, daß ich außer stande sei, Zahlung zu leisten.«

»Nun, auf der Rückseite stehen die Namen der verschiedenen Inhaber des Papieres verzeichnet, und der letzte Name auf allen vier Wechseln ist der unsers Majors. Verstehst du nun? Ist das nicht eine gute Neuigkeit? Ich war faktisch schon drauf und dran, meinen Abschied einzureichen – der alte Muz hat mir angst und bange gemacht. Das sieht unserm famosen, lieben, alten Muz so recht ähnlich: schimpfen muß er erst, daß man sich ins erste beste Mauseloch verkriechen möchte, aber nachher ist er's gerade, der einem wieder auf die Beine hilft! Ich sage dir, Mama, mir war das Heulen nahe vor Freude; ich glaube, ich wäre im stande, ihm einen Kuß zu geben – merkwürdigerweise ist er aber nie mehr zu Hause zu treffen, oder er läßt sich verleugnen, um sich meinem Danke zu entziehen! Wirklich ein zu brillanter Onkel! Habe natürlich eine ganz feudale Flasche Sekt springen lassen auf sein Wohl!«

»Das macht mir wenig Zutrauen zu deinen guten Vorsätzen!« sagte die Excellenz mit einem Seufzer. Dennoch aber hatten sich auch ihre Mienen bei der Nachricht von der Handlungsweise ihres alten Freundes erhellt.

Sie stiegen jetzt zusammen in die Pferdebahn, um nach Hause zu fahren.

»Findest du's nicht auch auffallend, daß der alte Muz jetzt ausschließlich mit Herrn von Eckardt verkehrt?« fragte Trudi ihren Bruder.

»So, wirklich, mit dem Pflaumenschmeißer?!« lachte der.

»Pflaumenschmeißer? Was ist denn das wieder für ein gräßliches Wort?!«

»Spitzname für den edlen Musterknaben aus Buffalo! Meine Erfindung! Deutsches Reichspatent Nr. 9999. Brillant, was?«

Und er erzählte zur Erklärung seines patentierten Spitznamens, wie Rudolf sich zuerst um die Gunst der Grigori mit Hilfe der Zuckerpflaumen beworben. Trudi konnte ihre Lachlust nicht ganz unterdrücken, aber sie wurde doch gleich wieder ernst und warnte ihn, diese Geschichte oder den Spottnamen vor Asta laut werden zu lassen.

»Wieso? Warum nicht? Asta hat sich doch nicht etwa verliebt in diesen schönen Republikaner?«

»Das weiß ich nicht! Vorläufig hat sie seinen Antrag dankend abgelehnt!«

»Donnerwetter!« rief der erstaunte Lieutenant ziemlich laut, »der Mensch ist ja von einer gletscherhaften Unverfrorenheit! Hat er ihr nicht auch erst ein Kistchen Pflaumen geschickt?«

»Bei Fräulein Grigori scheint er ja mehr Glück gehabt zu haben,« fuhr Trudi fort. »Er begleitete sie ja vom Rennen nach Hause.«

»Woher weißt du das?«

»Wir haben sie vorbeifahren sehen oben in Westend, und dich auch, Bodo; du hattest das Tutrohr in der Hand und saßest sehr vornehm auf Prinz Führingens Coach. Wie kamst du da hinauf?«

»Ich? O ganz einfach! Ich habe an dem Sonntage Führingens ›Messalina‹ geritten beim ersten Hürdenrennen. Ich sage dir, ein wahres Biest von einem Gaul; noch knüppelhart in den Ganaschen! Der Racker machte zweimal vor dem Wassergraben kehrt und sprang schließlich wie ein lahmer Floh. Kein Mensch wollte die Satansstute reiten; aber ich hatte an dem Tage so einen ausgesprochenen Moralischen, daß mir's effektiv Spaß gemacht hätte, den Hals zu brechen!«

»Brüderchen! Du renommierst ja heute fürchterlich! Was sagte denn Prinz Führingen zu dir, als die Grigori mit Herrn von Eckardt bei euch vorbeifuhr?«

»Na, Führingen war selbstredend wütend und ich nicht minder. Uns schickt sie vor der Hausthür nach Hause, und Pflaumenschmeißer geht bei ihr aus und ein wie bei seinem Spezi, dem alten Muz. Aber ich sage dir, wenn wir nur erst die Thür zu ihrem Boudoir gefunden haben, dann nehmen wir den Pflaumenschmeißer in die Mitte und zermalmen ihn sanft zu Mus!«

»Und darauf hin hast du den Prinzen bereits erfolgreich angepumpt?«

»O ahnungsvoller Engel, du! Woraus schließest du das?«

»Woher sonst, nach dem Moralischen von neulich, heute diese sonnenhelle Miene?«

»Schwesterchen, ich habe von jeher deinen Scharfblick bewundert, aber so etwas . . .«

»Bitte, bemühe dich das K schärfer zu sprechen!«

»Danke; will's mir notieren, Frau Professorin.«

In dieser munteren Weise hüpfte das Gespräch zwischen den beiden Lersens hin und her, bis man in der Stromstraße angelangt war. Die Excellenz hatte ihren Kindern stumm gegenübergesessen und sich ihren eignen Gedanken überlassen, so daß ihr auch von Bodos neuer Anleihe bei seinem durchlauchtigen Leidensgefährten nichts zu Ohren gedrungen war. Ein Glück für sie, denn es hätte ihr kummervolles Mißtrauen in Bodos gute Vorsätze nur verstärken können. Ihres Sohnes Anschauung von der Handlungsweise des Majors war ihr zunächst freilich auch als die richtige erschienen, eben weil diese Richtigkeit so wünschenswert war in ihrer gegenwärtigen, sorgenvollen Stimmung. Aber jemehr sie darüber nachsann, desto weniger schien ihr des alten Freundes ernste Mahnung, mit unerbittlicher Strenge gegen den Leichtsinn Bodos einzuschreiten, mit dieser so überschwenglichen Freundschaftsthat vereinbar. Sie wußte ja auch, daß seine Mittel nicht so reiche waren, als daß er ohne weiteres eine so große Summe hätte entbehren können. Eine Stimme in ihrem Innern sagte ihr, daß Bodo sich arg verrechnet haben könnte in den Absichten des Majors. Aber sie bemühte sich, diese Stimme zum Schweigen zu bringen, um sich die Freude über Trudis Verlobung nicht dadurch zerstören zu lassen.

Es war unterwegs verabredet worden, daß sie Asta abholen und dann gemeinsam den geplanten Höflichkeitsbesuch bei der alten Fürstin Berleburg machen wollten.

Und so saßen sie nach Verlauf eines kleinen Stündchens bereits wieder in der Droschke und fuhren nach der stillen Corneliusstraße im Tiergarten, wo die Fürstin eine reizende geräumige Villa besaß, in welcher ihr Neffe, der Prinz Führingen, ihr Gast zu sein pflegte, wenn er auf Wochen oder Monate von seinen Gütern in Hessen nach der Reichshauptstadt kam.

Lersens fanden die Fürstin nicht allein. Der prinzliche Neffe war bei ihr und eine junge Dame von auffallend schöner Gestalt, mittelgroß, voll, und doch von zierlichem Ebenmaß. Die reiche Perlenstickerei ihres schwarzseidenen Kleides glitzerte so hell im Sonnenlicht, das auf ihren Rücken fiel, daß sie wie in einem blitzenden Stahlkettenpanzer geschnürt erschien. Auf dem matt glänzenden schwarzen Haar saß ein leichtes Kapottehütchen aus schwarzen Spitzen, gegen welche sich vorn ein kleiner Strauß bescheidener Maiglöckchen hübsch abhob und dessen Bänder seitlich zu einer großen Schleife gebunden waren, welche die rechte Wange zum Teil verdeckte. In den fre?ein beschuhten Händen hielt sie, quer über ihre Kniee gelegt, einen rotseidenen Sonnenschirm mit langer japanischer Krücke.

Es hätte der Vorstellung seitens der alten Fürstin gar nicht bedurft, denn sobald die Besucherin ihr Gesicht den Eintretenden zuwandte, erkannte Asta ihre alte Busenfreundin Adriane in ihr, und auch die Excellenz und Trudi, welche die Grigori nur aus der Photographie kannten, schlossen aus dem unwillkürlichen, betroffenen Zusammenfahren der beiden, daß sie es sein müsse.

Auch der alten Dame war die Bewegung Adrianes nicht entgangen und sie fragte: »Die Herrschaften kennen sich bereits?«

»Ich habe nicht das Vergnügen, Durchlaucht,« sagte die Grigori mit einer verneinenden Kopfbewegung. Und dann machte sie, als die Fürstin sie vorstellte, eine tadellose, respektvolle Verbeugung vor der Freifrau von Lersen, eine leichtere gegen die Baronessen und neigte gegen den Dragoner graziös den Kopf. Asta aber hatte einen raschen, leuchtenden Blick aus diesen südlich warmen Augen aufgefangen, welcher ihr zu sagen schien: Ich freue mich ungemein, dich hier zu sehen, Liebste; aber verrate nicht, daß du die Grigori von früher kennst!

Bodo war ganz glückselig über den günstigen Zufall, der ihm endlich die persönliche Bekanntschaft der grausamen Schönen verschaffte, welche ihm schon so viele teure Bouquets gekostet und – nicht einmal dafür gedankt hatte. Als die Fürstin zum Sitzen einlud, trug er sich eiligst ein zierliches, vergoldetes Stühlchen mit ängstlich zarten Beinchen und hochrotem Seidenpolster herbei und nahm dicht neben der Angebeteten Platz. Er eröffnete das Gefecht nach bewährter Lieutenantstaktik mit einem Tirailleurfeuer von kleinen Schmeicheleien und dann, als das Gespräch der andern lauter und lebhafter wurde, dämpfte er seine Stimme und sagte: »Ich dürfte eigentlich voraussetzen, daß ich Ihnen nicht ganz fremd bin, mein gnädiges Fräulein.«

»Allerdings. Es sind mir häufig sehr schöne Blumen zugeschickt worden, aus denen mir regelmäßig eine gewisse Visitenkarte entgegenfiel, die wie ein unartiger, kleiner Käfer unter den Blüten versteckt war.«

»Der unartige, kleine Käfer bin ich, mein gnädiges Fräulein! Aber ich habe nie gewagt die Blüten zu benagen, ich habe mich immer nur von dem Tau der Hoffnung genährt.« Bodo war sehr stolz auf diese sinnige poetische Wendung.

Fräulein Grigori lächelte, neigte den Kopf mit liebenswürdigem Augenaufschlag gegen den galanten, kleinen Dragoner und sagte: »Dieses Nahrungsmittel scheint Ihnen sehr gut zu bekommen, Herr von Lersen, wenigstens haben Sie recht gesunde Farben.«

»Das ist nur äußerlich, meine Gnädigste; innerlich bin ich geradezu bleichsüchtig. O, wenn Sie in mein Herz blicken könnten, Grausame!«

»Die schönen, jungen Offiziere haben alle einen großen Zettel vor ihrem Herzen hängen: »Chambres garnies à louer«,« spottete die Sängerin.

»O – o, meine Gnädigste!« stotterte der Lieutenant, da ihm nicht gleich eine witzige Erwiderung auf diesen Stich einfiel.

Die alte Fürstin hatte inzwischen Trudi über ihren Verlobten ausgeforscht und ihre Glückwünsche, mit allerlei kleinen Scherzen untermischt, vorgebracht. »Sie müssen mir Ihren Professor herbringen, liebe Kleine. Er ist doch hoffentlich hübsch – haben Sie kein Bild bei sich?«

»Nein, Durchlaucht!« lachte Trudi. »Aber hübsch ist er wirklich – sogar mein böser Bruder weiß keinen schlimmeren Spitznamen für ihn, als ›Lohengrin‹.« –

»Lohengrin? Scharmant, scharmant! Dies Genre fehlt gerade noch in meinem Salon,« rief die kleine, muntere Greisin und wiegte vor Vergnügen das leichte Körperchen auf dem elastischen Polster des seidenen Sofas. »Vous ne chantez pas Lohengrin, ma chère?« wandte sie sich an Fräulein Grigori – und es kam Trudi vor als ob sie das Französische noch eine Quinte höher intonierte als das Deutsche.

»Vous vous moquez de moi, Princesse,« erwiderte die Angeredete lächelnd. »Avec ma voix de petite mésange!«

»Sie sollten Fräulein Grigori einmal ungarische Lieder singen hören, mein gnädiges Fräulein!« wandte sich der Prinz Führingen an Asta.

»Ja, oder auch serbische, rumänische – ich weiß überhaupt nicht, welche Sprache sie nicht spricht oder singt, unsre petite enchanteresse!« rief die Fürstin begeistert aus. »Was für eine Landsmännin sind Sie eigentlich – man wird gar nicht aus Ihnen klug!«'

Adriane fühlte Astas Auge auf sich ruhen und errötete leicht, als sie der alten Dame antwortete: »Ich bin wahrscheinlich in irgend einer Höhle des Balkan zur Welt gekommen und vermute, daß mein Vater ein berühmter Räuberhauptmann gewesen ist. Meine Mutter soll eine ungarische Zigeunerin gewesen sein – ich habe keine Erinnerung mehr an sie, als ihre Wiegenlieder und eine Kette von goldnen Münzen, welche sie im Haar trug. Eine vornehme Wallachin erbarmte sich dann meiner, als ich verwaist war, und ließ mich mit ihren eignen Töchtern zugleich unterrichten. Als sie gestorben war, jagten mich die lieben Mädchen aus dem Hause, und ich mußte mir mein Brot selbst verdienen. Als Erzieherin kam ich weit in der Welt umher, bis mich in Paris der Musiklehrer meiner Herrschaft auf den Gedanken brachte, zur Bühne zu gehen. Das abhängige, an Kränkungen reiche Leben war mir verleidet. Ich folgte dem Rate des guten alten Herrn und bildete mich zur Sängerin aus. Aber meine kleine, unbedeutende Stimme verschloß mir die Thore der Opernhäuser – so kam ich zur Operette.«

»Wie romantisch, wie entzückend!« jubelte die Fürstin in ihrer allerhöchsten Tonlage, »Pauvre enfant, Sie haben gewiß viel durchmachen müssen!«

»Heiliger Bimbam, kann die lügen!« dachte der Dragonerlieutenant.

Und dann ließ sich Fräulein Grigori auf vieles Bitten der Fürstin und ihres Neffen auch bereit finden, ein ungarisches Lied ohne Begleitung zum besten zu geben. Sie stellte sich in lässig anmutiger Haltung vor die schwere Portiere, welche in üppigem Faltenwurf die weite Thüröffnung zum Nebenzimmer verdeckte und sang mit samtweicher, klarer, aber doch gedämpfter Stimme eins jener unbegreiflichen ungarischen Lieder, die unsern Ohren weder Rhythmus noch eine bestimmte Melodie zu haben scheinen, und doch unendlich ergreifend sind, voll süßer Wehmut und leidenschaftlicher Sehnsucht.

Bodo wähnte, daß ihre dunklen Augensterne unter den schweren Lidern (das einzig vollendet Schöne an diesem launenhaften, gänzlich unklassischen Gesicht) während des Gesanges nur ihm allein gestrahlt hätten, und baute die kühnsten Hoffnungen auf diese Wahrnehmung. In Wahrheit hatte ihr Blick nur auf Asta geruht, nur ihr das Lied gegolten, das sie so gut kannte, das einst in der Schweizerpension selbst die kühl zurückhaltende Norddeutsche zu Ausbrüchen leidenschaftlicher Zärtlichkeit hingerissen hatte.

Auch heute noch bewährte das Zauberlied seine alte Kraft. Thränen wollten sich gewaltsam in Astas Augen drängen, alle ihre Pulse flogen, ihr Busen hob und senkte sich in atemloser Hast vor Sehnsucht, die heißgeliebte Freundin wie in den alten, goldnen Tagen an sich drücken zu dürfen – aber sie bezwang sich dennoch und stimmte, als Adriane geendet, nur in die Redensarten der andern mit ein. Nein, sie durfte dieses Weib nicht mehr kennen, das allerdings viel, viel durchgemacht haben mochte – wenn auch andres, als es der guten Fürstin vorgelogen hatte!

Bald darauf empfahl sich die Grigori. Die Fürstin bat sie noch, recht hübsche, lustige Sachen zum Vortrage bei ihrer nächsten Abendgesellschaft auszuwählen und reichte ihr dann die Hand zum Kusse. Ihr warmer Lebewohlblick wurde von Asta nur durch ein leichtes höfliches Kopfnicken beantwortet. Prinz Führingen bot ihr den Arm und geleitete sie hinaus.

Auf der Treppe sagte sie: »A propos, Prinz – ich habe eine Neuigkeit für Sie, die Sie vielleicht freuen wird. Sie sollen bei mir nicht mehr verriegelte Thüren finden. Ich habe mich entschlossen, mit nächstem Samstag meine Salons zu eröffnen, da ich inzwischen einen Hofmarschall gefunden habe, der die Honneurs des Hauses machen wird. Mein ganzer Hof ist feierlich geladen! Sie können auch den kleinen himmelblauen Offizier da oben mitbringen. Er ist einer meiner treuesten Anbeter!«

Lachend stieg sie in den Wagen und fuhr davon.

»Nun, was sagen Sie? Ist sie nicht reizend, ist sie nicht hinreißend, diese kleine Zigeunerin?« lief die Fürstin aus, sobald sich die Thür hinter der Diva geschlossen hatte.

Die Damen gaben ihr höflich, Bodo begeistert recht, und dann fuhr die Fürstin fort: »Ich weiß sehr wohl, man findet es in der Gesellschaft einigermaßen shocking, daß ich eine Operettensängerin bei mir sehe; aber sagen Sie selbst, liebe Frau von Lersen, ist sie nicht eine Dame – ganz comme il faut?«

»In der That, sie hat tadellose Manieren!«

»Ich glaube natürlich kein Wort von ihrer pikanten Räubergeschichte,« lachte die Berleburgerin. »Ich bin fest überzeugt, daß sie von Familie ist – vielleicht ein unglückliches Abenteuer – mein Gott! Das kommt an der Spree so gut vor, wie an der Donau. Mein Neffe ist bis über die Ohren verliebt in sie, und sie läßt ihn erbarmungslos schmachten – ja, ihre Haltung ist wirklich tadellos! Nun, Sie werden sie ja am Mittwoch bei mir sehen und hören. . . .«

»Verzeihen Sie, Durchlaucht, wir sind leider gezwungen, Ihre liebenswürdige Einladung abzulehnen. Meine Gesundheit gestattet mir nicht, meine Abende in großer Gesellschaft zuzubringen, und außerdem: die junge Braut im Hause, die Arbeit mit der Ausstattung . . .«

»Aber so bringen Sie doch Ihren Professor mit, liebe Kleine,« beharrte die Fürstin. »Ich wäre ganz untröstlich, Sie entbehren zu müssen. Ich bin zu glücklich, wenn ich hübsche junge Menschen um mich sehe! Ich weiß, es ist eine Sünde, aber ich kann für garstige Leute kaum das Notdürftigste an Liebenswürdigkeit erübrigen. Ich weiß ganz gut, daß ich selbst nie hübsch gewesen bin, aber darum habe ich mich auch als junges Mädchen selber nicht ausstehen können und fand es geradezu bewunderungswürdig von meinem lieben Cousin, dem Fürsten, daß er mich so ohne Murren geheiratet hat. Jetzt bin ich eine alte Frau, da verkriecht man sich in seine Spitzenhaube wie ein Engelein in die Lämmerwölkchen und schaut die Komödie aus der Vogelperspektive an. Ich kann Ihnen nur raten, liebe Baronin, werden Sie achtzig Jahre alt; es ist das vergnügteste Alter, wenn man nur noch mobile Beine und ein scharfes Lorgnon hat. Es ist nur ein Glück, daß ich kein Mann geworden bin, ich wäre ein Vaurien und Hagestolz mein lebenlang geblieben . . . Ssst, verraten Sie mich nicht – sonst bringe ich mich vollends um den Respekt bei meinem Neffen!«

Prinz Führingen trat wieder ein und ward von seiner Tante zu Hilfe gerufen, um die Lersens zum Widerruf ihrer Absage zu bewegen. Aber er war noch zu erfüllt von den Hoffnungen, welche die letzten Worte der Grigori in ihm erweckt hatten, als daß er mit besondrem Geist und Eifer dieser Aufgabe nachgekommen wäre. Die Damen trugen noch allerlei unklare Gründe zusammen und beharrten auf ihrer Absage, nur Bodo nahm für sich an. –

Asta seufzte tief auf, als sie auf die Straße traten. Trudi sah sie an und ahnte, was in ihr vorgehen mochte, Sie schob ihren Arm unter den ihrer Schwester und drückte ihn an sich. Bodo führte seine Mama – sie wollten eine Strecke durch den Tiergarten zu Fuß gehen.

»Diese vergnügte Berleourg-Dromst-Führingen ist wirklich die schneidigste alte Dame im ganzen Reichshauptstädtchen,« sagte der Lieutenant. »Aber eigentlich kein Umgang für junge Mädchen, was Mama?«

»Wie meinst du?« Die Excellenz hatte gar nicht hingehört. Sie trieb ihren Sohn zu etwas schnellerem Schritte an und fragte ihn dann leise, wie er denn nun den Major zu befriedigen gedenke.

»O, der wird schon mit sich reden lassen,« versetzte Bodo leichthin, und trällerte aus der »weißen Dame«: »Ich laß mir's nach und nach von meiner Gag' abziehn.«

Da zuckte die Mutter plötzlich zusammen, wie wenn eine giftige Schlange sich vor ihren Füßen zischend emporgereckt hätte. Ihre Kniee wankten und sie mußte sich einen Augenblick fest an den Arm des Sohnes klammern, um nicht zu Boden zu sinken.

»Mama, was ist dir?«

»O nichts – ich stieß mit dem Fuß an einen Stein – es ist schon wieder gut. Komm nur weiter,« sagte die Excellenz, sich gewaltsam aufraffend. Aber sie war noch bleich vor Schreck und der Arm zitterte, an dem sie ihr Sohn führte. Sie hatte am hellen Mittag ein Gespenst gesehen, eine Stimme aus dem Grabe gehört – eine laut mahnende Stimme, die ihr mit furchtbarem Ernst zurief: »Der Augenblick ist da, jetzt rede und rette deinen Sohn!« Aber die schwache Frau fand auch jetzt nicht das rechte, das grausame aber vielleicht einzig heilsame Wort, sondern sie brachte es nur zu bekümmerten Ermahnungen und allgemeinen Warnungen, welche Bodo geduldig anhörte und respektvoll – zu den übrigen legte.

Sie hatten die Schwestern vorausgehen lassen, da die Mutter nach dem gehabten Schreck nicht mehr so rasch auszuschreiten vermochte. Nun sahen sie, wie die Mädchen vor einem die Allee kreuzenden Reitweg Halt machten, um einen Reiter an sich vorbeizulassen.

»Alle Wetter, das ist ja Pflaumenschmeißer – hoch zu Roß!« rief Bodo unwillkürlich ziemlich laut und machte ein paar schnellere Schritte, um dem Reiter nachzublicken: »Der Sitz ist nicht übel. Er scheint ja den Mietsschinder höllisch 'ran zu nehmen. Hat er euch nicht gegrüßt?«

»Nein – er sah uns groß an und dann setzte er sich in Galopp – und vorbei,« antwortete Trudi.

»Flegel!«

Asta warf ihrem Bruder einen mißmutigen Blick zu wegen dieser groben Meinungsäußerung und sagte hochmütig: »Wenn uns an einem Gruße dieses Herrn etwas gelegen wäre, so hätten wir zuerst grüßen müssen, das ist amerikanische Sitte.«

»Ach was, er ist lange genug hier, um sich auf deutsch anständig zu benehmen,« eiferte Bodo.

»Yankee doodle came to town riding on a pony,« sang Trudi, um die Sache ins harmlos Komische zu ziehen. Aber freilich ohne jeden Erfolg.

»Ich werde vielleicht noch Gelegenheit finden, diesem Burschen Manieren beizubringen,« prahlte Bodo. »Aber noch etwas energischer, wie der alte Muz das Reiten!«

Da legte die Excellenz ihre Hand auf Bodos Schulter und sagte mit bebender Stimme: »Ich flehe dich an, tritt Herrn von Eckardt nicht zu nahe. Vermeide jede Gelegenheit, mit ihm Streit anzufangen – du weißt nicht . . .«

Die beiden Töchter, sowie Bodo blickten erstaunt und besorgt die Mutter an. So bleich und elend hatte sie noch nie ausgesehen! Sie vermochte ja kaum zu reden vor Schwäche!

»Komm, setzen wir uns hier auf die Bank, Mama,« bat Trudi besorgt. »Bodo sucht uns eine Droschke zu verschaffen.«


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