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Vorwort

Die in diesem Bande vereinigten Artikel – ausgewählt unter denjenigen, die seit dem Kriegsbeginn, jedesmal am Montag, im »Berliner Tageblatt« erschienen sind – handeln von Ereignissen und Fragen, die in dem Getümmel der Welttragödie nicht untertauchen, und von denen auf dem zerstampften Wege eine grosse, leuchtende Spur, oder auch eine andere, sichtbar bleibt. Hier und da ist Unwesentliches fortgelassen, ein Satz gestrichen worden, der nur eine Eintagsberechtigung besass. Da wichtige Vorgänge und Probleme in der Zeitung sofort, nachdem sie sich gezeigt haben, erörtert werden, so wird in diesen Montagsartikeln vieles, was eine gründliche Behandlung erforderte, nur leicht gestreift. Vielerlei, was eines Tages, in einer besseren Zeit, breit beredet werden wird, blieb aus Gründen, die mit den besonderen Kriegszuständen zusammenhängen, unerwähnt. Aber es ist vielleicht kein allzu schlimmer Fehler, dass auch manches weittragende Rätsel, wie das polnische, in diesem Buche nicht betrachtet ist. Das ist kein allzu schlimmer Fehler, weil diesen Rätseln immer wieder neue Lösungen gegeben werden und eine Form, die wir gestern noch für festgemauert hielten, heute bereits wieder zerstört oder umgestaltet wird.

Die beiden Worte » Vollendete Tatsachen«, die als Titel auf diesem Buche stehen, kommen auf sehr zahlreichen der hier zusammengefügten Seiten vor. Sie sind, wenn man will, etwas wie ein Leitmotiv, und sie leiten zu der Forderung hin, die in diesen Artikeln beständig erhoben wurde, zu der Forderung nach dem parlamentarischen System. Schon in den Fiebertagen, die dem Kriegsausbruch vorangingen, habe ich immer wieder gesagt, dass die öffentliche Meinung Deutschlands durch das österreichisch-ungarische Ultimatum an Serbien und durch alles, was folgte, vor vollendete Tatsachen gestellt worden sei. Das Volk hat mit starker Entschlossenheit und männlichem Ernst diese Tatsachen hingenommen, und in seinem gewaltig erwachten Selbsterhaltungstrieb hat es mit allem sich abgefunden, was aus dem Unwiderruflichen sich ergab. Aber der Gedanke musste sich durchsetzen, musste durchgesetzt werden, dass es nicht nötig und nicht gerecht sei, ein solches Volk in tiefgreifenden Lebensfragen stets aufs neue vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dieses Volk hat, so gut wie irgendein anderes in der Welt, ein Recht darauf, durch seine Vertreter den Gang der Geschehnisse prüfen zu lassen, an schwerwiegenden Entscheidungen teilzunehmen und auf die Zusammensetzung der Regierungen einzuwirken, von deren Klugheit und Klarheit das Geschick aller, bis in die letzte Hütte hinein, abhängig ist. In zahlreichen Artikeln, die in diesem Bande sich finden, und in noch weit mehr anderen, die nicht hier aufgenommen sind, habe ich diesem Gedanken den Weg zu ebnen versucht und es mag sein, dass die Schnur der Gründe und Wendungen ein wenig gleichmässig wiederkehrt. Wer die Zweifler besiegen, die Lauen gewinnen will, muss oftmals seine Melodie vortragen, bis sich das Ohr an den neuen Ton gewöhnt.

Jetzt schreiten wir von den vollendeten Tatsachen zu neuen, und beim Amtsantritt des Grafen Hertling und des Herrn v. Payer wurde eine Station nahe dem Ziele, im Aufstieg zur freien Höhe, erreicht. Aber wir alle wissen, dass auch dem besten Staatssystem erst der lebendige Geist des Volkes die wahre Bedeutung verleiht. Eine Gemeinschaft von Menschen, die nicht nur durch Zwang geleitet werden soll, muss sich selbst bezwingen, ein Volk, dem man Rechte gibt, muss die Rechtsidee rein und unwandelbar vor Augen haben, und es darf nicht die Gesellschaft der schmeichlerischen Weihrauchschwinger suchen, wenn es die Luft der freien Höhen atmen will. Zur Selbstbestimmung gehört die Selbstkritik.

Wir haben in diesen Kriegsjahren noch vielerlei vollendete Tatsachen gesehen, die gewaltigen militärischen Ereignisse sind mit wehenden Fahnen an uns vorübergezogen und heute geht wieder der Blick nach Osten, wo in dem russischen Chaos alles durcheinander- und übereinanderstürzt. Schwerlich wird ein Geschichtsschreiber imstande sein, soviel ausserordentliche Dinge in einen Rahmen einzupassen, und alle Museen und Zeughäuser, die wir bauen können, haben für soviel Trophäen nicht Platz genug. Aber während der Kriegsruhm wie eine rote Sonne am Himmel steht, ist die umschattete Erde mit Verwüstung, mit den schmutzigen Trümmern menschlicher Glückseligkeit bedeckt. Und zu der Vernichtung des Lebens und des in stiller Arbeit aufgebauten Hauses trat überall eine Verheerung des geistigen Besitzes, den die Menschheit in langer Entwicklung angeblich für immer erworben hatte und der gegen die Brutalität der Leidenschaften, des Eigennutzes und der Dummheit gesichert schien. Gleich entweihten Priestergewändern wurden von vielen die wertlos gewordenen Grundsätze des Rechtes, der Wahrhaftigkeit und der Menschenwürde in den Trödelladen gehängt. Das unerfreuliche Geschlecht der pathetischen Philister und der Pharisäer breitete sich aus. Diejenigen, die keinen Feind auf dem Boden ihrer Heimat dulden, aber auch das Erbteil der edelsten Geister unbeirrbar, mit ruhigem Sinne behüten wollen, fühlen sich zu einer gemeinsamen Aufgabe vereint. Sie tragen aus der Zerstörung die wahren Hausgötter in die Zukunft hinein.

Berlin, 10. November 1917

Theodor Wolff

 


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