Julius Wolff
Der wilde Jäger
Julius Wolff

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XI.

Die Sauhatz

Die nächsten schwülen Tage gingen
Mit finstrem Antlitz durch das Land,
Und schwere, dunkle Wolken hingen
Oft tief herab wie Bußgewand.
Gar düster ist's im Bodethale,
Schwermüthig drückt der Felsen Bau,
Hohl brauset durch das Bett, das schmale
Der Fluß in mürrisch trübem Grau.
Es ist wie dumpfes Kettenschmieden
Um Alles, was am Licht sich freut,
Und auch im wallgeschützten Frieden
Der Burg ist Unlust ausgestreut.
Am frohen Waidwerk kein Gefallen
Und keine Lust mehr am Gesang,
Kein Lachen mehr in Thurm und Hallen,
Nicht Falkenruf, nicht Hifthornklang.
Als wäre von dem Berg gezogen
Der Sonne allerletzter Strahl,
Auf Nimmerwiederkehr entflogen
Das letzte Vöglein aus dem Thal.
So ist's; von Allen tief empfunden,
Fehlt Eines jetzt, das Allen lieb,
Waldtraut ist von der Burg verschwunden,
Und Niemand weiß es, wo sie blieb.
Sie nahm mit sich wie ihre Habe
Das Himmelblau, das Sonnenlicht,
Das Lächeln selbst, des Frohsinns Gabe,
In jedes Einzelnen Gesicht.
Zurück nur ließ sie düstre Sorgen,
Jetzt Allen sichtbar mit Gewalt,
Als ob bisher sie nur verborgen
Des Mädchens holde Lichtgestalt.
Denn immer häufiger kam Kunde
Von dem erbarmungslosen Krieg,
Und immer weiter in der Runde
Drang blutig vor der Bauern Sieg.
Vom Helfensteiner ward gesprochen,
Den durch die Spieße sie gejagt
Zu Weinsberg, ihm die Burg gebrochen,
Sein Weib gemartert und geplagt,
Von Jäcklein Rohrbachs Osterfeier,
Von Berlichingens Eisenhand,
Von Metzler, Hippler, Florian Geyer,
Ulrich, Herzog in Schwabenland.
Gehaßt wie Einer war ihr Ritter
Vom Landvolk, dessen Ackersaat
Wie Hagelschlag und Ungewitter
Er oft beim Jagen niedertrat.
Und was in Dörfern unumwunden
Man sich erzählte grausenvoll,
Daß Volrat auf den Hirsch gebunden,
Das schürte noch den heißen Groll.
Den Grafen nur schien nichts zu kümmern,
Er selber blieb sich immer gleich,
Lag Alles um ihn auch in Trümmern,
Hier eine Hütte, dort ein Reich.
Als er von seinem Bann gehöret,
Lacht' er laut auf und sagte blos:
»Ja, wer im Hummelneste störet,
Wird angebrummt; was Wunders groß?«
Doch sah er wohl die stillen Wunden,
Die niederdrückten Knecht und Magd,
Und hatte bald dafür gefunden
Das Zauberwort: »Wohlauf zur Jagd!«

Das Wort aus seinem Mund schlug Funken,
Und wenn sie so sein Auge traf,
Sie wären vor ihm hingesunken;
Nun wieder war's ihr stolzer Graf,
Der jederzeit und allerwegen,
Am hellen Tag, in dunkler Nacht
Sie bannen konnte und bewegen
Mit einer wunderbaren Macht.
Kampf und Gefahr, das lieben Alle,
Wenn er sie führt, der nimmer ruht,
Nun wieder in die Thorthurmhalle
Zieht frischer, froher Wagemuth.
Heraus denn mit den Knebelspießen!
Die schon auf Sauhatz oder Birsch
Manch hauend Schwein danieder stießen,
Heut gilt's nicht zagen, flücht'gen Hirsch,
Ein wehrhaft Thier gilt's abzufangen,
Den großen Keiler, der hier tobt,
Wie aufs bescheidene Verlangen
Waldtrauts Graf Hackelbernd gelobt.
Sie sehn dem Kampf getrost entgegen
Und hoffen auf des Sieges Preis,
Nur Ludolf bangt des Hirsches wegen,
Den er im Forste liegen weiß.
Der Falkenier merkt seine Sorgen
Und spricht mit ihm ein traulich Wort:
»Ich habe deinen Pfeil geborgen,
Und auch die Stricke nahm ich fort;
Die Wölfe haben angebissen,
Wer sagt, daß es just – der sein muß,
Wenn sie mal einen Hirsch zerrissen?
Ludolf, das war ein wackrer Schuß!«

Sie ziehen mit den stärksten Hunden,
Voran den Finder an der Schnur,
Zur Streifhatz, wo sie jüngst gefunden
Beim Suchen die gerechte Spur.
Das ist im ganzen Forstreviere
Die tiefste Wildniß rings umher,
Da hausen von dem Waldgethiere
Nur Schuhu, Wildschwein oder Bär.
Hochmächt'ge alte Eichen recken
Sich wie Gebälk im Waldeshaus,
Und ihre Wurzelknorren strecken
Sich lang wie Lindwurmleiber aus.
Die halb belaubt und halb verwittert,
Vom Sturm zerzaust, vom Blitz gefaßt,
Und an der andern wieder zittert
Des vollen Laubes grüne Last.
Behängt ist die gefurchte Rinde
Mit Moos und Flechten mancher Art,
Das flattert, wankt und weht im Winde
Wie langgewachsner Greisenbart.
Die alten faulen Stümpfe schlagen
Frisch wieder aus zu neuem Flor,
Und aus dem jungen Nachwuchs ragen
Gesunde Stämme schlank empor.
Im üpp'gen Unterholze kämpfen
Gestrüpp, Dornranken, Farrenkraut,
Die Riesenkronen aber dämpfen
Das Licht, das durch die Wipfel schaut.
Die Waidgesellen rüstig wandern,
Der Graf voran der kleinen Schaar,
Doch Jeder fühlt's an sich und Andern,
Es ist nicht Alles mehr, wie's war.
Zumal der Graf scheint den Gefährten
Ganz seltsam, wie sonst niemals, heut,
Er giebt nicht Acht auf Spur und Fährten
Und ist verschlossen und zerstreut.
Unruhig, scheu, fast ängstlich gehen
Ihm hin und her die Blicke oft,
Als sucht' er etwas, was zu sehen,
Er weit mehr fürchtet doch, als hofft.
Ihm preßt die Brust ein dunkles Ahnen,
Er athmet tief, hält öfter Rast,
Es macht ihm Müh', sich Weg zu bahnen,
Als trüg' er eine schwere Last.

In seinen Kesseln eingeschoben
Liegt hier das Schwarzwild rudelweis,
Sielt sich umher, kommt vorgestoben,
Bricht Wurzeln, rodet Keim und Reis.
Es kümmern sich die Waidgesellen
Nicht viel um Bache oder Sau,
Das große Hauptschwein nur zu stellen,
Führt man die Rüden durch den Thau.
Der Finder, den von seiner Leine
Bruno gelöst, giebt Standlaut jetzt,
Und losgekoppelt, wird dem Schweine
Die Meute auf den Hals gehetzt.
»Hetz! hetz! hu Sau! hu Sau!« so rufen
Die Jäger, wie's im Strauchwerk knackt,
Da bricht hervor auf flinken Hufen
Der Keiler und wird schnell gepackt.
Er schlägt sich los, stellt sich den Hunden
Und streitet, Einer gegen Zehn,
Fünf schweißen schon aus tiefen Wunden,
Die andern aber ihn umstehn.
Der ritterliche Kämpe decket
Den Rücken sich am Eichenstamm,
Haut um sich, wenn ihn einer necket,
Und schnauft und sträubt den Borstenkamm.
Unnahbar das Gebrech umzäumend
Krümmt sich ein fürchterlich Gewehr,
An Wurzelstrünken wetzt er's schäumend
Und pflügt den Boden rings umher.
Durchs Dickicht stürmt in heißem Drange
Tollkühn Graf Hackelbernd voran,
Er hetzt und fällt den Spieß zum Fange,
Da – was bewegt den festen Mann?
Was schwebt aus blitzgespaltner Eiche?
Ein Windstoß? ein gebrochner Ast?
Ein Waidmann aus dem Geisterreiche?
War's Wode selbst? – den Grafen faßt
Erregten Bluts ein eisig Grauen:
»Das ist der Tod am hellen Tag!«
Den Fang vergißt er über'm Schauen,
Und von des Keilers hartem Schlag
Getroffen, sinkt er hin am Platze;
Doch in demselben Augenblick
Springt Wille zu mit mächt'gem Satze
Und packt den Keiler im Genick;
Bruno fängt vor dem zweiten Schlage
Das Ungethüm schnell ab, das dicht
Beim Grafen ohne Laut und Klage
Mit schwerem Fall zusammenbricht.
Die Jäger stehn bestürzt in Bangen, –
Ihr Graf machtlos dahin gerafft,
Er, dessen Speer nie fehl gegangen?
Wer brach die unbezwungne Kraft?
Er selber starrt in Schreck und Schweigen
Zur Eiche hin, roth fließt sein Blut,
Und man bereitet ihm aus Zweigen
Ein Lager, drauf er sicher ruht!
Gerhard hat dürftig ihn verbunden,
Sie heben sanft empor ihn bald
Und tragen so den Waidewunden
Auf ihren Schultern durch den Wald.

Halbwegs der Burg, nicht weit vom Meiler
Kommt Aulke angehinkt und spricht:
»He! Jägervolk, habt ihr den Keiler?
Das Unthier hat wohl sein Gewicht?
Ne, ne, was seh' ich? den Herrn Grafen?
Ei! hat ihm Bertram Eins versetzt?
Wie lief's denn ab, als sie sich trafen?
Der Bertram hatte scharf gewetzt.«
»Weib!« wendet sich entsetzt zur Alten
Der Graf und läßt zu kurzer Ruh
Die Waidgesellen mit ihm halten,
»Weib! Hexe! von wem faselst du?«

»Von dem, der nicht den Hals gebrochen,
Der auf dem Hirsch zu Thale fuhr;
Er lebt, gesund auf allen Knochen,
Beim Bundschuh ist er, und er schwur,
Mit eigner Hand Euch zu verderben,
Ich seh', er hat's schon halb vollbracht,
Mit Euch ist's aus, Herr! Ihr müßt sterben,
Sagt nur dem grünen Wald gut' Nacht!
Ihr seid gezeichnet in der Rinde,
Da zwischen Euren Brauen steht's,
Ein Weilchen flackert noch im Winde
Eu'r Lebenslicht, doch bald verweht's,«
»Fort! fort!« schrie Hackelberend stöhnend.
Sie trugen weiter ihn gemach,
Doch Aulke stand und lachte höhnend
Mit ihrem bösen Blick ihm nach.


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