Julius Wolff
Der wilde Jäger
Julius Wolff

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I.

Am Wodansmal.

Hie heb' ich an mit sagen
Von einem großen Turney,
Wie seit ewigen Erdentagen
Der Winter kämpft mit dem Mai.
Es ist ein Rennen und Stechen,
Ein Packen und Streiten mit Macht,
Es ist ein Biegen und Brechen
In wogender Frühlingsschlacht.
Ein Rauschen ist's und Wettern
Wie Seegang übers Gefild,
Ein Krachen ist's und Schmettern
Wie Schwerthieb auf klingenden Schild.
Es ist ein lautes Tönen
Wie eherner Glocken Schall,
Es ist ein dumpfes Dröhnen
Wie grollender Widerhall.
Es wirbelt und schwirrt um die Gipfel,
Es pfeift um zackig Gestein,
Durch knarrende, knackende Wipfel
Und surret und sauset hinein.

Und alle das Wehen und Weben,
Das Wallen in Nebel und Rauch,
Es ist wie Flattern und Schweben
Vor lebendigen Odems Hauch.
Das Wuchten und Wiegen in Zweigen,
In Halm und Strauch und Gezäh,
Es ist wie Nicken und Neigen
Vor eines Gewaltigen Näh.
Der kommt daher mit Brausen
Durch Feld und Wald und Ried
Mit Grauen und mit Grausen,
Und also klingt sein Lied:

Wenn ich mich erhebe
Die Schwingen reckend
Und weithin streckend
In Wolken schwebe,
Ob's nächtet, ob's taget,
Still wird's umher,
Nichts Lebendes waget
Zu athmen mehr.
Was ferne mich wittert,
Lauschet und zittert
In Schweigen und Schauern,
Ein kurzes Dauern, –
Und mit furchtbarem Stoß
Brech' ich los!

Ich fege die Meere
Und wälze in Bogen
Die schäumenden Wogen
Durchs trostlos Leere.
Ich erschüttre die Lasten
Des sperrenden Riffs,
Ich knicke die Masten
Des ziehenden Schiffs,
Das ich zerschlage;
Wehruf und Klage
Sinkender Schwimmer
Rühret mich nimmer,
Fluch und Gebet,
Alles verweht.

An schneeigen Firnen
Weiß ich zu rütteln,
Unwirsch schütteln
Die trotzigen Stirnen
Von Schroffen und Jochen
Und starrender Wand
Felsen gebrochen
Ins blühende Land.
Lawinen verschütten
Der Menschlein Hütten
Und was sie drin haben,
Wer drunter begraben,
Getilgt aus dem Licht,
Mich kümmert's nicht.

Wunschwind mein Name,
Wille mein Wesen,
Macht und Genesen,
Segen und Same.
Ich wirke auf Erden
Die zeugende Kraft,
Gebären und Werden
Und nährenden Saft.
Ich bringe Gedeihen,
Mit Würzen und Weihen
Die Wege zu bahnen
Dem Träumen und Ahnen
Und rufe im Lauf:
Frühling, wach' auf!

So singt der Sturm; es hören
Die Wesen den zaub'rischen Ruf
Wie geisterhaft Beschwören,
Das neues Leben schuf.
»Wer hat an den Heerschild geschlagen?
Wer hat uns geweckt in der Nacht?
Wer will den Waffengang wagen
Mit des Tyrannen Macht?
Ist nahe die Siegesfeier
Dem unterdrückten Geschlecht?
Um deine Stirn, Befreier,
Ein waldesgrün Geflecht!
Du brichst mit kühnem Beginnen
Von außen herein dir Bahn,
Wir schlagen uns durch von innen,
Bis wir bei einander stahn.«
So regen sich Aufruhrsgedanken,
Hoffnung und Freiheitsgelüst,
Daher auch das Winken und Wanken
Im beweglichen Waldesgerüst.
Da geht es ans Sprengen der Bande,
Da bricht manch geschmiedeter Ring,
Und jauchzend erhebt sich im Lande,
Wer seufzend voll Ketten hing.
In hohen und niederen Schichten
Steigt's gährend durch Splint und Bast,
Auf die Streue werfen die Fichten
Des Schneedrucks beugende Last.
Was Nadeln trägt am Leibe,
Das rüttelt und schüttelt sie flugs,
Blaugrüner Wachholder und Eibe
Und der Kiefer schirmender Wuchs,
An gefurchten Borken in Rieseln
Sickert's wie triefender Schweiß,
Hängt naß an allen Zwiefeln
Und tropft von jeglichem Reis;
Und wie unter Büschen und Lohden
Der Schnee auf dem Laube zergeht,
In jedem Blatte am Boden
Ein blinkendes Wässerlein steht.
So ist in Tagen und Stunden
Geschlagen des Winters Macht,
Verronnen und verschwunden
All seine fürstliche Pracht.
Sein glitzernder Stirnreif nicket
Herab vom alternden Haupt,
Eiszacken, sein Scepter geknicket,
Seine silberne Rüstung geraubt,
Zerbrochen sein Ingesiegel,
Das er aufs Leben gelegt,
Und sein kristallener Spiegel
Vom Teiche hinweg gefegt,
Demanten Geschmeid und Spangen
Und Schleier und Spitzen dahin,
Hoch oben am Felsen hangen
Die Fetzen vom Hermelin.

Auf springt die gefrorene Quelle,
Der Bach rauscht schäumend und wild
Und stürzet Welle auf Welle
Vom Berg ins ebne Gefild.
Die breiten Ströme rollen
Randvoll durchs bangende Land
Und schieben geborstene Schollen
Knirschend zum Meeresstrand.
Feuchtdunstig ist's und düster
Im Laubwald und im Tann,
Da hebt nun ein Geflüster,
Ein Treiben und Wachsen an.
Die Wurzeln will es dehnen,
Die Erde lockern am Fuß,
Es kommt ein Sinnen und Sehnen
Wie bei der Vöglein Gruß,
Halt ein, ihr Blätter und Blüthen!
Halt ein, es stürmt aus Nord,
Es kommt zurück mit Wüthen
Der Winter zu Raub und Mord!
Er bringt euch jungen Sprossen
Den Tod und schneidiges Weh,
Er prasselt mit Hagel und Schlossen
Und stöbert mit knisterndem Schnee.
Frost wieder in Banden strecket
Der Bäche Schäumen und Sprühn,
Und kaltes Schneeweiß decket
Das kaum erwachende Grün.
Und wieder hebt ein Ringen,
Ein Kämpfen Mann an Mann,
Ein Schlagen mit scharfen Klingen,
Ein Toben und Tosen an.
Der Frühling siegt am Tage,
Der Winter in der Nacht,
Hat von der Niederlage
Sich wieder zu Athem gebracht,
Ist wieder heran geschlichen,
Liegt weit und breit im Feld,
Vor ihm zurückgewichen
Ist wieder der jüngere Held.
Der holt nun aus zum Streiche
Und schlägt mit sausender Wucht
Aus dem eroberten Reiche
Den Winter in die Flucht.
Und vor den fliegenden Schaaren
Mit Fähnlein und blitzendem Speer,
Den schallenden Siegsfanfaren
Und dem strahlenden, sonnigen Heer
Fliehn Winter und Wintersknechte
In trauriger Gestalt,
Und lächelnd sitzt im Rechte
Des lustigen Lenzes Gewalt. –

Im Harzgebirg entspringet
Am Blocksberg aus dem Quell,
Rauscht durch den Wald und singet
Die Bode klar und hell.
War Wode sonst geheißen,
Muß treiben manch Mühlenrad,
Holz sägen und Eisen schweißen
Mit Wassersturz und Bad.
Bevor von ihren Bergen
Sie fröhlich herunter klimmt
Und von den Nixen und Zwergen
Den letzten Abschied nimmt,
Muß sie sich krümmen und winden
Durch ein wildgrausig Thal,
Verschlungene Wege finden
In Bogen ohne Zahl.
Die Felsen stolzer und kühner
Findet ihr nicht so bald,
Und krauser ist und grüner
Nirgends der deutsche Wald.
Da ragt mit Zinnen und Ecken
Manch Bollwerk und finsteres Thor,
Und Pfeiler und Säulen recken
Sich trotzig zum Lichte empor.
Da beugen hinüber und bücken
Sich Blöcke mit drohender Wucht,
Als wollten sie überbrücken
Mit ihrem Sturze die Schlucht.
Da klaffen Risse und Spalten,
Da stehen hoch aufgericht'
Verwunschene Thiergestalten,
Versteinertes Menschengesicht.
Da klammert mit durstigen Fasern
Strauchwerk am Felsen sich an
Und kniet mit Wurzeln und Masern,
Wo handbreit es haften kann.
Hoch oben rüttelt und spület
Windstoß und Regenguß,
Tief unten kämpft und wühlet
Wirbelnd und schäumend der Fluß
Die Wasser stürzen und schnellen
In Strudel und Gischt hinein,
Brandende, brausende Wellen
Waschen und höhlen den Stein.
Wollet ihr horchen und lauschen
In langen Thales Lauf,
Es schallet das Tosen und Rauschen
Bis auf die Berge hinauf.
Ihr schaut von Zacken und Klippen,
Gerölle, nackt und bloß,
Als säht ihr durch Felsenrippen
Bis in der Erde Schoß.
Ein Felsstock aber vor allen
Thürmt sich zu schwindelndem Rand,
Es fußen nicht Adlerskrallen
An lothrecht steigender Wand,
Auf seinem Scheitel, dem grauen,
Weit herrschend über dem Thal,
Ist in den Fels gehauen
Von Rosseshuf ein Mal.
Kein aufgezäumter Rappe,
Den je ein Sterblicher ritt,
Schlug funkensprühend die Trappe
Hier in den harten Granit.
Von Sleipnirs Hufe rühret
Die heilige Rune nur,
Und Opfer wurden geschüret
Uralter Götter Spur.

In Abenddämm'rung schweiget
Der Sturm und hemmt den Lauf,
Und hinter den Bergen steiget
Schweres Gewölk herauf.
Am Roßtrappmale stehet
Frei eine hohe Gestalt,
Des Recken Langbart wehet,
Sein faltiger Mantel wallt.
Die Götterstirne decket
Schattend ein breiter Hut,
Darunter aber schrecket
Einäugigen Blickes Gluth.
Zu seinen Füßen liegen
Zwei Wölfe, grimm und greis,
Sein mächtiges Haupt umfliegen
Zwei Raben in engem Kreis.
Langsam in weitem Bogen
Schwingt er den ragenden Speer,
Hat über sich gezogen
Einen Ring in der Lüfte Meer.
Da fährt aus den Wolkenballen
Hernieder ein rother Strahl,
Und krachende Donner hallen
Rollend durchs Felsenthal.
Mit tausendstimmigem Munde
Fällt brüllend das Echo ein,
Und leuchtend in die Runde
Zucket der Blitze Schein.
Es rauscht durch der Zweige Gitter,
Verschwunden ist die Gestalt,
Das erste Frühlingsgewitter
Schlägt in den ruhenden Wald.


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