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Das erste Reiseziel der Neuvermählten war Paris. So hatte Kamilla es gewünscht, und Markus hatte trotz eines leisen, ihm selbst nicht recht begreiflichen Mißbehagens nachgegeben.
Die herrlichsten Stunden seiner Knabenzeit erwachten in ihm beim Verweilen vor gewissen Bildern des Louvre, beim Durchschreiten einzelner Säle im Musée Cluny.
Dann zog er Kamilla ganz nahe und fest an sich heran und sprach ihr von seiner Jugend, von all den sehnsüchtigen Träumen seiner Berliner Tage und jubelte, daß ihm die Erfüllung all dessen so nahe gerückt war, was er zu vergessen versucht hatte aus Pflichtgefühl und tiefer Dankbarkeit für seinen Vater.
Die Ruhe des Bremer jungen Kaufherrn war von ihm gewichen; er war geschwätzig, knabenhaft glücklich und unbedacht.
»Wir wollen eine Karte an Professor Ramin schreiben, ja? Du unterschreibst mit ...«
»Kamilla Lukas« schrieb sie in ungewöhnlich großen spitzen Buchstaben. Es blieb fast kein Platz für Markus, der darunter schrieb: »Meine liebe Frau und Ihr dankbarer ehemaliger und zukünftiger Schüler senden Ihnen verehrungsvolle Grüße. Markus Lukas.«
»Jetzt habe ich es zierlich wie ein Pensionatsmädchen schreiben müssen – die verkehrte Welt!« lachte Markus und fügte auf die Rückseile noch die Hoteladresse hinzu. »Es würde mich freuen, wenn er antwortete! Und nun, wohin, Kamilla?«
Kamilla wollte ins Bois, abends ins Theater, und er war sofort einverstanden, denn die freudige Genußsucht erfüllte auch ihn.
Am nächsten Morgen:
»Hallo, hallo, Kamilla – der Luxembourg wartet! Unsere Crivelli-Madonna, die braune, die dir ähnlich sieht ... Auf ... auf!«
Er warf ihr das spitzenbesetzte Kapricekissen ins Gesicht und sprang mit der blauseidenen Bettdecke, wie mit einer Toga drapiert – im Zimmer umher.
»Wirst du wohl aus den Federn, du ungeheuer faule, du ungeheuer schöne Frau? Ich reiß' dir die Decke herunter, ich gieße dir deine ganze Parfümflasche aufs Kissen, ich setze deinen Hut auf und geh so im Korridor spazieren, wenn du nicht aufstehst.«
Er rüttelte an der messingenen schweren Bettstelle und bog sich vor Lachen.
»Kamilla, du machst ein Gesicht wie Kurts Großmutter, wenn sie sagt ›ein reeller Mensch!‹ Ich bin in diesem Augenblick kein ›reeller Mensch‹, ich weiß es, aber die Sonne lacht, der Himmel lacht, die Madonna lacht, ganz Paris lacht – da solltest du auch lachen!«
Sie wendete den Kopf leicht zur Seite.
»Ich bin müde, Markus – todmüde. Ich werde noch krank in deinen Galerien und Museen – ich kann nicht mehr!«
»Aber! ...«
Erschreckt setzte er sich auf ihren Bettrand.
»Was machen wir denn da?«
»Du gehst allein. Und wir treffen uns dann irgendwo zum Frühstück. Ich will mir auch noch einiges besorgen. Toilettenkram – «
Markus schlenkerte mit seinen langen Beinen über den Teppich wie ein kleiner Junge.
»Ich begreife nicht, Kamilla, was brauchst du denn noch alles? Du schleppst ja vier Koffer, wie Häuser so groß, mit dir herum!«
»So etwas begreift ein Mann nie.«
In Kamillas Ton lag leichte Ungeduld.
»Na ja, dann werde ich mich also ankleiden.«
Sie nickte freundlich.
»Natürlich, Markus. Und um zwölf treffen wir uns. Ja?«
Seine Ausgelassenheit von vorhin war ihm peinlich. Kamilla hatte ihn sicher albern gefunden. Kamilla benahm sich nie so »verrückt«. Sie hatte viel mehr Würde als er.
Zwanzig Minuten später trat er in tadellosem, elegantem Promenadenanzug aus dem Ankleidezimmer. Er hielt sich etwas aufrechter als sonst, und führte Kamillas Hand flüchtig an die Lippen.
»Soll ich dir Geld lassen?«
»Wozu, Markus – ich habe ja meinen Scheck.«
Sie hielt ihm ihre Wange zum Kuß hin.
»Bist du bös?«
Es war wieder der bezaubernde Klang ihrer Stimme, der ihn willenlos machte, und sein ganzes Wesen zu ihr drängte.
»Nein, Kamilla, nein, gar nicht.«
Er küßte leidenschaftlich ihre Stirn, ihre Augen, ihren schönen, strengen Mund. Da lachte sie wieder, wehrend und ein bißchen von oben herab:
»Geh, geh, Markus, die Madonna wartet! – «
Er zog ihr scherzend die blauseidene Decke übers Gesicht. »Dann darf ich dich aber nicht sehen, sonst kann ich nicht fort!«
Und wirklich, er lief aus dem Zimmer, als fürchte er, nicht loszukommen, wenn der Blick ihrer grünen Augen ihn noch träfe.
Kamilla sah auf ihre kleine, goldene Reiseuhr, die auf dem Rokokonachttische stand.
Zehn Uhr.
Sie schlüpfte aus dem Bett, machte schnell Toilette und fuhr in die Rue du Bac zur Gräfin Résillac.
Die grobe Dienerin in der breiten, weißen Bäuerinnenhaube öffnete und begrüßte sie mit Wärme, aber ohne übermäßiges Staunen.
Auch die kleine grauhaarige, halbblinde Greisin mit den großen, aufgesteckten Seitenlocken, die ihrem Greisenantlitz ein Gepräge vornehmer Anmut gaben, nickte ihr zu, ohne von ihrem Kaminplatz aufzustehen, herzlich, aber ohne die geringste Überraschung zu zeigen.
»Hast du deinen Gatten nicht mitgebracht, mein liebes Kind? Wie schade! Wir müssen ihn alle kennenlernen, wir sind neugierig auf ihn.«
Kamilla fragte nach den einzelnen Bekannten. Es hatte sich in diesen wenigen Monaten nicht das mindeste verändert.
Die »Mühseligen und Beladenen« kamen nach wie vor, Hoffen und Trost aus dunklen Orakelworten zu schöpfen: Künstler, Musiker, Schriftsteller, Maler, die im Halbdunkel des weihrauchduftenden Zimmers, beim einlullenden Schnurren der Katzen und über dem Dampf des surrenden Teekessels hinweg dem »Tischgeist« verworrene Antworten entlockten, die ihre eigenen vibrierenden Fingerspitzen nach dem Takte ihres Herzschlages regelten. »Du schriebst, dein Mann sei sehr jung. Dein Wille, Kamilla, wird wohl der stärkere sein in der Ehe?«
Kamilla zuckte die Achseln.
»Ich weiß nicht, bonne maman. Mein Mann ist aus dem Norden, da denkt man so ruhig und klar, und wir Frauen haben es schwerer dort, als die Frauen in Paris.«
Ein anmutvolles Lächeln huschte über das alte Gesicht.
»Ja, mein Kind, ich weiß ... Wo der Gedanke herrscht, dient die Frau, wo die Sinne herrschen, dient der Mann!«
Kamilla fühlte eine merkwürdige Schläfrigkeit; wie Blei lag es ihr in den Gliedern, die Lider senkten sich ihr schwer auf die Augen.
»Wie heiß es bei Ihnen ist, bonne maman ...«
»Dein Blut ist heiß, dein Blut...! Armes Kind!«
Die Greisin erhob sich – eine zierliche, kleine Gestalt, in den weichen, schmiegsamen Falten eines weiten, schwarzen Gewandes. Ein Stückchen wertvoller schwarzer Spitze deckte das feine Köpfchen bis zu den großen, vorgesteckten Locken und fiel in breiten Enden herab auf die zarten Schultern.
Kamilla beugte sich über die schmale Hand und wendete sich zur Tür.
»Ja richtig, bonne maman ...«
Sie legte einen Fünfhundertfrankschein und fünf einzelne Hundertfranknoten auf den Tisch.
»Wollen Sie das von mir annehmen?«
Die Gräfin lächelte.
»Seitdem dein Vater plötzlich die Geldspenden eingestellt hat, ist es wenig, was ich tun kann für das große Elend der Menschheit ...«
»Mein Vater heißt jetzt Reimar Lukas,« sagte Kamilla stolz. »Das ist ein großer Name in meiner deutschen Stadt. Sie dürfen ihn nicht vergessen, bonne maman.« Die Gräfin Résillac schob die Geldscheine achtlos unter die leichte weiße Kaminuhr.
»Auch Könige gehen unter und große Reiche ...« murmelte sie.
Kamilla hörte es nicht mehr.
Unten warf sie sich in einen vorüberfahrenden Wagen. Der brausende, sonnendurchflutete Pariser Septembertag umrauschte sie mit pulsierendem Leben. Sie freute sich, Markus wiederzusehen, fühlte sich ihm näher als je bisher. Sein junges, übermütig-glückliches Lachen würde die einschläfernd tote Schwüle der letzten Stunde auslösen.
Sie konnte von weitem sein helles feines Profil durch die Glaswand der Terrasse von Marguery erkennen.
»Da bin ich!«
Sie sagte es mit strahlendem Lächeln und setzte sich ihm gegenüber, mit jener hübschen, koketten Geschäftigkeit sehr schöner und sehr geliebter Frauen.
»Na endlich!«
Es lag eine unterdrückte Verstimmung in seinem Ausruf.
»Ich warte beinahe eine halbe Stunde auf dich! Wo warst du denn so lange?«
»Bei der Gräfin Résillac war ich.«
»So ... bei der ...?«
Markus spielte nervös mit seinem Besteck.
»Warum hast du mir nicht gleich gesagt, daß du hingehst?«
Sie zögerte erst, dann gab sie ehrlich zu:
»Weil du mich vielleicht gebeten hättest, nicht hinzugehen!«
»Also du wußtest, daß es mir unangenehm war!«
Sie schwieg.
Markus fühlte sich plötzlich ganz unbeholfen einer neuen Situation gegenüber. Er fürchtete, lächerlich zu scheinen, wenn er eine Autorität geltend machte, die nur in seiner Stellung als Gatte lag.
»Wir wollen doch immer ehrlich zueinander sein, Kamilla ... Das Verschweigen ist so häßlich.«
»Verschweigen und – nicht sagen ist zweierlei,« warf sie lebhaft ein. »Ich mag nicht alles sagen. Das mußt du doch begreifen, daß man gerne sein Winkelchen für sich hat, und nicht plötzlich sein Inneres zu einer Passage macht, bloß weil man verheiratet ist. Im übrigen wollte ich dich bitten, die Gräfin mit mir zusammen zu besuchen.«
»Ich fühle mich nicht wohl in Gesellschaft von Narren und Schwindlern.«
Sie sah ihn groß an.
»Komisch bist du – «, sagte sie langsam. »So kleinlich ...«
Und sie blickte ihn an, als sähe sie ihn zum erstenmal.
Er aber verbarg seine innere Hilflosigkeit unter der Maske eisigen Gleichmuts. Nur eines war ihm klar: sie durften nicht lange auf Reisen bleiben. Das feste Gefüge der eigenen Häuslichkeit konnte sie allein das richtige Verhältnis zueinander finden lassen.
»Wollen wir nicht bald nach Berlin?« fragte Markus unvermittelt.
»Wie du willst«, antwortete sie kurz.
Im Hotel erwartete sie Kamillas Bruder.
Zum ersten Male schoß ihr eine tiefe, rote Blutwelle ins Gesicht, und sie sprang ihm an den Hals wie ein kleines Mädchen.
»Bernhard – wie kommst du her? Woher weißt du, daß wir da sind?«
Sie lachte und weinte und wußte vor froher Erregung nicht, wie sie vorstellen sollte:
»Markus ... mein Bruder, mein Mann Markus ... Lukas ... Du weißt doch, Markus, mein Bruder Bernhard.«
Die Schwäger schüttelten einander die Hand.
Bernhard war ein schlanker, großer Mensch, der »bildschöne Kerl«, dem auf der Straße alle Frauen nachblicken.
Er war etwa um zehn Jahre älter als Markus, und sah noch um etliche Jahre älter aus, als er wirklich war.
»Man schrieb mir nach Nizza, daß ihr herkommen würdet! Da habe ich mich denn aufgemacht, um euch in meinem Auto an die Riviera abzuholen. Es ist euch doch recht, was? Du siehst gut aus, kleine Schwester!«
Er fuhr ihr zärtlich über die schönen, hellbraunen Haare.
Markus konnte eine leise, eifersüchtige Regung nicht unterdrücken, als er Kamillas Augen sah, die so strahlend am Bruder hingen.
»Ein Auto hast du, Bernhard? Sollte Papa ...«
Er hielt ihr seine schöngeformte, braune Hand vor die Lippen.
»Psss ... Das sind Geschäftsgeheimnisse. Davon spricht man nicht mit kleinen Mädchen.«
Kamilla lachte.
»Bernhard und Geschäfte! Das ist einzig!!«
»O ja! Wie du mich hier siehst, bin ich Direktor einer großen Automobil-Aktiengesellschaft!«
»Verstehst du denn was davon??«
»Nein. Das ist ja aber auch gar nicht nötig.«
»Erlauben Sie«, fiel Markus ein, mit der Miene des ernsten Geschäftsmannes.
Aber Kamilla unterbrach:
»Werdet ihr euch wohl gleich duzen!«
»Na selbstverständlich!« Bernhard Rykert streckte Markus beide Hände entgegen. Markus lächelte gezwungen und ohne Wärme.
»Meine Stellung ist natürlich ein Übergangsstadium, wie so manches andere in meinem Leben. Prosperieren kann die Gesellschaft vorläufig nicht, aber ... solange es geht, geht's. Und geht's nicht, – geh ich.«
Markus Lucas lehnte sich etwas steif in seinen Sessel zurück.
»Wir wollten eigentlich nach Berlin fahren«, sagte er.
»Nein, nein, Markus, daraus wird nichts«, unterbrach der junge Rykert und legte seinen Arm um Kamillas Schultern. »Du wirst mir meine kleine Schwester doch nicht gleich vor der Nase fortfischen? Jetzt, wo ich sie nach so langen Monaten wieder einmal sehe?! Jetzt fahren wir mal erst nach Nizza und Monte – ohne dies keine Hochzeitsreise! Nicht wahr, Schwesterchen?«
Es lag so viel liebenswürdige Gewaltsamkeit im Klang seiner Stimme, daß selbst Markus sich ihr nicht entziehen konnte. Nur daß es ihn noch etwas zurückhaltender werden ließ, als sonst.
Den Abend verbrachte man zusammen in einem der eleganten Restaurants, und am nächsten Morgen ging's gemeinsam auf die Reise.
Kamilla verspielte in fünf Tagen achttausend Frank.
Sie sah nicht die herrliche Natur, nicht Markus' gequältes Gesicht. Sie saß am Roulettetisch und setzte, blind und taub für ihre Umgebung, auf die einzelnen Felder, wenn sie gewann, röteten sich ihre Wangen, verlor sie, – saß sie da wie eine Bildsäule und folgte nur automatenhaft den Geboten des Croupiers. »Kannst du mir etwas Geld leihen?« fragte sie ihren Bruder.
Der machte ein verlegenes Gesicht.
»Ich habe selbst verfluchtes Pech gehabt, – ganz verfluchtes Pech!«
Sie fragte ihren Mann:
»Markus, willst du mir ein paar hundert Frank geben?«
»Nein. Wir wollen morgen abfahren.«
Sie weinte die halbe Nacht in ihr Kissen, und Markus setzte sich schließlich zu ihr, nahm sie in den Arm und fragte sie leise tröstend:
»Wozu willst du denn Geld gewinnen? Hast du nicht alles, was du brauchst und viel, viel mehr noch?«
Sie antwortete nicht, schmiegte sich nur an ihn wie ein kleines Mädchen, das einen sehr großen Kummer hat und sich dieses Kummers schämt.
Am nächsten Tage sollten sie mit Bernhards Automobil die Rückreise antreten, aber Bernhard kam wie ein begossener Pudel an.
»Kinder ... dumme Geschichte ... wir wollen lieber mit der Bahn fahren ... Panne ...«
»So? Schade! ... Na, da ist ja nichts zu machen«, meinte Markus lächelnd.
Kamilla spielte nervös mit ihrem Taschentuch.
»Nein, nein, Markus ... keine Panne, wir haben ... Bernhard hat das Auto versetzt oder verkauft, ich weiß nicht. Wir brauchten Geld. Darum war ich ja so außer mir gestern!«
Sie setzte sich mit verschränkten Händen ans Fenster und wich Markus' Blick aus.
Eine tödliche Verlegenheit malte sich in seinem Gesicht, und er wendete sich an seinen Schwager:
»Das – ist unverantwortlich von Kamilla ... wirklich unverantwortlich. Wenn du ihretwegen diese Dummheit gemacht hast, so weiß ich gar nicht, was ich dazu sagen soll!«
Bernhard lachte.
»Aber ich bitte dich, Markus, mach doch keine Geschichten. So was gehört zu Monte Carlo – darum wollen wir uns kein graues Haar wachsen lassen!«
Markus holte seine Brieftasche heraus.
»Wieviel hast du Kamilla von dem ... von der ganzen Summe geliehen?«
»Unsinn, laß das doch, Markus!«
»Nein. Ich muß sehr bitten. Es ist mir unangenehm!«
Markus zählte mit einem gewissen Unbehagen seine Scheine durch. Der Gedanke, sich vielleicht vor der Zeit an seinen Vater um Geld wenden zu müssen, war ihm aufs äußerste peinlich.
»Zum Kuckuck, Markus, ich werde doch meiner Schwester ein Hochzeitsgeschenk machen dürfen! Oder willst du dich deshalb mit mir schießen? Pump' mir fünfhundert Frank, damit ich nach Paris komme – und fertig. So – und jetzt wollen wir dejeunieren gehen, Kinder, und uns die letzten Stunden hier nicht verbittern!«
Eine halbe Stunde später saßen sie alle drei bei ihrer »Henkersmahlzeit«, deren Rechnung Bernhard großmütig beglich.
Markus aber zählte die Stunden, die ihn von der Heimreise trennten.
Im Kupee schlummerte Kamilla ein. Die erschöpften Nerven forderten ihr Recht. Die Schwäger wechselten ab und zu leise ein Wort über die Rauchwolken ihrer Zigaretten hinweg.
»Ich freue mich, daß Kamilla einen anständigen Mann bekommen hat. Halt sie dir fest, Markus! Und wenn du ihr's ausgetrieben hast, das Rykertsche Blut, – wird's gut sein für euch. Es taugt nicht viel! Aber schlecht sind wir nicht – wir Jungen. Der Alte freilich – Na, du kennst ihn, Markus. Ein Blutsauger! Möchte die Geschäfte nicht machen, die er macht.«
»Wie meinst du?«
Markus saß ganz aufrecht in seiner Ecke, nahe der Tür und starrte Bernhard an.
»Keine Bange, Markus. Seit er in Bremen ist, läßt sich wenig gegen ihn sagen. Die Verbindung mit euch Lukas' lag ihm zu fest in den Knochen. Seit zehn Jahren umtanzt er euch, ohne daß ihr's merkt. Ein schlauer Fuchs! Ich sollte auch in Bremen bleiben, ein Bremer Fräulein heiraten, solide werden und achtbar durch meinen Herrn Schwiegerpapa. Ich hab's nicht können. Liegt mir nicht, das Heucheln und Muckern! Das kann er mir nicht verzeihen. Wie einen Hund behandelt er mich, wie er Kamilla auch behandelt hätte, wenn sie dich nicht genommen hätt'.«
Markus rieb die Handflächen aneinander und sah über den Gang hinüber durchs Aussichtsfenster.
»Wir wollen nicht darüber sprechen ... Laß das alles ... Ich habe Kamilla geheiratet ... nicht die Familie.«
Bernhard Rykert lachte leise auf.
»Kann ich mir denken!«
Dann wurde er wieder ernst.
»Die Mutter tut mir leid! Aber verstanden hat sie's nicht mit uns. Immer wie 'ne Gouvernante oder ein Gefängnisaufseher! Und die Güte und Liebe ist so tief drin in ihr vergraben, als schäme sie sich oder traue sich nicht.«
»Jetzt hast du ja eine Stellung«, sagte Markus nach einer kleinen Pause. »Das gibt dir doch Selbständigkeit.«
Bernhard Rykert zuckte die Achseln.
»Eintagsstellungen, mein Lieber! Glücksfälle, wie beim Hasardspiel! Weiter kommt man von da aus nicht – nur ein bißchen höher rauf oder tiefer runter! Gelernt habe ich nichts, arbeiten kann ich nicht, und wenn mich der gute Wille überkam, es mit beidem zu versuchen, schnitt mir der Alte den Lebensfaden ab.«
Er sprach's mit immer steigender Bitterkeit. –
In Paris trennte man sich.
Kamilla hatte große Tränen in den Augen, als sie Abschied vom Bruder nahm. Und als fühle sie sich verpflichtet, das zu entschuldigen, sagte sie:
»Er war der einzige, der mich wirklich lieb hatte.«
Dann mit einer leidenschaftlichen, heftigen Gebärde:
»Können wir denn gar nichts für ihn tun, Markus?«
Markus schüttelte langsam den Kopf.
»Nein, Liebe, das können wir nicht. Sein Weg geht abseits von unserem. Unser Helfen – wäre ihm keine Hilfe.«
Sie schlang ihre Arme um Markus' Hals und weinte bitterlich.
Zum ersten Male fühlte sie die Schwere ungeschriebener Gesetze, die undurchdringliche Scheidewand, die sich zwischen ihrer Vergangenheit und der Gegenwart aufrichtete.
Markus aber fühlte an diesem Weinen, wie wenig er ihr noch war, und wußte nichts anzufangen mit seiner großen Liebe.
In Köln, wo sie sich zwei Tage aufhielten, ereilte sie eine unerwartete, für Markus niederschmetternde Nachricht. Hans Lukas war plötzlich am Unterleibstyphus gestorben.
»... Gestern haben wir unsern Hans beerdigt. Mama erlaubte nicht, daß ich Eure Hochzeitsreise durch diese Unglücksbotschaft störe. Kommt jetzt nicht nach Bremen. Laßt der Mutter Zeit und Ruhe, den Schmerz um ihr geliebtes Kind zu verwinden. Schreibt ihr teilnehmend und wie es Euch ums Herz ist. Aber in wenigen knappen Worten. Wühlt nicht in fremder Wunde. – Alles Gute Euch beiden. Euer Vater.«
»Das ist ein trauriger Anfang«, sagte Markus. »Es ist der erste Schlag, der meinen Vater trifft seit dem Tode meiner Mutter, vierundzwanzig Jahre wolkenlosen Glücks ... das ist viel, Kamilla!«
Berlin brachte Ablenkung und Arbeit.
Sie stiegen in einer Familienpension ab, wo sie bleiben wollten, bis sie sich eingerichtet hatten.
Kamilla hatte auf eine größere Summe von ihrem Vater gerechnet. Aber sie fand in der Pension nur zwei Kisten vor, mit Vasen, wie Herrscher sie einander schenken, um sie dann in Prunkzimmern und Schatzkammern aufzustellen. Zu den Vasen gehörte mindestens ein großes Vestibül mit Freitreppe. Sie aber nahmen nur eine Wohnung am Savignyplatz. Kamilla zeigte die Vasen nicht einmal ihrem Manne und ließ sie gleich wieder in die Kisten verpacken.
Sie fühlte die kleine hämische Bosheit des Geschenkes und schämte sich ihrer.
Unter den Briefen befand sich auch ein silbergraues Kuvert mit schmalem schwarzen Rand, auf dem Markus sofort Ramins steile elegante Schrift erkannte.
»Ich erwarte Sie mit Freuden, mein lieber junger Freund, und hoffe recht bald, Sie und Ihre liebe Gattin bei mir zu begrüßen.«
»Er hat Trauer?« fragte Kamilla.
»Wahrscheinlich ist seine Mutter gestorben. Ich war als Knabe manchmal recht ungezogen gegen sie. Man ist so unduldsam als Kind.«
Kamilla lächelte.
»Nur als Kind?«
Er drückte sie an sich.
»Glaube mir, die starken Instinkte der Jugend sind nicht immer die schlechtesten.«
Am nächsten Sonntag bereits fuhren Markus und Kamilla zu Professor Ramin.
»Also das ist Ihre Frau?«
Professor Ramin hielt Kamilla seine beiden schlanken, nervigen Hände entgegen.
Ihre herbe Schönheit und der seltsam schwere Blick ihrer grünen Augen machten ihn aufmerksam.
»Sind Sie wirklich Bremerin, gnädige Frau?«
»Meine Großmutter war eine Französin, Herr Professor.«
»Ach so! ... Nun ist mir einiges erklärlich.«
Seine Blicke ruhten in aufrichtiger Bewunderung auf ihrem edelgeschnittenen Kameengesicht. Markus kannte diesen Blick von früher, wenn Ramin ein Kunstwerk betrachtete.
Und dann hatte Markus oft die Betrachtung unterbrochen mit der kindisch-ungeduldigen Frage: »Schön, nicht wahr, Herr Direktor, schön?«
Und diese Frage lag auch jetzt unwillkürlich in seinen Augen, und Ramin, der den Blick auffing, nickte auch jetzt, einer alten Gewohnheit folgend, und sagte lächelnd:
»O ja!«
In diesem Augenblick drückte jemand von außen auf die Türklinke.
»Ihre Frau Gem ...«
»Gemahlin« wollte Markus sagen, aber das Wort blieb ihm auf den Lippen hängen. Statt der erwarteten Gattin des Professors trat eine rosige, üppige Frau herein mit silbernem Scheitel und dem alten süßen Lächeln um den noch immer vollen Mund.
»Nein – wie reizend!« rief die Frau Hofprediger, »wie reizend!«
Die Jahre waren spurlos an ihr vorübergegangen. Sie war nur etwas kleiner geworden. Sonst sah sie aus, als hätte sie all die Zeit in einem Schrank gestanden und wäre unverändert wieder herausgenommen worden.
»O, mein lieber Herr Markus, – ich darf Sie doch so nennen? – was haben Sie uns für eine entzückend schöne Frau gebracht!? – Lassen Sie sich ansehen, mein Kind – ein Bild! ... Nicht wahr, lieber Paul – ein Bild!«
Sie drückte Kamilla in einen Sessel und tätschelte ihre Wangen.
Markus hatte eine ganz leise, peinliche Empfindung.
»Und Ihre Frau Gemahlin, Herr Professor?«
»Ich habe meine Frau vor etwa einem Jahr verloren«, antwortete der Professor kurz.
»Ach, fragen Sie gar nicht, lieber Markus, fragen Sie gar nicht – schrecklich!«
Frau Hofprediger seufzte sehr schwer und hob die Augen zur Decke. Aber ihr rosiges Gesicht blieb nach wie vor rosig und liebenswürdig.
Sie konnte sich gar nicht beruhigen über Kamillas Schönheit. Das war eine Sensation für Berlin! Sie hielt immerfort Kamillas Hände und fragte sie über alles Mögliche aus.
Markus unterhielt sich mit dem Professor über seine Pläne. Ramin versprach ihm all seinen Beistand, wollte ihn nach Kräften in seinem Vorhaben unterstützen.
»Gewiß, in zwei Jahren können Sie Ihren Doktor machen, wenn Sie sich 'ranhalten. In jungen Jahren kommt es nie zu einem Verarbeiten, sondern nur zu einem Bewältigen des Materials. In Ihrem Alter arbeitet man ganz anders! Und was sind Ihre Pläne für später?«
»Ich habe größere Studienreisen vor und hoffe mich dann hier als Privatdozent zu habilitieren.«
»Recht so, junger Freund! Wir brauchen frische Kräfte, die aus der Begeisterung heraus schaffen, denen unser Beruf mehr ist, als das tägliche Brot.«
»Was sagst du, Paul, Frau Kamilla hat bei der Marchesi in Paris Gesang studiert! Ich werde das junge Frauchen bei der Prinzessin Arnulf einführen! Meine Schwiegertochter war eine Schülerin von Leschetitzky in Wien. Wir haben einen prachtvollen Steinway – alle Sonnabend wird bei uns musiziert. Prinzessin Arnulf ist unser ständiger Gast, Busoni spielt öfters, Wüllner hat kürzlich bei uns gesungen und auch die kleine Staegemann, die sehr beliebt ist in der hiesigen Gesellschaft.«
Frau Hofprediger hatte jetzt auch ihren »Salon«. Die Prinzessin Arnulf war der Magnet, der alle anzog, die auf Umwegen etwas Hofluft erwittern wollten.
»Und wo wohnen die jungen Herrschaften jetzt?« fragte der Professor.
»Vorläufig in einer Pension. Aber wir richten uns gerade ein,« antwortete Kamilla. »Es ist eine schwere Aufgabe für mich, die ich fremd bin in der Stadt und Markus nichts Häßliches ins Haus bringen darf.«
»Wenn Sie Wert auf einige alte Sachen legen, so will ich gern in meinen Mußestunden Ihr Führer durch die Trödelbuden sein.«
»Sehr liebenswürdig, Herr Professor, ich danke Ihnen vielmals ...« Auf der Rückfahrt sagte Markus, indem er Kamillas Hand zärtlich in die seine nahm:
»Du wirst einen schweren Stand haben in der Gesellschaft als die Frau des Studenten Markus Lukas – meinst du nicht?«
Sie antwortete nicht, plötzlich fragte sie:
»Wie alt mag wohl der Professor sein?«
»Ich weiß nicht genau – ein hoher Vierziger, denke ich. warum?«
»Er erinnert mich an deinen Vater ...«
Markus nickte lebhaft.
»Ja, nicht wahr ... ich habe es schon als Kind manchmal empfunden ...«
Kamilla unterdrückte einen Seufzer und blickte nachdenklich in die rotgefärbten Blätter.
Herbst ...
Sie hatte den Herbst immer besonders geliebt. Ihr war es kein bleiches Absterben der Natur, sondern ein prächtiges Schmücken zum letzten sturmvollen Kampf.
Markus hatte vom nächsten Morgen ab viel allein zu tun. Er ließ sich einschreiben, belegte einzelne Kollegien und verbrachte ein paar Stunden beim Buchhändler.
Kamilla schrieb an ihren Vater und bat ihn um Geld. Der Entschluß war ihr plötzlich gekommen, wenn der Professor ihr wirklich beim Aussuchen einiger Gegenstände behilflich war, so wollte sie nicht eingeschränkt werden in der Wahl durch unzulängliche Mittel.
Markus war mit dem Brief nicht einverstanden.
»Ich möchte von deinem Vater kein Geld annehmen«, sagte er zögernd.
»Das nehme ja ich an, nicht du«, antwortete sie und – wartete auf den Geldbriefträger. Sie wollte erst einziehen, wenn die Wohnung vollständig eingerichtet war, aber Markus fand keine Ruhe zum Arbeiten in der Pension und drängte auf die Übersiedelung:
»Dann werde ich dich auch nicht quälen, Kamilla, dann kannst du dir alles einrichten, wie du willst.«
Aus Zartgefühl verschwieg er ihr, daß das Leben in der teuren Pension zugleich mit den Einrichtungskosten seinem Budget zuviel zumutete. Es war ihm immer peinlich, eine Geldangelegenheit mit Kamilla zu besprechen, fast unmöglich, ihr einen Wunsch abzuschlagen.
Statt des Geldbriefträgers traf eines Tages Rykert selbst ein. Markus war in der Universität, Kamilla stand ratlos in den halbleeren Zimmern und mühte sich, die wenigen Möbel sinnvoll zu verteilen.
Zum ersten Male freute sie sich, als sie die Stimme des Vaters hörte, begrüßte ihn lebhaft und trug ihm eigenhändig ein kleines Frühstück auf.
Rykert meckerte und lachte vor sich hin, zwinkerte mit den Augen nach allen Ecken des großen Speisezimmers und wiederholte immer:
»So so ... es geht dir gut ... Ja ... ja ... ich kann mir denken: Eine Lukas! ... Also es geht dir gut? Na ja ...«
Kamilla strich ihm die Brötchen und wartete geduldig.
»Eine Hausfrau bist du geworden ... so so ...! Na ja ... Der Name Lukas ist eine große Nummer hier in Berlin, nicht wahr? Brauchst nicht jedem zu erzählen, daß du Rykert heißt. Dein Großvater hat Felle verkauft in Dirschau. War ein ganz ordinärer Mann ... ja ... Gut ist die Butter hier – was zahlst du fürs Pfund?«
Kamilla saß wie auf Nadeln. Rykert legte sich den Holländer Käse in durchsichtigen Scheiben auf das Brot und lachte wieder vor sich hin.
»Ich dachte, Kamilla Lukas würde in einer Villa wohnen, draußen im Tiergarten. Wußte schon gar nicht, wie ich mit meinen einfachen Sachen am Leibe aufgenommen würde. Da kam dein Brief – Gott ist gnädig, dacht' ich mir, packte meine Handtasche, und – da bin ich.«
»Wie geht es Mutter?«
»Danke, Kindchen, wie soll's ihr gehn? Sie ist eine feine Dame, hat ihren schweren Stand mit mir grobem Manne, aber sie ist ein braves Weib.«
»Also du hast meinen Brief bekommen?« drängte Kamilla.
»Ja ... ja ... aber deswegen bin ich eigentlich nicht gekommen – ich mußte zu einem berühmten Doktor hier. Wegen der Nieren ... und auch so.«
Er sah übel aus. Sein blutleeres, weißes Gesicht hatte eine graue Färbung angenommen; die kleinen, listigen Augen lagen tief in den dunklen Höhlen.
»Na, ich kann doch nicht in Berlin sein, ohne meine vornehme Tochter zu besuchen, dachte ich mir. Hab' ich recht?«
»Ich bin noch gar nicht eingerichtet – du weißt ja.«
Auf alle erdenkliche Art suchte sie der brennenden Frage näher zu kommen.
»Na, jetzt muß ich wohl gehn, damit ich die Stunde einhalte. Willst mich begleiten?«
Auf der Straße gab es ein ungleiches Paar: die wunderschöne, hochelegante Frau, der häßliche, kleine Mann, fast schäbig gekleidet, mit der abgenützten Reisetasche. Und wie sie auf den Kurfürstendamm hinaustraten, fuhr eine vornehme Equipage an ihnen vorüber, in der die Frau Hofprediger neben der Prinzessin Arnulf saß. Kamilla grüßte befangen, Rykert blieb stehen, zog tief seinen Hut und buckelte.
»Vornehme Bekannte hast du, Kamilla ... Das freut mich. Ich sage ja – der Name Lukas öffnet alle Tore. Schade, schade...«
»Was ist schade?«
Kamilla hätte vor Ungeduld und Verzweiflung den kleinen Mann an ihrer Seite schütteln mögen.
Sie wartete im Empfangszimmer, während der Vater eine Stunde beim Arzt drinnen blieb. Als er herauskam, waren seine Backenknochen leicht gerötet, und seine Äuglein sprangen vergnügt funkelnd umher.
»Hast gewartet auf mich, gutes Kind? Du brauchst keine Angst zu haben. Es ist nicht schlimm. Nächstes Frühjahr soll ich nach Karlsbad. Schön, warum soll ich nicht nach Karlsbad fahren? Ich nehme deine Mutter mit, die wird sich auch gerne mal in der Welt umsehn. Wir haben's ja.«
Kamilla nahm einen großen Anlauf:
»Höre Papa ...«
Rykert sah auf die Uhr.
»Sapperment, ich muß zur Bahn. Ich will ja noch nach Chemnitz 'rüber. Na adieu, Kamillachen! Steig' in den Wagen, mein Kind, dort ... So ... Halt, Kutscher, halt ... ich bezahle Sie gleich. Was wird das ungefähr machen bis zur Kantstraße? So ... Grüß deinen Mann, mein Kind ... er soll sich nicht überarbeiten, es kommt ja doch immer anders! – Adieu ...«
Wieder zog er tief den Hut und klappte den Oberkörper ein über das andere Mal zusammen. Kamilla sah noch das hämische Grinsen seines grauweißen Gesichts, das listige Zwinkern seiner kleinen Augen – dann bog der Wagen um die Ecke, und sie ließ den Schleier vors Gesicht fallen, um die Tränen zu verbergen, die ihr unaufhaltsam aus den Augen stürzten.
Zu Hause erwartete sie Markus voller Unruhe. Das Mädchen hatte ihm gesagt, der Vater der gnädigen Frau wäre gekommen und mit der gnädigen Frau fortgegangen.
Kamilla fiel ihm schluchzend in die Arme.
»Liebste, was ist dir? So sprich doch ... Kamilla, sei vernünftig ... sag mir's doch.«
»Bis aufs Blut hat er mich gepeinigt, gefoltert, und dann hat er mich nach Hause geschickt wie eine Bettlerin ... Markus, ich hasse ihn, ich hasse ihn! ...«
Sie schmiegte sich immer fester in seine Arme.
Markus strich ihr das feuchte, wellige Haar aus den Schläfen und küßte sie leise, innig.
»Es ist besser so, Kamilla ... glaube mir, es ist besser!« Abends scherzte sie über die spärlichen Möbel, wollte nur ein paar Teppiche kaufen und bunte Kissen, um sie über die Koffer zu werfen.
»Das gibt dann ein orientalisches Zimmer, nicht wahr. Markus?«
Sie war nie so reizend, so hingebend und liebevoll gewesen.
... Am nächsten Morgen kam ein Bankbote und brachte Kamilla einen Scheck über vierzigtausend Mark, unterzeichnet: G. Rykert – – – –
Markus arbeitete mit Aufbietung aller seiner Kräfte. Er sah bald ein, daß er, wenn er wirklich sein Ziel erreichen wollte, sich von allem fernhalten mußte, was ihn von seinem Studium abzog. Darum war er beinahe froh, daß Kamilla sich ihre Tage nach eigenem Geschmack einteilte, merkte es nicht, daß sie wenig um ihn war, ihn kaum vermißte. Für ihn sollten diese zwei Jahre eine harte, schwere Übergangszeit zu einem langen Leben voll erlesenen Wirkens und Genießens bilden.
In diesem Sinne schrieb er auch an seinen Vater, der durch kein unbedachtes Wort das innere Gleichgewicht und die freudige Arbeitslust des Sohnes störte. Ungewohnte Sorgen und peinliche Ärgernisse kämpfte er allein durch, mit geduldiger, hoffnungsvoller Erwartung des Tages, da sein Sohn Erich und nach ihm – Heinrich einen Teil der Bürde von seinen Schultern nehmen würde.
Seine kleine, resolute Frau war etwas stiller geworden; den tiefen Kummer aber verschloß sie vor den anderen aus Rücksicht für die kraftvoll aufblühenden Kinder, denen kein Lächeln, keine mütterliche Freudigkeit fehlen sollten.
Und es lag ein feines Verstehen darin, daß keiner von den Gatten an dem Päckchen zerrte, das der andere mit sich herumschleppte, sondern ruhig abwartete, bis das Bedürfnis nach Aussprache sich von selbst in Worte umsetzte.
Seit Rykert in verwandtschaftliche Beziehungen zum Hause Lukas getreten, war Bremen aufmerksam auf den kleinen unscheinbaren Millionär geworden.
Man hatte ihn Jahre hindurch seiner Bescheidenheit wegen geduldet und den Anfängen seines Vermögens nicht nachgeforscht. Plötzlich war er jemand: der Schwiegervater des ältesten Lukas. Seine Millionen verdichteten sich in den sonst nüchternen Geistern der Bremer fast zu Milliarden.
Er wollte – Ehrenbürger der Stadt Bremen werden wie Reimar Lukas und beschenkte die Stadt in fast ungeschickter, aufdringlicher Weise.
Man nahm seine Geschenke an und dankte ihm in wundervoll abgerundeten Worten auf dickem Büttenpapier, mit dem Siegel der Stadt auf der rechten Seite.
Insgeheim machten sich die einen lustig über ihn, während die anderen sich ärgerten. Diese nahmen den kleinen, tänzelnden, grinsenden Mann unter die Lupe, verfolgten seinen Lebenslauf bis nach Danzig und weiter zurück bis nach Dirschau, bis in die kleine Landbude seines Vaters, der noch vor fünfzig Jahren mit einem Pack auf den Schultern von Berent bis Elbing jedes Dörfchen mit seiner Hucke aufsuchte, Bänder und glitzernde Kämme verkaufte, Geldgeschäfte vermittelte und Liebesbriefe austrug.
Erst verkaufte der junge Rykert in der Bude des Alten. Dann lief er davon mit dem Erlös einer ganzen Woche, trieb sich des Nachts in der Gegend herum, weil er fürchtete, auf der Bahn von der Polizei abgefaßt zu werden. Einen Monat später war er in Danzig Auslader am Schiff, aber weil er klein und schwächlich war, bat er um Kontorarbeit und bekam Briefe zu kopieren und auf die Post zu tragen.
Es ging kein Brief ab, den er nicht gelesen hätte. Er sammelte Kenntnisse und machte sich mit dem Geschäftsstil vertraut. Bald bot er seine Dienste als Korrespondent an, und es dauerte nicht lange, so rückte er vom Verladungsspeicher zum Bureau des Chefs auf.
Der Prokurist Rykert machte sich bald selbständig und übernahm eine kleine Reederei, die er auffallend schnell vergrößerte. Der fleißige, kleine Mann galt für ein Genie in Geschäftssachen, sein Glück war sprichwörtlich. »Ihr werdet's noch berufen!« meinte er und sagte es sehr laut und sehr oft. Im übrigen war er ein gefälliger Herr. Er hatte immer Geld frei, das er Leuten, die keines hatten, zur Verfügung stellte, wenn sie ihn darum baten. Freilich verlangte er die Einlösung eingegangener Verpflichtungen mit unerbittlicher Strenge. Man konnte ihm nie etwas nachweisen, da er das Geld zum üblichen Zinsfuße verlieh, aber mancher ging an Nebenvereinbarungen zugrunde, die sich allem entzogen, was Gesetze vorgesehen hatten. Da meldete der Telegraph den Bericht eines furchtbaren Schiffsunglücks. Sämtliche Waren und die ganze Besatzung waren untergegangen. Frauen und Kinder standen heulend und drohend vor dem kleinen Kontor der Brandgasse. Rykert saß wie gebrochen an seinem Schreibtisch und vergoß Tränen. Aber ein halbes Jahr später gab er seine erste Million zur Versteuerung an.
Ein paar Jahre später wiederholte sich das »Unglück«.
Rykert stiftete einen Fonds für Witwen und Waisen untergegangener Danziger Schiffer, trieb energisch seine letzten, ausstehenden Forderungen ein und verließ die Stadt, um sich mit seiner Frau und seinen zwei jungen Kindern in Bremen niederzulassen.
Dort machte er nur mehr Börsengeschäfte und galt nach wenigen Jahren als ein Führer des Produktenmarktes.
Hier war es, wo er mit Reimar Lukas das erste Mal zusammentraf.
Als er den jungen Markus kennen lernte, faßte er den Plan, ihm seine Tochter zur Frau zu geben. Er rechnete auf die Hilfskraft seiner Millionen, die dem an Kindern gesegneten Hause Reimar Lukas nur willkommen sein konnten.
Als Markus um Kamillas Hand anhielt, lächelte der kleine Mann zum erstenmal von oben herab über seinen vornehmen Nachbar, der sich so vertrauensselig in den aufgestellten Schlingen hatte einfangen lassen.
Dies Lächeln verging ihm, als Herr Reimar Lukas die ersten Schwierigkeiten machte, sich mit ihm in Bremen zu assoziieren. Je unlösbarer das innere Verhältnis des jungen Lukas zu seiner Tochter schien, desto dringlicher und deutlicher wurden Rykerts Bedingungen. Das machte den Kaufherrn mißtrauisch.
Mit kühler Ruhe wies Herr Reimar Lukas plötzlich jede geschäftliche Verbindung ab.
Wenn sie sich auf der Börse trafen, grüßten sie einander höflich und kurz. Zur Beerdigung von Hans Lukas war nur Frau Rykert gekommen, mit zwei großen Kränzen in ihrem Wagen.
Als sie Frau Lukas die Hand reichte, murmelte sie mit erstickter Stimme tröstend und würdevoll:
»Sie haben ja noch drei!«
Dann schritt sie mit starren, geröteten Augen und steifem Nacken zu ihrem Wagen.
Nach der Beerdigung zog der Kaufherr wieder ganz in die Stadt. Jeder Weg für Rykert war abgeschnitten. Und nur die Gerüchte über seine Vergangenheit drangen durch die Ritzen des alten, vornehmen Patrizierhauses und erfüllten den Herrn desselben mit Abscheu und leiser Beschämung.
Der trauliche Abend, den Markus nach Rykerts Besuch in stillem Glücksgefühl genossen, wiederholte sich nur selten.
Die ersten Wochen vergingen Kamilla im Einrichten der hübschen, modernen Wohnung, der sie in plötzlich erwachtem Kunstinteresse das Gepräge des »Persönlichen« geben wollte.
Der Professor hatte sein Wort gehalten, hatte sie öfters abgeholt, um ihr bei der Auswahl der Möbel und Kunstgegenstände behilflich zu sein. An der Seite bei Frau Hofprediger besuchte Kamilla Ramins Vorlesung.
Er war ein Opfer seiner Beliebtheit, seiner Nachgiebigkeit. Manchmal fühlte er das, fühlte seine eigene Entwertung in der gesellschaftlichen Zersplitterung, durch die seine Mutter ihn die äußere Ehrenleiter emporjagte.
Und wenn er den stillen, beharrlichen Ernst seines ehemaligen Schülers sah, dann überkam ihn manchmal eine Bitterkeit, die er vergeblich unter der Maske äußerer Ruhe und gesellschaftlicher Verbindlichkeit zu verbergen suchte.
Wenn er Kamilla vor dem Strudel des mondänen Lebens warnte, das jede neue Erscheinung wie einen Spielball weit sichtbar in die Höhe schleudert, um sie gleich darauf in seine Tiefe einzusaugen, dann sagte die Frau Hofprediger scherzend:
»Glauben Sie ihm nicht, liebes Kind, aus ihm spricht die Eifersucht des verwöhnten Alleinherrschers!«
»Wer ist diese wunderhübsche Frau?« fragte Prinzessin Arnulf nach der Vorlesung.
»Die junge Frau eines Schülers meines Sohnes«, sagte Frau Hofprediger.
»Ich würde sie gern einmal mit Ihnen bei mir sehen ...«
»Aber mit tausend Freuden!« ....
So wurde die junge Frau Lukas eines Abends bei der Prinzessin eingeführt.
Um sich Rückgrat zu geben, sprach Kamilla von ihrer Großtante, der Gräfin Résillac in Paris – der Nichte eines Orléans.
Prinzessin Arnulf hatte von ihr gehört ... ja ... ja ... Und man tuschelte sich kleine Histörchen zu.
»Haben Sie vielleicht einer spiritistischen Séance im Hause Ihrer Tante beigewohnt?« fragte die Prinzessin interessiert.
Kamilla zögerte mit der Antwort, dann sagte sie: »Gewiß, ich habe ja zwei Jahre bei ihr gelebt.«
»Quelle trouvaille! Mais elle est charmante, la petite!«
Das gar nicht hübsche, aber reizvolle Gesicht der Prinzessin strahlte. Am liebsten hätte sie gleich eine spiritistische Séance veranstaltet zwischen einem Walzer von Chopin und der Deklamation eines modernen Lyrikers. Seit der Schlaftänzerin Madeleine, gehörten spiritistische und hypnotische Experimente zum Programm einer echten Soiree.
Aber Kamilla weigerte sich.
»Schön, dann werde ich zu Ihnen kommen. Ganz allein. Ich freue mich schrecklich! So ein bißchen Tischrücken denke ich mir deliziös!«
Sie konnte ganz naiv werden, wenn ihre Sensationslust angeregt war, die kleine Prinzessin. Im übrigen war sie hochmütig und unberechenbar, liebenswürdig und von impertinenter Rücksichtslosigkeit.
Den Professor sah man am Dienstag niemals bei ihr. Da vertrat ihn seine Mutter.
Kamilla kam aus dieser ersten Gesellschaft sehr angeregt nach Hause.
»Du glaubst gar nicht, wie liebenswürdig man hier zu mir ist! Und weißt du, Markus, was so reizend ist? Gar kein Kastengeist. Da ist die Prinzessin Arnulf, die Frau Maler Evans, die Frau Bankier Messer, Frank Nehls, der berühmte Schriftsteller ... und alles verkehrt miteinander in harmlosester Unbefangenheit!«
»Ja, Kamilla, Geld nivelliert vieles. Das sind lauter sehr reiche Frauen!«
»Bin ich das nicht auch?«
»Nein. Augenblicklich nicht«, antwortete Markus gedrückt.
Sie küßte ihn auf die Stirn. »Ach, Markus, zerbrich dir doch nicht den Kopf damit. Ich habe mehr, viel mehr, als ich brauche!«
Markus ließ sich einschläfern durch die Stimme der geliebten Frau und fühlte nur das tiefe Glück, daß sie bei ihm war und blieb, bis er an ihrer Seite in das Leben hinaustrat.
Eines Morgens schickte Kurt Labisch zwei Logenplätze für das »künstlerische Theater«.
Markus schwankte, ob er hingehen sollte. Er fürchtete, aus dem Gleichmaß seiner Zeiteinteilung gerissen zu werden. Aber schließlich gab er Kamillas Bitten nach. Er wußte nicht, daß es mehr die Neugierde war, Enzlehn zu sehen, die aus ihr sprach, als der Wunsch, die neue Dichtung kennen zu lernen.
Er dachte, Kamilla hätte dasselbe Verhältnis zu seiner Vergangenheit, wie er selbst. Die starke und subtile Beobachtung, die er bei Frau Dr. Labisch gezeigt hatte, versagte ihm bei seiner Frau völlig. Er ahnte nicht, wie weit sie auseinander standen in ihrem Empfinden.
Im ersten Zwischenakt trat Enzlehn in die Loge. Ganz der Alte, nur mit schärfer markierten Zügen.
»Freue mich, Markus. Labisch sagte mir, daß er dir Karten geschickt hat. Gnädige Frau! ...«
Er verneigte sich tief und respektvoll vor Kamilla. Dann sprach er wieder zu Markus:
»Wie findest du das Haus? Nett, nicht? Willst du nachher nicht Kastanien guten Tag sagen? Er sitzt im Bureau und putzt sich die Nägel. Trebiner ist ganz ausgepumpt. War auch nie viel los mit ihm. Jetzt macht er Hypothekengeschäfte. Zu den Premieren kommt er immer im Frack, mit einer Blume im Knopfloch, wenn ich Geld brauche, schicke ich ihn auf Witterung. Witterung hatte er ja immer: für Literatur und für Geld. Witterung – das ist sein Talent. Ist überhaupt das einzige, was sich bezahlt macht im Leben!«
»Und Dr. Bresch?« fragte Markus, der unwillkürlich wieder drin war in der Vergangenheit.
Enzlehn lächelte ironisch.
»Bresch? Der hat ausgeborgt! Hat mir die kleine Rhoden weggeschnappt, hat sie der Sicherheit halber geheiratet und ein Kabarett eröffnet. Lebst du in Hinterpommern, daß du so gar nichts davon weißt?«
Markus knitterte nervös das Programm.
»Er hat ... die Rhoden geheiratet?«
»Tja ... keine schlechte Idee, mein Lieber. Können kann sie nichts, Geld hat sie, auftreten will sie – im Kabarett macht sie Furore, und der Titel ›Doktor‹ ist für einen Conférencier weniger abgebraucht, als der eines Barons. Such is life! Wollen wir nach der Vorstellung zu ihnen hingehen?«
»Nein. Das geht nicht. Ich bin mit meiner Frau.«
Enzlehn lächelte.
»Ach so ... na ja.«
Markus befürchtete ein Mißverständnis.
»Ich meine, das ist kein Aufenthalt für eine Dame.«
»Wir sind philiströs«, warf Kamilla mit leichtem Spott ein.
»Da sie bei Frau Messer verkehren, gnädige Frau, wird es wohl nicht so schlimm sein.«
Markus sah Enzlehn verdutzt an.
»Wieso, Karli? Darf meine Frau dort nicht verkehren?«
»Gewiß, darf sie. Man sieht dort jeden, es wird gejeut ...« Kamilla lachte gezwungen.
»Gepokert wird heutzutage in all diesen Häusern.«
»Gnädige Frau haben ganz recht, wenn ich nicht pokerte, könnte ich mir kaum den Luxus eines solchen Theaters leisten. Die besten Mäzene findet man unter seinen Partnern, das meiste Geld zwischen zwei Partien.«
Als sie später im Wagen saßen, fragte Lukas:
»Hast du dich am Poker beteiligt, Kamilla?«
»Alle Damen spielen, ich kann doch keine Ausnahme sein!«
»Es wäre mir lieb, wenn du eine wärest.«
Er streichelte ihre Hand.
»Mach mir doch die schwere Zeit nicht noch schwerer, Kamilla!«
Sie schob ihr weißes Spitzenkopftuch tief ins Gesicht.
»Das will ich ja nicht, Markus. Aber du mußt doch bedenken, daß es für mich ganz anders geworden ist, als es sein sollte.«
Er hielt seine Hände krampfhaft in den Taschen seines Mantels geballt und starrte in die Glühbirne des Automobils.
»Es ist auch anders, als ich selbst mir dachte«, entgegnete er hart.
Eine tiefe Bitterkeit erfüllte ihn. Der starke Duft, der von ihr ausging und den er so liebte, der seine Sinne immer wieder schmeichelnd und betörend umfing, war ihm zum erstenmal unerträglich. Er ließ das Fenster herunter und badete das Gesicht in der kalten, reinen Dezemberluft.
Kamilla hüstelte.
»Verzeih«, sagte er und hob das Fenster wieder hoch.
Dann saßen sie einander schweigend gegenüber am gedeckten Teetisch. Und weil dies Schweigen so furchtbar war zwischen ihnen, griff Markus zu einem Buch, das eine Armeslänge entfernt auf einem kleinen Tische lag, und Kamilla schnitt einen neuen Ompteda auf, von dem man gerade in den Berliner Salons sprach ...
Als Markus am nächsten Tage von der Hochschule kam, sah er eine elegante Equipage mit livriertem Bedienten vor dem Hause stehen. Im Entree flüsterte ihm das Mädchen zu:
»Eine Prinzessin ist gekommen.«
Markus unterdrückte ein Lächeln und ging ins Speisezimmer, um sich das Buch zu holen, das er gestern wieder auf den kleinen Tisch gelegt hatte. Das Buch lag in einer Ecke des Sofas, achtlos hingeworfen. Es ärgerte ihn, weil es köstliche Kupferstiche enthielt, und er mit guten Büchern achtungsvoll, wie mit sehr feinen, vornehmen Menschen umging.
»Wo ist denn der kleine Tisch?« fragte er das Mädchen, das an ihm vorbei in die Küche wollte.
»Die gnädige Frau hat ihn mit nach dem Salon genommen, als die Prinzessin kam.«
»Ach so... haben Sie was serviert?« fragte er zerstreut
»Nein, gar nichts ...«
Markus stutzte. Wozu hatte Kamilla den Tisch mitgenommen?
Er ging langsam hinüber in den großen, künstlich verdunkelten Raum, den Kamilla nach Ramins Angaben in schwerster Renaissancepracht eingerichtet hatte.
Die dicken Teppiche fingen seine Schritte auf, und sein Eintreten war so unerwartet, daß Kamilla, als sie ihn plötzlich in der auseinandergeschobenen Portiere erblickte, mit beiden Händen von einem hin und her schaukelnden Tischchen zurückprallte. Die Dame ihr gegenüber jedoch behielt ihre Finger breitgespreizt auf der runden Platte und rief:
»Aufpassen, Kleine, er fällt ja sonst!«
»Verzeihung«, sagte Markus.
Er stand da in seinem einfachen Hausrock, mit einem ziemlich niedrigen Kragen, wie er ihn beim Arbeiten zu tragen pflegte, und blinzelte mit seinen lichten, etwas kurzsichtigen Augen über die kleine, dunkelhaarige Dame hinweg zu seiner Frau.
»Mein Mann«, stellte Kamilla mit sehr verlegener Geste vor. »Die Prinzessin Arnulf, Markus. Du weißt ja ...«
Es war ganz abscheulich von ihm, daß er noch immer so erstaunt blinzelte, daß er so jungenhaft aussah in seinem niederen Kragen, und daß er gar nicht Miene machte, in seiner feinen, hübschen Art die peinliche Situation zu überbrücken.
»Ich habe die Ehre«, sagte er endlich.
Es klang eisig, direkt ungezogen.
Die Prinzessin wendete sich halb auf ihrem Stuhl um und lächelte herablassend und ein bißchen spöttisch.
»So ... so ... Herr Lukas? Sie kommen von der Universität, nicht wahr? Haben Sie wieder fleißig gelernt?«
»Zu viel, Durchlaucht, um an solchen Albernheiten Gefallen zu finden«, gab er mit derselben hoheitsvollen Impertinenz zurück.
Die Prinzessin erhob sich und streifte nervös ihre Ringe auf, die sie vor der »Sitzung« in eine große Kupferschale gelegt hatte.
»Aber doch nicht genug, um solche Albernheiten leicht zu nehmen.«
Markus stand immer noch an der Tür, als warte er nur darauf, daß die kleine boshafte Frau an ihm vorbei das Zimmer verlassen möchte.
Kamilla war fassungslos.
»Die Prinzessin war so gütig, sich meiner in der Gesellschaft anzunehmen«, brachte sie abgerissen vor, mit Tränen kämpfend.
»Ich habe da, scheint es, Ihrem Gatten vorgegriffen, was ich wirklich sehr bedaure ...«
»Das Bedauern ist ganz auf meiner Seite, Durchlaucht.« Die Prinzessin streifte langsam ihre dänischen Handschuhe über die beringten Finger und richtete ihre glänzenden, dunklen Negeraugen auf Markus. Der lange, blonde Mensch, mit dem jungen, bodenlos impertinenten Gesicht, fing an, sie zu interessieren. Einer Sensation, einer Originalität zuliebe opferte sie sogar etwas von ihrer Würde. Grande Dame blieb sie doch, auch wenn sie Kokotte spielte.
»Sie haben mir einen Spaß verdorben, Herr Lukas, – es ist kein Grund, mir auch meine gute Laune zu verderben. So – demokratisch man bei Ihnen in Bremen auch sein mag, einer Dame gegenüber hören die Standesunterschiede doch wohl auf!«
Markus verneigte sich respektvoll.
»Gewiß, Durchlaucht. Die Prinzessin Arnulf steht ebenso hoch wie Frau Markus Lukas!«
Die Prinzessin schwamm in einem Meer von Wonne.
»Sie haben einen entzückenden Mann, Kleine!« Und dann mit lebhaftem Funkeln ihrer dunklen Augen: »Lieber Herr Lukas, ich strecke die Waffen. Und ehe Sie mir Ihre wunderschöne Frau nicht selbst ins Haus bringen, will ich sie gar nicht wieder sehen!!«
Sie fuhr mit ihrer goldenen Lorgnette anmutig über Kamillas Wangen.
»Ohne Ihren Mann dürfen Sie mir nicht über die Schwelle!... Sie bringen mich doch zum Wagen, Herr Lukas?«
»Mit Freuden, Durchlaucht.«
» – kann ich mir denken!«
Und sie war jetzt unwiderstehlich in ihrer liebenswürdigen, espritvollen Häßlichkeit, mit dem malitiös-humorvollen Lächeln.
Auf der Treppe stützte sie sich auf seinen Arm. Etwas mehr vielleicht, als unbedingt notwendig gewesen wäre. Aber aus ihrem Vagen heraus schüttelte sie ihm fast kameradschaftlich die Hand:
»Auf Wiedersehen ... auf bald!«
Nachdenklich stieg er die Treppe wieder hinauf.
Auf der obersten Stufe holte er den Briefträger ein, der ihm einen Brief seines Vaters einhändigte.
Der Kaufherr schrieb, daß er das junge Paar zu Weihnachten gern in Bremen gesehen hätte, aber das mehr als gespannte Verhältnis mit Rykert ließe Kamillas Anwesenheit in Bremen nicht ratsam erscheinen. »Ich möchte für den Augenblick jedes Hin- und Herspinnen der Fäden zwischen Rykert und uns vermeiden, auch im Interesse deiner Frau, die sich dann leichter dem Geiste unseres Hauses anpassen wird.«
Der Brief war für Markus eine große Enttäuschung. Er hatte gerade auf die ernste, gehaltvolle Atmosphäre seines Vaterhauses gerechnet, um Kamilla ganz für sich zu gewinnen.
Er fühlte, wie sie ihm hier immer mehr entglitt, und wußte nicht, wie er sie halten sollte in ihrer seltsamen, passiven Eigenwilligkeit.
Einmal, da er zu Fuß über den Kurfürstendamm nach Hause ging, traf er sie, Arm in Arm mit der Frau Hofprediger, wie sie auf die elektrische Haltestelle zugingen. Er sah von weitem Kamillas Gesicht, angeregt und leicht vom Frost gefärbt, so liebreizend und liebenswürdig zugleich, wie es sich ihm nur selten zeigte.
Die Frau Hofprediger hielt gerade eine ihrer längeren Reden, erzählte ihr von ihrer verstorbenen Schwiegertochter.
»Mein liebes Kind – diese norwegischen Damen: – ungeheuerlich! Diese Selbständigkeit, diese Arroganz! Meine Schwiegertochter war ja aus vorzüglicher Familie und auch recht vermögend; trotzdem glaube ich nicht, daß mein armer Sohn sein Glück dabei gefunden hat! Da ist eine stürmische Liebesehe doch noch vorzuziehen... oder nicht?«
Ihre neugierigen blauen Augen lachten die junge Frau schelmisch an. Kamilla seufzte.
»Tja... mein liebes Kind! Unser lieber Markus ist noch jung... sehr jung. Das ist dann schwer! Da sind noch so viel himmelstürmende Ideale und so viele Schroffheiten und Ansprüche. Schade, schade... So ein Schwiegertöchterchen wie Sie – das – das hätte mir gut gepaßt!.. «
Die Frau Hofprediger dachte an die Rykertschen Millionen, die brach lagen, und dachte weiter: »Wer weiß, ob Kamillas Ehe lange dauert?...«
»Ah... wenn man vom Wolf spricht...«
Sie begrüßte Markus mit viel Innigkeit. Markus zwang sich zu einem kurzen Gespräch und war froh, als die Elektrische kam, und er der liebenswürdigen Dame hineingeholfen hatte.
Kamilla aber empfand sein steifes, gespreiztes Wesen als eine persönliche Beleidigung.
Er fragte:
»Wie kommst du denn jetzt mit der Frau Hofprediger zusammen?«
»Sie hat Besorgungen in der Stadt gemacht, da habe ich sie begleitet, warum fragst, du?«
»Ich habe sie eigentlich nie recht mögen...«
»Du magst niemanden, mit dem ich verkehre! Du nimmst mir jede Freude an den Menschen.«
»Vielleicht, weil ich sie besser kenne, als du!«
Er sprach ohne jede Schroffheit, ohne jede Härte. Aber er fühlte, wie jedes Wort, das er sagte, sie gegen ihn aufbrachte.
»Was hast du gegen mich, Kamilla? Was soll ich tun?«
Er faßte sie unter und fragte es leise und liebevoll.
Sie zog die Brauen zusammen und senkte den Kopf auf ihren schwarzen Krimmermuff mit dem duftenden Veilchenbukett.
»Warum willst du dich nicht mit meinem Vater assoziieren?«
Sie blieb stehen und sah ihm gerade in die Augen.
»Es geht nicht, Kamilla, wirklich ... es geht nicht.«
Er suchte sie mitzuziehen, aber sie wich nicht vom Fleck.
»Das ist keine Antwort.«
Es quälte ihn, daß sie so herzlos in ihn drang, wo sie den Grund doch ahnte.
»Sei doch vernünftig, Kamilla ...«
Sie lachte kurz auf und löste ihren Arm von dem seinen.
»Dasselbe könnte ich dir sagen.«
Sie riß mit beiden Händen an dem kleinen Taschentuch, das sie im Muff verborgen hatte. Ohnmächtiger Zorn erfüllte sie.
»Wie Bettler müssen wir leben, weil du so unerhört eigensinnig und verstiegen bist.«
Markus verfärbte sich.
»Wieso verstiegen, Kamilla?«
Sie lächelte ironisch.
»Ich möchte wissen, warum du dir so viel auf deinen Namen einbildest. Lukas ... was ist Lukas? ... Hier in Berlin, meine ich? ... hier ist's doch ein Name, wie tausend andere auch! Ich glaube, die Prinzessin Arnulf bildet sich weniger auf ihren Titel ein, als du auf deinen Namen.«
»Mag sein, Kamilla. Sie führt den Titel auch ohne persönliches Verdienst. Den Namen Lukas haben vier Generationen in schwerer, ehrlicher Arbeit erst zu dem gemacht, was er ist! Das ist der Unterschied. Erstens. – Zweitens habe ich meinen selbstgewählten Beruf! Den lasse ich mir durch kein Geld abkaufen, am wenigsten aber durch ein Geld, dessen Ursprung auf Geschäfte zurückzuführen ist, die wir – unsauber nennen. Ich hoffe, diesmal hast du mich verstanden. Verzeih, wenn ich deutlicher geworden bin, als dir lieb ist.«
In seiner heißen Erregung sah er nicht, wie Tränen ihren Blick verdunkelten, wie ihre Hand sich ausstreckte nach ihm. Er eilte voraus, um sich selbst jedes weitere Wort abzuschneiden, ohne sich nach ihr umzusehen.
Und so kam es, daß sie ganz allein auf dem schneebedeckten Savignyplatz stand, während er in schnellem Tempo zur Wohnung emporstieg.
Sie wollte etwas zur Ruhe kommen, ehe sie ihm wieder gegenüber trat, und ging nach der Kantstraße zur Bank, um einiges Geld zu erheben.
In der Bank gab man ihr zweihundert Mark und machte sie flüchtig darauf aufmerksam, daß ihr Konto hiermit erschöpft sei.
»Wirklich, gar nichts mehr?« fragte sie erschreckt.
»Gar nichts, gnädige Frau. Sie müssen ja die Belege zu Hause haben.«
Kamilla legte die Scheine in ihre goldene Tasche. Ihre Hände zitterten. Nun mußte sie wieder kriechen und betteln und auf die Gnade des Vaters hoffen. Bis dahin aber – , wie sollte sie es durchhalten? Das Monatsgeld, das ihr Markus gab, war längst ausgegeben, und diese zweihundert Mark deckten kaum die dringendsten Rechnungen. Auch hatte sie noch ein paar kleine Spielschulden – zusammen dreihundert Mark. Die mußte sie morgen bezahlen, wenn sie zur Messer ging. Sie konnte doch nicht gerade morgen ausbleiben – wie sah das aus?