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Es war Ende Februar. Der Mondwechsel brachte Tauwetter. Es tropfte von den Dächern und schmolz über den letzten Fleischstücken. Die Mahlzeiten wurden wieder schmal, aber zum eigentlichen Hungern kam es nicht mehr. Bären, Hasen, Dachse, Hirsche, wilde Enten und Gänse, alles regte sich wieder neu. Auf die lange Zeit des Frostes folgte ein früher und warmer Lenz, dessen erste Boten schon im März überall die grünen Häupter erhoben. Viele Kräuter, die die Indianer wie Gemüse zu essen pflegen, kamen neben Bärenfleisch und Entenbraten auf den Tisch.
So verging der März, fröhlich ausgefüllt mit Jagd und Unterhaltung. Manchen Puma, manche Klapperschlange brachten unsere Freunde nach Hause, manch feister Bock wurde mit Hurra von den Knaben in das Dorf geholt. Endlich, im Anfang des Monats April, kamen die ausgesandten Kundschafter von allen Seiten zum Häuptling zurück und noch dazu mit guter Botschaft – von den Krähen und Dakotas war keine Spur gesehen worden.
Everett jubelte, aber der Trapper wiegte besorgt den Kopf. »Dahinter steckt irgendeine Kriegslist,« sagte er. »Je weniger wir von ihnen hören, desto gefährlicher ist die Sache.«
»Pah, Alter, diesmal seht Ihr Gespenster!«
»Wollt Ihr mich die roten Gesellen kennen lehren, Sir? – Ich weiß, was ich sage. Diesem Verschwinden liegt eine Teufelei zugrunde.«
Seine schlechte Stimmung blieb indessen auf die anderen ohne Einfluß. Es regte sich alles, draußen in der Natur und drinnen in den Häusern, die Schwarzfüße wollten aufbrechen, um an den tiefer liegenden Jagdplätzen ihre Sommerzelte zu erbauen, die jungen Leute sehnten sich nach der langen Gefangenschaft mit Macht hinaus in die Welt, und selbst das träge fließende Blut der erbitterten Pelzhändler schien etwas schneller die Adern zu durchkreisen.
So kam die letzte Nacht heran. Erst spät, nachdem unsere Freunde ganze Ballen gebratenen Fleisches zusammengeschnürt, das Sattelzeug nachgesehen und sich in den verschiedenen Häusern von den Freunden verabschiedet hatten, begaben sie sich zur Ruhe. Nur Jonathan wachte noch, während der Gelbe Wolf schon fest schlief.
Im Dorfe regte sich kein Laut, alles ruhte nach des Tages Mühen, und über das ganze friedliche Heim goß der Mond seinen weißen Schimmer. Da teilte eine Männerhand leise die Vorhänge aus Büffelfellen, und in den mittleren Raum der Häuptlingswohnung trat eine gebückte zerlumpte Gestalt mit langsamem Schritt bis an das Feuer, wo sie nach Bettlerweise neben der Asche am Boden kauerte und von dem Fleisch im Topf zu essen begann.
Dann nahm er den Tomahawk und legte ihn neben sich. Geräuschlos wie eine Schlange glitt der Trapper vom Bett. Jetzt stand er aufgerichtet hinter den Vorhängen, die die indianischen Lagerstätten vom Mittelpunkt der Wohnung abschließen. Der Fremde führte Böses im Schilde, das ahnte Jonathan.
Plötzlich schlich der Unbekannte, den Wurfhammer in der Rechten, zur Lagerstätte des Trappers. Er teilte geräuschlos die Vorhänge und hob den Arm zum wuchtigen Schlage.
Im selben Augenblick packte ihn Jonathan. Der Tomahawk sauste herab und traf die Stelle, wo der Kopf des Schlafenden zu ruhen pflegte.
»Dachte ich es doch, du Halunke!« rief der erbitterte Mann. »Warte, das soll dir teuer zu stehen kommen!«
Seine lauten Rufe weckten die übrigen, aber ehe diese ganz munter waren und aufspringen konnten, hatte sich der Fremde mit der Kraft der Verzweiflung aus seinen Fäusten befreit und war dem Ausgang zugeeilt, wo er zwischen den Hütten verschwand.
Wie die wilde Jagd stürmten im Mondlicht fünf Männer dem Flüchtling nach über das offene Feld. Vor ihnen lag der dunkle Wald. Würde es gelingen, in der Finsternis zwischen den Bäumen den Verräter zu ergreifen?
Da stand dieser plötzlich mitten im Laufe still, kehrte sich um und zeigte allen sein höhnisch lächelndes Gesicht.
»Der Fliegenfänger!« rief Hugo, »bei Gott, er ist es!«
Auch die anderen erkannten den verkommenen Schippewäer, den der Stamm verstoßen hatte, sie verdoppelten die Schnelligkeit ihres Laufes.
Der Schippewäer stand still.
»Hugh?« rief der Gelbe Wolf. »Er uns in Hinterhalt locken!«
»Vorsichtig! Vorsichtig!«
Jetzt lagen zwischen dem Verfolgten und den Verfolgern noch höchstens fünfzig Schritte. Da erklang plötzlich von den Lippen des ersteren ein lautes, gellendes Kriegsgeschrei, und mit einem einzigen Satze, laut lachend, sprang der Schippewäer in das Dickicht.
Die Verfolger berieten. »Ihm nach!« rief Everett, »ihm nach! Wir dürfen den Schurken nicht entkommen lassen!«
»Aber er ist nicht allein!« warnte Jonathan. »Sein Ton klang siegesgewiß, er hat Freunde hier herum versteckt!«
»Wir wiederkommen mit ganzem Stamm!« rief erbittert der Gelbe Wolf. »Ihn fangen müssen, oder er uns verraten an Krähen.«
»Laßt uns doch erst einmal erfahren, ob wirklich mehr Feinde im Gebüsch stecken!« rief Hugo.
Die Bestätigung dieser Vermutung sollte indes nicht lange auf sich warten lassen. Ein plötzlicher Hagel von Pfeilen schlug vor und neben den Weißen in die Erde, einer traf sogar den Mantel des Gelben Wolfes und durchbohrte ihn.
So galt es denn, Deckung zu suchen. Ein nahe gelegener Hügel bot den Bedrohten einen Zufluchtsort, in dessen Schutz sie langsam rückwärts gehen und ohne Gefahr die nähere Umgebung des Dorfes wieder erreichen konnten. Bebend vor Zorn hob der Gelbe Wolf die geballte Faust. »Wir wiederkommen!« knirschte er. »Dies Schwarzfußgebiet!«
Der Trapper schien anderer Meinung: »Es ist drüben alles ruhig, Sagamore,« sagte er, »schau hin, nichts regt sich! Die da versteckt sind, können nur wenige sein, sonst würden sie uns nachsetzen, um uns zu töten.«
»Hugh! – Weshalb aber herkommen?«
Nun erzählte der Alte die Geschichte des nächtlichen Überfalls. »Es ist ganz klar,« sagte er, »die Krähen haben den verlumpten Patron gedungen, sich als Spion in unser Dorf zu schleichen und alles, was die Abreise, den einzuschlagenden Weg und die Anzahl der Krieger betrifft, zu erspähen. Als hauptsächlichster Zweck aber galt meine Ermordung. Ohne den alten Trapper war die führerlose Schar besser zu überrumpeln.«
Im Innersten erschüttert, kehrte die kleine Schar zum Dorfe zurück. Noch vor Tagesanbruch hatte Jonathan erfahren, daß sich der fremde Bettler mehrere Tage und Nächte im Schutz der Schwarzfußhütten aufgehalten hatte.
»Reisen wir unter diesen Umständen noch?« fragte einer der Weißen. »Es geht dann ja direkt wieder in den Kampf hinein!«
»Das läßt sich nicht ändern, Sir. Wir reisen sogar je eher desto besser. Einmal muß es durchgefochten werden, so oder so; dieser Zustand ist unhaltbar.«
Bei völlig hellem Tageslicht rückte eine Anzahl Krieger unter Führung des Gelben Wolfes aus, um die Umgebung des Dorfes zu untersuchen; aber kein Feind, keine Spur eines solchen wurde gefunden. An der Stelle, wo der Fliegenfänger verschwunden war, zeigte sich nicht das geringste Merkmal.
»Nur Streifpartie,« murmelte der Gelbe Wolf, »Kundschafter, Krieger nicht in Nähe, sie Boten schicken, weiter nichts.«
Und er ließ die Hälfte seiner Leute ausschwärmen, um alle Anhöhen der Umgebung zu besetzen, alle Bäume von Bedeutung zu erklettern, jeden Schlupfwinkel zu durchspähen. Von vier Seiten war nun der Weg, den die Reisegesellschaft gehen mußte, überwacht und gleichsam eingeschlossen, unvorbereitet konnte wenigstens das Heer der Schwarzfüße nicht angegriffen werden.
Gegen Mittag kamen aus Osten die Punkahs und aus Süden die Schippewäer. Der neue Häuptling der Punkahs, die Antilope, wurde seinem Range gemäß von den Schwarzfußhäuptlingen empfangen, auch Schwalbe erhielt bei diesen Förmlichkeiten den ihm gebührenden Anteil, und darauf folgte die unvermeidliche Beratung. Keiner der Neuangekommenen hatte im Walde oder auf der Prärie irgend etwas Verdächtiges gesehen.
»Sie kennen unsere Stärke und scheuen sich,« sagte Jonathan.
»Aber doch hinter uns bleiben, kommen wie Fuchs und Wolf, wenn Gelegenheit günstig.«
Die Häuptlinge entschieden sich für sofortigen Aufbruch, und so wurde der Befehl zum Aufsitzen gegeben. Nun kam die Abschiedsstunde, und in den Herzen der Fortziehenden gewann unter dem Druck der ernsten Verhältnisse das Gefühl einer tiefen Wehmut die Oberhand. Wie lange und innig sah das alte Mütterchen in des geliebten einzigen Sohnes Augen, wie fest hielt sie seine wetterharte Hand zwischen den ihrigen.
»Du wiederkommen in Hütte von Mutter?« fragte sie mit bebender Stimme. »Immer denken an Tag, wo Fliegender Pfeil auszog und ging ins Land von Großem Geiste – immer daran denken heute – Vater und Sohn sich sehr ähnlich, oft meinen, sehen toten Mann vor mir an Feuer stehen.«
Der Gelbe Wolf lächelte freundlich und küßte sie zärtlicher als sonst. »Das alles so werden, wie Großer Geist wollen,« sagte er leise. »Mutter ihn bitten, daß er Häuptling beschützen.«
Dann wandte er sich ab, er wollte die Mutter nicht in seinen Zügen lesen lassen. »Da Wi-ju-jon und Bleichgesichter,« sagte er etwas erzwungen, »sie auch Abschied nehmen!«
Und er drängte den alten Trapper vor. Merkwürdig, wie ihn heute die vier Wände beengten; seine Stirn glühte.
»Wi-ju-jon,« schluchzte leise die Alte, »guter Bruder bei mir bleiben, mit armer, alter Frau tragen, was Großer Geist schicken!«
Der Jäger drückte ihre Hände. »Die Weiße Lilie muß nicht gleich das Schlimmste fürchten,« versetzte er tröstend. »Noch sind wir wohlauf – leb' wohl, leb' wohl!«
»Lebt wohl, Mairöschen und Goldkäfer!« sagte Everett, »lebt wohl, alle, ihr lieben Menschen, Gott behüte euch!«
»Nun Uhu wieder zu Mutier kommen! Er froh? – Aber nicht ganz vergessen Schwarzfüße! Das wollen?«
»Nie werde ich euch vergessen, ihr treuen Herzen! Gott beschütze euch!«
Auch Bob wurde mit freundlichsten Worten entlassen, und etwas später saß die ganze Schar im Sattel.
Noch einmal trat aller indianischen Weise zum Trotz die alte Frau an das Pferd ihres Sohnes und ergriff seine Hand. »Mutter für Häuptling beten!« schluchzte sie kaum verständlich.
Der Gelbe Wolf erwiderte voll Liebe ihren Blick, dann winkte er den beiden jungen Mädchen und sprengte dem Heere voran, indes seine Schwestern die halb ohnmächtige alte Frau in das Haus zurückführten.
Nach zehn Minuten waren die friedlichen Dächer des Dorfes den Blicken entschwunden. Vorwärts ging es, dem ungewissen Schicksal entgegen. Ein Blick auf die stattliche Reiterschar mußte notwendig den sinkenden Mut wieder heben! Beinahe achthundert tapfere Männer folgten auf stolzen Rossen ihren Anführern, ein Kreis erprobter Kundschafter umgab das Heer, und jeder Bericht dieser Männer lautete: Alles ruhig! Kein Feind in der Nähe.
Am Abend wurde ein sicheres Lager bezogen, ohne Feuer und Geräusch. Jonathan flüsterte mit dem Sohne seines Bruders. Sie berieten, was zu tun sei, sie setzten den Plan des folgenden Tages in allen Einzelheiten fest, und erst nachdem sie sich von der Wachsamkeit der ausgestellten Posten persönlich überzeugt hatten, legten auch sie als die letzten das sorgenschwere Haupt auf die Büffeldecke.
Hell vom Himmel glänzten Mond und Sterne, eine laue Frühlingsnacht breitete über die Schläfer ihre Fittiche, Stunde um Stunde verrann, der neue Morgen zog golden und rosig herauf, ohne daß auch nur ein ungewohnter Laut die Stille ringsumher gestört hätte.
Heute wurden die Wachen verdoppelt, und als der Fluß in Sicht kam, einige tüchtige Schwimmer ausgeschickt, um die Ufer zu beobachten. Der Gelbe Wolf war auch dabei. Er kroch in jedes Weidengebüsch, besah und befühlte jede Pflanze, selbst das Schilf wurde auseinandergebogen und hier und da der jenseitige Strand durchforscht, aber nichts Verdächtiges ließ sich entdecken, und deshalb machten sich alle wieder auf den Weg. Der Fluß ging weiterhin über in einen breiten See, dann teilte er sein Bett in zwei verschiedene Arme, deren einer nach rechts, dem tieferen Tal entgegenrollte, während der andere, plötzlich vorspringend, die Reiter zwang, einen großen Bogen zu beschreiben und mit dem Ritt durch die Prärie Stunden einer kostbaren, unersetzlichen Zeit zu verlieren.
Als die einzige seichte Stelle des Wassers glücklich passiert war, wurde es in den Reihen der Krieger immer stiller. Hinüber mußten sie, es gab nur diesen einen Weg.
So in unmittelbarer Nähe des Gebirges, gleichsam unter den Augen der heimtückischen, versteckten Feinde ging es mutig vorwärts. Sie schwiegen wie auf Verabredung, aber jede Hand griff zur Waffe, in jedem Auge glühte trotzige Entschlossenheit.
Etwa acht Stunden waren nötig, um das Gebirge mit den Pferden zu überklettern. Alle Krieger führten die Pferde am Zügel, alle hielten in der Rechten den Wurfhammer, um gegen einen Angriff gerüstet zu sein.
Schritt um Schritt drangen die Verbündeten gegen das Innere des Gebirges vor, überall führten Schlupfwege zwischen Felsblöcken dahin, überall gähnten Schluchten und Abgründe, unübersehbar dehnten sich wildzerrissene Gebirge und Wald, Wasserfälle und tiefe, dunkle Höhlen, aus denen Getier der verschiedensten Art hervorbrach – Menschen oder Menschenspuren aber wurden nicht gesehen.
Doch halt! War dort nicht ein wildes braunes Antlitz mit Kriegsmalerei und Federschmuck zu sehen? Es schaute aus dem Spalt hervor. Everett sah es. Er heftete den Blick unverwandt auf die Stelle, wo ihm das braune Gesicht aus dem Felsen hervorzulugen schien. War es nur eine Sinnestäuschung, oder war es Wirklichkeit? Er wußte es nicht, und um sich vor den Freunden nicht lächerlich zu machen, als sei er ein Phantast, schwieg er über die seltsame Erscheinung; aber sein Herz klopfte doch gewaltig.
Stunden vergingen. Everett lagerte an Bobs Seite, ein klein wenig weiter gegen den offenen Weg der Trapper. Sie wachten alle drei. Auch in Hugos Augen war noch kein Schlaf gekommen, aber dennoch schwieg jeder von ihnen.
»Und wenn sie doch hier wären,« dachte wieder und wieder der Neuyorker. »Wenn meine Verschwiegenheit uns allen den Tod brächte?«
Schon war er im Begriff, aufzuspringen und Lärm zu schlagen, da ertönte aus einiger Entfernung, halb gedämpft, der Schrei der großen braunen Eule. Everett sah, wie neben ihm Bob jäh zusammenfuhr und den Kopf erhob. Da schrie die Eule zum zweiten Male, und nun wandte sich Bob geräuschlos wie eine Schlange, um von einem seiner Kameraden zum anderen zu sehen. Schliefen sie sämtlich?
Everett hielt die Augen geschlossen, er atmete kaum.
»Sir!« flüsterte Bob.
Der Neuyorker schien nicht zu hören.
Da glitt Bob vom Lager unhörbar in den Schatten der Bäume. Auf jedem Schritt sah er zurück, dann brachte ihn ein schneller gewagter Sprung aus dem Bereich seiner Gefährten. Er war fort, dem zweimal gehörten Schall entgegen. Everett hob den Kopf, etwas von ihm entfernt tat Hugo im selben Augenblick das gleiche. Von einem Gedanken beseelt, sahen sie einander an. Keiner sprach eine Silbe, aber auf den beiden leichenblassen Gesichtern lag der gleiche Ausdruck des Entsetzens, der ratlosen Bestürzung.
Everett berührte den Arm des schlafenden Trappers, und als Jonathan erwachte, zeigte ihm eine Fingerbewegung, daß höchste Vorsicht geboten sei. Der alte Jäger nahm Messer und Bogen, er war viel zu sehr der Sohn der Wildnis, um durch das leiseste Geräusch dem ihm noch unbekannten Vorhaben des jungen Mannes zu schaden; schweigend folgte er den beiden voranschleichenden Weißen. Was es auch gab, er wollte dabei sein. Im Vorübergehen streifte er den Schippewäer. Lautlos erhob sich die dunkle Gestalt. Leise, Schritt um Schritt gelangte die kleine Schar zu jener Ecke, an der Bob so plötzlich verschwunden war.
Hinter dem Felsen war es auf einer Seite des Weges stockfinster, auf der anderen hell beleuchtet. Bob stand wie eine Bildsäule in geringer Entfernung. Er regte kein Glied.
Auch die Verfolger stockten. Sie sahen etwas weiter hinaus zwischen den Felsen eine zweite menschliche Gestalt, und diese winkte mit beiden Händen ihrem Genossen. Jetzt hob auch Bob die Arme, schüttelte den Kopf und vollführte abwehrende Bewegungen.
»Stuart Collins!« flüsterte der Trapper, »beim Himmel, er ist es!«
»Die Krähen sind also hier!« rang sich's kaum verständlich über Everetts Lippen. »Ich habe doch recht gesehen!«
»Ihr?« fragte voll Mißtrauen der Schippewäer, »Ihr sie sehen? Wo? Wi-ju-jon das hören? Weißer Mann Krähen sehen?«
Aber Jonathans Seele war mit ganz anderen Eindrücken beschäftigt, jeder Blutstropfen des sonst so besonnenen Mannes kochte. Auf seinem Wege stand abermals der Verräter, der Mann, dessen Untat ihm Jahre vom Leben gestohlen hatte, – er zitterte, als er ihn erkannte! Mit Stuart Collins' Gegenwart kam das Unglück.
Tief im Schatten harrten unbeweglich die Verfolger. Katzengleich schlich sich der Vater dem zurückweichenden Sohne näher; fast vor der Gruppe der horchenden Männer war es, wo die beiden zusammentrafen.
»Bob,« flüsterte Stuart Collins, »Bob, kennst du mich denn nicht mehr?«
»Ja,« bebte es über die Lippen des jungen Menschen, »ja, Vater! – Oh, ich bitte dich, geh wieder fort, geh so schnell als möglich oder sprich mit Jonathan offen und ehrlich!«
Der Verräter murmelte zwischen den Zähnen einen Fluch. »Zum Henker, Junge,« sagte er ärgerlich, »das ist die Art, wie du deinen Vater empfängst? Weißt du auch, daß ich ein armer Mann wurde, Bob? Weucha, der Verfluchte, hat mich bestohlen, hat mir alles genommen, und trotzdem muß ich in seiner verhaßten Gegenwart tun, als sei zwischen uns nie das geringste vorgefallen, muß mich wie ein Ohrwurm fügen, sobald er befiehlt und mir –«
»Vater,« unterbrach mit unruhigem Tone der junge Mensch, »ich bitte dich, sprich nur diesmal die Wahrheit! Sind die Dakotas hier?«
»Natürlich!«
»Sie stecken alle in diesen Bergen?«
»Gewiß, sie und die Krähen, obwohl wir alles in allem kaum über vierhundert streitbare Männer verfügen. Der Hunger hat uns während des Winters fürchterlich zugesetzt, die Blattern brachen aus – puh, es war die elendeste Zeit meines Lebens. Und nun es besser zu werden scheint, nun große Vorteile in Aussicht stehen, kommst du und verlangst vielleicht gar, daß ich mich dem verrückten alten Trapper zu Füßen werfe, um dann vielleicht in St. Louis oder Neuyork als Pferdeknecht zu arbeiten, nicht wahr?«
»Gewiß, Vater,« rief mit unterdrücktem Tone der junge Mensch, »gewiß, wir wollen beide arbeiten, du und ich. Millionen armer, ehrlicher Menschen leben von ihrer Hände Fleiß und sind glücklich dabei, wir wollen es auch sein.«
Ein leises, höhnisches Lachen des Verräters klang durch die Frühlingsnacht. »Arm?« wiederholte er spöttisch. »Ehrlich? – Nun, du scheinst während meiner Abwesenheit hübsche Lehren eingesogen zu haben. Junge! – Aber du mußt trotzdem deinem Vater beistehen.«
»Was verlangst du von mir, Vater?« fragte Bob gepreßt.
Stuart Collins legte die Hand auf seine Schulter. »So mag ich's leiden, Junge, das ist der Ton eines guten, gehorsamen Sohnes. Also, das Vermögen, an dem ich jahrzehntelang gesammelt und gespart habe, ist bis auf den letzten Pfennig verloren. Sage mir, erkennst du, was das heißen will?«
Bob nickte. »Vollkommen, Vater! Es tut mir nicht leid, den Sündenlohn verloren zu wissen, ich selbst hätte doch von diesem Gelde nie einen Heller genommen, es sei denn, um ihn den rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben. Vater, Vater, denk an die unglücklichen Mönnitarier! – O Gott im Himmel, du hast Menschen zur Verzweiflung getrieben, du hast Tod und Wahnsinn über glückliche Familien gebracht. Ist das nichts? Konntest du erwarten, daß auf so erworbenem Gelde Segen ruhen werde? – Doch sage, was wolltest du heute abend verlangen?«
»Nur eine Kleinigkeit, Junge. Wenn du von deines Vaters Talenten auch nur ein Pröbchen geerbt hast, muß dir die Geschichte Spaß machen. Sieh, du weißt ja ohne Zweifel, daß bei Gelegenheit eurer Gefangenschaft unter den Dakotas die beiden Spitzbuben, Weucha und das Steinerne Herz, über ihre Häuptlingswürde in Streit gerieten. Nun, das Steinerne Herz hatte für sich eine kleine, aber angesehene Partei, er versprach goldene Berge und setzte es durch, der Häuptling seiner Horde zu werden. Seitdem kam über die braunen Halunken ein Mißgeschick nach dem anderen, ihr entwischtet, sie verloren Leute, sie fanden keine Büffel, wurden von den Blattern befallen. Na, an dem allen ist nun für Weuchas Anhänger einzig und allein das Steinerne Herz schuld. Er hat durch sein Vergehen den Großen Geist erzürnt, der Stamm wird also auf allen Wegen immer nur Unglück erleben, bis man sich des gewaltsam eingedrungenen Häuptlings wohl oder übel entledigt. So stehen die Sachen. Ein kluger Mann muß sie auszunutzen wissen. Weucha hat mein Geld in seinem Dorfe vergraben, weil er nur die wenigen Goldmünzen für brauchbar, die Kassenscheine aber für gefährliche Zauberbilder hielt. Er will mir, wenn ich ihm helfe, das Steinerne Herz zu verdrängen, nicht allein zurückgeben, was mein rechtmäßiges Eigentum ist, sondern auch die eine ganze Hälfte der Kriegsbeute, also die wertvollen Pferde der Schwarzfüße, ihre Waffen und Decken, nur –«
»Vater! – Vater!«
»Was willst du, Junge? Ist das nicht einfach? Jetzt kommt es auf dich an. Du mußt bei der Sache das Beste tun, was dir natürlich um so leichter wird, als ja der Vorteil dein eigener ist. Ich selbst brauche wahrhaftig für mich nicht viel; was wir gewinnen, ist dein Erbteil.«
Bob schauderte. »Ich soll meine Freunde und Ernährer, die mich gepflegt und gespeist haben, den Krähen ausliefern, Vater? Nein, das tue ich um keinen Preis der Welt!«
»Bravo!« flüsterte Everett, unfähig, zu schweigen, »bravo, mein Junge!«
Auch auf den Gesichtern Hugos und des Trappers zeigte sich die lebhafteste Teilnahme. Der Alte winkte mit der Hand, da zwischen Vater und Sohn in diesem Augenblick die Unterhaltung abermals begann.
»Bob,« sagte Stuart Collins, »du überlegst dir das besser, mein Junge. Die voreiligen Entscheidungen taugen nichts. Sieh, wer auf Erden stände dir näher als ich, dein leiblicher Vater?«
Der junge Mensch schüttelte traurig den Kopf. »Niemand,« antwortete er, »gewiß niemand, Vater, aber doch kann ich deinen Wunsch nicht erfüllen.«
Der schlaue Händler seufzte. »So spricht der, dem ich mein ganzes Dasein mit Freuden geopfert!« murmelte er.
Bobs Lippen bebten, sein Gesicht war leichenblaß. »Vater,« sagte er tonlos, »du darfst von mir nur verlangen, was recht ist. Der Verrat aber ist Sünde.«
Stuart Collins unterdrückte mit Mühe einen lästerlichen Fluch. »Gut,« versetzte er nach kurzer Pause, »gut, Junge, ich sehe, daß es dem Trapper gelungen ist, dich gegen mich einzunehmen und dir Begriffe beizubringen, deren Ausführung den Menschen vielleicht in den Wäldern möglich wird, in den großen Städten aber ganz gewiß nicht. Wir sind im Kriege, jede List ist erlaubt! Der größte Feldherr plant die kecksten Schachzüge, das weiß alle Welt. Und ich muß jetzt, um mich bei den verdammten Kupfergesichtern zu halten, irgendeinen Erfolg aufweisen, sonst geht die Gelegenheit unwiederbringlich verloren. Sie sagen schon, daß meine Medizin nicht gut sei, die Dummköpfe, nur weil der Streich mit dem verlumpten Schippewäer, dem Fliegenfänger, nicht gelang. Und doch war das Unternehmen so fein ausgesonnen, ich verließ mich aus dessen Gelingen so vollständig! – Als der Fliegenfänger unverrichteter Sache zu uns zurückkam, schwebte mein Leben einen Augenblick in höchster Gefahr. Die Halunken wollten mich erdrosseln.«
»Du warst es also,« sagte Bob schaudernd, »der den Mordplan gegen den alten Trapper erdachte?«
»Der zum General einer Operationsarmee ziemlich bedeutende Talente besitzt, Junge! Wir sind im Kriege, da gibt es weder Mord noch Mordpläne, sondern Auszeichnungen aller Art für den, der den feindlichen Anführer aus dem Wege schafft. Das merke dir!«
Bob schüttelte den Kopf. »Mache ein Ende, Vater,« sagte er traurig, »laß uns scheiden! – Ich kann das, was du verlangst, nicht tun, in alle Ewigkeit nicht.«
Der Verräter trat ihm näher; es schien, als wolle er sich seiner für den schlimmsten Fall versichern. »Ist das dein letztes Wort?« zischte er.
»Mein letztes, Vater.«
In diesem Augenblick wandte der Trapper den Kopf, sein Blick traf den hinter ihm stehenden Schippewäer, und ein einziges Zeichen genügte, um diesen zu verständigen. Wie ein Panther stürzte sich Schwalbe auf den ahnungslosen Weißen, seinen Kopf mit dem Büffelmantel verhüllend, ihn der Sprache und des Gebrauches seiner Glieder mit einem einzigen Ruck beraubend. Ehe noch jemand hätte bis zehn zählen können, lag Stuart Collins gebunden und geknebelt wie ein lebloser Ballen zu den Füßen der übrigen Männer.
Bob erschrak im ersten Augenblick, daß er taumelte. »Jonathan,« stammelte er, »mein Vater – oh, ihr dürft ihn nicht töten!«
Und dann warf er plötzlich beide Arme um Hugos Nacken. Seine Kraft war gebrochen, er schluchzte wie ein Kind.
Everett und Hugo suchten ihn nach Möglichkeit zu trösten. »Wir haben alles gehört,« versicherten sie ihm, »jedes Wort, wir wissen erst jetzt, wie herzlich lieb du uns bist. Weine nicht, Bob, es ist so, wie es kam, für deinen Vater am besten.«
Auch der Trapper reichte ihm die Hand. Sie nahmen den Fassungslosen in ihre Mitte und, nachdem der Schippewäer noch einen seiner Brüder herbeigerufen, um unter dessen Beistand den Gefangenen so schnell als möglich in das Innere einer Felsspalte zu schaffen, begaben sich alle zu dem Gelben Wolf, den sie weckten und dem sie das Vorgefallene erzählten.
»Die Halunken sind also doch hier,« schloß bekümmert der alte Trapper. »Es wird nicht ohne abermaliges Blutvergießen getan sein, fürchte ich. Was denkst du, Wolf?«
»Hugh! – Wir beraten.«
Von allen Seiten kamen mit Katzenschritten im Abendlicht die Häuptlinge herbei, um nach der Väter Sitte zu beraten, ehe sie handelten. Sie schwiegen wie Steinbilder, bis ihnen Jonathan das Erlebnis dieses Abends mitgeteilt hatte, dann sprach zuerst der Häuptling der Schwarzfüße.
»Wir den Kundschafter der Dakotas und Krähen gefangengenommen haben,« begann er, »weißer Mann hier sein, in Gewalt von Schwarzfüßen. Der Gelbe Wolf seine Brüder, die Punkahs und Schippewäer, fragen, ob nicht besser finden, bringen Bleichgesicht hierher und sprechen mit ihm? Vielleicht noch etwas erfahren, das gut für Beratung! Er feige sein, keine Ehre kennen!«
Die übrigen stimmten zu, und so wurden Blitz und Fuchs abgeschickt, um den Gefesselten herbeizuholen; dann, nachdem er inmitten seiner Ankläger stand, trat der Trapper hochaufgerichtet vor ihn hin. Auge in Auge sahen sich die Todfeinde. Jonathans Stimme bebte leicht.
»Collins,« sagte er, »man wird Euch jetzt, nachdem Hände und Füße umschnürt bleiben, den Knebel aus dem Mund nehmen, damit Ihr zu sprechen vermögt; man kann Euch nicht hindern, durch einen Schrei Eure Freunde zu verständigen, aber laßt Euch trotzdem doch einen derartigen Versuch lieber nicht einfallen, denn in dem Augenblick, wo Ihr ihn ausführt, zerschlägt Euch mein Hammer den Schädel. Nun wißt Ihr, woran Ihr seid.«
Nach dieser Erklärung befahl er dem Blitz, den Mund des Gefangenen von dem Knebel zu befreien, und sogleich spendete Stuart Collins der Versammlung sein schönstes Lächeln, er grüßte einen der Häuptlinge nach dem anderen äußerst verbindlich und sagte dann leichthin: »Wir werden uns ohne Zweifel bestens vereinbaren, wenigstens was an mir liegt, soll bereitwilligst geschehen.«
Der Schurke sah aus wie die Harmlosigkeit und Treuherzigkeit selbst.
»Meine Brüder können urteilen, ob Häuptling von weißem Manne die Wahrheit gesagt!« bemerkte der Gelbe Wolf. »Er keine Ehre kennen.«
Die Indianer neigten zustimmend den Kopf, Stuart Collins dagegen schien nicht eine Silbe gehört zu haben.
Nun wandte sich Jonathan zu dem Gefangenen. »Die Krähen sind, wie Ihr Eurem Sohne sagtet, hier, Collins,« begann er, »und zwar in der Stärke von vierhundert Kriegern; das scheint uns aber wenig glaubhaft, denn es führten, als wir kamen, keine Spuren in das Innere. Wie wären sie hergekommen?«
Stuart Collins lächelte. »Das fragt Ihr, Sir, Ihr, der die Schliche des roten Volkes so genau kennt! – Die Krähen haben natürlich von der Wasserseite den Felsen erklettert.«
»Und wer war es, der ihnen dabei half? Es müssen an den höhergelegenen Klippen Strickleitern befestigt gewesen sein.«
»Natürlich. Der Helfer war ein Schippewäer.«
Schwalbe nickte. »Ich ihn kennen, ihn totschlagen wie tollen Hund, wenn ihm begegnen. Er reden mit gespaltener Zunge, das Schippewäer niemals verzeihen.«
»Gewiß, gewiß. Dieser Bursche, den ich selbst verachte, scheint das ehrenwerte Volk der Schwarzfüße außerordentlich zu hassen. Er ist es, der den Plan einer Überrumpelung an dieser Stelle erdachte, und der hierher voranging, um die Landung von der Wasserseite zu ermöglichen. Das Heer der Krähen und Dakotas ist im erbärmlichsten Zustande, eine Schar halbverhungerter Wegelagerer, weiter nichts. Doch nebenbei gesagt, vielleicht könnte ich Euch und den Herren Häuptlingen zeigen, auf welchen Wegen man in das Versteck der Krähen gelangt, dadurch ließe sich der Ausbruch neuer Feindseligkeiten vermeiden, und allem Blutvergießen wäre ein Ziel gesetzt. Es sind nämlich wenigstens sechs Ausgänge vorhanden,« fügte er hinzu.
»Gut. Und was verlangt Ihr für diese – Dienstleistung?«
»Nichts, Sir. Weucha hat mir mein Vermögen gestohlen, zwingt ihn, es herauszugeben, indem ihr ihn bis nach erfolgter Zahlung als Gefangenen behaltet, das ist alles. Dafür zeige ich euch die Schlupfwinkel der Spitzbuben, ihr besetzt sie und zieht friedlich eures Weges. In den Rücken fallen kann euch das Gesindel nicht, dazu ist es zu schwach.«
Der Trapper sah hinüber zu dem Sohne seines Bruders. »Sagamore,« sagte er beinahe traurig, »du hast gehört, was uns dieser Mensch erzählt. Wollen wir ihm glauben?«
Der Gelbe Wolf schüttelte den Kopf. »Nein, das Brücke sein, die von innen der Wurm zerfressen haben. Ich nicht darauf setzen Fuß.«
Ebenso urteilte der Schippewäer. »Häuptling anderen Plan haben,« versetzte er.
»Welchen?« rief unbedachtsam der Verräter.
»Das nicht wissen müssen Bleichgesicht.«
Stuart Collins murmelte zwischen den Zähnen einen Fluch. Seine Blicke irrten von einem der Männer zum anderen. Was würde jetzt folgen?
»Wir weisen also den Beistand dieses Menschen einmütig zurück?« fragte nochmals der Trapper.
»Ja.«
»Gut, das ist auch meine Ansicht. – Blitz, mein Junge, jetzt führe deinen Gefangenen wieder zurück, aber lege ihm den Knebel an; man weiß nicht, was geschehen könnte.«
Er wurde ohne Mühe überwältigt und geknebelt. Dann fuhren die Häuptlinge in ihrer Beratung fort.
»Plan von Schippewäer so sein,« erklärte Schwalbe, »ziehen jemand, der Größe von weißem Verräter haben, sein Zeug an und ahmen nach, wie er gehen, dann sich mit Obo an verabredete Stelle begeben und pfeifen wie Eule. Häuptlinge von Krähen und Dakotas kommen, wollen gefangennehmen Wi-ju-jon und Gelben Wolf, aber statt dessen selbst in Falle laufen, umzingelt werden, viel Skalp verlieren.«
Der Trapper nickte. »Ein kecker Plan,« sagte er. »Wollte Gott, daß er gelänge. Wer weiß, wie viele von den Halunken hier versteckt liegen! Den Angaben ihres Spions traue ich nicht.«
»Es doch versuchen!« meinte der Gelbe Wolf. »Auf Umwegen Krieger hinführen.«
Er erhob sich und erklärte dadurch die Beratung für geschlossen. Büffelhörner auf den Köpfen, mit wild blitzenden Augen, so krochen die Söhne des Urwaldes dahin über den Weg, so sprangen sie von Klippe zu Klippe, verschwanden im Schatten und glitten in Bogenwindungen über hell beleuchtete Flächen. Kein noch so geübtes Ohr hätte die Aufstellung von beinahe hundert schwerbewaffneten Kriegern wahrnehmen können, kein Sandkörnchen verriet den Pfad, den sie eingeschlagen.
Und dann hob der Gelbe Wolf den Wurfhammer – das Zeichen, daß alles vollendet war. Jetzt konnte der dreiste Plan zur Ausführung gelangen.
Bob zitterte. Everett ging in den Kleidern des Verräters hinter einem großen Felsstück umher und probierte emsig Collins Haltung, besonders auch den Sitz der Fuchsmütze, die Stuart Collins beinahe bis auf die Augen herabzuziehen pflegte. »Das hat Mühe gekostet!« sagte er. »Der Kerl wehrte sich wie ein Verzweifelter. Was meinst du, Hugo, bin ich nicht ein getreuliches Ebenbild des Prachtmenschen, den die Welt Stuart Collins nennt? Jetzt sollst du mich als schurkischen Vater und Seelenverkäufer bewundern. – Komm!«
Hugo begleitete ihn. Sie schlichen auf den freien Platz hinaus, wo sämtliche Häuptlinge mit dem Trapper und Bob ihrer harrten. Der unglückliche junge Mensch war blaß wie ein Schatten. »Es wird mir grenzenlos schwer,« murmelte er.
Jonathan bemühte sich, ihn zu trösten. »Das begreife ich vollständig, mein armer Junge, aber du mußt bedenken, daß es zu einem guten Zwecke geschieht. Einmal durch diese Gefahr, haben wir von den Feinden nichts mehr zu fürchten. Noch vier Wochen, dann ist St. Louis erreicht.«
»Wo Ihr dann meinen unglücklichen Vater der Freiheit zurückgebt, Sir, ohne ihn –«
Er stockte. Jonathan streichelte freundlich das magere, eingefallene Antlitz. »Ohne ihn in irgendeiner Weise zur Rechenschaft zu ziehen, Kind, du hast mein und des Gelben Wolfes Ehrenwort.«
Bob atmete schwer. »Gut,« antwortete er, »dann will ich es tun.«
Er trat auf den freien Platz hinaus, wie um sich an die dort fließende Quelle zu begeben. Er streckte die Arme aus, und ein leiser Angstschrei klang durch die Stille der Nacht. Unsicher ging er gegen den breiten Spalt vorwärts.
Wie Schatten standen plötzlich lautlos der Gelbe Wolf, Jonathan und der Schippewäer an seiner Seite. »Hugh! – Was sehen Blaßgesicht?«
Auch Blitz und Hugo kamen herzu. Die Krähen beobachteten ohne Zweifel alles, was geschah.
»Da! da!« stammelte Bob, dessen Stimme für die Schätze der ganzen Welt dem Zittern nicht hätte gebieten können – »mein Vater ist hier!«
»Wo?« fragte Jonathan, »wo?«
»Ich will zu ihm!« rief Bob, »ihr dürft mich nicht hindern! – Vater! Vater!«
Und als die Häuptlinge über ihn herfielen, anscheinend, um die Begegnung zwischen Vater und Sohn zu vereiteln, da gab er das verabredete Zeichen. Der Schrei der großen braunen Eule war noch nicht in der Luft verhallt, als aus dem Schatten des nächsten Felsens, weislich der Schlucht den Rücken kehrend, Mr. Everett hervortrat. Fast erschrak der Trapper, so vollständig glich der junge Leichtsinnige dem Verräter, dessen Person er darstellte.
»Bob!« flüsterte dieser, »Bob, komm zu mir!«
Wie der Panther auf das ahnungslose Reh, so stürzten sich in dieser Minute die Häuptlinge und der alte Jäger auf den als Stuart Collins verkleideten Everett; ehe sie ihn aber ergreifen konnten, geschah das Erwartete – Weucha, das Fließende Feuer, das Steinerne Herz und noch etwa zehn andere sprangen hervor, um sich der feindlichen Anführer zu bemächtigen. Es entstand ein kurzes Ringen, bei dem Everett und Hugo sowie die auf dem Kampfplatz erschienenen Pelzhändler tapfer das ihrige taten, und dann wurden die wenigen Krähen von der Übermacht erdrückt, alle bis auf einen waren gefangen, das Fließende Feuer hatte sich durch einen unerwarteten Seitensprung in Sicherheit zu bringen gewußt.
Everett nahm die Fuchsmütze vom Kopf und verwischte mit der Hand die künstliche Färbung seines Gesichtes. Er lachte, als das Fließende Feuer, halb von Sinnen, seinen Todfeind erkannte. »Ich bin es, Krähe, der königliche Prinz, weißt du! Wie geht es meinem alten Schlafrock und der bunten Kappe?«
Das Fließende Feuer ballte die Faust. »Wir uns wiedersehen!« schrie er heiser vor Wut, »Fließendes Feuer Rache nehmen! Großer Geist den Schwur hören!«
Dann verschwand er, von den nachgesandten Pfeilen nicht erreicht. Die beiden Dakotahäuptlinge und acht Krähen waren gefangen.
»Jetzt haben wir Geiseln,« frohlockte Jonathan. »Alle Krähenhäuptlinge bis auf den einen, das ist mehr Glück, als sich erwarten ließ.«
Jonathan legte die Hand auf Weuchas Schulter. »Für dich ist dies der rechte Augenblick, um deine verlorene Stellung wiederzuerlangen,« raunte er. »Wir sind dir von jener Nacht unserer Befreiung her den Dank immer noch schuldig, Häuptling. Er soll jetzt abgetragen werden.«
Der Dakota sah ihn an, als wolle er in seinen Zügen lesen. »Hugh!« murmelte er.
Jonathan lächelte bedeutsam, er legte den Finger auf die Lippen. Dann wurden die Gefangenen und er selbst für den Augenblick getrennt.
Ein Wachtposten von mehr als hundert Mann besetzte den Eingang der breiten Schlucht, ohne sich jedoch den Pfeilschüssen ihrer Bewohner preiszugeben; ebenso viele Krieger behüteten die Gefangenen, und nur Stuart Collins lag mit gebundenen Händen und Füßen allein. Er hatte ja die allerdringendste Veranlassung, sich vor den Krähen zu verbergen, und würde daher an Flucht nicht denken.
Die ersten Sonnenstrahlen färbten schon den Horizont, als sich unsere Freunde für einige Stunden schlafen legten. Das Ereignis dieser Nacht hatte ihre Kräfte erschöpft. Sie lagen nebeneinander auf der bloßen Erde und schliefen wie gesunde, ermüdete Menschen.
Nur in zwei Paar Augen kam kein Schlummer. Das Fließende Feuer und Stuart Collins wachten, beide bissen die Zähne zusammen in ohnmächtiger Wut.
Der folgende Morgen fand die Häuptlinge um ihren alten Freund, den Jäger, versammelt, der den Häuptlingen einen Vorschlag machte.
»Wir müssen Weucha als Abgesandten schicken,« sagte er.
Ein allgemeines Hugh! antwortete ihm, dann schüttelte der Gelbe Wolf den Kopf. »Trauen Wi-ju-jon Dakotas?« fragte er.
»Im allgemeinen nicht, Sagamore; ich weiß, wie treulos sie sind, aber dieser besondere Fall gestattet eine Ausnahme. Weucha möchte die verlorene Stellung als oberster Anführer zurückerobern. Die Sendung an sein Volk gibt ihm Gelegenheit, hinter dem Rücken des Steinernen Herzens ganz ungestört zu wirken. Du weißt ja aus den Worten unseres Gefangenen, daß sich die öffentliche Meinung unter den Dakotas dem plötzlich abgesetzten früheren Anführer wieder zugewendet hat.«
»Hugh! Das wahr!«
»Nun also, Häuptling! – Befiehl, daß Weucha hierhergeführt werde.«
Einige Minuten später stand der Dakota gefesselt, aber voll edlen Anstandes vor seinen Gegnern.
»Mein Bruder, der Häuptling der tapferen Dakotas, möge sich setzen,« begann der Trapper. »Er findet Platz neben Männern, die seiner würdig sind.«
Der Dakota lächelte, aber er blieb gelassen stehen. »Meines Bruders Rede klingt für die Worte eines Siegers zu freundlich,« versetzte er kühl. »Haben die Schwarzfüße kein Holz zu Marterpfählen, daß sie ihren Gefangenen Schmeicheleien sagen?«
»Die Schwarzfüße wollen ihren Bruder, den Häuptling der Dakotas, nicht martern,« gab Jonathan zurück, »sie wollen Frieden mit ihm schließen.«
»Häuptlinge darauf ihr Wort geben?« rief der Dakota.
»Das tun. Unterhandeln mit Weucha.«
Ein unterdrückter Freudenlaut brach über des Dakota Lippen. Jetzt war das Steinerne Herz verloren – er hatte die Würde des Häuptlings wiedererobert.
»Mir sagen,« stammelte er, »was verlangen?«
»Häuptling,« begann der Trapper, »du weißt, daß ich es liebe, in Ruhe und Frieden mit aller Welt meines Weges zu gehen. Mein Freund, der Häuptling der Schwarzfüße, denkt wie ich, wir fragen daher, ob auch du geneigt bist, mit uns Frieden zu schließen, und ob du zu diesem Zweck mit den übrigen Häuptlingen deines Volkes beraten willst?«
Die Züge des Gefangenen verrieten eine lebhafte Aufregung. »Nicht gehen mit Fesseln an Fuß!« stieß er zornig hervor.
Jonathan nickte. »Das wissen wir, Häuptling. Wenn du bereit bist, uns dein Ehrenwort zu verpfänden, so geben wir dir Urlaub für vierundzwanzig Stunden. Morgen um diese Zeit mußt du wieder hier sein und dich uns stellen, der Entschluß der Dakotas möge ausfallen, wie er wolle.«
Weucha streckte seine beiden gefesselten Hände dem Trapper entgegen. »Nicht kommen wollen in Wohnland von Großem Geist,« sagte er feierlich, »und nicht bleiben wollen an Beratungsfeuer von Häuptlingen, wenn brechen Wort. Das genug sein für Friedensmann?«
»Das ist mir und den Meinigen genug, Teton.«
Der Blitz löste die Fesseln des Gefangenen, und Weucha sah mit stolzer Befriedigung von einem zum anderen. »Morgen um diese Stunde Inschin tot sein müssen, wenn nicht hier stehen und bringen Gefangenen wieder, das Wahrheit!« sagte er energisch.
Und dann trugen ihn ein paar kecke Sprünge aus dem Bereich der Schwarzfüße. Niemand rührte sich, um ihn zu beobachten.
»Jetzt brauchen wir nur noch zu warten,« meinte lächelnd der Trapper, »ich bin überzeugt, daß der Friede mit den Dakotas so gut wie gesichert ist.«
Keine fünfzig Schritte von dem Schauplatz der eben geschilderten Szene entfernt befand sich im Innern des Berges das Versteck der Krähen, und ihr Anführer, das Fließende Feuer, sah von seiner etwas erhöhten Warte herab den alten Häuptling der Dakotas frei zu den Seinigen zurückkehren. Ohne Zeitverlust eilte er dem Häuptling nach und erfaßte dessen Hand, ehe er den ihn voll freudigen Erstaunens umringenden Dakotas noch irgendeine Mitteilung hatte machen können. »Mein Bruder ist den Schwarzfüßen entflohen?« fragte er beinahe atemlos. »Das gut sein.«
Weucha schüttelte den Kopf. »Häuptling Urlaub haben bis morgen. Er beraten mit Kriegern, dann zurückkehren zu Schwarzfüßen.«
Die Augen des Fließenden Feuers verrieten seinen maßlosen, glühenden Zorn. »Beraten über Frieden?« fragte er fast zischend.
»Ja. Hoffen auch, es so werden – keine Aussicht auf Sieg für Dakotas und Krähen.«
Der Krähenhäuptling knirschte. »Doch fortsetzen Krieg, Weucha mir sagen, wo Weiße finden, wo verfluchten Trapper und Gelben Wolf!«
Der Dakota schüttelte den Kopf. »Das nicht tun,« versetzte er stolz.
Das Fließende Feuer wandte sich ungestüm zur Seite. »Krähen allein Krieg führen,« rang es sich in abgebrochenen Lauten aus der Brust des erbitterten Mannes, »untergehen wollen, sterben, wenn sein müssen, aber nicht nachgeben.«
Und er kletterte, während Weucha die Häuptlinge zur Beratung versammelte, über das zackige Gestein bis in einen Gang, der nach seiner Berechnung hinausführen mußte zu dem Lager der Schwarzfüße.
Weiter und immer weiter schlich er vorwärts. Es war ein Unternehmen auf Tod und Leben; jeden Augenblick konnten ihm die Schwarzfüße entgegentreten, er wußte es, aber Haß und Groll trieben ihn vorwärts. Horch! – Klangen da nicht Stimmen?
Er glitt über einen schmalen, gewundenen Pfad, kaum hoch genug, ihn kriechend hindurchzulassen, er lächelte immer grausamer, immer höhnischer. Der da sprach, den kannte er, es war Stuart Collins, der Verräter!
Er kroch vorwärts wie eine Schlange. Mit wem sprach der Weiße?
Es war Jonathan, jetzt sah er ihn schon. Der Trapper stand kaum zehn Schritte von ihm entfernt, vor dem an Händen und Füßen gebundenen Verräter. »Euer Geld,« hörte er ihn sagen, »Collins, Euer Geld! – Ihr habt es ehrlichen Menschen geraubt und verlangt doch mit kecker Stirn, daß wir Euch helfen sollen, es aus Weuchas Händen zurückzuerhalten? Ihr nennt jenen einen Räuber? – Und was seid Ihr selbst? Wollt Ihr bei dem schon morgen stattfindenden Austausch der Gefangenen in die Hände der Krähen und Dakotas zurückfallen, oder wollt Ihr den Mönnitariern das gestohlene Geld wieder herausgeben. Entscheidet Euch!«
Collins zögerte. »Einen Teil!« preßte er hervor. »Wenn ich die ganze Summe herausgeben muß, werde ich zum Bettler. Ich bitte Euch, Sir, was wissen denn die roten Schufte vom Wert des Geldes? – Sie erhalten etwas, eine Abschlagszahlung, und –«
»Keinen Heller weniger, als Ihr den armen Leuten schuldet, Collins. Die Mönnitarier mußten um Eurer Sünde willen ihre kleinen Kinder Hungers sterben sehen! – Ist das nichts, Ihr gewissenloser Mensch?«
Der Verräter hatte beide Fäuste geballt. »Und war es nichts, als die roten Teufel vor Jahren meines Vaters friedliches Dach überfielen, Sir, als sie meine ganze Familie in einer einzigen Nacht ermordeten? – Ich allein blieb zurück, Vater, Mutter und Geschwister haben die Bestien skalpiert und alles, was im Hause Wert besaß, geraubt. Ich frage Euch, ist das nichts?«
Tiefe Erschütterung malte sich in den Zügen des Trappers, er dachte an das ganz ähnliche Schicksal, welches seine eigenen Eltern betroffen, sekundenlang irrte sogar eine Vorstellung, die ihm den Atem raubte, durch das aufgeregte Hirn, dann aber konnte er wenigstens diese, die allerschlimmste, zurückweisen. Stuart Collins war anscheinend jünger als er selbst, während ihn die Krähen als neugeborenes Kind aus der Wiege heraus geraubt hatten. Gottlob – sein Bruder konnte der Verräter nicht sein.
»Collins,« sagte er unwillkürlich etwas weniger schroff, »was Ihr mir da erzählt, das ist gewiß für Euch eine sehr traurige Erinnerung, das berechtigt Euch, dem roten Volke eine bleibende Abneigung entgegenzubringen, aber es kann für ein begangenes Verbrechen nie als Entschuldigung dienen. Ihr habt den Mönnitariern Geld gestohlen und müßt es ersetzen.«
»Ich werde mit dem Häuptling auseinanderkommen,« stammelte der Verräter fassungslos.
»Waren es denn gerade die Mönnitarier, die Euer Elternhaus plünderten?«
Stuart Collins zuckte die Achseln. »Möglich,« seufzte er, »ich weiß es nicht. Das Haus lag an einer Quelle, die zwischen drei Eichen dahinfloß, und über das Tor hatte mein Vater das Wappen von England genagelt. Das ist alles, was der Sohn von dem Schicksal seiner Familie jemals erfuhr.«
Der Trapper lächelte eigentümlich. »Wir geraten auf ein anderes Gebiet,« sagte er ruhig. »Ich kann das Unglück bemitleiden, aber ohne doch deswegen der Schuld ein Mäntelchen umzuhängen. Noch einmal, Collins, wollt Ihr zahlen oder nicht?«
Der Verräter rang die Hände. »Sir, Sir, ich bin ein Mann von sechzig Jahren, ich –.«
»Sechzig seid Ihr bereits?«
Jonathan erschrak aufs neue und ging in tiefem Sinnen davon.
In diesem Augenblick brachen etwa zwanzig Krähen, nachdem der wehrlose Händler gefangen worden, plötzlich aus dem Spalt hervor, mitten unter die Schwarzfüße! – Das war ein tollkühnes, fast wahnwitziges Unternehmen, aber das Fließende Feuer wußte, daß ihm zur Befriedigung seines Rachegelüstes kein anderes Mittel mehr übrigblieb, er wußte, daß er verloren war, gezwungen, schimpflich abzuziehen, weil Weucha Frieden schließen wollte – und die blinde Leidenschaft trieb ihn vorwärts.
Die Kundschafter mußten hinüberhorchen zur Beratungsstätte der Dakotas. Dort hatte sich das Erwartete schnell vollzogen. Weucha war zum Häuptling in aller Form wiedererwählt und das Steinerne Herz dieser Würde entsetzt.
Der Krähenhäuptling knirschte. »Vorwärts denn auf Tod und Leben! Die Sieger sollen ihren Triumph teuer bezahlen.«
Mann nach Mann kletterte bis an die Schlucht, Mann nach Mann kroch hinein, voraus das Fließende Feuer mit dem Schippewäer, ihnen nach noch sechzehn Krieger, die todesverachtend dem Häuptling folgten. Diesmal war in der Zelle des Verräters alles still, Stuart Collins saß allein und hielt den Kopf gestützt. Wie sollte er es anfangen, das geliebte Geld vor den Bedingungen des Trappers in Sicherheit zu bringen?
Er wollte es nicht hergeben, er konnte es nicht, aber den Krähen ausgeliefert werden wollte er noch viel weniger. Nein, nein, nicht zu den Krähen!
Er hatte es unwillkürlich vor sich hin gemurmelt, – ein leises Lachen über seinem Kopfe schien zu antworten. Das Fließende Feuer schnürte ihm haßerfüllt mit beiden Fäusten die Kehle zusammen, ehe er einen einzigen Ton hervorbringen konnte. Dann schafften ihn die Krähen fort.
Das war geschehen, ehe Minuten vergingen. Die Hauptaufgabe kam erst jetzt. Ein Mann nach dem anderen schwang sich auf die halbdunkeln Klippen. Das Fließende Feuer lächelte triumphierend. Auf mehr als eine Weise konnten hier die Verfolger irre geleitet werden. Nur Geduld – die Rache nahte.
Den Trapper trieb eine innere Mahnung wieder zurück zu dem Verräter. Er wollte von dessen Kindheit, von seinem Elternhause Näheres hören.
»Collins,« rief er erschrocken, »wo steckt Ihr?«
Der Gelbe Wolf, der Blitz und Mr. Everett hatten den Ton des Erstaunens gehört, sie gingen dem alten Jäger nach und fanden gleich ihm das Gefängnis leer. Ihre lauten Stimmen führten sehr bald auch die Pelzhändler und die beiden Knaben herzu – Stuart Collins war verschwunden.
»Dort hinein!« ries der Gelbe Wolf. »Nicht anders möglich. Ihn laufen lassen, er in sein Unglück stürzen, Krähen ihn töten.«
Noch hatte er nicht ausgesprochen, als auf ein Zeichen ihres Anführers die versteckten Feinde plötzlich hervorbrachen. Im Augenblick hatte sich der Raum Kopf an Kopf gefüllt, und auf Tod und Leben rangen haßerfüllte Männer gegeneinander.
Auge in Auge standen sich das Fließende Feuer und der Gelbe Wolf gegenüber, aber ersterer als Sieger, der tapfere Schwarzfuß als Besiegter. Auf ihn herabspringend hatte der Krähenhäuptling seinen Gegner mit sich zu Boden gerissen. Sekundenlang genoß er den Triumph befriedigter Rache, dann senkte sich das Messer bis zum Heft in die Brust des Überwundenen, und höhnisch lachend ließ das Fließende Feuer den Körper zurücksinken auf das bluttriefende Moos des Bodens. Der Gelbe Wolf war tot. Ein Schrei des Entsetzens durchirrte, schaurig widerhallend, die Felskluft. Jonathan brach zusammen, er stürzte verzweiflungsvoll neben der Leiche des Häuptlings auf die Knie.
»Wolf,« bat halb von Sinnen der alte Mann, »Wolf, mein Kind, mein Liebling, sieh mich an, sprich mit mir!«
Die Gruppe vor ihm teilte sich. In dem Augenblick, wo das Fließende Feuer auf das unbeschützte Haupt des Alten zum Streich ausholte, gerade zur rechten Zeit sah der Blitz das Geschehene. Sein Häuptling tot! – Nur der verhaßte Anführer der Krähen konnte ihn gemordet haben. Gedanke und Handlung fielen zusammen, zischend durchflog der Wurfhammer die Luft und rettete das bedrohte Leben des Trappers. Das Fließende Feuer stürzte tödlich getroffen neben seinem Opfer zu Boden.
Währenddessen war das kleine Häuflein der Krähen von überwältigender Macht erdrückt worden. Wie die Löwen hatten unsere Freunde gekämpft, mehr um die Zahl der Gefangenen zu vergrößern, als um Feinde zu erschlagen.
Everett und Hugo führten den alten Jäger hinaus ins Freie. Jonathan ließ alles geschehen, was die anderen wollten, er war wie gebrochen. »Sprecht nicht mit mir,« bat er halblaut, »ich kann jetzt keines Menschen Stimme hören. O mein einziger Liebling!«
Und er verhüllte sein Haupt, um bitterlich zu weinen.
Früh am folgenden Morgen stellte sich Weucha seinem Wort gemäß wieder ein. Er brachte die Zustimmung der Dakotas zum alsbaldigen Friedensschluß und erklärte, daß ihn die führerlosen Krähen beauftragt hätten, auch für sie Ähnliches zu berichten. »Aber Krähen es nicht freiwillig tun wie Dakotas,« setzte er kopfschüttelnd hinzu, »sie viel erzürnt, sie lieber Krieg bis aufs Messer, nur nachgeben, weil müssen.«
Die ernsten, schweigsamen Häuptlinge der Schwarzfüße und mit ihnen Jonathan nahmen voll ruhiger Freude die Friedensbotschaft entgegen. Unersetzliche Opfer hatte der Feldzug gekostet, liebe Herzen der Erde entrückt für immer, aber doch begrüßten die Anführer ohne Bitterkeit das Morgenrot des neuen Friedens.
In langer Reihe lagen die Toten des gestrigen entscheidenden Kampfes, alle auf die Bitten der Weißen hin unberührt von dem schändenden Skalpiermesser, alle geschmückt zum letzten traurigen Feste. Zu zweien trugen die Verbündeten die Leichen hinaus, um sie in ein großes, gemeinsames Grab zu legen, nur die des Gelben Wolfes betteten sie auf einer Bahre von Spießen, und über die stille, sonnige Prärie bewegte sich – jetzt im Schutze des neuerrungenen Friedens – ein kleiner Zug Leidtragender dem Walde entgegen. Jonathan hatte Boten vorausgeschickt, daheim im Lager der Schwarzfüße wußte es die Mutter, daß ihr tapferer, geliebter Sohn im Kampfe gefallen, wußten es die Getreuen alle, welch schweren Verlust der Stamm erlitten. Dennoch ging der alte Trapper zuerst allein zu der Witwe seines Bruders.
Im Hintergrunde des Zeltes saß trauernd die Greisin und neben ihr, sanft tröstend, der blinde Patriarch des Stammes. Goldkäfer und Mairöschen flogen weinend dem Alten entgegen, sie hingen bitterlich schluchzend an seinem Halse, noch ehe er zu sprechen vermochte.
Und so näherte er sich, begleitet von den jungen Mädchen, der beraubten Mutter, so bemühte er sich, sie zu trösten, während sein eigenes Herz dem Jammer fast erlag. Seine Lippen küßten ihre runzligen Wangen, er gab die eine Hand dem Patriarchen, mit der anderen hielt er die weinenden Schwestern umfaßt. Es war eine wortlose, aber tief schmerzliche Totenfeier, die hier die Herzen verband.
Am Nachmittag fand die Totenfeier statt. An passender Stelle unter einigen hohen Bäumen war das Grab ausgeworfen, und in ihren besten Kleidern standen die Häuptlinge des Stammes, eine stattliche Reihe bildend, neben dem Totengerüst, ihnen zur Seite die Mädchen mit lose herabhängendem Haar und mit Blumensträußen in den Händen, mehr als hundert, alle im Schmuck der Trauerfedern, die Köpfe gesenkt, bescheiden wartend, bis an sie die Reihe kommen würde, von den Verdiensten des Heimgegangenen zu sprechen. Als alle zum Lobe des großen Toten geredet hatten, wurden die letzten Blumen in seine Hände gelegt, und er wurde von den Häuptlingen zu Grabe getragen, begleitet von seiner Familie, all seinen Freunden, Stammesgenossen und Verbündeten.
Mit seinen Waffen, mit allem Schmuck, den er im Leben getragen, wurde der Tote in die Gruft gelegt und die Erde Schaufel um Schaufel in das Grab geworfen. Als der übliche Pfahl aus unbehauenem Holze die Stätte kennzeichnete und somit das Ganze beendet war, führte der Trapper die Witwe seines Bruders in ihr Zelt zurück. »Ich bleibe bei dir und deinen Töchtern, Weiße Lilie,« sagte er herzlich. »Solange mein Auge zu zielen und meine Hand zu treffen vermag, sollst du keinen Mangel leiden. Bis ich aber die Weißen an die Grenze zurückgebracht habe, lasse ich dir zwei brave, tüchtige Männer als Beschützer.«
Er küßte zum Abschied sie und die beiden Mädchen, dann rief er den Blitz und den Schlauen Fuchs zu sich, um ihrer Obhut die verlassenen Frauen zu übergeben. Er selbst wollte mit einigen Häuptlingen die Pelzhändler durch den Wald begleiten, das Heer aber sollte für den Stamm jagen wie immer, und Schippewäer und Punkahs gleich nach dem Friedensschlüsse in ihre Dörfer zurückkehren. So galt es denn für unsere Freunde, sich von den beiden Genossen der langen wechselvollen Reise, von Blitz mit den Schelmenaugen und dem tatkräftigen Fuchs zu verabschieden.
Jonathan betrat die Hütte des Springenden Hirsches und erzählte diesem die Geschichte der letzten Tage. »Mein Vater erinnert sich, wenn ich nicht irre, der Stelle, an der vor sechzig Jahren mein Elternhaus gestanden,« schloß er, vor Erregung kaum imstande zu sprechen, »will mir mein Vater sagen, wie dieses aussah?«
Der Blinde schien mit den Augen des Geistes die Bilder lange vergangener Zeiten zu durchforschen. »Wi-ju-jon möge hören!« sagte er endlich. »Neben dem Hause floß zwischen drei hohen, alten Bäumen eine Quelle, und über der Tür befand sich ein Bild, ein – –.«
»O Gott,« murmelte der Trapper, »o barmherziger Gott!«
Mitleidig tröstend reichte ihm der Patriarch beide Hände. »Das ist ein harter Schlag,« sagte er, »und mein Sohn wird es schwer finden, ihn wie ein Mann zu ertragen. Wi-ju-jon darf nicht an sich denken, sondern nur an den schuldigen und daher unglücklichen Bruder! Er möge sich ihm nicht früher nahen, bis seine Seele ruhig geworden ist, um Barmherzigkeit zu üben.«
Jonathan drückte lange und voll Innigkeit die Hände des Alten. »Ich will es versuchen,« antwortete er. »Lebe wohl, mein Vater! – Dieser Tag ist der schwerste, den ich je erlebt habe.«
Noch ein Lebewohl, ein letzter Händedruck, dann ging der Trapper durch das Dorf, dessen Zelte überall von geschäftigen Frauen abgebrochen und zur Weiterreise verpackt wurden. Neben den Pferden standen wartend die Häuptlinge und die Weißen.
Jonathan ritt an der Spitze des Zuges, ernst und bekümmert wie nie. Welch ein Wiedersehen mit dem schuldbeladenen Manne, seinem Bruder, stand ihm bevor!
Im Lager hatte sich nichts geändert, die Dakotas und Krähen zeigten eine vollkommene Selbstbeherrschung, indem sie sich aller und jeder Feindseligkeiten enthielten, aber das Schweigen der Krähen war bitterer Groll, ein Haß, den zu verbergen sie sich keine Mühe gaben, Weucha sagte es mit bedenklichem Blick.
Der Alte nickte, er zog den Häuptling in eine Ecke. »Weucha – ich habe dir Gelegenheit gegeben, die Würde als Anführer deines Stammes wieder zu erlangen, du weißt, ich handelte absichtlich zu deinem Vorteil! – Willst du mir jetzt einen Gegendienst leisten und zu den Häuptlingen der Krähen gehen und sie fragen, ob es mir erlaubt werden kann, noch vor Nacht den Gefangenen unter vier Augen zu sprechen?«
Weucha nickte. »Es gern tun,« rief er, »Krähen erlauben müssen. Weucha sie zwingen.«
Er ging fort, und der Trapper blieb in maßloser Unruhe allein. Alles lächelte ringsumher im Glanze des Friedens und des Frühlings, nur die Seele des alten Mannes war zerrissen von bitterem Grame. Er sah stumm vor sich auf den Boden, bis der Dakota zurückkam, dann fuhr er auf. »Haben sie es gestattet, Teton?«
Weucha nickte. »Es wohl müssen,« versetzte er, »wenn auch knirschen vor Zorn.«
Als der Trapper aufstand, trat Bob zu ihm. »Sir,« bat er, »wenn Ihr für meinen Vater ein gutes Wort sprechen könnt, wollt Ihr's tun?«
Das Gesicht des jungen Menschen war blaß, er zitterte. Ein wohltuendes Gefühl durchströmte die Seele des Jägers. Dies Kind trug seinen Namen, es war Blut von seinem Blute. Jonathan legte die Hand liebkosend und weich an des Knaben Wange. »Ich will mein möglichstes tun,« versetzte er.
Und dann folgte er dem voranschreitenden Dakota. Zehn der angesehensten Häuptlinge schlossen sich sogleich dem Zuge an.
Über mehrere Felskuppen, durch verworrenes Gestrüpp ging der Weg bis in einen Engpaß. Rechts lagerten in einem Tale die Dakotas, links, tief versteckt, die Krähen. Inmitten des Lagers an einem Pfahl stand Stuart Collins, so stramm gefesselt, daß er keines seiner Glieder zu regen vermochte. Der Unglückliche hatte alles aufgegeben, er schien fast bewußtlos.
Jonathan stand erschüttert von fern. »Weucha,« bat er, »sage den Krähen, daß ich mit ihrem Gefangenen allein sprechen muß. Sie sollen sich zurückziehen. Sehen dürfen sie alles, hören nichts.«
Der Dakota neigte den Kopf und ging stolzen Schrittes dem Krähenhäuptling entgegen.
Stuart Collins nahm davon nicht die mindeste Notiz.
»Jetzt gehen,« riet Weucha. »Dakotas hier bleiben, sie aufpassen.«
Jonathan sammelte gewaltsam seine schwindenden Kräfte und eilte zu dem Gefangenen. Er legte leise die Hand auf des unglücklichen Mannes Achsel. »Collins,« sagte er, überwältigt von dem Eindruck der Stunde, »Collins, wollt Ihr mich nicht ansehen?«
Stuart Collins hob den Kopf. Er schien beim Anblick des Trappers zu erschrecken. »Ihr seid es!« stammelte er. »Ihr wollt die Schurken auffordern, mich zu töten – Ihr –.«
»Collins! – Das ist Euer erster Gedanke?«
»Ihr haßt mich!« murmelte der Unglückliche. »Sprecht, Mann, wenn Ihr ehrlich seid. Werde ich leben?«
»Das hofft niemand inniger als ich, Collins,« versetzte in seltsamer Bewegung der Alte. »Die Häuptlinge pflegen beim Friedensschlüsse ihre Gefangenen auszutauschen, das soll auch in unserem Falle geschehen.«
Der Verräter streifte mit scheuem Aufblick das redliche, kummervolle Gesicht des Jägers.
Jonathan trat ihm näher. »Collins,« sagte er, »beantwortet mir eine Frage! Wart Ihr das jüngste Kind Eurer von den Indianern ermordeten Eltern?«
Collins nickte. »Das ist kein Geheimnis, Sir. Was liegt Euch daran? Meiner armen Mutter jüngste Kinder waren Zwillingssöhne! Den einen gab sie, als er wenige Stunden zählte, einer Schwester, die ihr Einziges verloren hatte. So entging ich dem Tode durch Mörderhand, mein armer Bruder dagegen erlitt höchst wahrscheinlich ein furchtbares Schicksal. Als sämtliche Leichen halbverkohlt gefunden wurden, fehlte die seinige, das Raubgesindel hat ihn mit sich genommen und jedenfalls zu seinen scheußlichen Opferfesten verwendet. So, nun wißt Ihr alles, was ich Euch sagen kann.«
Der Trapper brauchte mehrere Minuten, um sich zu sammeln. Die Spur, nach der er jahrelang gesucht, lag nun offen vor ihm.
»Ihr könntet doch irren, Collins,« sagte er weich. »Vielleicht haben die Indianer das schutzlose Kind nicht geopfert, sondern es einem tüchtigen Manne zur Erziehung übergeben. Ihr müßt von dem roten Volke nicht so schlimm denken, Freund!«
Der Gefangene sah ihn mißtrauisch an. »Was wißt Ihr von der Sache?« fragte er. »Weshalb nennt Ihr mich Euren Freund? – Ich war es nie.«
»Doch vielleicht, Collins, mehr als Ihr ahnt. Aber bleiben wir zunächst bei der Geschichte Eures Bruders. Hörtet Ihr nie, daß in den Wäldern, selbst halb ein Indianer, bei dem roten Volke ein Weißer lebt? Ein alter Mann jetzt, ein Sechziger wie Ihr, Collins?«
Der Gefangene fuhr auf, er schien im ersten Augenblick fliehen zu wollen und sank dann wimmernd gegen den Pfahl zurück. »Ihr?« murmelte er, »Ihr? – Es ist nicht wahr!«
Der Trapper kühlte wieder seine Wunden. »Ich weiß es ganz gewiß, Collins,« sagte er traurig, »ganz gewiß, obwohl erst seit heute. Wir sind Brüder, die Söhne einer Mutter! – Laß in diesem Gedanken alles vergessen und begraben sein, was jemals zwischen uns lag! Wir wollen davon nie mehr sprechen!«
Der Gefangene zitterte. »Die Schwarzfüße haben dich also aufgezogen, mein Bruder? – O wie froh wäre ich gewesen, das früher zu wissen, es hätte manches anders und besser sein können.«
Der Trapper liebkoste die gefesselte Hand seines unglücklichen Bruders. »Wir wollen nicht zurücksehen, Stuart – nur vorwärts. Für das Gute ist es niemals zu spät!«
Jonathans Blicke suchten den Dakotahäuptling, als er sich von Stuart entfernte. »Weucha, solltest du mir nicht eine kurze Unterredung mit Adlerflügel zustande bringen können, mein Freund?«
Der Dakota zeigte sich gleich bereit und schon nach wenigen Minuten standen Jonathan und Adlerflügel einander gegenüber, letzterer eiskalt und von verletzendem Hochmut, der Trapper ruhig wie immer.
»Mein Bruder, der Häuptling der Krähen, wird morgen mit den Schwarzfüßen die Friedenspfeife rauchen,« begann er, »und nachdem das geschehen ist, die Gefangenen seines Volkes ausgeliefert erhalten. Wird aber mein Bruder auch den weißen Mann, den die Schwarzfüße nicht mit Recht beanspruchen können, freiwillig herausgeben?«
Der Häuptling lächelte höhnisch. »Ja,« antwortete er kurz.
»Und lebend, Adlerflügel, und unverletzt?«
Ein Ausdruck des Grolles blitzte auf in den tiefliegenden Augen des Wilden. »Ihn nicht verwunden mit Tomahawk oder Lanze, ihn nicht schießen oder stechen. Nun Wi-ju-jon genug wissen.«
Damit war die Unterredung beendet, und Jonathan ging schweren Herzens zu den Schwarzfüßen zurück. Er liebkoste stumm die blassen Wangen des Knaben, aber er schüttelte bei der ängstlichen Frage desselben den Kopf. »Gott wird richten, Bob. Ich habe das Meinige getan.«
Dann begab er sich in die fernste Ecke des Lagerplatzes und verbrachte eine schlaflose Nacht. Sein Bruder war dem Tode bestimmt, er wußte es mit Sicherheit.
Am folgenden Morgen sah die Sonne ein ebenso anziehendes wie großartiges Bild. Auf einem freien Platze hatten sich über sechzig Häuptlinge aller fünf Stämme versammelt, und ein Kriegsbeil wurde tief in die Erde versenkt. Jeder einzelne warf etwas Staub in die Grube, und als sie gefüllt war, nahmen alle in der Runde Platz, die Krähen indessen für sich etwas abgesondert, unnahbarer, finsterer als jemals. Man sah deutlich, wie tief sie sich verletzt fühlten.
Jetzt erschien die Pfeife aus rotem Stein, reichgeschmückt und betroddelt, sie ging von Hand zu Hand, und jeder Häuptling tat aus ihr einige Züge. Damit war der Friede zwischen den fünf beteiligten Stämmen in aller Form wiederhergestellt.
Alle Häuptlinge reichten einander die Hände, nur Adlerflügel und seine Genossen wandten sich ab – sie taten, als sei die Feierlichkeit beendet und gingen langsam fort. Jeder ihrer Blicke, jede Bewegung verriet den Haß, dem sie sich hingaben.
Jonathan winkte mehreren Häuptlingen der Schwarzfüße. »Wollt ihr an meiner Stelle die Gefangenen überliefern?« fragte er gepreßt. »Ich – möchte nicht dabei sein.«
Einer der Männer nickte. »Wi-ju-jon glauben, daß Krähen weißen Mann gutwillig herausgeben?« fragte er.
Der Trapper schüttelte den Kopf. »Laßt das! – Gott sei dem Armen gnädig.« Und dann ging er fort.
Zwei Häuptlinge der Schwarzfüße führten die gefangenen Krähen und Dakotas an eine Stelle, wo im Mittelpunkt beider Heereslager der Wald sehr dicht war. Junge Fichten erhoben sich überall, wucherndes Gestrüpp versperrte die Aussicht – noch war von den Krähen nichts zu entdecken.
Unter den auszuliefernden Gefangenen befand sich auch das Steinerne Herz. Die Arme verschränkt, den Blick voll Groll, so ging er dem neuernannten Anführer der Dakotas entgegen.
»Steinernes Herz hören, daß Schwarzfüße Frieden schließen mit Dakotas,« sagte er schroff. »Viel Lüge natürlich! Häuptling von Dakotas Gefangener. – Wer handeln für ihn? Niemand?«
Weucha hütete sich, den hingeworfenen Handschuh aufzuheben. »Wille von Stamm bestimmen Häuptling,« versetzte er ruhig. »Dakotas längst erkennen, wer Wahrheit reden für Stamm, wer mit gespaltener Zunge; sie alten Häuptling bevollmächtigen und er Frieden schließen, das alles.«
Das Steinerne Herz griff an die Stelle, wo im Gürtel der Wurfhammer zu stecken pflegt. Als Gefangener besaß er natürlich keine Waffen, sonst wäre es um das Leben des anderen geschehen gewesen. Voll ohnmächtigen Grolles ballte er die Faust. »Das nicht so hingehen,« zischte er. »Rufen ganzen Stamm, bringen Verräter an Marterpfahl.«
Weucha nickte. »Es gut sein, wenn er dahin kommen,« war die höhnische Antwort.
Dann mußte er im Verein mit Adlerflügel aus den Händen der Schwarzfußhäuptlinge die Gefangenen entgegennehmen, Mann für Mann erhielt seine Waffen, und nun flog das Steinerne Herz, den Wurfhammer über dem Kopfe schwingend, den im Hintergründe stehenden Dakotas entgegen. Hingerissen von blinder Leidenschaft, aller Überlegung bar, rief er mit lauter Stimme: »Wer Häuptling sein von Stamm, Weucha oder Steinernes Herz?«
»Weucha,« schallte es ihm entgegen.
Dieses Wort fiel wie ein Keulenschlag auf die heiße Stirn des Abgesetzten. Er schlich abseits zwischen die Büsche. Für den Augenblick hatte er das Spiel verloren.
Der rechtmäßige Häuptling tat, als sähe er nichts. Jeder freie unverdorbene Indianer ist von Haus aus Gentleman, Weucha war es auch.
Adlerflügel und er selbst hatten inzwischen ihre Gefangenen vollzählig entgegengenommen, jetzt näherte sich ersterer den Schwarzfußhäuptlingen. »Meine Brüder wissen, daß weißer Mann mit den Krähen hierhergekommen?« fragte er.
»Ja,« versetzte der oberste Stellvertreter des Gelben Wolfes. »Ja, das wissen.«
Adlerflügel stand hochaufgerichtet mit spöttischem Lächeln am Rande des Unterholzes, und darinnen rauschte es plötzlich auf, als breche ein riesiges Geschöpf daraus hervor. Die Wipfel zweier junger Fichten, gewaltsam zur Erde gebogen und nun losgelassen, schnellten empor, zwischen sich den Körper des unglücklichen Gefangenen, der, mit jeder Hand an einen der Bäume gebunden, jetzt gezwungen war, durch eigene Kraft die elastischen Kronen niederzuhalten oder sich von deren Wucht zerreißen zu lassen.
Für alles Leid und allen Schaden, die er je und je dem roten Volke zugefügt, sollte Stuart Collins jetzt bestraft werden.
Der Körper zuckte, und ein herzzerreißender Schrei brach von den Lippen des Unglücklichen. Aber nur sekundenlang währte seine Folter. Dann fiel von der anderen Seite des Gebüsches her ein Schuß, und plötzlich erschlaffte da oben in der Luft das Ringen des schwebenden Körpers. Die Kugel hatte das Herz durchbohrt, Stuart Collins war tot, gestorben, ehe eigentlich die Folter begann.
Adlerflügel nahm von dem Zwischenfall keine Notiz, er mochte ihn vorausgesehen haben, ohne die Sache hintertreiben zu können. Stolzen Schrittes verließ er an der Spitze der Krähen den Schauplatz einer gerechten, aber furchtbaren Wiedervergeltung.
Der einzige von allen Anwesenden, der sich nach einigen Augenblicken der Stelle, von wo der Schuß gefallen, zu nähern wagte, war Mr. Duncan. Als langjähriger Pelzhändler mit den Gebräuchen des Urwaldes so vertraut wie die Indianer selbst, hatte er gewußt, was heute geschehen werde, und reichte nun seine beiden Hände gutmütig tröstend dem schweratmenden alten Jäger. »Das war für Euch eine böse Stunde, Jonathan, aber Ihr habt sie redlich durchgekämpft und habt Euren Feind im Augenblick des höchsten Leidens durch ein Opfer erlöst – mehr kann der Mensch nicht tun. Jetzt kommt, dieser Schuß ging auch durch Euer Herz, ich weiß es.«
Die Dakotas und Krähen zogen ihres Weges, auch Punkahs und Schippewäer nahmen nach herzlichem Lebewohl Abschied, und am Mittag rüstete sich das Heer der Schwarzfüße zum Aufbruch. Jonathan wollte mit einigen Häuptlingen die Weißen den Kolonien wieder zuführen, alle übrigen sollten ohne Aufenthalt der Büffeljagd nachgehen.
Vorher war in tiefster Stille der Hingerichtete begraben worden, und auf seinen Hügel setzte Jonathan ein grob gezimmertes Kreuz, das die drei jungen Leute mit Blumen bedeckten. Bob erfuhr nun in passender Stunde die Geschichte seines Verwandtschaftsverhältnisses zu dem alten Trapper, und die Reise mit den mannigfachen Abenteuern solches Zuges durch Wald und Prärie, über Strom und Gebirge, der neugewonnene Friede, die Schönheit der Natur, alles übte dem verwundeten Herzen gegenüber seine erprobte Heilkraft, auch Mr. Everetts gute Laune war sehr bald zurückgekehrt, und so wurde die Heimreise denn zu einem wahren Feste.
Und aus Morgen und Abend wurde abermals der neue Tag. Das Blockhaus des Krämers am Flusse tauchte auf aus dem Grün, Hugo konnte seinem Pferde die Zügel schießen lassen und wie das Ungewitter vor die friedliche Tür rasen. »Hurra, Mr. Parker, hurra, ich bin wieder zu Hause. – Wie geht es meiner Mutter und dem Schwesterchen?«
Und alle Nachrichten waren gut. Eine halbe Stunde später hielten die Pferde an der Stelle, wo sich vor Jahr und Tag die Reisegesellschaft versammelte. Zwei der Teilnehmer waren nicht wieder zurückgekommen, Mr. Pitt und der Gelbe Wolf lagen Hunderte von Meilen tief im Urwalde in ihren einsamen Gräbern. Sie wurden doch sehr ernst, unsere Freunde, als sie so den Blick im Geiste hinüberschweifen ließen zu den Bildern des letzten Jahres.
Den Jubel der alten Frau Werner schildert keine Feder. Sie hatte den geliebten Sohn längst als tot betrauert, sie kannte jetzt kaum den sonnenbraunen, schlanken, jungen Mann, der so plötzlich vor ihr stand, dann aber war auch die Seligkeit des Wiederfindens grenzenlos.
Everett schenkte Hugos Schwester, dem kleinen Lenchen, allerlei schöne Sachen, die er rasch beim Kaufmann holte; Hugos Mutter aber schenkte er ein Papier. Etwas – meinte er – müsse die gute alte Mutter doch haben. Es war aber der Kaufvertrag über die Farm, die dadurch wieder in den Besitz der Familie Werner zurückfiel und auf der Hugo unter Leitung eines tüchtigen Verwalters zum Landwirt herangebildet werden sollte. Ehe ihm die glücklichen Menschen danken konnten, war er mit dem Trapper, Bob und den Indianern abgereist nach Neuyork, wo er wahrscheinlich durch seine Erzählungen der Held des Tages wurde.
Im nächsten Herbst kam der Trapper wieder nach St. Louis, um die von dem Dakota erhaltenen Kassenscheine abzuliefern und zugleich sämtliche Bekannte zu besuchen. Er selbst wollte sich von dem Leben im Walde nicht trennen, sondern hielt es für seine heiligste Pflicht, den Wigwam der Weißen Lilie und ihrer Töchter mit allem Nötigen zu versorgen, eins aber konnte er voller Freude erzählen. Die Schwarzfüße hatten den Blitz zum Häuptling erwählt, und er und Mairöschen waren seit kurzem ein glückliches Paar.
Die Mönnitarier wurden aus Stuart Collins' Nachlaß auf Heller und Pfennig bezahlt, ebenso viele andere, von denen Bob wußte, daß ihnen sein verstorbener Vater Geld schuldete, dennoch aber blieb genug übrig, um ihn selbst zum reichen Manne zu machen. Er erlernte wie Hugo die Landwirtschaft und verschmerzte mit der Zeit vollständig das Unglück seiner Jugend.