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Viertes Kapitel

Vor den Flüchtigen erglänzte das ruhig flutende Wasser; mehrere Fahrzeuge schaukelten am Ufer, Ruder lagen darin, Haufen von Fellen und Lebensmittel in Menge. Aus dem Schatten der Bäume erhoben sich zwei Krieger, die auf des Häuptlings Befehl den Männern halfen, die Verwundeten in Sicherheit zu bringen. Sämtliche Kanus glitten hinüber zur Mitte des Flusses. Die Wogen trugen sie unter dem Schutze der Nacht vorbei an dem Dorfe der Dakotas, und sämtliche Gerettete empfanden das Behagen neugewonnener Sicherheit, nur Mr. Duncan war stumpfsinnig vor Schmerz, so sehr quälten ihn immer noch die blutenden offenen Wunden.

»Wohin mit ihm und den anderen?« fragte heimlich seufzend der Trapper. »Das ist ein Unglück.«

Der Häuptling schüttelte den Kopf. »Es alles gehen,« antwortete er, »alles schon verabredet. Wi-ju-jon bleiben mit weißen Männern in Mandanerdorf, dahin kein Sioux kommen, kein Feind überhaupt!«

Der Trapper nickte. »Wenn es uns gelingt, aus dem großen Mandanerdorfe unangefochten nach den weißen Niederlassungen zurückzukommen, dann sind wir gerettet. O Wolf, wie nahe waren wir dem Tode!«

Die kleine Flotte schwamm auf den stillen Fluten des Gebirgsflusses langsam dahin. Eine flache, wenig schöne Niederung dehnte sich bis an den fernen Waldsaum, aber um so mehr Neues den Weißen und namentlich den Knaben darbietend. Eine größere Anzahl Indianerinnen war über die ganze Fläche verstreut; sie arbeiteten emsig, machten aber beim Anblick des Kanus und der darin sitzenden Weißen Miene, schleunigst zu entfliehen. Da reckte sich der alte Trapper empor, grüßte die Frauen und deutete mit der Rechten auf die Weißen, als wolle er sagen: Ich bin es, der sie einführt! – und das hatte sofort den gewünschten Erfolg: die hübschen, sanften Gesichter lächelten, und mehrere von den Frauen kamen an das Ufer, um frischgepflückte Beeren auf grünen Blättern anzubieten.

Jonathan nickte. »Geh zum Häuptling, Blitz, mein guter Junge,« beauftragte er den einen der Schwarzfüße, »und frage ihn, ob er geneigt sei, den Gelben Wolf der Schwarzfüße und dessen Freunde zu empfangen. Wir warten hier.«

Der Blitz verschwand, und die übrigen behielten Zeit, sich die Gegend rund umher anzusehen. Der Missouri mit seinen hohen Ufern aus festem Gestein deckte zwei Seiten des Dorfes gegen jeden Angriff, während die dritte, vordere auf ein schönes baumloses Tal mündende, durch Kunst und mühevolle Arbeit beinahe ebenso stark befestigt erschien. Eine Reihe von zwölf Meter hohen und einen halben Meter dicken Palisaden lief ringsherum, und zahllose kleine Schießscharten zeigten, daß für die Verteidigung gut gesorgt war. Hinter den Palisaden sah man vorläufig nur einige wenige dieser kuppelartigen, oben abgeplatteten Dächer; die kleine Niederlassung der Mandaner, des einzigen nicht wandernden Indianerstammes, war hübsch, wohnlich und sauber.

»Da kommt Klapperschlange!« rief plötzlich Jonathan. »Still!«

Ein Indianer, ganz in Büffelfell gekleidet, erschien vor dem Eingange des Dorfes. Er war groß und stattlich, das auffallendste, auch vielleicht hübscheste an seiner Person war ein Schmuckgegenstand aus den Federn des Kriegsadlers, der auf dem Kopfe wie eine Art Haube saß, über den Nacken herabfiel und noch auf dem Boden ein wenig nachschleifte.

In der Hand hielt Klapperschlange die bekannte, selbstgeschnitzte Pfeife aus rotem Stein mit ihren vielfachen Verzierungen und Ausschmückungen, am Gürtel trug er den Beutel aus feinem Leder, voll von Knick-Knack, den getrockneten Blättern einer Kirschenart, die dem genügsamen Sohne der Wälder als Tabak gilt und die er leidenschaftlich raucht. So ausgerüstet, näherte er sich der harrenden Gruppe der Weißen und ihrer indianischen Freunde.

Er deutete mit dem Zeigefinger gegen seine Brust. »Dies ist die Klapperschlange, der Häuptling der Mandaner,« sagte er.

Sofort vollführte der andere die gleiche Bewegung. »Dies ist der Gelbe Wolf, der Häuptling der Schwarzfüße,« antwortete er, »und dies« – auf die übrigen deutend – »seine Freunde, von denen er dir gestern erzählte. Die Bleichgesichter sind krank, sie haben unter den Martern der Dakotas geseufzt und können erst, wenn ihre Wunden geheilt sind, wieder die Pferde besteigen. Will mein Bruder, der große Häuptling der Mandaner, gestatten, daß sie und der Friedensmann, auf den die Dakotas fahnden, eine Zeitlang in seinen Wigwams leben, bis der Gelbe Wolf mit seinen jungen Kriegern, mit Pferden und Mundvorräten kommt, um sie abzuholen?«

Klapperschlange neigte voll Würde das federgeschmückte Haupt. »Meine Brüder, die Schwarzfüße, sind willkommen,« sagte er freundlich, »ebenso die Bleichgesichter. Sie mögen das Dorf der Mandaner wie ihr Eigentum betrachten und bleiben, solange es ihnen gefällt. Es steht für meine Brüder eine Hütte mit Ruhestätten bereit. Die Squaws werden ihnen Lebensmittel bringen. Meine Brüder können tun und lassen, was ihnen beliebt.«

Der Gelbe Wolf und der Trapper dankten, dann führte sie auf einen Wink des Häuptlings ein Läufer in die für sie bestimmte Wohnung, und nun konnten sich die Erschöpften häuslich einrichten. Wenigstens zehn Ruhestätten mit Bärenpelzen und Vorhängen standen in dem großen kreisrunden, halb unterirdischen Raume, Pfeiler mit Pflöcken befanden sich neben jeder dieser Lagerstätten, und das Loch in der Decke, als Fenster und Rauchfang dienend, war gegen den Regen von oben mittels einer verschiebbaren Klappe geschlossen. Der Fußboden zeigte sich hart und sauber.

Der Läufer des Häuptlings setzte die Speisen in reinlichen schwarzen Tonschüsseln auf den Fußboden und verteilte die Stäbe. Dann blieben die Gäste allein, um zu essen. Es war für jeden eine Büffelhaut auf den Boden gelegt worden und daneben eine Pfeife mit hinreichend Knick-Knack; die Schüsseln standen auf einer hübschen Binsenmatte.

Von dem großen Rippenbraten, dem Pemmikan und dem Pudding war fast nichts übriggeblieben, zwischen den Lippen der braunen wie der weißen Männer steckte die hübsche buntverzierte Pfeife, und in den Seelen aller erstarkte angenehme Ruhe.

Der Gelbe Wolf und seine Leute rüsteten sich zum Aufbruch. Sie hatten einen langen Marsch durch die den Pferden unzugänglichen Gebirgspässe; daher zögerten sie nicht, sondern sagten sowohl ihren Freunden als auch dem gastfreien Häuptling ein kurzes Lebewohl und verließen das Dorf, in dessen Ringmauern die übrigen sicher geborgen blieben. Jonathan begleitete sie bis zum Tore. »Wenn die Sonne vierzehnmal aufgegangen ist, dann bringst du uns Waffen und schützendes Geleit, nicht wahr, Sagamore? – Der Dakotas sind viele wie Blätter auf den Bäumen, wir allein könnten ihnen nicht widerstehen.«

Der Häuptling lächelte stolz. »Sechzig Schwarzfüße und dreihundert Punkahs!« sagte er. »Viel groß, viel mächtig sie alle. Gute Pferde und gute Waffen – der Gelbe Wolf nicht glauben, daß Krähen wiederkommen, Stamm weit weg mit Sommerzelten. Meine Kundschafter es wissen!«

.

Jonathan nickte. »Das wäre ein Glück, Sagamore, wahrhaftig. Lebe wohl und sieh zu, daß du für mich eine gute Büchse bekommst.«

Der Wilde versprach es, und dann schieden sie.

Alles pflegte der Ruhe, da forderte Mr. Everett Hugo und Bob auf, hinauszugehen und sich das Dorf ein wenig anzusehen.

Sie schlenderten also dahin, wo die Hütten im Kreise so dicht gedrängt standen, daß zwischen je zweien nur so viel Raum blieb, um hindurchgehen zu können. Sie glichen großen Maulwurfshügeln und waren etwa dreißig bis vierzig Fuß hoch, so daß das Innere, ganz entgegengesetzt den Hütten anderer Wilden, jedesmal kuppelförmig und sehr hoch erschien, obgleich auch hier die Türen nur zum Hindurchkriechen eingerichtet waren, Fenster und Schornsteine fehlten. Hohe, oben gebogene Pfosten bildeten die Wände, starke Balken stützten das Dach, und nirgends fehlte diesen Wohnungen Licht und Sauberkeit, wohl aber das Hausgerät, von dem nichts zu erblicken war.

Einige selbstgefertigte Töpfe aus schwarzem Ton, Stäbe, Messer, Matten und ein Besen aus Birkenrinde war alles, was die Hausfrau ihr eigen nannte; hoch oben auf dem abgeplatteten Dache aber fand sich jedesmal noch ein wichtiges Besitztum der Familie, das freilich sonst nicht an dieser Stelle verwahrt zu werden pflegt, das Rindenkanu mit vier oder acht Ruderstangen.

Alle diese Fahrzeuge lagen kieloberst auf den Hütten und dienten als Sitzplätze. Neben ihnen, auch auf dem Dache hatte man die Schädelknochen aller von dem Hausherrn erlegten Büffel zusammengestapelt und außerdem den kleinen kunstlosen Wagen und den Schlitten der Familie. Vor dem Eingang stand jedesmal eine sieben bis acht Meter hohe Stange, an der bei schönem Wetter die weißen Schilde mit dem Totam des Kriegers und der Abbildung seiner Medizin zu hängen pflegten, nicht weniger aber auch die Skalpe, die er auf seinen Kriegszügen erbeutete. Vor den Eingängen flatterten oft rote und blaue Stoffe, die immer die Wohnung eines Häuptlings bezeichneten.

Für die drei Beschauer waren diese Dinge neu und sehenswert, namentlich der mittlere freie Platz des Dorfes mit einem aufrecht stehenden großen Holzgerüst, das einer Riesentonne ähnlich war, und das mehrere Knaben, die sich dem Zuge angeschlossen hatten, das große Kanu nannten. Bob verstand fast alles, was sie sagten, er konnte es also seinem Begleiter übersetzen. Sie kehrten gegen Abend in ihre Hütte zurück und hatten viel zu erzählen.

Einige Tage später unternahm Mr. Everett abermals einen Streifzug durch das Dorf, um den Medizinmann zu treffen. Jetzt im Abendschatten hatte sich das äußere Ansehen der Umgebung sehr verändert. Alle Türen waren offen, alle Feuer erloschen und die ganze Bewohnerschaft auf den flachen Dächern versammelt.

Der Medizinmann war verschwunden, Everett mußte zu seinem Bedauern umkehren, ohne ihn gesehen zu haben.

Am andern Tage baten die Freunde den alten Jonathan, ihnen doch einiges über den Glauben, die Sitten und Gebräuche ihrer Gastfreunde zu berichten, und der Trapper erfüllte gern ihren Wunsch. »Die Mandaner,« erzählte er, »haben, wie fast jedes Volk, ihre eigene Überlieferung von der Erschaffung der Welt. Diese gleicht in vieler Beziehung der biblischen, daher habe ich sie immer mit großem Anteil verfolgt. Das Volk der Fasanen war nach ihrer Ansicht das erste aller Völker. Es lebte im Mittelpunkt der oben flachen, kreisrunden Erde, zu der ein einziges großes Loch hinaufführte. Ein Weinstock wuchs so hoch empor, daß er eine bequeme Leiter bildete, und diesen Umstand benutzte einmal ein junges Mädchen, um gegen das Verbot des Großen Geistes hinaufzuklettern und sich die Oberfläche anzusehen. Weite Prärien zeigten sich ihrem Blick, ein schönes fruchtbares Land und viele Hunderte von Büffeln! Da verlockte sie die jungen Männer, auch hinaufzusteigen, aber unter ihrer Last brach der Baum, und nun konnte niemand mehr zurückkommen in das Land seiner Väter, die Ungehorsamen litten jetzt ebensowohl unter des Sommers Hitze als des Winters Frost, aber späterhin gesellte sich zu dieser Strafe eine andere, noch viel ärgere. Die vier großen Schildkröten, die im Süden, Osten, Norden und Westen der Welt das Wasser hervorzubringen pflegen, spien einmal im Auftrage des Großen Geistes zehn Tage lang ununterbrochen, so daß alles Lebende ertrank und nur ein einziger Mensch sich in einem großen Kanu rettete. Dieser ist Numank-Machana. Ihm zu Ehren wird das O-kie-pa-Fest gefeiert, und die jungen Krieger lassen sich zu Ehren des Großen Geistes martern. Es ist schade, daß wir diesem Feste nicht beiwohnen werden, denn es findet erst in einigen Monaten statt.« – »Das ist ja recht schade,« meinte Everett, und dann ging er mit den beiden Knaben wieder hinaus an den See, um das darin befindliche Biberdorf aufzusuchen. Da sahen sie plötzlich am gegenüberliegenden Ufer des Wassers eine Rauchsäule aufsteigen. Dann teilte sich das Buschwerk, und ein Indianer kam zum Vorschein, um, wie ein Tier auf dem Bauche liegend, zu trinken. Als er seinen Durst gelöscht hatte, nahm ihn das Dickicht wieder auf.

Unsere Freunde sahen sich an. »Ein Dakota war es nicht!« flüsterte Hugo.

»Eine Krähe,« meinte Bob. »Saht ihr nicht den Haarwulst auf dem Kopf? So trägt sich nur dieser Stamm, alle übrigen scheren das Haar bis auf die Skalplocke in der Mitte.«

»Dann sind die Kerle hier, um uns aufzulauern!«

»Natürlich! Um Rache zu nehmen für ihre beiden Toten!«

Ziemlich verstimmt begab sich die kleine Gesellschaft auf den Heimweg. Ihre Gedanken weilten bei den Freunden, die ausgezogen waren, um Hilfe herbeizuholen. Diese mußte nun bald kommen; denn zwölf Tage waren schon vergangen, seit der Gelbe Wolf fortgeeilt war.

Die Mandaner hatten Gäste bekommen, die befreundeten Mönnitarier, und Doppelgesicht, der Häuptling, lud auch die Weißen zu einem Besuch seines Dorfes ein. So wurden denn die Pferde eingefangen und für die Weißen Waffen herbeigebracht. Jetzt ging es wieder hinaus in den grünen Wald, neuen Sitten, neuen Menschen entgegen und schließlich gar auf die Bärenjagd. Hugo jubelte.

Bob deutete zum gegenüberliegenden Ufer des kleinen Flusses. »Da war es, von wo der Rauch aufstieg,« sagte er, »ich wünsche wahrhaftig in diesem Augenblick nichts so sehr, als zu wissen, wo die im Hinterhalte liegen, die damals hier ein Feuer entzündeten.«

»Ah, bah, Junge,« sagte Mr. Everett, »du siehst Gespenster am hellen Morgen. Das waren die hübschen, gastfreundlichen Mönnitarier.«

»Das waren sie nicht, Sir. Überzeugt Euch doch, indem Ihr fragt.«

Everett brachte sein Pferd nahe an das des Trappers. »Old Jonathan,« sagte er, »Bob kommt wieder mit der Geschichte von den versteckten Krähen. Erkundigt Euch doch, bitte, bei den Mönnitariern, ob sie auf ihrem Heimwege hier herum gelagert haben!«

Jonathans scharfer Blick traf den Sohn des Verräters. »Wo dieser Bursche die Hand im Spiel hat, da ist Vorsicht geboten,« sagte er.

Und sich an den Häuptling wendend, fuhr er fort: »Will mir mein Bruder sagen, ob er und seine Leute hier herum vor drei Tagen Rast hielten, ob sie hier den Kriegsadler schossen und aus dem Wasser des kleinen Flusses tranken?«

Doppelgesicht neigte den Kopf. »Es war, wie mein Bruder sagt,« versetzte er. »Der Häuptling schoß hier herum mehrere Tiere, – aber weshalb fragt Wi-ju-jon?«

»Weil diese jungen Leute den Rauch von meines Bruders Feuer gesehen haben und nun an einen Hinterhalt der Krähen oder Dakotas dachten. Das ist alles, Häuptling!«

Doppelgesicht beugte sich weiter vor. »Rauch?« wiederholte er. »Die Mönnitarier hatten aber kein Feuer.«

Bob lächelte ruhig. »Ich wußte es!« sagte er.

Jonathans Gesicht wurde ernster. »Dieser Rauch war ganz gewiß eine Wolke,« rief er. »Ihr müßt euch getäuscht haben.«

Everett schüttelte den Kopf. »Nein, Alter, das weiß ich mit vollkommener Sicherheit, und auch Hugo kann es bezeugen. Die Rauchsäule stieg gerade und langsam in die windstille Luft empor, wir alle haben sie gesehen. Später kam ein Indianer an den Fluß und ergriff, nachdem er getrunken hatte, einen getöteten Adler.«

Jonathan schien einen Augenblick betroffen. »Und weshalb glaubst du denn gerade, einen vom Krähenstamm erkannt zu haben. Junge?« fragte er mißtrauisch.

»Weil er auf dem Kopfe den Haarwulst trug, Sir. Kein anderer Indianer schmückt sich so.«

»Saht Ihr das auch, Sir?«

»Wahrhaftig,« gestand Everett, »ich habe mich im Augenblick nicht sonderlich darum gekümmert. Man muß länger in der Wildnis leben, bevor einem solche Feinheiten ganz geläufig werden!«

Doppelgesicht drehte sein Pferd und ließ es das seichte, hinter dem Biberdamm spärlich fließende Wasser durchschreiten. »Wir nachsehen!« rief er. »Nicht lange fragen, selbst überzeugen.«

Die übrigen Indianer, Mönnitarier und Mandaner, folgten ihm sogleich, der Trapper dagegen schüttelte den Kopf. »Wir können da in einen Hinterhalt geraten,« sagte er zögernd, »die nächste Viertelstunde kann uns allen den Tod bringen.«

»Und doch müssen wir es wagen,« fügte er hinzu und ließ sein Tier den vorangegangenen folgen. »Überfallen uns die Krähen in stärkerer Anzahl, dann hat unsere letzte Stunde geschlagen! – Und daß sie dazu die allergrößte Neigung bezeugen, liegt wohl auf der Hand. Wir entrissen ihnen den geraubten, höchst wertvollen Schatz und zwangen sie zu einem schimpflichen Vergleich. Grund genug, uns zu hassen.«

Die Pferde der Indianer hatten den flachen See durchschritten, die ganze, aus etwa dreiundvierzig Personen bestehende Gesellschaft ritt unter den hohen Bäumen des Ufers dahin, um erst einmal festzustellen, ob hier vor wenigen Tagen wirklich Rauch aufgestiegen sein konnte oder nicht. Schon nach wenigen Minuten entdeckte der Häuptling die Feuerstelle. »Hugh! – Hier Fleisch gebraten! Finden Knochen und Haut von Büffel! – Mokassin gewesen, rote Männer!«

Klapperschlange beugte sich neben ihm über den Aschenhaufen. »Kein Nachtlager,« setzte er hinzu, »keine Jagd hier. Nur ausgeruht, nur gegessen. Vielleicht hier wegen Biber.«

Doppelgesicht schien zu zweifeln. »Mehr Biber weiter hinauf,« sagte er. »Das nicht glauben. Wir Spuren zählen im Sand zwischen Gebirge. Nicht wissen, ob es viele Krähen sind oder wenige.«

Die Stimmung wurde immer ernster. Plötzlich erhob Bob zwischen seinen Fingern einen Gegenstand, der so geringfügig war, daß ihn die anderen nicht einmal bemerkten. »Seht her,« rief er, »jetzt gibt es keinen Zweifel mehr. Das Fließende Feuer ist hier!«

»Das Fließende Feuer?«

Bob legte in Everetts Hand einen kurzen rotseidenen Faden, den ein Dorn bis dahin zwischen seinen feinen Zacken festgehalten hatte. »Das fand ich hart neben der Feuerstelle, Sir,« rief er. »Es ist ohne Zweifel ein Faden aus den Troddeln Eures bunten Käppchens, das Ihr dem Krähenhäuptling für Mr. Duncans Freilassung in Tausch gabt. Wie käme sonst Seide hierher in die Wildnis!«

Betroffen schauten sich die Häuptlinge und alle Reisenden an. Die Tatsache, daß Krähen in der Nähe seien, war nicht von der Hand zu weisen.

Sie ritten mit gespannter Aufmerksamkeit weiter bis zum Abend, wo sie aßen und sich dann auf ihr Lager streckten. Hier wäre es fast um das Leben Doppelgesichts geschehen gewesen, denn dicht hinter ihm erschien, noch ehe er eingeschlafen war, eine dunkle Gestalt mit erhobenem Arm – noch eine Sekunde länger, und er selbst hätte mit zerschmettertem Schädel dagelegen.

Blitzschnell packte er die Waffe, ein Ringen zwischen ihm und dem unvermuteten Angreifer entstand ebenso rasch wie es sich plötzlich löste, – der Unbekannte hatte eine günstige Gelegenheit zur Flucht gefunden, die Büsche rauschten auf, die schlanke Gestalt des Wilden verschwand, und alles wurde still wie vorher.

Der gellende Kriegsruf des Häuptlings weckte sämtliche Schläfer zugleich. Er versteckte und verteilte die Wachen und erzählte nun erst den Weißen, was ihm begegnet war.

»Der Feuergeist ist hier gewesen!« – –

»Unsinn, Häuptling!« rief Jonathan. »Eine Krähe war's, und das ist schlimmer als wenn das ganze Geisterreich auf einmal angerückt käme. Wie sah denn der Kerl aus? Du wirft ja doch hoffentlich, wenn eine Rothaut vor dir steht, sagen können, zu welchem Stamme sie gehört.«

»Hugh! Zu keinem Stamme. Es war der Feuergeist. Er rote Flamme auf Kopf.«

»Sir,« rief plötzlich Bob, »Sir, ob es nicht das Fließende Feuer war mit dem bunten, betroddelten Käppchen von Ihnen?«

»Mein Gott,« rief Everett, »das ist möglich! Häuptling, trug sonst dein Feuergeist die Kleider und die Ausrüstung der Krähen?«

»Das tat er, um ungestört einzudringen. Sein Gesicht war mager und scharf geschnitten. Er verschwand zwischen den Gebüschen wie ein Schatten.«

»Kein Zweifel also, es war das Fließende Feuer. Der Stamm ist hier, um für seine Niederlage, seine Toten Rache zu nehmen.«

Er erzählte nun dem Häuptling von jener früheren Begegnung mit den Krähen und von der gestickten goldglänzenden Mütze. An Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken, alle wachten mit den Waffen in den Händen, und als die ersten Tagesstrahlen heraufzogen, wurden Kundschafter ausgeschickt, um die Spuren des plötzlich unsichtbar gewordenen Feindes aufzunehmen. Dann ging es wieder vorwärts.

Der Reitertrupp bog nach kurzem, scharfem Trabe rechts ab auf einen anderen Teil der Prärie und dann auf ein Sandfeld, in dem die Tiere nur Schritt um Schritt vorwärts gehen konnten. Bisher hatten Everett und die Knaben, abgesehen vom Mandanerdorf, nur solche Indianerhütten gesehen, die, mitten auf einen freien Platz gestellt, um sich herum den Anblick der Wildnis boten, nirgends aber an eine friedliche Niederlassung erinnerten. Hier sollten sie zum ersten Male ackerbautreibende Indianer kennenlernen. Bis weit vor das Dorf hinaus erstreckten sich hoch umzäunte wogende Maisfelder, deren Ähren, weich und halbreif, im Sonnenlicht wie Gold erglänzten. Alles war bepflanzt, jeder Fleck Erde verwertet.

Die Hütten des Hauptdorfes an dem schönen, breiten Knifefluß waren nach dem Muster der mandanischen Wohnungen halb in die Erde hineingebaut und von oben mit festgestampfter Erde bedeckt. Ein fröhliches Treiben herrschte in den Straßen, und als die Reiter zwischen den wogenden Ährenfeldern sichtbar wurden, lief ihnen eine Menge alter Frauen mit Freudengeschrei entgegen, indem sie fortwährend durcheinander sprachen und dem Häuptling irgend etwas zu versichern schienen, obgleich der ernste Mann davon nicht die geringste Notiz nahm. Er ritt weiter, ohne den humpelnden, schreienden und jauchzenden Frauen auch nur eine Silbe zu antworten.

Auch Doppelgesicht bot seinen Gästen Bärenfelle und Betten und bewirtete sie reichlich.

Am dritten Tage ihres Aufenthaltes im Dorfe der Mönnitarier wurde ein Bärenfang unternommen.

»Ich kenne einen wundervollen Bienenbaum,« schmunzelte Jonathan, »so recht geeignet für den Fang. Ich habe mindestens sechs Fährten gefunden!«

Doppelgesichts Augen glänzten. »Wird Wi-ju-jon auch den Honig erlangen können?« fragte er. »Squaws und Pappus ihn sehr gern essen.«

»Natürlich, Doppelgesicht, natürlich. Ich bin gewohnt, alles zugleich zu verkaufen, die Bärenhaut und die süße Näscherei. Aber du mußt ein Dutzend eurer größten Holzschüsseln und einen Karren mitbringen, vielleicht sogar zwei.«

Der Häuptling nickte eifrig. »Mönnitarier immer schießen Bären und nie erlangen Honig,« sagte er. »Honig viel zu hoch, Bienen oben in der Luft und nicht können fällen Baum, weil eine Menge andere ganz dicht dabeistehen. Keinen Platz haben.«

Jonathan lächelte behaglich. »Das muß man kennen, Häuptling. Ich verspreche dir so viel Honig, wie du nur wünschest, und zwar mittels weniger Axtschläge. Die Falle ist fertig, wir brauchen nur hinzugehen und die Beute einzuheimsen.«

Und so wanderten denn gegen Tagesanbruch mehr als hundert Jäger mit Schüsseln, Töpfen und zwei Karren hinaus, am Ufer des Knifeflusses dahin bis zu der Stelle, wo ein uralter Eichbaum stand. Hier hatte Jonathan die Falle angebracht, ein schwerer Holzblock am Seil frei in der Luft schwebend, gerade über einem kleinen, fußhoch vom Boden in den Stamm des hohlen Baumes gehauenen Loch, aus dem einzelne Tropfen des süßen Saftes fortwährend herausquollen. Sonst waren keine Vorbereitungen getroffen.

»Und das ist alles?« fragte etwas enttäuscht Mr. Everett. »Springt der Bär auf den Block?«

Jonathan lächelte. »Legt Euch ins Versteck, Sir, der Anblick wird komisch genug. So, dahin, der Bär kann in jedem Augenblick kommen.«

Rings um den Baum lagerten unter den Büschen die Mönnitarier und die Weißen.

Plötzlich raschelte das Laub, und vier ausgewachsene Bären mit braunem, lockigem Fell, feist von der reichlichen Nahrung der letzten Monate, noch faul von der nächtlichen Ruhe, ohne Zweifel getrieben von dem Verlangen nach einem frischen Trunk, kamen im gemütlichen Trott daher und machten vor dem Bienenbaum Halt und schnupperten.

Die Weißen lagen kaum fünf Schritte entfernt im Hinterhalt, Hugo zunächst nach außen hin.

Der vorderste Bär ging dem Dufte des langsam heraussickernden Honigs nach, er leckte begierig vom Moos die verführerische Speise und kam dann zu dem Stamme selbst. Immer mehr quoll ihm entgegen, immer reger wurde sein Eifer. Er wollte die Schnauze in das von dem Trapper gehauene Loch bringen – nur der Holzklotz hinderte ihn daran.

Die anderen Tiere umringten und umdrängten ihn von allen Seiten. Sie begannen zornig zu brummen, gebieterisch ihren Anteil zu fordern. Der erste geriet immer mehr in Eifer. Der ersehnte Leckerbissen lag offen in großer Menge vor ihm, seine Nase sog den süßen Duft, seine Zunge leckte und leckte, nur der Klotz mußte beseitigt werden. Ein Tatzenschlag und er flog weit hinaus in die Luft.

Der Bär glaubte sich jetzt von dem lästigen Block befreit, er preßte die Schnauze so tief als es ihm möglich war in den Stamm und in den Honig hinein. Hinter ihm ging das Brummen der anderen allmählich über in zorniges Brüllen. Sie sprangen mit den Vordertatzen auf seinen Rücken und packten im Nacken das zottige Fell. Da schlug wie eine hochgeschwungene Schaukel der Block zurück, mit jäher Wucht gegen den Kopf des Tieres, es zu Boden schleudernd, mehrere Schritte weit von dem Baum weg in das Dickicht. Sekundenlang schien der Bär wie betäubt, er schüttelte den Kopf und raffte sich auf, dann aber gereizt durch den Schmerz und das Andrängen der übrigen Tiere, versetzte er dem Block einen so gewaltigen Stoß, daß der Baum von oben bis unten erzitterte.

»So, Petz,« murmelte Jonathan, »dahin wollte ich dich haben. Jetzt zählt dein Erdendasein nur noch nach Sekunden.«

»Pst! – Pst! Er könnte uns hören!«

Der Bär stand hochaufgerichtet mit schnaufendem Atem und gehobenen Pranken, als wolle er seinen Widersacher erwarten. Die Luft wurde pfeifend durchschnitten, der Baum bog seine Äste knarrend weit hinaus, und nun kam das furchtbare Geschoß zurück. Der Bär wurde an Kopf, Brust und Unterleib zugleich getroffen, mit einem dumpfen Brüllen stürzte er wie ein gefällter Baum zu Boden, das Moos färbte sich rot vom hervorquellenden Blute, noch ein paarmal griffen die Tatzen krampfhaft in die leere Luft, und dann war das gewaltige Tier tot.

»Hurra!« rief Everett. »Das habt Ihr gut gemacht, Old Jonathan!«

Die Folgen des unbedachtsamen Ausrufes zeigten sich sofort, die drei übrigen Bären waren gewarnt worden, sie verließen den Honig und suchten das Weite, ehe noch Minuten vergingen. Der alte Trapper schüttelte halb lachend, halb ärgerlich den Kopf.

Ein paar Indianer packten das verendete große Tier, und während sie Fleisch und Fell von dem Unbrauchbaren trennten, leitete der Trapper die Arbeiten an dem Bienenbaum. In einer Höhe von zehn Metern flogen die kleinen geschäftigen Honigträgerinnen aus und ein, ohne zu ahnen, daß menschliche List sie unterdessen ihres ganzen reichen Schatzes schonungslos beraubte. Der Jäger ließ das ursprünglich kleine Loch erweitern und brachte dann durch einen geschickten Griff die hängenden Massen der Wachszellen mit ihrem wohlschmeckenden Inhalt ins Sinken. Sie ließen sich nun stückweise herausnehmen, und obgleich viel Honig verloren ging, war doch die Ausbeute eine so reichliche, daß Schüsseln und Töpfe überflossen. Je mehr indessen der Vorrat oben zu schwinden begann, desto unruhiger wurden die erschreckten Bienen. In immer dichteren Schwärmen umsummten sie die Köpfe der durch Büffelleder geschützten Jäger.

Doppelgesicht hatte bisher das Arbeiten des Trappers und der Weißen mit angesehen, jetzt schüttelte er den Kopf. »Gut für Squaw,« sagte er, »sie hingehen und den Rest holen. Alle Schüsseln gefüllt, der Bär erlegt – keine Jagd mehr für Männer.«

Und nachdem über die beiden bis zum letzten Winkel bepackten Wagen ein Büffelleder gedeckt war, wollte er seine Leute zum Rückzug aufstellen, aber der Trapper hinderte ihn daran. »Das geht so nicht, Häuptling! – Die Luft ist schwarz von Bienen. Wir würden bis in das Dorf, bis in die Hütten hinein von ihnen verfolgt werden. – Kommt, Kinder, plumpst alle in das Wasser, dahin wagen sich die Braunröcke nicht!« Und binnen weniger Minuten hatten alle das rettende Wasser erreicht.

Die Jäger begaben sich zum Dorfe zurück.

Es war heute ein außerordentlich ergiebiger Tag gewesen. Die glückliche Stimmung durchbrach daher sogar das vornehme Schweigen der roten Männer. Die Indianer mit ihren weißen Begleitern hatten das jenseitige Ufer fast erreicht, als plötzlich ein Läufer zwischen den Gebüschen erschien. Seine Haltung, sein Aussehen zeigten, daß er eine sehr wichtige Botschaft zu überbringen habe, dennoch aber blieb er regungslos stehen und erwartete die Erlaubnis zum Sprechen.

Doppelgesicht winkte dem Läufer. »Weshalb kommt mein Bruder zurück, ehe er noch im Dorfe der Mönnitarier gewesen sein kann?« fragte er.

Der Indianer legte den Finger auf die Lippen. »Inschin in Wald!« flüsterte er behutsam. »Viel Inschin! Krähen!«

»Also doch!« rief Jonathan. »Und in welchem Teile des Waldes hast du sie gesehen?«

»Nicht weit von hier. Sie versteckt liegen, nicht wissen, daß Mönnitarier sie sehen, er nur bemerken ein Auge, das glänzen in Busch, dann er auf einen Baum steigen und sehen Krähenhaar, – er erkennen Häuptling mit Blitz und Flamme auf dem Kopf.«

»Das Fließende Feuer verfolgt uns bis hierher? – Hm, mit einer geringen Anzahl von Kriegern würde er das nicht wagen; es müssen mehr Leute bei ihm sein, als wir wissen. Was schlägst du vor, Häuptling?«

Der kühne Mann kräuselte verächtlich die Lippen. »Doppelgesicht ist ein großer Häuptling,« sagte er würdevoll, »ein Tapferer, es ziemt ihm nicht, zu flüchten oder seinen Skalp hinter den Rücken der Squaws zu verbergen. Doppelgesicht will den Krähen entgegenreiten und sie Hunde nennen.«

Das war ein mannhafter Entschluß, aber auch zugleich die unbedingte Eröffnung neuer Feindseligkeiten. Der Trapper schüttelte den Kopf. »Es wäre besser, wir machten einen tüchtigen Umweg und ritten über die offene Prärie nach Hause, Häuptling,« versetzte er heimlich seufzend, »dort werden sie uns auf keinen Fall anzugreifen wagen.«

»Das kann Wi-ju-jon ungehindert tun, wenn es ihm an Mut fehlt. Doppelgesicht will dem Fließenden Feuer sagen, daß er ein Dieb ist, ein Räuber.«

Jonathan fühlte, wie er errötete. »Mir hat in meinem ganzen langen Leben noch kein Mensch Mangel an Mut vorwerfen können, Häuptling,« versetzte er mit ruhiger Würde, »aber ich finde es vernünftiger, einer Schar von Mordbrennern aus dem Wege zu gehen, das ist alles.«

Der Indianer nickte. »Wi-ju-jon guter Mann,« sagte er höflich, »zu sehr Friedensmann. Krähen die Zähne zeigen, das besser.«

Ein Wink von ihm gebot den übrigen, ohne Zeitverlust zu folgen. Der Läufer verschwand gleich einem Wiesel im Dickicht, die Pferde erkletterten nacheinander das seichte Ufer und dann setzte sich die ganze Schar in Bewegung.

Bald darauf stand Doppelgesichts Bote wieder mitten auf dem Wege. Er sprach kein Wort, sondern hatte nur bedeutsam den Zeigefinger gegen seine Lippen gepreßt.

Der Häuptling stutzte, dann fragte er: »Wo?«

Da fuhr zischend durch die Luft ein Wurfhammer und traf den Läufer am Hinterkopf, so daß er lautlos zusammenbrach und tot vor den Füßen des Häuptlings liegen blieb. Das alles vollzog sich während weniger Sekunden.

Jetzt waren die Feindseligkeiten eröffnet. Auf der ganzen Linie der Mönnitarier erklang wie aus einem Munde das gellende erschütternde Kriegsgeschrei, jede Lanze wurde eingelegt, jedes Pferd bäumte und sprang vorwärts – ein Pfeilhagel aus dem Gebüsch zur Linken überschüttete Rosse und Reiter mit seinen todbringenden Geschossen. Mehrere Indianer fielen getroffen von den Pferden, mehrere Tiere brachen verendend in die Knie, aber immer noch zeigte sich kein Feind. Offenbar beabsichtigten die Krähen ursprünglich, ihren Gegnern in den Rücken zu fallen. Die Wachsamkeit des Läufers vereitelte jedoch diesen Plan, und nachdem sie ihn voll Rachsucht sofort zu Boden gestreckt hatten, suchten sie die erste Verwirrung der Mönnitarier dadurch für sich auszubeuten, daß sie ohne weiteres zum Angriff übergingen und die Reihen zu durchbrechen trachteten.

Aber keiner von ihnen war beritten. Das verlieh den Mönnitariern einen bedeutenden Vorteil.

»Reitet sie nieder!« rief Doppelgesicht. »Schont keinen!«

Er sprengte voran in der Richtung des immer noch andauernden Pfeilhagels, die übrigen folgten ihm nach, auf allen Seiten erscholl das Kriegsgeschrei, und nach einigen Minuten waren beide Parteien handgemein.

Das Fließende Feuer, mit Everetts Troddelkäppchen sonderbar geschmückt, stand im Gedränge einen Augenblick dem Häuptling der Mönnitarier gegenüber. Doppelgesicht, kräftig und keck wie ein Löwe, entriß dem anderen die lange Lanze, mit der dieser ihn angriff, und zerschlug sie splitternd gegen den nächsten Baum.

»Der Häuptling der Krähen ist ein Dieb! – Was sucht er auf den Jagdgründen von Männern? Hat er in den Kriegspfahl gehauen, so stand vor ihm wohl seine Squaw und deckte ihre Röcke darüber, damit niemand es sehe!«

»Die Mönnitarier sind Schlangen, Katzen, Wölfe! Sie wissen, daß zwischen den Schwarzfüßen und den Krähen die Streitaxt ausgegraben worden ist, aber sie scheuen sich nicht, den Feinden der Krähen Obdach zu geben und diese dann Diebe zu nennen.«

»Das Fließende Feuer ist ein Prahler, er trägt ein Spielzeug im Haar!«

»Hugh! – Den Schmuck eines weißen Königs.«

In diesem Augenblick sprengte Everett heran. Er hörte und sah, was vorging, seine Lanze parierte geschickt den Stoß, der das Leben des Häuptlings bedrohte.

»Das Fließende Feuer ist leichtgläubig wie ein Pappus,« rief er. »Ein Spottvogel sang vor seinem Ohre, und er gab das Leben eines weißen Gefangenen für die Haube einer Squaw! – Männer lieben nicht so bunte Farben, ein König lacht, wenn er das Ding sieht!«

Der Schuß traf ins Schwarze. Das Fließende Feuer schäumte vor Wut. Er riß mit einem einzigen Ruck die Kappe derartig aus seinem Kopfputz heraus, daß große Büschel Haare nach allen Seiten flogen. »Der Weiße wird mit dem Leben die Lüge bezahlen!« schrie er.

Von rechts und links drangen jetzt die Mönnitarier in geschlossenen Reihen gegen ihn vor, und die Krähen wurden überall mit gleicher Entschiedenheit geworfen. Ihr Schicksal führte sie immer sicherer in das Verderben.

Der Häuptling sah, daß alles verloren war. Die Seinen lagen tot und sterbend am Boden, die Skalpernte der Mönnitarier wurde immer reicher, – nur noch ein einziger Gedanke erfüllte das Herz des erbitterten Mannes: Rache! – Rache an den Weißen!

Er flüsterte mit seinen Leuten, er bezeichnete ihnen Mr. Everett und die Knaben, die wie Männer im Kampfe gestanden und ihre Kräfte, ihr Leben der Sache ihrer Gastfreunde gewidmet hatten. Schnell erkannte Everett die Gefahr.

»Auf, hinaus in die Prärie!« rief der Häuptling, und nun sprengten sechs Krähen Hugo und Bob nach in die Prärie.

Jonathan sah es, und zum ersten Male schwankte er im Sattel. »Großer Gott, die unglücklichen Kinder! – Jetzt sind sie verloren!«

Hugo und Bob mußten es den Pferden überlassen, selbst die bedrohlichen Stellen des Weges zu erkennen und zu vermeiden. Sie konnten nichts tun, als sich unter Aufbietung aller ihrer Kräfte im Sattel zu halten suchen und ohne Widerstand das über sich ergehen lassen, was folgen würde.

Hinter ihnen erdröhnten Hufschläge. Bob wandte den Kopf und erkannte die Verfolger, stillschweigend wurden beide dahinrasenden Pferde nur noch stärker angetrieben, und fort ging es über Stock und Stein, bis die Dämmerung allmählich den Glanz der Sonne verhüllte und die Schatten lang vor den Reitern über den Boden dahinglitten. Nach Stunden erst mäßigte sich der Lauf der gehetzten Tiere, und endlich am Saume eines Waldes standen sie erschöpft still.

Die jungen Leute horchten. Nur der Wind rauschte in den Zweigen, und ein paar Füchse bellten. Hinter ihnen befand sich niemand mehr.

»Wo mögen wir sein?« flüsterte aufatmend Hugo. »Gewiß meilenweit von dem Dorfe der Mönnitarier entfernt. Es ist alles still! – Wir müssen uns vorläufig für die Nacht einrichten, Bob, noch weiter zu reiten wäre unmöglich!«

Draußen weideten behaglich die Pferde das duftige Gras ab. Sie entfernten sich von ihrer ursprünglichen Stelle immer mehr. Tiefer und tiefer sank die Nacht herab.

Auf der Prärie begannen in diesem Augenblick die beiden sich selbst überlassenen Pferde laut zu wiehern, und dann jagten sie stampfend und schnaubend davon, daß der Boden dröhnte. Hugo und Bob hielten den Atem an, um zu lauschen.

Irgendein Feind! Das war es, was sie beide dachten.

Menschen oder Wölfe!

Minuten vergingen, nichts regte sich. Mit pochenden Herzen blieben die beiden jungen Leute in ihrem Versteck, aber der gleiche unruhige Gedanke quälte den einen wie den anderen. Waren es Menschen, so konnte jede leiseste Veränderung ihrer Lage, jedes Geräusch den Tod bringen.

Noch immer blieb alles still. Es war jetzt unter den Bäumen so dunkel, daß man seine eigene Hand nicht mehr erkennen konnte.

Nach einiger Zeit umschlichen ein paar Indianer den Baum. Sie sprachen leise, und Bob verstand alles.

»Hier ist niemand. Wir haben jeden Fleck durchsucht.«

Eine Stimme, bei deren Klang die jungen Leute erbebten, die Stimme des Fließenden Feuers ertönte ganz in ihrer Nähe. »Hugh! Aber wohin denn verfluchte Blaßgesichter gehen? – Der Häuptling der Krähen einen großen Schwur machen, töten Weiße, wo er sie finden, töten alle, Pappus und Mann und Squaw, Inschin nicht in Ruhe leben, bis Weiße alle tot!«

»Hier sind keine!« versicherte der erste Sprecher.

»Mein Bruder glauben, sie über Salzwiese gehen?«

»Nein, sie schon viel früher in Wald. Sie durch Knifefluß schwimmen und in Dorf von Mönnitarier sein.«

»Inschin hier bleiben, bis es Tag werden.«

Die beiden Männer setzten sich in einiger Entfernung auf die Erde und aßen schweigend ihr einfaches Abendbrot. Unsere beiden jungen Freunde drückten einander im Dunkel der Nacht die Hände. Zu sprechen war ganz unmöglich, nur die engverschlungenen Hände gaben Zeugnis von dem, was die Herzen empfanden.

»Wir leben und sterben zusammen! Das Los des einen wird auch das des anderen sein.«

Und Bob, den oft starke Gewissensbisse gequält hatten, fühlte trotz der furchtbaren Gefahr des Augenblickes eine wohltuende innere Befriedigung. Was sein schuldiger, unglücklicher Vater nie gekannt, was ihm nie zuteil geworden, er selbst besaß es – einen treuen, verläßlichen Freund.

Als gegen Mitternacht ein starker Regen rauschend herabfiel, da rückten die Indianer etwas näher in den Schutz der Bäume, und nun gewannen unsere Freunde wenigstens eins – sie konnten, gedeckt durch das stärkere Geräusch, miteinander ein paar Worte sprechen.

Bange Stunden gingen dahin, im Osten rötete der erste Tagesschein den Himmel. Jetzt mußte die Entscheidung kommen.

»Fangen sie uns, so werden wir lebendig skalpiert, Bob. Wir müssen stark bleiben bis zum letzten Augenblick.«

Rauschend fiel immerfort der Regen herab, graue Dämmerung trat an die Stelle des Dunkels, enger und immer enger preßten sich in der Höhlung des Baumes die Knaben aneinander. Jetzt regte sich's unter den nahen Bäumen. Männerstimmen sprachen leise, Fußtritte erklangen, dann wurde wieder alles still.

Das Fließende Feuer hob den Kopf. »Mönnitarier!« sagte er halblaut. »Hugh! Doppelgesichts Läufer! – Was sie suchen?«

»Uns!« versetzte gleichmütig sein Gefährte.

Hugo wurde blaß vor innerer Bewegung. »Wir hätten sie rufen können,« flüsterte er, »und wußten nicht, daß unsere Freunde so nahe waren!«

»Ob wir es noch versuchen, Hugo?«

»Um Gottes willen nicht. Wir wären tot, ehe die Mönnitarier zu uns kämen.«

Nackte Gestalten, an Brust und Gesicht schrecklich bemalt, glitten wie Teufel über das nasse Moos dahin. Von der anderen Seite ertönte plötzlich der Schrei des Hähers. Alle Blicke schienen das Gebüsch durchdringen zu wollen, alle Mienen zeigten die größte Spannung.

Unter den regennassen Zweigen stand ein indianischer Läufer.

Das Fließende Feuer winkte ihm. »Was hat mein Bruder gesehen?« fragte er.

»Punkahs!« klang es unheilverkündend zurück. »Ganzer Stamm, alle auf dem Kriegspfad. Schwarzfüße bei ihnen.«

»Hugh! – Wo hat mein Bruder die Krieger getroffen?«

»Gegen Aufgang. Lagern in der Nähe des Mandanerdorfes. Wollen heute aufbrechen.«

»Hierher?«

»Das Inschin nicht wissen können. Doppelgesicht gestern abend reitende Boten zu Großer Klapperschlange geschickt. Viel sprechen mit ihm.«

Der Häuptling ballte die Faust. »Einen weißen Gefangenen haben,« rief er, »dann alles gut! Dann Krähen zufrieden sein! Für weißen Gefangenen geben zwei Finger von Hand! – Erst Lösegeld, Bedingungen, dann ihn doch martern, ihn mit Feuer und Wasser peinigen und zwischen junge Bäume binden, ihm lebendig den Skalp abziehen!«

Während er die schauderhaften Drohungen ausstieß, erhob der Indianer beide Arme zum Himmel, sein rotes Gesicht war fahl vor innerem Grimm, seine Zähne preßten sich hörbar aufeinander. »Weiße Leute Unglück für Inschin!« rief er, »müssen sterben, sterben!«

Bob und Hugo fürchteten in jeder Sekunde, daß die Indianer das Schlagen ihrer Herzen hören möchten. Es schien so unmöglich, der nahen und grauenhaften Gefahr zu entrinnen.

»Auf!« begann endlich wieder der Häuptling. »Krähen müssen tagelang reiten, um zu ihren Freunden zu kommen, aber sie doch wieder hier. Nicht fürchten Punkahs und Schwarzfüße, nicht Mönnitarier! – Wieder hier mit achthundert – tausend Krieger. Wollen Rache nehmen an weißem Lügner, wollen Skalp haben auch von Friedensmann. Er nicht besser als Blaßgesicht.«

Die Spuren der kürzlich vorübergeschlichenen mönnitarischen Streifer wurden aufgenommen, ein paar Krähen holten die versteckten Pferde herbei, und fort ging es in entgegengesetzter Richtung über die Prärie dahin. Dem Untergang der Sonne zu, das bemerkte Bob sogleich.

Jetzt war der Platz leer, und die beiden jungen Leute konnten sich hervorwagen. Allmählich kehrten Mut und Zuversicht zurück in die Herzen der jungen Leute. Gegen Sonnenaufgang lagerten die Punkahs und Schwarzfüße, ihnen mußten sie sich anzuschließen suchen; denn der Weg zum Dorfe der Mönnitarier war von Gefahren umdroht.

Bogen und Lanzen wurden schnell aus ihrem Versteck hervorgezogen, und nach einem letzten Blick auf die Stätte überstandener Seelenqualen wanderten unsere beiden jungen Freunde hinaus, um zunächst am Fluß zu trinken und die köstlichen wildwachsenden Beeren zu essen, dann gingen sie in der mannshohen Rinne des völlig ausgetrockneten Baches quer durch die Salzwiese bis nahe zu dem Büffellager, das sie vor sich erblickten. Ganze Scharen von Kühen weideten, umspielt von ihren Kälbern, im taufeuchten Gras oder leckten von den Spitzen der vertrockneten Halme das erfrischende Salz, während die Stiere zuweilen den großen, königlichen Kopf erhoben und in tiefen Zügen die Luft einsogen, ein Akt der Vorsicht, um dem etwaigen Angriff herannahender Feinde rechtzeitig begegnen zu können. Nach jeder dieser Prüfungen gaben sie sich ihrer beschaulichen Ruhe wieder hin.

Bob hielt Hugo am Arm. »Jetzt gib acht, Hugo! Mehr als hundert Stiere ergreifen mit ihrer ganzen Herde die Flucht, wenn ein einziger Mensch plötzlich erscheint.«

Er sprang bei diesen Worten, den ausgezogenen Rock hoch in der Luft schwenkend, aus der Rinne hervor unter die lagernden Tiere und ließ ein weithin tönendes, langgedehntes »Hallo« erschallen. Die Wirkung war zauberhaft. Im Augenblick hatten sich alle diese Kolosse erhoben und stürzten blindlings in regelloser Flucht hinaus auf das Grasfeld, ohne auch nur zurückzublicken.

Nur zwei Kälber waren auf dem Platze geblieben, die Bob und Hugo leicht erlegen konnten. Sie weideten die Beute aus, zündeten ein Feuer an und labten sich an dem saftigen Braten.

Die Sonne stand jetzt hoch am Himmel, und die Wanderung nach Osten wurde angetreten. »Könnten wir nur das Mandanerdorf erreichen,« meinte Hugo. »Aber ich sehe nichts als Wald und immer nur Wald.«

Bob nickte. »Wir dürften auch nicht wagen, uns oder unsere Spuren auf der offenen Prärie zu zeigen,« meinte er nachdenklich. »Hinter jedem Baum können Krähen versteckt sein, im Dickicht entgehen wir ihnen also am ehesten. Wahrscheinlich begegnen uns schon sehr bald die Läufer des Punkahhäuptlings, dann sind wir geborgen.«

»Das glaube ich auch. Wenn Doppelgesicht den Mandanern Boten schickte, so war es ja ohne Zweifel, um ihnen unser Verschwinden anzuzeigen. Hoffentlich suchen sie uns.«

Der Gedanke verlieh den beiden jungen Leuten neue Kraft. Sie wanderten stundenlang immer tiefer in den Wald hinein und überwanden mutig die zahlreichen Hindernisse des beschwerlichen Weges, ohne indessen einer lebenden Seele zu begegnen. Am Abend kauerten die beiden jungen Leute im Dunkel eines kahlen, reizlosen Tannenwaldes eng nebeneinander, und keiner wagte seinen Empfindungen Worte zu verleihen. Wölfe heulten ringsum.

»Wollen wir für die Nacht hier bleiben, Bob?« fragte Hugo.

»Laß uns weitergehen, wenn dir das lieber ist.«

Sie rafften ihr Gepäck wieder auf und wanderten zwischen den Stämmen dahin, bis sie ein einigermaßen geschütztes Lager fanden. Der Wind pfiff und heulte in den uralten Föhren, die ziehenden Schatten warfen auf den Moosboden herab seltsame Bilder. Am Himmel stand der Mond. Kaum merklich berührte Hugo Bobs Arm.

»Siehst du den Wolf? – Da, unter den dunklen Zweigen!«

Bob nahm vom Boden einen Stein und schleuderte ihn dem Tier entgegen. Die Tannen rauschten und knisterten, wie wenn eilig ein größerer Körper hindurchschlüpfte, dann wurde wieder alles still. Jedenfalls war nur ein einzelner versprengter Wolf in der Nähe, und dieser wagte es nicht, die beiden jungen Leute anzugreifen.

»Eine unheimliche Nacht!« flüsterte Hugo.

Bob antwortete nicht, und so lagen sie eng aneinandergeschmiegt, bis sie endlich einschliefen. Am anderen Morgen verließen sie das endlose Tannendickicht, das ihnen so viel Angst und Schrecken verursacht hatte.

Sie gingen weiter und weiter durch die öde Landschaft dahin, und vor Hunger und Durst ermattet sanken sie gegen Abend abermals unter einem Baume nieder, wo ein tiefer Schlaf bald ihre Sinne umnebelte.

Schon dämmerte es im Osten, da wurden sie durch leichte Tritte geweckt. Bob und Hugo glaubten schon im nächsten Augenblick das haßerfüllte Gesicht des Fließenden Feuers durch die Tannen schimmern zu sehen und hörten im Geiste seinen grimmigen Ausruf von damals: »Der Häuptling der Krähen einen großen Schwur machen, töten alle Weiße, Squaws und Pappuse und Männer – – alle –!«

Ihre Waffen waren erhoben. Der erste, der sich zeigte, sollte seine Keckheit bereuen.

Aber in der nächsten Minute, als sich die Zweige öffneten, sanken plötzlich die kampflustigen Arme herab. Von der Erbitterung, der Verzweiflung des letzten Augenblickes gingen die Herzen über zum Erstaunen und dann zur mächtig hervorbrechenden Freude.

Auf ihre Lippen trat gleichzeitig ein einziger Ausruf: »Prinzessin Klapperschlange!«

Des Mandanerhäuptlings Töchterlein sah mit großen Augen verblüfft und sehr erschrocken auf die beiden jungen Leute zu ihren Füßen. Sie ließ auch in der ersten Verwirrung sämtliche Tannenzapfen, die sie, trotz ihres Ranges hausmütterlich besorgt, für das Küchenfeuer gesammelt hatte, aus dem Korbe kollern, dann aber eröffnete das unentbehrliche »Hugh!« den Reigen des Gespräches. Es folgte ein »Uhu!« und »Obo!« – Darauf wandte das junge Mädchen den Kopf, als wolle sie auch noch anderen anwesenden Personen die plötzliche Entdeckung mitteilen. »Honigesser und Biberfänger hier!« stammelte sie.

Hugo und Bob hatten alles vergessen bis auf den Durst. »Wir haben zwei Tage und Nächte ohne Wasser verbracht, Prinzessin,« rief ersterer, »kannst du uns nicht ein Tröpfchen verschaffen?«

Die junge Indianerin deutete mit der Hand nach links. »Warum Uhu und Obo nicht trinken?« fragte sie. »Viel Wasser da.«

»Aber wo denn? Wo?«

»Ganzer Fluß hier sein! – Biberfluß!«

Sie bog einen jungen Baum zur Seite und ließ die Freunde hindurchsehen. Blaues, stilles Wasser schimmerte ihnen entgegen, Wellen, die leicht und anmutig das Ufer berührten. Drüben dehnte sich der See.

Hugo jubelte laut. Die Lederkappe vom Kopfe reißen und sie gefüllt seinem Kameraden hinbringen, war das Werk eines Augenblicks. Dann trank er selbst.

Hinter den Zweigen erschienen vorsichtige Augen; erst nachdem sie sich überzeugt hatten, wer hier mit ihrer Gefährtin sprach, kamen Biberfänger und Honigesser lächelnd herbei. Sie brachten kaltes Fleisch und ebensolchen Pudding; sie begriffen nicht, weshalb Uhu und Obo den Tannenwald aufsuchten.

Hugo schüttelte den Kopf. »Begreifen wir es denn etwa selbst?« lachte er. »Früher war dies doch ein Laubwald voll Beeren und Blätter!«

»Hugh! Uhu von der anderen Seite sehen. Mandanerdorf drüben liegen!«

Das erklärte denn alles. Die aufgehende Sonne hatte zwar als Wegweiser vortreffliche Dienste geleistet, aber doch nicht hindern können, daß die jungen Leute bei ihrer Wanderung einen Bogen beschrieben und also von der anderen Seite des Flusses her das Dorf erreichten. »Aber wie kommt man denn nun wieder über das Wasser, Leutchen?« fragte Hugo.

»So!« versetzte der Honigesser, indem er zu marschieren begann wie ein Rekrut auf dem Exerzierplatz. »Gehen hindurch.«

Alle lachten. Nun ging es an ein Erkundigen und Berichten. Zuerst, ob Everett, den sie schwer verwundet hatten zusammenbrechen sehen, noch lebte? – Ja, das wußten die Knaben. »Aber Wi-ju-jon viel ängstlich,« sagten sie, »er glauben, weißer Mann sehr krank.«

»Sind denn noch alle bei den Mönnitariern?«

»Alle. Weißer Mann nicht sprechen können. Sein Gesicht nicht in Mönnitarierdorf, er ganz weit weg, Wi-ju-jon ihn nicht rufen.«

»Ach – Mr. Everett phantasiert. Das ist freilich sehr schlimm.«

Und herabgestimmt durch die schlechte Nachricht, erkundigten sie sich, wo denn die Punkahs steckten. »Es sollen ja doch Hunderte von ihnen hier sein!«

Biberfänger nickte. »In Wald!« antwortete er.

»Und da haben sie ein Lager errichtet?«

Der Kleine schüttelte den Kopf. »Gehen auf Kriegspfad,« flüsterte er mit blitzendem Auge. »Sind verborgen hinter Baum. Kein Lager; alle getrennt, hier und dort, auch viel Kundschafter.«

»Und der Gelbe Wolf ist auch hier?«

» Megosh! Schwarzfüße nicht gesehen.«

»Wie heißt denn der Häuptling der Punkahs?«

»Donnerwolke!« versetzte stolz der kleine Indianer. »Er viel Skalp nehmen, er tapferer Mann! – Kommen in Dorf und besuchen Große Klapperschlange.«

Sie machten sich auf den Weg und schwammen, als das scheue Prinzeßchen so schnell wie möglich davongeflattert war, durch die kühle Flut. Dann wurden die bekannten Gegenden durchwandert, es war so recht ein Nachhausekommen nach langer Irrfahrt. Im Dorf lächelten aus den Türen die Frauen, Männer forschten den Einzelheiten der letzten Tage nach, und in ihrer eigenen Hütte empfingen die Weißen unsere Freunde wie langentbehrte liebe Genossen. Hugo und Bob erhielten sogleich, was die Küchen zu bieten vermochten, sie konnten sich in ihre weichen Betten legen und – ausruhen.

Klapperschlange schickte sofort dem Trapper einen seiner Läufer und ließ melden, daß sich die Vermißten eingefunden. Noch vor Abend kam der Mann zurück mit der Nachricht von Mr. Everetts Wiedererwachen aus der dreitägigen tiefen Bewußtlosigkeit, und daß jetzt Wi-ju-jon auf volles Genesen hoffen dürfe. Die beiden jungen Leute sollten aber, seinem strengen Befehl nach, nicht zu ihm in das Dorf der Mönnitarier kommen, sondern bei den Mandanern bleiben.

Das war eine kleine Enttäuschung, aber Jonathans Gebot durfte nicht übertreten werden, und so folgten denn wieder Tage der heimlichen Langenweile, die nur einmal eine wohltätige Unterbrechung erlitten, als das Kriegsspiel der mandanischen Knaben auf der großen Rübenwiese vor dem Dorfe stattfand.

Die Kinder, gänzlich nackt, trugen auf dem Kopfe einen leicht befestigten, mit Hühnerfedern durchflochtenen Grasbüschel, dann hatten sie kleine Bogen und Pfeile aus grünem Schilf, im Gürtel ein hölzernes, unschädliches Messer und einen kleinen Hammer. So ausgerüstet, begannen sie ihren Scheinkampf, bei dem die Häuptlinge mit dem ganzen Ernst und der Würde vortragender Lehrer erläuterten, anordneten und Lob oder Tadel spendeten. Die kleinen kupferfarbenen Burschen mußten vor allen Dingen lernen, den Feind zu täuschen, zu überrumpeln, ihm von der Seite zu nahen und, als das wichtigste, seinen Skalp zu erobern. Von einer offenen Schlacht, vom Kampfe des einen Haufens gegen den anderen war hier nirgends die Rede, alles ging in Wolfs- und Luchsmanier.

Der Biberfänger tat sich ganz besonders hervor. In einer Vertiefung des Bodens kauernd, hinter einem Gebüsch verborgen, überfiel er plötzlich den ahnungslosen Gegner und vollführte, nachdem er den Graspfeil auf ihn abgeschossen, sogleich die Bewegung des Kreisschnittes um dessen Kopf, worauf dann der Grasbüschel als Siegeszeichen an seinen Gürtel wanderte und er selbst dem niedergeworfenen Gefährten triumphierend den Fuß auf den Leib setzte.

Die Häuptlinge lächelten wohlgefällig. »Biberfänger wird einmal den Namen eines berühmten Kriegers erringen,« sagten sie, »er darf zur Belohnung seiner Tapferkeit künftig bei dem Waffenspiel die Feder eines Hahnes tragen.«

Das war ein Sieg, eine Errungenschaft, die den kleinen Burschen in eine Art Rausch versetzte. Er wußte sich zur selben Stunde eine Schwanzfeder des biederen Kammträgers zu verschaffen und trug diese erste Auszeichnung schon, als nach beendetem Kampfspiel die Große Klapperschlange auf dem Dorfplatz in voller Häuptlingswürde über das jugendliche Heer Musterung hielt. Die Tapferen traten vor, um ihm von ihren Siegen zu erzählen, und er lauschte mit jener Höflichkeit, die der Indianer, solange er nicht gereizt ist, gegen jeden Menschen, auch gegen Frauen und Kinder beobachtet. Er spendete Beifall oder warnte, je nachdem; sein unbedeutendstes Wort wurde wie ein Evangelium verehrt.

Als später der Skalptanz an die Reihe kam, tat sich der kleine Biberfänger in der vordersten Schar hervor. Bei diesem Spiele wurde denjenigen Knaben gegenüber, die ihre Grasbüschel verloren hatten, sehr streng verfahren. Sie galten als tot, durften sich nicht blicken lassen, während ihre glücklichen Überwinder im ersten Siegesrausch den Skalptanz der Erwachsenen nachahmten und dabei den horchenden kleinen Mädchen alle möglichen haarsträubenden Schauergeschichten erzählten.

Bob und Hugo belustigten sich weidlich, ganz besonders als Biberfänger, der Held des Tages, ihnen mit dem ernstesten Gesicht schwur, er sei in allen Stücken, was nicht die Dakotas oder Krähen betreffe, ein ganz guter, verträglicher Kerl und – seine Mutter habe ihm auch als Lohn der Tapferkeit einen Kuchen aus gestampften Körnern und Büffelbeeren gebacken, den wolle er am Abend im sicheren Versteck hinter den Pferdeställen mit ihnen teilen. Das geschah denn auch, und das merkwürdige Erzeugnis indianischer Backkunst wurde mit gutem Appetit verspeist.

Besonders fesselnd war für sie der Punkahhäuptling Donnerwolke. Dieser kühne Mann mit dem schwermütig schönen Gesicht war einst befreundet gewesen mit einem weißen Missionar und dessen Frau. Da er aber zu klug wurde, wollte ihn der Stamm verstoßen, und der Häuptling erschlug den Missionar und seine Frau. Seitdem quälten ihn furchtbare Gewissensbisse, und in seinem Verfolgungswahn bekam er oft förmliche Tobsuchtsanfälle.

Während der nächsten drei Tage und Nächte regnete es über Dorf und Wald. Die Asche auf der verbrannten Prärie sank naß in den Boden und brachte den Wurzeln neue Lebenskeime, die Maisähren gediehen zu goldiger Reife, und die Herzen der Mandaner jubelten – nur Bob und Hugo empfanden die furchtbarste Langeweile.

Am vierten Tage kam unerwartet der alte Trapper. Die Punkahs waren bis zu ihm gedrungen und hatten ihm von dem neuen plötzlichen Ausbruch wilder Raserei ihres Häuptlings erzählt, hatten den Friedensmann gebeten, hinauszugehen in die Prärie und den Unglücklichen zu ihnen zurückzuführen, und so trennte sich denn Jonathan für einen oder zwei Tage vom Lager des langsam genesenden jungen Neuyorkers, um mit dem stattlichen Heer der Punkahs hinauszuziehen und später ganz allein in die nasse weite Graswüste zu wandern, wo mit dem Gesicht am Boden der Häuptling lag und sehnsüchtig den Tod erwartete.

Neben ihm teilte der Körper eines getöteten jungen Büffelstiers das triefende Lager. Aus zwanzig Wunden hatte Blut das Gras umher gefärbt, noch steckte bis zum Heft das Jagdmesser des Häuptlings in seines Opfers Kehle. Donnerwolke mußte, wie das immer bei ihm zu geschehen pflegte, den Stier mit der bloßen Faust angegriffen und durch Messerstiche ums Leben gebracht haben.

Als ihn der Trapper fand, waren seine Kräfte so geschwunden, daß er an keinen Widerstand mehr denken konnte, sondern sich ohne weiteres in die Mitte der Seinigen zurückführen ließ.

Jonathan selbst nahm einen unbedeutenden Umweg um das Mandanerdorf und begrüßte hier auf das herzlichste die beiden jungen, seiner Obhut anvertrauten Leute, deren Leben er in jenem schrecklichen Augenblick der Trennung schon verloren gegeben. »Wie erging es euch denn?« fragte er.

Hugo lachte. »Bobs Kenntnis des Landes und der Verhältnisse hat uns gerettet,« antwortete er. »Allein wäre ich verloren gewesen.«

Der Trapper reichte beiden die Hände. »Mich freut's herzlich, euch so zu finden, Kinder! Hoffentlich kommt nun in acht Tagen der Gelbe Wolf, dann beginnen wir die Rückreise. Mr. Everett, der euch schönstens grüßen läßt, kann schon wieder aufstehen und hat von seiner guten Laune nichts eingebüßt. Jetzt geht er in mönnitarischen Wiesel- und Marderfellen einher!«

Die Knaben lachten belustigt. »Also sein schwarzer Rock ist dahin?«

»Der ist dahin. Unser Stutzer trägt jetzt auf der bloßen Haut die Tunika der Indianer und behauptet, er werde sich demnächst auch Adlerfedern zulegen. Ihr seht also, daß es ihm gut geht.«

Jonathan begrüßte noch die von der Langenweile eingerosteten Pelzhändler und begab sich dann zu einem kurzen Besuch in die Hütte der Großen Klapperschlange.

»Daß Ihr mir den tollen Punkah nicht rebellisch macht, Schlange,« warnte er diesen. »Unsere Lage ist sehr ernst. Wir können die Punkahs durchaus nicht entbehren. Doppelgesicht beobachtet die Krähen unausgesetzt. Er sagt, daß Häuflein nach Häuflein in aller Stille vom Sommerdorf des Stammes heranzieht.«

Der Mandaner wiegte den Kopf. »Hier auch schlimme Zeichen sehen,« versetzte er, »Klapperschlange wissen, daß Dakotas an anderer Seite von Fluß. Nun Wi-ju-jon entscheiden.«

Der Trapper nickte bekümmert. »Ich konnte es mir denken, Schlange. Sie wollen uns den Weg abschneiden.«

»Das ihnen aber nicht gelingen. Mönnitarier und Mandaner Wi-ju-jon helfen.«

»Ich danke dir, Schlange, aus Herzensgrund; aber das geht nicht. Weder dein Stamm noch derjenige Doppelgesichts ist stark genug, um sich in zwei Teile zu spalten. Die räuberischen Dakotas würden eure unbeschützten Dörfer überfallen und Frauen und Kinder morden. Das mag ich nicht auch noch auf mein Gewissen nehmen. Nein, nein, wir müssen uns durchschlagen, so gut es eben geht.«

Klapperschlange hob die Hand. »Ich noch einen Ausweg wissen,« sagte er.

»Dann nenne ihn mir, Schlange! Wi-ju-jon hört.«

»Schön. Dann Weiße mit ihren Freunden quer hindurch zu Schwarzfüßen in Sommerzelte gehen, der Stamm stark genug, mit Dakotas und Krähen zu kämpfen.«

Der Trapper zögerte. »Stark genug ist er, Schlange, da hast du wohl recht. Aber – diese Reise wäre mit so großem Zeitverlust verknüpft, daß wir alsdann die Winterquartiere der Rothäute aufsuchen müßten. Nach acht Wochen fällt schon der erste Schnee.«

Der Trapper verabschiedete sich mit schwerem Herzen. Es würde nicht leicht sein, durch die Heeresmassen zweier starker, erbitterter Gegner den Heimweg glücklich zu finden, das wußte er nur allzu wohl.

Bob und Hugo gaben ihm trotz des Regens das Geleit bis zu den Zelten der Punkahs, die sie bei dieser Gelegenheit zum ersten Male sahen. Es waren hübsche Männergestalten, aber arm, das erkannte man sofort. Donnerwolke befehligte ein Heer, dessen Ausrüstung Mitleid erregte.

Am folgenden Tage wurde das Wetter trocken, und unsere Freunde konnten wenigstens spazierengehen, obgleich ihnen Klapperschlange riet, sich nicht weit vom Dorfe zu entfernen, und obgleich Biberfänger, dessen Wißbegier niemals ruhte, auch richtig schon ausgespäht hatte, daß Eulenflügel gesehen worden seien.

»Dakotas,« nickte er. »Krieg, das sehr gut gefallen. Biberfänger später ein Häuptling, er es schon wissen.«

Unseren beiden jungen Gefährten erschien die Aussicht auf so naheliegende neue Verwicklungen keineswegs verlockend, sie hielten sich streng an die Vorschriften des Häuptlings und begnügten sich, für Prinzessin Klapperschlange Brennmaterial, Pilze und Beeren einzusammeln. –

Über die Prärie ritt ein kleines Häuflein kriegerisch ausgerüsteter Männer mit mehreren Packpferden an der Seite – der Gelbe Wolf, umgeben von den angesehensten Häuptlingen der Schwarzfüße. Er kam, um den Trapper und die übrigen von hier abzuholen, hatte auch Waffen, Pferde und Lebensmittel zusammengekauft und wandte sich nach der ersten Begrüßung mit der Großen Klapperschlange und dem sogleich herbeigeeilten Punkah zu unseren Freunden, um sich von ihnen erzählen zu lassen, was inzwischen geschehen war.

Sein hübsches, entschlossenes Gesicht verdüsterte sich mehr und mehr. »Fließendes Feuer hier?« wiederholte er, »das böse Nachricht. Läufer zu Stamm schicken und alle Krieger holen lassen.«

»Und solange warten wir hier, Häuptling?«

»Nein! Warten zwei, drei Tage, bis Wi-ju-jon kommen mit Verwundeten. Dann langsam vorrücken.«

Hugo schüttelte den Kopf. »Aber Dakotas lauern an der anderen Seite des Weges. Wir sind umzingelt.«

Der Gelbe Wolf nickte. »Können durchbrechen nach Dakotaseite. Sie nicht so stark, sie achtzig, hundert – Krähen fünfhundert.«

Sie blieben noch eine Zeitlang zusammen, es wurde hin und her verhandelt, dann machte sich der Häuptling mit seinen Begleitern und Hugo auf den Weg zu den Mönnitariern. Bob blieb im Mandanerdorf, während Hugo nach herzlichem Lebewohl mit den Rothäuten durch die Prärie ritt.

»Auf Wiedersehen! – In drei Tagen sind wir zurück.«

»Lebt wohl! Lebt wohl! – Grüßt den Trapper und Mr. Everett!«

Die Hüte wurden geschwenkt, die Pferde tanzten, vom Waldessaum her kamen auf ihren schönen Tieren die Schwarzfußkrieger, und weiterhin schlossen sich dem Zuge auch die Punkahs an. Etwa zehn Häuptlinge, ganz in gestickte Felle gekleidet, mit Schild und Bogen, Wurfhammer und Lanze eröffneten den stattlichen Reigen, zu dem Hugo als einziger Weißer gehörte.

Die Sonnenstrahlen glitzerten auf den letzten vollreifen Früchten des Herbstes, erste gelbe Blätter fielen tanzend im Luftzug zu Boden, blauer Himmel wölbte sich über den Köpfen der Reiter. Es war für unseren Freund nach langer Entbehrung eine große Freude, wieder einmal auf dem Rücken des Renners über die Prärie dahinzufliegen; er glaubte die Welt nie in so rosigem Lichte gesehen zu haben.

Ein Läufer meldete Bärenspuren, und sogleich wurde die Jagd begonnen. Ein Dickicht barg die braune Familie, ihre Spuren führten hinein, aber an der entgegengesetzten Seite nicht wieder heraus; die Pferde blieben also unter der Obhut einiger Krieger zurück, die Häuptlinge nahmen in weitem Halbkreise Stellung, und mit gellendem Geschrei brachen die Treiber, zwanzig oder dreißig an der Zahl, durch das Unterholz.

Ein zorniges Brummen verkündete den Erfolg. Meister Petz und seine Gemahlin samt dem schon ziemlich ausgewachsenen Stammhalter erschienen auf der Bildfläche, begrüßt von einem Hagel von Pfeilen, der jedoch die dicken Pelze nicht durchdrang, sondern nur den Grimm ihrer Träger steigerte und sie zum offenen Angriff trieb. Der alte Bär stürzte sich brüllend den Reihen der Indianer entgegen, seine Pranken waren erhoben, aus dem Maul floß Geifer, schon hatte er den Häuptling der Punkahs bis auf wenige Schritte erreicht – noch ein Sprung, dann war es um das Leben des armen Tiefsinnigen geschehen.

Donnerwolke stand ruhig, als sei die Bestie ein unschädliches kleines Tier, das er zwischen zwei Fingern zu erdrücken vermöge. Ohne Pfeil und Lanze, nur im Gürtel das starke Messer und in der Rechten die Büffelhaut von seiner Schulter, so erwartete er die Tatze, die sich gegen ihn bereits erhoben hatte. Die Unerschrockenheit dieses Mannes streifte an Wahnsinn, seine Körperkraft an das Unglaubliche.

Donnerwolke lächelte. »Suche dir Squaws und Pappuse, Kaleb, wenn du gern gefürchtet sein willst – ein Häuptling spottet deiner!«

Er hielt jetzt in der Linken die Büffelhaut, mit der Rechten zog er das Messer.

In dem Augenblick, in dem sich das Ungeheuer auf ihn stürzte, warf ihm der Häuptling die Decke über den Kopf und wich durch geschickten Sprung den erhobenen Pranken aus. Das Messer drang bis an das Heft in die Kehle des Bären, er fiel und röchelte im letzten Kampfe.

Der Siegesruf der Punkahs brauste über die Prärie. Donnerwolke setzte den Fuß auf den zuckenden Körper der Bestie und zog gleichmütig das Messer aus der Wunde, um es an einer Handvoll grüner Blätter vom Blute zu reinigen. Dieser Mann prahlte nicht, er hätte mit gleicher vollkommener Ruhe im selben Augenblick auch noch die Bärin erwartet und getötet.

Aber da waren ihm andere zuvorgekommen. Ein fröhliches Jagdtreiben erstreckte sich weithin über die Prärie. Noch andere unerwartete Gäste hatten die Krieger aus dem Dickicht mit hervorgescheucht, Wölfe. Der Schwarzfußhäuptling vergrub die Lanze tief im Nacken des zweiten Bären, Hugo hatte einen Wolf erlegt, und auch die alte Bärin war mehreren Pfeilen zum Opfer gefallen. Als man den Gewinn überschlug, lagen außer diesen größeren Tieren noch ein Dutzend Präriehühner und ebenso viele fette Gänse als gute Beute beisammen; der Zug ordnete sich wieder, und nach scharfem, mehrstündigem Ritt langten alle im Dorf der Mönnitarier an.

Wie sich Mr. Everett freute! – Ganz blaß und kraftlos saß er im Sonnenschein vor der Tür des Hauses und begrüßte in alter Herzlichkeit seine alten Freunde. »Da bist du, Hugo, mein Schildknappe, und du, tapferer Häuptling, und du, Blitz, mit den Schelmenaugen, und Ihr, Jonathan, mein Lebensretter!«

Er reichte dem Trapper die Hand und ging dann von einem zum anderen, tiefer bewegt, als er gestehen wollte, doch des neugeschenkten Lebens gerade in diesem Augenblick unendlich froh. »Und wo ist Bob?« fragte er.

»Er läßt bestens grüßen!« rief Hugo; »er wünschte bei den Mandanern zu bleiben, da brummt er mit Mr. Duncan und den übrigen um die Wette.«

Everett lachte. »Und keiner von euch ist dem Vater des armen Jungen wieder begegnet?« fragte er die Schwarzfüße.

»Keiner! – Es hat ihn niemand gesehen.«

»Das gut für Verräter!« rief der Blitz. »Sonst sterben. Auch junge Natter töten, sie doch stechen einmal, das im Blut liegen.«

»Bob hat sich gebessert!« sagte mit Eifer unser Freund. »Er wird nie mehr ein Unrecht begehen, dafür bürge ich.«

Jonathan nickte, indem er ihm die Hand auf den Kopf legte. »Wenn er in dieser Beziehung irgendeinem Menschen Dank schuldet, so dir, Junge,« antwortete er herzlich. »Aber nun ist es an der Zeit, meinen Freund Doppelgesicht zu begrüßen.«

Die vornehmsten Häuptlinge begaben sich mit ihm zu dem Genannten, und in langer Beratung wurde über die drohende Gefahr des Augenblicks verhandelt; Doppelgesicht, Donnerwolke, Jonathan und der Gelbe Wolf führten hauptsächlich das Wort, die jüngeren Männer antworteten nur, wenn sie dazu durch eine Frage aufgefordert wurden, und sowohl Hugo als auch Mr. Everett schwiegen gänzlich.

Doppelgesicht eröffnete die Beratung. »Als unsere Väter lebten,« begann er, »da sahen sie oft zehntausend Büffel in einer einzigen Herde, da wußten sie nicht, was weiße Menschen sind, Feuerwaffen und – Blattern. Es gab an den Grenzen des Landes keine Forts, nur selten grub der rote Mann die Kriegsaxt aus dem Boden, um einen anderen Stamm zu bekämpfen. Das ist jetzt nicht mehr so. Die Indianer müssen dem Büffel immer weiter in die unwirtlichen Gegenden nach Sonnenuntergang folgen, von einem Jahr zum anderen erhalten sie weniger Fleisch und sehen die Forts der Weißen wie Pilze aus dem Boden hervorschießen. Dadurch sind die Kämpfe zwischen Stamm und Stamm so häufig geworden! Es will jeder essen, jeder seiner Squaw und seinen Pappusen Lebensmittel in die Hütte bringen, daher entreißt er, wo es ihm möglich ist, dem Nachbarn den Jagdgrund. Das ist traurig. Die roten Männer töten sich untereinander, und die weißen lachen dazu; die jungen Krieger schmelzen wie Schnee vor der Sonne.«

Eine lange Pause folgte diesen Worten. Jeder fühlte ihren schweren Ernst. Doppelgesicht fuhr fort:

»Die Mönnitarier sind von den Krähen aufgerieben,« sagte er schwer und langsam, »sie haben sich mit den Mandanern verbinden müssen, um nicht durch ihre mächtigen und räuberischen Nachbarn ganz vom Erdboden vertilgt zu werden. Doppelgesicht kann dem Friedensmann und seinen Freunden ein paar Dutzend Krieger zur Begleitung geben, mehr nicht, die übrigen muß er behalten, um seine Frauen und Kinder zu beschützen.«

Jonathan nickte. »Das habe ich neulich der Klapperschlange schon gesagt,« versetzte er. »Ich danke dem Häuptling, aber keiner seiner jungen Leute soll uns begleiten.«

»Das auch meine Ansicht,« stimmte der Gelbe Wolf ein. »Schon Läufer fortgeschickt zu Stamm – Schwarzfußkrieger rufen!«

»Aber ehe sie hier sind, kann viel Unglück geschehen. Die Krähen und die Dakotas sind im Einverständnis, daran läßt sich nicht zweifeln!«

»Hugh! – Wir sie trennen!«

»Das muß unsere Aufgabe sein, Sagamore, aber – es ist nicht leicht.«

Der Punkahhäuptling hatte bisher geschwiegen, jetzt ergriff er das Wort. »Ich wüßte einen Plan,« sagte er, »wollen ihn die Häuptlinge hören?«

»Wir bitten dich darum, Donnerwolke.«

»Unsere Reise führt zunächst an den Ufern des Knifeflusses dahin. Dieser Fluß ist so breit, daß kein Krähe oder Dakota mit seinem Pfeil hinüberzuschießen vermag. Wir müssen uns also hart am Wasser halten und haben dann nur eine Landseite zu bewachen.«

»Wo fünfhundert Krähen uns erwarten.«

Donnerwolkes Auge blitzte. »Fünfhundert!« rief er. »Ja, fünfhundert. Aber noch sind sie zwei, vielleicht vier Meilen tief im Walde versteckt. Wir müssen Kundschafter so weit vorausschicken, daß sie die Straße, auf der wir ziehen wollen, nicht mehr beobachten können.«

»Und dann?« fragte der Trapper, dem jetzt der Plan des Häuptlings schon verständlich wurde. »Und dann, Donnerwolke?«

»Dann gehen die Weißen mit einigen Führern am Knifefluß so schnell als möglich voran, bis sie die Schwarzfüße erreicht haben. Der Überfall der Krähen und Dakotas, wenn er kommt, trifft nicht sie, sondern uns.«

»Das heißt doch im Grunde nur dich, Häuptling! Du wolltest mit deinen Leuten den Schlag auffangen und selbst in der vordersten Reihe stehen?«

Donnerwolke nickte. »Ja,« antwortete er gleichmütig.

»Ich dachte mir's. Aber das können wir nicht annehmen, Häuptling, kein ehrlicher Mann könnte es. Dein Plan zeugt von Großmut und Tapferkeit zugleich, wir danken dir aufrichtig, nur mußt du nicht verlangen, daß Leute mit rechtschaffenem Herzen in guter Ruhe des Weges gehen, indes sich ihre Freunde für sie totschlagen lassen. Entweder wir sind mit bei der Sache oder es wird nichts daraus.«

»Recht so!« rief Mr. Everett. »Gut gesprochen, old Fellow! Ein Schuft, wer anders dächte.«

Und Hugo nickte lebhaft.

Der Punkah zuckte die Achseln. »Dann sterben wir alle!« sagte er ruhig.

»Das ist immerhin besser und ehrenhafter, als wenn einige förmlich abgeschlachtet würden, um den anderen freie Bahn zu schaffen.«

Eine Pause folgte diesen Worten. Sowohl der Punkah als auch Jonathan hatten recht, nur eben jeder von seinem Standpunkt aus – es mußte ein Mittelweg gefunden werden.

Der Trapper wandte sich zu den jüngeren, weniger bedeutenden Häuptlingen und Kriegern des kleinen Kreises. »Ist unter meinen Brüdern einer, der über die Sache gern etwas sagen möchte, so lasse er ungescheut seine Ansicht hören. Auch junge Augen erkennen zuweilen die Wahrheit!«

Und dann den Blitz ansehend, setzte er hinzu: »Dir brennt's auf den Lippen, nicht wahr, Bursche? Heraus damit!«

»Inschin so denken,« begann der schelmäugige Blitz, »stehen Dakotas rechts hinter breitem Fluß und Krähen in Wald ganz links. Treffen zusammen, wo Prärie am Flußufer übergeht in gebirgige, bewaldete Schluchten, und da morden alle Weißen, nehmen weg, was sie haben! – Das nicht geschehen dürfen, es so machen: Ziehen alle zu Pferde offenen Weg über Prärie einen Tag und eine Nacht, dann Krähen Dakotas Läufer schicken und alles sagen lassen, Dakotas schnell über Fluß, voraus nach Gebirge. Wir es beobachten, überall Kundschafter am Ufer, und wenn wissen, daß Dakotas hinüber sind, dann Menschen in Kanus von Mandanern und Mönnitariern, Reitpferde am Ufer mitgehen, ein paar Inschin hundert schlechte Pferde über Prärie treiben für breite Spur, auch Lagerfeuer unterwegs und Kundschafter hinterher, daß Krähen nicht nahe kommen; sehen leere Pferde, sie immer nachziehen breiter Spur bis an Gebirge, da Inschin leicht sich retten! Nicht schwer für zwei oder drei Männer, sich aus dem Staube machen. Bis Krähen und Dakotas alles wissen, weiße Krieger und ihre Freunde schon weit weg, auf Fluß tief in Herz von Land bei Schippewäern!«

»Hugh!« Sie hatten alle zugleich die Lippen bewegt und allen zugleich war der gewohnte Lieblingslaut entflohen. Niemand widersprach, Blitz fühlte, daß sein Plan im allgemeinen gutgeheißen wurde, er machte sich voll stolzer Freude daran, die Einzelheiten der Sache weiter auszuführen.

»Fragt sich nur noch zwei Stücke,« begann er wieder. »Geben Mandaner weißen Männern viele Lederkanus, auch wenn vielleicht nie zurück erhalten?«

»Das wird die Große Klapperschlange tun. Ja, ich glaube es verbürgen zu dürfen.«

»Gut, und geben Mönnitarier Pferde?«

Doppelgesicht nickte. »Die Pferde stehen meinen Freunden immer zur Verfügung,« sagte er höflich.

»Gut. Dann nur noch zwei Männer für Führer!« rief der Blitz. »Einer ich selbst!«

»Der andere ich!« rief Donnerwolke.

»Viel Ehre für Schwarzfuß, gehen auf Kriegspfad mit berühmten Punkahhäuptling. Er sich Beispiel nehmen an ihm. Müssen aber auch noch haben Kundschafter! Krähen nur Spur von Zug sehen dürfen, nicht Zug selbst.«

»Einen derselben stelle ich!« nickte Doppelgesicht.

»Junger Mönnitarier auch mitsprechen?« fragte plötzlich aus dem Hintergründe der Versammlung eine schüchterne Stimme.

»Gewiß. Was wolltest du sagen, mein Sohn?«

»Hermelin gern mit dem Häuptling gehen. Er auch Kundschafter sein!«

»Ich danke dir, mein Sohn!« rief Jonathan.

Es wurde noch viel hin und her über die Einzelheiten der Ausführung gesprochen und unter anderem festgestellt, daß die Weißen mit den Punkahs vor der Abreise noch einmal in das Dorf der Mandaner zurückkehren sollten, um dort ihre Freunde abzuholen und auf den Pferden die Lederboote hierher zu bringen. Der Trapper bestimmte für dies Vorhaben den folgenden Tag.


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