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In Scotland-Yard herrschte nach dieser sensationellen Flucht einige Bestürzung. Man war überrascht. Bei seiner Verhaftung machte Ellermann einen halbverhungerten, vollkommen niedergeschlagenen Eindruck. Niemand hätte diese Entschlußkraft in ihm vermutet, niemand wußte sich diesen einzigartigen Vorfall zu erklären.
Der Kommissar Morton stand achselzuckend seinem Vorgesetzten, dem Inspektor Leeves, gegenüber.
»Das kam so überraschend!« fügte er seinem Bericht hinzu. »Bei der Verfolgung hinderten die neugierigen Passanten uns ... versperrten den Motorrädern den Weg. Ehe wir hindurchkamen, war er bereits in den Gärten. Darauf waren wir nicht vorbereitet ...!«
»Natürlich nicht!« knurrte Inspektor Leeves, zog die Augenbrauen unwillig zusammen und sah zu Morton auf. »Und nun, Kommissar Morton?«
»Und nun? Ich habe alles in Bewegung gesetzt, Inspektor. Sämtliche Polizeistationen sind benachrichtigt ... besondere Streifen suchen die City ab ... der Steckbrief ist dem Publikum durch Anschlag, Presse, Rundfunk und Kino zur Kenntnis gebracht!« Der Kommissar Morton lächelte zuversichtlich. »Und Ellermann ist ein Anfänger ... er kommt nicht weit.«
»Na, na!« Der Inspektor Leeves wiegte bedenklich den Kopf. »Sieht mir nicht gerade nach Anfänger aus, diese Flucht!«
»Eine Tat der Verzweiflung ... das letzte Aufflammen einer rasch erschöpften Energie!« Kommissar Morton war seiner Sache vollkommen sicher. »Er ist ohne Mittel, ohne Helfer ... zwei Tage ... das wäre die längste Frist!«
»Und dieser Ermordete?« Nach den letzten Vorfällen hielt Inspektor Leeves es für angebracht, sich mit der Materie dieses Falles ein wenig vertraut zu machen. »Der Befund am Tatort? Sie haben doch auch die Villa Hendersons durchsucht?«
»Selbstverständlich ... allerdings ohne besondere Ursache ... nur um allen Möglichkeiten gerecht zu werden. Der Raubmord ist so gut wie erwiesen. Beziehungen zwischen dem Mörder und seinem Opfer wären also nicht zu klären. Ein Zufall, daß gerade der frühere Industrielle Bob Henderson dem Ellermann vor die Mündung lief ... ebenso gut hätte es auch ein anderer sein können!«
»Ellermann aber behauptet doch, der Schuß müsse aus einem Parterrefenster gefallen sein!«
»Eben deshalb durchsuchten wir die Villa!« entgegnete Morton. »Wenn Ellermanns Angaben wirklich stimmten, könnte von einem Raubmord natürlich nicht mehr die Rede sein ... bliebe eine Möglichkeit ... Rache, Eifersucht oder irgendetwas ... Bei allen diesen Motiven aber müßte sich eine Verbindung zwischen dem ermordeten Henderson und einem der Parterrebewohner unbedingt finden lassen. Gerade diesen Möglichkeiten bin ich aufmerksam nachgegangen. In der einen Wohnung lebt ein halb erblindeter Rentier, der gar nicht erst in Erwägung zu ziehen ist ... in der anderen ein junger Kaufmann. Und auch dieser führt seit einem Jahrzehnt nachweislich einen einwandfreien und geordneten Lebenswandel. Was aber das Wesentlichste ist, von ihm führen keine Fäden zu Henderson ... und umgekehrt ebenso wenig!« Der Kommissar Morton hatte sich etwas in Eifer geredet. Jetzt machte er eine lässig abwehrende Handbewegung und senkte seine Stimme zu gewohnter Gleichmut. »Wir sind noch dabei, Hendersons Korrespondenz zu sichten. Da er große Geschäfte betrieb, gestaltet sich diese Arbeit etwas schwierig ... soviel aber steht schon fest, daß sich in der ganzen Korrespondenz nicht ein Schreiben mit dem Namen oder der Unterschrift eines der Parterrebewohner findet ... und auch nicht in Hendersons privaten Aufzeichnungen und Notizen.« Morton hob seine Stimme. »Eben deshalb steht für mich fest, daß als Motiv nur Raub in Frage kommt ... und dabei gibt es keinen anderen Täter als Ellermann, denn nur dieser befand sich in unmittelbarer Nähe des Tatortes. Auch hätte er den Täter sehen müssen, wenn er es selbst nicht wäre!«
Der Inspektor nickte. Gegen diese Beweisführung ließ sich nichts einwenden. Und trotzdem hielt er es für angebracht, seinem Kommissar einen kleinen Fingerzeig zu geben.
»Soviel ich weiß, soll dieser Henderson sich auch mit dunklen und zweifelhaften Geschäften abgegeben haben!«
Morton lächelte geringschätzig.
»Ich weiß, Inspektor, wo Sie hinaus wollen. Ich folge natürlich auch dieser Spur!« Er erlaubte sich, die Erörterung des Falles kurz und bestimmt abzubrechen. »Der Arzt stellte fest, daß der Schuß aus unmittelbarer Nähe abgegeben wurde. Die Annahme, der Schuß wäre aus dem Fenster gefallen, erscheint deshalb sehr unwahrscheinlich, weil der Schußkanal fast wagerecht verläuft und dazu in der Herzgegend liegt. Die betreffende Person müßte sich also sehr weit aus dem Fenster zu Henderson hinunter gebeugt haben. Das wäre alles!« Mit einer knappen Verbeugung wendete Morton sich zur Tür.
Inspektor Leeves runzelte die Stirn. Aber er schwieg. Erst als Morton die Tür fast schon hinter sich geschlossen hatte, äußerte er kurz und ungehalten:
»Ich erwarte Ihre weiteren Berichte, Kommissar Morton!« Und nachdrücklicher fügte er hinzu: »… wie auch die baldige Verhaftung Ellermanns!«
»In spätestens zwei Tagen, Inspektor Leeves!«
Morton ging. – – –
Aber schon am nächsten Tage sollte der Kommissar Morton zu seiner Ueberraschung bemerken, daß er in Ellermann einen anscheinend außerordentlich geschickten Gegner gefunden hatte. Im ersten Augenblick war Morton maßlos verblüfft. Dann versuchte er, mit der ihm eigenen Sorgsamkeit, den Dingen auf den Grund zu kommen. Und er fand nur die eine Erklärung: Fred Ellermann mußte in den vier Tagen seiner Haft eine erstaunlich schnelle und seltsame Wandlung durchgemacht haben. Aus dem Arbeitslosen, der in stumpfer Teilnahmslosigkeit dahinlebte, war ein anscheinend gewandter und sicherer Abenteurer geworden.
Recht eindringlich wurde es dem Kommissar Morton bewiesen.
Vierundzwanzig Stunden waren vergangen, ehe man die erste Meldung über den steckbrieflich gesuchten Ellermann erhielt. Das Telephon klingelte, und Morton ergriff hastig den Hörer.
»Scotland-Yard, Kommissar Morton! ... Hallo? Fred Ellermann? Ja, Regentstreet 39 ... ich komme sofort!« Er warf den Hörer in die Gabel und drückte am Schreibtisch auf mehrere Klingelknöpfe zugleich. Während er zur Tür eilte, warf er sich schon das Jackett über. Draußen kamen ihm bereits mehrere Beamte entgegen. »Schnell ... das Streifenauto ... meinen Dienstwagen ...!« Und an den Beamten vorbei eilte er zur Treppe.
Unten fuhr der Dienstwagen schon vor. Morton sprang hinein.
»Regentstreet 39!« Er wendete den Kopf zum Streifenwagen. »Sie halten in einiger Entfernung und warten meine Befehle ab!«
Kurz hintereinander verließen die beiden Wagen den Hof und durchquerten in flotter Fahrt die City. Morton konnte kaum die Zeit erwarten. Er saß unruhig in den Polstern, und noch ehe der Wagen hielt, öffnete er den Schlag und sprang hinaus.
Im Hauseingang Nummer 39 stand ein uniformierter Beamter.
»Kommissar Morton ... Sie haben angerufen?« Er klappte flüchtig den Aufschlag seines Kragens hoch.
»Ja, ich wurde durch einen Passanten aufmerksam gemacht ... Ellermann schlenderte die Regentstreet hinunter ... er verschwand in diesem Haus. Ich rief sofort an und wartete!«
»Gut!« Morton musterte zufrieden den Hauseingang, überflog mit prüfenden Blicken die zahlreichen Firmenschilder, ohne jedoch etwas Besonderes zu bemerken. »Und Sie haben keine Ahnung ...?« wollte er den Beamten fragen, wurde aber jäh unterbrochen.
Plötzlich klirrte über seinem Kopf eine Scheibe. Morton hatte gerade noch Zeit, zur Seite zu springen. Dann fielen auch schon splitternde Scherben dicht neben ihm auf das Pflaster. Er trat hastig zurück und sah hinauf. Ein Herr beugte sich mit angstverzerrtem Gesicht schreiend aus dem Fenster.
»Hilfe ... Hilfe ...!«
Morton sah plötzlich hinter dem Bedrängten einen Mann auftauchen. Fred Ellermann! Und schon setzte Morton die Treppen des Hauses 39 hinauf, in den ersten Stock, gefolgt von seinen Beamten. Rechts die Tür mußte es sein, ein kleines Schild schien alles zu erklären.
» Exchange of money!«
Morton faßte die Klinke. Die Tür war verschlossen. Im selben Augenblick ließen sich von innen ängstliche Rufe, dann hastige Schritte hören. Irgendwo klappte hart eine Tür.
Mit der ganzen Schwere ihrer Körper warfen sich einige Beamte gegen die Füllung. Jetzt aber wurde schon von innen geschlossen und geöffnet. Das schreckensbleiche Gesicht des Mannes vom Fenster leuchtete ihnen aus dem Halbdunkel der Wohnung entgegen. Er ließ sie eintreten.
»Polizei ... hier ...!« Er deutete auf eine Stubentür. »Dort hat er sich eingeschlossen ... in diesem Augenblick ... mit meinem Geld!«
Morton stand mit einem Sprung an der bezeichneten Tür. Sie war verschlossen. Er legte das Ohr lauschend gegen die Füllung und winkte seinen Beamten, ruhig zu sein. Im Zimmer ließ sich nichts hören.
»Sie wissen bestimmt, daß er hier im Zimmer ist?« fragte Morton.
»Ja, natürlich ... er sprang hinein ... hat den Schlüssel gedreht!« keuchte der Bestohlene. »Zweitausend Pfund Sterling in Banknoten!«
»Ruhig doch!« herrschte Morton ihn an. Ein Wink ließ die Beamten vortreten, sich mit voller Wucht gegen die Tür werfen. Ehe aber die Füllung zu splittern begann, schallte von der Straße her der Lärm vieler erregter Stimmen.
Morton fuhr erschrocken herum und blickte den Bestohlenen an.
»Liegt das Fenster etwa zur Straße?« Und als der Betroffene nickte, schrie er den Beamten zu: »Rasch hinunter ... auf die Straße!«
Er selbst lief hastig in jenes Zimmer, dessen Scheibe vor wenigen Minuten zersplitterte. Weit beugte er sich hinaus, blickte hinunter und sah seine schlimmsten Befürchtungen erfüllt.
Eben sprang Fred Ellermann vom Sims des Nebenfensters ab. Morton zog den Browning. Unten aber hatten sich Passanten gesammelt und wichen jetzt betroffen zurück, als Ellermann elastisch auf das Pflaster schnellte.
Zwei Beamte eilten vom Streifenauto herbei. Auch der Chauffeur des Dienstwagens sprang hinzu. An einen Gebrauch der Waffe aber war nicht zu denken, das erregte Publikum bildete einen engen Kreis.
Und Fred Ellermann schien den günstigen Augenblick sicher zu erfassen. Als die Beamten auf ihn eindringen wollten, von mehreren beherzten Passanten unterstützt, knickte er plötzlich in sich zusammen. Kaum aber beugte man sich über ihn, so schnellte er mit einem heftigen Ruck wieder auf, stieß mit den Schultern in die Gesichter der Zugreifenden und warf sie zurück.
Mehrere Schreie. Ellermanns Fäuste hoben sich und fielen. Die Vorderen wichen betroffen zurück. Jetzt hielt er einen Browning in der Hand, stand mit einem Satz am Dienstwagen Mortons und auf dem Trittbrett.
»Zurück!« Die Mündung seines Brownings drohte den Passanten entgegen. In seiner Stimme lag die Entschlossenheit der Verzweiflung.
Und ehe die Beamten von oben auf die Straße kamen, ehe die wenigen anderen unten zugreifen konnten, hatte er den Gashebel herumgerissen, die Bremse gelöst, und der Dienstwagen Mortons sprang mit einem Ruck an. Ellermann packte das Steuer mit einer Hand, in der anderen noch den Browning haltend. Der Wagen schoß in die Mitte der Straße. Erst jetzt schwang Ellermann sich vom Trittbrett mit überraschender Geschicklichkeit in den Wagen und an das Steuer.
Mehrere Schüsse krachten, während Morton sich oben in atemloser Hast vom Fenster wendete. Er trieb den zeternden Bestohlenen zur Seite und sprang über die Treppe nach unten.
»Die Streife, los ... hinterher!«
Ellermann hatte schon die nächste Ecke erreicht, während der Streifenwagen anfuhr. Niemand wagte es, sich dem anscheinend Rasenden in den Weg zu stellen. In halsbrecherischer Geschwindigkeit fuhr er an der Ecke auf den Bürgersteig, streifte hart die Wand des Eckhauses und verschwand dann in der ruhigeren Nebenstraße.
Morton sprang in eine vorüberfahrende Taxe. Der Streifenwagen schoß bereits an ihm vorbei.
Laute Signale warnten die gefährdeten Passanten. Vereinzelt gaben die Beamten Schüsse auf den Verfolgten ab, wenn er ihnen hinter einer Ecke wieder sichtbar wurde. Rasch aber verschwand Ellermann schon wieder in der nächsten Straße.
Minuten vergingen. Sie hetzten in rasendem Tempo durch weniger belebte Straßen und entfernten sich aus der City. Aber Ellermann gewann an Vorsprung. Er nahm die Kurven, ohne seine Fahrt zu mindern. Jeden Augenblick glaubte Morton, den verfolgten Wagen schleudern und an der Ecke zerschellen zu sehen.
Morton stand aufrecht in der Taxe und trieb den Chauffeur zur Eile. Einige hundert Meter vor sich hatte er seine Beamten. Und er keuchte in fiebernder Wut, sobald Ellermann wieder hinter einer Ecke unsichtbar wurde und zusehends an Vorsprung gewann.
Plötzlich schrieen die Bremsen des Streifenautos laut auf. Der Wagen schoß eben um eine Ecke. Die Reifen glitten über das Pflaster, der Wagen schleuderte zur Seite. Dann sprangen die Beamten schon hinaus und liefen über die Straße.
Näherkommend bemerkte Morton, daß sie fast auf den verfolgten Wagen gejagt wären. Ellermann hatte ihn kurz hinter der Ecke, hart an der Bordschwelle, stehenlassen. Weit und breit war niemand zu sehen.
Mortons Stimme zitterte vor Wut.
»Die Häuser absuchen ... auf die Dächer ... Er kann nicht weit sein!«
Kaum gab es eine andere Möglichkeit, als daß Ellermann in eines der Häuser flüchtete und von dort über die Dächer zu entkommen versuchte.
Während sich aber die Beamten eiligst in den nächsten Häusern verteilten, öffnete sich unmittelbar neben Morton die Tür eines Ladens und ein gemächlich aussehender Mann trat hervor. Er nickte Morton freundlich und neugierig zu.
»Suchen Sie etwa den Mann, der mit diesem Wagen dort kam?« Dabei deutete er fragend auf Mortons Dienstwagen.
»Natürlich ... haben Sie ihn gesehen?« stieß Morton hervor.
»Gesehen, ja ...!« Der Mann sprach ruhig und gemächlich, als hätte er keine Eile. »Hier hinter der Ecke bremste er scharf und sprang hinaus. Er ließ den Wagen einfach stehen.«
»Ja, ja, zum Donnerwetter ... aber wo ist er denn geblieben?« schrie Morton.
»Na, dann sprang er in ein Cabriolett, das hier stand ... und damit jagte er weiter!« berichtete der Mann gemütlich.
Morton aber fuhr mit einem Satz herum. Mehrere kurze Pfiffe riefen seine Beamten zusammen. Er bezeichnete ihnen Richtung und Farbe des Cabrioletts. Dann jagten sie davon.
Die weitere Suche jedoch blieb ohne Ergebnis. Nur der Besitzer des gestohlenen Cabrioletts meldete sich und war erfreut, als sein Wagen am Abend in einem Außenbezirk herrenlos gefunden wurde. Zur selben Zeit stand der Kommissar Morton wieder seinem Inspektor gegenüber und erstattete Bericht. Weniger zuversichtlich als gestern und anscheinend bedrückt, angesichts der bedrohlich zusammengezogenen Augenbrauen des Inspektors Leeves.
Und der Inspektor schwieg, als Morton seinen Bericht beendet hatte. Anscheinend erwartete er noch irgendeine erklärende Aeußerung des Kommissars.
»Dieser Fall ist wirklich einzigartig in der Kriminalgeschichte!« brachte Morton endlich hervor, nur um überhaupt etwas zu sagen.
Inspektor Leeves aber trommelte nervös mit den Fingern auf die Schreibtischplatte und gab seinem Unwillen Ausdruck.
»Wir betreiben keine Kriminalgeschichte, Kommissar Morton!« Er räusperte sich, lächelte dann überlegen. »Wie ich Ihnen schon gestern sagte, ein ganz gerissener und durchtriebener Bursche!«
Morton zuckte ungläubig die Achseln.
»Er ist Artist und Schauspieler von Beruf ... das erklärt Vieles. Allerdings, diese plötzliche Veränderung.« Er senkte seine Stimme fast geheimnisvoll. »Wissen Sie, Inspektor, mir erscheint es, als hätte dieser Ellermann sich ganz plötzlich verändert ... Gleichgültiges Dahinleben, dann Mordverdacht, Abwehr ... und plötzliches Bewußtwerden der eigentlichen bisher nur schlummernden Fähigkeiten!«
»Das Ganze nennt man dann Kriminalpsychologie, wenn ich nicht irre!« Die Stimme des Inspektors verriet Spott. »Und wie nennen Sie das hier, Kommissar Morton?« Er schob dem erstaunten Kommissar unvermittelt die Abendzeitung hin und deutete auf eine rot angestrichene Notiz.
Morton las und wunderte sich zugleich, daß er ruhig und beherrscht bleiben konnte. Das überstieg die schlimmsten Befürchtungen und grenzte bald ans Unbegreifliche. Mit hastigen Blicken überflog Morton die Zeilen.
»Wie unser g-Mitarbeiter uns berichtet, wurden in den Abendstunden an einigen Anschlagsäulen der Außenbezirke recht seltsame Bekanntmachungen bemerkt. Unter den Steckbriefen Fred Ellermanns befand sich ein handschriftlich in größter Hast geschriebenes Plakat nachfolgenden Inhalts:
Ich – Fred Ellermann – werde zu Unrecht des Mordes beschuldigt. Meine Flucht entsprang der unumgänglichen Notwendigkeit, der Polizei behilflich zu sein und selbst nach dem wirklichen Mörder zu suchen. Leider bin ich gegen meinen Willen gezwungen, mir die zur Verfolgung des Falles notwendigen Gelder mit etwas drastischen Mitteln zu beschaffen. Ich bitte alle Betroffenen um gütige Nachsicht und verständnisvolle Würdigung meiner Zwangslage. Nach erfolgter Ermittelung des wirklichen Mörders bin ich bereit, mich wegen aller Eigentumsvergehen zu verantworten. Der Polizei sei bekanntgegeben, daß Fred Ellermann mit dem heutigen Tage seine Existenz aufgibt und eine weitere Verfolgung sich dadurch also erübrigt.
Fred Ellermann.«
Kommissar Morton faltete die Zeitung langsam und nachdenklich zusammen. Er schien mit seinen Gedanken bestimmten Vermutungen nachzugehen.
»Na, wie wollen Sie das nun bezeichnen?« triumphierte Inspektor Leeves.
Morton sah auf und zögerte.
»Ein einzigartiger ...!«
Inspektor Leeves ließ ihn nicht aussprechen, anscheinend in der Erwartung einer neuen psychologischen Erklärung. Er schlug in ungeduldiger Erregung die flache Hand auf den Tisch.
»Eine einzigartige Frechheit, Kommissar Morton!« grollte er zornig. »Ein ganz durchtriebener Bursche, der sich noch über uns lustig machen will. Er gibt sich den Anschein des Rechts, um seine Gaunereien in großem Stil betreiben zu können!« Inspektor Leeves blickte geringschätzig auf den Kommissar Morton nieder. »Wissen Sie, Morton ...«
Er hielt betroffen inne. Der Kommissar hatte sich durch die laute Stimme des Inspektors nicht stören lassen und schien immer noch bestimmten Vermutungen nachzugehen. Jetzt griff er ruhig an seinem Inspektor vorüber zum Hörer des Telephons.
»Hallo, Amt bitte ... Sheldon-Gaarden 3062 ... Hier Kommissar Morton, Mordsache Henderson-Ellermann. Ja ... Erkundigen Sie sich sofort, ob der Gastwirt Credon in seiner Wohnung ist und ob er heute Besuch empfangen hat. Ich erwarte Ihren Anruf!«
Kommissar Morton legte ruhig den Hörer wieder in die Gabel. Dann blickte er zu seinem noch betroffen schweigenden Inspektor auf und lächelte freundlich.
»Morton, Sie ...!«
»Ich folgte einem plötzlichen Gedanken, Inspektor!« fiel Morton entschuldigend ein. »Diese Ankündigung Ellermanns, daß er aufhört zu existieren, ist nämlich eine riesige Dummheit!«
»Das müßten Sie näher erklären!« knurrte Leeves.
»Gerne!« Jetzt spielte Morton den Ueberlegenen. »Ellermann will mit einem fremden Namen untertauchen, unzweifelhaft ... Vielleicht will er auch sein Aeußeres etwas verändern ... und für derartige Dinge, falsche Pässe und Papiere, wie auch chemische Hilfsmittel, gibt es in London nur einen wirklich zuverlässigen Mann. Das ist der Gastwirt Credon. Wenn Ellermann sich in die Unterwelt gewendet hat – und er muß es, da ihm Helfer fehlen – dann wird er unbedingt an den Gastwirt Credon verwiesen!«
»Und Sie hoffen, dieser Credon erstattet Ihnen nun einen ausführlichen Bericht?« spottete Leeves.
»Sicherlich – ich stehe mit ihm auf gutem Fuß, denn er hat mich zu fürchten!« Der Apparat klingelte und Morton meldete sich. »Hallo, Kommissar Morton – wie? Zwei Besucher? Der Letzte vor einer Stunde? Vielleicht noch dort?« Er horchte aufmerksam in die Muschel. »Gut, ich danke!«
»Na, und?« fragte der Inspektor ungeduldig, als Morton geheimnisvoll lächelte.
»Und?« Morton dehnte dieses Wort und bemerkte die Ungeduld des Inspektors mit einer gewissen Genugtuung. »Vor einer Stunde empfing Credon Besuch – die oberflächliche Beschreibung dieser Person ließe sich auf Ellermann anwenden – da ihn niemand weggehen sah, besteht die Möglichkeit, ihn noch anzutreffen!« Er verabschiedete sich mit einer knappen Verbeugung. »In einer Stunde, Inspektor!«
Und schon wenige Minuten später betrat der Kommissar Morton zuversichtlich ein kleines Kellerlokal im Osten Londons, während einige Beamte in der Nähe warteten. Er ging allein, um die Gäste nicht aufzuschrecken und unliebsame Zwischenfälle zu vermeiden.
Eng und verschmutzt war der Eingang. Die kleine, halbdunkle Gaststube von stickigem Rauch, Küchendünsten und Geschwätz erfüllt. Morton schob sich zwischen engstehenden Tischen und Stühlen hindurch an die Theke und begrüßte die umfangreiche Wirtin mit herablassendem Wohlwollen.
»N'Abend, Mutter Credon – der Alte ist hinten?«
Sie sah auf und lächelte mit breitem Gesicht, wie man einen guten Bekannten begrüßt.
»Er ist in seiner Stube!«
»Jemand bei ihm?« lauerte Morton.
»Weiß ich?« Mutter Credon zuckte die Achseln und füllte gleichzeitig mit gewohnter Sicherheit mehrere Schnapsgläser. »Sie kennen ihn doch, Morton – seine Kunden kommen nicht in die Gaststube.«
Morton nickte kurz und näherte sich einer im Hintergrund befindlichen Tür. Es entging ihm, daß die dicke Wirtin rasch aufblickte und dann eine kurze Bewegung unter den Schanktisch machte, wobei sie zufrieden lächelte. Seiner Sache vollkommen sicher, öffnete Morton die Tür, dämpfte unwillkürlich seine Schritte und wendete sich im engen Korridor nach der dritten Tür rechts. Rasch legte er dort die Hand auf die Klinke.
Im selben Augenblick wurde von innen geöffnet und Morton stand der breiten Gestalt eines anscheinend erschrockenen Mannes gegenüber.
»N'Abend, Credon – wir haben zu sprechen!« Ohne sich um die protestierende Geste Credons zu kümmern, schob er ihn zur Seite und betrat die geräumige Stube. Er achtete ebenso wenig darauf, daß Credon mißmutig etwas in sich hinein knurrte. Ruhig stand er in der Mitte am Tisch, ließ seine Blicke durch die Stube kreisen und wartete, bis Credon die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann sah er rasch auf. »Kurz und schmerzlos, Credon – Ellermann war heute bei dir! Was hat er bekommen?«
Credon schlug entsetzt die fleischigen Hände zusammen.
»Gott bewahre mich vor Ellermann!« stieß er sichtlich gekränkt hervor. »Sie wissen, was ich treibe, Morton – aber Mörder –!« Er schüttelte heftig den Kopf. »Davon läßt man seine Finger!«
Der Kommissar stand regungslos. Anscheinend noch zögernd. Von Credon ab glitt sein Blick wieder aufmerksam durch das Zimmer, erfaßte alle Einzelheiten und kehrte zu Credon zurück.
»Ellermann war vor einer Stunde hier!« wiederholte er bestimmt. »Man hat ihn gesehen!«
Jetzt schien Credon sich empören zu wollen.
»Wer hat ihn gesehen? Wo hat man ihn gesehen? Möchte wirklich wissen –« Ein breites Grinsen legte sich in sein Gesicht, während er wieder ruhiger wurde. »Ihr aus Scotland-Yard macht die Leute mit euren Steckbriefen verrückt. Das ist alles!« Eine wegwerfende Handbewegung folgte. »Da sehen sie dann jeden anständigen Menschen für einen Mörder an – von wegen der Belohnung!«
»Ellermann war hier!« Kommissar Morton wußte nichts anderes, als diese Behauptung zu wiederholen. Und als Credon heftig den Kopf schüttelte, fuhr er drohend fort. »Du weißt doch, Credon – ich brauche nur meinen Namen unter ein Protokoll zu setzen, das fertig in meiner Schublade liegt. Die Unterschrift bedeutet drei Jahre Zuchthaus!«
»Weiß ich, weiß ich!« Credon rang verzweifelt die Hände und schüttelte immer wieder den Kopf. »Wie soll ich Sie überzeugen, daß er nicht hier war? Zwei besuchten mich heute – will ich ehrlich zugeben – aber nur leichte Jungs, harmlose Angelegenheiten. Die Schweren schnappen Sie ja stets vor meiner Tür weg!« Credon sprach hastig weiter und folgte dem Kommissar mit sichtlich besorgten Blicken, als dieser sich jetzt aufmerksam suchend durch das Zimmer bewegte.
Morton öffnete einen Schrank und blickte hinein, klappte die Tür mißmutig wieder zu. Dann ließ er den Lichtkegel seiner Taschenlampe unter einen breiten, altersschwachen Diwan fallen. Und als er auch hier nichts bemerkte, schob er in einer Ecke einiges Gerümpel mißmutig mit dem Fuß zur Seite.
Nichts! Kein Anhaltspunkt, aus dem sich Schlüsse ziehen ließen. Aber Morton wußte, wie gerieben und vorsichtig Credon war. Er gab es noch nicht auf. Plötzlich beugte er sich dicht neben dem Diwan zu Boden und öffnete eine breite Klappe. Er leuchtete in die darunter befindliche Kammer. Aber auch dort ließ sich nichts sehen, als altes, belangloses Gerümpel.
Morton zuckte ratlos die Achseln, blieb stehen und sah sich nochmals um. Ungehalten brachte er den immer noch redenden Wirt zum Schweigen.
»Ist die Tür dort geöffnet?« deutete er auf einen Vorhang an der rechten Wand.
Credon nickte hastig.
»Immer geöffnet – gewiß – ich habe nichts zu verbergen!« Und jetzt schien in seiner Stimme leise Schadenfreude zu liegen. Er grinste hinter dem Rücken des Kommissars, als dieser nun den Vorhang zur Seite schob und die dahinter befindliche Tür aufstieß.
Vor ihm lag eine kleine Kammer. An einer Seite stand ein Frisiertisch mit einem Sessel. An der anderen Seite ein größeres, tischähnliches Gestell. Das ganze wirkte fast wie ein mittelalterliches Operationszimmer, starrte dabei von Schmutz und schien den Kommissar mit seiner wüsten Unordnung höhnisch anzugrinsen.
Kommissar Morton warf die Tür wieder zu.
»Denk' an die drei Jahre Zuchthaus!« äußerte er leise.
»Aber ich denke ja immerzu daran!« Credons Beredsamkeit schien sich zu steigern, je mißmutiger der Kommissar wurde. »Tag und Nacht denk' ich daran – kann bald nicht mehr davor schlafen. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit halten Sie es mir doch vor – Denk' an die drei Jahre Z, Credon!« Und als Morton nachdenklich grübelnd vor sich zu Boden blickte, ohne etwas zu erwidern, fuhr er rascher fort. »Sehen Sie sich doch um – ich kann niemanden durch die Luft weghexen – vielleicht sind Sie bald überzeugt, daß Ellermann weder hier war, noch hier ist!«
Aber der Kommissar Morton war noch nicht überzeugt, trotzdem er keinen Anhaltspunkt gefunden hatte. Er klammerte sich an diese Möglichkeit, die Credon hieß und die einzige Aussicht zu einer weiteren Verfolgung bot. Mühsam verbarg er seine Enttäuschung. Er trat jetzt dem Wirt einen Schritt näher, beugte sich ein wenig vor und schien Credon mit seinen Blicken durchdringen zu wollen.
»Noch bin ich nicht überzeugt, Credon!« Seine Stimme bebte vor Zorn. »Hm – zu finden ist ja nichts – bist eben ein gerissener Hund, Credon. Aber ich warne dich, wenn es herauskommt, daß er doch hier war – dann –!«
»Dann folgen drei Jahre Z!« fiel Credon empört und klagend zugleich ein. »Ich weiß ja, immer dasselbe. Aber ich kann mir doch nicht helfen, Morton –« Er zuckte hilflos die Achseln.
Kommissar Morton erwiderte nichts mehr. Er drehte sich schweigend zur Tür und ging ohne Gruß hinaus.
In Credons Gesicht aber legte sich ein breites Grinsen, sobald der Kommissar hinter der Tür seinen Blicken entzogen war. Regungslos blieb er stehen und lauschte auf die im Korridor verhallenden Schritte. Dann auf das Klappen der in den Gastraum führenden Tür. Aber erst als ein kurzer Summerton ankündigte, daß der Kommissar nun endgültig das Lokal verlassen hatte, wurde seine breite Gestalt von einer merkwürdigen Beweglichkeit belebt.
Hastig wendete er sich ins Zimmer. Vor der Gaslampe, die von der Mitte herunterhing, blieb er stehen und sah hinauf zu der großen kalkweißen Rosette oben an der Decke.
Dann faßte er rasch die Gaslampe und begann mit einigem Kraftaufwand daran zu ziehen. Ein surrendes Geräusch, wie das Rollen kleiner, stählerner Räder. Oben löste die Rosette sich von der Decke und folgte an vier kräftigen Drahtseilen der Gaslampe bis hinunter auf den Tisch.
Auf der Rosette aber, auf einer Stahlplatte, die diese verstärkte, hockte zwischen den vier Drahtseilen die Gestalt eines Mannes, das Gesicht in fiebernder Erregung gerötet. Fred Ellermann richtete sich rasch auf, kletterte von der Rosette herunter auf den Tisch und von dort auf den Boden.
»Das ist vorüber!« stieß er kurz und gepreßt hervor.
Credon kicherte vergnügt.
»Vorüber – und Morton zieht wie ein begossener Pudel ab.« Er blickte hinauf zur Decke, in die schwarze Oeffnung, vor der sich noch eben die Rosette befand. »Und er ist ahnungslos – alle Schliche meiner Wohnung kennt er – dadurch wurde ich gezwungen, mir diese Vorrichtung anzubringen!«
»Ich hatte Angst, daß er etwas bemerkte; diese Lampe brennt nicht – aber die dort!« Ellermann deutete seitlich zu einer hell brennenden elektrischen Lampe.
»Na, was denn?« wehrte Credon ab. »Er weiß doch, daß ich mir elektrisch Licht legen ließ!« Der Wirt stieß jetzt die Gaslampe mit der Rosette hoch. Wieder jenes surrende Geräusch. Die Lampe glitt leicht nach oben, und die Rosette legte sich fugenlos gegen die weiße Decke. »Wenn Morton ahnte, daß der Zigarrenladen oben auch mir gehört – und daß man sich von hier unten aus im Ladentisch oben verstecken kann –« Er ließ unbeantwortet, was Morton dann wohl beginnen würde. Lächelnd sah er zu Ellermann auf. »Wir wollen uns jetzt beeilen.« Und während er verschiedene Gegenstände aus einem Schrank holte, plauderte er vergnügt weiter. »Ein guter Bekannter brachte mich auf diese vorzügliche Idee – Mister Flapp heißt er. Wenn ich die Gaslampe hinunterziehe, klingelt's oben. Mein Freund weiß dann, er muß die Gegengewichte befestigen. Und er kann sie befestigen, ohne daß zufällig anwesende Kundschaft etwas davon bemerkt!«
Ellermann hatte sich in einen Sessel gesetzt und den Kopf weit zurückgelegt. Im Schein der elektrischen Lampe glänzte sein blondes Haar. Unter Credons Bearbeitung aber veränderte es sich rasch, wurde bräunlich und ging dann in ein tiefes Schwarz über.
Credon grinste zufrieden, während er die Flüssigkeit aus einer Flasche in den Haaren verrieb.
»Ein unangenehmer Kunde, dieser Morton – sicherlich lauert er noch mit einigen Beamten in der Umgebung – aber deshalb können Sie unbesorgt sein!« Credon kämmte Ellermanns nun schwarze Haare sorgfältig zurück. »So, Mister Ellermann – das wäre soweit – nun bitte ins Nebenzimmer!«
Credon arbeitete mit überraschender Beweglichkeit. Er stellte im Nebenzimmer eine große Flasche vor Ellermann auf den Tisch, erklärte ihm, wie er den Inhalt verwenden sollte, und entfernte sich dann, Ellermanns neue Kleidung zu holen.
Fred Ellermann lächelte still in sich hinein. Rasch entkleidete er sich und warf die alte Kleidung, nachdem er die Taschen geleert hatte, in eine Ecke. Nun begann er, seinen Körper mit jener bräunlichen Flüssigkeit einzureiben. Es ätzte und brannte ein wenig. Aber zusehends verdunkelte sich die Haut und erschien bald leicht und gleichmäßig sonnengebräunt. Ellermann betrachtete sich zufrieden im Spiegel, prüfte sorgsam, ob keine weiße Stelle geblieben war, und sah dann dem eben wieder eintretenden Credon entgegen.
»Sehr gut!« Credon betrachtete ihn rasch von allen Seiten. »Da nützt die beste Seife nichts mehr – wenn Sie das Zeugs wieder abhaben wollen, müssen Sie zu mir kommen!«
Er legte rasch einige neue Kleidungsstücke auf den Tisch und reichte sie Ellermann einzeln zu. Von der Krawatte bis zu den Strümpfen fehlte nicht ein Stück, an alles war gedacht. Und als Letztes hielt er Ellermann eine neue, elegante Brieftasche entgegen.
Ellermann nahm diese und atmete erleichtert auf.
»Meine Anerkennung, Credon – wirklich verblüffend!«
»Da kann's meinetwegen zehn Steckbriefe geben, Ellermann ist nun endgültig verschwunden!« Credon deutete auf die Brieftasche, in der Ellermann eben sein Geld barg. »Die Papiere sind darin!«
Fred Ellermann zog die Papiere hervor und überflog sie rasch. Erst jetzt, in der eleganten Kleidung und im Besitz echt erscheinender Papiere, schien er wirklich ein anderer geworden zu sein. Seine Bewegungen wirkten unwillkürlich sicherer und geschmeidiger. Das Lächeln um seinen Mund enthielt nun die leise Ironie einer selbstsicheren Ueberlegenheit. Prüfend blickte er nochmals auf die Papiere.
»So gut wie echt!« äußerte er nachdenklich. »Pary Gill, Amerikaner, Börsenmakler. So, Credon, nun die Rechnung!«
Credon grinste und nannte eine unwahrscheinlich hohe Summe. Fred Ellermann aber äußerte weder Erstaunen noch Empörung. Ruhig und gleichmütig zählte er die Banknoten aus der neuen Brieftasche hervor und legte sie vor Credon auf den Tisch.
»Die Nummern sind unbekannt!« fügte er beruhigend hinzu.
»Weiß schon!« Credon lachte. »Es waren zweitausend Pfund Sterling, die hängenblieben – hat sich jedenfalls gelohnt!« Er ließ die Banknoten mit erstaunlicher Fingerfertigkeit verschwinden. »Und was die Nummern betrifft – schweigen wir!« Er drehte sich zur Tür. »Einen Augenblick – ob die Luft rein ist. Ich werde Sie dann hinausbringen!«
Credon ging und kehrte nach einigen Minuten zurück. »Alles in Ordnung, kommen Sie!«
Fred Ellermann setzte den Hut auf, legte den Mantel lässig über den Arm und folgte dem Wirt auf den Korridor. Dann über einen Hof und durch ein anderes Haus. Aufatmend betrat er die dunkle, abendlich ruhige Straße.
Fred Ellermann war ein anderer geworden. Die erste, innere Wandlung vollzog sich während der viertägigen Haft. Und die äußere Wandlung in dreistündiger Behandlung durch Credon. Jetzt konnte er sich frei bewegen. Das Geld würde für eine Weile reichen. Und wenn nicht – – Ellermann schreckte vor nichts mehr zurück.
Erleichtert lachte er auf und schritt rascher aus. Leicht und frei fühlte er sich, durch nichts belastet. Als er einige Straßen weiter an der Ecke einen Polizisten stehen sah, zuckte er wohl im ersten Augenblick unwillkürlich zusammen, aber sofort lächelte er über sich selbst und zwang sich gewaltsam zu innerer Ruhe.
Und kurz vor dem uniformierten Beamten überkam ihn plötzlich die Versuchung, den Wert seiner Veränderung praktisch zu erproben. Er wußte, daß sämtliche Londoner Straßenpolizisten sein Signalement in der Tasche trugen.
Höflich grüßend trat er zu dem Beamten.
»Verzeihung ... die Edison-Street?« Leicht und gewandt gab er seiner Stimme einen fremdländischen Klang. Er hörte aufmerksam zu, als der Polizist ihm ausführlich den Weg beschrieb. Dann dankte er und schritt davon.
Der Polizist blickte ihm gleichgültig nach, umfaßte kurz die Gestalt des Mannes. Als dieser in einiger Entfernung stehenblieb und sich eine Zigarette anzündete, fiel der Lichtschein des Zündholzes hell auf das sonnengebräunte Gesicht.
Der Beamte wendete sich gleichmütig ab und lächelte, fast ein wenig geringschätzig, als der Fremde nun weiterschreitend laut einen Gassenhauer vor sich hinpfiff.
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