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Am 12. August 1918 um elf Uhr vormittags machte der Graf Thun dem Notar der Stadt Boran, Spucknapf, 41 die überraschende Mitteilung, heute werde das Schloß und der Großgrundbesitz Boran an einen in Wien wohnhaften Geschäftsmann namens Adam Dupic verkauft. Der Notar wurde gebeten, sich um drei Uhr nachmittags im Schloß einzufinden; die gesetzlich vorgeschriebenen Formalitäten dürften voraussichtlich kaum viel Zeit in Anspruch nehmen, da der Käufer im Einvernehmen mit dem Grafen einen Wiener Notar mitbringe, der die erforderlichen Schritte bei den Gerichten bereits unternommen habe und alle Verträge und Schriftsätze fix und fertig vorlegen werde. Der Rechtsvertreter des Grafen wolle vor drei Uhr den Notar in die Materie einweihen und alle etwa noch zu klärenden Rechtsfragen mit ihm besprechen; der Notar möge entschuldigen, daß man ihm erst jetzt diese Mitteilung zukommen lasse, es sei früher nicht möglich gewesen, weil sich alles erst in den letzten Tagen entwickelt habe.
Einige Minuten vor drei erschienen der Notar und der Advokat des Grafen, Dr. Frank, im Schloß. Der alte Kammerdiener führte die beiden Herren in das Arbeitszimmer. Dr. Frank, der befürchtet hatte, der Notar, Freund des verstorbenen alten Grafen, werde wegen der Geheimhaltung beleidigt sein, versuchte den alten Herrn zu unterhalten und wiederholte, man sei in der Tat bis zum letzten Moment nicht recht entschlossen gewesen, und eine vorzeitige Bekanntmachung hätte möglicherweise die Verhandlungen gefährdet. Der Notar wühlte indessen behaglich in der Zigarrenkiste und sagte: »Mich geht's ja nichts an, aber ob das so kommen mußte, das ist eine Frage, auf die ich vor Gericht die Antwort verweigern würde. Die jungen 42 Leute sind nichts wert.« – »Der Graf kann gewiß nichts dafür«, ereiferte sich der Advokat, »Sie wissen ja, seine Bedürfnisse sind gleich Null.« – »Na ja«, paffte der Notar, »das sind so Sachen. Gewiß, Sie mögen ja recht haben.«
Der Graf stand in dem Korridor vor dem Schlafzimmer der Gräfin und lauschte ihrem Auf und Ab. Unaufhörlich machte sie ihre kleinen raschen Schritte von der Tür zum Balkon, vom Balkon zur Tür, seit Stunden. Sie war zum Dejeuner nicht erschienen, man hatte sie heute noch nicht gesehen. Der Graf liebte ihren raschen, heftigen Gang, diesen merkwürdigen Kontrast zu ihrer dunklen, feierlichen Stimme. Ich müßte eigentlich zu ihr hineingehn, für sie ist es ein tragischer Tag, dachte der Graf. Dann entschloß er sich, sie doch lieber allein zu lassen. Helfen kann ich ihr nicht, was soll ich also bei ihr, dachte er und blickte auf die Uhr. Fünf Minuten nach drei. Er drehte sich um, ging in die Nähe des Arbeitszimmers, schon hörte er Stimmen aus dem Zimmer, da kehrte er um und ging, die Augen geschlossen, in den Park. Viel kann mir nicht passieren, wenn ich ganz erblinde, dachte er, ich geh' schon ganz gut mit zugemachten Augen. Die Schloßuhr, die immer einige Minuten verspätet war, schlug drei. Sie sollen warten, dachte der Graf. Allegra war nirgends zu sehen. Wenn sie dabei sein könnte, dachte er, weiß der Teufel, in ihrer Gegenwart ist alles leichter. Er ging auf die große gemähte Wiese, die links unweit der Hauptallee begann, blickte sich um, atmete tief. Es ist ja so nebensächlich, wem die Wiesen gehören, dachte er. Von einer Sonate von Beethoven kann mir kein Dupic 43 auch nur eine einzige Note nehmen. Und überhaupt . . . Ich glaub', so wundervoll wie heuer hat das Heu noch nie geduftet. Nur Alice tut mir leid.
Er ging langsam, mit schlechtem Gewissen, aber im Grunde nicht mißgestimmt, zurück und machte einen kleinen Umweg, weil er von der Gräfin vom Balkon aus nicht gesehen werden wollte; sie wüßte sofort, daß ich in verhältnismäßig guter Stimmung bin, dachte er, das würde sie noch nervöser machen. Als er das Arbeitszimmer betrat, fand er dort nur den Notar und den Advokaten; Dupic war noch nicht gekommen. Der Advokat, der viel aufgeregter als der Graf war, zog zweimal in einer Minute die Uhr und meinte, die Wiener Herren müßten schon hier sein, der Wiener Zug komme um zwei Uhr fünfzig, mehr als acht Minuten brauche man nicht vom Bahnhof zum Schloß. »Warten wir halt, im schlimmsten Fall behalten wir noch eine Weile Schloß Boran«, lächelte der Notar, der den Grafen mit fataler Freundlichkeit anblickte. Der Advokat, der in Wien als Student unvergeßliche Hungerjahre verbracht hatte, begann weitschweifig über Wiener Schlamperei zu dozieren. Der Graf schloß resigniert die Augen und bemühte sich, nicht zuzuhören.
Einige Minuten nach halb vier erscholl auf den Korridoren Lärm. Viele Männertritte hallten, ein Stimmengewirr näherte sich, schwoll an, Richards sanfte, überhöfliche Stimme wurde hörbar, sie klang jetzt gereizt: »Aber, meine Herren, bitte zu warten, meine Herren, so viele, das geht doch nicht.« Der Korridor dröhnte, es hallte hoch und tief. »Das hört sich ja an, als ob ein ganzes Regiment käme«, sagte der Graf und 44 stand auf. »Tatsächlich«, sagte erregt der Advokat, »was soll das sein?« In diesem Augenblick klopfte es, Richard stürzte atemlos ins Zimmer, schloß rasch die Tür und hielt sie mit der Rechten zu, mit der Linken fuchtelte er, ganz gegen seine Art. »Verzeihung, Herr Graf, was soll ich machen, es sind so viel Leute da«, keuchte er und packte den im Schloß steckenden Türschlüssel an; offenbar wollte er andeuten, es wäre seines Erachtens am besten, zuzusperren und die Leute draußen stehenzulassen. »Ist der alte Herr darunter, der uns kürzlich besucht hat?« fragte der Graf. Richard stierte fassungslos, antwortete nicht, er war außerstande, die Frage zu verstehen. Nun wendete er dem Grafen den Rücken und drehte den Schlüssel, den er krampfhaft festgehalten hatte, zweimal um. Ob der Alte, der Große mit dem langen Bart, draußen sei, fragte der Graf noch einmal. Richard entschloß sich, seinem Herrn das verzweifelte Gesicht zu zeigen, stammelte: »Ja, Herr Graf, der ist auch da«, und blieb, den Schlüssel mit dem Rücken verdeckend, an der Tür, als ob er verhindern wollte, daß jemand aufsperre. »Also aufmachen, Richard«, sagte der Graf ungeduldig, »bitte, aufmachen, wir warten.« – »Es ist eine ganze Horde, Herr Graf«, stammelte Richard, »wenn ich mir erlauben darf zu bemerken . . . eine Horde, vielleicht zwanzig oder noch mehr, sie sehn aus wie eine Räuberbande.« Der Graf drängte den Kammerdiener mit sanfter Gewalt von der Tür ab, sperrte auf, öffnete weit die Tür.
Das Stimmengewirr wurde leiser. Dupic, der knapp vor der Tür gewartet hatte, trat einen Schritt vor, beachtete nicht den Grafen, der so nahe vor ihm stand, 45 daß ihre Körper sich berührten, drehte sich um, hob die Hand und rief mit lauter Stimme: »Vorwärts!« Der Graf wich zurück, Dupic trat auf ihn zu, verbeugte sich tief, tat, als ob er ihn vorher nicht bemerkt hätte, lächelte devot: »Diener, Herr Graf, da sind wir also.« Unterdessen hatte der Einzug begonnen. Durch die Tür zwängten sich lachende Männer, sie tappten wie in eine finstere Höhle, jeder stieß mit beiden Händen die Schultern seines Vordermanns, sie drängten den Grafen, den Notar und den Advokaten in den Hintergrund, immer beängstigender füllte sich das mittelgroße Zimmer, schon war es voll und noch immer kein Ende abzusehen, noch immer tappte, stampfte, wisperte, lachte, brummte es draußen im Korridor. »Was ist das?« rief der Graf Dupic zu, der jedem Eintretenden einen Klaps auf den Rücken gab. »Gleich, Herr Graf«, grinste Dupic, »gleich, bis alle da sein werden.«
Jetzt geriet der Einmarsch ins Stocken, die Nachdrängenden boxten den Mann, der in der Tür stand, er konnte sich nicht rühren, brüllte: »Kein Platz mehr!«
»Also hier geht es nicht, Herr Graf«, rief Dupic, »wir müssen um ein größeres Zimmer bitten, eventuell mieten wir einen Saal im Hotel.« Der Graf, eingekeilt zwischen dem Notar und einem bärtigen, breitschultrigen Soldaten, rief zurück: »Was wollen Sie mit den vielen Leuten? Was bedeutet das alles? Ich bitte vor allem um Aufklärung!« – »Aber hier doch nicht!« schrie Dupic wenig höflich, »vor allem brauchen wir Platz, einen großen Raum, wo alle sitzen können!« Der Graf suchte seinen Advokaten, fand den nervös sich Duckenden in unmittelbarer Nähe, flüsterte ihm zu: »Was 46 nun?« – »Nachgeben, Herr Graf, nachgeben, wir werden ja sehn«, flüsterte Dr. Frank. – »Richard!« schrie der Graf, »in den Roten Salon!« – »Dort haben wir alle Platz, das ist ganz etwas anderes! Los!« kommandierte Dupic und setzte sich in Bewegung. Die anderen folgten ihm, trampelten, stampften, ächzten, lachten. Das ganze Schloß schien zu dröhnen. Das Arbeitszimmer wurde leer. Der Graf, der Notar und der Advokat blickten einander verdutzt an. »Eine schöne Bescherung«, lächelte der Graf verlegen, »eine reizende Überraschung, was sagen die Herren dazu?« Er eilte der lärmenden Menge nach, rief dem Notar zu: »Ich will die Bande nicht allein lassen.«
Im Roten Saal saß Dupic, umdrängt von seinem Gefolge. Alle Türen waren weit offen, Richard stand hilflos abseits und bewegte stumm die Lippen. Aus allen Sälen und Zimmern schleppten die Männer Sessel herbei, zwei Übermütige tänzelten mit einem gebrechlichen Kanapee aus dem siebzehnten Jahrhundert herein. »Gebt acht, daß ihr nichts zerbrecht, das sind heikle Sachen, macht mir keinen Schaden«, rief Dupic. Endlich saßen alle. »Noch Sessel für den Herrn Grafen und seinen Advokaten«, befahl Dupic, »sollen sie vielleicht stehn? An gar nichts denkt ihr.« Er sah den Grafen eintreten, lächelte ihm zu: »Bitte, hier, Herr Graf, neben mir, meine Söhne stehn schon auf.«
Ein Schwächegefühl in den Beinen zwang den Grafen, stumm zu gehorchen. Man saß in einem großen Kreis, der Tisch in der Mitte sah wie ein Kinderspielzeug aus. Dupic war mit einundzwanzig Männern gekommen. Einige hatten große grobe Gesichter, wollige 47 schwarze glänzende Bärte. Mächtige Schultern und Rücken ragten über den zierlichen Sessellehnen wie dunkle Gebirgswände. Füße und Beine ungeschlachter Riesen wuchteten in hohen Röhrenstiefeln auf dem dunkelroten Teppich. Große dunkle Augen schienen die Glut auszustrahlen, die den Augustnachmittag schwül und dumpf machte. Einige Schmalschultrige, blond und großstädtisch, saßen neben und zwischen den ungeheuren Männern. Ein fetter kleiner Mann mit Monokel lauerte neben dem bärtigen breitschultrigen Soldaten, der im Arbeitszimmer den Grafen an die Wand gedrückt hatte. Acht Männer trugen Soldatenuniform.
Dr. Frank gab sich einen Ruck, trug seinen Sessel zu Dupic. »Ich bin der Advokat des Herrn Grafen«, sagte er mit sich überschlagender Stimme und versuchte, den Sessel zwischen Dupic und den Grafen zu zwängen. »Freut mich«, grinste Dupic, »ich bin Dupic, machen Sie sich's bequem, Herr Doktor.« Ohne um Millimeterbreite weiterzurücken, wendete er das Gesicht dem Advokaten zu, der erfolglose Anstrengungen machte, den Sessel dem Tisch zu nähern. »Sie können sich auch auf den Tisch setzen, Herr Doktor«, grinste Dupic. »Ich sitze schon«, erwiderte Dr. Frank wütend; der Graf hatte ihn endlich bemerkt und war ihm behilflich. »Und das dort ist gewiß der Herr Notar«, rief Dupic und hob einen langen Bleistift grüßend wie einen Pokal. Der Notar lächelte amüsiert und neigte dankend den Kopf. »Ihre Königliche Hoheit gibt uns heute nicht die Ehre?« fragte Dupic. Dr. Frank, der die Empfindung hatte, er müsse energischer auftreten, legte los: 48 »Was soll das alles sein, Herr? Wozu schleppen Sie die große Gesellschaft mit? Ist das ein seriöses Vorgehen? Ein Notar und ein Advokat hätten genügt. Ich schlage vor« – er erregte sich immer mehr –, »ich verlange, daß sich alle Personen, die hier nichts zu tun haben, augenblicklich entfernen.«
»Einen tüchtigen Advokaten haben Sie, Herr Graf«, lächelte Dupic, »nur schade, daß er so aufgeregt ist. Ein Advokat darf sich nicht aufregen.«
Der Graf schüttelte unwillig den Kopf: »Wir bitten wirklich, Herr Dupic. Wer sind diese Herren?«
Dupic schwenkte beruhigend, glättend den linken Arm. Die Männer, die bis zu diesem Augenblick leise gesprochen, gelacht, getuschelt hatten, verstummten. Dupic streckte beide Arme aus und sagte würdevoll: »Elf sind meine Söhne. Nur mein Sohn Peter fehlt, er hat nicht kommen wollen, er ist Arzt an der italienischen Front. Der Herr mit dem Monokel ist mein Advokat, der zweite rechts von ihm der Notar. Die übrigen acht sind Verwandte und Freunde. Allen bin ich Vater.« Er lächelte verschmitzt. »Ich kann sagen, es war ein Kunststück, alle für den heutigen Tag freizubekommen. Wenn mein Freund, der Privatsekretär des Kaisers, nicht bei den obersten Kommanden interveniert hätte, wäre es nicht zu machen gewesen. Man hat, Gott sei Dank, seine Verbindungen.« Er nickte dem kleinen fetten Mann, der das Monokel in die Westentasche steckte, zu: »Herr Doktor, geben Sie die Sachen her.«
Dr. Frank wandte sich an den Wiener Advokaten: »Herr Kollege, wollen Sie uns nicht erklären . . .« 49
»Herr Dupic hat das Wort«, erwiderte achselzuckend der dicke Mann und reichte Dupic ein Aktenbündel.
Dupic nickte: »Zu Diensten. Herr Graf, Herr Notar, Herr Doktor, ich bin schon dabei. Die Kaufsummen, die wir vereinbart haben, werden von mir auf Heller und Pfennig eingehalten, wie aus den Verträgen hervorgeht. Das dürfte für die geehrten Herren die Hauptsache sein. Ich komme nun dazu, die Anwesenheit meiner Leute zu erklären. Ich kaufe 9600 Hektar. Ich kaufe aber diese 9600 Hektar nicht für mich, sondern: ich teile diese 9600 Hektar auf. Ich kaufe die 9600 Hektar für meine Leute. Jeder von diesen neunzehn mir nahestehenden Männern kauft 500 Hektar. Neunzehn mal fünfhundert macht 9500 Hektar. Bleiben hundert Hektar; die kauf' ich für mich selbst. Warum so wenig, wollen Sie wissen? Das will ich Ihnen sagen. Kein Mensch weiß, meine Herren, wie der Krieg ausfällt. Aber ob er gut ausfällt oder schlecht ausfällt, jedenfalls wird man nach dem Krieg fragen: Wem gehört der Großgrundbesitz Boran, den der Graf Thun verkauft hat? Nun stellen Sie sich vor, Herr Graf, wie peinlich es mir wäre, wenn es hieße: Den Großgrundbesitz Boran, 9600 Hektar, hat ein gewisser Adam Dupic gekauft. Alle würden über mich herfallen. Alles würden sie mir nehmen, entweder das Volk oder der Staat. Kein Mensch hätte mit mir Mitleid. Für einen Kriegsgewinnler würde man mich halten. Sehn Sie, meine verehrten Herren, das will ich vermeiden. Deshalb kaufe ich nur hundert Hektar für mich, und meine Söhne und Freunde kaufen je fünfhundert Hektar. 9600 Hektar kann kein 50 vernünftiger Mensch heute kaufen. Fünfhundert Hektar kann jeder Mensch kaufen. Das ist ein ganz hübscher, aber verhältnismäßig nicht übermäßiger Besitz, den man jedem Menschen gönnen muß.«
Dr. Frank stand auf und erklärte: »Wir stehen vor einer neuen Situation. Wir unterbrechen die Konferenz.«
Er zog sich mit dem Grafen in ein entlegenes Zimmer zurück, Dupic eilte ihnen nach, beteuerte, nichts sei anders geworden, die Aufteilung sei ja nur Komödie, bezahlen werde er selbst alles, und zwar sofort. Der Advokat entgegnete, Dupic habe den Grafen irregeführt. Es handle sich um die Möglichkeit des Rückkaufs. Gelange Boran in den Besitz eines einzigen Käufers, so bleibe dem Grafen die Möglichkeit, eines Tages den Besitz zurückzukaufen; werde Boran aber unter zwanzig Personen aufgeteilt, so bedeute diese Zerstückelung den Verlust für ewige Zeiten. Nun setzte Dupic auseinander, von den zwanzig Käufern seien neunzehn arme Schlucker, Sklaven, die ihm auf den Wink gehorchen müßten; er, Dupic, werde die zwanzig Kaufverträge in seiner eisernen Kasse verwahren, keiner der neunzehn Käufer werde jemals den geringsten Einfluß auf Boran haben. Wenn der Graf einmal in die Lage komme, Boran zurückkaufen zu können, werde er, Dupic, mit sich reden lassen. »Und wenn Sie sterben?« fragte der Advokat. »Ich sterbe nicht vor Ihnen «, lachte Dupic und riß heiter an den Strähnen seines weißen Bartes.
Er kehrte in den Roten Saal zurück. Der Graf blickte ihm nach, sagte: »Wir unterschreiben.«
Während die Notare und Advokaten arbeiteten, sah 51 der Graf die Gräfin eintreten, erstattete Bericht. Sie blickte flüchtig die Männer an, die verlegen und trotzig sitzenblieben. Sie rief Richard, der ihr entsetzt die Tür geöffnet hatte. Sie sagte: »Gut lüften nachher, Richard, alle Fenster aufreißen im ganzen Schloß!« Dann entfernte sie sich, sie ging anders als sonst, langsam und feierlich.
Die Männer setzten ihre Unterschriften unter die Verträge. Der Graf, der vor den anderen unterschrieben hatte, ging auf Dupic zu, sagte nicht unfreundlich: »Sie brauchen mich wohl nicht mehr; ich möchte mich zurückziehn.« – »Ganz nach Belieben«, erwiderte Dupic, »aber eins müssen Sie mir noch sagen, Herr Graf: Ist das Haus auf dem Marktplatz geräumt? Ich will heute einziehn.« – »Heute?« – »So ist es; heute; ich kehre nicht nach Wien zurück, ich will hierbleiben.«
In diesem Augenblick erst schien der Graf zu begreifen, was geschehen war. Er neigte die Stirn. »Mein lieber . . . mein bester Herr Dupic, unser Kupka, unser alter Wirtschaftsdirektor, wohnt in dem Haus.« – »Darf ich ihn rufen?« fragte Dupic, läutete, gab dem eintretenden Richard den Auftrag, Kupka zu holen.
Dem Wirtschaftsdirektor stellte Dupic in wenigen Worten anheim, den Posten zu behalten; jedenfalls aber müsse Kupka sofort das Haus auf dem Marktplatz räumen. Man werde ihm eine Dienstwohnung im Schloß anweisen; im Schloß sei Platz genug. Der Überrumpelte erwiderte mit zitternder Stimme, er wolle mit Zustimmung des Herrn Grafen auch der neuen Herrschaft dienen, aber eine Übersiedlung von heute auf morgen sei kaum möglich; so schwer es ihm falle, die 52 Wohnung, in der er mit seiner Frau nahezu vierzig Jahre verbracht habe, aufzugeben, wolle er doch trachten, mit der größten Beschleunigung den Auftrag auszuführen.
»Nicht von heute auf morgen, sondern heute, mein bester Herr«, sagte Dupic, »heute abend will ich schon in der Wohnung schlafen. Lassen Sie sich sofort im Schloß eine Wohnung geben, sonst sind Sie obdachlos, verehrter Herr.«
Kupka taumelte nach Hause. Vor dem Hause standen zwei beladene und ein leerer Möbelwagen. Eine Stunde später erschien Dupic mit seinen Leuten. Die breitschultrigen bärtigen Riesen, die großstädtisch eleganten Schmächtigen mit hungrigen Augen, alle umstanden den großen hageren alten Mann, seines Winks gewärtig. Auf dem Marktplatz entstand Tumult, die Frauen und Greise, die vor den Türen ihrer Läden geschlummert hatten, liefen herbei, starrten die Fremden an. Drei schwächliche Möbelpacker, Kriegskrüppel, wurden von Dupic verabschiedet. »Adieu, wir machen alles selber, wir sind stärker als ihr«, lachte er sie an und gab jedem einen freundschaftlichen Tritt auf den Hintern.
»Mein bester Herr«, rief er im Hausflur Kupka zu, »es kann losgehn.«
Die schluchzende Frau des Wirtschaftsdirektors erblickend, dämpfte er die fröhliche Laune, ergriff die runzlige Hand der Greisin, beugte sich über sie: »Was fällt Ihnen ein, gute Frau, im Schloß werden Sie's schöner haben als hier in der alten Baracke, Sie machen einen großartigen Tausch!« Dann kümmerte er sich 53 nicht mehr um das alte Ehepaar, klatschte in die Hände, rief: »Antreten!« Neunzehn Männer verteilten sich in den Zimmern, die Riesen ließen ihre Röhrenstiefel auf dem morschen Fußboden klappern und dröhnen, die eleganten Großstädter wiegten sich in den Hüften, organisierten den Transport, die Riesen schleppten die Tische, Schränke, Betten des alten Ehepaars hinaus. Dupic war überall, in den Zimmern, vor den Möbelwagen, überall hörte man seine hohe, heisere Stimme: »Flink, Burschen! Eins, zwei! Packt an, Burschen, daß wir fertig werden! Ihr zwei die Spiegel, ihr zwei die Bilder, ihr zwei die Küche, ihr zwei die Kleinigkeiten, schnell, schnell!« Sie polterten, schleppten, schleiften alles an dem alten Ehepaar vorbei, die beiden Alten standen im Hausflur, gestoßen, angebrüllt von allen, keiner blickte sie an. Dupic selbst trug das letzte Stück, ein vergessenes hölzernes Kruzifix, zum Möbelwagen, warf es auf das Gerümpel, kommandierte: »Los!« Zwei Männer stiegen auf den Bock, die Pferde zogen an. Das alte Ehepaar ging hinter dem Möbelwagen wie hinter einem Leichenwagen.
»Jetzt meine Einrichtung! Los!« kommandierte Dupic. Die Riesen schleppten Dupics Schränke, Betten, Truhen, die eleganten Schmächtigen öffneten Kisten, gaben jedem Ding seinen Platz, nach drei Stunden waren alle Zimmer eingerichtet. Dupic kletterte in die Möbelwagen hinein, überzeugte sich, daß man nichts zurückgelassen hatte, rief die neunzehn Männer in das Arbeitszimmer, sagte: »Euer Zug geht in einer halben Stunde, auf dem Bahnhof könnt ihr etwas essen, wer Wünsche hat, soll mir schreiben. Adieu.« Keinem 54 reichte er die Hand. Die Männer verbeugten sich und gingen. Die Neugierigen auf dem Marktplatz blickten ihnen nach, gingen in ungeheurer Aufregung nach Hause.
Dupic blieb allein in dem finsteren Haus. Er stieg auf den Dachboden, beugte sich aus einer Dachluke. Er atmete schwer wie nach einer schweren Arbeit. Er rührte sich nicht, immer langsamer schlug sein Herz. Auf seinem Gesicht lag Frieden.