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Zehntes Kapitel.
Treue und Wankelmut.

Am Morgen des fünften Oktober begegnete Henri seinem alten Freunde Viktor auf der Straße. Beide waren sich in dieser Zeit der verschärften Gegensätze fremd geworden und kalt wollte Henri an dem Anhänger der Umsturzpartei vorübergehen. Doch dieser hielt ihn auf, er sah ernst und sorgenvoll aus und sagte, indem er ihm ein kleines Päckchen zusteckte:

»Dies ist Ihr Handschuh, Sie haben ihn bei Ihrem letzten Besuch bei Rolands zurückgelassen.«

»Ich war seit Monaten, – seit dem zwölften Juli nicht mehr bei Rolands,« sagte Henri erstaunt.

»Dennoch läßt Fräulein Ribot Sie bitten, diesen Handschuh zurückzunehmen. Ich werde mir erlauben, der Frau Gräfin heute nachmittag meine Aufwartung zu machen,« setzte Viktor feierlich hinzu und eilte hinweg.

Erstaunt wickelte Henri einen, ihm nicht gehörenden Handschuh aus dem umhüllenden Papier. Da sieh – ein Finger des Handschuhs faßte sich etwas dicker an, es war ein Zettel darin.

Henri nahm ihn heraus und las:

»Nehmen Sie sich in acht! Es wird eine Massenexpedition nach Versailles in Scene gesetzt, das Leben des Königs und noch mancher anderer ist gefährdet. Ich bin Ihnen diese Mitteilung wegen neulich schuldig. H.«

Henri erschrak, er zweifelte keinen Augenblick, daß Hortenses Warnung begründet sei; doch mischte sich in das Gefühl der Sorge um seinen Herrn die Genugthuung, daß die Freundin doch noch seiner gedachte. Er eilte nach Haus, traf aber nur Renée; die andern, auch die Marquise, waren ausgefahren, um den selten schönen Herbstmorgen zu genießen.

»Ich bin zu Madame Elisabeth befohlen,« sagte Renée vergnügt, »ich soll mit ihr um elf Uhr frühstücken, die andern sind alle weg.«

»Ich werde Dich begleiten, Renée, nachdem ich eine Botschaft für Deinen Vater abgegeben habe. Die Majestäten bedürfen vielleicht auch meiner.« Er teilte ihr nun mit, was er soeben erfahren. In der Aufregung entschlüpfte ihm dabei Hortenses Name.

»Du brauchst nicht in Verlegenheit zu kommen, Vetter,« sagte Renée lächelnd, »ich weiß, wem Deine Besuche in Paris galten.«

»Fräulein Ribot hat mir das Leben gerettet; ihr Vater hat sie mir empfohlen und – ist sie nicht ein wunderschönes Mädchen von feinster Bildung?«

»Würdig, eine Gräfin Marignan zu werden!« ergänzte Renée lächelnd. »Ach lieber Vetter, es geschehen jetzt ganz andre Dinge.«

»Renée!« rief Henri verwundert, »Du! gerade Du! sprichst kalten Blutes von solcher Möglichkeit, während Du doch« –

»Von der ganzen Familie am meisten in Standesvorurteilen befangen bist, willst Du sagen, nicht wahr? – Ja, das war ich, und Hortense Ribot existierte nicht für mich, trotz unserer gemeinsamen Schuljahre. Aber man kommt nicht vergeblich ein halbes Jahr lang fast täglich mit wirklich vornehmen Damen wie Madame Elisabeth und Marie Antoinette zusammen, die trotz wahrhaft königlicher Würde doch keine Standesunterschiede kennen und das gleiche warme Herz für hoch und niedrig haben. Wohl sind sie in ihrem Verkehr an die Etikette gebunden, aber ich weiß, daß sie in Wirklichkeit keinen Unterschied zwischen den Ständen machen und gern mit bürgerlichen Damen von Bildung und religiöser Gesinnung verkehren würden, wenn sie nur dürften. Ich schäme mich ihnen gegenüber oft meiner früheren Beschränktheit und würde Hortense Ribot mit Freuden als Cousine begrüßen, wenn Du sie Deiner Wahl würdig hieltest, Henri.«

»Nicht der Unterschied des Standes, sondern der der Gesinnung ist es, was mich von Hortense scheidet. Ich kann die Freundin der Frau Roland nicht zur Gräfin Marignan machen,« sagte Henri ernst.

Renée sah ihn teilnehmend an. –

Im Schloß erfuhr Henri, daß der König auf der Jagd und die Königin spazieren gegangen sei. »Monsieur,« der älteste Bruder des Königs, war aber da und Henri ließ sich bei diesem melden.

Doch erregte seine Botschaft keinerlei Besorgnis bei dem hohen Herrn. Er meinte zwar, gehört zu haben, daß ein Haufen Weiber von Paris her unterwegs sei, um Brot zu verlangen. Wäre es etwas Schlimmeres, so hätte Herr von Lafayette, der Kommandant der Nationalgarde, die Leute aufgehalten. Man könne übrigens zur Vorsorge immerhin ein paar Regimenter im Schloßhofe aufstellen. Henri erbat sich die Erlaubnis, bei der Garde im Schlosse bleiben zu dürfen. Bald darauf gesellte sich der Marquis zu ihm, der inzwischen nach Hause gekommen war und Henris Botschaft gelesen hatte. Auch der König kehrte von der Jagd zurück; doch sein harmloses Gemüt wollte an keine Gefahr glauben, er schickte die Regimenter fort und erlaubte der Garde nur unter der Bedingung, daß sie kein Blut vergieße, zum Schutze des Schlosses dazubleiben.

Aber bald wälzte sich wild und drohend, ekelhaft und abschreckend, ein wüster Haufen von Weibern, Arbeitern, Bettlern und Strolchen aller Art auf die königliche Residenz zu. Alles war mit Flinten, Säbeln und Piken bewaffnet; sie verteilten sich in die Straßen der Stadt, drangen in den Saal der Nationalversammlung, stürmten mit wildem Geheul das Schloß und metzelten achtzehn Gardisten, die auf Vorposten standen und sich nicht verteidigen durften, nieder. Laut das Leben der Königin fordernd, drang die Menge bis in die inneren Hofräume. Die Weiber, die sich zum König hineingedrängt hatten und durch dessen Güte gerührt, beschämt und reuig wieder heraustraten, wurden ob dieser milden Gefühle von den andern fast zerrissen.

Jetzt ließ die tapfere Leibgarde sich's nicht nehmen, zur Verteidigung ihres Königs das Schwert zu ziehen. Bis zehn Uhr nachts hielt sie die Übermacht vom Schlosse ab. Dann erst erschien der Mann, dessen Amt es gewesen wäre, die Volksmassen von Anfang an zurückzuhalten, der Kommandant der Bürgerwehr, Herr von Lafayette. Es gelang ihm, durch seine Autorität die Ordnung wieder herzustellen. Dann besetzte er die Thore mit Wachtposten – und begab sich zur Ruhe.

Jetzt erst fand der Marquis Zeit, sich nach seiner Tochter umzusehen, die, wie er gehört hatte, den ganzen Tag bei Madame Elisabeth gewesen war. Vater und Kind trafen sich im Vorzimmer der Prinzessin und dankten tief bewegt Gott, sich nach all der überstandenen Gefahr wohl und gesund wiedersehen zu dürfen.

Der Marquis wollte seine Tochter mit nach Hause nehmen, aber sie bat ihn herzlich: »Laß mich hier bleiben, Papa! Die Prinzessin bedarf meiner, ihr Ehrenfräulein ist erkrankt und sie will mich an deren Stelle behalten.«

»Aber bedenke Kind, wie gefährlich gerade jetzt solch ein Posten ist.«

»Aber ist es nicht auch schön, Not und Gefahren mit denen, die man liebt und verehrt, teilen zu dürfen? Laß mich hier, Papa! Du und Mama habt ja noch Jeanne, die Prinzessin hat augenblicklich nur mich.«

»In Gottes Namen, Kind! Da ich keinen Sohn habe, der für die Sache des Königs sterben könnte, und ich selbst Frau und Tochter beschützen muß, lasse ich Dich, meine älteste, hier zurück,« sagte der Marquis, küßte Renée innig und eilte dann nach Haus, um nach seiner Gattin und Jeanne zu sehen.

Henri begleitete ihn nicht; auch er erklärte, bis zuletzt bei seinem König aushalten zu wollen.

Auf den Straßen von Versailles war es noch keineswegs ruhig, schreiende Weiber trieben sich bei den Wachtfeuern der Soldaten umher, lungerten um das Schloß herum, einige lagen schlafend im Sitzungssaal der Nationalversammlung.

Und wie erschrak der Marquis, als er sein Haus offen fand; vor dem Zimmer seiner Frau rang ein wüst aussehender Mann mit dem Kammermädchen, und im Salon trieben sich zerlumpte Weiber, nach Wertsachen suchend, umher.

»Zurück!« rief der Marquis dem Manne zu, und als dieser, das Mädchen loslassend, das seiner Herrin Gemach hatte verteidigen wollen, mit gezücktem Schwert auf ihn zustürzte, schlug er ihn mit seinem Degen nieder.

»Komm, Charles, schnell, hilf mir ein Ende machen!« erscholl es jetzt befehlend aus dem Hintergrund, in dem das Bett der Marquise stand.

Da – das Blut des Marquis erstarrte zu Eis – da sah er ein Weib mit wirrem Haar und vor Mordlust funkelnden Augen auf seiner Gattin knieen, im Begriff, sie zu erwürgen.

»Scheusal!« schrie er und wollte die Mörderin mit eisernem Griffe wegreißen. Aber das ging nicht so leicht, denn sie war ein starkes Weib. Da hieb er mit seinem Degen über ihre beiden Hände, daß das Blut hoch aufspritzte und sie ihre Beute fahren lassen mußte. Mit einem Wutschrei sprang das Weib empor und starrte ihn mit wildglühenden Augen an.

Zum Tode erschrocken fuhr der Marquis zurück; – das war ja Margot! die stumme Margot!

Aber sie war nicht mehr stumm, denn mit gellender Stimme schrie sie:

»Ihr habt mir meine Rache genommen, Marquis, an der ich lange Jahre still und unverdrossen gearbeitet habe! Damals, als ich Eures Weibes Vater im Übermut über mein armes, schwaches Kind hinwegfahren sah, das seinem Viergespann nicht schnell genug aus dem Weg humpeln konnte, schwur ich, kein Wort zu sprechen, bis alle männlichen Nachkommen des Verruchten, sowie seine Tochter vertilgt sein würden. Durch meinen Sohn, den Schiffer, wußte ich mir aus einem fernen Weltteil ein untrügliches Gift zu verschaffen; damit habe ich den alten Lavignon, seinen Sohn und seinen jungen Enkel getötet und mein Charles stürzte den andern Bruder ins Meer. Bei Eurer Frau machte deren langsames Leiden mir Freude, doch jetzt, wo Ihr mich fortjagtet, sollte es schneller gehn. – Ha! – Charles, – mein Charles! Ihr habt mir ihn getötet!« schrie sie jetzt, als sie den auf der Erde liegenden Mann erblickte und stürzte sich, die blutenden Hände hoch emporhaltend, mit lautem Gebrüll auf ihn.

»Es ist der rote Charles von der Altstadt Rennes,« sagte mit scheuem Blick die Zofe; »Margot ließ ich herein, aber ihn suchte ich zurückzuhalten.«

Erschüttert eilte der Marquis auf seine Frau zu; sie lag in tiefer Ohnmacht, aber noch schlug ihr Herz und er bemühte sich nun mit Hilfe der Zofe, sie wieder ins Leben zu bringen. Endlich atmete sie, der Marquis sah sich nun nach den Einbrechern um.

Die Weiber im Salon hatten sich gleich bei Ankunft des Marquis aus dem Staube gemacht. Auch Margot und ihr Sohn waren nun verschwunden, eine blutige Straße bezeichnete ihren Weg.

Oben bei der Gräfin und ihrer Tochter war Viktor Moreau den ganzen Nachmittag und Abend gewesen, um sie gegen ein etwaiges Eindringen des Pöbels zu beschützen. Kurz vor zehn Uhr hatte er sie verlassen, da er die Ruhe wieder hergestellt glaubte, und da hatten die beiden Verbrecher sich mit ein paar Spießgesellen in das Haus geschlichen, zu dem Margot noch von früher her einen Schlüssel hatte.

Der Marquis wachte die ganze Nacht bei seiner Frau, die nach heftigen Fieberschauern gegen Morgen in einen festen und ruhigen Schlaf versank. Er selbst gönnte sich keine Ruhe, sondern ging, nachdem er seine, bei den gestrigen Kämpfen stark beschädigte Garderobe gewechselt hatte, zu seiner Schwester hinauf.

Er fand sie verhältnismäßig ruhig, und sie, die noch im letzten Winter bei jener kleinen Wunde Henris fast außer sich gewesen war, gab jetzt seiner Absicht, für seinen König in den Tod zu gehen, ihre volle Zustimmung.

»Er ist mein einziger Sohn,« sagte sie, »aber er handelt als Edelmann und ich weiß, daß sein Vater dasselbe gethan haben würde.«

»Wäre meine Estella ihrer Leiden wegen nicht meines Schutzes so sehr bedürftig, weiß Gott, auch ich ginge jetzt nicht fort,« sagte der Marquis. »So aber ist es meine Pflicht, sie so schnell als möglich außerhalb des Bereichs dieser Unruhen zu bringen. Wenn ihr Zustand es erlaubt, werde ich mit ihr und Jeanne nach unserm Schloß im Gehölze reisen. Willst Du mit, Schwester?«

»Mich aufs Land vergraben, wo vielleicht, ehe man sich's versieht, wiederum Aufstände ausbrechen oder das hiesige Gesindel uns verfolgen kann, nimmermehr! Ich gehe dahin, wohin die andern vornehmen Familien gehen, nach Genf oder an einen der deutschen Höfe. Auch in Koblenz, wo der Graf von Artois Hof hält, soll es nicht übel sein. Monsieur und die übrigen werden auch nicht mehr lange hierbleiben. Hier in Frankreich wird man seines Lebens nicht mehr froh.«

»Ich glaube, das wird man heutzutage nirgends mehr,« klagte Eugenie. »Da kommt unser tapfrer Retter Viktor! Was bringen Sie uns?«

»Heute nacht um drei Uhr ist das Schloß durch Verrat der Nationalgarde abermals überfallen worden«, sagte der Advokat, der mit kurzem, ernstem Gruß eingetreten war. »Zwei Offiziere der Leibgarde sind gefallen, Graf Henri ist unversehrt, doch hat er mehrfach sein Leben aufs Spiel gesetzt; er war unter denen, die mit Todesverachtung die Gemächer der Königin verteidigten, so daß sie Zeit fand, sich in das Zimmer ihres Gatten und unter dessen Schutz zu begeben. Herr von Lafayette kam, als alles vorüber war. Doch hat die Achtung, die er dem Königspaar öffentlich bezeigte, die Menge wieder in ehrfurchtsvolle Entfernung gedrängt. Das wunderliche Volk brachte der Königin zuletzt noch ein Hoch aus.«

»Sagen Sie das abscheuliche Volk! das schreckliche Volk!« rief die Gräfin, – »wie nennst Du es, Bruder?«

»Ich nenne es irregeleitet und blind«, erwiderte dieser, »es ist der Freiheit noch nicht würdig, und die es beherrschen sollen, verstehen es nicht. Ich gebe es auf, ferner für die Rechte dieser wilden Massen, die keine Selbstbeherrschung kennen, einzutreten. Wer weiß, wohin diese blinde Leidenschaft noch führt. Die das Volk jetzt zu leiten wähnen, Herr Moreau, sollen sich hüten, nicht vom Strudel mit fortgerissen zu werden. Die Heroen des Geistes unserer Nationalversammlung waren ohnmächtig diesem Tumulte gegenüber, und ohne die tapfere Leibgarde wären die entsetzlichsten Greuel im königlichen Schloß verübt worden. Ich bin jetzt wieder mit Leib und Seele Aristokrat geworden, liebe Schwester, denn wer, wie ich, gestern einen halben Tag lang dem losgelassenen Volke gegenübergestanden und in diese Gesichter voll teuflischer Wut und ungezügelter Begierde gesehen hat und dann Zeuge des scheußlichen Mord- und Rachedurstes eines Weibes aus dem Volke war, das man mit Wohlthaten überschüttet hatte, – der bekommt auf immer einen tiefen Widerwillen vor dieser Menschenklasse.«

»Wer anders hat die Erbitterung des Volkes auf diesen Höhepunkt gebracht, als der Hochmut und die Überhebungen des Adels?« rief Moreau mit funkelnden Augen. »Es hat sich viel Stoff angesammelt in den letzten Jahrhunderten, und wenn das Volk jetzt an Unschuldigen Rache nimmt, so haben deren Vorfahren dafür die Verantwortung zu tragen. Auch kann dieser Aufstand sein Gutes haben, wenn sich der König dadurch gezwungen fühlt, die Beschlüsse der Nationalversammlung zu bestätigen, womit er bis jetzt gezaudert hat!«

»Sie wollen damit doch nicht sagen, daß Ihre Partei diese Greuelscenen ins Werk gesetzt hat, um den König zur Annahme Ihrer Prinzipien zu zwingen?« rief der Marquis.

»Das sicher nicht – aber«

»Sie hat darum gewußt und sie nicht verhindert!« unterbrach ihn entrüstet die Gräfin, »ich verstehe nichts von Politik, Herr Moreau, aber daß solche Ansichten Sie auf immer von uns scheiden müssen, das sehen Sie doch wohl selbst ein. – Darf man nach Deiner Frau sehen, lieber Gaston?«

»Gewiß,« erwiderte der Marquis, »sie wird sich freuen. Jeanne ist bei ihr, ich führe Dich hinunter.«

»Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan,« sagte Moreau, indem er aufstand, sobald die beiden das Zimmer verlassen hatten. »Sind Sie auch der Ansicht Ihrer Mutter, Fräulein Eugenie?«

»Daß derjenige, der die Greuel von gestern, wenn auch nur als Mittel zum Zweck, gut heißt, sich dadurch innerlich von uns getrennt hat, ja, Herr Moreau, das glaube ich auch,« erwiderte sie fest.

Der Advokat preßte die Lippen aufeinander. Auch sie konnte ihn nicht verstehen. Wie ihre Mutter, sagte auch sie sich ohne Dank von ihm los, nachdem sie seine Dienste angenommen. Aber es war seine eigene Schuld. Warum ließ er sich immer wieder mit diesen Aristokraten ein! – Hatte er nicht an ihnen den Tod seines Vaters und zahllose Kränkungen aus der Knabenzeit zu rächen? Waren sie nicht die geborenen Feinde der Sache, der er sein Leben geweiht?

Eugenie sah, daß er böse war und ihr fiel ein, wie treu er ihr in mancher Gefahr zur Seite gestanden hatte und welch' großer Trost für sie und ihre Mutter seine Gegenwart am gestrigen Tage gewesen war. Sie fühlte, daß die Mutter ihn zu hart behandelte und das that ihr weh!

»Herr Viktor Moreau,« sagte sie sanft, als er sich mit stummer Verbeugung zum Gehen anschickte, »wir sehen uns wohl nicht so bald wieder, da Mama in diesen Tagen ins Ausland reisen will. Bei der nächsten Gefahr, in der wir uns befinden, werde ich mich vergeblich nach Ihnen umsehen. Bis jetzt war ich gewohnt, in jeder schwierigen Lage Ihres Beistands sicher zu sein.«

Sie sah ihn an und vor dem warmen Blick ihrer schönen Augen schmolz der Aristokratenhaß des Volksmannes wie Schnee vor der Sonne. Er vergaß alle Kränkungen, die er von dieser Familie erfahren, er vergaß seines Vaters jähen Tod, er fühlte nur, wie hart es sei, dies liebliche Geschöpf nie mehr beschützen, sich nie mehr von ihm necken lassen zu dürfen.

»Versprechen Sie mir, Eugenie, sich an mich und nur an mich zu wenden, sobald Sie eines Schutzes bedürfen,« bat er bewegt.

»Ja, Viktor, ich verspreche es,« erwiderte sie und gab ihm ihre Hand. Als er sich niederbeugte, um diese kleine aristokratische Hand zu küssen, fiel eine heiße Thräne darauf.


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