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Goldener hat noch nie die Maiensonne auf das schöne Versailles niedergestrahlt, als am 5. Mai 1789, und einen glänzenderen Zug hat sie noch nie beleuchtet, als den, der sich beim rauschenden Klange der Musik feierlichen Schritts nach der Kirche des heiligen Ludwig begab, wo der Festgottesdienst zu der für den folgenden Tag festgesetzten Eröffnung der Reichsstände abgehalten werden sollte – der Reichsstände, dieser letzten Hoffnung der Nation, die man berufen hatte, um alle Schäden des Landes, alle Mißgriffe der Regierung wieder gut zu machen und die leeren Kassen wieder zu füllen!
Aus dem ganzen Lande war man herbeigeströmt, um an diesem Feste teilzunehmen und jubelnd begrüßte das Volk den langen Zug ernster Abgeordneten, die stolz erhobenen Hauptes einherschritten. Voran die Geistlichkeit in feierlicher Amtstracht, darnach die Edelleute in reich gestickten Hofkleidern, den Degen an der Seite und zuletzt die Bürgerlichen in schlichtem Schwarz mit weißen Kravatten und einfachen Hüten, im vollen Bewußtsein ihrer Würde und Verantwortung.
Dem dritten Stande jauchzte man am allerlautesten zu und bewundernd zeigten sich die Zuschauer den Marquis von Mirabeau mit dem gewaltigen Kopf und den Abbé Sieyes mit dem feinen, geistvollen Gesicht, die schon lange durch ihre Schriften die Freiheitsbestrebungen des Volkes entflammt hatten und sich von diesem – trotz ihres bevorzugten Standes – in die Versammlung hatten wählen lassen. Auch der Advokat Moreau war dabei, er ging neben einem anderen Abgeordneten aus der Bretagne, der mit Stolz seinen schlichten Bauernanzug trug.
Aber auch dem Hofe jubelte das Volk entgegen, vor allem dem König, dessen gutmütiges, freundliches Gesicht mit den schönen blauen Augen und dem anmutig lächelnden Mund vor Wohlwollen und innerer Befriedigung strahlte, sowie seiner Schwester, der schönen und frommen Madame Elisabeth, weniger den Brüdern, Monsieur und Graf von Artois, deren letzterer ein leichtsinniger Cavalier war, dessen luxuriöse Gewohnheiten dem Hof Unsummen kosteten.
Die meisten Stimmen aber verstummten, als die Königin kam. Ja, man ließ bei ihrem Vorüberschreiten da und dort ihren Todfeind, den Herzog von Orleans, mit lauter Stimme leben.
Und doch hat es selten eine schönere Frau auf einem Throne gegeben, als Marie Antoinette. Sie trug ihre hohe, schlanke Gestalt mit Anmut und königlicher Würde, aschblondes, reiches, seidenweiches Haar umrahmte, nach damaliger Mode hoch aufgebauscht, ihr ovales Gesicht mit den weichen, regelmäßigen Zügen; aus ihren blauen Augen strahlte Wärme und Innigkeit. Wer ihr nahe stand, unterlag dem Zauber ihres Wesens und liebte sie mit leidenschaftlicher Hingebung. Aber das Volk war gewohnt, in der »Österreicherin« die Ursache aller Mißstände des Landes zu sehen und lohnte die aufrichtige Liebe, die ihm die Königin entgegenbrachte, mit Mißtrauen und Haß.
Auch Renée und Jeanne hatten mit der Tante und deren Kindern den Festzug gesehen. Sie alle waren vor einigen Tagen in Versailles angekommen, denn auch die Marquise hatte zuletzt ihren Widerstand gegen die Reise, an der das Herz des Gatten und der Töchter hing, aufgegeben. Zwar legten sich nach den Wahlen die Unruhen zu Rennes wieder, doch war der Plan nun einmal gefaßt und wurde nicht wieder aufgegeben.
Die beiden Familien bezogen zusammen ein schönes Haus unweit des königlichen Schlosses. Seiner leidenden Gemahlin wegen nahm der Marquis die untere Etage ein, die Gräfin zog nach oben und bald hatte man sich, dank der guten Dienstboten, die man von der Heimat mitgebracht, schon ganz behaglich eingerichtet.
Die Ärzte für seine Frau zu konsultieren, deretwegen er hauptsächlich in die Nähe von Paris gezogen war, dazu fand der Marquis von Villiers zuerst gar keine Zeit. Der lebhafte Mann ging ganz in dem Treiben dieser erregten Tage auf und rannte von einem Hotel zum andern, um die berühmtesten Abgeordneten kennen zu lernen und ihre Ansichten zu hören. Seine Töchter erinnerten ihn schüchtern daran, daß er versprochen habe, sie bei Hof einzuführen.
»Vorderhand ist dazu keine Zeit,« meinte der vielbeschäftigte Mann, »wer denkt an den Hof und seine Feste, wenn es sich um große Ereignisse wie die Zusammenkunft der Reichsstände handelt? Man hat allerseits den besten Willen, aber ich fürchte, ich fürchte! Man macht Fehler, Kinder, große Fehler. Warum, zum Beispiel, ließ der König beim Empfang der Abgeordneten vor Adel und Geistlichkeit beide Flügelthüren öffnen und vor dem dritten Stand nur eine?«
»Das ist von alters her Sitte gewesen,« meinte Renée.
»Wir stehen am Eingange einer neuen Zeit, mein Kind, diese Unterschiede müssen fallen. Auch die Kleidung hätte bei allen Abgeordneten gleich sein sollen. Ich bin nun sehr begierig, wie es mit den Verhandlungen wird.«
»Diese böse Politik!« seufzte Jeanne; »man kann ihr nicht entgehen! In Rennes hörte man nichts als von Wahlen und Abstimmungen sprechen und hier kommt Ihr nun schon wieder mit Eurem langweiligen dritten Stande an. Denn auch Henri kann von nichts anderem reden, und es ist doch so schön hier!«
Ja, es war schön in Versailles und mit der ganzen Empfänglichkeit unverdorbener Gemüter gaben die drei jungen Mädchen sich den neuen Eindrücken hin, die sich ihnen von allen Seiten boten. Wie ganz verschieden war diese prächtige, unter dem Zauberstabe Ludwig XIV. aus einem kleinen Dorf im Walde emporgewachsene Stadt von dem alten, langweiligen Rennes, wie herrlich war der Park mit seinen duftenden Rosenbeeten, schattigen Baumgängen, kunstvollen Wasserwerken und Marmorstatuen! Wie unterhaltend die vielen eleganten Menschen, denen man zu Fuß und zu Wagen begegnete! Und als dann endlich der große Tag erschien und die langersehnte Vorstellung bei Hofe stattfand, als die schöne Königin mit ihrem bezaubernden Lächeln in der Gräfin und dem Marquis alte Bekannte begrüßte und die jungen Mädchen mit hinreißender Liebenswürdigkeit ins Gespräch zog, da sahen diese fürs erste alle ihre Wünsche erfüllt. Wohl sagte Marie Antoinette mit einem leisen Seufzer, daß sie in dieser ernsten Zeit der Jugend und Schönheit wenig zu bieten habe. Die heiteren Tage von Trianon, wo man so vergnügt Landwirtschaft gespielt hatte, waren zu Ende und aus Sparsamkeitsrücksichten mußte von glänzenden Festen Abstand genommen werden. Aber man kam doch noch oft genug in den prachtvollen Sälen des Versailler Schlosses zusammen, der zahlreich anwesende Adel verkehrte viel unter sich, die Gräfin schwelgte im Wiedersehen mit den Freunden ihrer am Hofe verlebten Jugend und in den Strudel der Geselligkeit, in dessen Mitte sie mit ihren Kindern stand, wurden ganz von selbst auch Jeanne und Renée mit hineingerissen, obschon deren Mutter sich davon fernhalten mußte.
Inmitten all' dieser ungewohnten Freuden, der Sommerfeste in bunt erleuchteten Gärten, der Ausflüge zu Pferd und Wagen in den schattigen Wald, der Familienbälle und Hofzirkel, ahnten die fröhlichen Kinder nicht, wie das Verhängnis langsam seine düsteren Schleier um diese lustige Stadt und ihre Bewohner wob. Es schwebte über der Versammlung, auf der die Hoffnung des Landes ruhte; es kam näher, als der dritte Stand sich weigerte, getrennt von Adel und Geistlichkeit seine Beratungen vorzunehmen und senkte sich während der monatelangen Streitigkeiten um diesen Punkt, in welcher Zeit die bürgerlichen Abgeordneten sich vom Ständesaal ins Ballspielhaus und von dort in die Kirche zurückziehen mußten, tiefer und tiefer auf Stadt und Volk herab. Am 25. Juli versammelten sämtliche Abgeordnete sich wieder auf Befehl des Königs im Ständehaus, dieser gebot ihnen, sich zurückzuziehen und am folgenden Tage nach Ständen getrennt zu verhandeln.
Da erklärte der Marquis von Mirabeau mit Donnerstimme, daß dies nicht geschehen werde, daß die Abgeordneten des dritten Standes durch den Willen des Volkes hier seien, und daß nur die Gewalt der Bajonette sie vertreiben könne.
Jetzt war das Verhängnis da und keine Macht der Erde, auch die spätere Nachgiebigkeit des Königs, der schließlich in den Verbleib der Versammlung willigte, konnte ihn und sein Land dem Verderben nicht mehr entreißen.
Am Hofe ging man noch immer mit geschlossenen Augen umher und glaubte nur an vorübergehende Streitigkeiten. Wer von dieser ganzen leichtlebigen Gesellschaft vielleicht am meisten die kommenden Schrecken ahnte, war Marie Antoinette. Trübe Erfahrungen der letzten Zeit, der Tod ihres ältesten Sohnes, ein infamer Prozeß, in den sie durch die Intrigue einer schlechten Person, die dem Kardinal Rohan gegenüber ihre Rolle gespielt und ihn veranlaßt hatte, ihr ein überaus kostbares Diamantenhalsband zu schenken, verwickelt worden war und der Undank des Volkes, dem sie die herzlichste Liebe entgegengebracht, hatten ihre sonnige Heiterkeit getrübt und ihr das kindliche Vertrauen auf eine glückliche Zukunft geraubt. Aber gerade der milde Ernst, der über ihrem Wesen lag, machte sie anziehend, besonders für Renée, die bald diese vielgeschmähte Frau aufs innigste verehren lernte.
Die Hofgesellschaft im allgemeinen sagte dem ernsten Mädchen wenig zu. Sie wurde von der Oberhofmeisterin der Königin, der Marquise von Polignac, beherrscht, die mit ihrem Leichtsinn und ihren freien Sitten einen verhängnisvollen Einfluß auf ihre Umgebung und leider auch auf ihre hohe Gebieterin selbst ausübte. Unter der glänzenden Tünche von Witz und Geist fand Renée hier fast noch mehr Oberflächlichkeit und Frivolität, als daheim in ihrem Bekanntenkreise zu Rennes.
Zwei Frauen hoben sich geistig hoch über ihre Umgebung empor, wie weiße Lilien über buntblühende Sumpfgewächse: es waren die Prinzessin Lamballe, die Herzensfreundin der Königin und Madame Elisabeth, die Schwester des Königs; die letztere, eines jener seltenen Wesen, die mitten in der Welt dem Himmel leben und deren reine Seele kein Hauch der Erde trüben kann, fühlte sich sehr zu Renée hingezogen, deren ruhiges, zurückhaltendes Benehmen angenehm von dem aufgeregten Gebahren anderer jungen Damen des Hofes abstach. Die hohe Frau erkannte, daß Renées ernster Sinn dem ihren verwandt war und zog sie mehr und mehr in ihre nähere Umgebung. Und je öfter Renée zu ihr kommen durfte, desto mehr lernte sie die edle Königstochter lieben und verehren, und alles warme Empfinden, dessen das stolze Mädchen unter seiner kalten Außenseite fähig war, konzentrierte sich bald auf Madame Elisabeth.
Und seltsam! immer wenn sie mit dieser königlichen Prinzessin in den Prachtgemächern von Versailles zusammen war, mußte Renée an das ärmliche Stübchen in der Altstadt von Rennes und an Mutter Brissot denken. Derselbe tiefe Frieden, der auf dem schönen Antlitz Elisabeths lag, hatte auch die Züge der armen Frau verklärt, und wie diese mit freudiger Ergebung alle Schläge des Schicksals ertragen, so würde, das wußte sie, auch die Prinzessin jedes Leiden sanft und geduldig auf sich nehmen. Ja, es gab ein Band, das den Unterschied der Stände ausglich und die gleichgesinnten Menschen in einem heiligen Gefühl vereinte.
Nun sie sah, mit welcher Hingabe die königliche Prinzessin den Ihrigen lebte, ward Renée sich auch ihrer Pflichten gegen die Mutter besser bewußt und weilte häufiger als sonst an ihrem Krankenbett. Sie erfuhr dabei bald, daß sie nicht auf Königsthronen und in der Hütte der Armen nach wahren Christen zu suchen hatte, und daß auch die Mutter den Trost in ihrem Leiden aus einer höheren Quelle schöpfte.
Die Marquise aber war glücklich, mit der Tochter von dem sprechen zu können, was ihre Seele am tiefsten bewegte, und sie mehr als bisher um sich zu haben.
Es gab Zeiten, wo die stumme Margot ihrer Herrin unheimlich war; oft schien ihr ein düsteres Feuer in deren Augen zu liegen, wenn sie sich mit scheinbarer Teilnahme über sie beugte. Oft nahm sie auch Urlaub, »um Verwandte in Paris zu besuchen,« wie sie auf ihre Tafel schrieb.
»Hört,« meinte Henri eines Tages, »es müssen eigentümliche Verwandte sein, die Eure Stumme in Paris hat. Ich sah sie, zehn gegen eins will ich wetten, gestern beim Palais Royal in Gesellschaft jenes Matrosen, der mir nach dem Leben trachtete. Er trug zwar jetzt einen Arbeiteranzug, doch erkannte ich sein böses Gesicht mit den mordgierigen Augen auf den ersten Blick wieder.«
»Du mußt Dich irren, Henri, und wenn nicht, so war das Zusammensein ein zufälliges und harmloses. Margots Treue ist echt wie Gold, sie mag gelegentlich einen Landsmann von üblem Rufe treffen oder nicht,« meinte der Marquis.
»Bedenke, lieber Onkel, daß in den Gärten und Restaurationssälen des Palais Royal allerlei gefährliche Dinge verhandelt werden, man spricht von einer Volksverschwörung!«
»Hirngespinste, mein Junge! Das Volk hat ja seine gemeinsame Abstimmung, die Reichsstände sinnen nach Mitteln, sein Wohl zu heben, was will es mehr? Auch der König ist ruhig im Gefühl seines Rechts. Einzelne Unzufriedene hat es immer gegeben.«
»Der König hätte nie und nimmer die gemeinsame Abstimmung genehmigen, er hätte die aufrührerischen Abgeordneten mit dem Schwerte verjagen sollen,« brummte Henri.
Der Marquis wollte auffahren, aber die Gräfin, die mit ihren Kindern im Salon der Verwandten war, hob in komischer Verzweiflung die Arme empor und rief:
»Um Gottes willen keine Politik mehr! Habt Ihr Euch nicht die schöne Zeit, die wir hier verlebten, genugsam durch politische Streitigkeiten verbittert! Laßt doch die Leute sich versammeln und Reden halten, so viel sie wollen, der König zieht seine Truppen jetzt heran, da werden sie schon Angst bekommen.«
»Gerade diese Truppenansammlungen erbittern das Volk,« schaltete der unverbesserliche Marquis ein.
»Ich will das Wort ›Volk‹ nicht mehr hören!« rief die Gräfin – »sag' mal, Henri, warum fährst Du so oft nach Paris?«
Der junge Mann errötete. Wußte seine Mutter, daß er, der eingefleischte Aristokrat, der sich gleich nach seiner Ankunft in Versailles bei der königlichen Leibgarde hatte einstellen lassen, der beharrlich gegen alle Rechte des Volkes war, das Haus eines Mannes besuchte, der aus seiner republikanischen Gesinnung kein Hehl machte und bei dem die hauptsächlichsten Vertreter der Volkspartei ihre Zusammenkünfte hatten, – das Haus des Abgeordneten von Lyon, des Herrn Roland von la Platière. Freilich ging er nicht hin, wenn der Hausherr mit seinen Freunden dort zu treffen war, er suchte gewöhnlich die Zeit aus, wo diese sich in der Versammlung befanden und er die schöne Hausfrau und ihren Gast allein traf. Denn an diesen, an die liebenswürdige und geistvolle Hortense Ribot fesselte ihn ja die Pflicht der Dankbarkeit. Hatte sie ihm nicht das Leben gerettet, hatte er nicht ihrem Vater, der ihn einen Tag lang in höchst angenehmer Gefangenschaft gehalten und ihn mit seinem besten Wein bewirtet hatte, indessen die Hausfrau die erlesensten Speisen auftrug, geloben müssen, ab und zu nach seinem Töchterchen zu sehen, damit ihm in dem verderbten Paris nichts Übles zustoße?
Diesen Auftrag pünktlich auszuführen ließ Henri sich sehr angelegen sein.
Die Pariser Luft bekam Hortense gut, sie hatte den unzufriedenen Ausdruck verloren, der sonst ihr schönes Gesicht entstellt hatte, ihr Blick war freier, ihre Haltung stolzer geworden, man konnte sich trefflich mit ihr unterhalten, wenn sie auch viel zu klug für eine Dame war.
Henris Mutter billigte diese Besuche nicht, deshalb hielt er sie so viel als möglich vor ihr geheim. Aber wenn Eugenie ihn mit seiner Freundin vom »dritten Stand« neckte, so hielt er ihr vor, daß sie sich doch auch niemals vor Viktor Moreau verleugnen ließe, wenn der zu Besuch komme. Eugenie sagte dann zwar, das sei ganz etwas anderes, Viktor sei vor langen Zeiten schon in die Familie aufgenommen worden und habe sich nun einmal darin eingenistet. Aber sie hörte doch mit ihren Neckereien auf.