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Bei dem Junggesellen-Diner, das die Freunde des Rittmeisters diesem zu Ehren arrangirt hatten, um während desselben jedes Wölkchen zu entfernen, das vielleicht am Himmel ihrer Freundschaft in Folge des falschen Verdachtes, welchen sie gegen Birkenfeld hegten, aufgestiegen sein mochte, ging es sehr heiter zu. Der Rittmeister, glücklich, am Ziele seiner Wünsche zu sein, war ungemein versöhnlich gestimmt und wollte kaum dulden, daß man die Sache überhaupt nur erwähne. Es war ja erwiesen, daß die Freunde sich getäuscht hatten, diese Täuschung konnte ihnen aber um so weniger zum Verbrechen angerechnet werden, als ja der Rittmeister wiederholt betheuerte, er würde nicht anstehen, sich selbst verdächtig zu finden, wenn er Bild mit Bild vergleiche.
»Was sagen Sie aber zu Signora Feliciani?« warf Fähndrich Appenzell hin. »Wissen Sie, daß man annimmt, Sie seien doch im Grunde die alleinige Ursache ihres unglücklichen Sturzes?«
»Etwa, weil ich sie aus reiner Neugierde fortwährend fixirte?« meinte der Rittmeister. »War ich nicht dazu gezwungen? Ich konnte eifersüchtig werden auf meine unschuldige Braut blos darum, weil diese fremdländische Zauberin sich als ihre Doppelgängerin Hunderten zeigte.«
»Ihre Blicke allein haben sie wohl nicht vom Pferde geworfen,« versetzte der Premier-Lieutenant, »der Wunsch, Ihnen die Hand zu drücken, hat es gethan.«
»Wissen Sie das so bestimmt?«
»Ich sage nur, was ich höre, bester Birkenfeld, und ich füge ausdrücklich hinzu, daß ich mit meinen Wiedererzählungen durchaus keine Nebenzwecke verfolge. Signora Feliciani – das kann bewiesen werden – theilte unsere Vermuthung.«
»In Bezug auf das Portrait?« sagte der Rittmeister ungläubig lächelnd. »Von dem Vorhandensein dieses Portraits konnte die Florentinerin, oder wo sonst ihre Heimath sein mag, nichts wissen.«
»Wände haben Ohren, lieber Rittmeister, und der Wind ist die plauderhafteste Frau Base, die es gibt,« fiel Baron von Hohenort ein. »Ich kann mithin bestätigen, daß die Signora wirklich von dem Portrait sprechen hörte, das sich in Ihrem Besitze befindet, und das angeblich sie selbst in wunderbarer Aehnlichkeit darstellen sollte. Den weiteren Zusammenhang zwischen diesem Wissen und dem Fall im Circus sich auszumalen, dürfen wir dreist Ihrer Phantasie und Ihrem Combinationstalent überlassen.«
»Dann müßte ich ja annehmen, daß die Signora absichtlich mich durch Ueberreichung der verhängnißvollen Granatblume habe auszeichnen wollen!«
»Die Feliciani wird, ist sie ehrlich, einer solchen Behauptung kaum widersprechen,« sagte der Premier-Lieutenant.
Rittmeister von Birkenfeld schüttelte den Kopf.
»Gott Lob,« sprach er, »daß allen Hypothesen morgen schon der Garaus gemacht wird! Die vornehmen Cirkel, in denen, fürcht' ich, manches harte Wort in den letzten Tagen über mich gefallen sein mag, sind durch Uebersendung unserer Verlobungskarte sofort au fait gesetzt und werden sich hüten, mir bösen Leumund anzudichten; das große Publikum aber wird durch die Zeitungen aufgeklärt. Eins dieser Zeitungsblätter soll Signora Feliciani morgen mit dem Frühesten auf ihrem Zimmer finden. Daraus erfährt sie, daß man mit ihr eben so wie mit mir gespielt hat, oder daß eigentlich nur ihr reizendes Gesicht schuld ist an ihrem Fall und meiner Verdächtigung. Wenn ich nur wissen sollte, woher sich diese doch wirklich wunderbare Aehnlichkeit zweier Mädchen schreibt, von denen das eine im Norden, das andere im Süden geboren ward von Eltern, die wahrscheinlich niemals etwas von einander gehört haben.«
Der Premier-Lieutenant machte eine sehr weise Miene, die jedoch auf der Stelle vollkommenster Gleichgiltigkeit wich, als er einen empfindlichen Stoß von des Barons Fuß erhielt. Zugleich hob dieser sein Glas, um in emphatischen Worten das junge Brautpaar leben zu lassen, eine Aufforderung, welcher Alle mit großem Eifer nachkamen.
Obwohl die Gesellschaft der jungen Männer in einem besondern Zimmer des Café-Restaurant dinirte, ließ es sich doch nicht vermeiden, daß durch das häufige Oeffnen der Thür andere im Café befindliche Personen Kunde von dem fröhlichen Kreise erhielten. Namentlich gegen das Ende des Diners, wo es ziemlich laut ward, achtete Mancher auf das laute Gespräch, das im Nebenzimmer geführt ward. Einzelne fragten wohl auch die geschäftig ab- und zugehenden Kellner, die als dienende Personen von den fast nur aus Militärs bestehenden Mitgliedern des kleinen Cirkels gar nicht beachtet wurden. So blieben denn außer den oft genannten Namen auch viele Bemerkungen im Gedächtniß dieser nur scheinbar achtlosen Menschen hängen, und gerade diese Namen und Bemerkungen waren es, welche gleich darauf einzelnen Fragenden wieder unter wichtigem Mienenspiel zugeflüstert wurden.
So kam es, daß auch Director Bianchi bis zu einem gewissen Grade den Inhalt der Gespräche kennen lernte, die man während des Junggesellen-Diners ungenirt führte. Einige Momente waren für ihn wichtig, und er unterließ nicht, sich dieselben fest dem Gedächtniß einzuprägen.
Noch am Abend dieses Tages war Signora Feliciani von dem unterrichtet, was für sie vorzugsweise Werth, vielleicht sogar eine tiefere Bedeutung besaß.
Das schöne Mädchen litt noch an den Folgen des Sturzes, doch hatte es keine Gefahr. Einige Tage Ruhe konnten genügen, den stark geschwollenen Knöchel ihres verstauchten Fußes wieder zu heilen. Graziosa achtete auch weniger auf den Unfall selbst, den sie gehabt hatte, als auf die Veranlassung desselben. Es traf so Manches zusammen, was sie beunruhigte. Sie hätte den Mann so gern gesprochen, der allgemeiner Behauptung zufolge ihr Bild auf dem Herzen tragen sollte. Statt dessen mußte sie das Unglück haben, in seiner Nähe zu stürzen, und nun gab es für sie gar kein Mittel mehr, zu erfahren, wie es ihm gelungen war, in den Besitz ihres Portraits zu gelangen. Wie groß war nun ihre Ueberraschung, ihr Erstaunen, als Bianchi ihr ein Zeitungsblatt reichte und in demselben ihr ein paar Namen zeigte, von denen wenigstens einer ihr schon längst nicht mehr gleichgiltig war.
»Wie!« rief Graziosa erschrocken aus. »Der Rittmeister von Birkenfeld ist verlobt? Derselbe Mann, der –«
»Derselbe Rittmeister, der Schuld an Ihren Schmerzen ist,« fiel Bianchi ein.
»Und verlobt mit einer Comtesse von Tannensee?« fuhr Graziosa fort. »Es war ein Tannensee, der mich dem Hufschlage meines sich bäumenden Pferdes entriß.«
»Derselbe Graf von Tannensee, der sich schämte, mit mir in Berührung zu kommen!«
»Bianca heißt die Comtesse? Und sie ist die Tochter dieses Grafen?«
»Die einzige Tochter und Ihr Ebenbild, Signora!«
»Mein Ebenbild? Wie das?«
»Signora verzeihen, wenn ich mich in die traurige Nothwendigkeit versetzt sehe, Sie zu betrüben. Der Rittmeister von Birkenfeld hat Ihr Portrait niemals besessen!«
Graziosa ward leichenblaß, indem sie zitternd die nur hingehauchte Frage an Bianchi richtete:
»Für wen denn schlug er sich dann?«
»Wahrscheinlich für ein Phantom,« versetzte der Direktor. »Warum es zwischen dem jungen Rittmeister außer Diensten und dem General von Haustein zum Duell kam, habe ich nicht genau erfahren, das Portrait auf seiner Brust gab dazu jedenfalls nicht die Veranlassung. Es ist das treue Abbild seiner Braut, der Comtesse Bianca von Tannensee.«
Graziosa schwieg, das Wogen ihres Busens aber verrieth die gewaltige Aufregung, die in ihr tobte. Sie mußte immer wieder der stechenden Blicke des finstern Grafen gedenken, der sie geheimnißvoll anzog, und vor dem sie doch wieder scheu zurückbebte.
»Bianca von Tannensee mein Ebenbild!«
Diese Worte wiederholte Graziosa zahllose Male, nachdem Bianchi sie auf ihren Wunsch wieder verlassen hatte. Ihr Koffer mit den alten Papieren, den mancherlei Pretiosen, die sie besaß, war jetzt abermals Gegenstand ihrer ungetheilten Aufmerksamkeit.
»Und ich habe doch keine Schwester!« seufzte sie dann und verhüllte ihr Gesicht mit beiden Händen.
Abends äußerte Graziosa gegen Bianchi, der sich theilnehmend nach ihrem Befinden erkundigte, den Wunsch, einige Landkarten zu erhalten. Um nicht von Langeweile geplagt zu werden, hatte sie sich ein paar Reisebeschreibungen verschafft, die sie eifrig studirte. Die Länder oder Landschaften, wo sie gerade weilte, mit ihren etwaigen Merkwürdigkeiten kennen zu lernen, war für Graziosa Feliciani Bildungsbedürfniß.
Bianchi willfahrte ihrem Wunsche und brachte ihr die von ihm selbst besorgten Landkarten.
Es vergingen nun mehrere Tage, ohne daß Graziosa über das von Bianchi Vernommene auch nur eine Sylbe äußerte. Sie blieb gleichmäßig ruhig, nur nachdenklicher als sonst kam sie dem Director vor, der seine Aufmerksamkeit gegen sie jetzt verdoppelte. Bei seinen Besuchen sprach er von baldiger Abreise, da die Schaulust des Publicums zu ermatten beginne. Nur wenn Graziosa bald wieder auftreten könne, würde er sich zu längerem Bleiben entschließen.
Graziosa stimmte für die Abreise, enthielt sich aber sonst aller Fragen, die ihr doch nahe lagen, da sie an dem Gedeihen der Unternehmung Bianchi's betheiligt war.
Ihr beschädigter Fuß heilte übrigens langsamer, als Graziosa wünschte. Es war vorauszusehen, daß sie längere Zeit völliger Ruhe werde pflegen müssen, wenn das Uebel nicht unangenehme Folgen auch noch in der Zukunft für sie haben solle. Diese Wahrnehmung kam ihr jetzt ganz zu gelegener Zeit. Der Arzt, welcher sie behandelte, schlug eine zerstreuende Erholungsreise vor, untersagte ihr aber streng jede Besteigung eines Pferdes. Bei etwaiger Nichtachtung dieses Verbotes deutete er an, daß die Möglichkeit einer Knochenverhärtung vorliege.
Graziosa nahm alle diese Mittheilungen mit großer Gemüthsruhe hin, und vertiefte sich immer mehr in geographische und heraldische Studien. Die vielen Adelsgeschlechter in weiter und naher Umgegend der Residenz gaben zu diesen Studien Anlaß. Nebenbei war Graziosa auch eine eifrige Zeitungsleserin geworden. Sie wußte Bescheid in der Politik, in Handelsangelegenheiten und volkswirthschaftlichen Dingen, und was sich in den Kreisen der hohen Aristokratie zutrug, entging ihr ebenfalls nicht. Alle Familienverhältnisse hatten von jeher für Graziosa bedeutendes Interesse gehabt.
So waren zwei volle Wochen vergangen. Da erklärte Graziosa eines Tages, als Director Bianchi höchlichst bedauerte, daß er schon so lange Zeit ihre Mitwirkung entbehren müsse, sie habe nach reiflicher Ueberlegung den Entschluß gefaßt, der Kunst ganz zu entsagen. Aus Neigung habe sie, wie ihm bekannt sei, diese Laufbahn ohnehin nicht eingeschlagen, höhere Interessen und persönliche Dankbarkeit nur hätten sie bestimmt, sich in dieser Carrière zu versuchen. Jetzt endlich glaube sie den Weg aufgefunden zu haben, der sie zum Ziele führen könne. Ihn weiter zu verfolgen, verlange ihr Herz, fordere gebieterisch ihr Verstand. Gerathe sie dabei auf Ab- und Irrwege, so werde sie auch dies ruhig als ein ihr bestimmtes Schicksal hinnehmen.
Bianchi war im ersten Augenblicke wahrhaft unglücklich über diesen Entschluß der Signora. Er bot all' seine Beredsamkeit auf, um sie andern Sinnes zu machen; er trat sogar, wenn auch nur andeutungsweise, mit Anerbietungen hervor, die unter andern Umständen selbst für Graziosa bestimmend gewesen sein würden. Sie blieb jedoch standhaft, lehnte Alles entschieden ab und erklärte nochmals, daß sie die künstlerische Laufbahn für immer aufgeben und vorerst dem Rathe ihres wohlwollenden Arztes folgen werde. Reisen zerstreue, erheitere, bilde, und gerade diese drei Dinge thäten ihr vor Allem Noth.
Director Bianchi mußte bei solcher Entschiedenheit der Signora sich in das Unabänderliche fügen. Der Contract ward gelöst, und noch an demselben Tage verließ Graziosa, von einem schlichten Landmädchen begleitet, das sie als Dienerin annahm, in aller Stille die Residenz. Bianchi aber, der über diesen schweren Verlust fast untröstlich war, zeigte an, daß er nur noch wenige Vorstellungen geben werde. Ihn fesselte jetzt, wo die bewunderte Signora Feliciani ihn für immer verlassen hatte, nichts mehr an die luxuriöse Stadt, wo er bis zu Graziosa's beklagenswerthem Unfalle so allgemeines Glück gehabt und so große Anerkennung gefunden hatte.