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Frau Anna war nie eitel, nie anspruchsvoll gewesen. Sie hatte sich jederzeit mit vielem Tact innerhalb der Grenzen zu halten gewußt, in die sie ihr Stand verwies. Darin harmonirte sie völlig mit ihrem Gatten, dem ja nichts mehr zuwider war, als das Hochhinauswollen, wie er wohl zuweilen sagte. Auch als das Glück sie mit Reichthümern überschüttete, blieb sie doch immer die einfache Frau des Webers. Nur auf langes Zureden ihrer vornehm gewordenen Söhne hatte sie in den letzteren Jahren feinere Stoffe getragen und den Schnitt ihrer Kleider städtischer Mode unterworfen. Allein diese modernen Kleider, die zu ihrem ganzen übrigen Wesen nicht paßten, standen der guten Frau durchaus nicht. Ammer, der gern derbe Ausdrücke liebte, wenn er Gelegenheit fand, eine Thorheit zu geißeln, meinte, sie sähe in dem neumodischen »Gelumpe« aus, wie eine Krautscheuche.
Schon dies verleidete Anna die städtischen Kleider, weßhalb sie nur ungern darin erschien. Nach der unglücklichen Katastrophe packte sie dieselben sogleich in eine Truhe, verschloß sie und legte ihre alte ländliche Tracht wieder an. Die Angst um den jüngsten Sohn, der Gram um die ganze Familie und die Sorgen um den Gatten hatten Frau Anna sehr altern lassen. Candidat Still fand statt der wohlgenährten Webersfrau ein gekrümmtes Mütterchen, dessen faltenreiches Gesicht in dem einfachen, weißen Häubchen fast verschwand.
Das Zimmer war sehr dunkel, denn eine spanische Wand, die fast bis an die Decke reichte, theilte es in zwei Hälften, so daß die eine Hälfte zunächst der Thür ein Vorzimmer bildete. Diese spanische Wand war beweglich, und konnte nach Belieben verkürzt und verlängert werden. Hinter derselben hielt sich Ammer auf. Er hatte die Theilung des Zimmers angeordnet, weil er von Niemand in den Tagen der Prüfung, wie er sagte, überrascht werden wollte.
Still hörte die Stimme seines alten Bekannten mit tiefer Bewegung. Sie klang heiser und hart.
Wer stört uns, Mutter? fragte er, mit seinem Stocke auf die Diele klopfend.
Herr Candidat Still will dich besuchen, antwortete Frau Anna, diesmal mit leichtem Herzen. Er hat sich von dem schlimmen Wetter nicht abhalten lassen.
Treten Sie heran, Sie halber Mann Gottes, sagte Ammer; denn wenn ein Pastor einen ganzen Mann Gottes vorstellt, muß ein Candidat doch wenigstens ein halber sein. Wie sieht's aus in der Stadt? Singen die Schüler noch, wenn ein ehrlicher Mann begraben wird, und müssen die Schullehrer noch mitlaufen in ihren schwarzen Mänteln? Möcht' gern 'was Neues erfahren, weil mich das Alte so schwer drückt.
Candidat Still trat, während Ammer diese Worte zu ihm sprach, hinter die spanische Wand und ward jetzt des ehemaligen Webers ansichtig. Die harten Schläge des Schicksals hatten den alten Mann körperlich noch nicht gebrochen. Er konnte freilich seine Gliedmaßen nicht mehr gebrauchen, er war älter geworden und hagerer, aber seine großen, blauen Augen blickten noch so feurig in die Welt, wie ehedem. Still erstaunte über den Kopf des Alten. Diesen Kopf würde ein Maler wunderbar schön gefunden haben, denn um das hagere, blasse Gesicht mit den markirten Zügen, dem festen, starken Kinn, dem hart zusammengekniffenen Munde ringelten sich ein paar dünne silberne Locken. Die hohe Stirn war kahl, denn sein starkes Haupthaar war dem alten Manne in den letzten zwei Monaten massenhaft ausgefallen. Er trug deßhalb den Kamm nicht mehr, sondern ließ die ihm noch verbliebenen Ueberreste flattern und sich kräuseln, wie sie eben mochten.
Sehen Sie mich nicht so verwundert an, mein lieber Herr Candidat, sprach Ammer, die Befangenheit des von Natur so nüchternen Still bemerkend. Es ist mir von Herzen lieb, daß Sie meinen etwas altväterischen Boten respectirt haben und zu mir kommen in meine Einsamkeit. Ich bin, was ja die Welt schon weiß, ein herunter gekommener Mann.
Der Greis sah grimmig vor sich hin. Aus seinem Blick war alle Liebe, alle Milde gewichen. Er schien mit einem großen Entschlusse sich zu tragen.
Unser Aller Herr und Gott wird Sie nicht verlassen, Herr Ammer, meinte der Candidat.
Kann's auch nicht recht glauben, aber ich möchte doch selber noch die Fingerspitzen rühren, damit es wenigstens aussähe, als wär' ich ein Mann. Was dahingegangen ist in die Winde und meine ein Krampf unterbrach den ruhigen Fluß seiner Rede die da haben genug Windfänge ausgespannt das wird keines Gerechten Gebet wieder bringen. Ist mir auch in meinem Alter wenig daran gelegen. Aber meinen ehrlichen Namen will ich nicht in die Rabousche geben. Der soll herausspringen aus der Masse, die man hinausschüttet zur Beute für gierige Menschen mit Rabenherzen. Mit meinem Krückenstocke will ich danach suchen und haschen, bis ich ihn erwische, und dann soll er der Deckstein meines Grabes sein, in das ich die von der stürmischen Reise durch's Leben müden Gebeine hinabsinken lasse.
Ammer sprach dies Alles hart, mit einer gewissen Wildheit in Blick und Ausdruck, so daß der Candidat für sein geistiges Wohl besorgt ward.
Sie werden auch noch Freudentage sehen, Herr Ammer, tröstete Still den alten Weber.
Nie, mein Herr Candidat, nie! Und wenn mein Schöpfer tausend Regenbogen ausspannte über die Erde und seine Sonne flimmerte darauf in den prachtvollsten Farben, es bliebe doch Nacht in meiner Seele! Es will kein Licht mehr brennen da drin, fuhr er etwas wehmüthiger fort, mit dem Zeigefinger auf seine breite, helle Stirn tupfend. Böse Wetter oder Grabesluft oder Verwesungsdunst nennen Sie's, wie Sie wollen erfüllt sie ganz. Es ist der Ueberrest der Opfer, die darin verbrannt worden sind: Elternliebe, Vertrauen auf das Wort meiner Nebenmenschen, Glaube u.s.w. Leuchte ich hinein mit einem Lichtstumpfen in den heißen Knochenkasten hui aus lischt es, als führe ein giftiger Wind in die Flamme! Nein, es ist zu Ende mit der Freude, Herr Candidat. Will aber auch keine mehr haben auf Erden. Ich will nur und die lahme Hand umklammerte fester den Krückenstock, ihn hart auf die Diele stoßend, ich will nur noch Gerechtigkeit!
Kalt und starr hing Ammer's Blick auf den ängstlichen Mienen des Candidaten, der gar nicht errathen konnte, was der seltsame Alte, dessen Geist er gestört glaubte, von ihm begehren möge.
Ich muß Hilfe haben in meiner Noth, fuhr er nach kurzer Pause fort, und mir fehlt's an einem Menschen, auf den ich mich verlassen kann. Da ist zwar die Erdmuthe, ein Weib ohne Fehl, wie kein zweites gelebt seit dem Sündenfalle, aber zu weichherzig und mild, und eben ein Weib. Schreiben kann ich nicht, denn der Herr hat mir in Flammen die Hand gelähmt. Da dacht' ich in der schweren Stunde der Angst, Sie, Herr Candidat, könnten der Mann sein, der mir seine Fingerspitzen darreichte, wenn ich Sie darum bäte. Sie sind harmlos und gehören nicht der Sorte Menschen an, die man gemeinhin Kinder der Welt nennt. Zu Ihnen allein habe ich noch Vertrauen. Wollen Sie diesen Rest des Vertrauens nicht vollends in mir zerpflücken, so dienen Sie mir.
Werther Herr Ammer, sagte Still, wie gern bin ich bereit zu helfen. Aber ich habe so wenig Kenntniß von weltlichen Dingen und in das, was man Geschäfte nennt, konnte ich mich niemals finden.
Es bedarf keinerlei Kenntniß zu meinem Auftrage, der einfache gute Wille reicht dazu hin, erwiderte Ammer. Lassen Sie mich schweigen von dem Vergangenen, fuhr er fort, es frommt nicht, daran zu denken. Mein Jüngster sitzt, einer schweren Unthat bezüchtigt, Tausende von Händen feiern und der bleiche Hunger hält Wache vor den Hütten derer, die einst freudige Tage in Demuth darin verlebten. Ich selbst darbe noch nicht Gott sei Dank! ich helfe, wo ich kann, und so oft mich ein Bedürftiger anspricht. Aber ich muß doch weise haushalten mit dem Meinigen, falls es zum Processiren kommt. Und dahin möcht' ich's gern bringen, nicht der Jungen wegen, sondern um meinen Namen zu retten.
In Ihrer Bedrängniß, in Ihrem Kummer wollen Sie noch einen Proceß anfangen?
Fange ich ihn nicht an, so wird mir der Proceß gemacht, versetzte Ammer. Es ist Vieles dunkel in der Sache, darum soll Licht hineingebracht werden. Der Mirus, mein Freund, wäre schon der Rechte, aber den Mann muß auch die Tarantel der neuen Zeit gestochen haben, denn er ist in seinen alten Tagen verreist, Gott weiß wohin! Wird ihm diese Reise viel Geld kosten und nachher ihn krippen. Und der Block hat auch nichts wieder von sich hören lassen. Wollen Sie, Herr Candidat, an den Mann schreiben? Sie verdienten sich einen Gotteslohn.
Still lebte wieder auf. Mit dem größten Vergnügen, sprach er, und da Sie mein Schreiben ja doch lesen müssen, so soll es allsogleich geschehen.
Ammer nickte beistimmend. Hab's vermuthet, daß Sie einen Unglücklichen nicht werden verschmachten lassen. So schreiben Sie denn in meinem Auftrage und Namen, daß ich den Herrn Advocaten zu sprechen dringend begehre, daß ich seinen Rath und seine Hilfe nicht missen kann und daß er mich besuchen solle, so bald als möglich. Zum Zweiten aber, mein Herr Candidat, reisen Sie auf meine Kosten nach Herrnhut zum Grafen Alban und laden auch diesen zu mir ein. Er ist ein mildgesinnter, wohldenkender Mann, der keinen Wohlgefallen hat an irgend Jemandes Verderben. Durch ihn will ich den Stand der Dinge klar kennen lernen.
Still willfahrte dem alten Weber. Der Brief ward mit gewandter Feder zur vollsten Zufriedenheit Ammer's abgefaßt. Ihn persönlich auf die Post zu geben, gelobte der willfährige Candidat.
Ammer schien zufrieden und beruhigter. Der gutmüthige Gelehrte glaubte jedoch den eigenthümlich gearteten Mann nicht verlassen zu dürfen, ohne einen Versöhnungsversuch gemacht zu haben. Er nannte deßhalb Christlieb und bemerkte, daß er den jungen Mann sehr verändert, sehr vergrämt gefunden habe.
Ammer's Züge nahmen den früheren strengen, ja grimmigen Ausdruck an.
Bloße Veränderung wird da wenig helfen, sagte er kalt. Der ganze alte Mensch muß vermodern und verwelken, und aus Staub und Asche ein neuer sich erheben, sonst ist keine Rettung. Besser, der Mensch geht zu Grunde in Reue und Buße, als daß er zum Schimpf aller Guten frevelhaft fortlebe.
Er trauert, daß er das Antlitz seines Vaters so lange nicht mehr gesehen.
Ist ihm gut, fiel Ammer ein, und wird er es auch nicht wieder sehen, es sei denn, daß er vor mich treten und mir beweisen könne, nicht seine Schuld allein habe dieses Unheil herbeigeführt. Gerade darum will ich den Advocaten sprechen und ein unbefangenes Wort mit dem Grafen reden. Ich bin nicht unversöhnlich, mein werther Herr Candidat, aber es muß Alles in Ordnung bleiben. Geschworen hab' ich meinem Schöpfer, die die Bedauernswerthen nicht zu sehen, bis das beschafft worden, und ich halte meinen Schwur, sollten auch Herz und Auge darüber brechen.
Still war überzeugt, daß jedes weitere Zureden den Starrsinn des consequenten Greises nur vermehren könne, und brach deßhalb das Gespräch ab.
Vorläufig meinen Dank, sagte Ammer, als der Candidat sich zum Fortgehen anschickte. Eilen Sie jetzt, und gebe der Herr zu jedem Schritte, den Sie thun, sein Gedeihen.
Auf dem Corridor traf Still wieder mit Christlieb zusammen.
Was begehrte der Vater? fragte der Geängstigte in fieberhafter Aufregung.
Ruhe und Muth, mein Freund, sagte Still. Ihr Vater ist erbittert, wohl auch etwas verbittert, aber nicht unversöhnlich. Segnet Gott die Wege, die ich jetzt zu wandeln habe, so hoffe ich auch noch die Freude zu erleben, Vater und Sohn versöhnt zu sehen.
Mit freundschaftlichem Händedrucke verabschiedete sich der Candidat, um muthvoller, als er gekommen war, nach der Stadt zurückzufahren.