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Es war einmal ein Mann, namens Wang, ein Sohn einer alten Familie, der von Jugend an die Lehren des Taoismus hochschätzte. Er hörte, daß im Lauschan viele Unsterbliche lebten. So nahm er seine Bücherkiste auf den Rücken und wanderte dort hin.
Als er einen Gipfel erstiegen hatte, erblickte er einen einsamen Tempel. Ein Taoist saß auf einem runden Strohkissen. Langes Haar fiel ihm über den Nacken herab.
Er machte eine Verbeugung vor ihm und begann mit ihm zu reden. Seine Lehren schienen ihm tief und geheimnisvoll, darum bat er, ihn als Schüler anzunehmen.
Der Taoist sprach: »Ich fürchte, du bist zu zart und verweichlicht, um harte Arbeit zu tun.«
Er aber antwortete, er könne es wohl.
Die Schüler des Alten waren sehr zahlreich. Als sie am Abend sich alle versammelt, begrüßte sie Wang nach feierlichem Brauch. Darauf ward er in das Kloster aufgenommen.
Als der Morgen noch kühl war, rief ihn der Priester. Er gab ihm ein Beil und hieß ihn mit den andern hinausgehen, um Reisig zu sammeln. Wang tat eifrig, wie ihm gesagt.
Ein guter Monat war vergangen. Seine Hände und Füße waren voll Beulen und Schwielen. Er hielt es fast nicht mehr aus und erwog im geheimen den Gedanken an die Rückkehr.
Eines Abends kamen sie heim. Da sahen sie zwei Männer mit ihrem Meister beim Weine sitzen. Die Sonne war schon untergegangen, doch waren Lampen und Kerzen noch nicht angezündet. Da schnitt der Meister mit der Schere aus Papier eine runde Scheibe wie einen Spiegel. Die klebte er an die Wand. Plötzlich leuchtete der Mond an der Wand auf mit so hellem Schein, daß man das kleinste Härchen sehen konnte. Alle Schüler eilten herbei und hörten im Kreise den Alten zu.
Der eine der Gäste sprach: »An einem solchen schönen Abend, wo die Freude siegt, muß man gemeinsam genießen.«
Damit nahm er eine Kanne Wein vom Tisch, den Schülern Wein auszuteilen. Und er redete ihnen zu, sie sollten ordentlich trinken.
Wang dachte bei sich: »Für sieben, acht Leute soll eine Kanne Wein ausreichen!« Sie eilten alle, Becher zu holen, und drängten sich herzu, um zuerst an die Reihe zu kommen, nur besorgt, die Kanne möchte sich leeren. Aber er goß und goß, und der Wein wurde nicht weniger. Darüber wunderte sich Wang im stillen.
Nun sprach der zweite Gast: »Du hast uns einen schönen Mondschein verschafft; aber wir trinken da so still vor uns hin. Wie wärs, wenn wir die Mondfee riefen?«
Damit nahm er ein Eßstäbchen und warf es in die Mondscheibe. Da sah man ein schönes Mädchen aus dem Glanze hervorkommen. Erst war sie kaum einen Fuß hoch; als sie die Erde berührte, erreichte sie Menschengröße. Schlanke Hüften, ein zierliches Hälschen, wallende Gewänder: so tanzte sie den Regenbogentanz. Dann begann sie zu singen:
»Ihr wollt entfliehen, Unsterbliche alle,
Mich einsam verlassen in eisiger Halle!«
Ihre Stimme klang rein und klar wie eine Flöte. Nachdem das Lied zu Ende war, erhob sie sich wirbelnd und sprang auf den Tisch. Während alle erstaunt nach ihr hinblickten, war sie schon wieder zum Eßstäbchen geworden.
Die drei Alten brachen in lautes Gelächter aus.
Da sagte wieder einer der Gäste: »Wir sind heut abend recht fröhlich zusammen. Doch werd ich des Weines nicht länger Herr. Wie wäre es, wenn ihr mich zum Abschiedstrunk ins Mondschloß begleitetet?«
Die drei verließen nun ihre Matten und gingen allmählich in den Mond hinein. Die Schüler alle sahen die drei im Monde sitzen. Bart und Augenbrauen, alles sah man deutlich wie ein Spiegelbild.
Nach einiger Zeit wurde der Mond allmählich trübe. Die Schüler gingen, um Licht zu machen. Als sie wiederkamen, saß der Priester allein da, die Gäste waren verschwunden; aber die Reste des Essens lagen noch auf dem Tisch. Der Mond an der Wand hing noch da als rundes Stück Papier.
Der Priester fragte sie: »Habt ihr genug getrunken?«
Sie sagten: »Genug.«
»Nun, wenn ihr genug habt, so müßt ihr früh schlafen gehen, damit ihr die Arbeit morgen nicht versäumt.«
Die Schüler zogen sich gehorsam zurück. Wang ward durch diese Sache aufs neue ermutigt, und die Heimwehgedanken verschwanden.
Wieder verging ein Monat. Die Mühen waren unerträglich, und der Priester hatte ihm nicht ein einziges Geheimnis überliefert.
Da hielt ers nicht mehr länger aus, sondern verabschiedete sich: »Hundert Meilen weit bin ich hergekommen, um Eure Belehrung zu empfangen. Nun sehe ich, daß ich das Geheimnis der Unsterblichkeit doch nicht erlangen kann. Doch hättet Ihr mir vielleicht irgend etwas Kleineres mitteilen können, um mein lernbegieriges Gemüt zu befriedigen. Zwei, drei Monate sind vergangen ohne andere Beschäftigung, als morgens hinauszugehen ins Reisigsammeln und abends müde heimzukommen. Ein solches Leben war ich zu Hause nicht gewöhnt.«
Der Priester sagte lächelnd: »Ich hab dirs ja gleich gesagt, daß du der harten Arbeit nicht gewachsen seist. Nun ist es wirklich so. Morgen früh will ich dich entlassen.«
Wang sprach: »Ich habe Euch lange gedient, Ihr könntet mir wenigstens ein kleines Kunststück mitteilen, daß ich nicht ganz umsonst gekommen bin.«
»Und welches Kunststück möchtest du denn lernen?« fragte der Priester.
»Wenn ich Euch gehen sah, so merkte ich, daß Wände und Mauern Euch nicht behindern können. Wenn ich nur dieses Kunststück könnte, so wäre ich schon zufrieden.«
Der Priester sagte lächelnd zu und lehrte ihn einen Zauberspruch, mit dem Wang sich segnen mußte.
Dann rief er: »Nun zu!«
Wang stand mit dem Gesicht nach der Wand, aber wagte nicht hineinzugehen.
Der Priester sprach: »Probier es doch, hineinzugehen!«
Da ging er gemächlich auf die Wand zu, aber sie hielt ihn auf.
Der Priester sprach: »Du mußt den Kopf neigen und einfach frisch drauflosrennen ohne ängstliches Bedenken.«
Wang nahm einen Anlauf von einigen Schritten und rannte auf die Wand zu. Als er an die Wand kam, da gab sie nach, als wäre nichts an der Stelle. Er blickte sich um, und richtig war er draußen. Da war er hocherfreut, ging wieder hinein und bedankte sich.
Der Priester sprach: »So, nun geh heim! Du mußt es aber vorsichtig wahren, sonst verliert sich die Kraft.«
Darauf gab er ihm Wegzehrung und entließ ihn.
Zu Hause angekommen, rühmte sich Wang, daß er einen Heiligen getroffen habe, und daß die stärksten Wände für ihn kein Hindernis mehr seien. Seine Frau glaubte es nicht. Da wollte er ihr seine Kunst vor Augen führen, trat einige Schritte von der Mauer zurück und lief darauf zu. Er stieß mit dem Kopf an die harte Wand, prallte ab und brach zusammen. Die Frau hob ihn auf und sah nach ihm. Da hatte er an seiner Stirn eine Beule von der Größe eines Eis. Die Frau machte sich über ihn lustig. Er aber war beschämt und wütend und schalt auf den alten Priester als einen gewissenlosen Menschen.