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Armut

(1914)

Die Armen sind geboren wie andre aus Mutterleibern,
Seele, Auge und Blut sind so wie der anderen Menschen,
Sonne und Nächte, Früchte und Frühling gelten auch ihnen,
Und doch ist alles so anders, wenn es den Armen begegnet:
Geborenwerden und Sein und Ernte und Sonnenlicht.

Sie dürfen nur Zeichen tun, als lebten sie, dürfen nicht leben,
Was sie besitzen, wird Not und, wessen sie darben, Verhängnis,
Freude zu Angst und Liebe Gefahr und Elternschaft Hunger,
Seele zu Leid und Wirken zu Schweiß und Auge zum Werkzeug,
Labsal der andern, an ihren Lippen, wird Bitternis.

Sie müssen die Reichen sehen, die sich vor ihnen nicht schämen,
Immer messen ihr Nichts am Überflusse der andern,
Immer vergiften sich lassen die Ruh nach dem Sturm des Entsagens,
Während jene die Mittel haben, zu meiden der Armut
Behagenstörende Nähe und grausames Angesicht.

Ach, sie haben ja Geld, die Reichen! Und Geld ist immer Ersparnis
Am Herzen, am Dienen von Mensch zu Mensch, an tätiger Liebe,
Aber der Armen Münze ist immer ihr Selbst, ihre Freiheit,
Ihr Dasein und Tun zu eigenem Zwecke, sie müssen immer
Bezahlen mit Menschenwürdeverlust und Glückverzicht.

Drum leben sie nicht und dürfen nur, als ob sie lebten,
Zeichen tun, und scheinbar ist alles, was sie besitzen.
Wirklich haben sie nichts – nicht Lust, nicht Auge noch Seele,
Haben nicht Sonne, nicht Nächte, haben nicht Früchte und Frühling,
Nicht an Weib und Kindern köstliches Eigentum.

*

Druck von Ernst Fischer,
Wolfenbüttel.

 


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