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Eine stille Geschichte aus bewegter Zeit.
»Was in aller Welt kann es bei Ihrer Herrschaft noch Neues einzurichten geben,« fragte die Ladenjungfer in dem Spezereigeschäft an der Ecke das Stubenmädchen bei Banquier Kamphausen, »daß Sattler- und Schreinerjungen den ganzen Tag mit Möbel aus- und eingehen? Ist's denn bei Euch noch nicht schön genug?«
»D'rum kommt heut unser Fräulein aus der Pension zurück,« entgegnete diese, »da kann's dem Papa wieder einmal nicht genug werden, bis ihr Zimmer neu eingerichtet ist. Aber schön wird's!« setzte sie mit einem Seufzer hinzu. »Möchte wohl auch einmal so heimkommen!« »O, geh'n Sie, Jungfer Louise,« sagte die Ladenjungfer, »Sie kommen schon noch zu rechter Zeit heim! man weiß wohl, warum der Herr Zimmermaler Möbele sein neues Logis so schön ausmalt mit Engelein und Blumen, da können Sie auch einmal zufrieden sein!« Mit vergnüglichem Lächeln, ohne Widerspruch zu erheben, eilte das Dienstmädchen weiter, um noch Blumen zum Schmucke des neueingerichteten Zimmers zu holen.
Eh Herr und Frau Kamphausen sich anschickte, die Tochter auf der Post abzuholen, betrachteten sie noch einmal wohlgefällig das gelungene Werk. Ein wahres Ideal von einem Mädchenstübchen, obgleich jene Zeit noch nicht so viel verfeinerten Luxus kannte, wie die unsre. Aus dem Schnabel einer vergoldeten Taube wehten lichte Mousselinvorhänge über das Bett mit den seidnen Decken und gestickten Ueberzügen; der niedliche Arbeitstisch mit Perlmutter eingelegt war das Meisterstück eines Kunstschreiners gewesen, auf dem Blumentische zwischen den seltensten Blüthen und Blättern spielten Goldfischchen in einem Krystallglas, darüber schwebte ein Vögelchen in einer Luftgondel, einem wahren Wunderwerk von Käfig. Das prachtvolle Oval des Ankleidespiegels, Sopha und Stühle von himmelblauem Damast, – es war Alles wie ein Märchen aus »Tausend und eine Nacht«, in's Moderne übersetzt. Und dieser kunstvoll geschnitzte Bücherschrank! Ein neuer Schriftsteller sagt als Beweis gegen die Behauptung, daß Frauen bei der Liebe nur auf Geist sehen: es habe noch nie ein Frauenzimmer ein Verhältniß angefangen mit Schillers sämmtlichen Werken. Schillers sämmtliche Werke waren auch dazumal noch nicht einmal erschienen, aber bei diesen Prachtbänden seiner neuesten Dichtungen hätte einem wahrhaftig die Lust dazu kommen können!
Adelma zog ein, die junge Herrin dieses Zauberreiches und nahm Besitz davon, mit Freude und dankbarer Ueberraschung, aber doch leicht und natürlich, als ob sich das von selbst verstünde. Die Mutter begrüßte ihr neugeschenktes Kind mit Freudenthränen; in dem Blick, mit dem der Vater die schön erblühte Tochter anschaute, lag neben der natürlichen Freude des Vaterherzens noch Etwas von der Gier, mit welcher der Spieler die Karte ansieht, auf die er seine letzte Hoffnung gesetzt.
Die Mutter hatte geglaubt, Adelma werde nach den einfachen Schlafsälen der Pension Monate lang noch außer sich sein über die Schönheit und Eleganz ihrer Umgebung; dem war aber keineswegs so, sie war durchaus daheim, als habe sie sich schon genug verwundert im Leben und sich darum an das Gute und Angenehme äußerst leicht gewöhnt.
Auch die Mutter war es bald gewöhnt, das halbwüchsige unfertige Töchterlein, von dem sie sich vor zwei Jahren so schweren Herzens getrennt, nun schlank und hochgewachsen, mit leichter sicherer Haltung, als ob sie vollkommen fertig wäre, wieder um sich zu haben, aber sie war ein wenig niedergeschlagen, als sie auch alle Fehler ihrer Adelma sammt ihren guten Eigenschaften wieder fand.
Es ist ein eigen Ding um die Elternliebe; man nennt sie gemeinhin blind, ich glaube aber, daß sie viel häufiger schwach ist. Man sieht die Fehler seiner Liebsten am meisten, weil man am schwersten darunter leidet, aber man hat nicht Kraft und Beharrlichkeit, sie zu unterdrücken, und der kleine Kampf mit Ermahnungen und Zurechtweisungen ist so ermüdend. Da getröstet man sich, irgend eine andre Einwirkung soll gut machen, was die zu weiche Liebe versäumt. »Gieb Acht, draußen wirst Du den Kopf schon verstoßen!« ist der letzte Trost, mit dem man die Waffen streckt, und dann ist man verwundert, wenn draußen nicht in wenigen Monden beseitigt worden ist, was man Jahrelang hat wachsen lassen! Das Leben freilich ist der beste Lehrmeister, aber meist ein langsamer und oft ein sehr theurer.
Für Knaben, da gibt es Kostschulen, Lehrherrn, Militair- oder Seminarzucht, um den Kopf zu verstoßen; für Mädchen, da gab es in der guten, alten Zeit fast in jeder Familie, berühmte »böse Frauen,« sogenannte Mädchenstriegel, die als Popanz bei jedem Fehler auftauchten. »Gib Acht! ich muß dich doch noch zur Tante Speziälin, oder zur Frau Stadtschreiber Maierin schicken!« Unter dem strengen Regiment dieser bösen Frauen wurden dann die gewöhnlichen Mädchenfehler: Nachlässigkeit, Eitelkeit, Zerstreutheit etc. gar gründlich bekämpft; ob nicht auch manche zarte und liebenswürdige Eigenschaft, manch leichter Duft der Mädchenblüthe mit »weggestriegelt« wurde? – danach fragte die gute alte Zeit nicht viel; und dieselben Frauen, die in dieser Schule hergezogen waren, seufzten nachher bei ihren Töchterlein: »wenn nur die Tante Speziälin selig noch lebte! gleich morgen müßtest du zu ihr!« Jenes energische Geschlecht der »bösen Frauen« ist jetzt ausgestorben und wenn es noch welche gibt, so haben sie in unsern rastlosen Tagen nicht Zeit mehr, ihre Talente nach außen anzuwenden.
Frau Kamphausen hätte nun freilich ihr Töchterlein keinesfalls einer so rauhen Kur unterworfen; das »hatte sie nicht nöthig,« das Kind des reichen Bankier, der wohl gesonnen war, wie Wallenstein seinen Eidam auf Europas Thronen zu suchen.
Aber in eine Pension hatte man sie geschickt, die theuerste und doch mit einfachen Erziehungsgrundsätzen, ein Institut, wo schon auf dem Programm stand, »daß die Zöglinge vor allem in liebevoller Selbstverleugnung und hingebender Demuth geübt werden sollen.«
Dieser ausgezeichneten Anstalt hatte die Mutter ihre Adelma anvertraut, gewiß, daß sie aus derselben als ein neues Wesen hervorgehen werde, und sie war nun höchlich verwundert, daß es die alte Adelma wieder war. Dieselbe Gutmüthigkeit und Freundlichkeit, wo sie kein schweres Opfer zu bringen hatte, aber auch derselbe hochfahrende Ausdruck, wo man ihr zu nahe trat, die Leichtigkeit und Gewandtheit, mit der sie alles zu thun verstand, und doch die kostbaren Fingerchen, die ja nichts anrühren wollten, »was sich nicht schickt für mich;« bei aller Gutmüthigkeit fehlte ihr die liebevolle Allgegenwart, die freundliche Achtsamkeit auf Andrer Wünsche, die zum schönsten Frauenschmuck gehören.
Die Mutter fand es nun noch schwieriger, als zuvor, dem Kinde, das so mit Einemmale aufgeblüht vor ihr stand, tadelnde Bemerkungen über ihre Fehler zu machen: so ergab sie sich denn darein, freute sich des Mädchens, wie sie war, und befahl ihre Mängel in der Stille der weisen Leitung des Herrn, der sie schon noch in die Schule schicken würde, die sie brauchte – es war ja genug an ihr, über das sie sich freuen konnte.
Einen Fehler ihrer eignen Jugend fand sie bei Adelma nicht, sie hielt das für gut und doch bedauerte sie es fast; es war in dem Kinde nicht das sinnende, träumerische Herzensleben, das ihr, der Mutter, die Jugendzeit in ein farbiges Dämmerlicht gehüllt, so daß sie jetzt kaum mehr wußte, was damals Glück gewesen war und was Leid, so süß waren die Thränen, so wehmüthig die Freude! Es hatte ihr diese Gewohnheit, nur in ihrer eignen Herzenswelt zu leben, freilich auch den spätem Lebensweg oft schwer gemacht; darum wollte sie nicht beklagen, daß Adelma mehr in der Wirklichkeit daheim war.
Die Pensionserziehung, die dem jungen Wesen keine Einsamkeit gestattet, mit der festen, bestimmten Zeiteintheilung, mit den Spaziergängen Paar um Paar, wie bei einem Regiment Soldaten, begünstigt diese träumerische Richtung junger Gemüther nicht, und es wird wohl gut so sein, wenn ihnen dagegen der Sinn für die rechte eigentliche Bedeutung des Lebens erschlossen wird. Sonst aber mag wohl auch, wie früher in andrer Weise bei den bösen Frauen, viel eignes, eigenthümliches, frischquellendes Leben bei zu regelrechter Erziehung verloren gehen und Gefahr sein, daß Manche auf der Oberfläche des Lebens den Genuß sucht, den sie nie in seinen Tiefen finden konnte.
Adelma sah frisch und hell in's Leben, sie träumte auch niemals von »einer Hütte, einsam tief im Walde«, sie trat mit vollem Bewußtsein in die Vortheile ihrer äußern Stellung ein, sie achtete den Besitz keineswegs gering, aber sie schätzte ihn auch nicht an sich, sondern weil es sehr angenehm ist, immer genug zu haben. Die Mutter konnte ihr eigen Mädchenherz mit seinen Träumen nicht so recht bei der Tochter wiederfinden, aber dies eigne Herz hatte sie auch früher oft irre geführt, so wollte sie nicht darüber klagen.
Herr Kamphausen besann sich nicht auf die Schattenseiten seiner Tochter, er suchte nur vor Allem ihre Lichtseiten gehörig hervorzuheben und freute sich ungemein, daß sie sehr bald die gesellige Gewandtheit entwickelte, für die ihm die Institutsbildung nicht genug gethan.
Adelma's eifrigster Bewunderer war aber der kleine kränkliche Bruder Ewald, das einzige ihrer Geschwister, das noch zu Hause war; Adolph, der älteste Bruder, war in einem Handlungsinstitut am Genfersee, Alfred und Eugen bei einem Professor in Pension gegeben; dem Kleinen, der meist in die Kinderstube gebannt war, schien es wie ein Wunder, daß die schöne, große Schwester sein eigen sein sollte, und er war glücklich mit der im Ganzen geringen Aufmerksamkeit, die sie ihm schenkte.
Herr Kamphausen gedachte seine Tochter nicht nur so gelegentlich in der Welt auftreten zu lassen, nein, sie sollte in aller Form eingeführt werden.
»Man meint wahrhaftig, der Herr sei ein Bräutigam und nicht ein Vater,« bemerkte Luise, das Stubenmädchen, gegen den Zimmermaler Möbele, der ihr auf einem Gang zum Juwelier begegnete, »nichts ist schön genug für unser Fräulein zu der Gesellschaft, die wir heute Abend geben in unsrem eignen, leiblichen Hause. Bei Regierungsraths, die doch auch nicht von Stroh waren, da haben die Fräuleins weiße Schürzchen angezogen und Thee servirt, wenn wir Gesellschaft hatten, und unser Fräulein soll man herausputzen wie eine Herzogin! Schön ist sie! ja, meinetwegen, wiewohl, wenn ein Anderes den Staat hätte, …« »So wär's noch schöner,« ergänzte der artige Zimmermaler. »Da hat der Herr gestern,« fuhr Luise fort, mit einer Handbewegung das Kompliment ablehnend, »selbst einen Schmuck von Korallen für sie geholt; jetzt findet er, Türkisse mit Perlen seien noch nobler, so muß ich jetzt noch einmal zum Juwelier laufen.« »Und ich finde es erst noch unchristlich, so türkisches Zeug zu tragen,« bemerkte der solide Maler. »Ach, das kommt nicht von Türken,« belehrte ihn Luise, »es ist nur so der Name vom Edelstein.« »Aber Ohrenringe mit Granaten,« meinte Herr Möbele wieder, indem er einen wohlgefälligen Blick auf den Schmuck warf, den Luise seiner Freigebigkeit verdankte, »sind doch auch nicht zu verachten, und zu einem schönem Anhänger, dazu muß es auch noch langen; man hat sie jetzt billiger, hinten mit Silber.«
Beschwichtigt durch diese Aussicht eilte Luise, den Schmuck für ihre junge Herrin zu besorgen, die denn auch in Wahrheit »wie eine Herzogin« im Glanze ihres Schmuckes und ihrer blühenden Jugend Abends an ihres Vaters Seite den glänzend erhellten Salon betrat, wo Frau Kamphausen längst wie auf Nadeln saß, um in geschmückter Ruhe die Gäste zu empfangen, während ihr besorgtes Hausfrauenherz sie immer noch trieb, in der Küche nach dem Rechten zu sehen; zu ihrer Zeit wäre Frau und Tochter emsig mit Bedienung der Gäste beschäftigt gewesen; sie hatte sich nie recht gewöhnen können, die Dame zu spielen, was ihrer schönen Tochter scheint's außerordentlich leicht wurde.
Und doch freute sich unwillkürlich das Mutterherz all des Schönen, das man ihr über ihr aufgeblühtes Töchterlein sagte, das die unbeholfene Schüchternheit der Pensionärin bald abgestreift hatte und sich mit unbekümmerter Anmuth in dem zahlreichen Kreis bewegte, in dem sie meist alte Bekannte wieder fand.
»Adelma, Herr Braun wünscht Dir vorgestellt zu werden,« sagte der Vater, indem er einen mit etwas nachlässiger Eleganz gekleideten jungen Mann vor sie führte, »ich denke aber, bei Arthur, dem Gespielen Deiner Kindheit, wird es keiner förmlichen Vorstellung bedürfen.«
Ja, das war ihr ehmaliger Gespiele und Hausgenosse, Arthur Braun! Die Person hätte sie nicht mehr gekannt, aber den Namen, und wie sie ihn lächelnd begrüßte, so wäre wohl hier die schönste Illustration gewesen zu den oft angeführten Dichterworten:
Und herrlich in der Jugend Prangen,
Wie ein Gebild aus Himmelshöh'n etc.
Herr Arthur Braun schien aber zunächst noch nicht von einem »namenlosen Sehnen« erfaßt, es brachen keine Thränen aus seinen Augen; er irrte auch nicht allein, sondern er blieb nach einer tiefen Verbeugung aufrecht stehen und unterhielt die junge Dame mit derselben vornehmen Gleichgültigkeit, die sein ganzes Wesen ausdrückte, und die vorauszusetzen schien, daß jeder Unterhaltungsgegenstand für Andere eben so langweilig sein müsse, als er für ihn selbst sei.
Auch waren die Erinnerungen Adelma's an ihn »aus der Kindheit Rosenzeit« nicht besonders süßer, schwärmerischer Art; er war schon als Knabe, obwohl nicht dumm, doch ein langweiliger, verdrüßlicher Bursche gewesen, der zur Zeit als Kamphausens und Brauns noch associrt waren und dasselbe Haus bewohnten, sie und ihre Brüder meist sehr ungastlich empfangen hatte. Aber Kamphausen's Verhältnisse waren damals noch einfacher, die Kinder bescheiden gehalten, darum übten die Spielsachen, mit denen das verwöhnte einzige Söhnlein des reichen Braun überschüttet war, große Anziehungskraft auf die kleinen Kamphausen, ihre Besuche hatten zunächst dem kleinen Theater, den schönen Bilderbüchern, all den zahlreichen Gedulds-, Lege- und Mosaikspielen gegolten, nicht dem mürrischen Besitzer dieser Herrlichkeiten.
Eine rasche, glückliche Spekulation, auf eigene Faust unternommen, hatte Kamphausen schnell zu einem reichen Manne gemacht, zugleich aber auch die Verbindung der beiden Männer gelöst, die nie recht zusammengepaßt hatten. Aeußerlich war das Verhältniß der beiden Familien ein freundschaftliches geblieben, die jungen Leute aber hatten sich bis heute nicht mehr gesehen, da der junge Arthur indeß den Vorrath seiner verdrüßlichen Weltanschauung auf Reisen noch vermehrt hatte.
Arthur, der keineswegs der Vorstellung entsprach, die wir uns von dem heimgekehrten »Jüngling« aus der Glocke machen, war in großer Verlegenheit, woher er Kindheitserinnerungen nehmen sollte, und war sehr erleichtert, als Adelma ihn lachend daran mahnte, wie sie und die Brüder einst eine große Ueberschwemmung verursacht, als sie den Springbrunnen in seinem Weihnachtsgarten zu stark angestrengt, wie ihr Bruder Adolph den Schweif von Arthur's prächtigem Wiegenpferd geholt, um als Pascha mit Roßschweifen aufzutreten und besagtem Wiegengaul dagegen einen flächsernen Schwanz eingesetzt, was zu großem Gebrüll von Seite Arthurs und zu einer gefährlichen Untersuchung geführt; wie sie, die Geschwister Kamphausen, einst alle Törtchen aufgezehrt, die Mama Braun zu gemeinsamem Genuß vorgesetzt hatte, während Arthur sich in einen Schmollwinkel gestellt, und wie ihm dann Adolph weiß gemacht, Adelma's große Puppe habe so starken Appetit.
Herr Arthur Braun war wirklich unterhalten, was ihm nicht allzuoft begegnete, und Papa Kamphausen beobachtete von ferne mit stillem Vergnügen die lebhafte Unterhaltung der Beiden.
Mit diesem Abend war für Adelma die Pforte eröffnet in die große, gebildete Welt, die ihr von der klösterlichen Einsamkeit des Pensionslebens aus in so buntem, strahlendem Lichte erschienen war.
Ich habe vor Zeiten gar schöne Schilderungen gelesen von gefeierten Heldinnen, die, wo sie in Gesellschaft erscheinen, beständig von einem Schwarm von Anbetern umringt sind, habe mir auch eine ganz eigene Vorstellung von solchen »Anbetern« gemacht, die ich mir immer in tiefer Verbeugung begriffen, in schwarzen Fräcken mit langen Schößen vorstellen mußte, und hätte gar zu gerne einmal eine solche umringte und umschwärmte Heldin gesehen, bin aber nie so glücklich gewesen.
Auch bei Adelma war es so gefährlich nicht, obgleich sie in Wahrheit ein schönes Mädchen war, mit ihrer schlank aufgerichteten Gestalt, der tadellos reinen Gesichtsfarbe und den glänzend schwarzen Haaren und Augen. Doch wurde ihr, die für eine reiche Erbin galt, immerhin Aufmerksamkeit genug erwiesen, um sie in dem sichern unbefangenen Selbstgefühl zu bestärken, mit dem sie ihr vornehmes Köpfchen durch die Welt trug.
Dem Vater schien ungemein viel an dem freundlichen Einverständniß mit der Familie Braun zu liegen und er begünstigte die Annäherung des jungen Arthur, so viel sich dies nur mit anständiger Zurückhaltung vertrug. Die Mutter erschien mehr leidend als genießend an der Seite ihrer anmuthigen Tochter; es lag ein Druck, eine bange Ahnung auf ihrer Seele ohne bestimmten Grund; sie nannte dies Gefühl Heimweh nach dem verlassenen Ewald und ihre glücklichsten Stunden waren die seltnen Abende, die sie mit Adelma bei dem Kleinen zubringen konnte.
Nicht immer war Adelma eine freundliche, geduldige Gespielin für den Bruder – Toilettensorgen nahmen ihr zwar nicht viel Zeit, sie war über ihre Einkäufe sehr rasch entschlossen und ordnete und trug Alles mit dem ihr eignen Geschmack, sicher, daß ihr Alles gut stand; aber sie mochte viel lieber behaglich ausruhen, in einem Journale blättern, einen Roman lesen, als auf die Fragen des Kleinen hören, in seine Spiele eingehen und seine phantastischen Zeichnungen bewundern; doch konnte sie der fast leidenschaftlichen Liebe des Kindes nicht widerstehen. »Es ist wahr, Mutter,« gab sie eines Abends zu, »wir sollten mehr zu Hause bleiben bei dem Kleinen; er hat mehr Herz, als all das Volk in den Salons.«
»Nun,« sagte die Mutter lächelnd, »ihr Herz tragen die Leute gerade nicht auswendig im Salon spazieren; wenn Du ihnen näher kommst, so wirst Du bei Manchem Tiefe und Gefühl finden, wo Du es nicht gesucht.«
»Auch bei dem Freunde meiner Kindheit, Herrn Arthur Braun?« fragte Adelma schelmisch.
»Ich hoffe,« sagte die Mutter, »und der Vater scheint zu wünschen, daß Du eben bei dem das Herz ausfindig machst.«
»Das wäre eine Kunst!« rief Adelma lachend. »Nein, Mutter, ich glaube, wenn man den nimmt, so muß man sehen, wie man auch ohne Herz auskommen kann. Das Gähnen ist ansteckend, ich fürchte, es gäbe eine schläfrige Parthie, wenn ich diesen gesättigten Jüngling erwählte.«
»Verhüte Gott, daß Du's thust, Kind, wenn Du ihn so ansiehst,« sagte die Mutter erschrocken, »aber – ich denke, er hat gewiß mehr Gehalt und Tiefe, als es scheint! Seine Mutter ist eine gescheidte und gute Frau, wir haben lange freundlich zusammengelebt, … der Vater scheint es so sehr zu wünschen – und Du, mein Kind, Du bist verwöhnter, als Du glaubst, es würde Dir schwer, Dich in eine einfachere Lage zu finden – und Brauns sind reich und stehen sehr sicher; ich fürchte, sicherer als wir,« setzte sie leise mit einem Seufzer hinzu.
»Nun dann müßte man sich eben trösten mit einem recht unterhaltenden Leben,« scherzte Adelma, »Arthur müßte einen reizenden Landsitz anschaffen, eine Villa mit einer Terrasse! Du und Ewald zögest hinaus in den Sommermonaten, da der Vater, so scheint es, nicht Lust hat, diesen Sommer ein Landhaus zu miethen. Ich würde es dann mit ein paar Freundinnen bewohnen und Herr Arthur dürfte manchmal zum Besuch kommen.«
»So sprichst Du nicht im Ernste, Kind,« sagte die Mutter, ihr ernst und bekümmert in das lachende Gesicht sehend, »Deine Wahl wäre Sünde mit solchen Gesinnungen.«
»Aber Mama, Du führst Papa's Sache schlecht, wenn ich eine gehorsame Tochter sein will,« sagte Adelma, »und nimmst es überhaupt so ernsthaft. Ich dachte nur, wenn Arthur nicht gerade schlimm ist, so könnte ich ihn ja nehmen, wenn Papa so ein großer Gefallen damit geschieht. Aber er hat mich, so viel ich weiß, noch gar nicht ausdrücklich begehrt, und ich bin noch nicht ganz achtzehn; sei zufrieden, Mama, wir wollen's inzwischen ruhen lassen.«
Der Mutter ließ es innerlich keine Ruhe. Sie hatte immer schwer getragen an der glänzenden Stellung ihres Mannes. Als Tochter eines Beamten an regelmäßiges Einkommen, an klaren Ueberblick der ökonomischen Verhältnisse und durchaus geordnete Eintheilung der Einnahmen und Ausgaben gewöhnt, hatte sie sich nie ganz wohl gefühlt bei Verhältnissen, die sie nicht verstand und über die sie nie einen Ueberblick gewann; es bedrückte sie, wenn zu Zeiten, wo sie wußte, daß ihr Mann Verluste gehabt, gerade nach Außen mehr geschehen sollte für äußeren Glanz, um zu verbergen, daß man vielleicht Grund zur Einschränkung hätte. Ein unruhiges, heftiges, gereiztes Wesen ihres Mannes in den letzten Jahren ließ sie fürchten, daß viel für ihn auf der Wage stand, und doch wich er all ihren Fragen aus, wollte nichts von ihren Vorschlägen zu Ersparnissen wissen. Adelma wollte sie indeß das Herz nicht unnöthig schwer machen, so flüchtete sie sich denn in die Kinderstube zu ihrem Ewald, – es war nicht das erstemal, daß sie bei dem stillen, nachdenklichen Kinde Trost und Verständniß, auch ohne Worte, gefunden hatte.
Ewald saß an der großen Bilderbibel, seiner liebsten Beschäftigung, als die Mutter still eintrat, sich neben ihn setzte und ihren Kopf an seine schwache Gestalt lehnte; er sah sie an mit seinen dunklen Augen und blickte wieder in sein Buch. »Mama,« sagte er leise, »in der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.« Sie zog das Kind an sich und es wurde still in ihrem Herzen, so still und friedenvoll, daß ihr bange wurde, wieder hinaus zu gehen aus diesem friedlichen Kämmerlein in die Welt voll Unruhe, die schon an der Schwelle desselben anfing.
Hatte sie doch diesen Abend schon wieder Gesellschaft, zwar nur einen kleinen Cirkel mit Brauns und einigen Familien, aber sie durfte doch nicht allzulange die Ruhe bei ihrem Kinde genießen. Eben stand sie auf, als ihr Mann eintrat, – eine ziemlich seltene Erscheinung in der Kinderstube, – der verstörte Ausdruck seines Gesichtes ängstigte sie. »Guten Abend, Ewald,« sagte er hastig und zerstreut. »Wie geht Dir's? Geh mal ein Bischen hinunter und hilf Luisen die silbernen Leuchter im Saale anzünden.« Ewald mochte gar gerne solch kleine Geschäfte besorgen; er hatte noch nicht wie seine Schwester so hohe Begriffe von dem, was sich für seinen Stand schickte.
»Maria,« fing der Bankier an, heftig auf- und abgehend, »es ist nicht lange Zeit zu Erwägungen; der junge Braun war heute Morgen bei mir. Obgleich er eine verwünscht vornehme und undeutliche Art hat, sich auszudrücken, so waren doch seine Worte so gut wie ein Antrag für Adelma, die Sache sollte diesen Abend in's Reine kommen …«
»Du willst doch nicht, daß wir ihm entgegenkommen?« fragte die Frau.
»Nicht handgreiflich, natürlich!« fuhr er zornig auf. »Sein Entschluß steht ja fest, es handelt sich nur darum, bei seiner verdammt lässigen Weise es zu einem Abschluß zu bringen, und das wird ein hübsches, gescheidtes Mädchen, wie Adelma, doch zu richten wissen.« Gereizt durch das traurige Schweigen seiner Frau fuhr er wieder heftiger fort: »Es braucht übrigens durchaus keiner weinerlichen Familienscene, der Braun ist so übel nicht, er hat seinen wilden Hafer gesät; ich kenne die Brauns; der Junge mag sich so gleichgiltig stellen als er will, in Geldsachen ist er nicht so dumm und versteht das Geschäft wohl. Für mich ist eine erklärte Verbindung mit Brauns die einzige Rettung, die einzige, verstehst Du?« schloß er mit immer gesteigerter Heftigkeit; »eine Rettung, bei der Braun selbst am Ende nicht einmal verliert,« murmelte er zu seiner eigenen Beruhigung, »es handelt sich bei meinem Unternehmen nur um das Einsetzen ungeheurer Mittel … Du weißt, was Du zu thun hast,« wandte er sich an die bleiche Frau, »ich bin gewiß, daß es bei dem Mädchen gar nicht schwer hält, sie zu bestimmen, und daß die Mucken eher von Dir kommen.«
Schweigend und schweren Herzens blieb die Mutter zurück, sie hörte kaum, wie Ewald wieder herauf kam und sich endlich, da die Mutter ihn nicht beachtete, still zu Bett legte. Sie zweifelte nicht, daß Adelma einwilligen würde, um so eher, wenn sie wußte, daß ihre Existenz auf dem Spiele stand, – aber durfte sie als Mutter eine Verbindung ohne Liebe zugeben? – Konnte nicht dies jetzt noch so ruhige Herz einst erwachen, wenn es zu spät wäre: erwachen an der Seite eines Mannes, den sie nicht achten, nicht lieben konnte? – War es ein gottgefälliges Band, das Adelma einging in Unkenntniß ihres eigenen Herzens und der heiligen Bedeutung der Ehe? – Und »die einzige Rettung« hatte ihr Mann gesagt! –
»Madame, Herrn Kommerzienrath Mayers sind bereits unten, das Fräulein hat sie empfangen,« meldete das eilig heraufstürzende Zimmermädchen. Rasch und erschrocken erhob sich Frau Kamphausen; sie hatte Zeit und Gäste und Alles vergessen über den quälenden Fragen, die ihr Gemüth bedrängten.
Fast erleichtert, wenn auch ängstlich darüber, daß sie nun nicht mehr mit Adelma reden konnte, ging sie hinab, und als sie diese so blühend und heiter, mit so viel Ruhe und Leichtigkeit sich unter den Gästen bewegen sah, wurde sie ruhiger. War nicht ihres Kindes Natur eine ganz andere als die ihrige? War nicht vielleicht Adelma ein ebner Lebensweg beschieden ohne tiefes Herzensglück, aber auch ohne schwere Kämpfe, leicht, gerade und sicher?
Alle Gäste hatten sich eingefunden, Brauns allein nicht, auch der Herr des Hauses ließ sich nicht blicken. Frau Kamphausen schalt auf ihr eigenes ängstliches Gemüth, daß sie heut Alles so schwer bedrückte, ja, daß ihr schien, als ob auf ihren Gästen selbst ein stiller Druck liege, als ob die Männer leise mit einander flüsterten und die Frauen sie und Adelma bedenklich anblickten.
Der Thee war getrunken, man sollte sich zum Souper in den Speisesaal begeben, – der Herr des Hauses war noch nicht da. Länger hielt es die bedrängte Frau nicht aus, sie schlich sich hinaus und fragte bei der Dienerschaft. »Sind denn der Herr nicht drinnen?« fragte Luise verwundert. »Ich habe ihn, bald nachdem das Absagebriefchen von Herrn Braun gekommen war, schon im Dunkel aus seiner Stube in's Gartenhäuschen hinaufgehen sehen; ich glaubte, Sie seien schon lange wieder herunter.«
Frau Kamphausen nahm ein Licht und ging hinab in ihres Mannes Zimmer. Sein Pult stand offen, was sie sonst nie gesehen: oben auf seinen Papieren lag ein offenes Billet von Herrn Braun, dessen Hand sie wohl kannte:
»Verehrter Freund!
»So glücklich es uns machen würde, Ihre Fräulein Tochter für unsern Familienkreis zu gewinnen, so halte ich doch das Wort, das mein Sohn in dieser Beziehung heute zu Ihnen gesprochen, für etwas übereilt; er selbst sieht dieß ein und ermächtigt mich daher, Sie zu bitten, dieses Wort vor der Hand als nicht gesprochen zu betrachten.
Ueberzeugt, daß unser freundschaftliches Verhältniß dadurch nicht im Mindesten benachtheiligt wird, bitte ich, unser Ausbleiben für diesen Abend gütig zu entschuldigen und grüße Sie in ausgezeichneter Hochachtung
ergebenster
W.
Braun.«
Nachschrift. »Bei etwa eintretenden Verlegenheiten in nächster Zeit bedauern wir bei dem dermaligen Stand unserer Geschäfte, Ihnen, keine Vorschüsse anbieten zu können, dagegen dürfen Sie auf alle denkbare Nachsicht unserer Seits rechnen.«
Sonst fand Frau Kamphausen Nichts, das ihr zunächst Aufschluß geben konnte. Mit der eisigen Ruhe, die oft das schwächste Gemüth bei der bestimmten Aussicht auf eine furchtbare Thatsache erringen kann, nahm sie das Licht und stieg langsam, mit bebenden Knieen die Stufen hinauf zu dem Gartenhaus in dem kleinen Gärtchen hinter dem Hause.
Aergerlich über das Ausbleiben der Eltern that Adelma ihr Bestes, ihre Gäste gut zu unterhalten; die Tafel war sehr schön arrangirt, Rehbraten und Sulzen vortrefflich, die Kerzen und Lampen strahlten hell, edle Weine funkelten in den Gläsern und die Unterhaltung begann lebendig zu werden. Da trat mit dem Licht in der Hand, todtenblaß und starr wie ein Steinbild, die Hausfrau unter die Thüre: »Ich bedaure, die Gesellschaft stören zu müssen,« klang es lautlos von ihren bleichen Lippen, »meinen Mann hat soeben der Schlag getroffen.«
Das waren lange, schwere, dunkle Tage über dem einst so glänzenden Hause. Das Leid fragt nicht erst, ob es eintreten darf, es kommt meist ungemeldet: selten, sehr selten von der Seite, wo man darauf gefaßt war. An eine Krisis der Geschäftsverhältnisse hatte Frau Kamphausen längst gedacht, sie hatte selbst einen traurigen Umschlag dieser Verhältnisse gefürchtet, und doch nicht geglaubt. Nun war Alles noch viel grausenhafter gekommen, als sie je gedacht, und mit dem schweren Jammer kam sein allertraurigstes Geleite, die Vorwürfe, die quälenden Gedanken: Hättest du das Schwerste nicht verhüten können? »Hättest du deinem Mann mehr Liebe, mehr Zärtlichkeit gezeigt, dir mehr Interesse und Einsicht in sein Geschäft erworben, mehr gesucht, die Ausgaben zu beschränken!«
Es gibt keine Hilfe, wo solch traurige Gäste sich eingeschlichen, die den Schlaf vom Lager scheuchen, die sich am Morgen mit uns erheben, einen dunklen Schatten legen auf jede unschuldige Freude, die das Leben noch gelassen, und ein Gewicht auf jede Erhebung der Seele, – keine Hilfe, als verzweifelnd erliegen, als sie zu verscheuchen in wilder Zerstreuung in rastloser Mühe und Arbeit, in dumpfem Vergessen, oder – als die ganze Last, Leid, Gram und Reue niederzuwerfen zu den Füßen Dessen, der ein barmherziger Hoherpriester ist: der das zerstoßene Rohr nicht zerbrechen wird und den glimmenden Docht nicht auslöschen – der da heilen will, die zerbrochenen Herzens sind.
Adelma's Herz war nicht von Vorwürfen gequält: die Jugend ist minder streng gegen sich, leichter geneigt, das Unglück als ein entsetzliches Unrecht anzusehen, das gerade ihr wiederfahren, und für das sie Anspruch auf Ersatz hätte, sie selbst hat keine Schuld dabei, o, gar nicht! Aber die edlen, selbstsuchtslosen und starken Seiten in ihrer Natur hatte dies Unglück zu Tage gebracht; sie war der Mutter Trost und Stütze, vor Allem ihre Hülfe in den äußeren Mühen und Geschäften, die vielleicht später zur wohlthätigen Ableitung werden, die aber für ein wundes Herz peinlich und qualvoll sind. Das sonst gedankenlose unbekümmerliche Mädchen hatte in diesen Tagen eine Kraft und Umsicht entfaltet, die den Sachwalter der Familie, den alten Advokaten Sauer, in Erstaunen setzte, während der Mutter Kraft seit dem entsetzlichen Anblick im Gartenhaus, der ihr den Gatten todt, mit zerschmettertem Hirn gezeigt, wie gelähmt war, so daß sie nur unter den sanften, kindlichen Trostworten ihres Ewald zu einiger Ruhe kam.
Die schwersten Tage waren vorüber; die kleine Familie saß beisammen in dem ehemaligen Gesindezimmer des großen Hauses, das ihnen nebst zwei kleinen anstoßenden Stübchen eingeräumt war, während in den vorderen Zimmern gemalt und tapeziert wurde für den neuen Besitzer. Dieser Besitzer hatte sich beim Kauf nicht genannt, man vermuthete, es sei Herr Arthur Braun, dessen Braut, eine reiche Erbtochter, Nichts in dem eleganten Hause schön genug und nach Geschmack gefunden hatte. Adelma schien darüber nicht sehr bekümmert, sie saß neben dem kleinen Kanapee, in dessen Kissen der bleiche Ewald schlief, die Mutter hatte ein Andachtsbuch vor sich liegen, aber sie wandte kein Blatt um, sie stützte ihr müdes Haupt in die Hand.
»Und nun, Mutter,« fing Adelma an, einen eben gelesenen Brief bei Seite legend, »nun müssen wir einmal ernstlich überlegen, was aus uns werden soll.«
Die Mutter, die so schnell die Rollen mit dem Kinde gewechselt hatte, die sich nun leiten und berathen ließ von dem sonst so unbedachten sorglosen Wesen, blickte mit matten Augen auf. »Du hast den Brief der Tante gelesen?« fragte sie.
»Gewiß, Mutter, und ich denke, wir müssen ihren Vorschlag mit Dank annehmen. Die Brüder können natürlich nicht mehr hier in Pension bleiben, der Lehrer aber in S., wo Tante ist, nimmt sie um das halbe Kostgeld wie hier: das kann man noch aufwenden, ich habe schon mit Herrn Sauer gesprochen. Adolph ist alt genug, um selbst eine Stelle zu suchen, Ewald nimmst Du mit Dir zur Tante, die Schule dort ist gut, und so seid Ihr vier doch beisammen.«
»Und Du, Adelma?« fragte die Mutter schmerzlich.
»Um mich sei nicht bange, Mutter, aber bitte, laß mich meinen eignen Weg gehen.«
»Wenn Du mit zur Tante gingest, – wir hätten gewiß noch Platz; vielleicht könnten wir miteinander durch Handarbeit Etwas erwerben, Du hast ja dazu so viel Geschick …«
»Nein, Mutter, das geht nicht. Für Dich vielleicht, wenn Du es kannst, ohne Dich anzustrengen, ist ein solcher Erwerb eine kleine Nachhilfe, aber Du weißt, Handarbeit allein nährt nicht, und ich kann mich nicht mit euch in ein Stübchen zwängen und der Tante dazu noch lästig werden.«
»Ich dachte mir's wohl,« sagte die Mutter ergeben. »Vielleicht findest Du durch Vermittlung unsrer Freunde eine angenehme Stelle als Gouvernante oder Gesellschafterin, …«
»Das thue ich nicht, Mutter,« sagte Adelma sehr bestimmt. »Unsre Freunde sind gewiß herzlich theilnehmend, es ist ihnen vollkommen Ernst damit, – so lang wir ihnen nicht lästig fallen. Sie machten mir auch derartige Vorschläge, aber – ›es sei schwer, eine Stelle zu finden,‹ – ›ich sei zu jung,‹ – ›zu vornehm gewöhnt,‹ – ›werde mich auf Enttäuschungen gefaßt machen müssen.‹ Das habe ich nun längst gethan, aber nicht auf diesem Wege. Ich will nicht bedauert sein, nicht mitleidig betrachtet als das verwöhnte Bankierstöchterlein, das nun dienen muß. Zur Gouvernante tauge ich nicht. Ich habe nicht genug Geduld und Zärtlichkeit in meiner Natur, um fremde Kinder an mich zu fesseln. Ich habe nicht Kenntnisse genug. Ich habe nie für einen Zweck gelernt, mein Wissen ist weniger als Stückwerk, das ist mir klar geworden, seit ich mich in den letzten Tagen geprüft: auch habe ich keine Lehrgabe, ich fand das bei meinen Versuchen mit Ewald, der noch dazu ein geduldiger, freundlicher Schüler ist. Man nennt mich stolz, nun, ich will zu stolz sein, eine Stelle zu suchen, die ich nicht ausfüllen kann. Ich will hin, wo mich Niemand kennt, Niemand nach mir fragt; wenn ich dienen muß, so will ich es auch ganz und gar.«
»Aber was willst Du denn?« fragte die Mutter, erstaunt auf das Mädchen sehend, das ihr so plötzlich aus den Händen gewachsen war.
»Du weißt,« begann Adelma mit etwas weniger Sicherheit, da sie wohl den Widerspruch ahnte, »daß unsre Luise heirathet; kürzlich erhielt sie den Brief einer Freundin, die mit ihrer Herrschaft Berlin verläßt und die ihr dort eine Stelle als Jungfer bei einer Generalin anträgt …«
»Du, Adelma! Du denkst an eine Stelle, die unsre Stubenjungfer annehmen sollte?«
»Warum nicht?« sagte lächelnd Adelma, innerlich vielleicht nicht so sicher als sie äußerlich schien, »ich hoffe, sie besser auszufüllen, als Luise. Du weißt, ich habe mir meine eignen Sachen immer am liebsten selbst gemacht und habe schon in der Pension viel Komplimente gehört über mein Kammerjungferntalent. Luise klagte mir, wie sauer es ihr werde, der vornehmen Frau zu schreiben, daß sie nicht eintreten könne, da Schreiben nicht ihre Stärke ist. Ich erbot mich dazu und bekam bei dieser Gelegenheit Luisens Dienstbuch, das jetzt für sie werthlos ist. Da habe ich mich nun bei der Frau Generalin v. Paulsen als Luise Lindemaier eingemiethet und werde zu Ostern dort eintreten.«
Was Trost und Zuspruch, was alles eigne Vornehmen nicht vermocht, das bewirkte dieser rasche, eigenmächtige Entschluß der Tochter; er riß die Mutter auf aus der trüben Versunkenheit in ihr Leid, er zeigte ihr, daß ihr noch Pflichten blieben, um derenwillen sie leben mußte mit all ihren Kräften. Sie hatte, seit dem furchtbaren Schlag, ihre Kinder geliebt, mit Leidenschaft, mit der Angst, die Alles zu verlieren fürchtet, wenn ihr der Boden wankt unter den Füßen, aber sie hatte eine Art von jammervollem Genuß darin gefunden, so hinzuleben in stumpfer Hingebung, im Bewußtsein, daß ja doch Alles für Alle verloren sei und Keinem mehr ein Glück beschieden, – jetzt auf einmal gingen ihr die Augen auf dafür, daß vor ihren Kindern wenigstens noch eine lange Zukunft liege, für die, soweit dies menschlicher Liebe zukommt, zu denken und zu sorgen ihre Pflicht sei.
Sie konnte Adelma nicht zu sehr zürnen ob dem eigenmächtigen Schritt, war sie selbst ja doch in der letzten Zeit keiner Besprechung zugänglich gewesen; als diese aber trotz alles Widerspruchs auf ihrem Entschluß beharrte, tröstete sie sich endlich, Adelma selbst werde bald der selbsterwählten Niedrigkeit satt sein, einem so begabten Mädchen müsse es dann leicht werden, eine bessere Stelle zu finden, wenn man nur erst ihren Werth erkannt habe: daß man sie bald erkennen würde als zu gut für diese Stellung, daran zweifelte sie nicht. Das letzte, schwerste Bedenken wegen des falschen Namens, unter dem Adelma auftreten wollte, hob Advokat Sauer. Ein hochgestellter Polizeibeamter in Berlin war ein Jugendfreund von ihm, dem wollte er im Vertrauen mittheilen, wie sich die Sache verhielt und war gewiß, daß dieser, ein milder, einsichtsvoller Mann, bei dem wirklichen Verhalt der Sache die Augen zudrücken und im Nothfalle das Fräulein vor Unannehmlichkeiten schützen werde.
So waren zunächst die Wege geebnet und Adelma arbeitete eifrig an Vereinfachung ihrer Garderobe für die neue Stelle; es war die Spannkraft der Jugend, der Reiz einer neuen Stellung, der Zauber der Ferne, der ihr den Wechsel von dem verwöhnten Töchterlein eines reichen Hauses zur Dienerin, den die Mutter noch gar nicht in's Auge fassen konnte, nicht so bitter erscheinen ließ. Sie ging der Sache mit einer Art geheimen Vergnügens entgegen, das sie sich nur nicht gestehen wollte in so trauriger Zeit, fast wie einer Maskerade. Dazu kam noch ihr Mädchenstolz gegenüber von Arthur Braun, dessen Mutter ihnen unter der Hand Unterstützung angeboten hatte. Adelma wollte zeigen, daß ein Mädchen ohne die Hülfe und Gnade eines Mannes ehrenvoll durch's Leben kommen könne. Wohin sie ginge, sollte Niemand erfahren und es war nicht schwer, es verborgen zu halten, da auch ihre Mutter die Stadt verließ. Der Gehalt ihrer neuen Stelle war groß, sie wollte ihre Bedürfnisse aufs Aeußerste beschränken, und hoffte so für ihre Familie sorgen, den Brüdern zu ehrenvollem Fortkommen in der Welt helfen zu können; die Mutter hatte die äußersten Opfer gebracht, um aus dem ausgebrochnen Concurs wenigstens den Namen ihres Gatten unbefleckt zu retten, – dann, wenn auch die Zukunft der Familie gesichert war, wenn der Name Kamphausen wieder mit Ehren genannt werden konnte, dann wollte sie aus der Verborgenheit hervortreten und nicht mehr namenlos, wenn auch in der Stille, sich ihres Werkes freuen. Mit ihren Ansprüchen auf eignes Glück, auf eine Zukunft ihres Herzens glaubte sie rein fertig zu sein und war doch kaum achtzehn Jahre alt! Ob in der verborgnen Tiefe des Herzens, auf dem dunklen Grunde, in den nur selten das Licht klaren Erkennens und Bewußtseins fällt, – ob da nicht doch verschwommene Bilder auftauchten von wunderbarem Glück, wie es hie und da arme Mädchen gemacht? Mährchen von dem fremden Königssohn, der die verzauberte Prinzessin erlöst und in sein Reich voll Glanz und Herrlichkeit führt? das hat sie nicht gestanden, – wenn es so war, so wußte sie es selbst nicht; sie gehörte, wie schon bemerkt, nicht eben zu den träumerischen Naturen.
Es war ein recht anständiges, hübsch eingerichtetes Vorzimmer, wo an einem Fenster, das freilich nur auf einige Hinterhäuser ging, die Jungfer der Frau Generalin v. Paulsen an einem Tischchen saß und nähte. Sie saß und nähte da Tag für Tag, alle die Zeit, wo sie nicht ihrer Dame bei der Toilette half, oder mit ihr ausfahren durfte; es schien ihr bald, als sei sie schon Jahrzehende lang da gesessen, – so lang sie wußte, – und als sei ihr ganzes früheres Leben nur ein Traum gewesen. Sehr wenig Wechsel bot ihr Leben in dieser großen, geistig belebten, wechselvollen Stadt; sie hatte nicht viel von den Leiden und Bedrückungen der Dienstbarkeit, der Fremde, erfahren dürfen, aber auch nichts, gar nichts von den Abentheuern und unerhörten Begebenheiten, mit denen sich eine junge Phantasie, bewußt oder unbewußt, diese Fremde belebt.
So leicht, wie sie sich gedacht, war ihr das selbsterwählte Loos nicht geworden, und sie hatte begreifen lernen, warum dem Bramahnenvolk der Verlust der »Kaste« als unermeßliches Unglück erscheint. So ganz und gar ausgeschlossen zu sein von dem Kreis, für den sie erzogen war, so ganz und gar ohne alles Anrecht auf die einfachste Rücksicht, die einer Dame gebührt, denn Aufmerksamkeiten aus ihrem jetzigen Kreise wies sie natürlich entschieden zurück. In so tiefer, völliger Herzenseinsamkeit zu leben, – es war schwerer, als sie gedacht und die Lage einer Gouvernante, selbst unter den ungünstigsten Verhältnissen, hätte wohl kaum so gänzlich einsam und freudlos sein können.
Das Bitterste war ihr die Vertraulichkeit mit ihren jetzigen Standesgenossen gewesen, bis sie es durch ihr vornehmes Köpfchen und durch beharrlich kühle Zurückhaltung so weit gebracht hatte, daß es im Dienerkreise hieß: »Das ecklig hochmüthige Ding läßt man laufen.« Adelma hatte nicht den liebevollen Blick, der auch im Sande noch Perlen sucht und findet, nicht die vertrauenweckende Weise, der sich ungesucht die beste Seite Anderer erschließt, sie wußte nicht, daß sie nie hochmüthiger gewesen war, als jetzt, zur Zeit ihrer tiefsten Erniedrigung; – sie hielt das nur für nothwendige Selbstachtung.
Einen Trost hatte sie: den, daß ihr Opfer kein vergebliches war. Ihre Stelle war in Wahrheit sehr einträglich; die Mutter brauchte zwar im Augenblick ihre Unterstützung nicht, da sie bei der Schwester nicht theuer lebte, und mit Handarbeiten erwarb, was sie und Ewald bedurfte, aber für die Ausbildung der zwei älteren Brüder war der Zuschuß, den Adelma senden konnte, von größtem Werth.
Adolph, der älteste, hatte zwar eine gute Stelle in Genf gefunden, aber er bedauerte unendlich, nichts für die Seinen thun zu können, – ›das Leben in Genf sei wirklich sehr theuer, er wüßte kaum, wie er es möglich machen sollte, mit seinem Gehalte zu reichen, müsse sich ungemein einschränken, so ohne allen Zuschuß von Haus etc.‹: die Mutter aber pries und schätzte Adelma's opferfähiges Gemüth um so höher, und beschwor sie, wenn sie sich nicht glücklich fühle, doch eine andre Stelle zu suchen … Adelma klagte nicht, sie hatte in Wahrheit wenig zu klagen, ihre Stelle war eine vielbeneidete und galt für die beste in ihrer Art.
Da saß sie und nähte. Sie hatte das Träumen und Sinnen besser gelernt als in frühern Tagen, hier, wo sie mit ihrem Herzen so ganz allein stand, und, seltsam, die Erinnerung trug sie nicht oft zurück in die kurze Glanzperiode ihres jungen Lebens, in die Zeit, wo sie, eine bewunderte Erscheinung, in glänzenden Räumen sich bewegt, – es war unter all den vielen Gestalten, die dort an ihr vorübergegangen, nicht Eine, bei der ihr Herz verweilen mochte. Auch die Pensionserinnerungen kehrten nicht oft ein bei ihr; sie war nicht ungern dort gewesen, war auf gutem Fuß gestanden mit all den Mädchen, aber sie war nie von dem Freundschaftsraptus befallen worden, der sonst das Glück und den Reiz junger Jahre bildet. Sie gehörte überhaupt nicht zu den leicht entzündlichen Gemüthern, – sie hatte von Liebe gelesen und gehört, sie hätte wohl selbst gern gewußt, ob sie denn auch noch einmal lieben könnte; sie hatte bis jetzt noch nie eins der vielgeschilderten Symptome der Liebe an sich gefunden. »Ein Glück, wenn ich nicht liebefähig bin,« dachte sie mit leisem Seufzen, »es wäre ja doch vergebens.« Sie gedachte am liebsten der frühen Kinderjahre, wo die Eltern noch kein Haus gemacht, wo sie bescheidentlich in Braun's Parterre gewohnt, wo sie mit den Brüdern auf der Terrasse gespielt und die Mutter aus der Laube zugesehen, – diese Bilder allein machten ihr das Herz warm.
Eine eintretende Dame, Frau v. Rakniz, unterbrach ihr Sinnen. »Bitte, meine Liebe, melden Sie mich bei der Frau Generalin! Doch, halt! das ist wohl bei mir kaum nöthig. Sie sind wohl so gut, und befreien mich von meinen Ueberschuhen, der Schmutz war bodenlos und ich bekam keinen Wagen.« Adelma war noch nicht so weit vorgerückt in der Schule der Demuth, daß nicht ihr Blut gekocht und ihre Wange geglüht hätte, als die Dame graziös vornehm den Fuß auf einen Schemel streckte und sich sehr passiv bei der Sache verhielt, dann aber mit einem flüchtigen Dank in's innere Zimmer schritt.
»Sie haben da wirklich eine nette Person,« äußerte im Verlaufe des Gesprächs Frau v. Rakniz zu der Generalin. »Sie macht einen etwas vornehmen Kopf, dies Privatvergnügen kann man ihr schon gönnen, aber äußerst anständig, im Ganzen auch nicht ungewandt, nur fast etwas zu hübsch.«
»Hat nichts zu sagen bei der,« beruhigte sie die Generalin; »sie hält etwas auf sich. Gerade der vornehme Kopf ist ein Glück in meinem Hause, wo so viel Mannspersonen aus und ein gehen, und wo männliche Bediente sind. Woher sie diesen vornehmen Kopf hat, weiß ich nicht, denn laut ihres Dienstscheins war ihr Vater ein Buchbinder, …«
»Vielleicht vom Lesen, wozu Buchbinderstöchter viel Gelegenheit haben.«
»Mag sein; daran hat sie viel Geschmack, habe ihr auch Erlaubniß ertheilt, meine Bibliothek zu benützen. Geschickt ist sie, ein wahrer Schatz; sie muß etwas drunten gehalten werden, das ist wahr: auch ist mir ihr schweigsames, vornehmes Wesen hie und da lästig, aber es hat, wie gesagt, sein Gutes. Es wird sich nicht leicht ein Bedienter oder ein junger Mann von Stande zum zweitenmale eine zudringliche Aeußerung gegen sie erlauben, – selten zum erstenmal. Nur mit dem Wachtmeister, der gar oft zum Rapport zu meinem Mann kommt, unterhält sie sich etwas mehr; das ist aber ein solider, gesetzter junger Mann. Er steht in Geschäftsverkehr mit ihr; da Luise wirklich gut in der Feder ist, so muß sie in meines Mannes Abwesenheit notiren, was er zu rapportiren hat. Er ist, so scheint es, ihr stiller Bewunderer und wir hätten nichts dagegen, wenn die Leutchen zusammenkämen. Das Mädchen kann etwas Schönes erspart haben, sie ist äußerst sparsam, und Sie wissen, ich bezahle stets hohen Lohn, um perfekte Leute zu bekommen; verlieren würde ich sie freilich ungern.«
Der »Herr Wachtmeister«, über den hier verfügt wurde, hatte so eben im Vorzimmer der »Fräulein Luis« seinen Bericht an den Herrn General diktirt. Die Generalin hatte nicht Unrecht, er war der Einzige unter den Männern hohen und niedern Standes, die in dem Hause aus- und eingingen, mit dem Adelma, hier Luise genannt, freundlich und natürlich verkehrte. Es lag eine unwiderstehliche Herzensgüte in seinen ehrlichen, blauen Augen, er begegnete ihr, die er nur als das Kammermädchen, als die arme Buchbinderstochter kannte, mit einem ernstlichen, ungeheuchelten Respekt, der ihr wohl thun mußte, gerade weil sie ihn ausschließlich ihrer eignen Persönlichkeit verdankte. Er hatte sie gegen Unbescheidenheit und Spöttereien, die sich anfangs die Dienstboten des Hauses gegen sie erlaubten, so kräftig und nachdrücklich vertheidigt, daß sie seither für immer in Ruhe gelassen wurde, und sie mußte ihm dafür dankbar sein. Er selbst hätte einer Königin nicht achtungsvoller begegnen können. Der Wachtmeister war fast ihre einzige Verbindung mit der Außenwelt, er berichtete ihr die Tagesneuigkeiten der Hauptstadt, von denen sie, da sie allein im Vorzimmer, nicht mit der andern Dienerschaft speiste, nie etwas erfahren hätte. Der Wachtmeister war auch ein strebsamer, junger Mann, er brachte ihr hie und da wirklich anziehende Bücher, die er dem blutarmen Kandidaten, der neben der Kaserne wohnte, aus Mitleid abgekauft, und ließ sich von ihr darüber belehren. Wie sehr Adelma es auch innerlich für Herablassung ihrerseits ansehen mochte, dieser einzige menschliche Verkehr that ihr doch wohl und sie freute sich unwillkürlich, wenn sie den festen, klingenden Tritt des Wachtmeisters auf dem Gang hörte. Auch war dieser ein verständiger und gefälliger Beistand in allen Dingen des täglichen Lebens, wo sie eines solchen bedurfte; sie war seine Vertraute in all seinen Angelegenheiten, er brachte ihr die Zeitung und las ihr die politischen Neuigkeiten vor, die damals, als die Stürme der französischen Revolution die Welt bewegten, merkwürdig und spannend genug waren. Er theilte ihr alle Befürchtungen für sein Vaterland mit, alle seine kriegerischen, patriotischen Plane. Da konnte sie auch, wenn sie in sein glühendes Gesicht, in seine funkelnden Augen sah, den Unterschied der Bildung vergessen und sich mit ihm und für ihn interessiren wie für einen Freund.
Heute nun stand er nach beendigtem Rapport hinter ihrem Stuhl und betrachtete aus respektvoller Entfernung das zierliche Häubchen, das sie für ihre Dame garnierte: »Aber thun Ihnen nicht die Augen weh, Fräulein Luis', von all dem feinen Zeug da?« fragte er endlich.
»Manchmal, doch thue ich es gern.«
»Glaub's wohl, was man versteht, thut man immer gern; ehe ich zum Militär kam, war ich Stubenbursch bei zwei ledigen Herren. Gelehrte waren's, ich glaube, ich hab' daher noch die Freude an den Büchern, – denen wichste ich die Stiefel – wissen Sie, Suwarrow mit Quästchen daran – so blank, daß es in der ganzen Stadt eine Pracht war. Nun seh'n Sie, Fräulein Luis', so oft ich einen Kerl so ungeschickt Stiefel putzen sehe, so faßt mich die Lust, sie ihm aus der Hand zu reißen und selbst zu wichsen, aus purer Freude daran; so geht's Ihnen wohl mit den Sachen, die Sie so hübsch machen.«
Adelma war nun eben nicht sonderlich erbaut von dem Vergleich mit einem Stiefelwichser, doch konnte sie dem Wachtmeister nicht böse werden, der bei seiner Treuherzigkeit nie die Achtung verletzte.
»Sie sollten mehr in's Grüne gehen, Fräulein Luis',« hub er wieder an, »es ist wirklich prächtig draußen und wär's auch nur unter den Linden.«
»Ich fahre ja hie und da mit der Dame aus,« sagte Adelma, »allein kann ich doch nicht.«
»Ja, da haben Sie freilich recht,« sagte er nachdenklich; »ich begreif's wohl, daß Sie keine Freundin haben können unter den Mädchens da, die sind alle so ganz anders wie Sie; aber Ausfahren, so mit der gnädigen Frau und dem Schooßhund, das thut's doch auch nicht.«
»Wissen Sie,« fuhr er mit großer Wärme, nicht ohne einige Verlegenheit daneben fort, »ich meine oft, obgleich Sie's hier ja gut haben und die gnädige Frau nicht bös ist, – und das Haus schön, – ich meine doch, wenn Sie eine eigne Heimath hätten, nur vier niedliche Stübchen, vielleicht mit einem Gärtchen am Hause, – und Jemand, der recht Sorge zu Ihnen trüge, – Sie so recht von Herzen lieb hätte, – wenn er auch nicht gerade reich wäre, oder vornehm, – ich meine nur so, – es würde Ihnen gewiß erst so recht wohl um's Herz, und Sie würden wieder ganz schöne, rothe Backen bekommen und öfter lächeln, wie es Ihnen so gut steht …«
Mädchen haben sonst einen sehr feinen »Merks«, – wie es der Schwabe nennt, – aus den Worten oder dem Wesen eines Mannes ein tieferes Herzensinteresse für sich zu lesen: ja, sie sehen oft mehr, selten weniger, als wirklich vorhanden ist. Adelma Kamphausen aber, die sich denn doch im Stillen vorkam wie die verbannte Prinzessin im Mährchen, die eine Weile als Gänsemagd dient, – die dachte ganz und gar nicht daran, aus den Worten eines Wachtmeisters eine tiefere Beziehung zu lesen; sie war, während er sein bescheidenes Zukunftgemälde für sie entrollte, ganz auf eigne Hand in Gedanken versunken, – an jene Villa am See, die sie sich einst ausgemalt – freilich hatte Herr Arthur Braun nie eine Stelle in jenem Bilde eingenommen, die Gestalt, die sie sich hinein dachte, war noch in unbestimmten Umrissen.
Ein Glück, daß die heraustretende Frau von Rakniz den Wachtmeister unterbrach, eh er bemerkte, wie ganz und gar nicht »Fräulein Luis'« in seine Ideen eingegangen war.
»Ah, eine Unterredung!« lächelte die Dame, nicht achtend auf die glühende Röthe des Unwillens, die auf Adelma's Gesicht aufstieg, »bedaure zu stören; ich muß Ihre Hilfe, mein Kind, zu meinen fatalen Ueberschuhen wieder in Anspruch nehmen.« Bereits hatte sie Platz genommen und die Füße bequem auf dem Schemel ausgestreckt.
»Erlauben, gnädige Frau, daß ich Sie bediene,« fiel rasch der Wachtmeister ein, indem er die betreffenden Schuhe herbeibrachte.
»Aber, Herr Wachtmeister, was fällt Ihnen ein?« fragte verwundert und sehr unterhalten die Generalin, die ihre Freundin begleitet hatte. Und wirklich nahm sich die stattliche, sonst so gerade und aufrechte Gestalt des Wachtmeisters höchst eigenthümlich aus bei der Dienstleistung, die er, übrigens sehr geschickt, verrichtete.
»Bitte,« sagte er, mit unverminderter Würde aufstehend, »einer Dame kann man wohl einen solchen Dienst erweisen, das war schon vor alten Zeiten so.« Frau von Rakniz wurde oft seitdem von der Generalin mit dem stattlichen, ehrenfesten Anbeter geneckt, sie konnte die Neckereien besser ertragen, als Adelma sie ertragen hätte, der eigentlich jener Dienst gegolten.
Wenige Tage darauf hatte Adelma eine Besorgung für die Generalin zu machen; noch war sie nicht weit vom Hause, als der Wachtmeister in seiner gewöhnlichen strammen Diensthaltung auf sie zuschritt; sie wollte mit kurzem, freundlichem Gruße vorüber, er aber hielt stille.
»Fräulein Luis!« sagte er im Ton einer dienstlichen Meldung, aber so tief traurig zugleich, daß sie erstaunt aufsah – er machte ein wahres Leichenbittergesicht. »Was haben Sie?« fragte sie erschrocken.
»Fräulein Luis,« fuhr er in demselben traurigen Tone fort, »ich soll Ihnen ein Billet übergeben.«
»Mir?« fragte Adelma verwundert, »von wem?«
»Von einem Herrn, der im Hotel zur Krone wohnt,« antwortete er, wo möglich noch gewichtiger und trauriger als zuvor.
»Ich kenne keinen Herrn, der mir zu schreiben hätte, und begreife nicht, Herr Wachtmeister, wie Sie zu dieser Besorgung kommen,« sagte Adelma, nun ihrerseits kurz angebunden.
»Der Kellner vom Hotel kennt mich,« berichtete, etwas erleichtert wie es schien, der Wachtmeister; »er sagte mir, er sei in Verlegenheit, wie er das Briefchen unbemerkt an seine Adresse bringen soll, und wußte, daß ich im Hause seiner Excellenz, des Herrn Generals aus- und eingehe.« Zugleich überreichte er Adelma das Briefchen, das, eilig zusammengefaltet, kaum das Ansehen einer gefährlichen Sendung hatte; Adelma, die, um nicht Aufsehen zu erregen, langsam mit dem Wachtmeister vorwärts ging, öffnete noch immer betroffen den Brief; »Bruder Adolph!« rief sie erstaunt; sie hatte nicht einmal seine Handschrift gleich erkannt, weil sie nie mit ihm brieflich verkehrte, und die Geschwister immer nur durch Vermittlung der Mutter von einander hörten.
»Liebe Schwester,« lautete der Brief, »ich befinde mich in Geschäften hier und wünschte, vorzüglich auf den Wunsch unserer Mutter, Dich, liebe Schwester, bei solcher Gelegenheit zu begrüßen. Da mir aber besondere Umstände, die ich mündlich erläutern will, nicht erlauben, Dich in Person aufzusuchen, so bitte ich Dich, mich hier, im Hotel zur Krone auf meinem Zimmer Nr. 27 im Laufe dieses Vormittags aufzusuchen, ohne jedoch Deiner Herrschaft von meiner Anwesenheit Mittheilung zu machen. Frauenzimmer wissen so Etwas schon einzurichten, und es ist hier Fürsorge getroffen, daß Du beinahe ganz unbemerkt in mein Zimmer gelangen kannst.
In angenehmer Hoffnung, Dich bald zu sehen,
Dein
treuer Bruder
»Es ist mein Bruder, der hier ist,« sagte Adelma ziemlich rathlos zu dem Wachtmeister, »und der mich, ich weiß nicht aus welchen Gründen, ohne Vorwissen der Generalin zu sprechen wünscht. Aber kann ich ihn so allein im Hotel aufsuchen?«
» Ich begleite Sie, Fräulein Luis,« sagte der Wachtmeister mit dem berechtigten Selbstgefühl eines Mannes, der weiß, daß man sich ihm anvertrauen darf. »Ich gehe etliche Schritte hinter Ihnen oder auf der Seite,« setzte er beruhigend hinzu, als er einige Verlegenheit bei ihr bemerkte, »wenn es Ihnen lieber ist; im Gasthof kennt man mich und denkt, daß ich Sie im Auftrag der Herrschaft begleite. Ich erwarte Sie dann unten, um Sie wieder nach Hause zu führen.«
So kam denn Adelma unter dem respektvollen Schutze ihres Begleiters wohlbehalten am Ziele an. Nicht ohne tiefe Bewegung begrüßte sie den Bruder, den Ersten von all den Ihrigen, den sie nach der Trennung von der Heimath wieder sah; freilich war er ihr durch die langen Jahre der Entfernung innerlich und äußerlich etwas fremd geworden.
»Schön, liebe Schwester!« begrüßte er sie, »freut mich ungemein, Dich gesund und so hübsch wieder zu sehen. Wäre eigentlich meine Schuldigkeit gewesen, Dich aufzusuchen …«
»Ich wäre Dir dankbar dafür gewesen,« sagte Adelma etwas beleidigt, »es war nicht angenehm für mich, in den fremden Gasthof zu gehen.«
»Gewiß, gewiß, that mir auch leid um deinetwillen. Aber sieh, Schwesterchen,« er ging etwas verlegen auf und ab, »meine Geschäfte führen mich hier zu dem Onkel meines Prinzipals, – Herrn Baruch, – er hat zwei Töchter, – ich könnte, falls es mir gelingt, günstigen Eindruck zu machen, möglicherweise Aussicht auf eine sehr günstige Verbindung haben, – mein Prinzipal ist kinderlos; – Fräulein Lea, die Aeltere, ist nicht eben schön, aber ein gescheidtes Gesicht, – höchst orientalisch. – Auch die Religion ist kein Hinderniß, die Töchter lassen sich taufen in jeder beliebigen Confession. Nun versteht sich, daß ich meine Familie nie verleugnen werde, – im Gegentheil, – aber, die Familie Baruch hält ungemein viel auf aristokratische Verbindungen; – ich fürchte, wenn man gerade erfährt, daß Du hier als Jungfer in Dienst bist, obgleich es ungeheuer ehrenvoll von Dir ist, daß Du den Entschluß gefaßt, – es könnte doch für den Augenblick einen unangenehmen Eindruck machen, daher wollte ich Dich nicht selbst aufsuchen und dachte, – Du hast ja doch wohl allerlei Ausgänge zu machen, – Du würdest es leichter unbemerkt einrichten können.«
Es brauchte lange, bis Herr Adolph seine sehr unterbrochene Rede zu Ende brachte, und noch länger, bis Adelma das Gefühl tiefer Kränkung über seine herzlose Eigensucht in etwas zurückdrängen konnte. »Und an mich hast Du nicht gedacht,« sagte sie nicht ohne Bitterkeit. »An alles, dem ich mich aussetze, wenn ich ohne Vorwissen der Generalin (das Wort »Herrschaft« oder »meine Herrin« wollte nie über Adelma's Lippen) in einen Gasthof zu einem Herrn gehe? –«
»Ach, das kann ja nicht auffallen, hier in der großen Stadt, und später, weißt Du, wenn Alles gut gehen sollte, werde ich wohl Wege finden, Dich der Familie Baruch vorzustellen; warum hast Du auch gerade eine derartige Stelle gewählt?«
»Weil ich Geld verdienen wollte, um Mutter und Brüder nicht Noth leiden zu lassen,« entgegnete Adelma kurz und scharf.
Soviel sich auch Adolph bemühte, die Schwester zu beschwichtigen, soviel Adelma suchte, ihre gerechte Empfindlichkeit zu überwinden, – das Beisammensein der Geschwister blieb ein ziemlich unerquickliches.
Adelma brach bald auf, um seine kostbare Zeit nicht zu beschränken; sein Anerbieten, sie im Wagen bis in die Nähe ihrer Wohnung bringen zu lassen (das Institut der Droschken bestand noch nicht zu Anfang dieses Jahrhunderts), lehnte sie dankend ab. Und doch, im Augenblick, wo sie tief und bitter gekränkt war über den Hochmuth ihres Bruders, der sich ihrer schämte, – nahm sie nicht ohne peinliche Verlegenheit die Begleitung des redlichen Wachtmeisters an, der freilich nicht ihr Bruder, aber doch ihr getreuer Freund war, und der sie abermals in respektsvoller Ferne sicher nach Hause begleitete, wo ihre lange Abwesenheit nicht bemerkt worden war.
Nach einigem Kampf mit sich bot sie ihm beim Abschied die Hand und sagte: »Danke, Herr Wachtmeister, und – nicht wahr, Sie glauben mir, daß ich bei meinem Bruder war?« Die tiefe Röthe ihres Gesichts hätte erst ihre Worte verdächtigen können; wie peinlich empfand sie die Lage, die sie zu einer solchen Erklärung nöthigen konnte! aber sie konnte nicht ertragen, daß der Wachtmeister unrecht von ihr denken sollte. »Sei'n Sie ruhig, Fräulein Luis,« sagte dieser würdevoll, »warum Ihr Bruder es so gemacht, weiß ich nicht, aber ich weiß, daß ich Ihnen glaube. Guten Tag, Fräulein Luis!«
Nicht zu lange nach diesem ritterlichen Dienst des Wachtmeisters saß Adelma spät Abends in dem erkalteten Vorzimmer, um auf ihre Dame zu warten, die noch in Gesellschaft war. Die übrigen Dienstboten, mit Ausnahme des Portiers, waren schon zur Ruhe gegangen, sie war allein in dem fremden Haus, – allein in der Welt. Doch nein, sie hatte heute eben einen Brief von der Mutter erhalten, einen Brief voll Liebe und Dank für ihre kindliche Hilfe, – aber sie fühlte sich doch einsam und unbefriedigt in tiefster Seele. Sie hatte ihren Dienst angetreten, wie eine Maskerade, sie hatte ihren Stolz dareingesetzt, ihn mit äußerster Pünktlichkeit zu versehen, aber wie sie ihn versah unter fremdem Namen, so war auch ihr Herz nicht dabeigewesen: schweigsam, im Gefühl tiefer Herabwürdigung, wie eine beleidigte Unschuld hatte sie streng und sorgsam ihre Pflicht gethan; aber eine Pflicht, sie sei auch anscheinend noch so äußerlich, muß mit dem Herzen gethan werden, sonst bleibt sie drückend und innerlich unbelohnt.
So fühlte sie sich denn sehr allein und nicht glücklich trotz des großen und nicht vergeblichen Opfers, das sie den Ihrigen gebracht – sie war im Zweifel, ob sie den rechten Weg gewählt, sie sah die Gegenwart freudlos, – die Zukunft ohne Hoffnung, es war eine schwere Stunde. Da klang rascher als sonst der feste, dienstliche Schritt des Wachtmeisters auf dem Gang, unwillkürlich klopfte ihr Herz und richtete ihr Haupt sich auf; es war doch ein Mensch, der einzige Mensch ihrer Umgebung, mit dem sie so zu sagen auf rein menschlichem Verkehrsfuße stand. »Was führt Sie so spät noch her, Herr Wachtmeister?« fragte sie, als er etwas außer Athem, mit erregter Miene, wie sie ihn nie gesehen, vor ihr stand. »Haben Sie noch einen Rapport? Der Herr General ist abwesend.«
»Mein Rapport lautet an Sie, Fräulein Luis,« begann er, und seine ehrlichen blauen Augen glänzten in einem Feuer, das sie nie gesehen. »Ich habe all' meine Wünsche erreicht. Durch des Herrn Generals Vermittlung ist mir für besondere Leistungen auf der Kanzlei eine ansehnliche Zulage verwilligt und Heirathserlaubniß ertheilt worden; durch den Tod meines Vatersbruders, des Bürstenbinders Steinhuber, ist mir ein gar nettes, kleines Wohnhaus mit Gärtchen in der Vorstadt zugefallen, und ich habe die Vergünstigung, daselbst und nicht in der Kaserne meine Wohnung nehmen zu dürfen; Fräulein Luis,« seine Stimme stockte vor innerer Bewegung, »wollen Sie das mit mir theilen?« – »Es ist freilich,« hub er wieder an, als sie schwieg, »jetzt kaum eine Zeit, wo ein Soldat daran denken sollte, ein Bündniß zu schließen, und ich werde auch nicht zurückbleiben, wenn's los geht, aber – ich denke, gerade weil man nicht weiß, wie's kommt, ist doch ein rechtschaffenes Frauenzimmer am Besten geschützt bei einem braven Mann – und für den Fall, daß ich falle, ist auch für Sie gesorgt.«
Noch immer saß Adelma still, das Haupt in die Hände gesenkt. »Ich weiß wohl,« sagte er, etwas weniger sicher, »ein so feines und vorzügliches Frauenzimmer wie Sie hätte wohl noch etwas Besseres abwarten können, aber sehen Sie, ich mein's redlich, und – gewiß und wahrhaftig, Sie sollten es gut bei mir haben.«
Die Rednerkunst des ehrlichen Mannes war zu Ende und Adelma war noch immer still; einen Augenblick empfand sie das wohlthuende Gefühl, das jedes Mädchenherz empfinden muß, das sich von einem rechten Mann in ehrenhafter Weise geliebt und gesucht weiß. Dann aber zuckte ein tiefes, schmerzliches Weh durch ihr Herz, und erschrocken sah der redliche Werber den traurigen Ausdruck ihres Gesichtes. »Wie gut sind Sie, lieber Herr Steinhuber,« – zum erstenmale nannte sie ihn bei seinem Namen, – sagte sie mit bewegter Stimme, »Sie wählen ein armes, dienendes Mädchen, deren Familie, deren Vergangenheit Sie nicht einmal kennen …«
»Bitte, Fräulein Luis,« sagte er beruhigend, »das darf Sie nicht kümmern, Sie sind tugendhaft und rechtschaffen, ich frage nur nach Ihnen, sonst nach gar nichts; meine Eltern und Voreltern sind zwar lauter rechtschaffene Leute von strengen Sitten gewesen, aber meine selige Mutter selbst könnte kein besseres Frauenzimmer für mich wünschen als Sie.« Ihre feine, gebieterische Erscheinung hatte wohl den Gedanken in ihm erregt, als sei sie vielleicht ein nicht gesetzmäßiger Sprosse aus vornehmem Stamm.
»Sie meinen es so herzensgut, so redlich mit mir,« sagte Adelma wieder erröthend über die Vermuthung, die in seinen Worten lag, »aber ich kann nicht – gewiß, bester Herr Steinhuber, ich kann nicht.«
»Ich bin,« fuhr sie etwas zögernd fort, als er sie mit trauriger Ueberraschung anblickte, »ich bin nicht ganz, für was Sie mich halten. Mein Name ist Adelma Kamphausen, mein Vater war der Bankier dieses Namens; nach seinem Tode habe ich Dienste unter fremdem Namen genommen, um meine Familie, über die viel Unglück gekommen war, zu unterstützen … O, hätte ich es nicht gethan! Ich sehe jetzt, daß sich jede Unwahrheit rächt. – Sie meinen es so gut; aber – ich kann wirklich nicht … um meiner Familie willen …« Ihr sonst so stolzes Auge senkte sich tief vor dem ernsten, unsäglich traurigen Blick, den der schlichte Mann auf sie heftete. »Das sehe ich nun wohl,« sagte er langsam, »daß Sie nicht können, und ich fühle auch, daß es nicht Stand und Familie allein ist, was zwischen uns steht. Ich wollte freilich, daß ich's gewußt hätte; ich habe mich so sehr, so sehr gefreut, als ich glaubte, daß ich Sie glücklich machen könne; – das ist nun alles vorbei.«
Er wandte sich zum Gehen. »Oh, Sie müssen nicht so fort von mir!« bat Adelma. »Es thut mir so von Herzen leid, bitte, verzeihen Sie mir!«
»Wenn Sie glauben, daß ich etwas zu verzeihen habe, so sei es Ihnen recht von Herzen verziehen,« sagte der Wachtmeister und bot ihr seine Hand. »Ich trage Ihnen Nichts nach, wahrhaftig nicht, und es soll doch nicht vergeblich gewesen sein, daß wir uns gekannt haben! Leben Sie wohl, Fräulein Luis!«
Nicht so fest und klingend wie sonst tönte diesmal sein Schritt den Gang entlang. War es Fräulein Adelma Kamphausen, die stolze feinerzogene Tochter des Bankiers, die gerade im Unglück ihr Haupt noch stolzer erhoben hatte, dies Fräulein, um die ein Wachtmeister, ein Mann, der vom Gemeinen aufgedient, der einst Stiefel gewichst hatte, zu werben gewagt? Und sie erglühte nicht vor Aerger und Scham, und sie lachte nicht höhnisch über den seltsamen Mißgriff, sie warf auch nicht verächtlich ihr Haupt in die Höhe? Nein, sie senkte den Kopf auf die Arme, und weinte lange und bitterlich, weinte, als ob sie ein Glück unwiederbringlich verloren, weinte, ohne daß sie recht wußte, warum? Nicht eben aus Reue, denn als sie schweigend ihre heimgekehrte Herrin entkleidet hatte und sich todtmüde niederlegte, sagte sie sich doch noch: »Ich konnte nicht.«
Und der Wachtmeister griff nicht nach einer Pistole, um seinem Leben und seinem Leide ein Ende zu machen, er schloß sich nicht ab in finstrem Trotz gegen das hochmüthige Geschöpf, dem er vergebens sein Bestes zu Füßen gelegt, er suchte auch nicht mit lustigen Kameraden sein Herzeleid zu vergessen und zu ertränken, – er stieg hinauf zu der Dachkammer des armen Kandidaten neben der Kaserne, und länger als sonst sah man von da an dort oben noch das nächtliche Licht brennen.
Zehn Jahre waren vorübergegangen seit jenem Abschied, zehn schwere, inhaltreiche Jahre, schmachvolle und glorreiche Jahre für Deutschland, in denen wohl ein kleines Menschengeschick in Vergessenheit kommen konnte. Jetzt, im Jubel der Friedensfeier war Schmach und Leid der Heimath vergessen, und ein Strahl der allgemeinen Freude drang auch in ein stilles, dunkles Zimmer, wo ein einsames, vergessenes Mädchen saß, – Adelma Kamphausen.
Ihr Leben in all dieser Zeit war kein sehr wechselreiches gewesen. Die unglückliche Werbung des Wachtmeisters war damals nicht verborgen geblieben, sie selbst hatte nicht mehr vermocht, den fremden Namen beizubehalten und ihr Verhältniß zu der Generalin war dadurch ein unhaltbares geworden, obwohl man sich in gutem Frieden und mit den besten Wünschen trennte. Der Wachtmeister hatte sie nicht mehr gesehen, er hatte auf einige Zeit Urlaub genommen.
Adelma war zu ihrer Mutter zurückgekehrt und das Ausruhen am Mutterherzen, die Liebe Bruder Ewald's, das gänzliche Losgebundensein von einer immerhin etwas schiefen Stellung hatte ihr unbeschreiblich wohl gethan.
Allzulange hatte es sie aber nicht in dieser Ruhe gelitten. Die Verhältnisse der Mutter waren sehr beschränkt, die Abhängigkeit von der Tante, so gut und wohlmeinend diese war, doch drückend. Adelma hatte wohl gewußt, daß hier nicht ihre Heimath war, auch sah sie, daß ihre Unterstützung nun hauptsächlich um Ewalds willen noch sehr von Bedeutung sei, denn immer und immer hoffte die Mutter von einer neuen Kur, einem anderen Arzte Genesung und Erstarkung für den Knaben. Bruder Adolph, immer noch im Werben um seine Lea begriffen, hatte Ewald einmal seine abgelegte silberne Uhr geschickt und versichert, es sei ihm gerade jetzt unmöglicher als je, seine ökonomischen Kräfte zu zersplittern, – so trieb es Adelma um der Mutter und ihrer selbst willen wieder hinaus zu lohnender Thätigkeit.
Eine der wenigen getreu gebliebenen Freundinnen der Mutter, die diese in ihrer Verbannung noch besuchte, half ihr denn zu einer Stelle, »wie geschaffen für sie, eine so nette Stelle, so vortreffliche Behandlung, so sehr guter Gehalt – bei zwei alten Leutchen, Baron und Baronesse von Heim auf einem entlegenen Gute in Bayern, – gleichsam nur als Tochter, als Pflegerin, – und alt sind die Leutchen, – ist zwar ein entfernt verheiratheter Sohn vorhanden, mit vielen Kinderlein behaftet – aber, Sie verstehen, ein ansehnliches Legat kann da nicht ausbleiben …«
Adelma trat diese Stelle an, und die Beschreibung, die sie der Mutter nach den ersten vier Wochen von ihrem Aufenthalte auf Schloß Heimburg machte, hätte so ziemlich nach zehn Jahren noch gepaßt. Es waren ihr, so scheint es, nicht zu schwere Prüfungen zugedacht, sie hatte auch hier nicht viel zu leiden von Stolz und Härte, es war ein stilles, im Ganzen friedliches Leben, das sie führte, aber die Windstillen des Lebens sind oft viel schwerer zu ertragen als seine Stürme. Regelmäßigkeit ist eine schöne Sache, wo sie Hand in Hand geht mit gesunder, lebendiger Thätigkeit, die spiegelglatte Stille des See's ist gar anmuthig, wenn im Grunde frische Wasser quellen, die Stille des See's, der keinen lebendigen Zufluß hat, wird zum Sumpfe.
Das alte Paar, das sie töchterlich zu bedienen hatte, hatte längst den Verkehr mit der Außenwelt abgebrochen wegen der Taubheit des Herrn Baron und der allgemeinen Kränklichkeit der Frau Baronin. Ihre verschiedenen Leiden bildeten das Hauptthema des Gesprächs bei der Dame des Hauses. Adelma wußte, daß die Antwort auf ihre Frage am Morgen: »Wie haben die Frau Baronin geruht?« zwischen »ganz schlecht,« »erbärmlich« und »miserabel« wechselte, die Detailausführung folgte dann beim Frühstück, wo sie dem Gatten zu seiner Erbauung ihre Drangsale in's Ohr schrie: » Die Stiche heut Nacht! Es sitzt jetzt wieder mehr im Rücken.« »Bei mir im Fuß,« brummte der Baron in tiefem Baß. »Im Magen ist's bei mir auch nicht ganz richtig,« gellte wieder die Frau. »Bei mir im Kopf,« brummte er.
Es wurde diese Dienstzeit, deren Forderungen in der That nicht schwer waren, da der Baron noch einen Diener zu seiner persönlichen Hilfe hatte, dies Leben ohne Wechsel, ohne Freude, ohne Liebe, ohne Genuß, zum unerträglichen Joch für Adelma; jetzt erst fühlte sie, welche Wohlthat in dem gleich freudlosen wenn auch bewegteren Leben bei der Generalin der Wachtmeister gewesen war – der doch noch ihr Vermittler gewesen mit der Außenwelt; – die alte Bötin, mit der sie hier eine Art von Freundschaft schloß, konnte jenen biedern Freund nicht ersetzen. Sie dachte in der Stille ihres jetzigen Lebens gar viel an ihn, und so oft sie sich auch sagte: »Ich konnte nicht,« so oft fühlte sie doch einen leisen Stich im Herzen, wenn ihr seine traurigen Augen beim Abschied einfielen.
Und doch lernte Adelma in der freudlosen Stille, die über Schloß Heimburg lag, ein Kleinod suchen und finden, das sie vermißt, aber kaum gekannt hatte, in aller frühern Bewegung von Freud und Leid; sie lernte ein stilles Herzensleben führen mit dem Herrn, nicht in süßer Schwärmerei, die aus reiner Quelle kommen kann, aber doch nur bunter Schaum ist, – nein in tiefem Ernst und gesunder Wahrheit.
Das Tagesleben so vieler Menschenkinder, die auch gern fromm sein wollen, gleicht einem schlechten oder doch mittelmäßigen Bilde in edler Fassung. Zwischen dem Morgen- und Abendgebet, das sie oft mit wirklicher, herzlicher Andacht sprechen, liegt ein Tag mit seinen Mühen und Freuden, seinem Schaffen und Sorgen, ohne Licht von oben: ein Tagewerk, wie es ein ordentlicher Heide eben so gut vollbringen könnte, und ist der Tag zu Ende, so muß man recht wie aus einer andern Welt wieder zurückkehren, um sich zu sammeln zum Gebet, das, wenn auch ernstlich gemeint, doch nur ein Samenkorn bleibt auf Stein geworfen oder unter Dorn und Distel gestreut, das nicht Wurzel fassen, nicht edlen Samen tragen kann; man kehrt nicht heim wie ein Kind an's Vaterherz, man klopft als Fremdling immer wieder an die Thore.
Hier, in ihrer Herzenseinsamkeit, lernte Adelma erst, wie süß es ist, als Kind im Vaterhause zu leben, unter den Augen des Vaters, aus seiner Hand das tägliche Brod zu nehmen, zu ihm aufzusehen in jeder kleinen Herzensnoth; wie so viel süßer, als ein Leben, sei es auch nicht das des verlorenen Sohnes, der dem Vater und der Heimath den Rücken gewandt und in Sünde und Schande lebte, so doch das des Taglöhners, der harte Arbeit thut um einen Groschen bezahlten Lohns, ohne darum ein Kindesanrecht zu haben auf das Vatererbe.
Und mit diesem Kindesgefühl, das über sie kam wie ein wunderbares Glück, fand sie, was ihr immer gefehlt hatte: den Blick für die kleinen Blumen, die am Wege wachsen, auch auf dürrer Haide, wo nie die volle Blüte und Herrlichkeit des Frühlings aufgeht, ein Herz für die kleinen Leiden und Freuden ihrer Umgebung, den Sinn für die bescheidenen Genüsse, die doch auch ihre jetzige Lage bot.
Der Schloßgarten zu Heimburg war in sehr verfallenem Zustand, seit die gnädige Herrschaft die freie Luft nicht mehr ertragen konnte, aber Adelma machte Entdeckungsreisen in dem verwilderten Grunde, fand hie und da noch Trümmer ehemaligen Glanzes: fand noch Rosen und Hyazinthen unter den Grasblumen und legte sich mit Jeans, des Dieners, Hilfe in dessen seltnen Freistunden doch ein verfeinertes Gärtchen an. Jean vertraute ihr seine Liebessorgen und Hoffnungen an, in Bezug auf das Bauerntöchterlein, das Butter und Eier auf's Schloß brachte, die freilich ihre Erfüllung nur finden konnten in dem »dereinstigen seligen Ableben des gnädigen Herrn,« wo er auf ein hübsches Vermächtniß hoffte; sie wurde die Freundin der kleinen Kinder vom Dorfe, die sich hie und da an die Pforte des Schloßgartens wagten, der ihnen immer noch als eine Art von Zaubergarten erschien, – kurz, wie das Auge sich an die Dunkelheit eines Kerkers gewöhnt und allmälig Gegenstände entdeckt, so hatte sich ihr die Einförmigkeit ihrer Existenz belebt, und sie konnte kaum glauben, daß es schon zehn Jahre seien, seit sie hier lebte.
Nicht, daß nicht hie und da neben allem innern Frieden, den sie gefunden, der natürliche Wunsch nach menschlichem Leben, Lieben und Freuen sich in ihrem Herzen geregt hätte, nach einer eigenen Heimath: während ihr oft schien, als sei bei diesem »ermüdenden Gleichmaß der Tage,« die Zeit stille gestanden und sie nicht älter geworden als damals, wo sie von der Generalin gegangen, so kam sie sich zu andern Zeiten ungeheuer alt vor und war ganz und gar verzichtend auf Alles, was Glück heißt hienieden.
Mich hat der Herbst betrogen,
Der Mutter sei's geklagt;
Die Schwalb' ist weggeflogen
Und hat mir's nicht gesagt.
Selbst die Zeit, die große bewegte Zeit voll gewaltiger Ereignisse, die zu jenen Tagen so ganz anderen Schwunges dahinbrauste als in Tagen zahmen Friedens, war nur wie von ferne an ihr vorübergerauscht. Zwar las oder vielmehr schrie sie dem Baron die Zeitungen vor, da dieß aber bei seiner Taubheit sehr schwierig war, so bestand seit alter Zeit die Einrichtung, daß der geistliche Herr im Dorfe alle überflüssigen Blätter zurückbehielt und nur das Nöthigste mit Röthel anstrich, auch hatte sie immer reichlich genug, wenn sie mit diesem Nöthigsten fertig war; die Zeitungen selbst behielt aber der Herr Baron zur Hand und sie lernte sich bald mit den allgemeinen Umrissen begnügen, die ihr auf diese Weise bekannt wurden, und die freilich noch bewegend und großartig genug waren. Das Schloß selbst blieb durch große Opfer des Herrn Barons von Einquartierung und Kriegslasten verschont. Doch ihr Herz hatte mitgeschlagen bei der Erhebung ihres Volkes und sie mußte oft an ihren alten getreuen Freund denken, der gewiß nicht zurückgeblieben war, wenn er nicht schon in den ersten Kämpfen als Opfer gefallen. Sie hatte nie wieder von ihm gehört, und glaubte ihn unter den Todten.
Viel politisches Mitgefühl fand sie freilich nirgends. Die Mutter war viel zu sehr in eigenem Leid und Sorgen befangen, um ein Herz für ihr Volk zu finden. Ewald war vor einem Jahr gestorben, nachdem Mutter und Schwester die äußersten Opfer gebracht, um das zarte Leben zu kräftigen und zu erhalten. Bruder Adolph hatte endlich seine Lea errungen, aber seine Dienstjahre schienen damit nicht zu Ende zu sein, wenigstens schrieb er immer mit großem Bedauern, daß seine Verhältnisse, gerade weil sie jetzt so sehr günstig seien, so viele Geldmittel in Anspruch nähmen, daß ihm immer noch nicht möglich sei, mehr für die Mutter zu thun, als seine liebe Frau bereits gethan; – dies »Thun« der lieben Frau beschränkte sich auf ein seidenes Kleid, das sie bei ihrem ersten und letzten Besuch der Schwiegermama mitgebracht hatte. Adelma, deren Vorname der Schwägerin sehr gefiel, war in Gnaden zur Hochzeit geladen worden, hatte aber dankend abgelehnt.
Alfred und Eugen hatten mit Hilfe von Stipendien ihre Studien ordentlich beendet. Alfred war Referendarius und Eugen hatte eine Stelle als Unterarzt beim Militär gefunden. Die Mutter, schwer gebeugt durch ihres Lieblings Tod, schien das Gnadenbrod bei ihrer Schwester oft etwas bitter zu finden und Adelma sehnte sich darnach, irgendwo in einem stillen Winkel der Erde mit der Mutter zusammen zu leben und ihr den Lebensabend leichter zu machen. Aber dazu fehlten die Mittel nach so großen Opfern, die für Ewald gebracht worden waren; auch hätte Adelma nicht gerne die alten Leute verlassen, sie fühlte, daß sie ihnen fast unentbehrlich war, wenn es auch mehr ein Band der Gewohnheit als wirklicher Zuneigung war, das sie zusammenhielt, und so war ihr Zukunftsplan beinahe wie der des Jean auf das »dereinstige selige Ableben des gnädigen Herrn« ausgesetzt.
An einem goldigen, sonnigen Tag im Spätherbst, die da sind wie ein Abschiedsgrüßen der Sonne an die Erde, einem Tage, wo sich auch in Menschenherzen der Trieb und die Sehnsucht regt, noch einmal hinauszuziehen, sich des Lebens und der Erde zu freuen, ehe der Winter seine Decke breitet über Farbe und Leben, saß Adelma einsam im Schloßgarten. Der Herr Baron hielt sein Mittagsschläfchen; die Frau Baronin, die wie sie sagte, wegen ihres Magenleidens zu beständigem Hungertode verurtheilt war, genoß ihre kleine Privatmahlzeit, die sie jederzeit allein zu sich nahm, – Adelma saß an ihrem Lieblingsplätzchen, einer alten Bank unter einem breitastigen Nußbaum. Die Sonne schien herrlich, aber sie schien auf buntes Laub; auch der Boden war mit welken Blättern bedeckt. Es war Adelma recht herbstlich zu Muth. Sie ließ ihr ganzes vergangenes Leben an sich vorüberziehen, – sie konnte es im Frieden thun, sie hatte gelernt, das Leben in höherem Lichte zu sehen und die Schatten darin waren nicht zu dunkel.
Auch der »biedere Freund« tauchte wieder auf in ihren Gedanken und sie gedachte seiner in herzlicher Freundschaft als eines Geschiedenen; Einmal hätte sie ihn gerne noch auf Erden sehen mögen, Einmal ihm recht herzlich die Hand bieten und ihn bitten mögen, ihr zu verzeihen, daß sie ihn, wenn auch unbewußt, getäuscht hatte, und ihm sagen, daß sie ihm doch in treuer Freundschaft zugethan geblieben sei, – auf Erden aber glaubte sie, würde es wohl nicht mehr dazu kommen.
War ihr Träumen Leben geworden? Hörte sie nicht wirklich den alten, festen, klingenden Tritt durch den Gang? Sie blickte rasch auf, – nein, das war nicht der Wachtmeister! Diese stattliche Mannesgestalt in vollem militärischem Schmuck, die Brust mit Orden bedeckt! – Verlegen erhob sie sich, und doch – wie er ihr näher trat – freilich zog sich eine Narbe über sein Gesicht, aber – es waren die alten, ehrlichen, blauen Augen des Wachtmeisters und wie in alter Zeit legte er zu militärischem Gruße die Hand an's Kasket und sagte: »Guten Abend, Fräulein Luis!«
Verwirrt, betäubt, wie im Traume sah Adelma hinauf an dem wirklich schönen, hochgewachsenen Manne; ja, es war der Wachtmeister, aber ihr dünkte, er habe jenes geheimnißvolle Bad Aladdins genommen, aus dem der Jüngling nicht nur neu gewaschen, in glänzenden Gewändern, aus dem er auch mit erleuchtetem Geiste und geöffnetem Verständniß für das Leben und für seine künftige Hoheit hervorgegangen war, – es war ein anderes Licht aufgegangen in diesen treuherzigen Augen.
»Nun, Fräulein Luis, oder Fräulein Adelma,« begann er wieder, denn sie blieb stumm, »Sie werden doch Ihren alten Freund wieder erkennen, den Wachtmeister, nun Oberst Steinhuber? Ich habe der Herrschaft droben meine Karte hinterlassen, hoffe aber, ich dürfe Sie hier ungestört begrüßen; bitte, laufen Sie mir nicht davon, lassen Sie uns ein wenig reden von alten und neuen Zeiten,« und er führte sie mit ritterlichem Anstande zu der Bank zurück und setzte sich neben sie.
Ja, das war in der That eine mährchenhafte Verwandlung und die Rollen waren getauscht. Es lag eine beschirmende Sicherheit, ein ruhiges Selbstgefühl ohne Erhebung in dem ganzen Wesen des Mannes, der sich Fuß für Fuß seinen Weg durch die Welt erkämpft hatte, so daß Adelma, die einst hochfahrende, im Unglück noch so stolze Adelma, sich schüchtern wie ein Kind, und doch wieder gehoben und geborgen an seiner Seite fühlte.
»Zunächst lassen Sie mich gestehen, Fräulein Adelma,« begann der Oberst, »daß ich Ihnen Alles verdanke, was ich geworden bin: jenem Nein, das mir so bitter weh gethan, das ich aber damals schon wohl verstanden. Ich fühlte bald, daß es nicht der Unterschied der äußeren Stellung war, der sich ja bei einem Soldaten möglicherweise aufheben konnte, was uns trennte, und ich wurde von diesem Tage an ein fleißiger Schüler meines armen Kandidaten. War keine leichte Schule, Fräulein Luis, aber, um ehrlich zu sein, was ich zuerst nur erlernen wollte, um Ihrer würdig zu werden, das that ich dann gern um der Sache selbst willen. Nachdem die ersten schweren Schritte gethan waren, fand ich herzliche Freude an dem neu eroberten Gebiet des Wissens, wenn auch freilich die Eroberungen eines so alten Knaben sehr bescheiden geblieben sind, und es hätte nicht viel gebraucht, so hätte ich die Kugelbüchs mit der Feder vertauscht. Das kam nun freilich anders, als die Wetter von allen Seiten losbrachen, als ich die Waffen, die ich mit Zähneknirschen getragen, so lange das fremde Gesindel bei uns hauste, nun schwingen durfte für mein Vaterland. Ich denke, ich bin nicht dahinten geblieben, aber das Wissen, das ich mir um Ihretwillen erworben, wie lückenhaft es auch war und bleiben wird, – das hat mir den Weg zur Beförderung mit gebahnt, so gut wie mein Arm und mein Säbel. Ich hatte mir gelobt, nicht mehr vor Sie zu treten, bis ich es könne als ein Würdigerer; ich mußte es darauf wagen, Sie nicht mehr frei zu finden, – dann, dachte ich, sei es nicht der Wille des Herrn gewesen, daß wir zusammen kommen, und ich hätte es tragen können als ein Mann, wie ich Ihr Nein getragen. Nun erst, wo der Friede mir gestattete, mich frei zu machen, suchte ich Ihre Spur; wer weiß, ob ich sie gefunden, wenn der Zufall mir nicht den jungen Militärarzt, der meine letzte Wunde verbunden, zum Freunde gemacht und mich durch diesen auf die Spur seiner Schwester geführt hätte, die er liebte und ehrte als den guten Engel seines Hauses. Da bin ich nun endlich, Fräulein Luis, Adelma, werden Sie wieder Nein sagen?«
Adelma saß noch immer unbewegt, gesenkten Hauptes wie im Traum. War denn wirklich der Königssohn gekommen, um die Prinzessin heimzuführen aus der Knechtschaft? Ach, sie hatte das Prinzessinbewußtsein längst verloren. Und doch ging es nicht so rasch, als der sieggewohnte Kriegsmann sich gedacht. Der Mädchenstolz flüchtet sich in allerlei Schlupfwinkel. War der Wachtmeister zu niedrig gewesen für Fräulein Adelma, so stand nun der Oberst, der schöne, stattliche Mann, in der rechten Kraft und Blüthe des Mannesalters, zu hoch für das arme, verblühte, dienende Mädchen, – er solle sich eine jugendliche blühende Braut heimführen, – sie wolle seine treue Freundin bleiben; es war ihr so Ernst mit ihrer Weigerung, mit diesem Vorschlag, daß der arme Oberst nahe daran war, ihr zu glauben und abzuziehen in Traurigkeit und Herzeleid.
Was er versucht und unternommen, um die Langersehnte doch zu erwerben, wie er es angegriffen, um auch den Stolz der Demuth zu besiegen, – das ist des Näheren nicht bekannt worden.
Nur das Eine wurde mir erzählt, daß eines kalten Morgens die Wittwe Kamphausen recht allein und trübselig in ihrem sonnenlosen Stübchen saß, das sie nicht wagte wärmen zu lassen, weil die Schwester so klagte über den theuren Holzverbrauch, daß die Thüre des Stübchens unversehens aufging, und, gebückt durch den niedern Eingang, im hellen Glanz der Wintersonne, die durch das Gangfenster hereinströmte, ein schönes, stattliches Paar eintrat. Der Kavalier war ein preußischer Oberst, so stolz und ritterlich im Schmucke seiner wohlverdienten Ehrenzeichen, wie die beste Zeit Deutschlands nur je einen hervorgebracht. Die schlanke Dame im grauen Seidenkleide an seiner Seite blühte freilich nicht mehr im ersten Jugendglanze, Frau Kamphausen aber fand sie doch schön, weil ihre schwarzen Augen in so seelenvollem Lichte glänzten, wie sie es nie in ihren jüngsten Tagen gesehen, und weil es ihr eigen liebes Kind Adelma war, das sie mit Lächeln und mit Weinen in den Armen hielt.
Es war alles gut geworden. Die unerhörte Begebenheit, daß Fräulein Kamphausen, ihre geduldige Pflegerin und Gesellschafterin, als Braut eines so stattlichen Obersten vor sie trat, hatte die alte Frau Baronin dermaßen überrascht, daß sie einen ganzen Tag lang weder Reißen, Drücken noch Stechen verspürt hatte, und das geheimnißvolle Es, das allenthalben herumzog, ganz und gar fortgezogen schien; Es kam nun freilich wieder, als vielerlei Kreuz über die alte Dame hereinbrach und das selige Abscheiden des alten Herrn in Wahrheit erfolgte. Doch trat bei diesem traurigen Ereigniß eine Versöhnung ein mit ihrem Sohne, der wegen einer Mißheirath seit langen Jahren vom Schloß seiner Väter verbannt gewesen, und die Schwiegertochter und die älteste Enkelin wurden noch sanftere und geduldigere Pflegerinnen, als Fräulein Adelma gewesen.
Die Mutter Adelma's durfte nun ruhen von Leid und Sorgen und sich freuen an dem Glück ihrer Kinder. Selbst der arme Kandidat wurde noch aufgefunden und erhielt durch des Obersten Verwendung im Spätherbst seines Lebens eine einträgliche Patronatspfarre, also daß er, dem Beispiel seines Schülers und Beschützers folgend, noch in irgend einem Winkel Deutschlands ein verschollenes, etwas eingeschrumpftes Bräutchen hervorholen und zur glückseligen Pfarrfrau machen konnte.
Adelma nahm sich seiner mit besonderer Fürsorge an, weil sie so gern von ihm erzählen hörte, welch eifriger und ernstlicher Schüler der Herr Oberst vor Zeiten gewesen, und welch unglaublich rasche Fortschritte er gemacht.
Und wenn sie in glücklicher Unterordnung gern anerkannte, wie Ernst und Beharrlichkeit des männlichen Geistes bald und siegreich überholen kann, was bei Frauen als Wissen und hohe Bildung gilt, so durfte ihr Gatte dagegen ihr freudig zugestehen, auch als sie den Rang ihrer ehemaligen Herrin, der Frau Generalin eingenommen, daß sie nicht vergebens gelernt in der Schule der Demuth.