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Eine Studie in Grün.
Man hat es von je den Künstlern und den Männern der Wissenschaft zum Vorwurf gemacht, es fehle ihnen an Ganzheit und Vollständigkeit des Wesens. In der Regel kann das nicht anders sein. Jede Konzentration des Blickes und die Anspannung aller Kräfte auf ein Ziel hin, die das künstlerische Temperament auszeichnen, bedingen an sich schon eine Begrenzung. Wer sein ganzes Sinnen auf die Schönheit der Form richtet, dem scheint kaum noch etwas anderes wesentlich zu sein. Doch es gibt Ausnahmen. Rubens diente als Gesandter, Goethe war Minister und Milton Cromwells lateinischer Sekretär. Sophokles bekleidete ein bürgerliches Amt in seiner Vaterstadt; die Humoristen, Essayisten und Novellisten des modernen Amerika haben keinen höheren Wunsch, als den, die diplomatischen Vertreter des Landes zu werden; und Charles Lambs Freund, Thomas Griffiths Wainewright, von dem dieser kurze Aufsatz handelt, hatte ein bedeutendes künstlerisches Temperament und diente doch noch vielen anderen Herren: er war nicht nur Dichter und Maler, Kunstkritiker, Antiquar und Prosaschriftsteller, ein Liebhaber alles Schönen und ein Dilettant in allen gefälligen Künsten, sondern auch ein Betrüger von nicht gewöhnlicher und geringer Begabung, und als heimlicher, verschlagener Giftmischer steht er in unserer wie in jeder Zeit fast ohnegleichen da.
Dieser außerordentliche Mann, gleichermaßen des Giftes und Stiftes und Schrifttums mächtig, wie ein großer Dichter unserer Tage von ihm gesagt hat, wurde 1794 zu Chiswick geboren. Sein Vater war der Sohn eines hervorragenden Anwalts an Grays Jun und Hatton Garden. Seine Mutter war eine Tochter des berühmten Dr. Griffiths, der die » Monthly Review« gründete und herausgab und sich an noch einem andern literarischen Unternehmen beteiligte, nämlich dem des berühmten Buchhändlers Thomas Davies, von dem Johnson sagte, er sei kein Buchhändler, sondern ein »Gentleman«, der sich mit dem Verkauf von Büchern beschäftige. Er war mit Goldsmith und Wedgwood befreundet und einer der bekanntesten Männer seiner Zeit. Frau Wainewright starb bei der Geburt des Kindes im jugendlichen Alter von einundzwanzig Jahren, und eine Todesnotiz im » Gentlemans Magazine« berichtet von ihrem »liebenswürdigen Charakter und ihren vielen Talenten«, und fügt etwas geziert hinzu, »man sage, daß sie Lockes Schriften besser als irgendein Lebender verstanden habe«. Der Vater überlebte seine junge Frau nicht lange, und es scheint, der Knabe wurde von seinem Großvater, und nach dessen Tode, 1803, von seinem Onkel George Edward Griffiths, den er später vergiftete, aufgezogen. Seine Kindheit verlebte er im Linden House zu Turnham Green, in einem jener vielen schönen Häuser aus Georgischer Zeit, die leider seither durch das Eindringen der vorstädtischen Bauunternehmer verschwunden sind. Seinen schönen Gärten und dem schön bestandenen Park verdankte er die einfache und leidenschaftliche Liebe zur Natur, die ihn in seinem ganzen Leben nicht verließ und die ihn für die feinen Eindrücke Wordsworthscher Dichtung so empfänglich machte. Er kam zu Charles Burney in Hammersmith in die Schule. Burney war der Sohn des Musikhistorikers, und nahe mit dem begabten Knaben verwandt, der einst sein bedeutendster Schüler werden sollte. Es scheint, er war nicht ohne Kultur, und Wainewright sprach in späteren Jahren mit großer Liebe von ihm als einem Philosophen, einem Archäologen und vortrefflichen Lehrer, der nicht übersah, wie wichtig die moralische Bildung in der Jugend sei, während er die geistige Seite der Erziehung nicht vernachlässigte.
Unter Burney entwickelte er zuerst seine künstlerischen Anlagen, und Hazlitt erzählt, das Skizzenbuch, das er auf der Schule benutzte, sei noch vorhanden und zeige großes Talent und natürliches Gefühl. In der Tat war die Malerei die erste Kunst, die ihn fesselte. Erst viel später suchte er sich mit der Feder oder dem Gift auszudrücken.
Vorher aber scheint er sich in kindlichen Träumen von der Romantik und Ritterschaft des Soldatenlebens haben fangen zu lassen und Gardist geworden zu sein. Aber das sorglose Leben der Zerstreuung, das seine Kameraden führten, befriedigte das feine künstlerische Temperament dessen nicht, der für andere Dinge geschaffen war. In kurzer Zeit war er des Dienstes müde. Mit Worten, die noch immer durch ihre flammende Offenheit und seltsame Glut ergreifen, sagte er: »Die Kunst berührte den Abtrünnigen, durch ihre reine und hohe Kraft wurden die widrigen Nebel gereinigt: meine ausgedörrte, heiße und getrübte Gefühlswelt wurde neu geboren zu kühler, frischer Blüte, einfach und schön für den Einfachen.« Aber die Kunst war nicht der einzige Grund seines Wechsels. Er fährt fort: »Die Schriften von Wordsworth trugen viel dazu bei, den verwirrenden Wirbel, der plötzliche Veränderungen stets begleitet, zu beruhigen. Ich weinte über ihnen Tränen des Glücks und Dankes.« Er verließ also das Heer mit seinem rauhen Kasernenleben und seinem rohen Gewäsch in der Mannschaftsstube und kehrte nach Linden House zurück, voll der reinen Begeisterung für die Kultur. Eine ernstliche Krankheit, die ihn, wie er selbst sagt, »wie ein Tongefäß zerbrach«, warf ihn für einige Zeit darnieder. Sein zarter Organismus war trotz seiner Gleichgültigkeit gegen fremdes Leiden, für eigenen Schmerz außerordentlich empfindlich. Er schrak vor dem Leiden zurück als vor etwas, was das menschliche Leben beschmutzt und verdirbt, und es scheint, auch er mußte durch jenes schreckliche Tal der Melancholie wandern, aus dem manche große, vielleicht größere Geister nie auftauchen. Doch er war jung – erst 25 Jahre alt – und bald kehrte er aus den toten schwarzen Wassern, wie er es nennt, zurück in die freie Luft humanistischer Kultur. Als er sich von der Krankheit erholte, die ihn fast bis zu den Toren des Todes geführt hatte, kam ihm der Gedanke, sich dem Schrifttum als einer Kunst zu widmen. »Ich sagte mit John Woodwill« – schreibt er – »es müßte ein göttliches Leben sein, in solchem Element zu wohnen,« tüchtige Dinge zu sehen, zu hören, zu schreiben!
»In solchen Lebens starken, wilden Trank
Mischt sich kein Tropfen der Vergänglichkeit.«
Es ist unmöglich, in solchen Worten nicht den Ruf dessen zu vernehmen, der eine wahre Leidenschaft für die Künste hatte. »Tüchtige Dinge zu sehen, zu hören, zu schreiben,« das war sein Ziel. Scott, dem Herausgeber des » London Magazine«, fiel das Genie des jungen Mannes auf, oder er geriet unter den Einfluß des merkwürdigen Zaubers, den er auf jeden ausübte; jedenfalls forderte er ihn auf, eine Reihe von Aufsätzen über Fragen der Kunst zu schreiben. So fing er an, unter mehreren phantastischen Pseudonymen, die Literatur seiner Zeit zu bereichern. Janus Wetterhahn, Egomet Bonmot, Van Vinkvooms, das waren einige der grotesken Masken, unter denen er seinen Ernst verbarg oder seinem Leichtsinn die Zügel schießen ließ. Eine Maske sagt uns mehr als ein Gesicht. Diese Verkleidung verstärkte seine Persönlichkeit. Er scheint in unglaublich kurzer Zeit seinen Weg gemacht zu haben. Charles Lamb spricht von dem »freundlichen, leichtherzigen Wainewright«, dessen Prosa »phänomenal« sei. Wir hören, daß er mit Macready, John Forster, Maginn, Talfourd, Sir Wentworth Dilke, dem Dichter John Clare und anderen, bei einem petit-diner sprach. Wie Disraeli, beschloß er, die Stadt als »Dandy« in Aufregung zu bringen, und seine herrlichen Ringe, seine antike Gemme als Busen-Nadel, und seine zitronenfarbigen Glacéhandschuhe waren überall bekannt, und Hazlitt sah sie sogar als Zeichen für den Beginn einer neuen Epoche in der Literatur an: Dazu gaben ihm sein reiches lockiges Haar, seine glänzenden Augen und seine schmalen weißen Hände das gefahr- und reizvolle Ansehen eines Mannes, der anders ist als die übrigen Menschen. Er hatte etwas von Balzacs Lucien de Rubempré. Zuweilen erinnert er an Julien Sorel. De Quincey sah ihn einmal. Es war auf einem Diner bei Charles Lamb. Er erzählt: »In der Gesellschaft saß unter lauter Männern der Feder ein Mörder«, und weiter schildert er, wie er an jenem Tage krank war und wie er den Anblick von Männern und Frauen haßte und sich doch dabei ertappte, daß er mit gespannter Aufmerksamkeit über den Tisch hinüber den jungen Schriftsteller beobachtete, unter dessen Geziertheit so viel ungeziertes Gefühl verborgen schien, und er malt sich aus, »welch anderes Interesse wohl plötzlich in ihm aufgeschossen wäre«, wenn er gewußt hätte, welches schrecklichen Verbrechens der Gast, dem Lamb so viel Aufmerksamkeit erwies, schon damals schuldig war.
Sein Lebenswerk ordnet sich ohne Zwang den drei Titeln unter, die Swinburne angab, und man kann zum Teil zugeben, daß er, abgesehen von seinen Errungenschaften auf dem Gebiet des Vergiftens, kaum etwas hinterlassen hat, was seinen Ruhm rechtfertigt.
Doch nur der Philister legt an die Persönlichkeit den gemeinen Maßstab des Schaffens an. Dieser junge »Dandy« suchte »etwas zu sein«, nicht etwas zu machen. Er wußte, daß das Leben selbst eine Kunst ist und so gut seinen Stil hat, wie die Künste, die es auszudrücken suchen. Aber auch sein Werk ist nicht gleichgültig. Wir hören, daß William Blake in der königlichen Akademie vor einem seiner Gemälde stehen blieb und es für »sehr schön« erklärte. Seine Essays nehmen vieles vorweg, was inzwischen zur Tatsache geworden ist. Es scheint, er habe einige jener Äußerlichkeiten der modernen Kultur vorausgenommen, die manche als das wahrhaft Wesentliche ansehen. Er schreibt über die Gioconda, frühfranzösische Dichter und die italienische Renaissance. Er liebt griechische Gemmen, persische Teppiche, Elisabethanische Übersetzungen von Amor und Psyche und die Hypnerotomachia, die Einbände jener Zeit, frühe Erstausgaben und weitrandige Abzüge. Er empfindet mit großer Schärfe den Wert einer schönen Umgebung, und wird nicht müde, uns die Räume zu schildern, in denen er lebte oder leben möchte. Er hatte jene merkwürdige Vorliebe für das Grün, die beim einzelnen immer das Zeichen eines künstlerischen Temperamentes ist, und bei Nationen eine Verweichlichung, wenn nicht die Auflösung der Sitten anzeigen soll. Wie Baudelaire liebte er die Katzen sehr, und wie Gautier bezauberte ihn jenes doppelgeschlechtliche, »liebliche Marmorungeheuer«, das wir noch in Florenz und im Louvre sehen können.
Natürlich zeigt sich an manchen Stellen seiner Schilderungen, daß er sich nicht völlig von dem falschen Geschmack seiner Zeit freimachen konnte. Doch es ist sicher, daß er als einer der ersten erkannte, welches der Schlüssel zum ästhetischen Eklektizismus ist; ich meine den wahren Einklang alles wahrhaft Schönen, ohne Rücksicht auf Zeit und Ort der Entstehung, ohne Rücksicht auf Schule und Stil. Er erkannte, daß wir, um ein Zimmer zum Bewohnen, nicht zum Vorzeigen auszustatten, nie nach einer antiquarischen Wiederherstellung des Vergangenen streben, noch uns mit irgendeinem Zwange historischer Genauigkeit beladen dürfen. In dieser künstlerischen Erkenntnis hatte er vollkommen recht. Alles Schöne gehört einer Zeit an.
So finden wir denn in seiner eigenen Bibliothek, wie er sie beschreibt, die zarte griechische Tonvase, mit ihren fein gemalten Gestalten und dem blassen ΚΑΛΟΣ leicht auf ihren Bauch geschrieben. Dahinter hängt ein Stich nach der Delphischen Sibylle Michelangelos oder die Pastorale Giorgiones. Hier steht ein Stück Florentinischer Majolica, dort eine rote Lampe aus römischen Gräbern. Auf dem Tisch liegt ein Stundenbuch in einer Mappe aus massivem vergoldetem Silber, in das zierliche Muster eingepreßt und kleine Brillanten und Rubinen eingesetzt sind, und dicht daneben kauert ein kleines, häßliches Ungetüm, vielleicht ein Lar, der auf den sonnigen Gefilden des kornreichen Siziliens ausgegraben wurde. Dunkle, antike Bronzen bilden das Gegenstück zu dem bleichen Glanz zweier schöner Christi Cruzifixi, deren eines aus Elfenbein geschnitzt, das andere aus Wachs geformt ist. Man sieht ihn vor sich, wie er mitten unter seinen Büchern, Abgüssen und Kupferstichen liegt, ein echter virtuoso, ein feiner Kenner, und in seiner Sammlung von Marc Antonios blättert oder in Turners Liber Studiorum, den er sehr bewunderte, oder wie er mit einer Lupe alte Gemmen und Kameen studiert: den Alexanderkopf auf einem zweischichtigen Onyx, oder jenen altissimo relievo auf einem Karneol mit dem Juppiter Aigiochos. Er war stets ein Liebhaber von Kupferstichen, und gibt einige nützliche Anweisungen, wie man am besten eine Sammlung anlegt. Denn so sehr er auch die moderne Kunst würdigte, so verlor er doch nie die Wichtigkeit der Wiedergabe großer Meisterwerke der Vergangenheit aus den Augen, und was er über den Wert von Gipsabgüssen sagt, ist bewunderungswürdig.
Als Kunstkritiker beschäftigte er sich in erster Linie mit dem Gesamteindruck eines Kunstwerks, und sicher ist das erste Erfordernis einer ästhetischen Kritik, seinen Eindrücken Gestalt zu geben. Er kümmerte sich wenig um abstrakte Erwägungen über das Wesen der Schönheit, und die historische Methode, die seither so reiche Früchte trug, gehörte noch nicht seiner Zeit an. Doch er kannte eine große Wahrheit: nämlich die, daß sich die Kunst zunächst weder an den Intellekt noch an das Gefühl wendet, sondern einzig an das künstlerische Temperament; und dieser »Geschmack«, wie er es nennt, wird unbewußt geleitet und erzogen durch die häufige Berührung mit den besten Werken, bis er endlich eine Art richtigen Urteils wird. Freilich: es gibt in der Kunst so gut wie in der Kleidung Moden, und vielleicht kann sich niemand unter uns ganz von den Einflüssen der Gewohnheit und der Neuheit freimachen. Sicherlich konnte er es nicht, und er erkennt offen die Schwierigkeit an, sich für zeitgenössische Kunst einen rechten Maßstab zu bilden. Aber im ganzen war sein Urteil gut und gesund. Er bewunderte Turner und Constable zu einer Zeit, als man von ihnen nicht so viel sprach wie heute. Er sah auch, daß zur höchsten Landschaftsschilderei mehr gehört, als bloßer Fleiß und genaues Abschreiben. Er bemerkt über Cromes »Heideszene bei Norwich«, sie zeige, was eine feine Beobachtung der Elemente in ihren wilden Launen über ein höchst gleichgültiges Stückchen Land vermag, und von dem gebräuchlichsten Landschaftstypus seiner Zeit sagt er, er sei nichts als eine Aufzählung von Hügel und Tal, Baumstümpfen, Sträuchern, Wasser, Wiesen, Hütten, Häusern; wenig mehr als Topographie, eine Art malerischer Landkarten, in der Regenbogen und Schauer, Nebel, Lichthöfe und große Strahlenmassen, die durch zerklüftete Wolken brechen, Stürme und Sternenlichter und all das wertvollste Werkzeug des wahren Malers fehlen. Er hatte einen gründlichen Abscheu vor allem, was nichtig und gemein ist in der Kunst, und während er mit Entzücken Wilkie zur Tafel empfing, kümmerte er sich wenig um Sir Davids Bilder oder Crabbes Gedichte. Mit den nachahmenden und naturalistischen Bestrebungen seiner Zeit sympathisierte er nicht und er gesteht offen, seine Bewunderung für Füsli stamme nicht zum wenigsten daher, daß der kleine Schweizer es für überflüssig hielt, daß ein Künstler nur das male, was er sieht. Was er in Bildern suchte, war Komposition, Schönheit und Würde der Linie, Reichtum der Farbe und Kraft des Gesichtes. Doch er war kein Doktrinär. »Ich denke, kein Kunstwerk darf nach Gesetzen beurteilt werden, die nicht aus ihm selbst abgeleitet sind: die Frage ist nur, ob es in sich geschlossen ist oder nicht.« Das ist einer seiner ausgezeichneten Aphorismen. Er beurteilte Maler der verschiedensten Richtung: Landseer, Martin, Stothard und Etty; und immer versuchte er, um eine klassisch gewordene Phrase zu gebrauchen: die Dinge zu sehen, wie sie an sich wirklich sind.
Doch wie ich schon sagte, fühlt er sich nie ganz in seinem Element, wenn er über zeitgenössische Kunstwerke redet. »Die Gegenwart, sagt er, erscheint mir ebenso angenehm verwirrt, wie Ariost beim ersten Lesen ... Das Moderne blendet mich. Ich muß die Dinge durch das Fernrohr der Zeit betrachten. Elia klagt, ihm sei der Wert eines geschriebenen Gedichtes immer ungewiß. Der Druck, sagt er vorzüglich, erledigt die Frage. Fünfzig Jahre Nachdunkeln tun den gleichen Dienst in der Malerei.« Er fühlt sich schon glücklicher, sobald er über Watteau redet oder über Lancret, über Rubens, Giorgione, Rembrandt, Correggio oder Michelangelo; am wohlsten wird ihm, wenn er über Griechisches schreibt. Die Gotik sagte ihm wenig, doch die klassische Kunst und die Renaissance liebte er immer. Er wußte, was die englischen Maler durch das Studium griechischer Vorbilder zu gewinnen hatten, und er wurde nie müde, den jungen Künstlern zu zeigen, welche künstlerischen Möglichkeiten in hellenischen Marmorn und hellenischer Art zu arbeiten verborgen lagen. In seinen Urteilen über die großen italienischen Meister, sagt de Quincey, »lag ein Ton von Offenheit und angeborener Empfindung, als spräche er für sich und schreibe nicht bloß andere Bücher aus«. Das höchste Lob, das wir ihm erteilen können, liegt darin, daß er den Versuch machte, den Stil als eine bewußte Überlieferung wieder zu erwecken. Doch wußte er, daß keine Fülle von Vorlesungen oder Kunstkongressen je dies Ergebnis zeitigen konnte. »Man muß«, sagt er mit tiefer Einsicht, »immer die besten Vorbilder vor Augen haben.«
Wie zu erwarten stand, ist seine Kunstkritik oft rein technischer Art. Denn er war ja selbst ein Maler. Von Tintorettos Bild: »Der heilige Georg befreit die ägyptische Prinzessin von dem Drachen«, sagt er:
»Das Gewand der Sabra, mit warmem preußischem Blau getönt, löst sich von dem bleichen grünlichen Hintergrund durch einen roten Schleier: und diesen vollen Farben antworten gleichsam in matteren Tönen die purpurnen Stoffe und die bläuliche Stahlrüstung des Heiligen; und der lebendigen Azur-Draperie im Vordergrunde halten die indigoblauen Schatten des wilden Forstes die Wage, der das Schloß umhegt.«
Und an anderen Stellen spricht er gelehrt von einem »feinen Schiavone, der wie ein Tulpenbeet strahlt in reichen gebrochenen Farben«; von »einem glühenden Portrait des seltenen Marconi, das sich durch morbidezza auszeichnet«; und von einem anderen Bild »das im Inkarnat weich und zart ist«. Doch in der Regel empfängt er seine Eindrücke von dem Kunstwerk als Ganzem und versucht, diese Eindrücke in Worte zu fassen, und gleichsam das rednerische Äquivalent der geistigen und seelischen Wirkung zu geben. Er war einer der ersten unter jenen Männern, die die sogenannte Kunstliteratur des neunzehnten Jahrhunderts entwickelten, jene Literatur, die in Ruskin und Browning ihre vollkommensten Vertreter fand. Seine Schilderung von Lancrets »Repas Italien«, in dem »ein dunkellockiges Mädchen, das in die Bosheit verliebt ist, auf der blumenbestreuten Wiese liegt«, ist in mancher Hinsicht entzückend. Hier möge die Beschreibung der Kreuzigung Rembrandts folgen. Sie ist für seinen Stil sehr bezeichnend:
»Finsternis – russig-schwarze, schauerliche Finsternis – umhüllt die ganze Szene: nur über dem verwunschenen Wald, wie durch einen grausigen Riß im dunkeln Gewölk, rauscht eine Regenflut – mißfarbiges hagelkörniges Wasser – in Strömen hernieder, und breitet ein graues Gespensterlicht, schrecklicher noch als greifbare Nacht. Schon röchelt die Erde – rauh und schnell! Das schwärzliche Kreuz erbebt! Die Winde zaudern – die Luft wird dumpf – ein donnerndes Grollen murrt unter ihren Füßen, und einzelne aus den elenden Horden fliehen schon den Hügel hinab. Die Rosse schnauben ob kommenden Grauens und sind wie unbändig in ihrer Angst. Mit Windesflügeln naht der Augenblick, da, vom eigenen Gewicht auseinandergezerrt, fast tot vom Verluste des Blutes, das in Bächen herniederrinnt aus geöffneten Adern, Schläfen und Brust, fast ertränkt vom Schweiße, die schwere Zunge gedörrt vom feurigen Todesfieber, – Jesus aufschreit: »Mich dürstet.« Man reicht ihm den tödlichen Essig.
Ihm sinkt das Haupt, und der heilige Leichnam erbebt und fühlt nicht mehr das Kreuz. Ein Streif roter Glut blitzt durch die Luft und schwindet. Die Felsen vom Karmel und Libanon bersten, und das Meer rollt hoch von den Bänken seine wälzenden Wogen. Die Erde gähnt: die Gräber speien die Toten aus. Tote und Lebende mengen sich in unnatürlicher Verbindung und durcheilen die heilige Stadt. Neue Schrecken warten ihrer. Der Vorhang des Tempels, der undurchdringliche Vorhang, ist von oben bis unten zerrissen, und jenes grausige Heiligtum, da der Hebräer Mysterien ruhen – die Schicksalslade mit den Gesetzes-Tafeln und dem siebenarmigen Leuchter – wird durch unirdisches Licht der gottverlassenen Menge enthüllt.
Nie malte Rembrandt diese Skizze, und darin hatte er recht. Sie hätte fast all ihren Zauber verloren, wenn sie den wirrenden Schleier der Undeutlichkeit verlor, welche der Phantasie so weite Reiche zum Bauen öffnet. Jetzt ist sie wie ein Ding einer andern Welt. Zwischen uns liegt ein finsterer Abgrund. Man kann sie nicht mit den Händen fassen. Wir können ihr nur mit der Seele nahen.«
Diese Stelle wurde in »Schrecken und Ehrfurcht« geschrieben, so sagt uns der Autor. Vieles in ihr ist schrecklich, sehr vieles geradezu abscheulich, doch zeigt sie eine rohe Form der Gewalt, oder wenigstens eine rohe Macht der Worte, die unserer Zeit höchst willkommen sein sollte, da sie ihr Hauptmangel ist. Doch es ist angenehmer, sich seiner Schilderung von Giulio Romanos »Cephalus und Procris« zuzuwenden:
Man sollte Moschos' Klage um Bion, den lieblichen Hirten, lesen, ehe man dieses Bild betrachtet, oder aber dieses Bild als Vorbereitung auf die Klage ansehen. In beiden haben wir fast die gleiche Darstellung. Beiden Opfern murmeln die hohen Haine und die Schluchten des Waldes; die knospenden Blumen duften müde Düfte; die Nachtigall trauert auf felsigen Gefilden, und die Schwalbe in langen, gewundenen Tälern; und auch die Satyrn und verschleierten Faune seufzen; und die Quellnymphen im Walde zerrinnen in tränendem Tau. Lämmer und Geißen verlassen die Weide, und Oreaden, die gern auf die steilsten Höhen schroffer Felsen klettern, enteilen dem Sang der windumkosten Kiefern, während die Dryas sich von den Zweigen der Bruderbäume herniederneigt, und die Ströme mit seufzerreichen Wassern um den weißen Procris klagen
»und füllen das gleißende Meer mit ihrem Laut«.
Die goldenen Bienen auf dem duftigen Hymettos schweigen; und das tönende Horn des Geliebten Auroras wird niemals wieder das kalte Zwielicht auf den Höhen des Hymettos verscheuchen.
Der Vordergrund unseres Bildes ist ein grasbewachsener, sonnverbrannter Hügel, wie Wellen hinauf und hinab gebrochen (gleichsam Landwogen), und noch rauher gemacht von vielen fußfangenden Wurzeln und Baumstümpfen, die vor ihrer Zeit von der Axt gefällt sind und doch wieder leichte grüne Schößlinge treiben. Dieser Hügel steigt zur Rechten ziemlich jäh zu einem dichten Hain empor, durch den kein Stern zu dringen vermag. An seinem Saume sitzt wie betäubt der thessalische König und hält zwischen den Knien den elfenbeinweißen Körper, der eben noch mit zarter Stirn die rauhen Zweige auseinanderbog und mit eifersüchtigem Fuß dahineilte, nicht achtend der Blumen und Dornen – jetzt hilflos, schwer und unbewegt, nur, daß der Lufthauch spöttisch ihr dichtes Haar erhebt.
Und aus den dichten Stämmen drängen erstaunt die Nymphen hervor mit lautem Schrei.
»Und Satyrn mit fliegenden Fellen und Epheu umwunden,
Sie nah'n und erbleichen, da sie den König gefunden.«
Unten liegt Laelaps, und in seinem Röcheln zeigt sich des Todes rasender Schritt. Und drüben mit hängenden Flügeln hält Amor, der tugendliche, nahendem Waldesvolk den Köcher hin, Faunen und Widdern, Ziegen und Satyrn, und Satyrweibern, die ihre Kinder mit bebenden Händen fester pressen und links, auf versunkenem Pfade, zwischen dem Vordergrunde und einer Felsmauer, dahineilen, auf deren niedrigstem Grat ein wachsamer Quell aus seinem Grabe unheilraunendes Wasser strömt. Höher und ferner als die Ephidryas steht zwischen den weinumschlungenen Stämmen eines unberührten Haines ein andres Weib und zerreißt seine Locken. Die Mitte des Bildes aber füllen schattige Wiesen, die sich zur Mündung eines Flusses senken. Jenseits liegt die gewaltige Kraft des strömenden Meeres, aus dessen Fläche Aurora, die rosenfingrige, die Jägerin der Sterne, emportaucht, und ihre tauigen Renner wütend peitscht, um ihres Nebenbuhlers Todesnot zu schauen.«
Könnte man diese Schilderung mit Sorgfalt umschreiben, sie wäre bewunderungswürdig. Der Gedanke, aus Bildern Prosa-Gedichte zu machen, ist ausgezeichnet. Ein großer Teil des modernen Schrifttums entspringt der gleichen Quelle. In einer sehr häßlichen, aber sehr empfindlichen Zeit, leihen die Künste nicht vom Leben, sondern voneinander.
Auch seine Neigungen sind wundervoll mannigfaltig. So interessierte er sich für alles, was mit der Bühne zusammenhing, und behauptete eifrig die Notwendigkeit, im Kostüm und in der Dekoration historisch genau zu sein. »In der Kunst«, sagt er einmal, »verdient alles, was überhaupt getan zu werden verdient, gut getan zu werden«; und er fährt fort, wie schwierig es sei, Grenzen zu ziehen, sobald wir einmal Ungenauigkeiten haben hingehen lassen. In der Literatur aber stand er, wie bei einer berühmten Gelegenheit Lord Beaconsfield, auf der Seite der »Engel«. Er war einer der frühesten Bewunderer von Keats und Shelley, »dem zitternd-gefühlvollen und poetischen Shelley«, wie er ihn nennt. Er bewunderte Wordsworth tief und aufrichtig. Er würdigte William Blake nach vollem Verdienst.
Eins der besten Exemplare der »Songs of Innocence and Experience« wurde eigens für ihn hergestellt. Er liebte Alain Chartier, Ronsard, die Dramatiker der Elisabethanischen Zeit, Chaucer, Chapman und Petrarca. Und alle Künste waren ihm eine Einheit. Er bemerkte einmal mit viel Scharfsinn: »Unsere Kritiker scheinen kaum zu wissen, daß der Ursprung der Dichtung und Malerei der gleiche ist, und daß jeder wahre Fortschritt in der Ergründung der einen, eine entsprechende Vervollkommnung in der Erkenntnis der andern mit sich bringt.« Und an einer andern Stelle sagt er, wer von seiner Vorliebe für Milton redet, ohne Michelangelo zu bewundern, täusche sich oder andere. Seinen Mitarbeitern am London Magazine gegenüber war er stets großmütig, und er lobt sie ganz ohne jene Bosheit eines guten Freundes.
Einige seiner Skizzen über Charles Lamb sind in ihrer Art wundervoll, und sie nehmen mit der Kunst echter Schauspieler ganz den Stil ihres Gegenstandes an:
»Was könnte ich mehr sagen, als alle wissen? Daß du die Fröhlichkeit eines Kindes mit dem Wissen des Mannes verbandest: ein Herz, so weich, wie irgendeines, das je den Augen Tränen entlockte.
Mit wie viel Witz mißverstand er euch, und wie wußte er zur passenden Zeit irgendeine unpassende Laune einzuflechten. Wenn er ohne Pose sprach, war er gedrängt, wie seine geliebten Schriftsteller zur Zeit der Elisabeth, gedrängt bis zur Dunkelheit. Wie Körner feinen Goldes wurden seine Sentenzen zu ganzen Flächen, die alles umschlossen. Er fühlte keine Gnade für falschen Ruhm, und hatte stets eine beißende Bemerkung über die Manieren eines »Mannes von Genie« bereit. Sir Thomas Brown war ein »Busenfreund« von ihm und ebenso Burton und Füller.
In seinen verliebten Anwandlungen tändelte er mit jener unvergleichlichen Herzogin des vielfältigen Parfüms; und mit den lustigen Komödien von Beaumont und Fletcher brachte er leichte Träume. Er pflegte, wie inspiriert, kritische Lichter auf sie zu werfen, doch ließ man ihn am besten seinen Weg gehen; begann ein anderer, selbst über die anerkannten Lieblinge zu reden, so unterbrach er gern, oder er machte eine Anmerkung, und niemand wußte, ob ein Mißverständnis oder Bosheit zugrunde lag. Eines Abends plauderte man über jene Dramatiker. Ein Herr X. sprach von der Leidenschaft und dem erhabenen Stil einer Tragödie; aber Elia unterbrach ihn und sagte: Das war nichts, die lyrischen Teile waren das Große – die lyrischen Teile.«
Eine Seite seiner literarischen Tätigkeit verdient besondere Beachtung. Man kann sagen, der moderne Journalismus verdankt ihm mehr als irgendeinem andern aus dem Anfange unseres Jahrhunderts. Er war der Vorkämpfer des Asianischen Stils und freute sich an malerischen Beiworten und pomphaften Übertreibungen. Einen so hochtrabenden Stil zu schreiben, daß er den Gegenstand überwuchert und verhüllt – das ist die Haupterrungenschaft einer wichtigen und vielbewunderten Schule von Schriftstellern, und Janus Wetterhahn kann als Gründer dieser Schule bezeichnet werden. Er sah auch, wie leicht es war, durch ewige Wiederholung das Publikum für seine eigene Person zu interessieren, und in seinen rein journalistischen Arbeiten erzählt dieser junge Mann der Welt, was er zu Mittag ißt, wo er seine Kleider kauft und wie er sich befindet, gerade, als schriebe er wöchentliche Berichte für irgendeine gelesene Zeitung unserer eigenen Zeit. Obgleich dies die am wenigsten wertvolle Seite seiner Arbeiten ist, hat doch gerade sie den sichtbarsten Einfluß ausgeübt. Ein Publizist ist heute ein Mensch, der die Allgemeinheit mit den Einzelheiten eines ungesetzlichen Privatlebens langweilt.
Wie die meisten künstlichen Menschen, liebte er die Natur außerordentlich. »Ich schätze drei Dinge«, sagte er einmal, »träge auf einem Vorsprung zu sitzen, der eine reiche Aussicht beherrscht, im Schatten dichter Bäume zu liegen, wenn rings die Sonne brennt, und Einsamkeit zu genießen mit dem Bewußtsein, daß Nachbarn nahe sind. Das alles finde ich auf dem Lande.« Er schildert seine Wanderungen auf duftigen Ginsterfeldern und Heiden und wiederholt Collins »Ode an den Abend«, um den feinen Duft des Augenblicks zu fassen. Er erzählt, wie er sein Gesicht in ein feuchtes Beet von Wiesenblumen drückt, auf dem der Tau der Mainacht ruht; wie er sich freut, wenn er die sanften Kühe langsam im Zwielicht heimwärts ziehen sieht und den fernen Klang der Lämmerglocken hört. Eins seiner Worte: »Der Polyanthos glühte auf seinem kalten Erdenbett, wie ein einsames Bild Giorgiones auf dunkler Eichenwand«, bezeichnet vortrefflich seine Art zu empfinden, und auch folgende Stelle ist in ihrer Art schön:
»Das kurze, zarte Gras war übersät mit Margeriten, wie mit Sternen einer Sommernacht. Das rauhe Krächzen geschäftiger Krähen klang fern in schönem Gemisch hernieder aus einem hohen, dunklen Hain von Rüstern, und hie und da ertönte die Stimme eines Knaben, der die Vögel von den frischbesäten Feldern scheuchte. Die blauen Tiefen waren dunkel wie Ultramarin; keine Wolke streifte den ruhigen Äther; und nur um den Rand des Horizontes wogte ein Lichtstreif, ein weiches Häutchen dunstiger Nebel, vor dem das nahe Dorf sich scharf in blendender Weiße abhob. Ich dachte an Wordsworths ›Zeilen, geschrieben im März‹.«
Jedoch, wir dürfen nicht vergessen, daß der feine junge Mann, der diese Zeilen schrieb und der dem Einfluß Wordsworths so zugänglich war, zugleich, wie ich schon zu Beginn dieses Aufsatzes sagte, einer der verschlagensten und heimlichsten Giftmörder seiner Zeit war. Wie ihn diese seltsamen Verbrechen zuerst anlockten, schildert er nicht, und das Tagebuch, in das er sorgfältig die Ergebnisse seiner schrecklichen Versuche und die angewandten Mittel eintrug, ist uns zum Unglück verloren. Selbst in späteren Tagen schwieg er über diesen Gegenstand und sprach lieber über Literatur und Dichtung. Doch darüber, daß er Strychnin anwandte, kann kein Zweifel herrschen. Er trug kleine Kristalle der indischen nux vomica in einem seiner kostbaren Ringe, auf die er so stolz war, und die dazu dienten, die feine Durchbildung seiner zarten weißen Hände noch mehr hervorzuheben. Wie einer seiner Biographen berichtet, ist das ein Gift, »fast ohne Geschmack, schwer zu entdecken und das man beinahe unendlich verdünnen kann«. Seiner Morde, sagt de Quincey, waren mehr, als je durch die Gerichte bekannt wurden. Das ist zweifellos richtig, und einige von ihnen verdienen, erwähnt zu werden. Sein erstes Opfer war sein Onkel, Thomas Griffiths. Er vergiftete ihn 1829, um Linden House zu bekommen, das er von jeher liebte. Im August des nächsten Jahres vergiftete er Frau Abercrombie, die Mutter seiner Frau, und im nächsten Dezember die schöne Helene Abercrombie, seine Schwägerin. Warum er Frau Abercrombie tötete, steht nicht fest. Vielleicht aus Laune, vielleicht, um sein gräßliches Machtgefühl zu verstärken, vielleicht, weil sie ihn beargwohnte, vielleicht ohne jeden Grund. Die Ermordung der Helene Abercrombie setzte er mit seiner Frau in Szene, um die Summe von 18 000 Pfd. St. zu bekommen. Denn für diese Summe hatten sie ihr Leben bei verschiedenen Geschäften versichert. Der Verlauf war der folgende: Am 12. Dezember kam er mit Frau und Kind von Linden House nach London, und sie nahmen in der Conduct Street Nr. 12 Wohnung. Die beiden Schwestern, Helene und Magdalene Abercrombie, waren bei ihnen. Am 14. abends gingen sie alle ins Theater, und nachher beim Nachtmahl wurde Helene krank. Am nächsten Tage befand sie sich sehr schlecht, und man rief Dr. Locock vom Hanover Square zur Behandlung. Sie lebte bis Montag, den 20. An diesem Tage brachten Herr und Frau Wainewright ihr nach dem Morgenbesuch des Arztes vergiftete Brühe und gingen aus. Als sie zurückkamen, war Helene Abercrombie tot. Sie war ungefähr 20 Jahre alt, groß und anmutig und hatte herrliches Haar. Noch ist eine entzückende Rötelskizze ihres Schwagers von ihr vorhanden und zeigt, wie stark sein Stil von Sir Thomas Lawrence beeinflußt war. Er hegte stets große Bewunderung für diesen Maler. De Quincey behauptet, Frau Wainewright sei nicht an dem Morde beteiligt gewesen. Hoffen wir es. Das Verbrechen sollte einsam sein und keine Mitschuldigen haben.
Die Versicherungsgesellschaften ahnten die wirklichen Vorgänge bei diesem Falle und lehnten die Zahlung der Summe aus dem technischen Grunde der falschen Darstellung und des Mangels an Prämienzahlung ab. Aber mit merkwürdigem Mut reichte der Mörder beim Kanzleichef gegen die Imperial-Company eine Klage ein, nachdem man übereingekommen war, daß eine Entscheidung alle Fälle entscheiden sollte. Jedoch kam die Untersuchung 5 Jahre lang nicht zu stande, und dann wurde ein endgültiges Urteil zugunsten der Gesellschaften gefällt. Der Richter war Lord Abinger. Die Vertreter Egomet Bonmots waren Mr. Erle und Sir William Follet. Der erste Staatsanwalt und Sir Frederick Pollock erschienen auf Seiten der Beklagten. Unglücklicherweise konnte der Kläger bei keiner Sitzung erscheinen. Die Zahlungsverweigerung der Gesellschaften hatte ihn in die größten pekuniären Schwierigkeiten gebracht. Man hatte ihn sogar wenige Wochen nach dem Tode der Helene Abercrombie in den Straßen Londons seiner Schulden wegen verhaftet, als er gerade der schönen Tochter eines seiner Freunde ein Ständchen brachte. Er überwand diese Schwierigkeiten zwar, aber bald darauf hielt er es für geraten, ins Ausland zu gehen, bis er zu einer endlichen Verständigung mit seinen Gläubigern käme. Er ging also nach Bologna, um den Vater der betreffenden jungen Dame zu besuchen. Während seines Aufenthaltes dort veranlaßte er ihn, sein Leben auf 3000 Pfd. St. zu versichern. Sobald die nötigen Förmlichkeiten erfüllt waren, und die Police ausgestellt, ließ er einige Strychninkristalle in seinen Kaffee fallen, als sie eines Abends nach Tische zusammensaßen. Er selbst hatte gar keinen materiellen Nutzen von diesem Morde. Er wollte sich nur an der Gesellschaft rächen, die sich als erste geweigert hatte, ihm den Preis seiner Sünde auszuzahlen. Sein Freund starb am folgenden Tage vor seinen Augen, und er verließ Bologna sofort, um eine Skizzentour durch die malerischesten Gegenden der Bretagne zu machen und lebte dann eine Zeitlang als Gast eines alten französischen Adligen, der bei St. Omer ein schönes Landhaus hatte. Von dort ging er nach Paris, wo er mehrere Jahre blieb und, wie die einen sagen, im Luxus lebte, während andere erzählen, daß er mit dem Gift in der Tasche umherschlich und von allen, die ihn kannten, gefürchtet wurde. 1837 kehrte er heimlich nach England zurück. Ein seltsam toller Zauber brachte ihn heim. Er folgte einem geliebten Weibe. Es war im Juni, und er wohnte in einem Hotel im Covent Garden. Sein Wohnzimmer war im Parterre und klugerweise hielt er aus Furcht, gesehen zu werden, die Läden geschlossen. Vor 13 Jahren, als er seine kostbare Sammlung von Majolicas und Marc Antonios zusammenbrachte, hatte er, um einen Teil des Vermögens in die Hand zu bekommen, das er von seiner Mutter geerbt hatte, einige Namen gefälscht. Er wußte, daß diese Fälschung entdeckt war, und daß er durch seine Rückkehr nach England sein Leben aufs Spiel setzte. Trotzdem kehrte er zurück. Soll man sich darüber wundern? Man sagt, die Frau sei schön gewesen, und außerdem liebte sie ihn nicht.
Es war reiner Zufall, daß er entdeckt wurde. Ein Lärm auf der Straße erregte seine Aufmerksamkeit, und aus künstlerischem Interesse am modernen Leben stieß er einen Augenblick die Läden auf. Da rief irgend jemand von draußen: »Das ist Wainewright, der Betrüger.« Es war Forrester, ein Polizist.
Am 5. Juni überführte man ihn nach Old Bailey. Die »Times« brachte folgenden Bericht über das Verfahren:
»Vor dem Richter Mr. Vaughan und Baron Alderson erschien als Angeklagter Thomas Griffiths Wainewright, ein Mann von vornehmem Äußeren und 42 Jahren. Er war angeklagt der Fälschung und der Ausstellung einer Vollmacht über 2259 Pfund Sterling mit der Absicht, den Direktor und die Gesellschaft der ›Bank of England‹ zu betrügen. Es wurden fünf Anklagen gegen den Gefangenen erhoben. Er bekannte sich nicht schuldig, als er im Laufe des Morgens vor dem Gerichtsdiener vernommen wurde. Als er jedoch vor die Richter geführt wurde, bat er, seine frühere Aussage zurücknehmen zu dürfen, und bekannte sich zu zwei der ihm zur Last gelegten Verbrechen, die ihn nicht in Gefahr brachten. Nachdem der Vertreter der Bank ausgeführt hatte, es seien noch drei weitere Anklagepunkte vorhanden, doch wünsche die Bank nicht, Blut zu vergießen, wurde das Urteil »schuldig« in betreff der beiden geringeren Anklagen ausgesprochen, und der Gefangene am Schlusse der Sitzung zu lebenslänglicher Verbannung in die Kolonien verurteilt.« Zur Vorbereitung auf die Überführung in die Kolonien brachte man ihn nach Newgate. An einer phantastischen Stelle seiner früheren Aufsätze hatte er sich vorgestellt, er läge, zum Tode verurteilt, im Gefängnis, weil er der Versuchung nicht habe widerstehen können, aus dem Britischen Museum einige Marc Antonios zu stehlen, um seine Sammlung vollständig zu machen. Das Urteil, das jetzt über ihn gefällt war, war für einen Mann von Kultur gleichbedeutend mit dem Tode. Er beklagte sich bitter seinen Freunden gegenüber, und wies nicht ohne Recht, wie manche meinen mögen, darauf hin, daß das Geld tatsächlich ihm gehörte, und daß die Fälschung, die er zugab, 13 Jahre zurück läge, was doch, um seinen Ausdruck zu gebrauchen, mindestens eine » circonstance atténuante« sei. Die Fortdauer der Persönlichkeit ist eine sehr schwierige Frage der Metaphysik, und die Art, wie die englischen Gesetze sie lösen, ist sicherlich äußerst roh und einfach. Doch liegt etwas Dramatisches darin, daß man ihm diese schwere Strafe für ein Verbrechen auferlegte, das in Anbetracht des verhängnisvollen Einflusses seiner Prosa auf unseren Journalismus nicht seine schwerste Sünde war.
Während er im Gefängnis war, trafen ihn zufällig Dickens, Macready und Hablot Browne. Sie machten einen Rundgang durch die Gefängnisse Londons, um nach künstlerischen Motiven zu suchen, und erblickten plötzlich in Newgate Wainewright. Forster erzählt, daß er ihnen mit einem Blick des Trotzes entgegentrat, aber Macready war entsetzt, einen Mann zu sehen, den er in früheren Jahren genau kannte, und an dessen Tafel er gespeist hatte. Andere waren neugieriger, und eine Zeitlang wurde seine Zelle zu einem eleganten Aufenthaltsort. Viele Männer der Feder kamen und besuchten ihren alten Kollegen. Doch er war nicht mehr der freundliche, leichtherzige Janus, den Charles Lamb bewunderte. Es scheint, er wurde ganz zum Cyniker. Einmal besuchte ihn nachmittags ein Agent einer Versicherungsgesellschaft und meinte, es sei an der Zeit, anzudeuten, daß das Verbrechen im Grunde eine verfehlte Spekulation sei. Er antwortete: »Mein Herr, Ihr Leute aus der Stadt unternehmt Eure Spekulationen und harrt des Ausgangs. Einige gehen gut, andere schlecht. Meine sind schlecht ausgegangen. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und mir. Jedoch, mein Herr, ich möchte Ihnen eins sagen, was mir bis zum Schluß gelungen ist. Ich bin mein Leben lang entschlossen gewesen, als ›Gentleman‹ aufzutreten. Ich habe das auch stets getan. Ich tue es noch. Es ist an diesem Orte Sitte, daß jeder der Insassen einer Zelle an einem Morgen das Fegen besorgt. Ich teile meine Zelle mit einem Maurer und einem Straßenkehrer. Sie haben mir nie den Besen gereicht.« Als ein Freund ihm den Mord der Helene Abercrombie vorwarf, zuckte er mit den Schultern und sagte: »Ja, es war eine entsetzliche Tat, aber sie hatte dicke Knöcheln.«
Von Newgate wurde er auf die »Hulks« von Portsmouth und dann auf der »Susan« mit 300 anderen Verurteilten zusammen nach Van Diemensland gebracht. Die Reise muß furchtbar für ihn gewesen sein, und in einem Briefe an einen Freund sprach er voll Bitterkeit über die Schmach, daß ein »Genosse von Dichtern und Künstlern« mit »Bauerntölpeln« zusammengepfercht wurde. Wir brauchen uns nicht darüber zu wundern, wie er seine Genossen nennt. Das Verbrechen ist selten die Folge sündhafter Anlage. Es ist fast immer die Folge des Hungers. Wahrscheinlich war niemand an Bord, in dem er einen verstehenden Zuhörer oder eine psychologisch-interessante Natur hätte finden können.
Jedoch verlor er nie seine Liebe zur Kunst. In Hobart-Town richtete er ein Atelier ein und begann wieder zu zeichnen und zu malen; es scheint, seine Unterhaltung und sein Auftreten verloren nie ihren bezaubernden Reiz. Auch seine Gewohnheit, andere zu vergiften, gab er nicht auf, und es werden zwei Fälle berichtet, in denen er versuchte, Leute, die ihn beleidigt hatten, zu töten. Doch seine Hand hatte wohl ihre Kundigkeit verloren. Beide Versuche mißglückten vollständig, und als er im Jahre 1844 der Tasmanischen Gesellschaft gründlich müde war, reichte er bei dem Gouverneur der Niederlassung ein Gesuch um bedingte Entlassung ein. Er sagte darin: »Er sei von Gedanken gequält, die nach Form und Gestaltung rängen, er sei von jeder Möglichkeit, sein Wissen zu bereichern, abgeschnitten und habe keine Gelegenheit, nutzbringende oder schöne Reden zu üben.«
Sein Gesuch wurde abgewiesen, und der Genosse Coleridges tröstete sich, indem er jene wunderbaren »Paradis artificiels« schrieb, deren Geheimnis nur die Opiumesser kennen. 1852 starb er am Schlagfluß. Das einzige lebende Wesen um ihn war eine Katze, der er die seltenste Liebe widmete.
Seine Verbrechen haben sicherlich bedeutenden Einfluß auf seine Kunst ausgeübt. Sie gaben seinem Stil etwas stark Persönliches, das seinen früheren Werken fehlte. In einer Anmerkung zu seiner Dickens-Biographie erwähnt Forster, daß Lady Blessington 1847 von ihrem Bruder, dem Major Power, der in Hobart-Town eine militärische Stellung bekleidete, das Ölporträt einer jungen Dame von seinem kundigen Pinsel erhielt, und man sagt, »er habe es fertig gebracht, den Ausdruck seiner eigenen Verworfenheit in das Gesicht eines hübschen und gutherzigen Kindes zu tragen«. Zola erzählt in einem Roman von einem jungen Menschen, der einen Mord begangen hat und sich dann der Kunst widmet. Er malt grünliche, impressionistische Porträts von völlig ehrbaren Menschen, die alle eine seltsame Ähnlichkeit mit seinem Opfer zeigen. Mir scheint, die Entwickelung von Wainewrights Stil ist bedeutend feiner und vielsagender. Man kann sich eine starke Persönlichkeit vorstellen, die nur aus Sünde geschaffen ist.
Diese seltsame, bezaubernde Gestalt, die ein paar Jahre hindurch das literarische London blendete und ein so glänzendes Debüt im Leben und in der Literatur machte, ist ohne Frage ein höchst interessantes Problem. W. Carew Hazlitt, sein letzter Biograph, dem ich manche der obigen Tatsachen verdanke, und dessen kleines Buch wirklich in seiner Art äußerst wertvoll ist, glaubt, seine Liebe zur Kunst und Natur sei nichts als Spiel und Anmaßung gewesen, und andere haben ihm jede literarische Bedeutung abgesprochen. Dieser Standpunkt scheint mir oberflächlich oder mindestens verfehlt. Daß jemand ein Giftmörder ist, sagt nichts gegen seine Prosa. Häusliche Tugenden gehen die Kunst nichts an, wenn sie auch Künstlern zweiten Ranges zur Empfehlung gereichen mögen. Mag sein, daß de Quincey seine kritischen Anlagen überschätzte, und ich kann nicht umhin, nochmals hervorzuheben, daß in seinen öffentlich zugänglichen Werken vieles zu gewöhnlich, zu aufdringlich, im schlechten Sinne des Wortes zu journalistisch ist. Hie und da ist sein Ausdruck entschieden vulgär, und immer fehlt ihm die Selbstzucht des großen Künstlers. Aber einige seiner Fehler entschuldigt die Zeit, in der er lebte, und schließlich hat eine Prosa, die Charles Lamb »großartig« nannte, kein kleines historisches Interesse. Daß er Kunst und Natur wirklich liebte, scheint mir unzweifelhaft. Verbrechen und Kultur haben nichts, das sich ausschlösse. Wir dürfen die Geschichte nicht umschreiben, um unseren moralischen Sinn zu befriedigen.
Natürlich steht er unserer Zeit zu nahe, um ein endgültiges künstlerisches Urteil über ihn zu fällen. Man kann sich eines Vorurteils gegen einen Mann nicht erwehren, der hätte Lord Tennyson oder Gladstone vergiften können. Jedoch, hätte er ein anderes Kleid getragen, eine andere Sprache gesprochen als wir, hätte er im kaiserlichen Rom gelebt, oder zur Zeit der italienischen Renaissance, oder in Spanien im 17. Jahrhundert, oder irgendwo und irgendwann, nur nicht in England und im 19. Jahrhundert, so könnten wir ohne weiteres ein unbefangenes Urteil über seine Stellung und seinen Wert fällen. Ich weiß, es gibt viele Historiker, oder mindestens Leute, die über Geschichte schreiben, welche es noch immer für notwendig halten, die Moral auf die Geschichte anzuwenden und Lob und Tadel mit der feierlichen Selbstgefälligkeit eines avancierten Oberlehrers zu erteilen. Aber das ist eine törichte Gewohnheit und zeigt nur, daß man den moralischen Instinkt so ausbilden kann, daß er überall hervorbricht, wo er überflüssig ist. Kein historisch empfindender Mensch denkt daran, Nero zu tadeln, oder Tiberius zu schelten und Cesare Borgia zu verurteilen. Sie sind gleichsam Gestalten eines Schauspiels geworden. Sie erfüllen uns mit Schrecken, Abscheu oder Bewunderung, aber sie verletzen uns nicht. Sie haben keine direkte Beziehung zu uns. Wir haben nichts von ihnen zu fürchten. Sie sind in die Sphäre der Kunst und der Wissenschaft übergetreten, und weder Kunst noch Wissenschaft kennen moralische Urteile. So möge es auch mit Charles Lambs Freund sein. Ich fühle, noch ist er ein wenig zu modern, um mit jenem feinen Sinn unbefangener Neugier behandelt zu werden, dem wir so manche reizvolle Arbeit über die großen Verbrecher der Renaissance verdanken. Doch die Kunst hat ihn nicht vergessen. Er ist der Held in Dickens' » Hunted Down«, der Varney in Bulwers » Lucretia«; und es gewährt Befriedigung, zu wissen, daß wenigstens die Kunst dem Manne huldigte, der durch Schrift, Stift und Gift so mächtig war. Der Dichtung Anregung zu geben, das ist mehr wert als eine Tatsache.