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Als Martha am Münchener Hauptbahnhof ausstieg, fanden ihre Füße kaum die Erde, so wurde sie von Tante Edeltraud, Leonore und Maria umarmt und geküßt.
Maria winkte vier Kinder, drei Mädchen und einen Buben herbei, die sich ein wenig abseits gehalten hatten.
»So, Kinder, jetzt gebt der Tante auch ein Händchen. Kennt ihr sie noch?«
»Und ob! Sie war im vorigen Jahr bei uns, als der heilige Mann kam.«
Die Freudentränen liefen Martha die Wangen herunter, sie neigte sich zu den Kindern und warf einen fragenden Blick zu Maria hinauf.
»Ja, du darfst.«
Und sie küßte die Kinder und umarmte sie wie ihr größtes Glück.
Leonore ließ ihre Blicke durch die Menge schweifen und hielt nach Offizieren Ausschau, indem sie aufdringlich schnatterte.
»Nein, welche Freude, Martha, dich wieder hier zu haben. Nun gehen wir zusammen in die Lazarette. Ich habe den Herren schon gesagt, ich brächte ihnen in den nächsten Tagen eine interessante Gesellschafterin mit.«
Martha errötete und hielt mit einer kräftigen Abfertigung an sich. Nun, sie wollte auch das als Buße tragen.
Maria griff ihren Arm und flüsterte ihr zu: »Otto ist schon seit fünf Tagen in Reichenhall. Mutter ist bei ihm. Gelt, morgen hole ich dich gegen halb zehn Uhr ab, dann fahren wir zu ihm. Du darfst ihm seinen Wunsch nicht abschlagen. Er sehnt sich wirklich nach dir und kann die Stunde des Wiedersehens nicht erwarten.«
»Ich werde kommen. O Gott, wie gut bist du! – – Ja, aber was wird Tante dazu sagen und erst recht Leonore?«
»Frau General weiß alles; ich habe es ihr gesagt, und Leonore ahnt den wahren Grund deines Besuches hier. Sie wird stillschweigend alles hinnehmen, da sie doch endlich fühlt, daß Otto keine Achtung vor ihr hat.«
Martha faßte Marias Hand und drückte sie fest im Überschwang ihres Glückes.
»Maria, wie lieb bist du! Ja, ich werde mit dir fahren.«
Ihr ganzes Denken und Fühlen war nur ein einziges jubelndes Dankgebet gegen Gott.
Die Villa »Bergfriede« bei Reichenhall lag auf einem grünen Hügelplateau, den Tannenwald im Rücken und die Vorderseite nah und fern umstanden von den Berchtesgadener und Reichenhaller Bergen.
Martha und Maria stiegen Hand in Hand den hohen Tannenforst hinan. Maria schwieg absichtlich, um Martha in dieser feierlichen Stunde vor dem Wiedersehen nicht in ihren Gedanken zu stören. Ihre Seelen flossen durch die Berührung der Hände ineinander.
Auf Marthas Antlitz lag ein stiller Friede, der reine Schimmer seliger Bräutlichkeit. Sie trug den Hut in der Hand und ließ der kühlen Waldluft ihre weiße Stirne.
Waldgeflüster und Quellenrauschen ringsum. Sonnenlichter auf den braunen Stämmen, zitternde Sonnenkringel auf dem grauen Felsweg. Zur Linken schattete durch die Waldstämme der mächtige Hohenstaufen und aus der Ferne rauschte die Saalach. Und wie die plätschernden Wasser sangen und der Wind in den Tannenzweigen harfte, da stand Martha ihr eigenes Leben der letzten Monate wie ein romantischer Bergwald vor der Seele: In der Stille entspringen die Quellen, die dem Leben Kraft und Labung geben, und der Weg zur großen, starken, heiligen Liebe ist steil und mühsam und doch erhebend und voll kleiner, stiller Seligkeiten...
Noch einen kurzen steilen Anstieg, wo die Tannen in Reihen wie feierliche Säulen standen, und sie traten aus dem Erdendunkel in das Licht einer strahlenden Überwelt.
Martha stand da wie eine staunende Seele an der Schwelle des Himmels. Es war ihr, als glitte alles Irdische und Schwere an ihr herunter und als müsse sie ihre Arme zum Licht emporheben und Hineinschweben in das goldene Sonnenmeer, das zu ihren Häupten flimmerte und wogte.
Die Dämmerung schlich aus den Tälern und Schluchten mit Geisterschritten, in wallenden, blauen Dunstmantel gehüllt, herauf. Die Felswände standen in der Ferne zu beiden Seiten des Tales wie schwarze Schranken. Da, wo sie fast aneinanderstießen, stiegen über sie hoch hinaus die Loferer Steinberge und der Watzmann zur Sonne empor wie ein riesiger, glühender Gral.
Da fühlte Martha sich untergetaucht in die Majestät des Allerhöchsten. Es war ihr, als sei sie der erste Mensch, der am Schöpfungsmorgen seinen Fuß in diese jungfräuliche Welt setzte. Ihr eigenes Leben stand wie ein fremdes vor ihr und löste sich zu einem Schemen auf und verschwand wie ein Nebel, der aus der Ackerfurche aufsteigt, im Licht der Morgensonne.
»Maria!« Und sie schlang in jubelnder Lust ihren Arm um Marias Hals und bedeckte ihre Wangen mit Küssen und Tränen.
Maria ließ sie gewähren. Auch sie weinte vor heiliger Lust, die Mädchenseele aus dem staubigen Tal zur reinen Höhe geleitet zu haben. Dann faßte sie Marthas Hände, schaute ihr tief in die Augen und sagte still:
»Nun gehen wir zu Otto.«
Ein kurzer Gang und sie standen am Tor der Villa »Bergfriede«. Das öffnende Mädchen geleitete die beiden die Treppe hinauf. Marthas Herz hämmerte in lauten Schlägen, sie zitterte am ganzen Körper vor Aufregung, bräutlicher Scham und Glück.
Wie sie in Ottos Zimmer trat, schloß Maria hinter ihr die Türe und verschwand.
Otto saß im Liegestuhl vor dem offenen Balkonfenster, die Hauptmannsuniform über die Schulter gelegt, das Eiserne Kreuz und das blauweiße Bayerische Band im Knopfloch. Aus der Ferne glühte der Gral der Loferer Berge herüber.
Martha flog auf Otto zu, warf sich vor ihm nieder und legte weinend ihre Stirne auf sein Knie. Er strich ihr über den Scheitel und sagte nur das eine Wort:
»Martha!«
Da erhob sie sich, schlang ihren Arm um seinen Hals und küßte seinen Armstumpf.
»Martha, du hast tapferer gekämpft gegen einen stärkeren Feind, als ich in der Schlacht. Du wirst mein liebes Weib. Dann will ich dir weiterhelfen bis zum endlichen Siege.«