Christoph Martin Wieland
Sympathien
Christoph Martin Wieland

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13.

Derjenige, mit dem sich meine Seele jetzt bespricht, ist einer von den Geistern, welche der Beherrscher der Welt zu 49 seinen Engeln unter den ausgearteten Menschen bestimmt hat, durch welche seine Absicht ausgerichtet, Ordnung und Wahrheit erhalten, und die moralische Welt vor einer gänzlichen Verwirrung bewahret werden soll. Er ist eine von den großen Seelen, die von erhabnen Neigungen getrieben und von mächtigen Kräften in eine immerwährende Bewegung gesetzt werden; deren Genius über tausend andere Seelen Gewalt hat und durch die Stärke seiner Vorstellungen und die Obermacht seiner Gefühle sie wie Wasserbäche leiten kann. Mit diesem möge es mir vergönnt seyn, mich jetzt zu ermuntern; eine unbetrügliche Empfindung seiner selbst wird ihm sagen, daß er es sey, den ich meine, und eine sympathetische Gewalt wird ihn nöthigen, meinen Erinnerungen Gehör zu geben.

Das Erste, Freund, was ich dir zurufe, ist, kenne dich selbst. Niemand hat diesen Zuruf nöthiger, als diejenigen, welche die Natur zu besondern und großen Absichten mit großen Fähigkeiten ausgerüstet hat. Die Erfahrung spricht nur allzu stark, daß auch diese, ebensowohl als die gemeinen Menschen, sehr geneigt sind, sich selbst zu vergessen und von ihrer hohen Bestimmung abzuschweifen; und nur zu oft ist es schon geschehen, daß ein Geist mit Engelsfähigkeiten sich selbst zu einer Reihe nichtsbedeutender Beschäftigungen oder Spielwerke gemißbraucht hat. Es scheint, daß viele derselben sich privilegirt glauben, an keine Regeln gebunden und ihre eignen Gesetzgeber zu seyn. Wie sehr betrügen sie sich hierin! Ein Geschöpf ist nur gut, insofern es die Absicht seines Daseyns erfüllt; ein geschaffner Geist ist nur dadurch groß, daß er sich nach den Ideen des obersten Geistes bildet. Was hätte den Unendlichen bewegen können, endliche Geister zu schaffen, wenn er nicht eine Absicht dabei gehabt hätte, 50 die er erfüllt haben will? Und wie kann ein Geschöpf weise seyn, als wenn es sich die Absichten Gottes gefallen läßt? Dieß ist der Maßstab, der die Größe der Geister mißt.

Der Mensch vergißt alle Augenblicke seine Abhängigkeit von Gott, vergafft sich am Schimmer der sinnlichen Dinge und an einem betrüglichen Bilde seiner eignen Gestalt und übersieht darüber die ewigen Gesetze, auf die er unverwandt sein Auge richten sollte. Der Engel ist ganz mit den Gedanken von der Gottheit erfüllt und brennt vor Verlangen, ihre Befehle mit fliegender Eile in tausend Welten zu vollbringen. Der ewige Sohn des Vaters und der König aller Geschlechter der Unsterblichen sagte von sich: Es sey seine Speise, den Willen seines Vaters zu thun. So ist immer der Vollkommenste derjenige, der der Eifrigste in den Geschäften Gottes ist. Dieß ist die große Regel, welche den Geistern ihren gemessenen Lauf anweiset; von dieser ist es unmöglich privilegirt zu seyn. Freilich sind gemeine Formen, thörichte Gewohnheiten und die engen Begriffe, wornach sich die Unweisen modeln, nicht für edlere Seelen!Der Verfasser hatte hier die Maxime des berühmten Dr. Swift im Sinne:

That common forms are not design'd
Directors to a noble mind.

Diese Aufsätze wimmeln von ähnlichen Anspielungen, so wie von erborgten Gedanken oder Ausdrücken aus alten und neueren Schriftstellern, deren er, nach der bequemen Theorie und Praxis seines damaligen Freundes und Vorbildes, des Verfassers der Noachide, sich ohne Bedenken bemächtigte, sobald sie zu den seinigen paßten oder ihm die Mühe, für die seinigen selbst einen schicklichen Ausdruck zu suchen, ersparten. W.

Aber Ordnung und Wahrheit und Güte, das Beste des Ganzen und die Verherrlichung des ewigen Geistes, der alles schuf und bewegt und beseelt, – dieß sind die Gesetze derselben; und ein vernünftiges Geschöpf, das von diesen abweicht, ist ein Planet, der aus seiner Bahn getreten ist und in seinen eigenen Untergang auch diejenigen verwickelt, die er in seinem wilden excentrischen Lauf antrifft.

Diese Grundsätze, Amyntor, sollen alle deine Unternehmungen regieren. Verschmähe jede andere Absicht, als diese, nach welcher zu handeln der höchste Ehrgeiz der himmlischen Geister ist, denen du verwandt bist. Andre, deren 51 umnebelter Verstand zu schwach ist, den Eindrücken der sinnlichen Dinge und den Reizen phantasirter Glückseligkeiten zu widerstehen, mögen Wollust oder eitle Ehre zum Endzweck ihrer Bestrebungen machen. Sie mögen alle Schärfe ihres Geistes dazu anwenden, wie sie sich in diesem Schattenleben wie für die Ewigkeit festsetzen, welches eben so viel ist, als ein Gebäude auf Wasser gründen wollen. Andre mögen vor Fürsten und ihren Günstlingen kriechen; mögen Titel, Ordensbänder, Bedienungen für beneidenswürdige Güter halten und aus Begierde, sie zu besitzen, verdorren, wie der Geizige über seinen Schätzen zum Gerippe wird. – Laß kleinen Seelen solche kleinfügige Sorgen und mache du zu deinem Zweck, deine Kräfte in einer so weiten Sphäre, als dir die Vorsehung anweisen wird, zu Beförderung des großen Zwecks, zu welchem wir Alle geschaffen sind, anzuwenden. Ach! wie wenig sind derer, welche sich in diese Verfassung gesetzt haben! Wie Wenige denken mit Ernst an das, was sie zuerst denken sollten! Wie allgemein ist der Mißbrauch der edelsten Kräfte, weil die Menschen sich anmaßen, mit sich selbst nach ihrem eignen Wahn zu schalten! Der dichterische Genius, den die Musen erzogen haben und die Grazien begeistern, welcher ein besserer Pindar seyn könnte, ist ein Anakreon; und Gaben, welche ihn geschickt machen, mit den himmlischen Chören harmonisch die Wunder Gottes in herzentzückenden Tönen zu singen, werden im Lob einer erdichteten Phyllis verschwendet. Derjenige, der bestimmt ist, die Helden und Heldinnen der Tugend aus der Vergessenheit zu ziehen und in Beispielen zu zeigen, was edel und schön und der Hoheit der menschlichen Seele anständig ist, und wie nahe an die Engel der tugendhafte Sterbliche reichen kann; dieser Unbesonnene bringt nichts Bessers als Boccaccische Mährchen hervor und will seine Leser 52 durch die Anmuth seiner Erzählung und durch die naiven Wendungen, die er den Sachen gibt, bereden, als ob das Laster der Natur des Menschen gemäß sey. Welch eine Menge leichtsinniger und nichtswürdiger Witzlinge hat uns die alberne Sucht zu gefallen geboren, die, wenn sie ihren Geist anstrengen wollten, der edelsten und gemeinnützigsten Unternehmungen fähig wären! Ist es nicht schändlich, wenn Leute von großen Fähigkeiten sich erniedrigen, dem Geschmack und den Vorurtheilen des Pöbels zu fröhnen, dem sie Gesetze geben sollten? Und wie ist es zu dulden, daß ein philosophischer Geist, der zu einem Lehrer der unreifern Menschen bestimmt ist, der die Irrthümer und Thorheiten mit herculischem Muthe angreifen und unsre moralischen Krankheiten mit sokratischer Geschicklichkeit heilen sollte, daß ein solcher sich bis zu scholastischen Spitzfindigkeiten, Monadologien und Zänkereien über längst entschiedene Aufgaben herablassen mag? Aber, lasset uns nur gestehen, die Zeit der Platone und Xenophone und Plutarche ist vorbei! Auch die Zeit ist vorbei, da man, statt aufgeblasener Schulgelehrter, jene erhabnen Geister zu seinen Lehrern wählte, die ihre Weisheit aus den reinsten Quellen schöpften und von reiner Liebe zur Wahrheit und von großmüthigen Trieben begeistert wurden, die in unsern Tagen fremd sind. Ach! jene glücklichen Tage sind nicht nur verschwunden, sondern unsre Sophisten sind von ihrer gelehrten Unwissenheit so sehr berauscht, daß sie von erleuchteten Zeiten schwatzen und vom Gipfel ihrer auf einander gethürmten Werke, deren Werth sie beim Pfund abwägen, auf die großen Genien des Alterthums mit dummer Verachtung hinabsehen, ohne zu wissen, daß Leute von ihren Fähigkeiten zu Platons Zeit kaum zu Abschreibern gut genug gewesen wären.

53 Du bist so glücklich, Amyntor, besser zu denken, ob du gleich im Vaterlande der Schöpse und unter einer dicken Luft geboren bist. Dein Geist hat sich im geheimen Umgang mit den Weisen eines geistreichern Alters gebildet; sie haben dich mit der Natur bekannt gemacht und dir die innersten Triebfedern des menschlichen Herzens aufgedeckt. Bei ihnen hast du den feinen Geschmack eingesogen, der das Wahre und Schöne zu prüfen, zu verbinden und in seinen eignen Ideen und Empfindungen auszudrücken weiß. Sie haben dich gelehrt, daß die Philosophie, welche die Sophisten für eine Disputirkunst halten, eine Kunst zu leben sey. Mache jetzt einen würdigen Gebrauch von einer solchen Unterweisung. Habe den Muth, deinen Lehrern nachzueifern und, wie sie, das Licht, das in dir selbst aufgegangen ist, über Andere auszustrahlen. Wenn du Vorbilder haben willst, so wähle sie aus ihnen; fliehe die ansteckende Gesellschaft der kleinen Geister und gehe, von ihrem albernen Hohn ungestört, deinen einsamen Weg fort.

Vor Allem aber sey dein Hauptzweck, was das Ziel aller groß gesinnten Seelen seyn soll, das Beste der Welt, deren Bürger du bist, und die Erhaltung der moralischen Ordnung, welche sich bald in ein Chaos verwandeln würde, wenn die kleine Zahl der Weisen und Tugendhaften ihre heilsamen Strahlen zurückziehen wollte. Aber die Vollkommenheit weiß eben so wenig von Neid als von Furcht. Sie theilet sich gern mit, und ein Geist, der an Ordnung und Schönheit sich gewöhnt hat, ist voller Geschäftigkeit, dasjenige auch außer sich hervorzubringen, was er, unter den Einflüssen des göttlichen Geistes, in sich selbst angeordnet hat. Mache keine Entwürfe, wie du in der großen Welt und im Rathe der Fürsten die Beispiele eines Epaminondas und Aristides 54 wieder erneuern wollest. Unsere Zeiten leiden keinen Epaminondas, keinen Cato mehr, als in solchen Umständen, wo sie nicht handeln können; die Großen erlauben uns nur, was sie uns nicht wehren können – zu denken und zu wünschen. Wende dich auf eine andere Seite. Hilf die Unwissenheit, die Mutter aller moralischen Ungeheuer, bestreiten. Verbreite die Wahrheit, welche kein Geheimniß unter etlichen wenigen Adepten seyn soll, über alle Arten von Ständen und Menschen. Spähe die Bedürfnisse der Menschen aus und vergiß keines von den Mitteln geltend zu machen, welche geschickt sind, unsern Zustand zu verbessern. Strenge alle deine Fähigkeiten zu diesen edeln Unternehmungen an. Es sey nun, daß du uns, wie Homer, einen Spiegel des menschlichen Lebens vorhaltest; oder uns, wie Plato, unter anmuthigen Gesprächen zum erhabnen Tempel der Wahrheit führest; oder, wie Lucian, durch einen menschenfreundlichen Spott unsre Thorheiten heilest; oder sey es, daß du verschiedene Künste in dir vereinigest und bald diese bald jene Lehrart gebrauchest: so sey allemal deine erste Absicht, zu lehren, nicht, den Witz der Leser zu kitzeln oder den deinigen, wie eine feile Dirne ihre Schönheit, auszulegen. Denn, obgleich der Witz, wenn er nur als ein Aufwärter der Wahrheit gebraucht wird, schätzbar ist, so ist er doch für sich allein nur ein Thor und kann nur Thoren belustigen, die auch den Seiltänzer bewundern, weil seine Kunst schwer, nicht, weil sie nützlich ist.

Die Kunst, zu schreiben, ist, wie die edelsten Künste alle, in unsern Tagen ein elendes Handwerk geworden, eine Arbeit der Finger, wozu gerade so viel Geist erfordert wird, als zum Wollespinnen. Ehemals schrieben nur erleuchtete Geister, die ihr Hauptgeschäft daraus gemacht hatten, zu erforschen, 55 was wahr und gut, edel und schön sey. Sie theilten der Welt ihre Erfahrungen mit oder die Betrachtungen, die sie selbst über diejenigen Dinge angestellt, welche den stärksten Eindruck auf ihre Seele gemacht hatten. Jetzt schreibt man, um sich gedruckt zu sehen, oder weil es Mode ist, oder weil Einem die Finger jucken, oder weil man sonst nichts zu thun weiß. Ja, die Meisten treibt der Hunger oder eine schändliche Gewinnsucht; und weil sie nichts Nützliches gelernt haben, so sind sie Schriftsteller. So weit wird der Mißbrauch und die unbefugte Anmaßung des Rechts zu schreiben getrieben, welches ein Vorrecht derjenigen seyn sollte, welche die Natur dazu ausgerüstet hat, die moralische Welt zu erleuchten und die Orakel der Wahrheit zu seyn! Willst du nicht helfen, Amyntor, diesem erhabnen Beruf seinen alten Glanz wieder zu verschaffen? Willst du nicht Einer von den Wenigen seyn, für welche der weise Shaftesbury seine ErinnerungenAdvice tho an Author, im ersten Theile seiner Characteristicks. W. nicht umsonst gegeben hat?



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