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Grandison. Camilla.
Camilla. Ich wünsche Ihnen Glück, gnädiger Herr, zu dem Siege, den Sie über die Hindernisse Ihres Glücks erhalten haben. Sie haben aus dem General einen Freund und aus Ihrem Nebenbuhler selbst einen Fürsprecher Ihrer Sache gemacht. Alle Glieder der Familie haben es der Gräfin Clementina aufgetragen, die Verbindlichkeiten zu erstatten, welche sie Ew. Gnaden schuldig zu seyn erkennen. Die allzu zärtliche Denkungsart der jungen Gräfin ist die einzige Schwierigkeit, die Ihnen, wie ich besorge, noch zu überwinden übrig ist.
Grandison. Die vergangene Nacht ist mir lang geworden, Camilla! Ich weiß nicht, was für traurige Vorempfindungen sich meiner bemeistert haben. Ich gestehe Ihnen, daß ich vor der Zusammenkunft zittre, die mir mit Ihrer Gebieterin bevorsteht.
Camilla. Die Gräfin Clementina befindet sich in den gleichen Umständen. Sie hat diese ganze Nacht schlaflos zugebracht, und ihre Furcht vor dieser Zusammenkunft scheint jetzt eben so groß, als ihre Erwartung derselben anfangs ungeduldig war. Seit dem Augenblick, da ihr die Markgräfin den Entschluß der Familie entdeckte, ist ihr Bezeigen ganz anders als vorher. Sie ist still, zurückhaltend und auf eine feierliche Art ernsthaft. Sie hat etliche Stunden in ihrem Cabinet mit Schreiben zugebracht. Es war Mitternacht, da sie noch schrieb. Morgen, Camilla, sagte sie endlich nach einem langen Stillschweigen, und ihr Gesicht veränderte sich, indem sie dieß sagte, morgen wird ein wichtiger Tag für mich seyn. O, daß er schon gekommen und auch schon vorüber wäre! – Es kostete mir viele Mühe, sie zu bereden, daß sie sich zur Ruhe begeben möchte. Doch um vier Uhr des Morgens stand sie schon wieder auf und ging an ihren Schreibtisch. Ich vermuthe, sie setzt einige Bedingungen auf, welche Sie unterzeichnen sollen. Aber aus etlichen Worten, die ihr ungefähr entfallen sind, getraue ich mir zu sagen, daß es großmüthige Bedingungen seyn, und daß sie mehr Phantasie als Härte haben werden.
Grandison. Hat Ihre junge Gräfin während meiner Abwesenheit eine Unterredung mit dem Pater Marescotti gehabt?
Camilla. Ja, und ich bekenne Ihnen, daß ich der Begierde nicht habe widerstehen können, sie zu behorchen. Ich hatte keine böse Absicht. Was ich von ihrer Unterredung hören konnte, gereicht zur Ehre dieses würdigen Mannes. Er erhob Ihren Charakter, gnädiger Herr, in Ausdrücken, die nur das Herz eingeben kann; und ich hörte ihn sagen, er hoffte, Clementina werde, wenn sie die Ihrige sey, das gesegnete Werkzeug Ihrer Bekehrung seyn.
Grandison. Ich habe niemals einen Zweifel in die Redlichkeit des Paters Marescotti gesetzt. – Aber die Stunde der Zusammenkunft ist da. Melden Sie mich der Gräfin, Camilla!
Camilla. Sie ersucht Euer Gnaden, sich indessen bei ihrem Bruder Jeronymo zu verweilen, bis sie, wie sie sagt, mehr Muth gefaßt hat, Sie zu sehen. Die Wunden des armen Barons haben sich diese Nacht verschlimmert. Sie werden die Aerzte bei ihm antreffen.
Der Schauplatz stellt Clementinens Zimmer vor.
Clementina (kommt mit einem Papier in der Hand aus ihrem Kabinete). Nun ist sie da, die gefürchtete Stunde – O, daß sie schon vorüber wäre! Wie werde ich mein Gesicht zu diesem erhabenen Manne aufheben? Was werde ich ihm sagen? Was werde ich ihm antworten können? – Dieses Papier soll für mich reden! – Aber, o Grandison, wenn du Clementinen liebst; wenn es mehr als Mitleiden und Großmuth ist, was du für sie empfindest; wenn ihr Besitz dich glücklich gemacht hätte: – wirst du ihr vergeben können? Wüßtest du, was es ihr gekostet hat! Doch die Thränen, womit dieses traurige Blatt befleckt ist, werden dir's sagen. – Camilla! – Aber, nein! noch kann ich ihn nicht sehen – Ich bin noch nicht gefaßt –
Clementina. Camilla.
Camilla. Sie haben mir gerufen, gnädige Gräfin!
Clementina. Ich will allein seyn, Camilla – Verlassen Sie mich.
Camilla. Wissen Sie, gnädige Gräfin, daß der Chevalier auf die Erlaubniß wartet, Sie zu sehen?
Clementina. Ich kann ihn noch nicht sehen – Keine Widerrede, Camilla! Ueberlassen Sie mich mir selbst.
(Camilla geht ab.)
Clementina allein.
(Sie wirft sich, nachdem sie etliche Mal in tiefen Gedanken auf- und abgegangen, in großer Unruhe und Beängstigung auf einen Sopha.)
O, warum mußte ich ihn sehen? Warum mußte ich ihn sehen? Warum mußten einem Manne, der nicht mein Bruder seyn konnte, der Name und die Rechte eines Bruders gegeben werden? – Warum mußte sein untadeliger Werth meine Liebe zugleich entflammen und rechtfertigen? – Unglückselige! wen beschuldigest du? Klage deine eigene Schwachheit an! Was zwang dich zu reden? Warum ließest du nicht dein trauriges Geheimniß, in ewiges Stillschweigen gehüllt, an deiner stummen Brust nagen? – O, daß ich schon bei denen wäre, die im Grabe schlummern! O, daß meine Seele schon entfesselt, schon in jene Welt hinüber gerettet wäre, wo die Tugend nicht mehr kämpfen muß, und die Glückseligkeit nicht an ewiges Elend grenzt! – Doch, sie kommt, ich fühle es, sie nähert sich, die glückliche Stunde – meine Tage laufen zum Ende – Trostvolle Hoffnung! du gibst meiner Seele ihre ganze Stärke wieder!
(Sie steht auf.)
– Ja! ich will groß, ich will wie eine Unsterbliche handeln! Und du, dem ich dieses Opfer bringe, du wirst mich stärken! – Aber, o bester, liebenswürdigster unter den Männern! soll ich dir entsagen, soll ich dich auf ewig von mir verbannen, ohne daß du wissest, wie sehr deine Clementina dich geliebt hat? Wirst du es auch glauben, wirst du es begreifen können, daß nur eine Liebe, wie die ihrige, ein menschliches Geschöpf fähig machen konnte, das zu thun, was ich thun will? – Ja, Geliebter, nur damit ich dich ohne Vorwürfe meines Herzens, ohne Gefahr meiner Seele lieben könne, entsage ich dem Glück, die Deinige zu seyn! Eine bessere Welt soll uns wiedergeben, was uns diese vorenthält. Dieß sollen meine unermüdeten Gebete und meine glühenden Thränen vom Himmel erbitten! – Mich dünkt, ich bin nun ruhiger, ja, ich bin es, ich will Camillen rufen – Camilla!
(Camilla erscheint.)
Sagen Sie dem Herrn Grandison, daß ich ihn erwarte. –
(Camilla entfernt sich wieder.)
– Nun wird er kommen! nun soll ich ihm sagen – Ach! niemals, niemals werden es meine Lippen aussprechen können – O ihr Engel und ihr Heilige des Himmels alle, stehet mir bei! Ihr Zeugen meiner geheimen Thränen und des schmerzhaften Kampfes, den meine Seele gekämpft hat, verlasset mich nicht in diesem furchtbaren Augenblicke! –
Grandison. Clementina.
Grandison. Wie sehr, liebenswürdigste Clementina, hat mich nach dieser Zusammenkunft verlangt! Das Gut, nach welchem ich zu streben aufgemuntert worden, ist zu unschätzbar, als daß ich ruhig seyn konnte, ehe ich des Besitzes desselben gewiß bin. Diese englische Gütigkeit, die ich in Ihren Augen sehe, macht mich kühn – Darf ich hoffen, theuerste Gräfin, daß Ihr Entschluß mit demjenigen überein stimmt, was nunmehr der vereinigte Wunsch aller Ihrer Verwandten ist?
(Clementina sitzt mit niedergeschlagenen Augen und antwortet blos mit Seufzern.)
Grandison. Die Bedingungen sind Ihnen schon eröffnet worden. Der Pater Marescotti wird fortfahren, Ihr geistlicher Führer zu seyn. Ich werde stets um das andere Jahr, wechselsweise in Italien und England, durch meine Clementina glücklich seyn.
Clementina (mit einem Gesicht und Ton, welche eine Mischung von Vergnügen und Wehmuth ausdrücken). Ihre Clementina? – Ach! Herr Grandison! (Sie wendet ihr Gesicht.)
Grandison. Ja, gnädige Gräfin, die Hoffnung, daß Sie es seyn werden –
Clementina (fällt ihm schnell in die Rede). Halten Sie ein, Chevalier – Sprechen Sie es nicht aus – Ach! wie werde ich –
(Sie geht gegen ihr Cabinet, kehrt aber wieder um und wendet sich mit einem Blick voll zärtlichen Ernstes gegen Grandison.)
Und sind Sie unveränderlich entschlossen, Herr Grandison? Werden Sie, können Sie kein Katholik werden?
Grandison. Sie haben ja eingewilligt, gnädige Gräfin, als ich das letzte Mal in Italien war, daß ich den Aussprüchen meines Gewissens folgen dürfe.
(Clementina zeigt in ihrem Gesicht und durch ihre Geberden die äußerste Verlegenheit. Sie versucht zu reden, aber sie kann kein Wort hervorbringen. Endlich geht sie nach ihrem Cabinet, und indem sie dem Grandison ein Papier in die Hand gibt, sagt sie mit stockender Stimme:)
Dieses Papier – Lesen Sie es – Verlassen Sie mich! Verlassen Sie mich!
Grandison allein.
O, das ist zu viel. Was seh' ich? Sie fällt auf ihre Knie – sie zerfließt in Thränen – O, dieß Aechzen durchbohrt meine Seele! Es ist das Aechzen eines Sterbenden – Meine Ahnungen sind erfüllt! – Aber, o Clementina, in diesem Augenblick habe ich keinen Wunsch, keinen Gedanken für mich selbst! – Ich zittre, dieses Papier zu eröffnen. – Doch sie verlangt es. –
(Er eröffnet das Papier und versucht zu lesen.)
Ich kann nicht lesen – meine Augen sind umnebelt – Gütiger Himmel! welch ein Ausgang ist das!
Die Markgräfin. Grandison.
Die Markgräfin. Was ist vorgegangen, lieber Chevalier? Ich finde Clementinen in Thränen. Sie bittet mich, sie dem Kampfe mit sich selbst zu überlassen. Die Beängstigung ihres Herzens macht sie athemlos. Sie fürchtet Ihren Unwillen, Chevalier! Sie hat Ihnen ein Papier gegeben. Lassen Sie ihn das lesen, sagte sie, und lassen Sie mich hier so lange bleiben, bis er nach mir fragt; wofern er anders, nachdem er es gelesen hat, ein Geschöpf noch vor seinen Augen leiden kann, das seiner Gütigkeit unwürdig ist – Ich bin ganz erstaunt – Was bedeutet Alles dieses?
Grandison. Gnädige Frau, Sie sehen mich so bestürzt, als ich es niemals gewesen bin. Ich weiß den Inhalt des Papiers noch nicht. Ich will es Ihnen vorlesen, wenn ich kann.
Die Markgräfin. Lesen Sie es allein, Chevalier! Ich gehe, dem Markgrafen zu melden, was vorgeht.
Grandison allein.
Ich errathe den Inhalt dieses Papiers. – Ihre Einbildungskraft, die durch ihre Krankheit über die natürliche Höhe getrieben worden, hat die Bedenklichkeiten ihres Gewissens geschärft. Sie wird sich verpflichtet glauben, dem Himmel ein Opfer von ihrer Liebe zu bringen. – Liebste Clementina, soll ich deinen Besitz – Doch ich will lesen.
(Er setzt sich und liest.)
– Vortreffliches Geschöpf! – Ich muß inne halten – Welche Zärtlichkeit! welche Unschuld! welche Hoheit der Seele! – O Clementina! warum mußtest du dich in der strahlenden Vollkommenheit eines Engels vor meine Augen stellen, wenn ich deinem Besitz entsagen soll? –
(Er fährt fort zu lesen.)
– Unwiderstehliches Geschöpf! wie verehre ich dich! – Es ist genug! Ich bin Alles, was du willst, daß ich seyn soll!
Der Bischof. Grandison.
Der Bischof. Was höre ich, liebster Grandison? Was ist aus meiner Schwester geworden? – Sie sind außerordentlich gerührt, Chevalier! Was hat diese liebe Träumerin –
Grandison. Lesen Sie, gnädiger Herr, lesen Sie dieses Papier, und seyn Sie stolz auf Ihre Schwester! Sie ist ein Engel! Ihr Besitz würde ein irdischer Himmel für mich gewesen seyn! – Sie hat mich abgewiesen – aber aus so großen Bewegungsgründen und auf eine solche Art, daß ich sie mehr als jemals verehren muß – Sie ist das liebenswürdigste unter allen menschlichen Wesen –
Der Bischof. Ich begreife nichts von dieser seltsamen Aufführung. Ich will ihr Papier dem Markgrafen und der Markgräfin lesen. Aber der Inhalt mag auch seyn, welcher er will, so hoffe ich, Sie werden sich nicht so schnell durch die hochfliegenden Schwärmereien eines phantastischen Mädchens blenden lassen. Ihre Einbildungskraft ist auf einer Höhe, worauf sie sich nicht erhalten kann. Sie wird ganz anders denken, wenn sie wieder gelass'ner seyn wird.
Grandison. Lesen Sie, gnädiger Herr, bewundern Sie Clementinen, und bedauern Sie mich.
(Der Bischof geht mit dem Papier ab.)
Grandison. Clementina. Camilla.
(Indem Grandison mit den äußerlichen Zeichen einer großen Unruhe auf und ab geht, erscheint Clementina auf dem hintern Theile des Theaters. Sie bleibt stehen, da sie Grandison sieht, und lehnt sich an Camillen zurück.)
Clementina. Können Sie mir verzeihen, Grandison? – Können Sie einer Creatur verzeihen, die Ihren Unwillen weder vermeiden, noch ertragen kann?
Grandison. Ihnen verzeihen, theuerste Clementina? Vergeben Sie mir, daß ich so vermessen gewesen bin, daß ich noch so vermessen bin und hoffe, einen solchen Engel mein zu nennen.
Clementina. Reden Sie nicht von Hoffnung,. Chevalier! Sagen Sie, daß Sie mir vergeben. Beruhigen Sie mein Herz, wenn es Ihnen möglich ist!
Grandison. Sie haben nichts gethan, das Vergebung nöthig hat. Ich bete die Größe Ihrer Seele an – Aber – O, dürfte ich Ihr Mitleiden – Vergeben Sie mir, allzu liebenswürdige Clementina – Ich schweige! Was auch mein Herz dabei leiden mag, so will ich doch nichts Anderes seyn. als was Sie wollen, daß ich seyn soll.
Clementina. Wenn Sie mich lieben, theurer Grandison, so machen Sie mir Muth, in dem Entschlusse standhaft zu bleiben, den ich gefaßt habe. Ich würde unaussprechlich elend seyn, wenn der Verlust meiner Person Sie unglücklich machen könnte. Meine Liebe können Sie nie verlieren. Die besten, die zärtlichsten Empfindungen meines Herzens sind Ihnen heilig. Sie sind in den Grund meiner Seele eingewebt. Sie werden unsterblich seyn, wie sie.
Grandison. Verehrungswürdiger Engel! Wie gütig muntern Sie mich auf, mich Ihrer würdig zu zeigen! – Fahren Sie fort, liebste Clementina! Helfen Sie mir, lehren Sie mich einen Verlust ertragen, dessen ganze Größe Sie mich erst jetzt kennen gelehrt haben.
Clementina. Könnte Grandison schwächer seyn, als seine Clementina? – O, wüßten Sie, was es ihr gekostet hat, diesen Entschluß zu fassen! – Ich habe keine Ursache mehr, zu verbergen, wie theuer Sie mir sind! – Ja, liebster Chevalier! wenn ich ohne Unruhe meines Gewissens die Ihrige hätte seyn können, die wildeste Einöde wäre mir mit Ihnen ein Paradies gewesen. Schließen Sie aus der Größe meiner Selbstverleugnung, mit welcher Stärke die Beweggründe auf mein Gemüthe wirken müssen, die mich derselben fähig machen! – Das Opfer war groß, das der Himmel von mir forderte. Aber, da ich die Kürze dieses Lebens betrachtete, und die Ewigkeit mit allen ihren Hoffnungen und Schrecknissen vor meiner Seele lag, konnte ich mich da bedenken, was ich wählen sollte?
Grandison. Ich verehre Ihre Beweggründe, ob sie mich gleich nicht überzeugen; ich verehre die Zärtlichkeit Ihrer Denkungsart und diese Frömmigkeit, die Sie in meinen Augen über die menschliche Natur erhebt. Aber – o meine Clementina – ich bemühe mich umsonst, Ihnen zu verbergen, wie schwer es mir ist, einer Glückseligkeit zu entsagen. –
Clementina (indem sie ihm mit zärtlichen Geberden die Hand auf den Mund legt) Liebster Chevalier, sagen Sie das nicht! – Wie soll ich sonst meinen Vorsatz halten? – Lassen Sie mich nicht in meiner Hoffnung betrogen werden! Ich sah Sie als den Freund meiner Seele an – kannte sie als den edelsten und besten unter den Sterblichen – hätte ich es sonst wagen dürfen, mein Schicksal Ihrer Großmuth zu überlassen?
Grandison. Sie sollen sich nicht betrogen haben, unnachahmliche Clementina! Ich will der Freund Ihrer Seele seyn; und diese geliebte Seele nehme ich zum Zeugen, daß ich von diesem Augenblick an jedem eigennützigen Wunsch entsage und mich aller Vortheile begebe, die mir die Großmuth Ihrer Verwandten, meine Liebe und die Gütigkeit der Gräfin Clementina selbst zu Bestreitung Ihres Vorsatzes geben könnte.
Clementina. Wie würdig sind Sie in diesem Augenblicke meiner ganzen Zärtlichkeit! – Unsterbliche, liebster Grandison, Engel schauen auf uns herab und billigen uns! O, möchte ich durch den Dienst dieser unsichtbaren Freunde der Menschen den Geliebten meiner Seele dort wiederfinden, wo uns nichts mehr trennen könnte! – Hören Sie mich, Grandison, und geben Sie mir den letzten Beweis, daß Sie mich lieben! – In dem Augenblick, da ich entschlossen war, den Wunsch meines Herzens meiner höchsten Pflicht aufzuopfern, habe ich alle Ansprüche an irdische Glückseligkeit aufgegeben. Die Welt hat keine Reizungen mehr für mich. Dasjenige, was ich durch meine Krankheit erlitten, und was mir der gewaltthätige Kampf mit mir selbst gekostet hat, bekräftiget die Ahnung, die ich in mir fühle, daß ich nicht lange mehr zu leben habe. Soll ich nicht den Ueberrest meines Lebens anwenden, glücklich zu sterben? Ja, Chevalier! ich bin entschlossen, mich von der Welt zu entfernen. Alle meine Gedanken, alle meine Wünsche sind auf dieses Einzige gerichtet. Helfen Sie mir, Chevalier! Sie vermögen Alles bei meinen Eltern. Unterstützen Sie mein sehnliches einziges Verlangen! – Meine Liebe zu Ihnen wird mir in die heilige Freistätte folgen, die ich mir erwählet habe. Die ewige Glückseligkeit Ihrer Seele soll Tag und Nacht der Gegenstand meines Gebetes seyn. Gott wird die Thränen eines armen Geschöpfes ansehen, das ihm Alles aufgeopfert hat. Seine Gnade wird Sie erleuchten – und – o entzückende Hoffnung! – ich werde Sie in den himmlischen Wohnungen wiederfinden! – Was sagen Sie zu meinem Vorhaben, Chevalier? Wollen Sie Ihrer Clementina diesen Beweis geben, daß Sie ihre Seele lieben?
Grandison. Auf was für eine Probe stellen Sie eine Liebe, an der Sie nicht mehr zweifeln können? Wie soll ich einwilligen, wie soll ich selbst dazu behülflich seyn, daß eine Dame von so außerordentlichen Vorzügen in der Blüthe ihrer Jugend der Gesellschaft entzogen werde, welche desto gerechtere Ansprüche an Sie hat, je größer Ihre Tugenden sind? Wie soll ich es wagen dürfen, Ihren Eltern einen Antrag zu machen, der sie einer Tochter beraubte, von der sie hoffen, daß sie das Vergnügen ihres übrigen Lebens seyn werde? Ein Antrag, der mir das Ansehen geben würde, als ob ich wünschte, daß Sie, weil Sie nicht die Meinige seyn können, für alle Welt verloren seyn möchten! – Erlauben Sie, gnädige Gräfin, Ihrem Grandison, Sie zu bitten, daß Sie mit verdoppelter Aufmerksamkeit erwägen, was Sie so gütigen Eltern und so zärtlichen Verwandten, wie die Ihrigen, schuldig sind, ehe Sie sich –
Clementina (unterbricht ihn ein wenig hitzig). Ich habe Alles erwogen, Chevalier! Meine Eltern verlieren nicht mehr, als sie durch unsere Vermählung verloren hätten. Ich fühle mit der gerührtesten Dankbarkeit Alles, was ich ihnen schuldig bin; aber ist nicht meine Pflicht gegen sie einer höhern Pflicht untergeordnet? Glauben Sie mir, daß ich Alles erwogen habe. Ich bin überzeugt, daß der Trieb, den ich in mir fühle, von Gott ist. Er ist unwiderstehlich! – O Grandison! warum wollen Sie mich des einzigen Mittels berauben, welches mir den Schmerz unserer Trennung erleichtern kann? Und haben Sie auch wohl bedacht, was die Folgen davon seyn werden, wenn Sie mich verhindern, den Schleier anzunehmen? Ach, Chevalier! von Ihnen hätte ich das nicht vermuthet! Von dem Augenblick an, da Sie Bologna werden verlassen haben, werde ich den Verfolgungen des verhaßten Belvedere und meines Bruders ausgesetzt seyn. Alle werden sich wider mich vereinigen. Man wird mich zur Verzweiflung treiben, und ich werde mein elendes Leben vor der Zeit endigen, ohne daß ich den Trost gehabt habe, mich zu dem künftigen vorzubereiten. Können Sie so grausam seyn, Chevalier, und mich einem solchen Zustand überlassen?
Grandison. Theure Clementina! Sie setzen mich in die äußerste Verlegenheit. Ich darf es nicht wagen, Sie um die Widerrufung des strengen Gesetzes zu bitten, das Sie mir aufgelegt haben – Ich habe mein Wort gegeben – Ich kann nicht unedel seyn – Aber ist denn kein ander Mittel, als der Schleier, Sie vor demjenigen, was Sie fürchten, sicher zu stellen? Ich kenne ein Mittel, das unfehlbar ist. Sie haben Beweise von der Gütigkeit Ihrer Eltern. Von einem so großmüthigen Vater, von einer so zärtlichen Mutter dürfen Sie sich Alles versprechen. Und erlauben Sie mir auch zu sagen, daß der Graf von Belvedere Sie zu sehr verehrt, als daß er sich der Freundschaft Ihrer Verwandten bedienen sollte, Ihnen Unruhe zu machen. Er ist unglücklich, weil er eine Clementina ohne Hoffnung liebt; aber er verdient nicht, daß Sie ihn hassen.
Clementina (für sich, mit einer trostlosen Stimme und Geberde). Arme, unglückliche Clementina! – So vereiniget sich Alles, dich elend zu machen! – Es war ein Trost für mich zu glauben, daß er mich liebe – Der angenehme Betrug schläferte meine Schmerzen ein und gab mir Augenblicke von Ruhe – Mußte ich auf eine so grausame Art belehrt werden, daß ich mich betrogen habe?
Grandison. Hören Sie auf, Clementina, mein Herz mit diesen ungütigen Zweifeln zu martern! – Doch es ist noch größere Pein für mich, Sie von diesen selbstgemachten Schmerzen gequält zu sehen! – Sie können nicht an meiner Liebe zweifeln, liebste Clementina! Was wollte ich nicht thun, was wollte ich nicht leiden, Sie zu überzeugen –
Clementina. Vergeben Sie mir, Chevalier! Ich bin ungerecht gewesen – Vergeben Sie Ihrer Clementina! Aber, o lassen Sie mich Sie bitten –
(Sie wirft sich ihm zu Füßen.)
Grandison (indem er sie aufheben will). Stehen Sie auf, liebste Gräfin – Ich beschwöre Sie, stehen Sie auf.
Clementina. Nein, Grandison, ich will nicht aufstehen; hier zu Ihren Füßen will ich liegen bleiben und nicht aufhören, Sie zu bitten – O, wenn Ihnen Clementina jemals werth gewesen ist, wenn Ihr großmüthiges Herz nicht für sie allein ohne Mitleiden ist – bei meiner Liebe, Grandison, bei den Thränen, die nun so lange mein einziges Labsal sind, beschwöre ich Sie, lassen Sie sich erbitten! Billigen Sie, unterstützen Sie meinen Entschluß! Lassen Sie den Ueberrest meines Lebens glücklich seyn! Lassen Sie mich –
Grandison (hebt sie auf). Unwiderstehlicher Engel! ich will – ich will Alles, was Sie wollen! Meine Seele wird von der Ihrigen fortgerissen – Vergeben Sie mir, daß ich mich Ihren Wünschen widersetzte; ich habe keine andere als Ihre Glückseligkeit!
Clementina. O Grandison! der Allmächtige belohne Sie für diese großmüthige Liebe, die ich nicht belohnen kann! – Ich werde also nicht ganz unglücklich seyn! In der Stille einer einsamen Zelle werde ich ungetadelt und ungestört meiner Zärtlichkeit und meiner Thränen genießen. Nur unsichtbare Engel werden sie sehen und die Seufzer zu dem Throne des Ewigen tragen, in denen sich meine Seele für Sie aushauchen wird! – Sie haben mir das Leben wiedergegeben, Chevalier! – Gehen Sie, meinen Vater zu bewegen, daß er meinen Vorsatz billige. Lassen Sie mich Ihnen die einzige Glückseligkeit zu danken haben, deren ich fähig bin!
Grandison. Möchten Sie in diesem Augenblicke in meine Seele schauen können! Ich gehe – Sie verlangen es! – O Clementina, wenn nicht ein besseres Leben auf uns wartet, wie unglücklich wär' es, geboren zu seyn!
(Er geht ab.)
Die Markgräfin. Clementina.
Die Markgräfin. Ich glaubte, den Chevalier bei dir zu finden, Clementina?
Clementina. Er hat mich diesen Augenblick verlassen, gnädige Mama!
Die Markgräfin. Du hast uns Alle in Erstaunen gesetzt, Clementina! Wer hätte einen solchen Ausgang vermuthen sollen? Wir sind in großer Verlegenheit – Dein Bruder Jeronymo dringt hitzig darauf, daß wir uns nicht an deine Schwärmereien kehren sollen. Dieß war sein Ausdruck. Das Uebermaß seiner Dankbarkeit gegen Grandison macht ihn ungehalten auf seine Schwester. Aber du hast an dem Pater Marescotti und mir Fürsprecher gefunden. Ich bedaure den Chevalier; ich bedaure dich, Clementina; ich fühle alle die Wunden, womit der Kampf dein Herz zerreißen mußte, ohne den du keinen solchen Sieg erhalten konntest. – Aber wirst du auch Stärke genug haben, meine Liebe, bei dem Vorsatz zu bleiben, den du so großmüthig genommen hast?
Clementina. Ich fühle meine Schwäche, und ich hoffe, dieses wird meine Sicherheit seyn. Ich habe nicht ohne Ueberlegung gehandelt. Ich überdachte alle meine Pflichten; ich setzte mich an die Stelle einer Person, die mich in solchen Umständen, wie die meinigen, um Rath fragte. Die Entscheidung war wider den Vortheil meines Herzens. Ich zweifelte, mein Herz empörte sich wider die Aussprüche meiner Vernunft; ich durfte mir selbst nicht trauen. In der Beängstigung, worein mich diese Ungewißheit setzte, nahm ich meine Zuflucht zum Himmel. Ich bat die heilige Jungfrau, einer Unglücklichen beizustehen, deren Herz willig war, seine Pflicht zu thun, deren Vernunft aber geschwächt war. Mein Gebet wurde erhört. Es wurde mir eingegeben, was ich thun sollte. Ich schrieb Alles auf. Meine Seele war des himmlischen Triebes voll, der ihr geschenkt wurde. Ich war gelassen und tapfer, bis die Stunde kam, die ich dem Chevalier bestimmt hatte. Der innerliche Streit fing jetzt wieder an, ich rang mit mir selbst; sein Anblick erschütterte alle meine Entschließungen. Ach! könnte ich ihm nur mein Papier geben, dachte ich, so würden alle Schwierigkeiten vorüber seyn. Ich bin gewiß, wenn er die Redlichkeit meines Vorsatzes sieht, so wird seine Großmuth mich selbst darin unterstützen. Ich habe mich in meiner Erwartung nicht betrogen, und nun hoffe ich, sein Beispiel und eben die unsichtbare Macht, die mir Muth gegeben, nach meiner Pflicht zu handeln, werde mir Standhaftigkeit geben, darin zu verharren.
Die Markgräfin. Liebste Clementina, was kann ich dir sagen? Ich bewundere dich und verehre die geheime Leitung der Vorsicht. So sehr dein Entschluß meiner Erwartung und selbst meinen Wünschen entgegen ist, so kann ich ihn doch nicht mißbilligen. Ich bin stolz auf dich, meine Clementina! – Aber was sollen wir nun mit diesem vortrefflichen Manne machen? Du warst das einzige, seiner würdige Geschenk, das wir ihm anbieten konnten. Nun vermehrt selbst die Großmuth, womit er in deinen Vorsatz williget, die Last unsrer alten Verbindlichkeiten.
Clementina. Dieß ist's, was mich am meisten beunruhiget. – Aber ich bin versichert, daß diese Unruhe den Chevalier beleidigen würde, wenn er sie wüßte. Großmüthige Handlungen sind seiner Seele zur Natur geworden. Seine Tugend erhebt ihn über alle Belohnungen; sie macht ihn durch sich selbst groß und glücklich. Aber, gnädige Mama – Erinnern Sie sich – Ich wünschte – Ich fürchte mich, zu reden – Sie sagten, daß Sie mich bedauerten – Ach, liebste Mutter, ich habe aller Ihrer Zärtlichkeit, alles Ihres Mitleides vonnöthen!
Die Markgräfin. Rede frei, meine Clementina! Du bist Alles, was mir am theuersten ist. Kannst du an meiner Liebe zweifeln? Sage, was du von mir verlangst! Deine Glückseligkeit ist mir mehr, als meine eigene.
Clementina. Eben diese allzugütige Zärtlichkeit macht mich furchtsam. – Aber ich muß reden – Sie wissen, gnädige Mama, daß von der Kindheit an mein Verlangen gewesen ist, mich dem einsamen Stande zu widmen. Sie wissen, wie sehr dieser Trieb zugenommen hat, seitdem ich den Chevalier kannte. Ihre Liebe zu mir hat sich bisher meinem sehnlichen Verlangen widersetzt, und meine Dankbarkeit, mein Gehorsam gegen die beste unter den Müttern hat auf Unkosten meiner Ruhe mit dem Triebe meines Gewissens gekämpft. Befreien Sie mich, liebste Mutter, von einem Streit, unter welchem ich erliegen muß – Machen Sie Ihre Clementina glücklich! – Hat nicht mein unglücklicher Zustand auch Sie unglücklich gemacht? – In der Welt würde ich es allezeit bleiben. Lassen Sie mich unter die Flügel einer heiligen Einsamkeit fliehen! Ich werde nicht aufhören, Ihr Kind zu seyn, wenn ich ein Kind Gottes bin – Sie werden Ruhe und Heiterkeit auf meinem Gesichte sehen; Sie werden den Frieden des Himmels, die Hoffnungen der Unsterblichen in meinen Augen lesen; Sie werden mich glücklicher sehen, als mich der Besitz aller irdischen Güter machen könnte; und dieser Anblick wird Ihr Herz mit Trost und Freude erfüllen.
Die Markgräfin. Ach, Clementina! was forderst du von meiner Zärtlichkeit? – Du kennest die Gründe, welche die Familie verhindern, in dein Begehren zu willigen. Unsere Liebe zu dir gibt ihnen eine überwiegende Stärke. Wir können uns weder von dir trennen, noch unsere Absichten mit dir aufgeben.
Clementina. Und könnten Sie zusehen, gnädige Mama, daß Ihre Clementina das unglückliche Opfer von Absichten würde, an denen ihr Herz keinen Antheil nehmen kann? – Nein! ich beleidige Ihre Großmuth! Sie können es nicht! – Bedenken Sie, was ich schon gelitten habe! – Schonen Sie Ihres armen Kindes! Lassen Sie mich nicht durch einen Widerstand in dem einzigen Wunsche, auf den mein Herz gerichtet ist, von Neuem muthlos gemacht werden. Ein Rückfall könnte mich auf immer zu Grunde richten.
Die Markgräfin. Allzu rührendes Kind, wer kann deinen Bitten widerstehen? Du ängstigest mein Herz, Clementina – Hier kommt dein Vater; wenn er in dein Begehren williget, so werde ich mich unterwerfen müssen.
Die Vorigen. Der Markgraf. Grandison. Der Bischof. Der General. Der Pater Marescotti.
Der Markgraf. Ich habe Mühe zu glauben, was ich sehe und höre. Ist es möglich, meine liebe Clementina, daß du bei einem Entschlusse beharrest, der unserer Erwartung und deinen eigenen Wünschen so sehr entgegen ist?
Clementina. Die Stimme meiner Pflicht hat so stark zu mir gesprochen, daß es unmöglich war, ungehorsam zu seyn. Ich empfinde mit dem gerührtesten Herzen Ihre Gütigkeit, gnädiger Herr; Sie haben aus Mitleiden gegen mich –
Der Markgraf. Es ist eben so sehr aus Dankbarkeit gegen den Chevalier und aus Hochachtung gegen seine Verdienste, als aus Liebe zu dir geschehen, daß ich deine Verbindung mit ihm beliebt habe.
Clementina. Wenn ich wüßte, daß ich ihn glücklich machen könnte – Aber, ach Chevalier, ich würde Sie nicht glücklich machen!
Grandison. Ich empfinde es zu stark, daß Sie es könnten, gnädige Gräfin, als daß ich –
Clementina. O, versuchen Sie nicht mehr, mich zu bereden, lieber Grandison! Ihre Güte gegen mich macht Sie parteiisch. Clementina ist Ihrer nicht mehr würdig. Ihr geschwächter Verstand; ihre gestörte Gemüthsruhe; die Zweifel, die ihr Herz ängstigen würden; die Versuche, die sie immer erneuern würde, Sie zu bekehren; ihr Verdruß, wenn diese Versuche vergeblich wären; das Mißtrauen gegen mich selbst; und die Furcht, die mir selbst Ihre Zärtlichkeit zu einer Quelle von Plagen machen würde – Alles dieß würde Sie mit derjenigen unglücklich machen, mit der Sie ein Leben verwebt hätten, das ihr theurer ist, als ihr eigenes, und welches so sehr verdient glücklich zu seyn.
Der General. Ich bewundere meine Schwester. Sie handelt, wie es einer Clementina von Porretta würdig ist.
Grandison. Sie können sie nicht mehr bewundern, Herr General, als ich es thue, obgleich unsere Beweggründe sehr verschieden sind.
Der Bischof. Die Großmuth des Chevalier verdient so viel Bewunderung, als die Entschließung meiner Schwester. Welcher Andre hätte so edel handeln können, als er in dieser ganzen Sache gehandelt hat?
Die Markgräfin. Ich will Sie mit meinen Lobsprüchen verschonen, werther Grandison! Dieser Ausgang ist meinen Hoffnungen und meinen Wünschen zuwider. Die fehlgeschlagene Verbindung mit einem so würdigen Manne ist eine Glückseligkeit, die wir verloren haben.
Grandison. Ich bin ohne Hoffnung und ohne eigennützige Absichten nach Bologna gekommen, gnädige Frau. Meine Erwartung wurde übertroffen, da man mich aufmunterte, nach dem Besitz der unvergleichlichen Clementine zu streben; und jetzt finde ich einen Trost darin, daß ich so gütig von Ihnen bedauert werde, nachdem mich Ihre bewundernswürdige Tochter auf eine Art abgewiesen hat, die von ihrer Seite so edel und für mich so rühmlich ist.
Clementina. Es ist mein Schicksal, theurer Grandison, daß ich Ihnen verbunden seyn soll, ohne meine Dankbarkeit zeigen zu können. – Erlauben Sie mir nun, gnädiger Herr (sie wendet sich zu ihrem Vater), daß ich die gütige Nachsicht, die Sie so oft gegen Ihre Clementina bewiesen haben, zum letzten Mal erflehe. – Die Ruhe, die mein Gesicht und mein Betragen ankündiget, betrügt vielleicht diejenigen, die mich sehen. Sie gründet sich ganz allein auf die Hoffnung, daß meine Bitte werde gewährt werden. Die Verweigerung derselben würde mich zum elendesten aller Wesen machen.
Der General. Ich errathe deine Bitte, Schwester! Es ist die Eingebung einer fehlgeschlagenen Liebe. Aber ich hoffe, die gleiche Empfindung deiner Pflicht, die dich verhindert hat, die Nachsicht deiner Eltern zum Vortheile deiner Neigung zu gebrauchen, werde dich zurückhalten, einen Schritt zu thun, der das ganze Verdienst einer so schönen That vernichten würde.
Clementina. Ich kenne Ihre Absichten, Bruder, und ich vergebe Ihnen. Aber ich bin fest entschlossen, keine Kränkungen mehr zu leiden, die ich verhindern kann. – An Sie wende ich mich, theuerster Vater; ich weiß, daß Sie die Glückseligkeit Ihres Kindes verlangen. Ich habe keinen Anspruch, keinen Wunsch für irdische Glückseligkeit. Lassen Sie also meine Seele glücklich werden. Alles, was mir seit zweien Jahren begegnet ist, beweiset, daß ich berufen bin, aus der Welt auszugehen – Es würde unbillig seyn, meine Sehnsucht nach dem Schleier einer fehlgeschlagenen Liebe beizumessen. Wurde es nicht in meine Gewalt gestellt, dem Triebe meines Herzens zu folgen? – Dieser Trieb befiehlt mir, die Welt zu verlassen. Ich weiß, daß er von Gott ist! Wenn er es nicht wäre, so hätte er die Liebe nicht überwiegen können, die ich für diesen würdigsten unter den Männern ohne Erröthen gestehe. – Ich kenne Ihre Frömmigkeit, gnädiger Herr! Sie kann Ihnen nicht erlauben, mich abzuhalten, dem Rufe des Himmels zu folgen. Aber ich wünschte, daß Sie es ohne Abneigung thun könnten! – O, wenn Sie wüßten, wie sehr meine Seele nach diesem glücklichen Zustande schmachtet, Sie würden mich in diesem Augenblick meines Wunsches gewähren.
Der Markgraf. Meine liebste Clementina – hast du auch erwogen, was die Welt von einem solchen Schritt urtheilen wird! Glaube mir, so rein deine Beweggründe seyn mögen, so wird sie dir doch solche zuschreiben, die deinen Ruhm verdunkeln werden.
Clementina. Das Urtheil der Welt bekümmert mich nicht mehr. Ich habe ihren Beifall aufgegeben. Meine einzige Sorge ist, wie ich vor dem Gerichte meines Gewissens und dessen, der durch dasselbe über mich urtheilet, bestehen möge – Ich weiß Alles, was gegen meinen Entschluß eingewendet werden kann. Ich entsage einem großen Vermögen – aber es ist Staub in meinen Augen. Ich entziehe mich den Freuden der Welt – aber diese Freuden sind Träume, die mit wirklichen Plagen, mit immerwährender Unruhe, mit dem Verluste reinerer Freuden und der Gefahr der Seele zu theuer erkauft werden – Die Entfernung von Ihnen, liebste Eltern, und von meinen Brüdern und Freunden ist das Einzige, was mir schmerzlich ist. Aber soll ich demjenigen nichts aufopfern, der mir Alles anbietet?
Der Markgraf. Deine Verachtung gegen die Güter der Welt ist die Frucht der Schwermuth, der du dich zu sehr überlässest. Deine Großväter waren fromme Männer; sie bemerkten, daß du dein größtes Vergnügen im Wohlthun fandest, und sie setzten dich in den Stand, deinem Herzen genug zu thun. Du entsagest dem Vermögen, Gutes zu thun, wenn du dich eines Erbtheils begibst, auf welches deine Brüder so großmüthig Verzicht gethan haben, um eine geliebte Schwester desto glücklicher zu sehen.
Clementina. Lassen Sie diese Güter meiner Base Laurana werden! Wie kann ich einen bessern Gebrauch davon machen, als derjenigen freiwillig Gutes zu thun, die mir durch ihre Verfolgungen wider ihre Absicht Gutes bewiesen hat?
Der General (zum Bischof). Welche schwärmerische Großmuth! Brauchen wir einen stärkern Beweis als diesen, daß ihr Verstand noch nicht in seiner natürlichen Fassung ist?
Der Markgraf. Deine Entschlossenheit verwundet das Innerste meines Herzens, meine Tochter! – Du willst dich von mir reißen? – Du zerstörest die Entwürfe, die ich zu deinem Glück gemacht habe? Du raubest mir die gehofften Freuden meiner sinkenden Jahre! – Nein, Clementina, ich kann dich nicht von mir lassen – Du sollst nicht vor der Zeit gestorben seyn! – Verlange nicht, daß dein Vater dich überleben soll!
Die Markgräfin. Vergiß nicht, Clementina, vergiß nicht, daß du eine Mutter hast! Denke, ehe du ihr entsagst, daß sie, als sie dich mit Schmerzen gebar, hoffte, du würdest der Trost ihres Alters seyn! – Siehe mich an, meine Liebe, lies in meinen Augen – ich kann nicht reden –
Clementina. O, wie durchbohren Sie mein Herz!
Grandison. Theuerste Gräfin! –
Der Bischof. Liebste Schwester! –
Clementina (wirft sich ihren Eltern zu Füßen). Vergeben Sie mir! ach, vergeben Sie mir! – O, wenn nicht eine göttliche Kraft mich unterstützte! – Zürnen Sie nicht auf ihr Kind – Der entsetzliche Kampf, den Sie in mir erregen, kann mir das Leben nehmen; aber er kann meinen Entschluß nicht erschüttern! Wie könnte ich der Stimme Gottes ungehorsam seyn? Bedenken Sie, daß ich zu viel gelitten habe, um noch lange zu leben. Lassen Sie mich mein Gelübd erfüllen, das ich dem Himmel gethan habe! Lassen Sie mich als eine Geweihte Gottes sterben!
P. Marescotti. Der Ruf des Himmels ist zu stark, als daß wir ihm länger widerstehen dürften.
Der Markgraf. Ich erkenne ihn, und ich verehre die Hand, die mich verwundet. – Stehe auf, Clementina; du bist ein Engel in meinen Augen! –
Clementina. Lassen Sie mich hier zu Ihren Füßen die Versicherung Ihrer Liebe und Ihren Segen empfangen. Segnen Sie – segnen Sie Ihre dankbare Clementina!
Der Markgraf. Der ganze Himmel öffne sich über dir, meine Tochter, seine Segnungen auf dich herab zu schütten! – Stehe auf und bitte den Ewigen, dem du heilig bist, für diejenigen, die du in einer kummervollen Welt zurück lässest.
Grandison. Göttliche Clementina! erinnern Sie sich in der geheiligten Abgeschiedenheit, die Sie sich erwählt haben, erinnern Sie sich bisweilen auch desjenigen, der fähig war, Ihrem Besitze zu entsagen, weil er Ihre Seele liebte. Die Verschiedenheit des Glaubens trennte uns, aber eine bessere Welt wird uns wieder vereinigen! – Ich verlasse Sie, von der Größe Ihrer Seele durchdrungen! Das Bild der himmlischen Clementina wird mich wie ein Schutzengel durch den Labyrinth dieses Lebens begleiten! Das unauslöschliche Andenken Ihrer Frömmigkeit wird mich aufmuntern, so zu leben, daß ich verdienen möge, Sie bei den Bewohnern des Himmels wieder zu sehen.
Clementina. Nun bin ich glücklich! – Die Welt rollt unter meinen Füßen; unbegrenzte Himmel öffnen sich über mir! – Selige Einsamkeit! Dunkle, der Andacht geheiligte Zelle, sey mir willkommen! Willkommen, du werthes Bild des Grabes, worin ich bald diesen, dem Tode geweihten Leib niederlegen werde, um in das unsichtbare Land der Unsterblichen zurückzukehren! – Leben Sie wohl, theure, verehrungswerthe Eltern! – Lebet wohl, meine Brüder! – Leben Sie wohl, ewig werther Grandison! Erinnern Sie sich Alle Ihrer Clementina mit Zärtlichkeit! – Und du, dem ich Alles schuldig bin, und dem ich Alles aufopfere, zu deinen Füßen lege ich jeden irdischen Wunsch, jede Hoffnung einer weltlichen Glückseligkeit nieder. Mit Freuden folge ich deinem Rufe! Was ich Vergängliches zurücklasse, ist Tand, und was unsterblich ist, werde ich in deinem Schooße wieder finden!