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In einer Gegend, die der Tigris wässert,
Wohnt' in der jüngern Zeit der Erde Zohar,
Ein Günstling des Geschickes, wie es schien.
Die Menschen lebten damals ohne andre Bande,
Als die womit sie die Natur verknüpfte.
Noch war die Königskrone nicht erfunden,
Und ungelehrig noch der freie Mensch
Lastthieren ähnlich seinen stolzen Nacken
Zu schmiegen unter Wesen seinesgleichen.
Ein jeder wohnte, ungestört,
Mit seinem Hause, wo es ihm gefiel.
Die Erde, voll von ungenütztem Reichthum, stand
Noch allenthalben ihren Kindern offen.
So lebt' auch Zohar. Eine weite Gegend,
Des Segens Wohnung, immer blüh'nde Thäler,
Die nie der Thau verließ, von fruchtbar'n Bächen
Durchwunden, fette heerdenvolle Anger
Und Waldungen von Palm und Mandelbäumen,
Mit einem Heer von Sklaven und von Mägden,
Den ganzen Reichthum jener Zeit der Einfalt,
Empfing er aus der milden Hand des Schicksals.
Wie glücklich konnt' er seyn? Doch, lebt der Mensch,
Der es nicht wäre, wenn er selbst sich kennte,
Und deine Stimme, weiseste Natur,
In seinem Busen lispelnd, folgsam hörte?
Die Weisheit darbet nie zufriedne Wonne,
Und braucht dazu nicht großen Ueberfluß.
Doch Zohar war im Schooß des Glücks nicht glücklich.
Zwar hatte sein geneigter Stern dem Jüngling
Ein biegsam Herz mit Witz und Geist gegeben;
Allein, zu viel von Jugendhitze glühend,
Schweift' aus dem angewies'nen Gleis' er bald
In tausend thörichte Begierden aus.
Gewohnheit stumpfte seinen Sinn, verhüllte
Sein Glück in ein verhaßtes Einerlei;
Der Unzufriedne fing zu wünschen an,
Und jeder Wunsch erzeugte neue Wünsche.
Sein Herz war jenes Tejers Herzen gleich,
Wo Amor nistete; im Ei ist noch
Ein Wunsch versteckt, ein andrer halb entkrochen,
Der wird schon flick, weil jene jüngern zirpen;
Nun wachsen sie und hecken wieder andre.
Wie war ihm da zu helfen? Die Natur,
So reich sie ist, ist doch zu arm, dem Thoren
Genug zu geben. Doch der Ekel selbst,
Der endlich Ueberlegungen gebiert,
Heilt den Bethörten von der Sucht zu wünschen.
Einst da er, müd' im Labyrinth der Wünsche
Herumzuirren, eingeschlummert war,
Setzt' ein belebter Traum die Reihe Bilder,
Die ihn vorher beschäftigt, fort. Der Geist,
Der mit dem Scepter, das der Geisterkönig
Ihm anvertraut, die Unterwelt beherrscht,
Erkies'te selbst, des Jünglings Herz zu heilen,
Die Träume, die mit nachgeahmtem Leben
Ihn hintergingen. Zoharn däucht, er irre
Voll unzufriedner Klagen auf dem Haupte
Des Berges, wo er von der Cedern Fuß
In fröhliche, weit ausgestreckte Fluren,
Sein väterliches Gut, herunter sah;
Doch unerfreut; ihm blüheten sie nicht;
Ihn rührte nicht der Aussicht wilde Anmuth,
Nicht Honigbäche, die mit klarer Flut
Aus Dattelstämmen rannen, noch die Hügel
Von Lämmern weiß, wie Paros Marmorfelsen.
Von tausend halb entwickelten Begierden
Gedrängt, schwebt Zohar hin und her, als plötzlich
Ein ungewohnter Schimmer ihn umzittert.
Er staunt und sieht aus einer goldnen Wolke,
Die Balsam thauet, Firnaz nieder steigen,
In göttlicher Gestalt, mit sanftem Anblick,
Der alle Furcht aus seinem Busen lächelt.
Was für ein Trübsinn, sprach der Geist zu ihm,
Bewölkt dein unzufriednes Aug', o Jüngling;
Was nagt dich für ein Gram? was wünschest du?
Entdeck' es frei, damit ich dir's gewähre.
Von seinem Blick ermuntert, sprach der Jüngling:
Verhaßt ist mir mein Zustand, weil er immer
Derselbe bleibt, so gleich ist jeder Tag
Dem Tag der vorging und dem Tag der folgt.
Oft dünket mich mein ganzes Leben nur
Ein langer Augenblick. Die Luft, die mich
Umwölbt, ist traurig, Wald und Thäler sind
Von Schmuck entblößt, die Stunden leer an Freuden,
Auch ist, seitdem mich Thirzens Arm umfängt,
Ihr ganzer Reiz verblüht. Sie ist nicht mehr dieselbe,
Von der ich, eh' ich sie besaß, geglaubt,
Daß sie allein mein ganzes Herz erfülle.
Ihr schöner Leib, die langen blonden Locken,
Die Stirn von Elfenbein, der Rosenmund,
Ihr Kuß, einst süßer als die erste Traube,
Und was mich sonst an ihr entzückt, war alles
Am dritten Morgen schon nicht mehr entzückend.
Ich fühl' in mir ein unerforschlich's Leeres,
Und sehe nichts was meinen Wünschen gleicht.
Verwandle, wenn du mich beglücken willst,
O guter Geist (so zeigt dich mir dein Ansehn),
Dieß öde Land in eine Zauberau,
Wie jene sind, wo sel'ge Wesen wohnen.
Sie sey ein Sammelplatz von allem Schönen,
Was die Natur durch alle Erdengürtel
Verstreut; was sich die Phantasie ersinnen,
Erträumen kann, das schmeichle meinen Sinnen,
Und sättige die lustbegier'ge Seele.
So sagt er. Kaum entfloß das letzte Wort
Dem Mund des Wünschenden, so sinkt er schlummernd
Vor Firnaz hin. Ein schöpferischer Schauer
Bebt augenblicklich durch die ganze Gegend.
So wie der Geist sein Auge cirkelnd drehet,
Verschönert sich das Antlitz der Natur
Weit um ihn her. So scheint verliebten Dichtern,
Wenn sie, wie Kristan oder Eschilbach,
In jenen dichtrischen beglückten Zeiten,
Da Venus mit den scherzenden Kamönen
Um Friedrichs lorberreichen Scheitel schwebten,
An der Geliebten Arm den Frühling grüßen;
Die ganze Flur von ihrem Blick bezaubert,
Violen, Amaranth und Hyacinthen
Entsprießen ihrem Fuß, die Bäume grünen
Hellglänzender, die schönern Blumen winken
Gefälliger dem Zephyr, der, unachtsam
Auf ihren Wink, des Mädchens Hals umflattert.
So wurden Zohars Fluren durch den Wink
Des Geisterfürsten umgestaltet. Alles
War hier vereinigt, was die Günstlinge
Der Pierinnen, alles was Homer
Und der von Mantua, von Idens Gipfel,
Wo Juno mit dem zauberischen Gürtel
Den Zeus getäuscht, und von Kalypsens Insel,
Und von der goldnen Zeit, die Salonin
Der Erde wiedergeben sollte, sangen.
Die schlafeinladenden, mit Rosenbüschen
Bekränzten Bäche, die um Tibur rieseln;
Der Lustwald, wo den Singenden Albuna
Aus Myrten Antwort gab, die stolzen Blumen,
Die nektarathmend Hyblens Matten deckten,
Und was in Cyperns Flur zur Wollust reizte,
Wenn Venus und Adon, umringt von Scherzen,
Auf schwelgerischen Rosen schlummerten:
Dieß alles glänzte mit erhöhter Schönheit
In diesem Wunderort, der jenem glich,
Wo in der Liebe seidnen weichen Netzen
Die Zauberin Tankredens Muth entnervte.
Der Unzufriedne wacht jetzt auf, und fühlt,
Und sieht und staunt, und sinkt, von so viel Schimmer
Betäubt, fast in des Schlummers Arm zurück.
Er findet sich auf einem Veilchenlager
Von Paphischem Gesträuch umwölbt; ihm weht
Ein matter Wind begeisternde Gerüche
Wie Wolken zu, und streichelt sanft die Wangen.
Verwundernd und entzückt von seinem Glücke
Irrt Zohar durch die grüne Dunkelheit
Bedeckter Gänge, oder in Mäandern
Sidon'scher Bäum' und düftender Granaten.
Dort reizt die goldne Ananas die Hand,
Hier lockt sie der verführerische Lotos,
Und Hand und Augen irren unentschlossen;
Indeß die weiche balsamirte Luft
Von tausendstimmigen verbuhlten Liedern
Unzähliger befiederter Sirenen bebt.
Wie süß bestürzt stand Zohar? So erstaunt
Ein Reisender, der nach verhaßtem Irren
Die anmuthsvollen Küsten Ceylons grüßt;
Er sieht von fern den lichten Glanz der Hügel,
Ein Landwind haucht ihm mit dem Zimmtgeruch
Der Wälder süß vermischte Symphonien
Von den Bewohnern der Gebüsche zu;
Er steht wie neugeschaffen da, und sieht
Und lauscht, und saugt mit langen Zügen
Die süße Landluft wollusttrunken ein.
Jetzt ist er lauter Ohr, jetzt schwebt sein Aug'
Uneingedenk des Ohrs am schönen Ufer
Umher, von einem Hain, von einem Traubenhügel
Zum andern, und vergißt sich in Bewundrung
Der neuen paradiesischen Gesichte.
Er schweifte noch mit zweifelhaften Füßen
In dieser neuen Welt, als ihn der Anblick
Von sieben Nymphen plötzlich auf sich zieht.
Den Charitinnen gleich, wenn sie am Peneus
Mit aufgelös'tem Gürtel, Hand in Hand,
Cytheren und dem Lenz entgegentanzen,
So schwebten sie vorüber. Wollust athmete
Aus Blick und Gang; bezaubert sieht sie Zohar,
Und sieht nichts anders mehr. Auch sie
Erblicken ihn, und fliehen, listig schamhaft,
Erhascht zu seyn, in dunklere Gebüsche.
Was fehlte nun dem Freund der Sinnenlust?
Wie glücklich dünkt er sich in seinem Traume!
Nun war kein Wunsch, der ihn genagt, mehr übrig.
Was sich die Phantasie nur Reizendes
Erfinden konnt', entzückte seine Sinnen.
Nicht nur ein Tempe, ein Arkadien,
Ein Garten des Alcinous, ein Hybla;
Nein, alles dieß in Einem Raum verengt,
Erbot ihm tausendfache Lustbarkeiten.
Nicht nur Ein Venusbild umarmt ihn hier,
Wie eine Helena dem Paris nur
Zum Dank des zugesprochnen Apfels wurde;
Nein, ihrer sieben in der vollen Blüthe
Der jugendlichen Schönheit, jede reizend,
Jedwede im Genuß die trefflichste,
Verwehrten ihm den Ueberdruß der Gleichheit.
Nicht lange. Kaum entflohen sieben Tage
(So dehnten sich im Traum Minuten aus),
Als aus dem Wollusttaumel neue Wünsche
Mit Ungestüm den Unzufriednen weckten.
Er reißt sich los, und flieht ins dunkelste
Gebüsche, wo er die getäuschte Hoffnung
Den stummen Bäumen klagt, und übellaunig
Mit seinem Schicksal und sich selber hadert.
Unselig's Herz, Feind deiner eignen Ruhe
(So ruft er aus und schlägt sich vor die Brust),
Du Abgrund unersättlicher Begierden,
Ich hasse dich – Doch wie, was für ein Unsinn
Empört mich wider mich? trägt denn mein Herz
Die Schuld, wenn seine größeren Begierden
Sich in der Lust des Körpers nicht beschränken?
Wie sehr ermüdet überhäufter Reiz
Die schwächern Sinnen? das Gefühl verwirrt
Sich in der Menge seiner Gegenstände.
Die Augen blendet allzustrenger Glanz,
Die Ohren werden taub von Harmonien,
Und selbst die Sättigung zeugt neue Wünsche.
O hörte Firnaz mich, o möcht' er sich
Nur Einmal noch erbittlich finden lassen!
Nun seh' ich erst des vor'gen Wunsches Thorheit
In ihrem ganzen Umfang ein. Doch jetzt,
Jetzt fühl' ich eine würdige Begierde!
Was könnte mir zum Wollen übrig bleiben,
Wär' diese nur erfüllt? o möchte doch
Mein Land so unbeschränkt als meine Wünsche,
Und meine Macht der Völker Schrecken seyn!
Wie süß ist's, sich der Menschen Herrscher denken,
Ein Gott der Erde seyn, das Schicksal ordnen!
Aus einer Hand den wartenden Provinzen
Den Donner, aus der andern Sonnenschein
Mit gleichem unbewegtem Antlitz geben.
O würde mir dieß Glück! – Noch sprach sein Mund
Als ihn ein unsichtbarer Arm ergriff,
Und augenblicklich durch die Luft entführte.
Jetzt sah er, unter seines Fußes Flucht,
Ein gränzenloses Land, mit Cedernbergen
Umthürmet, sich verbreiten; Ströme, Meeren gleich,
Entstürzten ihrem lüft'gen Haupt, und rauschten
Vielarmig durch die palmenreichen Ebnen,
Wo hochgethürmte Städte, königlich
Von ihren Hügeln auf die Fruchtbarkeit
Umgebender Gefilde niedersehend,
Mit goldnen Dächern ihm entgegen schimmern.
Dieß alles, was du siehst, ist dein! spricht Firnaz,
Den Zohar, ungesehn, nur fühlt und hört.
Mit unersättlich geiz'gen Blicken misset
Er, rings umher, die unabsebbar'n Fluren
In seinem Flug, und gibt es endlich auf
Was unermeßlich scheint, zu messen. Froh
Und ungeduldig pocht sein schwellend Herz
Von allem dem sich im Besitz zu sehen.
Nach langem Fluge sinkt er jetzt herab,
Und steht in einer glänzenden Versammlung,
Von Helden und von Greisen weit umringt,
Die den Erstaunten ihren Sultan grüßen.
Man wind't ein Diadem um seinen Scheitel,
Der Silberklang der festlichen Trompete
Verkündigt ihn durch alle Marmorgassen,
Und mischt sich in das allgemeine Jauchzen.
Ihn führt ein ehrfurchtwürd'ger Chor von Alten
Zum marmornen Palast; ein stolzes Heer
Von Kriegern trabt dem König nach, und breitet
Vor seinem Schloß die furchtbar'n Flügel aus.
Die silberhellen Waffen blitzen zitternd,
Die Mordsucht glüht im wilden Blick der Männer,
Und sucht den Feind – Jetzt fließen, Strömen gleich,
Die unterworfnen Völker in die Stadt,
Die Stufen seines goldnen Throns zu küssen.
Unzählbare Kameele tragen ihm
Den Reichthum ferner Länder zum Geschenke,
Der Neger Gold und Indiens Specereien.
Nun wird doch Zohars Wunsch befriedigt seyn?
Er wähnt, er sey es, und ist stolz darauf,
Daß, was ihn einst entzückte, alle Macht für ihn
Verloren hat. Gleichgültig läuft sein Blick
Jetzt über seines Harems Blumen hin;
Er höret nicht das lusteinladende
Getön des Saitenspiels, die Zauberstimme
Der Sängerinnen locket ihn umsonst;
Nur die Drommete, die den Ruhmbegierigen
Ins Schlachtfeld ruft, der Rosse wildes Wiehern,
Der Seinen Siegsgeschrei, der Feinde Winseln,
Tönt seinen Ohren süß, ist ihm Musik.
Jetzt zieht er aus. Die Nachbarn seiner Gränzen
Sind billig, wie ihn däucht, die Erstlinge
Der Siege, die sein hoher Muth beschließt.
Er fällt sie an, und eine blut'ge Schlacht,
Wo, rings um ihn, die Opfer seines Stolzes
Unzählbar fallen, schlägt ein friedsam Volk
In Fesseln. Hoch auf seinem furchtbar'n Thron
Nimmt die erzwungne, mit verbiss'nen Flüchen
Vermischte Huldigung der neuen Sklaven
Der Sieger an, und eilt, ein ferner Land
Mit seiner Kinder Blut zu überschwemmen.
Er kommt und siegt, und mit der Siege Zahl
Entgränzet sich die Wuth noch mehr zu siegen.
Schon sind ihm um und um die Völker zinsbar,
Wohin er blickt, begegnen ihm Trophäen,
Verheerte Fluren, ausgebrannte Wälder,
Zerstörte Wohnungen, volkreiche Länder leer
An Menschen, öd und ungebaut die Dörfer,
Wo ehmals, nach des Tages Werk, der Abend
Zum Reihentanz die muntre Jugend rief;
Und noch ist Zohars Herrschsucht nicht gesättigt.
Noch quält ihn der demüthige Gedanke,
Daß Völker sind, die nicht sein Schwert gefühlt!
Er that den Wunsch zuerst, den spät nach ihm,
Wenn nicht die Nachricht trügt, der Held gethan,
Der dem Darius Reich und Leben raubte:
»Ach hätte doch der Himmel eine Brücke,
»Die mich zum Sieg in andre Welten trüge!«
Zwar waren unter tausend niedern Sklaven
Die ihn vergötterten, noch wenig Weise
So kühn, der Menschlichkeit ihn zu erinnern;
Sie zeigten ihm in Gott der Fürsten Urbild,
Der nur, um wohlzuthun, allmächtig ist,
Und warnten den Tyrannen, der, in dumpfer
Verblendung, selbst an seines Thrones Sturz
So eifrig grub, vor seinem nahen Fall.
Doch Zohar hörte nicht; wie sollte der
Die Weisheit hören, dem der Thränen Stimme
Und des vergoss'nen Bluts nicht hörbar ist?
Der Tod belohnte die getreue Warnung
Den grauen Vätern, die an seinem Hofe
Die einzigen, verhaßten – Menschen waren.
Nicht lange mehr, so sehen ihre Geister
Die trotzig abgewies'ne Warnung fürchterlich
Gerochen. Zohars Auge fand sich durch
Den Anblick eines mächt'gen Volks beleidigt,
Das, unabhängig seit Jahrhunderten,
Der Ruh' im Schooß das Glück der Freiheit und
Der Mäßigung genoß. Der Stolze sandte
Den herrischen Befehl den Edeln zu,
Sich ihm zu unterwerfen, wenn sie nicht den Grimm
Des Weltbezwingers auf sich laden wollten.
Auf ihre Weigrung zog er selbst an eines
Zahllosen Heeres Stirne gegen sie.
Allein hier war der Damm, an dessen Stärke
Sein Glück sich brach. Des theuern Vaterlandes
Allmächt'ge Liebe rief das ganze Volk
Zur Gegenwehr, und, wie ein einz'ger Mann,
Beseelt von Einem Geiste, steht es auf.
Es waffnet sich der Jüngling und der Greis,
Das Mädchen selbst greift muthig nach dem Schwert,
Und drückt die zarte Brust mit Schild und Bogen;
Gerechtigkeit und Muth, den Freiheit zeuget,
Stärkt jeden Arm, macht jeden Mann zum Helden.
Sie stürzen unaufhaltbar in den Feind,
Der Grimm des Todes blitzt von ihren Schwertern.
Die Räuber fallen, jeder Streich ist Tod.
Und die Geflohnen streut die bange Flucht
Wie Spreu durch unbekannte Wüsten hin.
Der Sultan, der nach langem Taumel wieder
Die Menschheit fühlt, irrt, kaum dem Tod entronnen,
Auf unwegsamen unbekannten Pfaden,
Von aller Welt verlassen; mühsam schleppt sein Fuß
Den Körper nach, doch spornet ihn die Angst.
Erschöpft und lechzend wirft er endlich sich
In einem öden Thal, von schroffen Felsen
Umringt, an eine Quelle hin, und bricht,
Dem Genius und seinem Schicksal zürnend,
Voll Bitterkeit in diese Klagen aus:
O Zohar, wie betrog dich deine Hoffnung!
Wo sind die königlichen Träume hin,
In denen du dich Meister vom Geschicke,
Ein Gott der Erde, sahst, wo sind sie hin?
Unseliger, was ist aus dir geworden?
In welchen Abgrund stürzt dich deine Thorheit! –
Grausamer Geist, du sahst, daß mein Verlangen
Mein Unglück war, warum gewährtest du
Den Wunsch, der unbewußt den Tod begehrte?
Wie elend ist der Mensch! Was bist du Sklavin
Der Sinnlichkeit, betrügrische Vernunft?
Entbehrlich's Vorrecht vor glücksel'gern Thieren,
Du bist es, die der Menschen Jammer brütet.
Von dir benebelt, trunken von der Hoheit
Die du versprichst, träumt er ein Gott zu seyn,
Und sinket schwindelnd aus dem fremden Himmel
Tief unters Vieh in bodenlose Schlünde.
Und hebt er wieder sich, so taumelt er
Doch bald, von neuen Hoffnungen getäuscht,
Aus einem Labyrinth bethörter Wünsche
In einen andern; immer mehr erhitzt,
Stets unersättlicher, stets unzufriedner.
Wie glücklich seyd ihr, lüftige Bewohner
Des freien Waldes! Ohne Leidenschaft
Lebt ihr, indem der Mensch aus Stolz sich quält.
Euch, die ihr wenig wünschet, zu vergnügen,
Ist die Natur mit Ueberfluß erbötig.
Ihr schöpft die reinste Luft, euch lacht die Welt
Von allen Seiten an, ihr singt und scherzt
Und lebt im gegenwärt'gen Augenblick,
Den künftigen nicht ahnend, sorgenfrei
Und euers Daseyns froh, indeß der Mensch
Dem nie genügt, in seinem Glücke selbst
Sein Unglück und in jeder neuen Lust
Die bittre Quelle neuer Schmerzen findet.
So sagt er, hebt sein Aug', und sieht um sich
Ein Sommervögelchen, mit regen Schwingen,
Auf deren Staub des Frühlings Farben blühn,
Der ihn gezeugt, zu Rosen von Narcissen,
Von einer Staud' auf eine blumenreichre
In ruhigfrohem Unbestande flattern.
O Firnaz, ruft er aus, du warst schon zweimal
Zu meinem Unglück allzusehr willfährig,
O sey es jetzt, da ich mein Glück mir wünsche.
Ja, ich beneide dieses Wurmes Stand!
Was ist die Wollust, die mich wie im Strudel
Umhertrieb, mit der reinen Lust verglichen,
Die diese leichtbeschwingte Raupe fühlt?
Viel lieber will ich über Blumen herrschen,
Als, Herr der Welt, mein eigner Sklave seyn.
Verwandle mich in einen Sommervogel.
Noch spricht der Unzufriedne, zweifelhaft
Erhört zu seyn, als schon das letzte Wort
Sich unvollendet in ein schwaches Zischen
Verliert. Er sinkt, als wie in Ohnmacht hin;
Indem schmiegt sich sein starker Leib zusammen
In einen Wurm, die Arme werden Hörner,
Dem Hals entsproßt ein blumichtes Gefieder,
Vier Flügel schütteln ihren weißen Staub
Leicht flatternd von sich. Jetzt erwacht die Seele
Aus ihrem Schlaf, und staunt und fühlet sich
In einen engern Kreis gepreßt, die Triebe
Geschwächt und sanft, und den Gesichtskreis enger.
Bald wagt's der neue Schmetterling zu fliegen,
Sinkt plötzlich wieder hin, hebt sich aufs neue
Und schwebt noch furchtsam in der fremden Luft.
Schon locket ihn der Pflanzen süßer Athem,
Der in sein zartes Fühlhorn lieblich wirbelt;
Er eilt von einer Blume zu der andern,
Und lispelt jeder seine Liebe zu.
Noch flog er sorglos und gefiel sich selbst
In seinem neuen wonniglichen Stande,
Als ein Insectenfeind, die schwarze Dohle,
Voll Raubbegier von ihrer Höhe schoß,
Und ihn zum Futter ihrer Jungen raubte.
Die Todesangst weckt Zoharn aus dem Traum.
Halbschlummernd wacht er auf, und sieht sich um
Und fühlt sich an, und suchet seine Flügel;
Jetzt merkt er erst, daß ihn ein Traum getäuscht.
Er findet sich an seiner Thirza Seite,
Die, von der Morgenröthe halbbeschimmert,
In leichtem Morgenschlummer ruhig athmet.
Er rafft sich auf, und sinnt dem Traume nach,
Und wundert sich der deutlichen Entwicklung
Der Triebe, die er oft, verworrner nur,
In sich gefühlt. »O! Wahrlich, rief er endlich,
Es war ein Geist, es war wohl Firnaz selbst,
Der diesen Traum vor meine Seele führte,
Und nicht umsonst. Dein Zweck betrügt dich nicht,
Unsterblicher, der für mein Wohl so sorgsam
Im Traume wirkt, was, wenn der Körper wacht,
Der von Empfindungen betäubte Geist
Nicht denken konnte. Ja, itzt fühl' ich's erst,
Mein ganzes Leben war bisher ein Traum,
Ein langer Traum der eingewiegten Seele,
Die schlaff und träg den Sinnen unterlag.
Was fühl' ich in mir? Welche neue Triebe?
Wer gibt euch mir, ihr göttlichen Gedanken?
Wie klein wird mir die Erde! Wie verächtlich
Die Sinnenlust, wie kindisch alles, was
Noch kürzlich mir so wünschenswürdig schien!
Doch warum hab' ich euch sonst nie empfunden,
Ihr Göttertriebe? hat vielleicht euch Firnaz
Mir eingelispelt, oder bist du es,
O Seele, die du, heil vom alten Schwindel,
Dich wieder fühlst, und kaum dich selbst erkennest?
Ja, ich bin göttlichen Geschlechts! die Sterne sind
Mein Vaterland, mein Element der Himmel!
Da war ich, eh' ein unbekanntes Schicksal
Mich in die Unterwelt herabgestoßen.
Des Leibes Wollust und das tolle Nichts
Der Ehre, die mit Menschenblut sich tränkt,
Sind Nebel, die den düstern Kreis umwölben,
Wo ich verlernte, wie ein Geist zu denken.
Doch jetzt durchblitzt ein plötzlich Sonnenlicht
Die Nebelwolken; die Vernunft verbreitet
Ihr reines Licht – O welch ein Glück! ich sehe.
Und nun erkenn' ich erst, was mitten im Getümmel
Der Leidenschaften in mir leise rief,
Die Stimme der ätherischen Begierden,
Die nach der reinsten Geisterluft verlangen.
O Weisheit, gieße dein harmonisch Licht
In meine Triebe, sie verlangen Ruhe
Und Freuden, die nur du genießbar, standhaft,
Und würdig machst der Gottheit unsers Geistes.
Du lehrst mich überall Vergnügen pflücken,
Versöhnest mit dem Himmel mich, und tödtest
Der Thorheit Brut, die lasterhafte Klage.
Der Dunst zerfließt, der deine Schönheit mir
Verbarg, Natur, und deine leisen Winke;
Der bittre Quell der Unzufriedenheit.
Nur Einen Wunsch, den einzigen von allen
Der meiner würdig ist, gewähre mir,
O Weisheit! Lehre mich, anstatt
Sie außer mir zu suchen, meine Welt
Und mehr als eine Welt, in mir zu finden.
Was hat die Ewige, – die in mir herrschet,
Und dann erst lebt, und dann erst sich empfindet,
Wenn sie als wie vom Leib entfesselt ist –
Was hat sie für Gemeinschaft mit dem Stoffe?
Was sind für sie Gebirg' und weite Ebnen,
Und goldne Thronen, reizende Gerüche,
Und Körper, die die Nerven zärtlich reiben?
Wie lange kann der Stoff die Wünsche halten?
Wie lange täuschet er die Lust zum Wechsel?
Wind't nicht die Seele sich vom Schlamme los,
Sobald sie in ihn stürzt, und dringt sich keuchend
In eine rein're gränzenlose Gegend?
Zu diesen Höhen schwinge dich, mein Geist!
Die Ewigkeit enthält dir noch, was hier
Dein Herz vergeblich in dem Unbestande
Der Welten sucht, die, wie gemalte Wolken,
Nur Schatten sind und Wirklichkeiten scheinen.
Vertraulich mit der überird'schen Weisheit
Find't dich der Tod, der andre träumend würgt,
Erwacht; zufrieden lachst du ihm entgegen.
Dann steigst du durch die Pforte, die er dir
Eröffnet, in die Welt der wahren Wesen,
Und wunderst dich, daß nebeltrunkne Menschen
Den Tod verwünschen und zu leben wähnen. |