Christoph Martin Wieland
Nachlaß des Diogenes von Sinope
Christoph Martin Wieland

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30.

Ja, Filomedon, ich behaupte es: der elendeste Wasserträger in Korinth ist ein schätzbarer Mann als du! – Du wirst mir meine Freyheit vergeben, – oder wenn du böse darüber würdest, so wirst du mir doch erlauben, daß ich – nichts darnach frage.

»Das wollen wir sehen,« sagte Filomedon mit trotziger Miene.

Ich habe so wenig zu verlieren, junger Mann, daß es nicht der Mühe werth wäre mich vor jemand zu fürchten. – Fy, wer wollte böse darüber werden wenn man ihm die Wahrheit sagt! –

»Unverschämter Geselle!« –

Du scherzest, Filomedon: die Wahrheit von dem, was ich sage, fällt so stark in die Augen, daß dich alle deine Eigenliebe nicht blind genug machen kann, sie nicht zu sehen. Der Wasserträger, so ein armer schlechter Kerl er ist, nützt doch dem gemeinen Wesen; aber wozu nützest Du? – Komm, keinen kindischen Trotz! Wir wollen freundschaftlich von der Sache sprechen. – Du verzehrst alle Jahre zwanzig Talente, das beträgt beynahe fünf hundert Drachmen auf jeden Tag.

»Und es verdrießt dich, daß du es nicht auch so machen kannst, Diogenes, nicht wahr? Du könntest wenigstens mein Tischgenossen seyn, wenn du wolltest; aber dazu bist du zu stolz.«

Nicht eben zu stolz, Filomedon, aber zu bequem. Seitdem ich die Beschwerlichkeiten der Sklaverey gekostet habe, wollt' ich das Glück mein eigner Herr zu seyn, nicht gegen alle Schätze Asiens vertauschen.

»Gerade so denk' ich auch, Diogenes. Ich bin reich; ich genieße meines Reichthums, und andre genießen ihn mit mir. Er verschafft mir Ansehen, oft auch Einfluß. Ich habe nicht nöthig erst zu erwerben, was mir das Glück freywillig zugeworfen hat. Warum sollt' ich nicht eben so gut mein eigner Herr seyn dürfen als du?«

Der Schluß von mir auf dich geht nicht an; der Unterschied ist zu groß zwischen uns. Du ziehest jährlich zwanzig Attische Talente aus dem Staate; ich nichts.

»Ich ziehe meine Einkünfte nicht vom Staate; sie sind mein Eigenthum.«

Beides geht mit einander. Sie sind dein Eigenthum, es ist wahr; aber nur kraft des Vertrags, welcher zwischen den Stiftern der Republik getroffen worden, da sie die erste Gütertheilung vornahmen. Deine Vorfahren bekamen ihren Antheil unter der Bedingung, daß sie so viel, als in ihren Kräften wäre, zum Besten des Staates beytragen sollten. Dieser Vertrag dauert noch immer fort. Wer Vortheile aus dem Staate zieht, ist ihm auch Dienste schuldig.

»Ziehest du etwa keine Vortheile aus dem Staate?«

Welche zum Exempel?

»Du lebst doch, und man lebt nicht von Luft. Du gehst frey und sicher unter dem Schutze der Gesetze herum. – Rechnest du das für nichts?«

Es ist etwas, Filomedon; aber es ist doch nicht mehr als mir die Korinthier schlechterdings schuldig sind. Das wenigste, was ich nach dem Gesetze der Natur an sie zu fordern habe, ist, daß sie mich ungekränkt leben lassen, wenigstens so lang' ich ihnen nichts böses zufüge.

»Warum sollten sie das mir nicht eben so schuldig seyn als dir, ohne daß ich ihnen mehr Dienste zu thun brauchen als du?«

Sie sind es auch; aber du würdest übel zufrieden seyn, wenn sie dich damit abfertigen wollten. Du forderst noch gar viel mehr von ihnen. Andre müssen deine Felder bauen, andre deine Herden hüten, andre in deinen Fabriken arbeiten, andre die Kleider weben die du anziehst, oder die Teppiche womit du deine Zimmer belegst, andre deine Speisen bereiten, andre den Wein pflanzen den du trinkst; kurz, alles was du nöthig hast, – und wie viele Bedürfnisse hast du nicht! – das müssen dir andre verschaffen: du allein legst dich hin und thust nichts, nichts auf der Welt als essen, trinken, tanzen, küssen, schlafen, und dir aufwarten lassen; und dieß alles kraft deiner zwanzig Attischen Talente, an die du kein andres Recht hast, als was dir der gesellschaftliche Vertrag und die daher fließenden bürgerlichen Gesetze geben; ein Recht, welches, wie ich sagte, gewisse Pflichten von deiner Seite voraussetzt, deren Beschaffenheit du vermuthlich in deinem ganzen Leben nie so ernsthaft in Überlegung genommen hast, als den Küchenzettel, über den du dich alle Morgen mit deinem Hausmeister berathschlägst.

»Mich däucht, Diogenes, du vergissest, daß alles, was mir andre thun, entweder durch Sklaven geschieht, die ich dafür ernähre, oder durch Freywillige, die ich dafür bezahle?«

Das wickelt dich noch lange nicht heraus, mein guter Filomedon. – Wer giebt dir ein Recht, Menschen, welche von Natur deines gleichen sind, als dein Eigenthum anzusehen? – »Die Gesetze,« wirst du sagen; – aber gewiß nicht das Gesetz der Natur, sondern Gesetze, welche ihre Verbindlichkeit eben demjenigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Vertrage zu danken haben, auf den sich die ganze bürgerliche Verfassung stützet. Denn was anders als diese nöthigt deine Sklaven zu einem Gehorsam, den sie dir bald aufkündigen würden, wenn sie nicht durch eine so furchtbare Macht im Zaum gehalten würden? – Und kannst du dir einbilden, daß unter allen den Freygebornen, welche dir um Belohnung arbeiten, nur ein einziger sey, der dessen nicht lieber überhoben wäre, wenn ihn nicht dringende Bedürfnisse, oder die Begierde sich zu bereichern, zu deinem freywilligen Sklaven machten? Meinst du nicht, die meisten, anstatt durch die beschwerliche Arbeit etlicher Tage dir kaum den zehntausendsten Theil deiner Einkünfte abzuverdienen, würden weit lieber, an deinem Platze, zwischen der lächelnden Venus und dem Bacchus, dem Geber der Freuden, auf einem wollüstigen Ruhebette liegen, und für die zwanzig Talente, welche sie jährlich ohne die geringste Mühe einzunehmen hätten, – (denn auch diese überträgst du deinem Verwalter) – zehntausend andre Menschen für sich arbeiten lassen? – Ja, es ist kein Zweifel, daß die meisten, wenn sie dürften, die ganz einfältige Überlegung machen würden, sie könnten sich diese Mühe ersparen, wenn ihrer etliche zusammen träten, und sich deines Vermögens mit Gewalt bemächtigen. Was anders sichert dich gegen diese Gefahr als die bürgerliche Polizey und der Schutz der Gesetze, von deren Handhabung die ganze Gültigkeit des Vertrags, ich arbeite dir damit du mich bezahlst, abhängt?

Und gesetzt auch, du hättest keine Gewalt zu besorgen, so würden eben diese Leute, von denen du, gegen einen kleinen Theil deines Geldes, Nothwendigkeiten, Bequemlichkeiten und Wollüste eintauschest, dir ihre Waaren oder ihre Arbeit in einem so übermäßigen Preise verkaufen, daß deine zwanzig Talente kaum für die Bedürfnisse einer Woche zureichten, – wenn es nicht abermahl eine Wirkung der Polizey wäre, daß die Preise der Arbeiten und Waaren nicht von der Willkühr der Arbeiter und Verkäufer abhangen.

Gestehe also, Filomedon, daß du von der bürgerlichen Gesellschaft, wovon du ein Mitglied bist, so große und wesentliche Vortheile ziehest, daß dir ohne sie alles Gold des Königs Midas wenig helfen würde. Ist aber dieses richtig, so brauchen wir weiter keinen Beweis, daß der erste beste Lastträger zu Korinth mehr Verdienste hat als du. Denn für den dürftigen Unterhalt, den ihm die Gesellschaft reicht, arbeitet er zu ihrem Dienste. Du hingegen, dem sie zwanzig Talente jährlich zu verzehren giebt, thust nichts für sie; oder wenigstens ist dein ganzes Verdienst um den Staat das Verdienst einer Hummel, welche den besten Theil des Honigs, den die arbeitenden Bienen mühsam zusammen tragen, verzehrt, ohne etwas anders dafür zu thun, als dem Staate junge Einwohner zu verschaffen; – und erlaube mir zu sagen, daß du auch dieses nicht thun würdest, wenn der Reitz des Vergnügens nicht mächtiger auf dich wirkte, als das Gefühl deiner Pflichten gegen die Gesellschaft.

Laß uns noch einen Fall setzen, Filomedon, der so möglich ist, daß wir in der That keine Stunde sicher sind, ihn nicht vorkommen zu sehen. – Zehen tausend Menschen haben unstreitig neunzehn tausend und acht hundert Arme mehr als hundert Menschen. Nun ist nichts gewisser, als daß gegen jedes Hundert deines gleichen in ganz Achaja wenigstens zehen tausend sind, welche bey einer Staatsveränderung mehr zu gewinnen als zu verlieren hätten. Gesetzt also, diese zehen tausend ließen sich einmahl einfallen, die Anzahl ihrer Arme auszurechnen, und das Facit ihrer Rechnung wäre, daß sie sich ihrer Übermacht bedienten, euch Reiche aus euren Gütern hinaus zu werfen, und eine neue Theilung vorzunehmen? So bald der Staat ein Ende hat, fängt der Stand der Natur wieder an, alles fällt in die ursprüngliche Gleichheit zurück, und – kurz, du würdest keinen größern Antheil bekommen, als der ehrliche Handwerksmann, der deine Füße bekleidet. Dieser einzige kleine Umstand würde dich in die Nothwendigkeit setzen, entweder zu arbeiten, oder – von so wenigem zu leben als Diogenes; und vermuthlich würde dir das eine so fremd vorkommen als das andere.

Es ist wahr, ich habe einen Fall gesetzt, der, so möglich er ist, dennoch aus vielen Ursachen nicht sehr zu besorgen scheint. Aber, giebt es nicht noch viele andere Zufälle, die dich um dein Vermögen bringen können? Sehen wir nicht alle Tage Beyspiele von dergleichen Veränderungen? Und wie wolltest du dir in einem solchen Falle helfen?

Es ist also klar, daß deine Unnützlichkeit ein eben so großes Übel für dich selbst, als sie eine Ungerechtigkeit gegen den Staat ist, dem du für die Vortheile, die er dir gewährt, verhältnißmäßige Dienste schuldig bleibst, ohne dich zu bekümmern wie du deine Schuld bezahlen wollest; – kurz, wir mögen die Sache wenden auf welche Seite wir wollen, so fällt die Vergleichung zwischen dir und dem Wasserträger immer zu Gunsten des letztern aus.


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