Christoph Martin Wieland
Reise des Priesters Abulfauaris ins innere Africa
Christoph Martin Wieland

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Die Bekenntnisse

des

Abulfauaris,

gewesenen Priesters in ihrem Tempel zu Memphis in Nieder-Aegypten.

Auf fünf Palmblättern von ihm selbst geschrieben.


Erstes Palmblatt.

Durch die Geburt, als der Sohn eines Priesters, zum Stande meiner Voreltern bestimmt, wurde ich in den Vorhöfen des großen Tempels zu Memphis in dieser strengen Regelmäßigkeit erzogen, welche, nach der klugen Vorsicht unsrer Alten, erfordert wird, einen zukünftigen Priester zu bilden.

Zugleich mit den großen Grundmaximen unsrer Hierarchie lernte ich die Kunst, meine Leidenschaften zu verbergen; – die Kunst, meine Blicke, Gesichtszüge und Geberden nach dem Modell einer unbeweglichen Ernsthaftigkeit abzuzirkeln; – die Kunst, wenn ich zornig war, zu lächeln und, wenn Andre lachten, gleichgültig oder, wofern es die Umstände mit sich brachten, feierlich auszusehen; – die Kunst, allen meinen Reden einen religiösen Schwung, allen meinen Handlungen religiöse Beweggründe zu geben und Alles, was ich Gutes that, der Inspiration des Osiris oder der Isis oder irgend einer andern Gottheit zuzuschreiben. Kurz, alle diese Künste – die ich nicht nöthig habe, euch, meine sehr werthen Mitbrüder, vollständig herzuzählen, und welche zur Erhaltung unsers gerechten Ansehens so nothwendig sind, – wurden mir durch die Erziehung so eigen gemacht, daß sie endlich die Leichtigkeit, das Ungezwungene und die Grazie der Natur bekamen und mir eben so 262 mechanisch wurden, als ob ich sie mit mir auf die Welt gebracht hätte.

Außer diesem wißt ihr, meine Brüder, daß unsre ganze Erziehung darauf eingerichtet ist, uns eine tiefe Ehrfurcht vor der Würde unseres Standes, einen immer brennenden, wiewohl äußerlich ruhigen Eifer für die Erhaltung unsrer Verfassung und eine pünktliche Anhänglichkeit an die Ceremonien, das Ritual und den ganzen exoterischen TheilDie alten Priester und manche Philosophen hatten eine doppelte Lehre, eine, welche öffentlich und Allen mitgetheilt wurde, – die exoterische, – und eine andre, die nur wenigen Eingeweihten, als ein Geheimniß, anvertraut wurde, – die esoterische. unsers religiösen Systems einzuflößen.

Man bekümmert sich nicht darum, uns zu überzeugen, daß Isis und Osiris, Horus und Serapis, Hermes, Anubis und Typhon wirklich Götter sind; aber man gewöhnt uns an, ihnen oder vielmehr ihren Bildern und Allem, was nur die mindeste Beziehung auf ihren Dienst hat, so zu begegnen, als ob sie es wären.

Diese Methode ist, wie ihr wisset, die Frucht der tiefen Politik, welche die Erfinderin unsrer ganzen Verfassung gewesen ist. Die Einsichten, zu denen wir gelangen, nachdem wir in den Mysterien des Osiris und der Isis eingeweihet worden sind, würden bei den Meisten von uns sehr nachtheilige Folgen haben, wenn es uns nicht von der Kindheit an zu einer mechanischen Gewohnheit gemacht worden wäre, die äußerste Ehrerbietung vor allen Gegenständen der öffentlichen Verehrung sehen zu lassen.

Ich gestehe freimüthig, daß ich die Nothwendigkeit dieser Angewöhnung aus meiner eignen Erfahrung kennen gelernt habe. Ohne sie würde es mir, nachdem ich durch die erforderlichen Vorbereitungen endlich zu der ganzen Einsicht in unsre Geheimnisse zugelassen worden war, öfters beinahe unmöglich gewesen seyn, die Rolle, welche mir meine Bestimmung im Tempel zu Memphis auferlegte, so zu spielen, daß 263 nicht zuweilen ein Zeichen eines geheimen Zwangs und einer gekünstelten Verstellung wider meinen Willen hätte verrathen können, daß sie mir nicht natürlich sey.

Ich befand mich dieser Gefahr um so mehr ausgesetzt, weil mir die Natur eine gewisse Aufrichtigkeit des Herzens gegeben hatte, die sich zuweilen in mir empörte, und besonders bei solchen Gelegenheiten, wo mein Eifer und meine Frömmigkeit mir vorzügliche Lobeserhebungen zuzogen.

»Du bist überzeugt, sagte ich zu mir selbst, daß alle diese Götter, in deren Anbetung du das ägyptische Volk unterhältst, weder mehr noch weniger gewesen sind, als Menschen wie du; Menschen, die von Fleisch und Brod lebten und, nachdem sie gestorben waren, von Würmern gegessen wurden; denn die Kunst, die Todten durch die Einbalsamirung zu erhalten, war zu ihren Zeiten noch nicht erfunden. Die Aufschlüsse sind unwidersprechlich, welche du durch die Initiation von dieser Wahrheit bekommen hast, von der dich schon die blose Vernunft hätte überzeugen sollen.

»Wer weiß besser als du, daß dieser Apis, dessen Tod das ganze Aegypten in die tiefste Trauer setzt, ungeachtet seines weißen Vierecks auf der Stirne, eben so sehr ein Stier ist, als irgend ein anderer Stier; und daß es lächerlich ist, einer Katze wie einer Göttin zu begegnen oder vor einer Meerzwiebel sich demüthig im Staube zu wälzen?Wenigstens behauptete Juvenal in einer Stelle, wo er darüber eifert, daß die Aegypter jedes Thier ihres Landes zu einem Gotte gemacht, sie hätten auch die Meerzwiebel angebetet. – Du gestehest dir selbst, daß alle diese Dinge ihre vermeinte Göttlichkeit von dem dummen Aberglauben des Pöbels haben: und du, dem es zukäme, dich mit deinen Brüdern zu vereinigen, um diesem Pöbel bessere Begriffe beizubringen, du unterhältst ihn in seinem dummen Aberglauben? – O Abulfauaris, Sohn des Menophis, ich besorge, du bist ein Betrüger!«

264 Dergleichen Gedanken, ich bekenne es, – vielleicht zu meiner Schande – beunruhigten mich in den ersten Jahren meines Priesterstandes so oft, daß es mir Mühe kostete, zu verhindern, daß sie bei gewissen Veranlassungen nicht sichtbar oder hörbar wurden. Zu andern Zeiten fand ich mich im Stande, es sey nun aus Leichtsinn oder Stärke des Geistes, mir eben diese Gedanken als Dünste und Wirkungen der Milzsucht sehr leicht aus dem Sinne zu schlagen.

»Wenn es jemals möglich seyn wird (antwortete ich mir selbst auf meine Bedenklichkeiten), daß der Pöbel über Dinge, welche nicht in die Sinne fallen, vernünftig denken lerne, so ist doch gewiß, daß es nicht in Aegypten geschehen wird; oder, wenn das ägyptische Volk jemals zu einem so hohen Grade der Aufklärung sollte gelangen können, so ist wenigstens dieses unleugbar, daß dermalen dazu noch keine Anscheinungen vorhanden sind.

»Die Religion der Aegypter, so anstößig und widersinnig sie in den Augen eines Fremden aussiehet, ist mit dem Staate so zusammengewachsen, daß seine Ruhe und Erhaltung an ihre Erhaltung gebunden ist.

»Die Aegypter glauben eine besondere Vorsehung und eine Bestrafung begangener Uebelthaten nach dem Tode. Diese beiden Artikel sind die wahren Grundpfeiler aller Sicherheit und sittlichen Ordnung unter den Menschen; denn von ihnen empfangen die Gesetze ihr Ansehen und ihre Furchtbarkeit. Selbst der Aberglaube des ägyptischen Volkes dient dazu, die Wirkung jener großen Wahrheiten zu befördern. Wo sie sich hinwenden, fallen ihnen geheiligte Symbole des unsichtbaren Wesens in die Augen, vor dessen Gegenwart und Aufsicht über ihre Handlungen sie zittern sollen. Je größer die Ehrfurcht ist, welche sie für diese 265 sichtbaren Bilder der Gottheit fühlen; desto kräftiger wirkt auf diese rohen Seelen die Wahrheit von der göttlichen Gegenwart, welche sie sich auf eine andere Art vorzustellen unfähig sind; desto heilsamer für die Gesellschaft wird die Scheu, unter den Augen so vieler Gottheiten Böses zu begehen.

»Dem Volke reinere Begriffe zu geben, ist, wenigstens in den gegenwärtigen Umständen, unmöglich; und ihm diejenigen zu benehmen, die es hat, ohne mit der vollkommensten Gewißheit überzeugt zu seyn, daß es ohne sie nicht schlimmer werden wird, als es mit ihnen ist, – welcher Gefahr würde durch eine so gewagte Verbesserung das ganze System der Staatsverfassung ausgesetzt!

»Wenn es also Betrug ist, Wahrheiten vor dem Pöbel zu verbergen, deren Glanz er nicht ertragen könnte: so ist es ein heilsamer, ein nothwendiger Betrug; und eben dadurch hört die Sache auf, diesen Namen zu verdienen.

»Nein, Abulfauaris, du hast keine Ursache, dich nur einen Augenblick des Ordens zu schämen, dem die ehrwürdigsten Geschäfte des Staates, die Erhaltung seiner Grundfeste und seines großen Triebrades, die Sorge für die Religion und der öffentliche Gottesdienst anvertrauet sind;

»Des Ordens, welchem die Aegypter Alles, was sie so weit über die Barbaren, die den Erdboden bedecken, erhebt, ihre Verfassung, Gesetze und Künste schuldig sind;

»Dem sie es zu danken haben, daß die königliche Gewalt, – welche zur Erhaltung der Einheit im Staate nothwendig und die Seele ist, durch deren Ausbreitung und Einfluß aus den Gliedern ein wahres fortdauerndes und lebendiges Ganzes wird, aber eben deßwegen so leicht und so gern ihre Gewalt mißbraucht, – daß sie in Schranken eingeschlossen bleibt, durch 266 welche die Gesetze und die bürgerliche Freiheit vor willkürlichen Anmaßungen sicher sind.

»In diesem Lichte betrachte deine Bestimmung, Abulfauaris, und dann sprich, ob eine edlere gedacht werden kann!«



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