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Eifersucht ist eine Leidenschaft,
die mit Eifer sucht, was Leiden schafft.
Als um 6 Uhr abends der Geheimrat noch nicht von der Ronneburg zurückgekehrt war, ging ich mit meinem Album zu Herrn Braun hinauf.
Er war sehr erfreut und empfing mich in seinem Zimmer, dessen Thür nach dem Korridor halb offen blieb.
Wir betrachteten gemeinsam die Bilder der Personen, die er aus meinen Erzählungen kannte. Dann zog er sein Taschenbuch hervor und zeigte mir, daß er mein Bild, welches ich ihm auf seine Bitte schon früher gegeben, jetzt obenauf gelegt und das seiner Frau darunter.
Ich erklärte dies ärgerlich für eine ›Dummheit‹ und wechselte es sogleich wieder um.
Nun wurde er wehmütig und sprach davon, wie sehr er mich vermißt habe; daß es ihm hier, ohne mich, wie im Gefängnis erschienen sei; daß ich wahrscheinlich nicht ahne, was mein Abschied für ihn in jeder Hinsicht bedeute. – – –
Ich ließ ihn nicht weiter sprechen, wozu sollte er etwas sagen, was gewiß nur der Augenblick mit sich brachte, wozu unser bis dahin freundschaftlich geschwisterliches Verhältnis verzerren. Die Erinnerung daran und an unsere herrlichen Spaziergänge im Lenz sollte nicht getrübt werden, sollte ihre Anmut bewahren.
»Rufen Sie, bitte, auch Herrn Postel!« sagte ich, »ich möchte auch gern von ihm Abschied nehmen.«
»Sofort!« er stürmte davon; kam aber mit dem jungen Lieutenant v. Brinken zurück, einem vor Kurzem eingetretenen Patienten, den ich am Sonntag zum ersten Mal auf der Kegelbahn gesehen. – Er war ein sehr hübscher junger Mensch, der im Rausch auf einen wachthabenden Soldaten geschossen hatte und nun hierher gebracht war, damit konstatiert werden konnte, ob er psychisch ganz gesund wäre.
Er war höchstens 25 Jahre alt, hatte dunkle Locken, die wie aus Neckerei überall von silbernen Fäden durchzogen waren und dabei ein blühendes, frisches Gesicht mit tiefdunklen Augen.
Diesen, mir fast ganz unbekannten Herrn führte Herr Braun nun mit sich, und als ich nicht umhin konnte, mein Erstaunen auszudrücken, antwortete Herr Braun: »Da sie denn schon nicht allein mit mir bleiben wollen, so habe ich Herrn Lieutenant v. Brinken hergebracht. Der Jammer-Postel ist mir unerträglich, hier haben Sie wenigstens einen Soldaten zur Ehrenwache.«
Ich mußte lachen. Wir sprachen noch dies und das, viel war es nicht mehr, dann brachte man den Herren Wein ins Zimmer. Ich erhob mich, mußte jedoch auf Herrn Brauns inständige Bitte einen Abschiedstrunk mit ihnen trinken.
»Fräulein Prätorius,« bat Herr Braun, »thun Sie mir den Gefallen, noch morgen ein einziges und letztes Mal mit mir spazieren zu gehen.«
Ich schwankte; doch warum sollte ich ihm diesen kleinen Gefallen nicht thun?
»Fragen Sie den Herrn Geheimrat!« sagte ich.
»Wollen Sie mich nicht auch ins Schlepptau nehmen, gnädiges Fräulein?« fragte der Lieutenant.
»Das wird wohl unmöglich sein; doch wenn die Ärzte erlauben, warum nicht?« fügte ich hinzu. Mir fiel es ein, daß Herr Braun wahrscheinlich gegen die Begleitung des ›Jammer-Postel‹ protestieren würde, allein aber wollte ich durchaus nicht mit ihm gehen. Er hatte in dieser Hinsicht ja soeben mein Vertrauen verscherzt.
* * *
Am nächsten Morgen teilte der Geheimrat mir selbst Herrn Brauns Wunsch und Bitte mit, erwähnte aber des Lieutenants nicht. Ich hielt es für ausgemacht, daß nur Postel mitkäme und war sehr erstaunt, als ich oben auch den Lieutenant zum Ausgang gerüstet vorfand.
»Herr Dr. Mai war so liebenswürdig mir zu gestalten mit Ihnen zu gehen,« sagte er auf meinen fragenden Blick.
»Dann also, bitte!« erwiderte ich immer noch erstaunt. Er war so kurze Zeit erst da, war so wenig beobachtet worden. – – –
Wir gingen die Treppe hinab und trafen auf dem Hof mit Fräulein Hannchen zusammen.
»Halt!« rief sie uns an, »das geht nicht, der Herr Doktor hat es nicht erlaubt.«
Mich berührte die Anstaltsdisciplin unangenehm und beleidigend, war ich ihr doch schon entwachsen.
»Das muß ein Mißverständnis sein,« sagte ich, »der Herr Lieutenant sagte – – –«
»Nein, nein – nix mit dem Herrn Lieutenant und mit dem Herrn Braun!«
Ich war empört.
»Wo ist denn der Herr Geheimrat?« fragte ich.
»Der ist fort,« war Hannchens Antwort.
Jetzt verbeugte sich der Lieutenant und schickte sich an hinauf zu gehen. Der Zwischenfall berührte ihn offenbar sehr peinlich und er war ein vollendeter Kavalier.
Da tönte aus Dr. Tondern offenem Fenster seine Stimme: »Frl. Hannchen, gehen Sie bitte zu Herrn Dr. Mai und fragen Sie ihn selbst, mir schien es auch als sei den Herren heute früh der Spaziergang gestattet.«
Als ich näher herantrat, wich er ins Zimmer zurück.
Versteckspiel! dachte ich ärgerlich.
Da kam Hannchen zurück: »Der Herr Dr. Mai läßt Ihnen sagen, seinethalben könnten Sie gehen.«
Mir stieg das Blut ins Gesicht, ich drehte mich um und ging mit den Herren rasch zum Thor hinaus.
Was ging heute mit allen vor in der Anstalt? was hatten sie? Diese zwei Mal widerrufene Erlaubnis in einer Sache, um die man mich zuerst doch gebeten. Zwei Monate war ich ja täglich mit den Herren spazieren gegangen. – Was bedeutete dies alles?
Einerlei! dachte ich – – noch drei Tage, dann geht's fort. Dann gehen mich alle diese Menschen nichts mehr an.
Aber mein Herz war traurig, daß nach all' den goldenen Tagen solch ein Schluß kommen sollte.
Vom Spaziergang längst zurückgekehrt, eilte ich am Nachmittag in meine kleine Behausung hinüber und sah Dr. Tondern auf der Erbachbrücke stehen, die ich zu passieren hatte. Das Flüßchen Erbach fließt dicht an der Anstalt vorüber und trennt sie vom Städtchen Helbingen.
Der Doktor schaute, in Gedanken versunken, ins Wasser. Anfangs wollte ich hinter ihm vorübergehen; aber sein verstimmtes und trauriges Gesicht zwang mich, ihn anzureden.
»Herr Doktor!« sagte ich, »was ist denn hier im Wasser zu sehen.«
»Nichts als ein ewiger Wechsel,« war die Antwort, und sein Gesicht blieb ernst wie zuvor.
»Und das ist gut, die Abwechslung ist dem Wasser, wie dem Menschen notwendig. Aber warum sind Sie jetzt immer so verstimmt, Herr Doktor? Lachen Sie doch wieder!«
»Man kann nicht immer lustig sein. – – Wie haben Sie sich übrigens auf dem Spaziergang amüsiert?«
»Sehr gut.«
»Das glaub' ich, – der Lieutenant ist ja ein hübscher Kerl. Wenn er auch Mal Jemanden über den Haufen schießt, das macht ihn nur interessanter.«
»Aber Herr Doktor!«
»Mein Fräulein!« Er zog den Hut und verschwand.
Nun, einerlei, dachte ich, es kommt doch alles auf eins heraus, und in drei Tagen fahre ich fort, Gott sei Dank! Es ist nicht mehr zu ertragen hier. – Könnte ich gleich, gleich – in dieser Minute fort! –
Als ich mir in der Wohnung genommen, was ich brauchte, eilte ich in den Garten, in den sich unterdessen Anna mit allen Patientinnen begeben hatte.
Auch Dr. Tondern fand ich hier; er spazierte in einer Tannenallee, Anna und Ella Seidel ebenfalls.
Ich trat an Ella heran, und der Doktor stellte sich schweigend zu uns. Als er so gar nichts sprach, erfaßte mich der alte Übermut, ich ergriff unbemerkt einen hervorragenden Tannenzweig und berührte damit des Doktors Wange.
Er fuhr zusammen und ging ärgerlich fort.
»Was hat er nur?« fragte ich Anna.
»Ja, so isch er jetz,« sagte Anna auf gut schwäbisch.
Ich mußte lachen. Dann gingen wir mit Ella in einen Pavillon, und nachdem Dr. Tondern nachdenklich einigemal vor demselben auf und niedergegangen war, kam er auch herein und setzte sich zu uns.
»Sie sind gestern in der Herrenabteilung gewesen, Fräulein Prätorius?« fragte er mich plötzlich.
»Ja, ich habe mich von Herrn Braun verabschiedet.«
»Und heute auf dem Spaziergang verabschiedeten Sie sich zum zweiten Mal? Wie?«
»Da Sie selbst noch nicht soweit in Ihrer Urteilskraft sind,« fuhr er in strengem Tone fort, »so sage ich Ihnen, daß Sie so nicht handeln dürfen. – Wie durften Sie am Abend die Herren besuchen? Begreifen Sie denn nicht, daß dies unpassend war?«
»Nein, denn es geschah mit der Oberwärterin Wissen; ich sehe darin nichts Unpassendes.«
»So sind Sie noch nicht gesund!«
»Das wird wohl der Geheimrat besser wissen, als Sie, Herr Doktor, der Sie mich so kurze Zeit kennen.«
»Ich kenne Sie gut genug, Fräulein, um zu wissen, daß Sie mit gesunden Anschauungen nie am Abend bei einem Herrn einen Besuch machen würden.«
»Von Abend konnte hier nicht die Rede sein ... « rief ich; »übrigens – es ist Zeit, daß ich abreise, sonst werde ich hier noch zum Kinde gestempelt, das aller Welt zu gehorchen hat.«
»Und ich gestatte ihnen nicht, zu Herrn Braun zu gehen, das ist gegen die Anstaltsregeln.«
»Und ich bin keine Kranke und kein Kind mehr, ich thue, was ich will!«
In diesem Augenblick ertönte Dr. Mais Stimme: »Herr Kollege, kommen Sie zu einem Glase Bier!«
»Vertreiben Sie Ihre böse Laune,« rief ich ihm nach.
»Das ist nicht Laune,« sagte er traurig.
Mir schnürte sich die Kehle zusammen, ich stand auf und lief zu Fräulein Hannchen ins Haus, da hörte ich denn die ganze Geschichte: beide Ärzte waren empört über Hannchens Erlaubnis gewesen, waren zu ihr ins Zimmer gekommen und hatten ihr die bittersten Vorwürfe gemacht.
»Solch eine Dame, wie Fräulein Prätorius, hat überhaupt auf der Herrenabteilung nichts zu thun,« hatten sie gesagt; Fräulein Hanna hatte sich auf des Geheimrats frühere Anordnung berufen, sie waren bei dem ihren geblieben und hatten ihr strengstens untersagt, mich je wieder ›Abschied nehmen‹ zu lassen.
Jetzt war ich außer mir.
»Seien Sie ruhig, Fräulein Maria « tröstete Fräulein Hannchen, »sprechen Sie selbst mit dem Geheimrat; ich habe ihm bereits die Geschichte erzählt, er findet nichts Arges darin. – Sehen Sie, da steht er auf dem Hofe,« fügte sie, ans Fenster tretend, hinzu, »er spricht mit Dr. Mai, gehen Sie gleich hinunter und reden Sie mit ihm!«
Gesagt – gethan. Ich trat an beide Herren heran: »Entschuldigen Sie, Herr Geheimrat, daß ich Sie störe, ich möchte Ihnen nur sagen, daß ich keinen Augenblick daran gedacht habe, die Anstaltsordnung zu verletzen. Ich muß Ihnen ferner sagen, daß es mir herzlich leid thut, wenn ich dies unbewußt gethan haben sollte – jetzt zum Schluß noch – nach einer so unvergleichlich angenehmen Zeit, die ich hier zugebracht. Verzeihen Sie mir!«
Alles dieses sagte ich, wenn auch in bittendem Tone, so doch mit stolzer Haltung.
»Aber wer hat denn von einem Stören der Anstaltsregeln gesprochen!« fragte der Geheimrat erstaunt.
»Ich habe kein Wort geredet,« fiel Dr. Mai ein; »aber unpassend finde ich Ihr Betragen ebenfalls.«
»Von Ihnen ist überhaupt hier nicht die Rede, Herr Doktor,« sagte ich voll Hochmut, verneigte mich vor dem Geheimrat und ging erhobenen Hauptes fort.
Ich ging in meine Wohnung und weinte bitterlich. Dann ermannte ich mich und eilte zu Fräulein Hannchen zurück, die auf mich hatte warten wollen. Unterwegs begegnete mir der Geheimrat.
»Mein Mariale! nehmen Sie sich das nur ja nicht zu Herzen, die Herren Ärzte sind weiter nichts als eifersüchtig,« sagte er mir flüsternd ins Ohr.
Ich reichte ihm, unter Thränen lächelnd, die Hand, und wir trennten uns, nachdem er freundlich über mein Haar gestrichen.
Nach längerer Zeit mußte ich zum ersten Mal wieder am Abend ein Schlafpulver einnehmen, da ich fühlte, heute wird's nicht gehen mit dem Einschlafen. – Und morgen ist Freitag! dachte ich, als meine Sinne sich zu umnebeln anfingen, der Tag, an dem Dr. Mai mich nach X. begleiten wollte. Übrigens – nach allem, was geschehen – wird er hoffentlich gar nicht mit mir gehen wollen. – Möchte es doch regnen und stürmen, daß der Doktor die Lust verliert, sich das Haar schneiden zu lassen.