Ernst Wichert
Der Schaktarp
Ernst Wichert

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Der Fischmeister war, während er sich anscheinend ganz harmlos mit der Wirtin unterhielt, auf den Gedanken gekommen, es könne indessen leicht auf dem Haff etwas Unrechtes vorgehen. »Die Spitzbuben wissen«, kalkulierte er, »daß ich zu einem großen Begräbnis geladen bin, und rechnen darauf, daß ich mich volltrinke und dann die Nacht lieber in meinem Bett als auf dem Wasser zubringe. Ich wette darauf, sie fischen mit unerlaubten Gezeugen. Das soll ihnen doch versalzen werden!« Obschon etwas schwer von dem genossenen Portwein, Grog und Bier, erhob er sich doch von der Bank und sagte, er wollte sich einmal »ein bißchen die Füße vertreten«, komme aber gleich wieder. In Wirklichkeit gedachte er, aufs Haff auszulugen, und dazu konnte ihm, wenn er nicht einen weiten Weg hinaus machen wollte, kein Ort passender erscheinen als der hochgelegene Kirchhof. Dorthin ging er also.

Kurz vor der Weide trat er auf ein Bänkchen, das neben einem Grabe recht auf der Höhe stand, zog sein Taschenperspektiv hervor und musterte die ganze breite Wasserfläche im Viertelkreise. In größerer und geringerer Entfernung ließen sich Segel bemerken, doch konnte er nicht erkennen, welcher Ortschaft die Fahrzeuge angehörten. Während er noch, ohne das Glas von den Augen abzusetzen, überlegte, ob er's diesmal »riskieren« könne – ihn fing wieder an zu dursten, und die Tonne war noch nicht leer gewesen –, hörte er nahebei ein Flüstern wie von Menschenstimmen. Es kam von der Weide her. Leise stieg er von der Bank, schlich heran und guckte über den großen Hauptstamm zwischen den sich gabelnden Zweigen auf das Paar hernieder: ah, Endrik und Else!

»Donnerwetter, was treibt der Junge?« Es kratzte ihn in der Kehle; am liebsten hätte er sich laut geräuspert oder mit einem kräftigen Hoho! die beiden auseinandergetrieben. Rasch genug sah er aber ein, daß es für ihn besser wäre, von der Sache zu wissen, ohne sich zu verraten. Er schlich deshalb wieder zurück, verließ den Kirchhof und schlug den Rückweg nach dem Hause ein.

»So steht's also«, knurrte er vor sich hin. »Der Endrik hat einen Schatz! Na – das ist nicht gefährlich. Heiraten wird er die Magd nicht. Die Else ist ein dralles Mädchen und sieht gut aus – kein Wunder, daß sie ihm gefällt. Aber weiter als bis zur Liebelei darf er's nicht treiben – das gibt hinterher Unannehmlichkeiten! Sieh einer den stillen Endrik! Das sollt' seine Mutter wissen!«

Von den Gästen waren die meisten inzwischen fortgegangen. Grünbaum klopfte Frau Grita auf die Schulter und sagte: »Will doch vor Abend noch einmal sehen, wie's auf dem Haff steht. Kann sein, daß ich einen guten Fang mache.«

»Nicht doch, Herr Kapitän«, wendete die Wirtin ein. »Heute ist Feiertag – da dürfen Sie an so etwas nicht denken. Mein Portwein ist noch lange nicht ausgetrunken, Herr Kapitän.«

Er schüttelte lachend den Kopf: »Der Fischmeister darf keinen Feiertag haben; das liegt in seinem Amt. Gerade dann, wenn man ihn festgeankert glaubt, muß er vorbrechen wie Zieten aus dem Busch. Ist alles in Ordnung oben, um so besser. Was den Portwein betrifft – na, ein Gläschen zum Abschied kann nichts schaden. Oder lieber – wenn's Ihnen gleich ist, packen Sie mir ein halb Fläschchen in den Jäckert, der hinten im Kutter liegt. Es kann sein, daß ich vor morgen früh nicht ans Land zurückkomme, und die Nächte sind noch immer verdammt kalt auf dem Wasser. Der Endrik kann's ja besorgen!«

Nun sah sie sich nach ihrem Sohn um und wunderte sich, daß er sich nirgends blicken ließ. Auch Else war nicht zu finden. »Die haben wohl etwas heimlich miteinander?« fragte Grünbaum, listig mit den grauen Augen zwinkernd.

»I bewahre!« rief Frau Grita scharf abweisend. »Wie sollte Endrik auf so etwas kommen?«

»Na – na –na!« plänkelte der Kapitän, »da bin ich doch nicht sicher. So nebeneinander aufgewachsen – und im richtigen Alter . . . Sie sollten doch einmal die Augen darauf haben. Wenn's etwas mit meiner Julie werden soll . . . ha, ha, ha!«

Sie sah ihn überrascht an.

»Ich spaße natürlich nur so«, lenkte er nach diesem Fühler ein. »Aber meinetwegen freilich könnt's auch Ernst werden. Der Junge gefällt mir soweit recht gut, und wenn er sich ganz auf den Holzhandel legt – na, es ist Spaß! Ich meine nur so: wenn die beiden sich gerade zueinander fänden, von meiner Seite hätt's am Ende keine Schwierigkeiten, und eine Frau, die einen guten Brief zu schreiben und eine gehörige Rechnung auszustellen weiß, könnte einem Holzhändler schon passen. Wie der Alte sein Geschäftchen gemacht hat, in der Weise kann's doch auf die Dauer nicht weitergehen. Aber wie gesagt, es ist Spaß. Meine Julie bekommt schon einen Mann. Da ist der Forstgehilfe Görich, der hat längst ein Auge auf sie. Und nach Jahren, wenn er seine feste Anstellung hat, könnt's ja auch eine ganz passable Partie sein. Aber die lange Brautschaft – das ist nichts für mich. Wenn meine Frau noch lebte, dann wär's mir vielleicht egal – ich kann doch dem Mädel nicht aufpassen, daß da nichts Dummes geschieht. Und auch von der andern Seite, was mich selbst anbetrifft – sehen Sie, wenn die Julie verheiratet ist, kann ich doch nicht allein bleiben und mit irgendeiner Magd wirtschaften. Muß ich's aber noch einmal mit dem Ehestand versuchen, dann rasch vorwärts! Ein alter Knabe wie ich hat nicht lange Zeit zum Warten . . . Was ich eigentlich noch sagen wollte . . . hm, hm – wegen der Julie. Aufs Haff kann ich sie doch nicht mitnehmen, und ob ich morgen über Gilge zurückgehe, weiß ich auch nicht. Es wäre mir lieb, wenn Sie das Mädchen ein paar Tage hierbehalten könnten, bis ich sie holen lasse . . . das heißt, wenn es Sie nicht beschwert, liebe Madame, wenn es Sie nicht beschwert. Sonst helf' ich mir auf andere Weise.«

Frau Endromeit streichelte ihm den Ärmel und suchte zu Worte zu kommen. »Aber bester Herr Kapitän, wie können Sie denken . . . Eine große Ehre wird es mir sein – wahrhaftig, ein so liebes, freundliches Mädchen und die Tochter von Herrn Kapitän Grünbaum! Aber nehmen Sie's mit den paar Tagen nicht so genau, Herr Kapitän. Wenn eine Woche daraus wird, das schadet nichts. Das Fräulein kann sich ja einmal in einem Fischerhause umsehen, wie's da zugeht – hi, hi, hi! Alle Tage ist freilich nicht – Begräbnis!«

Sie sah sich nach der Tür um und blickte auch durchs Fenster. »Wo nur der Endrik steckt? Endrik – Endrik! . . . Was Sie da von Endrik sagten, Herr Kapitän, und vom Holzgeschäft und vom – Briefschreiben, das hat alles seine Richtigkeit. Davon reden wir ein andermal noch weiter, nicht wahr? Ich denke, Sie kommen, Ihr Julchen selbst abzuholen. Den Portwein will ich schon ins Boot besorgen, auch ohne den Endrik. Else – Else!«

Sie nahm eine Flasche vom Tisch und eilte in den Flur hinaus, auch durch den Stallgang bis hinter das Haus. Da sah sie nun ihren Sohn und das Mädchen durch den Garten herankommen, winkte ihnen zu, daß sie sich beeilen möchten, und schalt sie dann tüchtig aus. Gegenreden anzuhören hatte sie jetzt gar keine Zeit. »Wir sprechen morgen weiter darüber«, drängte sie; »besorge dem Herrn Kapitän den Portwein in den Kutter, Endrik, und hilf ihm, wenn er dich sonst braucht. Und du, Else, räume in der Stube auf und setze in deine Kammer noch ein Bett – des Herrn Kapitäns Tochter bleibt zum Besuch. Eile dich!«

*

Eine halbe Stunde später fuhr der Fischmeister, der nun sein Schild ausgesteckt hatte, mit seinem Bootsmann den Strom hinab, aufs Haff hinaus. Dort war mehr Wind. Vor Sonnenuntergang noch war er auf der Höhe und mitten unter den dort kreuzenden Fischern, denen er in der Tat sehr unerwartet und unerwünscht kam. Zog er seine rote Flagge auf, so mußte das Boot, hinter dem er her war, sofort beilegen und ihn herankommen lassen. Er war nach diesem vergnügten Tage so recht in der Stimmung, seine Amtsgewalt fühlbar zu machen, und so konfiszierte er denn mit bestem Humor allerhand unvorschriftsmäßige Geräte und zwang die Leute, ihren Fang über Bord zu werfen. »Heute reitet ihn der Teufel!« meinten die Fischer, denen bei seinen Witzen gar nicht lächerlich zumute war.

Darauf streckte er sich in den Kutter und schlief ein paar Stunden. Das Getränk wirkte nach. Gegen Morgen weckte ihn ein Schüttelfrost. Er suchte sich durch den zum Frühstück aufgesparten Rest des Portweins zu erwärmen, kreuzte noch einmal das Haff, »um den Nehrungern guten Morgen zu sagen«, und fuhr dann in den Nemonienstrom ein und bis zum Hause des Posthalters. Dort restaurierte er sich völlig, brachte seine Notizen in Ordnung und setzte dann die Fahrt auf dem Strom fort, bald die Segel, bald die Ruder gebrauchend.

Gegenüber dem Moosbruch, das sich, nur aus einzelnen vortretenden Kuppen mit niedrigem Birkengestrüpp bewachsen, mit seiner braunen Kruste unabsehbar in die Ferne streckte, schwammen einige flache Kähne im Fluß, die zum Teil auf quer untergelegten Leitern mit einer grünlichen Masse hoch beladen waren. Vorn und hinten in der Spitze standen Männer mit aufgekrämpten Beinkleidern und Weiber mit aufgeschürzten Röcken, sämtlich lange Harken oder gabelartige Käscher in der Hand, und bemüht, die vom Boden des Flusses dicht aufwachsenden Pflanzen mit langen Stengeln und zierlichen Blättchen abzureißen, einzufangen und in die Boote zu werfen. Der Fischmeister wußte, daß er's mit Zeitpächtern vom Moosbruche zu tun hatte, die hier das den Wasserläufen schädlichste Gewächs, die Wasserpest, sammelten, um sie für ihre Kartoffeläcker als Dung zu gebrauchen. Das war ihnen gern gestattet. Sie pflegten bei dieser Arbeit aber gelegentlich auch Fische zu fangen, wozu sie nicht berechtigt waren, und deshalb steuerte nun Grünbaum seinen Kutter scharf auf die Kähne hin, um wenigstens im Vorüberfahren einen Blick hineinzuwerfen. »Bist du's, Jurgeitis?« rief er einem älteren Manne zu, der gleich im ersten Kahn stand und eifrig harkte. Mit der Hand griff er hinüber und hielt den Kutter am Kahne fest. »Es ist mir lieb, daß ich dich hier treffe: so kann ich dir gleich sagen, was ich zu sagen habe, und brauche dich nicht zu mir zu bestellen.«

Der Litauer schien über diese Anrede nicht sonderlich erfreut zu sein. Er warf unwillig mit der Harke das aufgefischte Kraut hinter sich auf die Leitern und schob dann erst ein wenig die Mütze aus der Stirn, was einen Gruß bedeuten sollte. Eine Antwort gab er nicht.

»Man hat dich kürzlich im sechsten Graben gesehen, alter Freund«, fuhr Grünbaum fort, »wo du gar nichts zu suchen hast – gar nichts zu suchen hast – verstehst du?«

Er wiederholte die Worte nachdrücklich, weil er zu bemerken glaubte, daß Jurgeitis ihm in die Rede fallen wollte. »Das ist nicht wahr, Herr«, rief dieser nun ärgerlich, »und wer das erzählt hat, der hat schändlich gelogen, um mich ins Unglück zu bringen.«

»Es ist wahr, Jurgeitis«, versicherte der Fischmeister; »verlasse dich auf mein Wort, und der dich gesehen hat, der hat gesunde Augen gehabt. Er hat auch gesehen, daß du zwei Wenter ausgelegt hattest und sie aufzogst, und er konnte dir nur nicht nach, weil er kein Boot zur Hand hatte und du eine gute Strecke voraus warst. Willst du das bestreiten?«

»Das bestreite ich, Herr!« rief der Litauer noch energischer. »Ich habe in dieser Jahreszeit genug in meinem Lande zu tun und denke nicht ans Fischen. Soviel ich für meinen Tisch brauche, gibt mir allenfalls auch der Schulze Laurus, dem ich bei seiner Fischerei helfe. Ich muß von schlechten Menschen verleumdet sein, Herr Fischmeister, wahrhaftig! Es sind viele, die mir das Stückchen Land im Moosbruch neiden, so wenig es ist. Neid ist überall bei den armen Leuten. Denn so arm einer ist, der andere ist noch ärmer und möchte an dessen Stelle. Auf die Pacht aber lauern immer zehn.«

Grünbaum schien nicht sonderlich überzeugt zu sein. »Du weißt wohl, Jurgeitis«, sagte er, »daß deine Pacht nächste Ostern abläuft, und daß es sich Weihnachten entscheidet, ob die Regierung sie dir weiter auf sechs Jahre läßt. Du weißt auch, hoffe ich, wer zu berichten hat, und daß dabei alles nach dem Rechten geht. Betreffe ich dich auf unrechten Wegen, so wundere dich hinterher nicht, wenn du oben schlecht angeschrieben bist! Schon mehr als einmal hast du erfahren, daß ich nicht mit mir spaßen lasse.«

Jurgeitis war ganz bleich geworden und zog unwillkürlich die Mütze vom Kopfe. »Sie werden mich doch nicht unglücklich machen, Herr Fischmeister!« murmelte er ganz traurig. »Um mein Fischerhaus in Gilge und alles Gerät bin ich schon gebracht – soll ich nun ein Bettler werden wegen der schlechten Menschen? Ich will hier gleich auf der Stelle ins Wasser sinken und nie wieder zum Vorschein kommen, wenn ich . . .«

»Verschwöre dich nicht«, fiel Grünbaum ein. »Wenn euch Litauer der liebe Gott für jeden falschen Schwur beim Wort nehmen wollte, dann wär's schon längst mit euch zu Ende. Was ist davon zu reden? Ich habe dich gewarnt – nun richte dich danach.« Er lehnte sich über den Bord seines Kutters und griff mit der Hand unter das Wasser bis zum Boden des Kahnes, in dem Jurgeitis stand. Dieser folgte ängstlich seiner Bewegung. »Dachte ich's doch!« rief der Fischmeister. »Da läuft unter deinem Kahn eine Leine, und der Ring, an dem sie befestigt ist, wird nicht schwer zu finden sein.«

»Was für eine Leine, Herr . . .?«

»Was für eine Leine? Nun tue noch so, als ob du aus dem Himmel fällst! Was für eine Leine – Kreuzschwerenot! An so einer Leine pflegt ein Sack befestigt zu sein, und im Sack fangen sich Fische, wenn das Glück gut ist. Gib einmal acht, ob ich recht habe!«

Er zog die Leine auf und ließ sie in Windungen von Klafterlänge in den Kutter gleiten. »Die muß mir einer da angebunden haben«, stammelte Jurgeitis kleinlaut. »Wahrhaftig, ich weiß nichts davon! Es ist aus Bosheit geschehen, Herr Fischmeister.«

Grünbaum lachte und setzte seine Bemühungen fort. »Na, da ist auch der Sack. Zu streiten ist doch jetzt nicht mehr? Oder doch? Den hat dir einer aus Bosheit angebunden – natürlich!« Er warf das Netz in den Kutter, zog ein Taschenmesser vor und schnitt die Leine ab. »Dir gehört der Sack also nicht – gut! Dann mag ihn sich der von mir abholen, dem er gehört. Ich nehme ihn in Verwahrung. Darüber aber, wie er an deinen Kahn gekommen ist, magst du dich vor Gericht verantworten. Vielleicht entdeckst du den Spitzbuben, der dir das zum Tort getan hat.«

Dem Litauer zitterten die Knie. »Ich will freiwillig die Strafe zahlen«, stotterte er, »da mir ja doch nicht geglaubt wird. Aber rechnen Sie mir's nicht auf das Moosbruchland an – nur dieses eine Mal nicht! Wenn ich die Pacht verliere, so muß ich betteln gehen. Schenken Sie mir's nur noch dieses eine Mal!«

Grünbaum warf den Kopf zurück. »Es wird dir auch nichts helfen«, antwortete er. »Ihr könnt's nicht lassen. Aber wollen sehen, wollen sehen! Dies kommt noch auf die alte Rechnung.« Er machte den Kutter frei. »Ich will dir doch noch etwas sagen, Jurgeitis, damit du siehst, daß ich dein guter Freund bin. Nimm deine Tochter in acht!«

»Meine Tochter, Herr –«

»Ja, deine Tochter. Die Else, die bei Endromeit dient, ist doch deine Tochter?«

»Das ist wahr, aber –«

»Siehst du – ich komme eben vom Begräbnis und habe die Augen nicht umsonst im Kopf. Ich weiß nicht, was du für Absichten mit dem Mädchen hast; aber was da geschieht, kann dir schwerlich gefallen. Paß auf, sag' ich dir!«

Jurgeitis beobachtete ihn mit lauernden Blicken: »Was geschieht da, Herr? Ich will hoffen, nichts Unrechtes?«

»Na, was Rechtes kann auch nicht daraus werden! Dem Endrik gefällt das Mädel, und es ist schon weit genug zwischen ihnen gekommen – das kann ich bezeugen.«

»Wie weit, Herr?« Die Stimme des Mannes zitterte.

»Wie weit? Der Teufel mag's wissen! Wenn aber der Sohn sich von seines Vaters Begräbnis fortschleicht und die Gäste Gäste sein läßt und mit einem hübschen Mädel irgendwo zusammentrifft – meinetwegen hinter der alten Weide auf dem Kirchhof – na –«

»Und das ist die Else?«

»Das ist die Else. Ich kenne sie ja doch seit Jahren! Der Endrik wird ihr was in den Kopf setzen, das doch nur unvernünftiges Zeug ist. So ein junges Ding prüft's nicht so genau, und hinterher ist das Unglück da. Denn von Heiraten kann doch die Rede nicht sein. – Die Alte leidet's nimmermehr. Für eine Liebschaft aber ist die Else zu schade!«

»Die Alte leidet's nimmermehr!« wiederholte Jurgeitis murmelnd. Er ließ wieder die Harke in das Wasser gleiten und riß das Kraut aus der Tiefe; um den Fischmeister kümmerte er sich nicht weiter. Der war auch ganz zufrieden, seinen letzten Trumpf ausgespielt zu haben, und segelte weiter, seinem nicht mehr weit entfernten Hause zu. Es lag dicht am Flusse auf Wiesenboden, der durch einen Erdauswurf nur wenig erhöht war. Zur Sicherung gegen die Fluten war es auf Pfähle gestellt. Sie versteckten sich jetzt aber hinter dem dichten Weiden- und Fliedergebüsch, das ringsum gesetzt war und weiterhin auch das Gärtchen einfaßte. –

Dem Litauer schien schwer im Kopfe herumzugehen, was er erfahren hatte. Er unterbrach nach einer Weile seine Arbeit wieder, stützte sich auf die Harke und blickte finster in das Wasser. Der Fischmeister war ihm verhaßt wie kein anderer Mensch. Er sah in ihm einen bösen Geist, der ihn unablässig verfolgte und seine Freude daran hatte, ihn zugrunde zu richten. An ihm hatte Grünbaum gleich nach seiner Beförderung zum Fischmeister sein Probestück als ein »strammer Beamter« abgelegt.

Es war früher auf dem Haff nicht so strenge gehalten worden; man hatte durch die Finger gesehen, wenn die Fischer die alten unvorschriftsmäßigen Netze, die doch einmal viel Geld gekostet hatten, benutzten. Grünbaum ließ sie's wissen, daß er entschlossen sei, auf die richtige Ordnung zu halten; aber sie glaubten nicht daran. Und nun war Jurgeitis der erste gewesen, der die Segel streichen mußte und dem sein ganzes Gerät konfisziert wurde. Er hatte es sich nicht gutwillig nehmen lassen wollen, dem Fischmeister die Netze fortgerissen und im Zorn sogar mit einem Schöpfer gegen ihn geschlagen. so daß er ihn am Kopfe verwundete. Das verwickelte ihn in einen langwierigen Kriminalprozeß. Ein Jahr Gefängnis wurde ihm auferlegt, und das war noch nicht einmal seine schwerste Strafe! Als er das Jahr verbüßt hatte, fand er seine Wirtschaft in traurigem Zustande. Wegen der Kosten war sein Grundstück mit Beschlag belegt worden, und da er unter solchen Umständen das Geld zur Anschaffung neuer Geräte nicht aufbringen und ohne Fischereiverdienst den älteren Gläubigern die Zinsen nicht bezahlen konnte, kam das Grundstück zur Subhastation, bei der er dann das letzte verlor. Grünbaum hatte an seinem ganzen Unglück schuld – darüber kam ihm nicht der mindeste Zweifel! Er betrachtete ihn seitdem als einen Feind, mit dem er fortwährend zu ringen habe. Recht ihm auf den Nacken hätte er sich gesetzt, meinte er, und er säße da so fest, daß er sich das ganze Leben lang nicht mehr würde abschütteln lassen.

Mehrere Jahre nach jener unglücklichen Zeit hatte er sich auf förmlichen Kriegsfuß gegen das Gesetz gestellt, als dessen Hüter sich der Fischmeister mit Stolz betrachtete. Seit Menschengedenken waren die Jurgeitis Haffischer gewesen; von frühester Jugend an hatte er selbst nichts anderes in Gedanken gehabt als die Fischerei; er verstand nichts anderes als die Fischerei. Was er nicht mehr offen betreiben durfte, betrieb er fortan heimlich. Er verschaffte sich einen alten Kahn und allerlei unerlaubtes Gezeug, das die in Angst gesetzten Wirte willig fortgaben, spähte alle verborgensten Schlupfwinkel an den Küsten aus und warf in der Nacht seine Netze aus. Oft steckte er tagelang in Schilf und Rohr, wenn der Fischmeister Jagd auf ihn machte, oder er ließ, wenn er sich nicht hinauswagen durfte, den Kahn im Versteck, watete durch das flache Wasser an das Land und trieb dort sein Unwesen in den Kanälen und Gräben, bis man ihn aufstöberte und vertrieb. Grünbaum nahm es als eine Ehrensache, »sich von dem frechen Burschen nicht auf der Nase spielen zu lassen«, verdoppelte seine Anstrengungen und faßte ihn endlich doch. Nun verlor Jurgeitis sein Handwerkszeug und mußte als Knecht dienen; er war aber zu lange Herr gewesen, um Geschmack daran zu finden. Wo er konnte, machte er auf eigene Hand seinen heimlichen Fang. Das verwickelte die Wirte, deren Gerät er mißbrauchte, in Unannehmlichkeiten. Grünbaum, der ihn los sein wollte, ruhte nicht, bis sie ihn der Reihe nach entließen. Jurgeitis lebte dann als Losmann so recht von der Hand in den Mund. Ward irgendwo dem Fischmeister ein Schabernack gespielt, so war er selbstverständlich im Verdacht, dabei mitgewirkt zu haben. Endlich, müde gehetzt und mürbe gemacht, ging er eines Tages seinen Todfeind mit der Bitte an, ihm dazu zu verhelfen, daß er ein anderes Leben beginnen könne. Wenn er ein Stück Moosbruchland in Zeitpacht erhielte, wolle er sich eine Hütte darauf bauen, seinen Kartoffelacker bestellen und das Fischen in Haff und Fluß ganz aufgeben. Grünbaum sagte sich, daß dies wirklich die beste Art sei, sich wenigstens für einige Zeit Frieden vor dem Manne zu schaffen; er besorgte ihm die Pacht und gab ihm sogar einen Geldvorschuß zur ersten Einrichtung. Da er ihn stets unter Augen hatte – das Moosbruchland lag seiner Wohnung schräg gegenüber – konnte Jurgeitis kaum noch viel Unfug treiben.

Aber die Katze läßt das Mausen nicht. Nun war Jurgeitis wieder beim Fischdiebstahl betroffen worden, und sein Feind hatte eine Drohung ausgestoßen, die sicher ernst gemeint war. Wurde ihm die Pacht gekündigt, so stand er wieder nackt da, jetzt schon ein alter Mann, oft von Gliederreißen geplagt. Es fiel ihm gar nicht ein, sich selbst die Schuld beizumessen; hinter Grünbaum her drohte er zähneknirschend mit der Faust: »Teufel!« Auch was der Kapitän ihm von Else gesagt hatte, mußte auf eine Teufelei hinauskommen. Wie könnte dieser Mensch ihn in guter Meinung warnen? Vom Gesicht glaubte er ihm die Freude darüber abgelesen zu haben, daß er dem Mädchen etwas nachsagen könne. In allen Krugstuben würde man es nun bald erzählen, daß die Else Jurgeitis eine Liebschaft mit dem reichen Endrik Endromeit habe – Grünbaum würde schon dafür sorgen!

Das Kind war seine ganze Liebe. Als Else noch ein kleines Mädchen war, hatte er selten einen Sonntag vorübergehen lassen, ohne sie zu besuchen und ein Stündchen mit ihr zu spielen. Dann hatte er sie zum Kirchgang abgeholt und wieder zurückgebracht, solange er noch gute Kleider hatte und sich nicht zu schämen brauchte, neben dem Mädchen herzugehen, das in allem wie eine Wirtstochter aussah. Als er dann ganz heruntergekommen war, mied er das Haus des Endromeit und ließ Else nur gelegentlich grüßen, damit sie ihn nicht vergäße. Er wollte nicht, daß die Nachbarn Vergleiche anstellten und das Mädchen seinetwegen zurücksetzten. Als Zeitpächter fand er sich dann wieder ein und hatte seine Freude daran, zu sehen, wie Else sich hübsch und kräftig auswuchs. Sie zu sich zu nehmen, wäre ihm als eine Sünde erschienen: bei Endromeit war sie besser aufgehoben und hatte nicht so schwere Arbeit. Vielleicht vermachte er ihr auch etwas in seinem Testament oder stattete sie gut aus, wenn sich einer zu ihr fand, der für sie paßte, einer von den kleinen Wirten etwa, die eine tüchtige Frau brauchten und nicht allzu wählerisch sein durften. Und nun sollte sie es heimlich mit dem Endrik treiben, der doch nur ihr Unglück sein konnte? Das Blut schoß ihm in's Gesicht. »Zu dem, was der von ihr will, ist sie doch zu gut! Dem Teufel könnt's recht sein –, aber sie soll nicht, sie soll nicht!«

Sie soll nicht! Das sagte er sich bei der Arbeit immer wieder vor, und als er am Abend seinen Kahn mit dem Kraut an das Land gebracht hatte, begann er die Ladung sogleich auszukarren und machte der alten Frau, die seine ärmliche Wirtschaft führte, bemerklich, daß er andern Tages in der Frühe nach Gilge wolle und vielleicht nicht allein zurückkehren werde. Wo freilich ein Gast in der Hütte untergebracht werden sollte, war schwer zu entdecken: der Raum unter dem Strohdach schien Stube, Küche, Vorratskammer und Stall zugleich zu sein; in einem Verschlag, der wohl von außen zu öffnen sein mochte, grunzte ein Schwein, und auf dem Sparrenbalken saßen die Hühner, die schon zur Nachtruhe aufgeflogen waren.

*

Am andern Tage zog Jurgeitis seine besten Kleider an und machte sich auf die Reise. Da das Wetter still war, fuhr er den Nemonienstrom hinab, über Haff am Ufer entlang und in den nahen Gilgestrom ein. Bis zum Hause des Endromeit hatte er es dann nicht mehr weit.

Dort war alles bei der Arbeit, nach dem vorgestrigen Feste die alte Ordnung wiederherzustellen. Zwar war die Stube schon gescheuert und trocken, standen Tische und Bänke mit ihren weißen Platten draußen in der Sonne, aber die vielen gebrauchten Krüge, Gläser und Tassen waren noch nicht an ihrem Platze oben an den Balken; die Teller standen noch nicht im Schragen, und das Zinnzeug war teilweise noch zu putzen. Damit beschäftigte sich Julie in der Stube. Im Feuerraum draußen stand Else bei der Wäsche, die Tafellaken und Tischdecken zu reinigen. Die Witwe ging ab und zu, griff auch wohl selbst tätig ein.

Jurgeitis sah von der Straße her in das offene Fenster der Stube. Es wunderte ihn nicht wenig, dort des Fischmeisters Tochter anzutreffen, »das Fräulein«, wie sie allgemein bei den geringen Leuten hieß.

»Ist das nicht der Jurgeitis aus Karolinenbruch?« fragte Julie hinaus. »Was willst du, Alter?«

»Meine Tochter, die Else, sprechen«, antwortete er, »wenn es so sein kann.«

»Du kommst zu unrechter Zeit«, sagte Frau Grita Endromeit, die eben eintrat. »Wir haben nach dem Begräbnis alle Hände voll zu tun, wie du wohl denken kannst.«

»Es soll auch bald abgemacht sein«, entgegnete er. »Ich muß mit der Else sprechen wegen einer wichtigen und dringlichen Sache, und vielleicht hinterher auch mit dir.«

»Warte in der Halle«, sagte die Frau; »ich will dir Else schicken, sobald sie von der Wäsche abkommen kann.« Sie ging zugleich nach dem Wandschrank, schnitt von dem übriggebliebenen Weißbrot, strich Butter darauf, fügte eine Flasche Bier dazu und reichte ihm das Frühstück hinaus. Er nahm es dankend an, lehnte sich an einen der geschnitzten Pfosten und schien nun gute Weile zu haben; wenigstens zeigte er sich nicht wieder am Fenster.

Es verging fast eine Stunde, bis Else aus dem Hause kam. Sie trug ein weißes Brett auf dem Arm, worauf ihre Wäsche lag. Sie hatte gleich erfahren, daß ihr Vater gekommen sei, deshalb ihre Arbeit aber nicht unterbrochen. Die Frau sollte ihr nicht nachsagen, daß sie etwas versäume.

»Guten Tag, Vater«, grüßte sie freundlich. »Wie kommst du hierher?«

»Es hat seinen guten Grund«, antwortete er nickend, »und du sollst ihn erfahren, wenn wir eine Weile allein sein können.«

»Ist etwas zu Hause geschehen?« fragte sie und reichte ihm die Hand.

»Zu Hause nicht«, meinte er, »aber hier vielleicht. Der Herr Fischmeister war ja wohl zum Begräbnis bei euch?«

»Ja, Vater.«

»Und das Fräulein hat er hiergelassen – das ist früher nicht geschehen.«

»Nein, soviel ich weiß.«

»Und warum jetzt?«

Else hob das Kinn. »Er bildet sich vielleicht etwas ein«, sagte sie leise und blickte zugleich seitwärts nach dem Fenster.

»Es kann sich auch ein anderer etwas einbilden«, erwiderte er, sie scharf ins Auge fassend. »Das wird sich bald zeigen.«

Sie zog die Unterlippe zwischen die Zähne und drückte mit der Hand die Wäsche fester aufs Brett. Nach einer Weile sagte sie: »Ich will an den Fluß hinab, die Wäsche zu schälen. Kommst du mit, Vater? So versäume ich nichts in der Arbeit.«

Sie gingen nach dem Hafen auf der andern Seite der Straße. Else stieg in ein flaches Boot, kniete auf dem Boden desselben nieder und begann sofort über den Bord hin die Laken und Tücher durch das Wasser zu ziehen und auszuwinden. Jurgeitis setzte sich in seinen eigenen Kahn, den er herangeschoben hatte. »Der Fischmeister hat mir etwas erzählt«, begann er, »und deshalb komm' ich her. Er ist ein Teufel!«

Sie schien nicht sonderlich aufzumerken. »Was hat er dir erzählt?« fragte sie gleichgültig.

»Etwas von dir und Endrik, Else.«

Nun hob sie rasch den Kopf und sah ihn überrascht an. Gleich aber bückte sie sich wieder über den Bord, noch tiefer als vorhin, und schwenkte das Linnen geräuschvoll durchs Wasser. »Was hat er dir von mir und Endrik erzählt?« fragte sie mit nicht ganz sicherer Stimme.

»Daß Ihr miteinander etwas habt, wovon die Leute nichts wissen sollen. Er hat euch unter der Weide auf dem Kirchhof getroffen. Da wollte ich nur fragen, ob's wahr ist, oder ob der Teufel mit Lügen umgeht.«

Sie richtete sich auf, zog die Wäsche über den Bord und schüttelte das Wasser von den Händen ab. »Diesmal lügt er nicht«, sagte sie mit aller Offenheit. »Endrik und ich – wir sind einig miteinander seit vorgestern. Unter der Weide auf dem Kirchhof nach seines Vaters Begräbnis hat er mir's gesagt.«

Jurgeitis hatte den Schöpfer aus seinem Kahn in die Hand genommen und verlegen betrachtet. Nun hob er damit Wasser aus dem Fluß. »Das ist gerade so viel wert«, sagte er ärgerlich und ließ das Wasser wieder ablaufen. »Du bist nicht bei gesundem Verstande, wenn du ihm glaubst.«

»Er meint's ehrlich, Vater, und ich bin ihm gut.«

»Er meint's ehrlich – ja, kann sein! Alle Rippen im Leibe wollte ich ihm zerbrechen, wenn er's nicht ehrlich meinte. Aber was hilft da seine Ehrlichkeit? Zumal wenn anderer Leute Teufelei dazwischen ist! Wenn seine Mutter nun nein sagt, was dann?«

»Er will's gegen sie durchsetzen.«

»Er? Dazu ist er zu weich – die Alte hat keinen Respekt vor ihm! Und es steckt auch der Fischmeister dahinter. Ich merke so was; er will's nicht, und so geschieht's nicht.«

»Du meinst, weil er seine Tochter hiergelassen hat, Vater? Es kann wohl sein, daß er etwas mit ihr im Sinn hat – die Wirtin hat gestern und heute so wunderliche Reden geführt. Dem Fräulein aber – wir haben zwei Nächte in einer Kammer zusammen geschlafen, und sie hat eine leichte Zunge, die kein Geheimnis festhalten kann – dem Fräulein ist's gar nicht um den Endrik, sondern um einen hübschen Jäger, mit dem sie schon einig ist. Ihr Vater will's nicht zugeben, da der Jäger vorläufig nichts hat, als sein hübsches Gesicht und seine Flinte. Nun tut sie so, als ob sie in allem gehorsam sein will; aber was heimlich geschieht, das soll ihn nichts angehen. Die ist verschlagen!«

Der Alte hörte aufmerksam zu, wie jemand, der etwas erfährt, was seinen Gedanken ganz neu ist. Dann schüttelte er den Kopf. »Soll's da hinaus? Der Endrik und das Fräulein . . . Ich glaub's nicht. Wer den Kapitän kennt! Aber mir gönnt er's nicht, daß meine Tochter ein solches Glück macht! Er leidet nicht, daß ich mich wieder aufrichte; – ganz nieder will er mich haben unter seinen Füßen, der Teufel. Er soll's nicht zwingen! Ist er hinter eure Heimlichkeit gekommen, so wird ihm das wenig nützen. Denn ich sag' dir's mit einem Wort, Else: so geht's keinen Tag weiter; hier im Hause darfst du nicht bleiben. Es wird nichts Gutes daraus! Will der Endrik dich heiraten, so mag er's mit seiner Mutter abmachen. Hat er aber nicht den Mut, mit ihr davon zu reden, so weißt du auch, woran du in Zukunft bist. Auf jeden Fall kommst du jetzt mit mir. Denn es soll nicht heißen, daß sie dich mit Schande fortgejagt haben.«

In Elses Gesicht flammte die helle Röte auf. »Vater«, rief sie, »dazu soll kein Grund sein! Erkennt die Wirtin mich nicht als ihres Sohnes Braut an, so gehe ich lieber heute als morgen. Dem Endrik bin ich von Herzen gut, und meinetwegen braucht er auch kein großer Fischerwirt und Holzhändler zu sein – ich nehme ihn doch! Aber zu etwas Schlechtem soll er mich nicht bestimmen, und mit seiner Mutter will ich ihn nicht entzweien.« Dann setzte sie wieder ihre Arbeit fort und sagte nach einer Weile ruhiger: »Du kannst der Wirtin sagen, daß du mich jetzt in der Wirtschaft notwendig brauchst. Halten kann sie mich nicht, da ich ihr nicht förmlich als Magd verdungen bin. Ich will dann sehen, wie ich hier so bald wie möglich entbehrt werde. Drängen möcht' ich den Endrik nicht; was er tut, muß er in der Sache ganz aus freiem Willen tun. Er hat einen langsamen Kopf und braucht Zeit, sich's zurechtzulegen, was er seiner Mutter zu sagen hat; ist er nicht mit sich fertig, so überschreit sie ihn leicht. Willst du ihm aber sagen, daß du mich zu dir forderst, so ist mir's recht; er wird mich dann nicht bitten, zu bleiben, und ich hab's ihm nicht zu erklären, weshalb ich gehe. Dort kommt er.«

Sie wies mit der Hand an der Holzreihe entlang auf den Fluß. Von dort her näherte sich ein Boot, und ihr scharfes Auge hatte den Führer desselben sofort erkannt. Nun spülte sie eifriger ihre Wäsche und hatte sie schon wieder auf dem Brett, als Endrik in den kleinen Hafen einfuhr. Sie nickte ihm zu und zeigte auf ihren Vater, hielt sich aber nicht weiter auf.

Endrik war drüben im Adromeitschen Kruge gewesen. Zwei Herren aus Königsberg, die Holz kaufen wollten, hatten ihn hinüberbitten lassen. In der kleinen Herrenstube hinter dem Gewürzkram – es stand für solche Gäste ein Sofa darin, und die Wände waren mit Bildern behängt – war lange bei einer Flasche Wein verhandelt worden. Die Herren hatten gemeint, mit dem jungen Menschen leicht umspringen zu können, bald aber erkennen müssen, daß er seines Vaters Zähigkeit geerbt hatte. Den Wein, der doch für ihn bestellt war, hatten sie zum größten Teil selbst austrinken müssen. Schließlich hatte er vorsichtig seiner Mutter die endgültige Entscheidung vorbehalten und kam nun, dieselbe einzuholen.

Über das, was er von Jurgeitis hörte, war er nicht wenig verwundert. Er merkte gleich, daß da noch etwas dahinter sei, und brachte es auch bald heraus. »Ich hab's nicht übereilen wollen«, sagte er, »aber wenn die Sache so steht, soll's bald im reinen sein. Die Else lasse ich nicht fort. Sie ist meines Vaters Pflegekind gewesen, und so schickt sich's, daß ich hier im Hause um sie werbe, nicht in deiner Hütte auf dem Moosbruch. Gedulde dich bis zum Abend. Muß dann die Else fort, so kann's wohl geschehen, daß meines Bleibens hier auch nicht länger ist. Ich bin mündig.«

Dagegen wußte Jurgeitis nichts einzuwenden. Er sagte nur: »Bis zum Abend kann ich noch warten. Tu, was du willst, aber sorge dafür, daß an dem Mädchen nichts hängenbleibt. Ich will den Leuten im Dorfe erzählen, daß ich gekommen bin, Else nach dem Moosbruch abzuholen. Geschieht's dann, so verwundert's keinen nach dem Tode des Endromeit. Behält deine Mutter sie aber als ihres Sohnes künftige Frau, so steht das auf einem andern Brett.« Damit stieß er seinen Kahn ab, schob ihn zum Hafen hinaus und verschwand hinter der Holzreihe.

Endrik schlug nun doch das Herz recht unruhig. Er hatte gemeint, es nicht so eilig zu haben und abwarten zu können, bis das Begräbnis vergessen und Julie vom Kapitän wieder abgeholt sei. Wenn er mit seiner Mutter sprechen wollte, war ihm das fremde Mädchen sehr im Wege. Daß es dabei still und friedlich hergehen werde, glaubte er selbst nicht. Und wie sollte er's anstellen, auch nur eine Stunde die Mutter allein zu haben?

Endlich fiel ihm ein, daß ihm das Holzgeschäft einen Vorwand bieten könne. Er berichtete darüber und meinte, es wäre doch gut, wenn Frau Grita sich selbst überzeuge, daß nicht bessere Bedingungen zu erhalten gewesen wären. Der Witwe schmeichelte es, daß ihre Mitwirkung verlangt wurde; bei Lebzeiten ihres Mannes hatte sie in diesen Angelegenheiten nie mitzusprechen gehabt. »Die Herren hätten auch hierherkommen können«, äußerte sie zwar, lehnte aber doch nicht geradezu ab. Dann hieß es, jetzt vor dem Mittagessen könne sie nicht fort, später aber wolle sie mitgehen und auch im Kramladen Einkäufe machen. Das Mittagessen wurde nun beeilt. Endrik saß so still am Tische wie Else. Fräulein Julie führte die Unterhaltung fast allein. Sie hatte für Frau Grita ein Gericht nach deutscher Weise gekocht und nahm wohlgefällig ihre Lobsprüche entgegen.

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