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Hatte die Altsitzerin sich früher oft genug über Ewes Unfreundlichkeit zu beklagen gehabt, so änderte sich nun plötzlich ihr Benehmen ganz und gar. Sie gab ihr gute Worte, zog sie zu leichter Arbeit im Hause heran und bezahlte sie dafür über Gebühr. Auch schenkte sie ihr einen neuen Rock und ein Tuch und ein schönes Gesangbuch, und einmal sagte sie ihr: »Du kannst es gut bei mir haben, wenn du auf meiner Seite stehst. Ich kann dem Mikelis nicht überall aufpassen, und ich glaube, die Erdme gefällt ihm mehr, als der Frau lieb sein kann. Habe die Augen darauf und laß mich wissen, was du siehst. Wir wollen zusammenhalten.« Dabei zwinkerte sie listig mit den Augen.
Die Alte traute ihr noch nicht recht. Einige Tage vor der Hochzeit hatte Ewe Flinsen gebacken. Sie rief die Gaidullene hinein, gab ihr einen Topf Kaffee und bot ihr von dem Gebäck an. Sie teilte mit ihr, was sie auf dem Teller hatte, und aß selbst davon. »Sage mir, ob die Flinsen gut geraten sind«, bat sie, »ich will sie gerade so bei der Hochzeit für die Gäste backen lassen und die Eier nicht sparen.« Auf einem andern Teller lag noch mehr davon. »Ich habe zu reichlich für die Probe Mehl genommen«, fuhr sie fort. »Und es bleibt mir zuviel übrig. Nimm diese Flinsen in deine Kammer mit und iß sie, wenn du Hunger hast.« Sie streute dick Zucker darauf und wickelte sie in ein Papier. Die Alte dankte und ging.
Aber die Freigebigkeit der Wirtin kam ihr doch sehr verdächtig vor. Sie wußte, daß sich schon mancher Altsitzer in Litauen an solchen Flinsen den Tod gegessen hatte, und der Zucker hatte so eigen geglitzert. Sie entschloß sich rasch und warf das Päckchen beim Vorübergehen in den Schweinetrog.
Wenige Stunden später hörte sie Endrullis laut fluchen und wettern. Das größte von den Tieren war dem Verenden nahe. Die Magd wußte keine andere Erklärung zu geben, als daß das Schwein eine giftige Ratte gefressen haben müßte. Die Gaidullene hielt's für geraten, sich eiligst aus dem Staube zu machen und nicht so bald wieder blicken zu lassen. Als Ewe ihre Kammer leer fand, meinte sie: »Die ist über Land gegangen und hat Wegekost mitgenommen. Wer weiß, in welchem Graben man sie findet.«
Am Hochzeitstage, als sich in dem geschmückten Hause die Gäste schon versammelt hatten und die Fuhrwerke in langer Reihe vor der Tür standen, sie nach der Kirche zu bringen, und Ewe die Glückwünsche der Nachbarn in Empfang nahm: daß nun doch endlich alles so gekommen sei, wie es nach der richtigen Art hätte von Anfang an kommen müssen, fuhr auch ein städtischer Wagen auf der Dorfstraße vor. Er hielt vor dem Hause. Zwei Herren sprangen ab.
»Der Herr Kreisrichter!« lief's von Mund zu Mund, und alle Blicke richteten sich auf Endrullis, der Ewe bei der Hand hielt und scharf von der Seite ansah, als erwarte er von ihr einen Rat. »Schnell zu Pferde«, zischelte sie, »und über die Grenze!«
Er trat ärgerlich mit dem Fuß auf. »An unserm Hochzeitstage –«
»Sie kommen deinetwegen, Mikelis.«
»Sie können mir nichts beweisen. Laufe ich fort, so bin ich schuldig.«
»Aber du bist frei.«
Er blickte zum Fenster hinaus auf die Straße. Eben kam der Gendarm angeritten. »Es ist auch zu spät zur Flucht. Ja – wenn der Fuchs noch im Stalle stände –!«
Nun trat der Richter ein und sagte: »Michael Endrullis, es tut mir leid, daß ich das Hochzeitsfest stören muß. Ich will wünschen, daß ich dich und deine Braut nicht lange aufzuhalten brauche. Das Gericht hat aber guten Grund, bei dir eine Haussuchung zu halten. Ich frage dich: Bist du in der Nacht, als deine abgeschiedene Frau ermordet wurde, hier im Dorf gewesen?«
»Ich weiß nichts davon, daß sie ermordet ist«, antwortete er, finster zur Erde blickend.
»Antworte geradeaus«, forderte der Richter. »Bist du hier im Dorfe gewesen oder nicht?«
»Ich bin drüben in Rußland gewesen – mein Pferd ist gefallen – es ist durch Zeugen erwiesen.«
»Und hier im Dorfe warst du nicht? Sieh mich an!«
Endrullis bemühte sich, dem Richter fest in die Augen zu sehen. »Wer sagt, daß ich hier im Dorfe gewesen bin?«
»Das sollst du später erfahren. Ja oder nein?«
»Nein! Ich kann nicht durch die Luft fliegen.«
»Wo sind deine Kleider, die du damals getragen hast – in Rußland natürlich.«
Endrullis warf den Kopf zurück. »Sie sind doch schon einmal untersucht, und es hat sich nichts Verdächtiges daran gefunden.«
»Keine Blutspur, das ist richtig. Aber im Protokoll steht geschrieben, daß an der Jacke zwei Knöpfe fehlten. Die fehlten schon lange, nicht wahr? So hast du früher behauptet.«
»Was ich gesagt habe, ist wahr.«
»Zeige doch die Jacke noch einmal vor.« Sie wurde herbeigebracht. Der Richter wickelte aus einem Stück Papier einen Knopf und verglich ihn mit denen an der Jacke. »Diese Knöpfe stimmen genau überein, das wirst du selbst zugeben müssen.«
»Es tragen viele Litauer solche Knöpfe, Herr.«
»Aber dieser hat offenbar hier gesessen; die Fäden sind scharf durchgeschnitten und passen der Zahl nach zusammen.«
Endrullis versuchte zu lachen. »Das kann ja sein, Herr. Wenn ich ihn verloren habe, kann ihn auch wohl einer gefunden haben.«
»Ganz richtig. Und weißt du auch, wo ihn einer gefunden hat?«
»Was geht mich das an?«
»An der hinteren Ecke des Holzstalles hier auf dem Hofe neben einem losen Brett der Verkleidung.«
Der Litauer besann sich einen Augenblick. Es kam nun darauf an, vorsichtige Antworten zu geben. »Warum soll er da nicht gefunden worden sein, Herr?« fragte er dann zurück. »Seit länger als einem Jahre gehe ich hier auf dem Grundstück herum und habe die Jacke immer getragen.«
»Aber der Knopf ist dort gerade am Morgen nach jener Nacht gefunden.«
»Das lügt die Gaidullene.«
»Die Gaidullene? Wie weißt du, daß von der die Rede ist?«
»Weil sie mir den Knopf für hundert Taler angeboten hat, Herr. Ich habe sie ausgelacht und fortgejagt. Dafür rächt sie sich nun durch falsches Zeugnis.«
Das ließ sich hören. »Gehen wir nach dem Stall«, sagte der Richter. »Ist in jener Nacht jemand an der Stelle, wo das Brett losgebrochen sein soll, eingedrungen, so wird er auch wohl einen Zweck dabei verfolgt haben. Wo ist der Stall?«
Endrullis zeigte widerwillig den Weg. Ewe, die ihn begleitete, sprach viel von der Schlechtigkeit und Rachsucht der Altsitzerin, die für ein Quartier Branntwein falsch schwöre.
Im Stall lag Holz und Torf, an einem Hauklotz eine Axt. In einer Ecke stand ein Spaten. »Steht der Spaten immer hier?« fragte der Richter. »Wozu wird er gebraucht?«
»Den Torfgrus einzusacken«, erklärte Ewe, »aber der Stall ist lange nicht gereinigt.« Endrullis war ganz still geworden.
Der Richter ließ das Holz hinauswerfen. Unter demselben zeigte sich am Boden eine Stelle, etwa einen Fuß im Geviert, von dunklerer Farbe. Die schwarze Erde lag hier obenauf, nur dünn mit Holzabfällen bestreut. »Hier wollen wir nachgraben.«
Nach wenigen Minuten stieß der Spaten auf klingendes Metall. Bei diesem Klange zuckte Endrullis zusammen, und Ewe warf ihm einen ängstlichen Blick zu. Der Richter bückte sich und hob aus dem Loch ein Beil. Die schartige Seite war mit einer dunklen Masse überzogen, an welchem lange Haare hingen. »Nun –? Wem gehört das Beil, Endrullis?«
»Ich weiß es nicht. Es kann da lange gelegen haben. Das Grundstück gehört mir noch nicht.«
Der Richter zeigte das Beil den Umstehenden. »Wem hat das Beil gehört?«
»Der Urte Endrullene«, sagte der Ortsvorstand nach einigem Zögern. »Ich erkenne es an den drei Kreuzen am Stiel.«
»Und mit diesem Beil ist sie erschlagen. Wer hat es hier vergraben, Endrullis?«
»Warum fragst du mich das, Herr?« Die Lippen zitterten merklich beim Sprechen.
»Das will ich dir sagen«, antwortete der Richter, der sich nochmals über das Loch im Erdboden gebückt und mit der Hand die lose Erde durchsucht hatte. Er nahm jetzt einen kleinen Gegenstand auf und hielt ihn zwischen den Fingern ihm vor die Augen. »Da ist der zweite Knopf, der an deiner Jacke fehlt. Der erste war beim Zwängen durch die Brettöffnung sogleich abgetrennt und draußen niedergefallen; der zweite hing noch lose am Faden und fiel hier neben dem Beil in die Grube. Willst du noch die Tat leugnen?«
Endrullis schwieg. Seine Lippen waren blau, die Augen richteten sich stier auf den Knopf.
»Du hast das Beil in der Hand behalten«, fuhr der Richter fort, »als du aus dem Fenster sprangst, und dann hast du es nicht fortwerfen wollen, damit es nicht die Tat vor der Zeit verraten sollte. So bist du auf den Gedanken gekommen, es hier zu vergraben. Dein Pferd stand in der Nähe am Torfbruch unter den Erlen.«
Endrullis schüttelte den Kopf, aber die Stimme versagte ihm. Ewe schluchzte laut und rief: »Er ist unschuldig – sie wollen ihn verderben.«
Der Richter sprach die Verhaftung aus. Ewe hing sich an ihn und wollte ihn nicht fortlassen. Als der Gendarm sie mit Gewalt von ihm trennte, riß sie ihren Brautkranz aus dem Haar und schleuderte ihn in die Grube. Dann brach sie zusammen.
In der letzten Stunde war sie um ihr Glück betrogen.
Aber auch jetzt noch gab sie den Mann, den sie liebte und der sich ihretwegen versündigt hatte, nicht verloren. Eines Tages rief sie Grillus zu sich und bat ihn, auf ihr Grundstück acht zu geben; es könnte sein, daß sie längere Zeit ausbliebe. Sie zog dann mehrere von ihren Röcken und Jacken übereinander, packte Wäsche in ein Bündel und ging zu Fuß fort, ohne zu sagen, wohin.
Sie kam nach der Stadt und umkreiste das Gefängnis, ob Endrullis sich nicht erspähen ließe. Und endlich glaubte sie wirklich mit ihren scharfen Augen hoch oben hinter dem Eisengitter eines kleinen Fensters sein Gesicht zu erkennen. Die beiden Hände hatten die Eisenstäbe erfaßt, und es reckte sich zwischen ihnen hinauf, gespenstisch bleich. Sie nahm ihr Kopftuch ab und winkte damit. Er schien aufmerksam zu werden und zu nicken. Aber die Entfernung war zu groß, um deutlich etwas zu erkennen oder sonst ein Zeichen der Verständigung geben zu können.
Ewe fragte einen von den Beamten, ob er nicht eine Magd brauche. Sie solle sich an den Herrn Inspektor wenden, lautete die Antwort; der habe gerade eins von den Mädchen entlassen müssen, die in der Küche arbeiteten. »Ich denke, wir haben einander schon einmal gesehen«, meinte der Inspektor, der sich ihrer flüchtig erinnerte. »Ja«, sagte sie, »und es geht mir seitdem schlecht. Wer im Gefängnis gesessen hat, bekommt schwer einen Dienst, und ich will doch gern arbeiten.« Sie wurde als Magd angenommen.
In der Küche waren meist Gefangene beschäftigt. Einige derselben hatten den Bedarf an Holz und Kohlen herbeizuschaffen, andere mußten das Brot und die großen Kübel mit den zubereiteten Speisen abholen und in die Korridore hinauftragen. Mit einem Blechmaß wurde dann in Gegenwart des Aufsehers jedem Gefangenen sein Teil in eine Schüssel geschöpft. Denen, die ihre Zelle nicht verlassen durften, wurde das Essen zugetragen. Ewe bewies sich so tätig und wußte sich bald so viel Vertrauen zu erwerben, daß sie bei diesen Verteilungen oft zugegen sein und dabei helfen durfte. Durch gelegentliche Fragen erfuhr sie auch, wer in den einzelnen Zellen gefangen saß. Endrullis war in der letzten rechts im obersten Gange verschlossen.
Mitunter wurden die Gefangenen, gegen welche die Untersuchung noch schwebte, vormittags von den Schließern hinab und über den Hof nach dem Gerichtsgebäude zu ihrer Vernehmung vor den Richter geleitet. Ewe wußte sich um diese Zeit in der Nähe der Ausgangstür etwas zu schaffen zu machen und lauerte, bis die Reihe einmal an Endrullis käme. Lange wartete sie vergeblich. Endlich wurde er vorübergeführt, eine Hand und einen Fuß gekettet. Er stutzte, als er sie sah, verstand aber sogleich das Zeichen, das sie ihm gab, zu schweigen. Während sie den Finger der linken Hand auf den Mund legte, hob sie mit der rechten ein wenig den Rock. Das sollte für ihn Bedeutung haben, wie er sogleich merkte. Seine matten Augen glänzten einen Moment lebhafter.
Sie wußte, daß die Zellen der Gefangenen, die zum Verhör geführt wurden, bis zu deren Rückkehr unverschlossen zu bleiben pflegten. Die beiden Schließer begleiteten Endrullis über den Hof. Sie konnte, ohne daß es bemerkt wurde, hinaufeilen und in seine Zelle eintreten. Dort löste sie schnell die Bänder von ihren unteren Röcken, ließ sie zur Erde fallen, wickelte sie zusammen und schob das Päckchen in das Bett. Dazu brauchte sie nur wenige Sekunden Zeit. Als der Aufseher zurückkam, war sie längst wieder in der Küche bei ihrer Arbeit.
Bald darauf fand sie einmal mittags Gelegenheit, eine kleine Feile, die sie von Hause mitgenommen hatte, in die Schüssel gleiten zu lassen, die für Endrullis bestimmt war. Sie zweifelte nun nicht, daß er in einer der nächsten Nächte die Eisenstäbe durchfeilen, die Röcke zu Streifen zerreißen und sich daran hinablassen würde. Entkam er glücklich aus dem Gefängnis, so erreichte er wohl auch die Grenze und war in Sicherheit. Drüben hoffte sie dann mit ihm zusammenzutreffen.
Eines Morgens in der Frühe, sie war kaum vor einer Stunde eingeschlafen, wurde sie durch laute Stimmen in der Nähe ihrer Schlafstube geweckt. Der Inspektor verhandelte mit einigen Leuten, die von der Straße hereingekommen waren und von einem Unglücksfall berichteten. »Ist er tot?« fragte der Inspektor. »Mausetot«, lautete die Antwort, »er muß sich auf dem Pflaster das Genick abgestürzt haben.«
»Und aus dem obersten Eckfenster, sagt ihr?«
»Da hängt wenigstens etwas wie ein Strick heraus. Er ist abgerissen, und das längste Stück hat er noch in der Hand. Es scheinen lauter Streifen von Weiberröcken zusammengeknüpft zu sein. Wie kann das lose Gewebe auch einen schweren Menschen tragen?«
Der Inspektor hatte sich inzwischen angekleidet und ging mit den Leuten fort; den Aufseher schickte er zur Revision der Zellen hinauf.
Ewe hatte sich im Bett aufgerichtet und gespannt gehorcht. Es war, als ob ihr das Herz stillstand; sie atmete nicht, aber in ihrer Stirn hämmerte das Blut mit fieberhaft raschen Schlägen. Eine Minute lang waren ihr die Glieder wie gelähmt; dann trieb sie die Angst auf. Nur mit einem Rock und Tuch bekleidet, stürzte sie hinaus, dem Inspektor nach.
Da lag einen Schritt von der Mauer Michel Endrullis regungslos. Die Leute richteten ihn auf, aber der Kopf sank zurück. Die Schädeldecke war zerbrochen, Blut stand vor dem Munde.
Ewe warf sich aufkreischend über den Toten. Sie hielt ihn so fest, daß es erst nach längerer Zeit den Männern gelang, sie von ihm loszureißen. Dann schien sie ganz kraftlos und ohne Willen; man mußte sie ins Haus tragen. Dort gab sie auf alle Fragen keine Antwort, kauerte in einer Ecke ihrer Kammer und wimmerte kläglich.
Sie wurde einige Wochen gefangengehalten, dann aber entlassen, weil der Arzt ihren Geist für gänzlich verstört erklärte. Man hatte Grillus benachrichtigt, der sie nun mit einem Fuhrwerk abholte und in ihr Haus zurückbrachte.
Nach einigen Monaten gab sie einem Kinde das Leben. Es war ein Knabe, und sie nannte ihn, ehe er noch getauft war, Mikelis. Man hoffte, daß sie nun wieder zu gesundem Verstande kommen werde, und wirklich nährte und wartete sie das Kind mit größter Zärtlichkeit und Bedachtsamkeit.
Bald aber zeigte sich ein wundersam scheues Wesen. Sie ließ das Kind nicht mehr vom Arme, nachts nicht von der Seite. Im Schlafe schreckte sie plötzlich auf und riß es mit gellendem Aufschrei an die Brust. Jeden, der sich dem Kinde näherte, verfolgte sie mit lauernden Blicken. Sie schien zu argwöhnen, daß man es ihr fortnehmen wolle. Ließ die Gaidullene sich nur auf der Schwelle sehen, so geriet sie in heftiges Zittern, worauf ein Wutausbruch zu folgen pflegte. Aus ihren abgerissenen Reden ließ sich entnehmen, daß sie von der Vorstellung gequält wurde, man wolle das Kind ins Gefängnis bringen und es für seinen Vater büßen lassen. »Sie sagen, es wird keiner mehr hingerichtet«, murmelte sie, »aber so gewiß ist's doch nicht . . . Er hat's getan, aber ich hab's ihm geheißen . . . und deshalb, meinen sie, gehört ihnen das Kind. Oben in der Zelle steht eine Wiege neben seinem Bett . . . die Ketten haben sie versteckt, aber ich sehe sie unter dem Stroh liegen. Wenn einmal die Tür geschlossen ist, ist's vorbei . . . und täglich schleifen sie das Beil – schirp, schirp, schirp – auf dem großen Schleifstein. Hört nur: schirp, schirp, schirp . . .«
Dann mochte das Kind ihr auch in ihren Armen nicht mehr sicher scheinen. Sie schlich heimlich mit ihm fort und versteckte es, bald in einer Kammer des Hauses, bald in einem Winkel der Klete, bald auf dem Heuboden. Mitunter mußte stundenlang gesucht werden, bis man es fand. Endlich schien die Gefahr für das junge Wesen so groß, daß man sich zu seinem Besten zu einem Gewaltschritt entschloß.
Als das Kind einmal wieder mit Mühe in seinem Versteck aufgefunden war, trug man es fort und brachte es zu ihrer Schwester, ohne daß sie es bemerkte.
Sie aber glaubte, man habe diesmal nicht hinter ihre Schliche kommen können und gab darüber kindische Freude zu erkennen. Erst am andern Tage fing sie selbst an zu suchen, suchte in allen Winkeln und fand nichts. »Du hast das Kind gut versteckt«, sagte ihre Schwägerin, »und kannst nun ganz ruhig sein. Das finden die Herren vom Gericht nicht.«
Ewe sah sie lächelnd an und nickte dann zustimmend. »Das finden sie nicht.«
Sie wurde nun ganz still und in sich verschlossen. Manchmal bewegte sie stundenlang die leere Wiege hin und her; das war ihre einzige Beschäftigung.
Nach einem Jahre fing sie an, körperlich zu kränkeln und abzumagern. Speise und Trank mußte man ihr fast gewaltsam einflößen.
Eines Morgens fand man sie tot. Die kalte Hand lag auf dem Rande der Wiege.