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Acht Tage darauf fand man die Wirtsfrau Urte Endrullene des Morgens tot in ihrem Bett. Der Schädel war ihr gespalten; augenscheinlich war sie im Schlaf getroffen, und ein einziger Hieb hatte hingereicht, sie für ewig stumm zu machen.
Das Gericht wurde herausbeordert. Die Ärzte stellten fest, daß der Schlag von hinten her mit einem scharfen und wuchtigen Instrumente geführt sein mußte, einer Axt oder einem Beil. Das Handbeil, das stets auf dem Herd lag, war vermißt worden und trotz allen Suchens nicht aufgefunden. Der Knecht schlief im Stall bei den Pferden, die Magd in einer entlegenen Kammer; sie hatten in jener Nacht nichts Verdächtiges wahrgenommen, nicht einmal die Hunde bellen gehört. An dem hinteren Giebel des Hauses war eine Leiter angelehnt; die Luke nach dem Heuboden stand offen, der hölzerne Riegel, welcher sonst die Lade von innen schloß, zeigte sich abgebrochen. Der Knecht meinte, es hätte keines großen Aufwandes von Kraft dazu bedurft, da das Holz morsch gewesen. Schon bei der letzten Heuernte wäre davon gesprochen worden, daß nächstens ein neuer Riegel eingezogen werden müsse. Der Heuboden war von dem übrigen Bodenraum nur durch eine leichte Holzwand getrennt; hier war am Schornstein, wo sie ohnedies nicht genau anschloß, ein Brett vom unteren Nagel gelöst und zur Seite geschoben; durch die Öffnung konnte sich ein Mensch zwängen. Nun war leicht die Treppe zu erreichen gewesen, die in den Herdflur hinabführte, von dort die Schlafstube. Zurück hatte der Eindringling nicht denselben Weg genommen, sondern ein Fenster in der anstoßenden Kammer geöffnet und durch dasselbe einen Sprung ins Freie getan. Auf den Dielen waren Blutstropfen bemerkbar, die wahrscheinlich von dem Beil, das er in der Hand gehalten haben mußte, abgefallen waren. Unter dem Fenster befand sich ein Steinpflaster, das keine Fußspur festhalten konnte. Kästen und Schränke waren unversehrt bis auf eine Schieblade unten in dem großen eichenen Kleiderspind, in der die Wirtsfrau ihre Papiere aufbewahrte. Sie war mit dem richtigen Schlüssel geöffnet und offenbar durchsucht, da die Dokumente und Briefschaften teilweise auf dem Fußboden lagen. Ob irgend etwas von dem früheren Inhalt fehlte, ließ sich nicht ermitteln.
Die Untersuchung wurde mit aller Peinlichkeit geführt, ergab aber nicht das geringste Resultat. Unzweifelhaft war die Frau ermordet; sehr wahrscheinlich handelte es sich um einen Akt der Rache, aber auf den Täter führte keine sichere Spur.
Auch gegen Mikelis Endrullis lenkte sich natürlich der Verdacht, aus gewichtigen Gründen gegen ihn zunächst. Aber man wußte ja nichts davon, daß Urte ihm den Wechsel entwendet hatte, und selbst die Vermutung, daß er sich ihrer habe entledigen wollen, um Ewe Purwins heiraten zu können, wurde dadurch sehr geschwächt, daß die Nachbarn bezeugen mußten, die beiden wären im Streit geschieden. Hatte er sich dann doch auch nicht gescheut, sie auf die Anklagebank zu bringen! Dazu kam, daß er seit jenem Gerichtstage nicht mehr im Dorfe gesehen war und nachweisen konnte, sich mehrere Meilen davon diesseits und jenseits der Grenze aufgehalten zu haben. In jener Nacht war er mit zwei Fäßchen voll Schnittwaren hinübergeritten und hatte am Morgen ein Renkontre mit russischen Soldaten gehabt. Sie hatten ihn verfolgt, und sein Pferd war gestürzt; die kannten den Fuchs genau und wußten, welcher Reiter dazu gehörte, auch wenn derselbe ihnen zu Fuß im Heidegestrüpp entkommen war. Die Zeitangaben der Zeugen konnten freilich nicht für ganz zuverlässig gelten, zumal sie unter sich selbst erheblich abwichen; aber die Nacht stand fest, und es blieb mindestens höchst unwahrscheinlich, daß jemand, der abends spät und morgens früh dort gesehen war, in den wenigen Stunden, über die er sich nicht bestimmt ausweisen konnte, in dem meilenweit entfernten Dorfe tätig gewesen war. So ergab sich nicht einmal genügender Grund zu seiner Verhaftung. Nachdem viel Tinte verschrieben war, mußte doch der Herr Staatsanwalt die Akten zurücklegen, da auf die dunkle Tat kein Licht fallen wollte.
Nun hielt Endrullis es nicht mehr für gewagt, sich wieder im Dorf blicken zu lassen. Er kehrte bei seinem Schwager Grillus ein und arbeitete für ihn. Es hieß, er habe in Rußland sein Pferd verloren und könne deshalb nicht mehr über die Grenze reiten. Die Nachbarn selbst meinten, er täte am besten, sich mit Ewe wieder auszusöhnen, da ihrer Verbindung ja jetzt kein Hindernis mehr entgegenstehe. Die Frauen übernahmen die Vermittlung und fanden Ewe nicht abgeneigt. Sie hatte ja auch in ihren Augen den besten Grund, sich dem Ausgleich nicht zu widersetzen. So kam's, daß Endrullis nach einigen Wochen wieder zu ihr zog und das Aufgebot bestellt wurde.
An dem Tage, als der Pfarrer ihre Namen von der Kanzel verkündete, waren sie in der Kirche. Endrullis kniete während des ganzen Gottesdienstes und hatte meist den Kopf auf die Arme gestützt, oder die Augen fest auf das Gesangbuch geheftet. Er versuchte auch mitzusingen, aber es war, als ob der Ton nicht aus der Kehle wollte. Als sein Blick einmal auf den gekreuzigten Christus über dem Altar fiel, dem die großen Blutstropfen unter der Dornenkrone über die Stirn perlten, schauerte er sichtlich zusammen und stützte die Schulter gegen den Holzpfeiler. Noch ehe der letzte Vers gesungen war, verließ er die Kirche. Er mußte an der Bank vorüber, auf der die Gaidullene saß; sie nickte ihm grüßend zu.
Er fuhr mit Ewe nach Hause. Die Altsitzerin konnte zu Fuß gehen, da in ihrer Verschreibung Kirchenfuhren nicht vorgesehen waren. Als er die Pferde abgeschirrt und gefüttert hatte, kam sie an der Stalltür vorbei und sagte: »Es hätte deine Brannen wenig beschwert, wenn die alte Frau auf den Wagen genommen wäre.«
»Mach's ein andermal mit der Ewe aus«, antwortete er, »sie ist die Wirtin.«
»Und du willst der Wirt werden, darum halte ich mich an dich. Mit der Ewe spreche ich nur, wenn ich muß, aber dir rate ich, keinen Platz frei zu lassen, wenn du am Kirchhof vorüberfährst. Es könnte da leicht jemand aufsitzen, der den Pferden zu schwer ist.«
»Was willst du damit sagen?« fuhr er sie an. Es war zu merken, wie er erschrak und im Gesicht bleich wurde.
»Nichts, mein Söhnchen, nichts«, zischelte sie, »es ist nur ein alter Aberglaube – der Herr Pfarrer hält nichts davon. Die Toten sind tot und begraben. Aber ich hätte letzte Nacht schwören mögen, daß die Urte unter den Erlen am Bach heranschlich und durch die Hintertür in den Stall eintrat – in diesen Stall. Sie hatte ein weißes Tuch um den Kopf gebunden, damit der Schädel besser zusammenhielt.«
»Was geht mich die Urte an?« rief er mit gepreßter Stimme, scheu in die Ecke des Stalles blickend.
Die Alte trat auf die Schwelle. »Sie ist doch deine Frau gewesen, Mikelis, und jetzt soll die Ewe deine Frau werden, und heute war das erste Aufgebot. Da ist's doch kein Wunder, daß sie sich meldet. Die Herren haben gesagt, daß sie mit einem Beil erschlagen sei. Du weißt doch, wo sie ihr Beil neben dem Herd zu verwahren pflegte? Bist ja lange genug in ihrem Hause der Wirt gewesen. Kein anderer weiß das so gut.«
Er hob die Pferdeleine vom Pflock und schüttelte sie in der aufgehobenen Hand. »Fort da, du Hexe!« schrie er, ganz blau im Gesicht. »Fort da, oder . . .«
Sie stand ganz ruhig. »Schlage mich nicht, Mikelis, es könnte dich gereuen«, sagte sie. »Alte Leute haben keinen festen Schlaf, und nicht immer wird man ihnen auf den Kopf sagen können, daß sie geträumt haben. Ich kann meine Zunge hüten, und wenn wir gute Freunde sind, Mikelis, nehme ich ins Grab mit, was ich weiß.«
Er ließ den Arm sinken und mühte sich zu lachen. »Was weißt du denn, was –?« fragte er spöttisch. »Hast du belauscht, was die Elstern auf dem Dach zusammen plappern, oder hat dir die schwarze Katze mit den grünen Augen etwas erzählt? Die Erdme will behaupten, daß du sie stets zu dir ins Bett nimmst.«
»Sie kommt gern zu mir – hi, hi, hi! denn ich tu ihr Gutes. In jener Nacht aber sprang sie von meinem Bett und schlüpfte durch das Loch der Tür. Es ist möglich, daß sie etwas gesehen hat mit ihren grünen Augen. Die Katzen sehen auch im Dunkeln.«
»Und ein altes Weib, das mit einer schwarzen Katze verkehrt, sollte man als Hexe verbrennen – hi, hi, hi!«
»Lache nur, mein Söhnchen, lache nur – du kannst lachen. Die Urte ist tot, und du wirst die Ewe heiraten und wirst hier der Wirt werden. Du kannst lachen. Aber sicher ist sicher. Warum willst du dich nicht mit mir gut stellen? Wenn ich Frieden habe, ist alles gut. Die Ewe gibt mir unreines Getreide und schlecht geschwungenen Flachs und sandiges Kartoffelland; sie streitet mir die Eier ab, die meine Hühner legen, und schlägt die Äpfel von meinem Baum, ehe sie reif sind. Und jetzt, nachdem ich gegen sie hab' zeugen müssen, treibt sie's gar arg und möcht' mich am liebsten vom Hofe jagen. Nicht die Stelle auf dem Feuerherd gönnt sie mir, worauf ich meinen Kochtopf stelle. Sieh zu, daß das anders wird, wenn du Wirt bist. Ich kann schweigen, aber ich kann auch sprechen.«
»Die Ewe behandelt dich, wie du's für deine Lästerzunge verdienst. Was kannst du sprechen? Sag's in Teufels Namen.«
»Du bist klug, Mikelis, aber so dumm, wie du denkst, bin ich auch nicht. Du sollst mir noch hundert Taler zahlen, damit ich nur schweige. Ich will dich etwas fragen, mein Söhnchen. Wo ist denn dein Fuchs geblieben?«
Er lachte. »Das ist kein Geheimnis. Er ist drüben gefallen, als die Grenzreiter mich verfolgten.«
»Und weshalb ist er gefallen? Er war ein kräftiges, schnelles Tier und hat dich schon manchmal gut durchgebracht. Aber in der Nacht war er so viele Meilen gelaufen, daß ihm die Knie zitterten, und hatte überdies ein Hufeisen verloren –«
»Wer will das behaupten . . .?«
»Einer, der die Fußspur im Bruchlande gesehen hat. Ich bringe da täglich meine Kuh auf die Weide, wo die Erlen anfangen. Auf dem harten Wege war freilich nichts davon zu bemerken. Das Eisen am rechten Vorderhuf, mein Söhnchen. Und wie mag's denn gekommen sein, daß hinten an unserm Holzstall ein Brett losgerissen und nur leicht mit den Nägeln wieder eingesteckt war? Wer da hineingegangen ist, hat sich tüchtig zwängen müssen.«
»Das kann wohl sein. Wer aus des Nachbars Stall Holz holt, mag zusehen, wie er hinein- und hinauskommt – das hast du wohl schon erfahren.«
»Glaubst du? Passe nur gut auf, wenn du der Wirt bist. Aber zum Dritten und Letzten will ich dich fragen: wo sind die zwei Knöpfe von deiner Jacke geblieben, Mikelis?«
Er ließ scheu einen raschen Blick über seine Brust hinabgleiten. »Zwei?«
»Ja, zwei. Es sind ihrer freilich noch genug an der Jacke.«
»Was geht es dich an?«
»Nichts. Aber wenn einer davon etwa gefunden sein sollte, was gibst du dafür? Hundert Taler sind nicht zuviel.«
Er trat vor und stieß sie gegen die Brust, daß sie von der Schwelle zurücktaumelte. »Keinen Pfennig, verdammte Hexe«, schrie er, »keinen Pfennig! Meinst du klüger zu sein als die Gerichtsherren und mich schröpfen zu können? Bin ich der erste, dem die Knöpfe an der alten Jacke nicht festsitzen? Trolle dich und hüte dich, mir in den Weg zu kommen, wenn dir deine Knochen nicht weh tun sollen. Ich verstehe keinen Spaß.«
Die Alte humpelte fort. »Wie du willst, mein Söhnchen, wie du willst«, zischelte sie. »Aber wenn du dich anders besinnen solltest – hundert Taler sind jetzt zu wenig. Du hast mich vor die Brust gestoßen, das kostet noch fünfzig. Wenn du so viel Geld nicht gleich bei der Hand hast, bin ich auch mit einem Papier zufrieden – so einem wie die Ewe dir gegeben hat. Du verstehst dich ja darauf. Vierzehn Tage will ich dir Zeit lassen, die Sache zu überlegen; aber vor der Hochzeit muß ich wissen, woran ich bin.«.
Endrullis biß die Zähne zusammen und murmelte etwas in sich hinein. Eine Weile stützte er den Kopf gegen den Pfeiler und versenkte sich in seine Gedanken. »Unsinn!« rief er dann. »Was kann sie wissen? Sie reimt sich's zusammen. Keinen Pfennig soll sie haben, aber bei nächster Gelegenheit eine tüchtige Tracht Schläge. Merkt sie, daß man Furcht vor ihr hat, so hört sie nicht auf zu fordern.« Er sah dabei doch nicht aus, wie einer, dem wohl zumute war.
Zu Ewe sagte er: »Das alte Weib hat nichts Gutes im Sinn. Nach ihren Jahren hätte der Teufel sie schon längst holen können.« Und nachts, als er nicht schlafen konnte, weckte er sie und erzählte ihr, was die Gaidullene gesprochen hatte. Ewe antwortete nur: »So ist's Zeit.«