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Es ist die Wahrheit! Da war ein sehr häßliches Wort gefallen, und sicher hatte Adelheid es absichtlich gewählt. Es sollte ihm ins Gewissen einschneiden, so tief es könnte. Den Freund betrügen – wollte er das? Aber er hatte ihn schon betrogen. Nicht durch dieses Letzte. Das war nur gegen das Abkommen, das er mit Adelheid getroffen hatte. Ein wahnwitziges, ein sophistisches Abkommen! Aber daß er ihm verschwieg, was Adelheid ihm war – das konnte er sich nicht verzeihen.
Und es war nun doch geschehen, ließ sich nicht rückgängig machen. Adelheid selbst hatte es so gewollt – auch ihretwegen! Sie dachte an ein auf tiefstem Herzensgrunde bewahrtes Liebesglück. Und vielleicht mutete sie selbst sich nicht zu viel zu. Ihm aber –! Ein Mann empfindet da nicht wie ein Weib. Das bedachte sie nicht, konnte sie gar nicht bedenken. Und nun ...?
Sich von dem Freunde trennen – das wäre nicht so schwer gewesen. Aber auch von Adelheid ...! Zeigte sich denn dazu wirklich eine zwingende Notwendigkeit? Jetzt? Wenn es nicht Sünde war, daß er Adelheid liebte, was hatte er dann Unverzeihliches gethan? Und was könnte er thun ...? War er nicht Mann genug, sich auch im Sturm der Leidenschaft Halt zu gebieten? Wie der schon tobte, wollte er nicht sehen. Und zuletzt – Adelheid brauchte doch nur einzuwilligen, daß er sie von dem Freunde forderte. Ob das endlich doch geschehen müsse, konnte eine offene Frage bleiben.
Bis dahin aber – Nein! jetzt kein feiger Rückzug.
Er ging nicht. Adelheid steckte er wieder einen Zettel zu, der ihn rechtfertigen sollte. Sie gab ihm durch ein kühles Verhalten ihre Unzufriedenheit zu verstehen. Er schien wissen zu sollen, daß er auf Nachgiebigkeit nicht zu rechnen habe, wenn er die vorgesteckte Schranke überschreite. Daß sie ihm ernstlich zürne, glaubte er doch nicht, nicht einmal, daß sie ernstlich wünsche, er möge sich zurückziehen. Sie liebte ihn, viel stürmischer, viel heißer, als es die Abgemessenheit ihres äußeren Wesens verraten konnte. Sie war von früher Jugend auf genötigt gewesen, sich Zurückhaltung aufzuerlegen; ihr Vater hatte mit Strenge darauf geachtet, daß die sehr eng gezogenen Grenzen des Standesgemäß-Schicklichen nicht überschritten würden. Aber er hatte, als sie seine Braut war, erfahren, daß unter der ruhigen Oberfläche ein mächtiger Strom leidenschaftlichen Empfindens hinzog. Er würde auch jetzt alle Bedenklichkeit fortreißen.
Er konnte sich nicht getäuscht haben. Bald waren wieder die Wolken von ihrer Stirn verschwunden, und auf ihrem schönen Gesicht lag der Sonnenschein eines ersten heiteren Tages nach der Regen- und Sturmwoche. War sie auch zu der Einsicht gelangt, daß doch jedes Widerstreben vergeblich sei? Es mußte so sein. Und nun war sie ihm sicher für seine Standhaftigkeit dankbar.
Man kam Weihnachten näher. Glauberg hatte eine große Bescherung im Sinne, bei der nicht nur die Verwandten und Hausgenossen, sondern auch die Zeitungsleute beteiligt werden sollten. Er setzte eine sehr reichliche Summe aus und erklärte, an diesem Tage müsse jeder, den seine Hand erreichen könne, durch ein Geschenk unter dem Lichterbaum erfreut werden; auch die Kinder wolle er alle bei sich haben. Sei ihm doch selbst im letzten Jahr unverhofft große Freude geworden! Er dürfe den Freund seinen Heiland nennen, der ihm aus der Trübsal aufgeholfen und das elende Dasein erträglich gemacht habe. Als er dies sagte, reichte er Dürenholz die Hand, in dessen Gesicht eine flammende Röte aufstieg. Er deutete sie in seiner Weise. »Du weißt gar nicht, wie wohl du mir thust,« fügte er hinzu.
Es wurde unter den dreien beraten und festgestellt, welche Spende den Männern, Frauen und Kindern die genehmste sein könne. Dabei sollte es an Mannigfaltigkeit der Auswahl nicht fehlen und jedem zu tauschen erlaubt sein. Glauberg wünschte, daß seine Frau selbst die Einkäufe besorge, und bat Walther, sie zu begleiten, damit ihr die Mühe erleichtert werde. Er wisse wohl, daß dieses Geschäft an einer Reihe von Tagen mehrere Stunden in Anspruch nehmen müsse, aber er wolle gern der guten Sache nicht nur ein Geldopfer bringen und behalte ja auch den Beistand des alten Dieners, auf den er sich verlassen könne.
So war nun Walther und Adelheid unerwartet die Gelegenheit zu dem vertrautesten Verkehr gegeben. Sie fuhren zusammen in dem geschlossenen Landauer oder gingen bei gutem Wetter in die Stadt hinein und dann von Laden zu Laden. Es war unter ihnen stillschweigende Abmachung, daß diese Gunst nicht gemißbraucht werden dürfe, und sie hielten sie anfänglich auch unverbrüchlich. Aber sie saßen und gingen doch Schulter an Schulter, er half ihr aus dem Wagen und in denselben hinein, er reichte ihr auf dem Rückwege, wenn sie ermüdet war, in den vom eigentlichen Geschäftsviertel nach außen führenden, dunkleren und stilleren Straßen den Arm. Für ihre Enthaltsamkeit schienen kleine Belohnungen billig. Manchmal, wenn sie sich für unbeobachtet halten durften, fand sich Hand in Hand. Das alte Du lag ihnen auch immer auf der Lippe und gab jedem Gespräch nicht nur vertraulicheren Ton, sondern ungewollt auch vertraulicheren Inhalt. Sie dehnten die Stunden des Beisammenseins gern aus und wurden mit ihrer Kommission gar nicht fertig. Immer mußte noch mindestens ein Tag zugelegt werden. Als dann die gekauften Gegenstände in der Villa abgeliefert waren und sich im Salon angehäuft hatten, ging es an ein Mustern und Auseinanderlegen und Ordnen, wobei Glauberg sich von seinem Rollstuhl aus eifrig beteiligte. Oft blieben sie bis spät in die Nacht zusammen auf; dann wurden die Pfefferkuchen, Nüsse, Äpfel und Zuckerwaren gleichmäßig in Papiersäcke verteilt. Und endlich langten die Tannenbäume an, die Glauberg im Forst hatte für sich schlagen lassen, um recht runde und dichte Stämmchen zu erhalten. Sie standen auf Holzkreuzen und reichten vom Fußboden bis zur Decke. Nun sollten sie ausgeputzt und mit Lichtern besteckt werden.
Dazu hatte Dürenholz sich den ganzen Tag Urlaub nehmen müssen. Er stand auf einer Leiter, und Adelheid reichte ihm, was er brauchte: Lichtklammern, bunte Lichte und vergoldete und versilberte Nüsse, Watte, die als Schnee auf den Ästen liegen sollte, Papierfähnchen. Als die Spitzen der Bäume so genügend ausgestattet waren, stellten beide sich auf Schemel, um auch die tieferen Zweige zu bedenken, und änderten fortwährend die Stelle. Zuletzt brauchten sie die Tritte nicht mehr, umgingen die Bäume, die bis tief unten grün waren, und füllten jede Lücke mit Schmuck, aber auch mit allerhand Naschwerk an Fäden aus, damit die Kinder etwas zum Plündern fänden. Glauberg sah zu und gab Weisungen. Er schob sich um die Bäume herum, sie von allen Seiten zu besichtigen, und war manchmal eine Weile hinter dem einen und anderen ganz verschwunden. An jeder Ecke der drei langen Tafeln, auf welche die Geschenke schon gelegt waren, stand einer. Ermüdete er, so ließ er sich in sein Zimmer fahren, las oder schlief eine halbe Stunde. Die beiden blieben dann ganz unbeobachtet, da den dienenden Personen verboten war, den Salon zu betreten.
Es war unvermeidlich, daß sie bei ihren Rundgängen einander begegneten oder an derselben Seite eines Baumes Beschäftigung fanden, auch wenn der eine dem anderen nicht etwas zuzureichen hatte. Der Behang von Zweigen war bis zum Parkett hinab so dicht, daß die Dahinterstehenden sich für völlig gedeckt halten konnten. Walther und Adelheid meinten, sich alle Mühe zu geben, ein Zusammentreffen gleichsam hinter den Coulissen zu vermeiden. Aber ehe sie sich's versahen, standen sie doch nebeneinander, tauschten Blicke und Worte. »Wenn wir jetzt unseren eigenen kleinen Baum schmückten –!« flüsterte er einmal. Sie nickte seufzend. Und dann faßten sich ihre Hände und flammten ihre Augen in verzehrendem Feuer.
Ein andermal umfaßte er sie, um sie doch gleich wieder loszulassen und vorüberzueilen.
Als es schon zu dunkeln anfing und Glauberg sich in seinem Zimmer befand, wo er zum Lesen eine Lampe hatte anstecken lassen, sagte Walther wehmütig: »Diese Freude hat nun bald ein Ende. Sobald die Lichter am Weihnachtsbaum ausgebrannt sind, beginnt wieder die kahle Prosa des Lebens. Und ein langes Jahr hindurch – Unerträglich, unerträglich! Adelheid, wenn du in mein Innerstes blicken könntest!«
»Kann ich das nicht, mein armer Freund?« fragte sie leise.
»Nein,« zischelte er, nahe zu ihr tretend, so daß sein heißer Atem ihre Stirn anwehte, »wenn du mich deinen Freund nennst, kannst du's nicht. Ich bin nicht dein Freund. Ich habe mir eingebildet, ich vermöchte es zu sein, aber ich lache jetzt darüber. Zwischen Mann und Weib, die einander lieben, kann es keine Freundschaft geben, bei ihnen ist Leib und Seele eins. Sie ziehen einander an mit allen Sinnen, sie ruhen nicht, bis alle Vernunft aufgeht in ein seliges Lallen. Fest verbunden springen sie, wenn es sein muß, in den Abgrund, den sie vor Augen sehen. Lieber Vernichtung als Trennung! Wenn du mich liebst, Adelheid –«
»Aber weißt du's denn nicht?« bebten ihre Lippen.
Er umfaßte sie und riß sie an sich. Wie wütend über sich selbst biß er die Zähne zusammen und blickte mit lodernden Augen über sie hin. Es stand da einer von den Holzschemeln, die sie zum Putzen der Bäume benutzt hatten. Auf den drückte er sie nieder, sank neben ihr hin und bedeckte ihre Hände mit Küssen. Adelheid ließ es geschehen. Nichts war ihnen mehr heilig als ihre Liebe.
Sie fuhren auf, als Glaubergs Stimme vom Arbeitszimmer her rief: »Werdet ihr nicht Licht brauchen, Kinder?«
»Wir sind fertig,« antwortete Dürenholz. »Unsertwegen könnte die Bescherung gleich erfolgen. Aber es sind wohl noch fast zwei Stunden bis dahin.«
Adelheid hatte sich durch den hinteren Ausgang entfernt, ihr glühendes Gesicht nicht sehen zu lassen. Walther ordnete rasch Haar und Bart und ging zu Glauberg, wenigstens bis zur Thür.
»Bringst du Adelheid nicht mit?« fragte der Kranke. »Sie sollte sich noch eine Weile Ruhe gönnen.«
»Das thut sie wohl auch,« entgegnete Dürenholz. »Sie verließ vor einer kleinen Weile den Saal dort hinaus.«
»Hast du hinter ihr abgeschlossen?«
»Nein.«
»Nun, es wird auch nicht nötig sein. Spielen wir noch eine Partie Schach?«
»Unmöglich. Ich muß zu Hause noch ein wenig Toilette machen. Mein Kopf ist mit Tannennadeln bestreut und mein Rock hat, wenn ich nicht irre, von einem spitzen Ast irgendwo einen Ritz bekommen. Es ist zum Glück der älteste.«
»Dann also auf Wiedersehen. Und verspäte dich nicht. Du hast noch die Lichter anzustecken. Dabei kann dir freilich Friedrich helfen. Adelheid möchte ich nicht mehr bemühen – und sie muß auch hier die Gäste empfangen. Ich bin dir soviel Dank schuldig, bester –«
»Ach, rede doch nicht.«
»Ja, ja. Aber ein gutes Werk belohnt sich selbst, das tröstet mich.«
Dürenholz lief über die Straße, als ob jemand mit der Peitsche hinter ihm her wäre. Ganz erhitzt langte er in seiner Wohnung an, warf sich, ohne die Lampe anzuzünden, aufs Sofa und drückte die Hände gegen die Schläfen. Der Freund, der Freund! Und er konnte doch nicht bereuen. Nicht einmal das Geschehene ungeschehen wünschen. Die Leidenschaft war stärker als die Gewissenhaftigkeit. Wie in einem Opiumrausch umgaukelten ihm liebliche Gestalten, und alle trugen sie ihre Züge. Seine Phantasie war vergiftet.
Er sprang auf, machte Licht, kleidete sich an. Als er in den Spiegel sah, erschrak er über sein lachendes Gesicht. Er hätte es mit den Nägeln zerkratzen mögen, so ärgerlich war ihm die Fratze. Aber sie paßte zu seiner Stimmung. Auch sein Herz lachte, so unruhig es schlug.
Und dann ein wohlgelungener Weihnachtsabend! Holm mit seiner Frau und den Kindern war da, Doktor Haring und ein anderer Mitarbeiter, ein pensionierter Hauptmann, der das Militärische besorgte, der Expedient, der Vorsteher der Druckerei, der Kassenführer, diese drei mit ihren Ehehälften. Am zweiten Tisch fanden die Arbeiter und Arbeiterfrauen ihre Geschenke aufgebaut, am dritten, in dessen Mitte eine Krippe stand, die Kinder, Knaben und Mädchen. Sie sangen die in der Schule eingeübten Weihnachtslieder, und Adelheid begleitete sie auf dem Klavier, das in die Ecke geschoben war und von einem großen Tannenbaum verdeckt wurde. Da, von allen ungesehen, war ihr am wohlsten.
Walther fand sich zu ihr. Er stellte sich hinter ihren Stuhl und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich habe noch ein Geschenk für dich, von dem niemand wissen darf –«
»Geh, geh!« bat sie ihn sehr beunruhigt. »Es darf uns keiner hier sehen.«
»– den Ring,« fuhr er fort, »den du mir zurückgeben mußtest, und den ich für bessere Zeiten aufbewahrt habe.«
»Sie sind noch nicht gekommen.«
»Versprich mir, ihn auf dem Herzen zu tragen, bis –«
Im Saal entstand ein Gelächter, der Gesang brach ab. Walther legte Adelheid den Ring in den Schoß und trat schnell hinter dem Baum wieder vor. In demselben Augenblick aber blickte Frau Ida Holm von der anderen Seite durch die Zweige.
»Aber wie spielst du denn?« rief sie, »danach kann ja kein Mensch singen.«
Adelheid schrak zusammen. So glitt der goldene Reif von ihrem Seidenkleide ab und rollte unter das Klavier.
»Da fiel etwas,« bemerkte Frau Ida, die noch näher herangetreten war, »etwas Rundes – dort in die Ecke ist's gerollt.«
Adelheid hatte sich rasch erhoben und bückte sich, bevor jene ihr zuvorkommen konnte. »Mein Ring,« sagte sie. »ich hatte ihn zum Spielen abgezogen.« Sie behielt ihn in der Hand und ließ ihn dann in die Tasche gleiten.
Sie setzte sich wieder ans Klavier und begann das Stück nach einigen präludierenden Accorden von Anfang. Sie hatte Mühe, die Thränen zurückzuhalten, und meinte, sich jetzt den Gästen nicht zeigen zu können. Bald fielen auch die Kinderstimmen wieder ein, und das Lied kam durch alle Verse ganz ordentlich zu Ende.
Glauberg war sehr heiter. Er ließ sich in seinem Rollstuhl die Tischreihen entlang schieben, sprach mit jedem, besah die Geschenke, fragte, ob etwas anderes erwünschter sei, und erhielt überall Danksagungen. Er scherzte mit den Kindern, die ihre Spielsachen bewunderten, forderte sie auf, in die Papiersäcke zu greifen, und ließ seine Frau bitten, ihnen nun auch etwas zum Tanz aufzuspielen. Dabei behielt er die Tannenbäume im Auge und gab einen Wink, wenn ein Lichtchen zu tief abgebrannt war oder mit der Flamme einem Zweig zu nahe kam. Als es im Saal dunkler und dunkler wurde, sagte er: »Und nun weiß ich doch, daß ihr am liebsten zu Hause sein möchtet. Packt also eure Sachen zusammen und reißt aus. Draußen bekommt jeder noch ein belegtes Butterbrot und eine Flasche Bier auf den Weg. Räumt nur alles ab, was auf den Schüsseln liegt. Morgen kommen die Kinder, die Bäume zu plündern.«
Die Vorstände hielt er zurück. Für sie und die Familie gab's ein Abendessen am gedeckten Tisch und eine Punschbowle. Es ging dabei sehr lustig zu. Zuletzt wurden Studentenlieder gesungen.