Ernst Wichert
Das Duell
Ernst Wichert

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Der Diener trat ein und meldete, daß die gnädige Frau zum Essen bitten lasse. Er schob den Rollstuhl in das dritte Zimmer, den Gartensaal, in welchem die kleine Tafel gedeckt war. Für Glauberg stand an derselben ein Lehnsessel. Nachdem er sich erhoben hatte, wies er die weitere Unterstützung des Dieners zurück und ging die wenigen Schritte, alle Kraft anspannend, am Stock. »Es ist, als ob mir die Freude, den alten Freund wiederzuhaben, durch Leib und Seele gefahren ist,« sagte er lächelnd. »Ich fühle mich merkwürdig wohl und frisch. Merkst du's nicht, Adelheid? Ja, so ein alter Freund ist ein rechtes Stärkungsmittel. Es geht nun sicher alle Tage besser.«

»Das wollen wir wünschen,« antwortete sie, indem sie die Suppe vorlegte. Der Teller, den sie dem Diener reichte, zitterte in ihrer Hand. Sie hielt die Augen gesenkt und atmete kurz.

Aber was soll nun werden? überdachte Dürenholz mit ängstlicher Spannung. Sollte Glauberg verborgen bleiben – war's eine Möglichkeit...? Ihn schwindelte.

Das Gespräch wurde zwischen den Freunden über allerhand allgemeine Dinge geführt, wie sie gerade an der Tagesordnung waren. Adelheid beteiligte sich wenig dabei, und Dürenholz wagte kaum, sie anzusehen, weil immer sogleich ein Blutstrom bis in seine Stirn hinaufwallte. Sie trug, wenn auch nicht genau im Schnitt, das einfache schwarze Kleid und das glatte weiße Krägelchen der Diakonissen, hatte das volle braune Haar auch nach deren Art kunstlos gescheitelt und in einen Knoten zusammengenommen, der von einem Schildpattpfeil gehalten wurde. Sie kam ihm schöner als je vor, wennschon die jugendliche Frische fehlte und ein ihm fremder Zug, wie es ihm schien, von trotzigem Fatalismus, dem Gesicht von den verschleierten Augen her sich aufprägte. Er täuschte sich sicher nicht darin, daß sie mit allen ihren Gedanken weitab vom Gegenstand der Unterhaltung war, und ihn selbst verwirrte es, wenn er mitunter einem Blick begegnete, der unsagbar traurig verloderte. Er hielt dann mitten im Satz ein und griff nach dem Glase, um sich wieder sammeln zu können und dem Kranken nicht auffällig zu werden.

Nach der Mahlzeit schlug Glauberg vor, den Kaffee im Garten zu nehmen. Er habe eine Cigarre, versicherte er, die für große Gelegenheiten aufgespart sei, wie diese heut. Sich am Tisch aufrichtend, stieß er noch einmal mit dem Freunde an und trank die Neige aus. »Dein Wohl!« Dann schien er sein Gebrechen vergessen zu haben und schob sich am Krückstock einem Eckschränkchen zu, dessen Schlüssel er aus der Tasche gezogen hatte. Nach wenigen Schlitten schwankte er bedenklich. Adelheid eilte ihm nach und stützte ihn. »Kann ich nicht – ?«

»Du findest schwerlich die rechte Kiste. Es geht schon – es geht. Willst du mir nur den Rollstuhl –«

Dürenholz fuhr ihn heran und half ihm hinein. Dann wollte der liebenswürdige Wirt sich aber nicht weiter helfen lassen. Er erfaßte mit den Händen die Räder und setzte sie ganz flink in Bewegung. Er nahm die Cigarrenkiste auf den Schoß und holte in derselben Weise auch ein Feuerzeug herbei. »Du siehst,« sagte er lachend, »daß ich mich noch nützlich machen kann.« Er mochte lange nicht in so guter Laune gewesen sein.

Der Diener, der mit dem Abräumen beschäftigt gewesen war, kehrte zurück und trat hinter den Rollstuhl, während Adelheid sich nun entfernte, um in der Küche wegen des Kaffees die erforderlichen Anordnungen zu treffen. Der Balkon hatte auf der einen Seite eine sanftabsteigende Rampe; auf ihr gelangte das Gefährt bequem auf den Kiesgang des Gartens.

»Ist es dir recht, wenn wir noch ein wenig promenieren?«

Dürenholz war ganz einverstanden. Er ging nun neben dem kleinen Wagen her, der nach Glaubergs Winken durch die hübschen Anlagen geschoben wurde. »Nicht gerade das Paradies,« scherzte er, »aber doch ein ganz hübsches Stückchen präparierte Natur für Leute, die bescheiden ihren Horizont zu beschränken haben. Dort setzt sich der Weg nach den Wiesen hin fort, aber es liegt jetzt die Sonne auf ihm. Wenn ich sie untergehen sehen will, was freilich ein melancholisches Schauspiel ist, findet sich eine Viertelstunde weiter ein Hügel, der die Gegend beherrscht. Man braucht, um so etwas zu genießen, nicht durchaus auf die hohen Berge zu klettern.« Er gestattete, daß der Freund den Diener ablöste, der, um nach den Befehlen der gnädigen Frau zu fragen, fortgeschickt wurde. »Das nächste Mal lasse ich auch meinen Schwager und seine Frau zu Tisch bitten,« sagte er, als sie allein waren. »Heute wollte ich dich ganz für mich haben. Holm wirst du ja rasch kennen lernen. Er ist ein guter Kerl, aber kein großes Licht und macht sich das Leben gern leicht. Er muß immer einen haben, der ihn dirigiert, damit er dirigieren kann, ohne Konfusion anzurichten. Und das muß so leise geschehen, daß er's gar nicht merkt oder sich den Anschein zu geben vermag, es nicht zu merken. Ich selbst kann doch nur dafür sorgen, daß der finanzielle Teil des Geschäfts nicht in zu arge Unordnung gerät. Der zweite Redakteur, in Wahrheit der erste, ist selten so geschickt, Reibungen zu vermeiden, und so ist bisher ein häufiger Wechsel leider unvermeidlich gewesen. Auch deshalb bin ich so froh, daß ich dich habe. Deine Überlegenheit wird ihm sofort einleuchten, und du hast bei aller Energie die gefällige Form, nicht unnütz anzustoßen.«

»Ich weiß doch nicht, ob ich da der rechte Mann bin,« wendete Dürenholz ein, der schon auf den Rückzug dachte. »Das freundschaftliche Verhältnis zu dir...«

»Aber das wird dir gerade den sichersten Halt geben,« unterbrach Glauberg eifrig. »Wenn Holm weiß, wie wir beide miteinander stehen, so fügt er sich ohne weiteres. So klug ist er schon. Du mußt wissen, daß er von mir ganz abhängig ist. Was ich für ihn thue, thue ich meiner Schwester Ida zuliebe, die sich als junges Ding in ihren hübschen Lehrer verliebt hatte und ihn durchaus heiraten wollte, obgleich die Familie aus guten Gründen dagegen war. Er hat dann in der tollsten Weise ihr Vermögen durchgebracht, und ich habe meine Bedingungen gestellt, als ich ihm wieder auf die Beine half. Übrigens läßt sich mit ihm sehr gut leben, wenn man ihn zu nehmen versteht.«

»Aber ob ich, Bester ...«

»Gerade du. Ich bitte dich – das ist doch abgemacht. Sagst du mir nichts über meine Frau? Wie findest du sie? Sie war freilich heute bei Tisch ungewöhnlich still. Na sie hat auch sonst nicht die Art, rasch und lebhaft aus sich herauszutreten. Ich meinte nur, weil sie hier doch nicht nötig hatte, sich den Gast erst darauf anzusehen, ob sie ihm Vertrauen schenken könne – Aber es ist möglich, daß du ihr zu sehr imponiert hast; da tritt sie bescheiden zurück.«

»Du hast sie ja kaum zu Worte kommen lassen,« versuchte Dürenholz zu scherzen.

Glauberg lachte vergnügt. »War das ein Wunder? Nachdem ich dich endlich einmal ... Na, ich bin überzeugt, ihr werdet bald die besten Freunde werden. Vielleicht schon beim Kaffee. Ich denke, wir wenden uns jetzt dem kleinen Pavillon zu, in dem er uns eingeschenkt werden soll.«

Dürenholz schob das Wägelchen dorthin. Es ist doch ganz unmöglich, dachte er wieder bei sich, daß er in Unwissenheit bleibt. Ich hätte sofort sprechen müssen. Aber ich verstand Adelheid richtig. Sie wollte nicht – Und nun er einmal getäuscht ist, wird's immer schwerer, ihm die Wahrheit zu sagen – ja, ja, immer schwerer.

Adelheid hatte sich's sicher in der ersten Bestürzung nicht gut überlegt; nun mochte ihr ebenso beklommen zu Mute sein als ihm. Vielleicht noch beklommener. Und er konnte ihr nicht zu Hilfe kommen! Jetzt mußte die Eröffnung von ihr ausgehen.

Der Pavillon war am breiten Eingange durch zwei Wände von wildem Wein erweitert, so daß man auch unter freiem Himmel einen geschützten Platz hatte. Hier blieb Glauberg im Rollstuhl, neben den nur ein dazu schon bereiter niedriger Tisch für seine Tasse geschoben wurde. Adelheid war im Pavillon bei einer Wiener Maschine beschäftigt. Ihr gegenüber und halb schon in der Laube erhielt der Gast einen bequemen Schaukelstuhl angewiesen.

Adelheid bediente die Herren selbst. Das feine Backwerk, das sie zureichte, wurde verschmäht; dafür dampften bald die Cigarren. Dürenholz mußte von seinen Erlebnissen in Amerika, von Land und Leuten, von Presseverhältnissen und Reklamewesen dort erzählen. Ob es denn wahr sei, daß der Journalist stets mit dem Revolver in der Tasche herumgehe? Ob keine Aussicht sei, Bruder Jonathan zu überzeugen, daß litterarischer Diebstahl gerade so unanständig sei als der in den Strafgesetzen aller Völker verbotene? Er ließ sich über alle diese Dinge gern des breiteren aus, um Unterhaltungsstoff zu schaffen, der ihn und Adelheid von der peinlichen Situation ableiten könnte.

Das gelang doch nur sehr unvollkommen. Sie hatte, nachdem sie ihren Pflichten als Wirtin genügt, die Kaffeemaschine beiseite geschoben und, etwas vorgebeugt, die Arme mit den gefalteten Händen auf den Tisch gelegt, ohne die Häkelarbeit in dem mitgebrachten Körbchen auch nur zu berühren. So hatte sie sein Profil gerade vor Augen und sah unverwandt darauf hin, als wollte sie es zeichnen. Er fühlte diesen magnetischen Blick und widerstand der Versuchung nicht, immer wieder den Kopf zur Seite zu wenden und die Rede an sie zu richten. Er sprach dann Worte, die ihm selbst ein leerer Schall waren und von ihr wahrscheinlich gar nicht gehört wurden. Glauberg hatte seinen Fahrstuhl so herumgeschoben, daß er die Ausschau ins Freie gewann. So saßen sie hinter ihm und brauchten nicht zu befürchten, von ihm beobachtet zu werden.

Die zweite Cigarre war bereits geraucht. Dürenholz sprach davon, daß er sich werde verabschieden müssen, wenn er noch rechtzeitig zum Schnellzug auf den Bahnhof wolle. »Wie? Du denkst daran fortzufahren?« fragte Glauberg überrascht. »Ich dachte –«

»Es ist durchaus notwendig, daß ich noch einmal nach Berlin zurückkehre,« versicherte Dürenholz. »Ich konnte nicht darauf vorbereitet sein, für meine Bewerbung so raschen Erfolg zu haben. Es sind allerhand kleine Angelegenheiten zu ordnen, Rechnungen zu bezahlen, Sachen zu packen –«

»Aber läßt sich das nicht brieflich besorgen?«

»Nein, nein. Ich habe dort keinen, den ich belästigen möchte. Meine Papiere liegen lose im Schreibtisch, und eine Summe Geldes, die ich bei einer Bank hinterlegt habe, kann nach meiner Anordnung nur persönlich oder – von meinen Erben abgehoben werden.«

»Gut denn! Du beeilst dich aber.«

»Soviel ich kann.«

»Morgen Abend würdest du bereits –«

»Aber so groß ist die Eile doch nicht.«

»Für wen? Wenn ich an mich denken darf ... Ah! es ist mir so, als könnte ich dich schon gar nicht mehr entbehren.«

Dürenholz beugte sich vor und drückte ihm die Hand, antwortete aber darauf nicht.

Zwischen dem Pavillon und dem Hause befand sich eine elektrische Leitung. Adelheid drückte, ohne die Anweisung ihres Mannes abzuwarten, den Knopf. Nach wenigen Minuten erschien der Diener.

»Du führst wohl meine Frau ins Haus,« sagte Glauberg. »Ich will voran, um noch eine Flasche Wein zum Abschiedstrunk bereit zu stellen.«

»Nein, für mich nicht – gewiß nicht, Veit!« Er stand auf.

»Ei was! Wer weiß, ob ich bis morgen vorhalte. Wir müssen ein Glas aufs Wiedersehen trinken, wenn ich dich schon fortlasse. Das ist, denke ich, ein zwingendes ergo für dieses bibamus

Er gab Friedrich mit der Hand einen Wink, und der Fahrstuhl setzte sich um die Laubwand hin in Bewegung.

Das Knarren der Räder auf dem Kies war noch hörbar, als Adelheid auf Dürenholz zueilte und sich ihm stürmisch an die Brust warf. »Walther – Walther –!« jammerte sie, »was hab ich gethan!«

Er erbebte im Innersten. Nicht die Braut hielt er im Arm, sondern die Frau des Freundes. Und doch –! Dieser Unterschied galt jetzt nicht. Die Geliebte war's, die den Schmerz, ihn verloren zu haben, an seinem Herzen ausweinen wollte. Er legte die Arme um sie und zog sie an sich. Sein Mund küßte ihre Augen, aus denen die Thränen stürzten.

»Adelheid – meine liebe Adelheid –« flüsterte er, ihren Schmerz zu besänftigen, »wie konntest du ahnen –«

»Nein, nein!« fiel sie ihm ins Wort. »Ich hätte ausharren sollen, wie du mir befahlst. Ich hätte wissen müssen, daß ich gebunden war. Ich durfte nicht so jämmerlich verzagt ...« Der Ton erstickte in der Kehle. Die übermenschliche Anstrengung, so viele Stunden lang den Strom des Gefühls einzudämmen, rächte sich durch einen unaufhaltsamen Ausbruch. Die Schuld, die auf ihr lastete, konnte nicht abgeworfen, aber bekannt werden. Er mußte wissen, daß sie ihn noch liebe, nie aufgehört habe, ihn zu lieben.

Walther versagte der Mut, sie abzuwehren. Nur wie eine leise Mahnung klang's: »Er erfuhr nicht –«

»Nein. Er erfuhr nicht, daß ich verlobt war, daß mein Herz ... Was fragte er nach meinem Herzen? Wie eine Entheiligung des Heiligsten wäre mir's erschienen .... Und hätte ich ihm sagen können, daß ich dich nicht mehr liebte? Oder daß ich dich noch liebe und trotzdem ... Aber von Liebe war ja zwischen uns gar nicht die Rede. Was ich ihm sein wollte und konnte – O, mein Gott, mein Gott!«

»Und ich verstand dich recht, daß er auch jetzt nicht –«

»Als ich dich wiedersah, Walther, so ganz unvermutet wiedersah – es fuhr mir wie ein Blitz ins Gehirn, ins Herz –: Nein, er darf nichts erfahren, jetzt gewiß nicht.« Sie schmiegte sich an ihn. »Dann hätte ich dich ja im Augenblick des Wiedersehens verloren gehabt!«

Er sah sie trostlos traurig an. »Und nun Adelheid – –?«

Sie verstand ihn und ließ die Arme sinken. »Liebst du mich nicht mehr?«

»Gerade weil ich dich liebe –«

»So laß uns dankbar sein auch für diese kurze Minute seligsten und schmerzlichsten Wiederfindens, Walther. Und nun – wir dürfen nicht vermißt werden. Lebe wohl!«

Noch ein langer Händedruck, mit abgewandtem Gesicht – dann ging er. Das Blut sprang ihm aus der Lippe, so fest drückte er die Zähne darauf, um sich an die Wirklichkeit zu erinnern.

»Wo ist meine Frau?« fragte Glauberg, als er allein ins Zimmer trat.

»Im Pavillon zurückgeblieben, wo sie noch etwas zu thun hatte,« antwortete er. »Ich habe schon von ihr Abschied genommen.«

»So, so! Also du willst wirklich –«

»Und sogleich.«

Glauberg deutete auf zwei grünglasige, mit vergoldeten Weinranken umsponnene Römer, die ihm schon vollgeschenkt zur Hand standen. »Also denn angestoßen und ausgetrunken! Weißt du noch? das sind die Gläser, die du mir beim Abgang von Heidelberg gestiftet hast.«

Dürenholz nickte und trank. »Ade, mein Alter!«

»Und beeile dich in Berlin!« rief Glauberg ihm nach. Er war schon zur Thür hinaus.


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