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Der liebe Gott hat es mit uns Deutschen gut gemeint und uns auf unsern Lebensweg ein Gnadengeschenk mitgegeben, für das wir ihm nicht dankbar genug sein können, ein für alle zarteren Empfindungen empfängliches Gemüt.
Wir sind dadurch vor anderen Völkern bevorzugt; sie haben nicht einmal einen Ausdruck dafür, was wir mit dem Worte verbinden, und wir können sie nur bedauern, daß sie das hohe, uns durch unser Gemüt erwachsende Glück entbehren müssen, oder es wenigstens nicht in der innigen Weise aufzufassen vermögen wie wir.
Ein Ausfluß dieser beneidenswerten Gabe ist die reine, herzbewegende Freude, mit der alt und jung dem Weihnachtsabend, wie wir ihn in Deutschland feiern, entgegensieht und ihn festlich begeht.
Wie tief und dauernd muß dies Gefühl in unsern Herzen wurzeln, wenn der Deutsche es überall mit sich hinausträgt in weite Fernen, wohin immer des Schicksals Wellen ihn verschlagen mögen, unter alle Himmelsstriche, zu allen fremden Völkern, um es dort durch die schöne Feier zu bethätigen, der die Eingeborenen in schweigendem Staunen zuschauen, ohne ihren Sinn und die Gefühle des Fremdlings zu verstehen, die diesen beim Anblick des brennenden Baumes bewegen, der dem Ganzen erst die rechte Weihe verleiht.
Unser Tannenbaum wächst ja nur in den nordischen Klimaten, aber gar viele Deutsche wollen auch in der Glut der Tropensonne nicht auf ihn verzichten, der so manche traute Erinnerungen aus der glücklichen sorgenlosen Jugendzeit, aus dem unvergessenen Heim des Elternhauses wachruft, und wer es vermag, der läßt ihn sorgsam verpackt, um ihn möglichst frisch grünend zu erhalten, zu Schiffe von Europa kommen. Nur, wenn die Möglichkeit dazu nicht vorhanden ist, sucht man ihn durch Cypressen, Cedern oder andere Gewächse zu ersetzen, die der Tanne ähneln.
In der einen oder andern Form habe ich den Weihnachtsbaum in Südamerika, in Afrika, auf den fernen Inseln der Südsee und fern im Osten, China und Japan getroffen, wo immer sich Deutsche angesiedelt oder längeren Aufenthalt genommen haben. In letzterem Lande wurde er zum ersten Mal im Jahre 1860 gesehen. Unser Gesandter, Graf Eulenburg, hatte ihn in dem Sintotempel, der ihm von der japanischen Regierung als Wohnung angewiesen war, aufstellen lassen, um mit seinem Personal, der deutschen Schutzwache und den geladenen Offizieren unseres Geschwaders das Fest in heimischer Weise zu feiern. Es war eine mächtige Cypresse, die im Glanze von Hunderten Lichtern und in reichem Schmucke prangte, während ungezählte Japaner den Tempel umstanden, dessen Thüren und Fenster geöffnet waren, um in bewunderndem Staunen auf die neue seltsame Erscheinung zu blicken, die sie sich nicht zu erklären vermochten.
Und so nimmt der Deutsche seinen schönsten Feiertag auch mit auf das weite Meer hinaus, und an ihm herrscht eitel Lust und Freude an Bord, namentlich auf unsern Kriegsschiffen.
In rührender Voraussicht sorgen Kommandant und Offiziere schon bei dem Verlassen des heimischen Hafens für die nötige Zahl der kleinen Geschenke an die Mannschaft, denn niemand soll an diesem festlichen Abend leer ausgehen, niemandem der stille Friede, den der brennende Baum auf die Gemüter ausstrahlt, geraubt werden, mag es draußen auch wild hergehen, mögen Sturm und See toben und brausen. An diesem Tage werden alle wieder zu Kindern; mit derselben freudigen Spannung wie damals in der Jugend sehen sie ihm und den Überraschungen entgegen, welche die Güte der Vorgesetzten ihnen zu bereiten gedenkt und der Weihnachtsmann ihnen aus seinen schier unerschöpflichen Vorräten darbieten wird.
Aber auch die Matrosen selbst legen keineswegs die Hände in den Schoß, und alle sind eifrig bestrebt, die Feier so würdig und schön wie möglich zu gestalten. Lange vorher sind ihre geschickten Finger dabei beschäftigt, das Wesentlichste, die Bäumchen zu schaffen.
Das Schiff befindet sich auf hoher See, viele Wochen hat man kein Land gesehen, woher sollten die Tannen kommen, und jede Backschaft (Tischgesellschaft), deren es bis dreißig an Bord giebt, will auf ihrem Tische doch nicht den brennenden Baum entbehren, ohne den das Fest seinen größten Wert verliert.
Da gilt es denn die Herstellung künstlicher Bäume, und es ist wahrhaft bewunderungswert, mit welchem Geschick, welcher Erfindungsgabe daran geschaffen wird. Die einzelnen Künstler haben sich möglichst verborgene Plätze in den untern Räumen des Schiffes aufgesucht, wo sie in ihren Mußestunden ungestört arbeiten können; denn jeder will die Kameraden überraschen und ihnen den Rang ablaufen. Es sind nur einfache Materialien, die ihnen für ihr Werk zu Gebote stehen, Holz, Tauwerk, bunte Putzbaumwolle aus der Maschine, Blech und Papier, aber sie genügen, um daraus überraschend schöne Bäumchen hervorgehen zu lassen und täuschend die Natur nachzuahmen.
Viele Tage vor dem Feste schon werden die Offizierburschen umschmeichelt, um übriggebliebene und zu diesem Zwecke angesammelte Lichtstumpfe zu erlangen. Die Eisenarbeiter in der Maschine fertigen die nötigen Lichthalter aus Blech, und die Stahlhobelmaschine ist in emsiger Thätigkeit, um die als Lametta dienenden geringelten Stahlspäne herzustellen. Der Materialienverwalter wird um grüne Farbe angebettelt, um die mit unendlicher Ausdauer und Mühe aus Papier gefertigten Tannennadeln möglichst natürlich erscheinen zu lassen. Es ist kein großes Quantum dazu erforderlich, und er kann es, ohne sein Gewissen zu sehr zu beschweren, verrechnen. Es ist ja Weihnacht, und auch sein Gemüt ist weich gestimmt in der Aussicht auf anderweitige Vorteile. Sein ganzer mitgenommener Vorrat an Gold- und Silberpapier und Baumschmuck in der ihm unterstellten Kantine ist schnell ausverkauft. So naht der heißersehnte Tag, und mit stiller Befriedigung schauen die Leute auf ihre kleinen Schöpfungen, sie sind alle nach Wunsch gelungen.
Das Schiff befindet sich im Passat bei prachtvollem Wetter. Die Sonne leuchtet goldig vom blauen Himmel herab, mit dem der Azur des Meeres wetteifert. Nur leise rauschend köpfen die mit Silberschaum gekrönten Wellen über und bewegen kaum die Fregatte. Eine milde Brise, mit gleichmäßiger Stärke und stetig aus derselben Richtung wehend, schwellt die weißen Segel in sanfter Rundung. Die Rahen brauchen nicht bewegt zu werden, und keine von außen kommende Störung des Festes ist zu befürchten. Mit Ausnahme des Wache habenden Offiziers und der Posten kann die gesamte Mannschaft an ihm teilnehmen; auch jene werden rechtzeitig abgelöst, und die Freude wird deshalb allgemein sein.
Die Schiffsglocke schlägt vier Glas (sechs Uhr), und der erwartete Augenblick ist nahe. Die Sonne taucht ihre glühende Scheibe unter den Horizont; eine kurze Zeit übergießt sie die Passatwölkchen mit rosigen Tinten, dann verwandeln sich diese in Grau, und von Osten her steigt die Nacht schnell herauf, denn in den Tropen giebt es keine Dämmerung; fast unmittelbar wechseln Licht und Dunkelheit.
Die Pfeifen der Unteroffiziere schrillen durch die Schiffsräume, und alles lauscht dem kommenden Befehle.
»Alle Mann, Weihnachtsfeier!« schallt es die Luken hinunter, und der augenblicklichen Stille folgt ein freudig geräuschvolles Summen von Hunderten von Stimmen.
Die Baumkünstler holen eiligst ihre Werke aus den Verstecken und setzen sie auf die Tische, um die sich die zugehörigen Leute lachend und plaudernd scharen, aber auch zugleich prüfende Blicke auf die übrigen Bäumchen werfen, um zu sehen, welche Back die andere übertroffen hat. Doch der Neid bleibt fern, jeder hält das seinige für das schönste, und damit ist jeder Mißton verbannt. Sehr bald brennen sämtliche Lichte, die ganze Batterie strahlt in feenhaftem Glanze, und der Batterieoffizier meldet dem Kommandanten, daß alles bereit sei.
Gefolgt von den Offizieren betritt der hohe Vorgesetzte den Raum, die Musik beginnt, in harmonischen Klängen ertönt aus jugendfrischen Kehlen vielhundertstimmig das Lied: »Oh du fröhliche, oh du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit« und schwebt zum Himmel empor, dessen sternbesätes Zelt sich als mächtiger Dom über dem Schiffe wölbt.
Es ist ein schöner, feierlich erhebender Augenblick; die Herzen öffnen sich weit, die Gedanken schweifen hinaus über den Ozean hin zu den fernen Gestaden, zu all den Teuren, von denen man so weit getrennt ist, und mit denen man sich dennoch im Herzen eng verbunden weiß, da auch sie der Ihrigen liebend gedenken.
Die letzten Töne des Gesanges sind verhallt, und nun tritt die laute Freude in ihr Recht. Die Offizierburschen schleppen Körbe und Packete für jede Back heran, und es beginnt das Auspacken, dem die Leute verlangend zuschauen. Jede Gabe trägt die Nummer des Betreffenden, für den sie bestimmt ist, und so vollzieht sich die Verteilung in schönster Ordnung. Nützliches, Angenehmes und Scherzhaftes wechselt miteinander, aber keinem Geschenke fehlt die wohlschmeckende Erinnerung an die Kinderzeit, der Pfefferkuchen. Auch das haben die gütigen Spender nicht vergessen; sorgsam in Blechkisten verpackt, hat das heimische Gebäck nichts von seinem Geschmack eingebüßt und mundet vortrefflich. Welche verschiedene und willkommene Sachen entpuppen sich aus ihrer Umhüllung; Cigarren, Messer, Bilder, Briefpapier und hunderterlei andere Dinge erscheinen; besonders glücklich aber schätzt sich der, welcher ein Buch erhält. Nichts wird von den Leuten auf längeren Reisen höher geschätzt als Bücher. Die kleine Schiffsbibliothek ist längst durchlesen, jede alte zu erlangende Zeitung von A. bis Z. studiert, neue Lektüre deshalb unschätzbar.
Kommandant und Offiziere wandern von Back zu Back durch die Batterie, um sich mit ihren Untergebenen zu erfreuen, und mit strahlenden Augen sprechen diese ihren Dank aus. Dann begeben sich die Vorgesetzten in die Offiziersmesse, wo ebenfalls ein brennender Baum sie erwartet und die Überraschungen für sie beginnen, um mit einem solennen Weihnachtsmahl zu enden.
Jubelnd zeigen sich die Mannschaften ihre Schätze, und überall herrschen Freude und Frohsinn. Da schrillt wieder die Bootsmannspfeife, und alles verstummt. »Die Backschaften sollen zum Offiziersteward kommen«, lautet der Befehl. Bald kehren die Gerufenen zurück, aber mit neuer Überraschung. Die Offiziersmesse sendet jeder Back zwei Flaschen Wein, und ein donnerndes Hoch auf die gütigen Geber ist die Antwort.
Die Lichte sind niedergebrannt, die Geschenke sorgfältig in der Mitte der Kleiderkiste geborgen. Die Weihnachtsbäume haben ihre Pflicht gethan und wandern in den Maschinenraum, nirgends anders ist Platz für sie. Der schönen mit so viel Mühe hergestellten Kunstwerke harrt das Los, zum Feueranmachen verwertet zu werden. – Undank ist der Welt Lohn.
»Backen und Banken!« tönt es in die Luken hinunter. Der Befehl ruft zum Abendbrot und die Tische werden dazu fertig gemacht. Doch heute will Fiskus, das wesenlose und doch von allen, die mit Staatsrechnungen zu thun haben, gefürchtete Geschöpf, trotz seiner sprichwörtlichen Sparsamkeit, auch sein Scherflein spenden und zum allgemeinen Frohsinn beitragen. Statt des ewigen steinharten Schiffszwiebacks erscheint frisch gebackenes Brot auf der Back, und dieser Delikatesse schließt sich eine mächtige Schüssel mit Labskaus an, der Lieblingsspeise des Matrosen, für die er durchs Feuer geht. Kartoffeln, feingehacktes Salzfleisch, Butter und Zwiebeln werden zu Brei gestampft, das giebt das berühmte Labskaus, das auch Nichtseeleuten ganz vortrefflich schmeckt. Zum würdigen Schlusse aller dieser seltenen Genüsse entsteigt aus dem Theekessel duftendes Aroma, Rum und Zucker zu Grog hat ebenfalls Fiskus geliefert. Er ist freilich nicht zu stark und deshalb ungefährlich, aber er trägt in nicht geringem Grade dazu bei, die frohe Stimmung der Leute zu erhöhen, um so mehr, als die Stunde des Schlafengehens von 8 auf 10 Uhr hinausgerückt ist und auch die Wache sich in der Batterie aufhalten kann, denn auf dem Deck ist alles still und friedlich.
Am klaren Himmel ballt sich keine drohende Wolke, die zur Vorsicht mahnt, die Brise weht stetig wie vorher und schon alle Tage; das Schiff zieht, einen schimmernden Streifen als Kielwasser hinter sich zurücklassend, gleichmäßig seine Bahn durch die dunkeln Fluten, in denen die Sterne sich wiederspiegeln, und der aufgehende Mond zeichnet einen goldigen Pfad auf das Wasser, auf dem Engel vom Himmel herabsteigen, wenn sie Menschen beglücken wollen.
Und in der Batterie sind sie froh und glücklich, gar lustig geht es dort her; die Musik spielt heitere Weisen, wirbelnd drehen sich die Paare im Tanze, und die Pausen füllt vielstimmiger Gesang beliebter Seemannslieder. Natürlich darf unter den letzteren Heines »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin,« nicht fehlen. Wo giebt es einen deutschen Matrosen, der es nicht sänge, wenn er sich so recht von Herzen vergnügt fühlt.
Es schlägt vier Glas (10 Uhr). Auf einen Wink des wachehabenden Offiziers schrillen wieder die Bootsmannspfeifen und das Kommando ertönt: »Freiwache klar bei den Hängematten!« Die Musik verstummt, und die Gerufenen eilen an Deck, um ihre Hängematten in Empfang zu nehmen und im Zwischendeck aufzuhängen. Zehn Minuten darauf folgt der weitere Befehl: »Feuer und Lunten aus, Ruhe im Schiff.« Der Dienst tritt wieder in sein Recht; noch ein leises Gemurmel dringt aus den Luken herauf zum Oberdeck, doch bald erstirbt es, und unten im Schiff herrscht tiefes Schweigen.
Die Wache an Deck wird gemustert, dann wird es auch oben still. Die Matrosen begeben sich auf das Vordeck, um dort bei dem schönen Wetter sich gruppenweise ein stilles Plätzchen zu suchen und im Flüsterton miteinander zu plaudern.
Nur der halbstündige Ruf der Posten »Alles wohl!« und der gleichmäßige Schritt des wachehabenden Offiziers auf dem Hinterdeck unterbricht die nächtliche Ruhe. Der schöne Weihnachtsabend hat sein Ende gefunden.