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Siehe Abteilung XVIII. »Auf fernen Meeren und Daheim«
Am nächsten Abend nach der Ronde war wieder Einquartierung im Kabelgat der Fregatte »Deutschland«, und fast sämtliche dienstfreie Kadetten waren durch die unverschlossene Thür hereingeschlüpft, um der von Fölsch bedingungsweise zugesagten Erzählung zu lauschen. Er hielt auch wirklich sein Versprechen, und so mußte die gestrige Medizin in der That günstig auf sein Gliederreißen eingewirkt haben.
Als er erschien, war die Begrüßung seiner jungen Freunde eine so stürmische, daß er derselben ein warnendes »Pst! Pst!« entgegensetzen mußte, damit nicht Laute an das Ohr des wachehabenden Offiziers auf dem Oberdeck drangen.
Sobald er Platz genommen, wurde ihm jedoch zunächst Thee kredenzt.
»Ehe Sie Segel setzen und ein Reff aus Ihrer Zunge stecken,« meinte Kadett Martin – die jungen angehenden Admirale bewegten sich gar zu gern in nautischen Redensarten – »nehmen Sie erst eine Tasse Thee, die wir extra für Sie haben brauen lassen, da Sie sich aus Bier doch nichts machen.«
Dabei schenkte er eine große Schiffstasse, die einen halben Liter hielt, aus der Kanne voll und überreichte sie dem alten Bootsmannsmaat, der zuerst schmunzelnd den aufsteigenden Duft einsog, dann sie in einem Zuge bis auf die Nagelprobe leerte und schließlich nach einigem Nachdenken äußerte: »Donnerwetter, junge Herren, so guten Thee habe ich selbst in China nur selten bekommen.«
»Nun,« begann er dann sein sehnlichst erwartetes Garn, »gestern habe ich Ihnen erzählt, wie ich auf einem Hai geritten habe, heute sollen Sie hören, wie ich mit einem solchen gefahren bin. Ja, Sie scheinen sich zu wundern, was ich alles mit Haien durchgemacht habe, aber wie ich Ihnen schon gestern sagte, auf See erlebt man allerlei merkwürdige Dinge, wie sie an Land nicht vorkommen, und wenn man sie erzählt, dann wollen viele kluge Leute es gar nicht glauben, weil sie noch nie auf dem Salzwasser gewesen sind, aber wahr bleibt es deshalb doch. Wenn Sie erst einmal eine Fahrt um Kap Horn gemacht, wie ich viermal, oder um das Kap der guten Hoffnung, das ich zwölfmal abgewettert habe, dann werden Sie so viel Wunderbares sehen, daß Sie sagen, der alte Fölsch hat doch die Wahrheit gesprochen. Freilich hier auf der schmutzigen Weser, wo Sie nun schon zwei volle Jahre vor Anker liegen, da giebt es nichts Außergewöhnliches, als daß Sie dann und wann einen Aal fangen, und auf dem können Sie allerdings weder reiten, noch mit ihm spazieren fahren, wie ich mit dem Hai.«
Diese Einleitung war ein kleiner Hieb für die beiden Skeptiker Martin und Honolz, die bei früheren Gelegenheiten den Alten schon mehrmals dadurch geärgert hatten, daß sie dessen Erzählungen verschiedentlich Zweifel entgegengesetzt, während ihre jüngeren Kameraden gläubig und respektvoll zu dem Manne aufschauten, der viermal um Kap Horn und ein Dutzendmal um das Kap der guten Hoffnung gekommen war.
Als ob das so gar nichts wäre! Und doch war ihnen bekannt, daß dies sogar in den Augen alter Seeleute hoch zählte. Im Schifferhause in Lübeck durfte derjenige, welcher einmal das Kap der guten Hoffnung passiert hatte, beim Sitzen ein Bein, und wer um das Kap Horn gewesen war, beide Füße auf einen anderen Stuhl legen, und es wurde ihm sogar gestattet, gegen den Wind zu spucken, was sonst an Land für jeden andern schwer verpönt war – und nun gar so oft wie Fölsch, was mußte der für ein Ansehen unter den Kameraden genießen!
»War denn die Fahrt mit dem Hai schlimm?« fragte einer der Seejunker, um den Alten möglichst bald auf sein Thema zu bringen, von dem er nach Art des gewöhnlichen Seemanns gar zu gern abschweifte.
»Nun, das gerade nicht!« sagte Fölsch, »im Gegenteil für unsereinen ganz pläsierlich, aber vorher war es desto schlimmer, und wenn der Hai uns nicht zu guter Stunde zu Hilfe gekommen wäre, dann säße ich wahrhaftig nicht hier und hätte damals schon mein letztes Kabelende ausgesteckt, um in Gottes Keller für immer vor Anker liegen zu bleiben. Der Hai hat aber nicht nur mich, sondern auch noch vier von meinen Kameraden davor bewahrt, und ich sage Ihnen, junge Herren, wenn irgend einer die Rettungsmedaille mit Recht verdient hat, dann ist er es.
»Wir segelten mit einem holländischen Schiffe von Amsterdam nach Goree, einer niederländischen Kolonie an der Westküste von Afrika, um dort eine Ladung Proviant und dergleichen hinzubringen.
»Unser Schiff war eine nette schlanke Bark mit 16 Mann Besatzung, wir hatten eine schöne Reise, und es ging alles ganz glatt, bis wir ungefähr noch zweihundert Seemeilen von Goree ab waren. Da verloren wir den Passat und bekamen Windstille. Na, ich sage Ihnen, das war aber schlimm in dieser Gegend, und so was von Hitze habe ich nie wieder erlebt.
»Die Segel hingen tot an Masten und Stengen nieder, nicht das kleinste Lüftchen regte sich, und in den ganzen drei Tagen, die wir umhertrieben, lief auch nicht eine Katzenpfote über das Wasser, das so glatt war wie Öl. Und dieser Sonnenbrand dabei ist gar nicht zu beschreiben. Wenn irgend jemand ein Loch in seinem Hemde hatte, zog die Haut in ein paar Minuten Blasen, das Pech quoll überall aus den Decknäthen, wir mußten Schuhe anziehen, weil wir mit bloßen Füßen nicht mehr auf den Planken gehen konnten. Wenn man ein Stück Metall anfaßte, auf das die Sonne schien, verbrannte man sich die Finger, und überall regnete es Teer, der vom stehenden Tauwerk abschmolz und wie Wasser herunterlief.
»Ich glaube, ich habe nie so viel in meinem Leben getrunken, wie in diesen drei Tagen, natürlich nur Wasser, denn erstens gab es nichts anderes, und dann habe ich mir, wie Sie wissen, aus starken Getränken nie besonders viel gemacht.«
Bei diesen Worten umspielte zwar ein leises Lächeln die Lippen der meisten Seejunker, doch Fölsch schien es nicht zu bemerken und fuhr fort:
»Aber obwohl wir uns den ganzen Leib bis zum Platzen vollpumpten, wollte es nichts helfen, und wenn es noch drei Tage so fortgegangen, wäre kein Tropfen Trinkwasser mehr im Schiff geblieben.
»Gearbeitet wurde bei der gräßlichen Hitze natürlich nicht, nur daß wir das Deck naß hielten, damit es nicht anbrannte, aber das hatte auch seine Schwierigkeit. Das darauf gegossene Wasser verdunstete so schnell, daß das Schiff wie in einen Dampfnebel gehüllt war, und man kaum einige Schritte weit sehen konnte.
»Gegen Abend wurde es etwas besser, und wir vertrieben uns dann die Zeit mit Angeln von Haien, die wohl etwas gerochen haben mußten und Tag und Nacht um das Schiff kreuzten. Nun, sie hatten sich auch nicht verrechnet, sie bekamen eine ganze Masse zu fressen, wenn auch vorläufig keinen von uns, desto mehr aber von ihren eigenen Kameraden.
»Ich habe Ihnen schon früher erzählt, daß die Seeleute nichts mehr in der Welt hassen, als diese unheimlichen Bestien. Nun, jetzt hatten wir Gelegenheit, unsere Wut an ihnen auszulassen, und wir thaten es auch gründlich. Wir fingen wohl ein Dutzend von ihnen, ganz gehörige Kerle, um sie unschädlich zu machen und dann wieder über Bord zu werfen. Während der eine mit aufgesperrtem Rachen noch an der Angel hing, wurde ihm ein an beiden Enden spitzer Eisenbolzen zwischen die Kiefern geklemmt, so daß er fortwährend mit offenem Maule schwimmen mußte und nicht zubeißen konnte. Dem andern stieß man ein langes dickes Holz in den Schlund bis zum Schwanze, einem dritten wurde der Schwanz abgehauen und der Bauch aufgeschnitten, und dann ließen wir sie wieder schwimmen.
»Das klingt zwar ein bißchen grausam, aber mit uns machen sie es nicht besser, wenn sie uns zerreißen, und so übten wir nur Vergeltung, wie dies ja auf allen Schiffen geschieht, und hatten dann unser Vergnügen daran, wie sie im Wasser umherrasten und die anderen über sie herfielen, um an ihnen ihren Hunger zu stillen.
»Nun fühlten sie es doch am eigenen Leibe, wie einem unglücklichen über Bord gefallenen Seemann zu Mute ist, wenn er zwischen ihre sechs bis acht Reihen Zähne gerät. Freilich kam uns der Gedanke nicht in den Sinn, wie bald das einer großen Zahl von uns dennoch geschehen sollte und wie nahe wir übrigen auch daran waren, wenn nicht einer von ihnen, obwohl ihm auch arg mitgespielt worden war, ein Einsehen gehabt und uns davor bewahrt hätte.
»Wie gesagt trieben wir uns drei Tage in dieser Stille herum. Kein Hauch regte sich, kein Wölkchen zeigte sich am Himmel. Je länger es dauerte, desto schlimmer wurde es. Die Sonne brannte immer heißer, sie stach wie mit Nadeln, uns begann die Luft auszugehen, daß wir wie Nordkaper pusteten, und wir wunderten uns nur, daß die Haie es aushalten konnten und nicht gekocht wurden.
»Da stieg im Osten eine kleine weiße Wolke am Himmel auf, anfänglich nicht größer als ein Oberbramsegel, die ziemlich rasch herankam. Wir jubelten, endlich gab es Wind, denn sonst hätte sie nicht so schnell heraufsegeln können. Nun ja, es war so; der Wind kam, es war aber mehr als eine Mütze voll, und die Stürme bei Kap Horn, wo unsereiner dachte, härter könnte es doch in der Welt nicht wehen, waren das reine Kinderspiel dagegen.
»Von unserer Besatzung war außer dem Steuermann noch niemand an der afrikanischen Küste gewesen, aber auch er wußte nicht, was dort solche weiße Wolke bedeutet, sonst hätte er den Kapitän gewarnt, die Segel nicht so lange stehen zu lassen, aber so ließen wir sie wie unschuldige Kinder herankommen.
»Später habe ich mir sagen lassen, es sei ein Tornado gewesen, aber wenn Sie, junge Herren, wirklich noch einmal in Ihrem Leben auf das blaue Wasser kommen sollten, was ich Ihnen von Herzen wünsche, obwohl in unserer deutschen Marine wenig Aussicht dafür zu sein scheint« – ein Seitenblick auf Honolz verschärfte den abermaligen kleinen Hieb – »dann mag der liebe Gott Sie vor einem solchen bewahren.
»Bei der Stille hatten wir natürlich kein Steuer im Schiff. Es lag Norden an, und die Wolke kam von Osten herauf, also quer. Wir braßten die Raaen an Backbord an, um den erhofften Wind gleich einzufangen, aber du lieber Gott, er fing uns – und wie!
»Die weiße Wolke lief plötzlich auseinander, als ob sie da oben einen Topf Milch ausgegossen hätten, aber dann wurde sie grau und schließlich schwarz. Danach sahen wir keine halbe Seemeile vor uns, wie die glatte Dünung im Osten plötzlich anschwoll, als ob es Berge wären, auf deren Kuppen dicker Schnee lag.
»Laßt laufen Bram- und Oberbramsegel!« schrie nun der Kapitän. »Gei aus Großsegel und Besahn. Holt die Klüver nieder und klar bei den Marsfallen!«
»Ja, das war alles recht hübsch, aber mit unseren paar Mann konnten wir uns doch nicht zerreißen und alles zugleich thun, wie es nötig gewesen wäre. Wir warfen die Bram- und Oberbramfallen los und waren im Nu dabei, das Großsegel aufzugeien, da wir selbst sahen, wie schlimm es stand. Wir bekamen es auch glücklich weg, und die Hälfte von uns ging an das Bergen des Gaffeltopsegels und Besahn, während der Steuermann mit uns übrigen nach vorn lief, um die Klüver herunterzuholen, aber sie waren noch nicht halb nieder, und kein Mensch hatte Zeit gehabt, die Marsfallen loszuwerfen, da saß uns der Tornado auch schon im Nacken, kam dahergesaust und fiel mit solcher Gewalt in die Segel, daß sich das Schiff ganz auf die Seite legte und zum Kentern stand.
»Gleichzeitig rollte vorn ein Berg grüner See über den Bug, der zwei Mann über Bord riß, während wir übrigen bis an den Hals im Wasser standen und nur durch einen Glücksfall gerettet wurden. Dann kam eine zweite See über, hinten, und machte klar Deck.
»Als wir wieder Atem schöpften, war niemand mehr da. Der Kapitän, sowie die beim Besahn beschäftigten Leute, der Mann am Ruder, das Kompaßhaus, die Kajütskappe – alles war verschwunden und über Bord gespült. Klatsch, klatsch ging es oben in den Toppen, an den Klüverbäumen, an der Großraa und am Besahnsmast, und dahin flogen die Fetzen von allen gegeiten Segeln wie Papier, aber wunderbarerweise blieben die beiden Marssegel ganz, wohl weil das Schiff so schief lag, daß der halbe Wind darüber hinwehte und sie nicht seine ganze Kraft auszuhalten hatten.
»An Retten der Überbordgegangenen war natürlich kein Gedanke. Wir Übriggebliebenen mußten ja jeden Augenblick erwarten, daß es uns ebenso gehen würde und hielten uns nur krampfhaft an irgend einem Tauende fest. Der ganze Himmel war jetzt schwarz; es wurde immer dunkler, als ob die Nacht käme; dabei blitzte und donnerte es, daß einem Sehen und Hören verging, und der Wind peitschte den Regen wagerecht, daß er unsern Körper durch die leichte Kleidung wie mit Messern schnitt, während zugleich die See über das ganze Schiff dampfte, als läge es unter dem Schaume eines Wasserfalles.
»Ich dachte an die Haie. So waren sie doch nicht umsonst dagewesen; von unseren sechzehn Mann fehlten schon elf, und wie lange konnte es dauern, dann hatten sie uns fünf auch zwischen ihren Zähnen. Das war nun gerade kein pläsierlicher Gedanke, aber ich hoffte, wenigstens vorher zu ertrinken und dann pfiff ich auf sie. Ich war zwar ein guter Schwimmer, aber in solcher See mit masthohen steilen Wänden, da kann auch der beste Schwimmer nichts machen; der erste Brecher schlägt ihn tot und sendet ihn auf den Grund.«
Fölsch unterbrach sich, langte nach der Theekanne und schenkte sich den zweiten halben Liter ein, diesmal aber mit einem Haufen, und trank ihn mit einer Seelenruhe aus, als ob er die gleichgültigste Geschichte erzählte, während er ein furchtbares Naturereignis schilderte, dem die Seejunker mit verhaltenem Atem lauschten und das er selbst erlebt haben mußte, um es so getreu beschreiben zu können.
»Wenn man das viele Sprechen nicht gewohnt ist,« sagte er dann, »wird einem die Kehle trocken und man muß sie etwas anfeuchten. Aber das muß wahr sein,« fügte er schmatzend hinzu, »der Thee ist wirklich gut, könnten Sie mir nicht davon ein halbes Pfund ablassen?«
»Jawohl, jawohl, Fölsch!« rief der als Messevorstand amtierende Kadett, um die entstandene Pause abzukürzen, »ich werde Ihnen morgen früh nicht nur ein halbes, sondern ein ganzes Pfund durch den Steward schicken, doch nun erzählen Sie, wie es weiter ging. Sie waren in einer schlimmen Patsche, aber wir möchten gern wissen, wie Sie durch den Hai gerettet wurden.«
»Ach,« fuhr Fölsch fort, »das dauerte noch eine ganze Weile, und vorher wurde die Patsche noch viel schlimmer für uns. Na, das Schiff mochte wohl so nahe eine Viertelstunde auf der Seite gelegen und wir an unseren Tauenden gehangen haben, wobei wir noch das große Glück hatten, daß wenigstens die gut gestaute Ladung nicht überging, weil wir sonst sicher vollständig gekentert wären, da ließ der Wind auf einmal ganz bedeutend nach, ja nach dem Vorhergehenden kam es uns ganz still vor, und die Bark richtete sich wieder auf.
»Wir schöpften Atem, dachten, die Bö wäre vorüber, der Steuermann krabbelte längs der Verschanzung nach hinten an das Ruder, um das Schiff vor den Wind zu bringen, aber kaum hatte er das Steuerrad gedreht und die Bark war um ein paar Striche abgefallen, da sauste und brauste und donnerte und brüllte es rings umher, und unmittelbar nachher folgte ein Krachen und Splittern, daß wir unwillkürlich die Augen schlossen, weil wir dachten, das jüngste Gericht und unsere letzte Stunde sei gekommen, aber als wir sie wieder aufmachten, da wurde uns auf einmal alles klar.
»Unsere sämtlichen drei Masten waren über Bord, aber nicht abgebrochen, sondern durch den furchtbaren Wind, der sich diesmal, Gott weiß wie, von unten in die Marssegel gesetzt, aus dem Schiff gehoben und klipp und klar über die Seite geweht, so daß nur noch einige nicht gebrochene Wanten sie am Rumpfe festhielten.
»Ja, das scheint Ihnen mal wieder merkwürdig, junge Herren,« schaltete Fölsch ein, als er an den Mienen seiner Zuhörer merkte, daß ihnen bei den letzten Worten das Garn reichlich zäh erschien, »aber freilich hier auf der Weser kommt dergleichen nicht vor« – wieder ein Hieb – »und wahr ist es trotzdem doch. So ein Tornado nämlich, der weht nicht geradeaus, wie andere vernünftige Stürme, sondern krumm wie ein Schraubenzieher, und so hatte er die Masten aus dem Schiffe gedreht, wie einen Kork aus der Flasche. Das hat mir später einmal ein Schriftgelehrter, den wir als Passagier hatten, erklärt, wenn ich es Ihnen auch nicht wiedererzählen kann, weil es schon damals für mich etwas hoch war und ich es wieder vergessen habe.
»Nun, im ersten Augenblick,« nahm der Alte den Faden wieder auf, »sah die Sache bös genug aus; wir gaben keinen Dreier mehr für das Schiff und für uns selbst, aber sie machte sich dann doch besser, als wir fürchteten. Der Fockmast und das ganze Vorgeschirr trieben vor dem Bug, das Schiff drehte vor ihnen auf mit dem Kopfe in den Wind und gegen die See, und wir lagen nun vor einem richtigen Treibanker, an dem sich die schweren Seen brachen, so daß keine mehr überkam und das Schiff auf ebenem Kiel stand.
»Wir atmeten auf und fühlten uns vorläufig geborgen, dachten aber noch nicht daran, was eigentlich aus uns paar Mann werden sollte, wenn wir mit einem entmasteten Schiffe, das wir nicht reparieren konnten, mitten auf dem Ozean und in einer Gegend, wo nur selten Segler hinkommen, umhertrieben.
»Dieser zweite Stoß des Tornado dauerte ungefähr eine Stunde, dann war er über uns weggefegt: es wurde heller, Regen und Wind ließen schnell nach, und nach einer weiteren halben Stunde war alles vorbei.
»Der Himmel klarte auf, bald schien die Sonne ebenso heiß, wie vorher, und auch das schreckliche Rollen in der himmelhohen See, in der der Groß- und Besahnmast mit den Raaen donnernd gegen die Bordwand rannten, ließ allmählich nach, da sich das Wasser schnell glättete. Wir versuchten das Wrack zu klaren und kappten alles Tauwerk, um das Schiff von den Rundhölzern frei zu bekommen, weil wir fürchteten, daß sie die Planken durchstoßen würden.
»Während wir außenbords noch dabei beschäftigt waren, kam es mir plötzlich so vor, als ob das Schiff bedeutend tiefer im Wasser läge, als sonst. Ich sagte dies dem Steuermann, und dieser ging, um die Pumpen zu peilen. Kaum aber hatte er den Peilstock wieder heraufgeholt, da rief er: ›Schnell herein, Leute, wir müssen ins Boot, sonst sinkt uns das Schiff unter den Füßen weg; wir haben schon sechs Fuß Wasser im Raum.‹
»Na, Sie können sich denken, wie uns das auf die Beine brachte und wie schnell wir binnenbords sprangen. So hatten die Masten doch schon gethan, was wir verhüten wollten, und ein oder mehrere Löcher in die Seite gestoßen. Das backbordsche Seitenboot war bei dem Überlegen des Schiffes von der See fortgerissen, aber das steuerbordsche, die Gig, hing noch unversehrt an den Davids, und wir brachten es schleunigst zu Wasser. Mast und Segel waren glücklicherweise darin, auch ein leeres Bootswasserfaß, sonst aber nichts.
»Der Steuermann lief in die Kajüte hinunter und der Koch zur Kambüse, um noch etwas Proviant zu holen, aber ersterer brachte nur einen Schinken sowie einen Kompaß und letzterer etwas Schiffszwieback nebst eine paar Pfund von dem rohen Salzfleisch, das zu Mittag hatte gekocht werden sollen, und sie sprangen dann ins Boot, das wir andern drei indessen fertig gemacht hatten.
»Stoßt ab!« befahl der Steuermann, »das Wasser steht schon im Zwischendeck, das Schiff muß im Augenblick sinken, und wenn wir nicht fort sind, zieht uns der Wirbel mit hinunter!«
»Wir waren nicht faul mit dem Abstoßen und die Riemen auszuwerfen, aber noch waren wir nicht hundert Schritte gerudert, da senkte sich auch schon das Hinterschiff unter Wasser. Das Vorderteil stieg kerzengrade in die Luft und wir hörten einen furchtbaren Knall. Die im Raum durch das hereinstürzende Wasser zusammengepreßte Luft hatte die Luken gesprengt, die See drang von oben durch sie in das Innere, und nun dauerte es auch nur noch wenige Sekunden, dann war das Schiff in die Tiefe gesunken. Mit Zischen und Brausen schloß sich wirbelnd und schäumend das Wasser über ihm, und dann war alles still.
»So, da hatten wir es; fünf Mann in einem gebrechlichen Boote mitten auf dem Meere, hundert Seemeilen von der nächsten Küste und mit so viel Proviant, daß er kaum für zwei Tage reichte. Um das Bootswasserfaß zu füllen, dazu war keine Zeit mehr gewesen, aber glücklicherweise hatte der furchtbare Regen doch etwas Gutes gehabt. Es war so viel frisches Wasser im Boot, daß wir das Faß ganz füllen und uns im voraus noch einmal von dem satt trinken konnten, was stehen blieb und nicht mehr auszuschöpfen war.
»Freilich das Fäßchen langte auch nicht weiter als der Proviant, d. h. auf zwei, höchstens drei Tage. Das war eine böse Geschichte, aber wie ich Ihnen schon früher sagte, solange einem ordentlichen Seemann das Wasser nicht über die Nase geht, verliert er so leicht nicht den Mut, und wir thaten es auch nicht, saßen wir doch vorläufig trocken im Boot.
»Von dem Tornado war nur eine leichte südöstliche Brise geblieben; wir richteten den Mast auf, setzten Segel, und das Boot ging mit 4-5 Knoten Fahrt glatt durch das Wasser.
»Wenn es so blieb, konnten wir die hundert Seemeilen, welche wir vom nächsten Punkte der afrikanischen Küste entfernt waren, in vierundzwanzig Stunden ablaufen, und dann waren wir geborgen, das heißt, so dachten wir, aber der Steuermann nicht, und wir mußten ihm auch Recht geben.
»In jener Richtung ist kein Hafen. Er sagte, daß an der ganzen Küste schwere Brandung stände, und wenn wir auch glücklich durchkämen, ohne zu kentern und den Haien zum Fraß zu dienen, so würden wir entweder am Strande vor Hunger und Durst verkommen, oder die Neger uns fangen uns zuerst ausziehen und dann Beefsteaks von uns machen, das hätte aber vor den Haien wenig voraus.
»Nun, das leuchtete uns ein, und wir waren damit zufrieden, nach Sierra Leone zu gehen, obwohl es hundert Meilen weiter war. Ein Glück, daß der Steuermann an den Kompaß gedacht hatte, was sollten wir wohl ohne ihn angefangen haben!
»Bis zum Abend ging es ganz gut, dann aber schlief die Brise ein, und gegen Mitternacht wurde es ganz still. Wir wollten rudern, hatten aber Neumond, und es war so dunkel, daß wir die Kompaßstriche nicht mehr unterscheiden konnten und es aufgeben mußten, um nicht nach einer ganz verkehrten Richtung zu steuern. Wir versuchten zu schlafen, aber das war auf den scharfkantigen Bootsrippen auch kein Vergnügen, und am anderen Morgen waren unsere Knochen wie gebrochen.
»Die Stille hielt an; mit Hellwerden ruderten wir, aber es dauerte nicht lange. Als die Sonne kam, brannte sie wieder so, wie vor dem Tornado; Atem und Kräfte gingen aus, und der Schweiß strömte nur so von unseren Körpern. Das machte uns schon durstig genug, aber der Schinken und das rohe Salzfleisch noch mehr. Trotzdem murrten wir doch nicht über die schmale Ration Wasser, welche uns der Steuermann austeilte und die uns kaum die Kehle naß machte. Wußten wir doch nicht, wie lange wir damit aushalten mußten, aber Nachmittag quälte uns der Durst entsetzlich und wir fühlten, wie unsere Kräfte immer mehr abnahmen.
»Am andern Tage blieb es ebenso still und heiß und auch am dritten. Morgens und abends ruderten wir, solange wir konnten, kamen aber nur ein paar Meilen vorwärts. Am dritten Tage mittags war trotz größter Sparsamkeit das letzte Tröpfchen Wasser verbraucht, ein bißchen Salzfleisch noch vorhanden, aber wir nahmen es nicht, es brannte wie Feuer im Munde.
»Wir verbrachten eine elende Nacht: der anbrechende Morgen war um nichts besser, die Wasserfläche wie ein Spiegel, am Himmel keine Wolke und die Sonne heiß, ach wie heiß! Als ich meine Kameraden ansah, erschrak ich; der Tod schien ihnen auf das Gesicht geschrieben, so verfallen und bleich sahen sie aus, der Steuermann am meisten. Er saß hinten am Ruder, ganz zusammengesunken mit dem Kopf aus der Brust und ohne sich zu rühren. Zuerst dachten wir, er sei tot, aber er war nur sterbensmatt.
»Ich fühlte mich von allen noch am kräftigsten, obwohl sich mir auch die Kehle zuschnürte. Ich kletterte mit Mühe auf eine Ducht, hielt mich am Mast fest und suchte den Horizont ab, zuerst im Osten, aber die Sonne glühte wie heißes Eisen in meinen Augen, ich wurde ganz geblendet und mußte die Hände vor das Gesicht halten, bis ich wieder etwas sehen konnte.
»Zugleich packte mich aber auf einmal ein so schrecklicher Durst, daß ich es nicht beschreiben kann. Ich glaubte, ich müßte sterben und wurde so schwindelig, daß sich alles mit mir rundum drehte. Nun es ging bald vorüber, aber ich sage Ihnen, junge Herren, jedesmal, wenn ich daran zurückdenke, schauert's mich noch, obwohl es dreißig Jahre her ist, und ich bekomme dann solchen Durst, daß ich schnell trinken muß, weil ich sonst ganz schwach werde.«
Bei diesen Worten griff Fölsch nach der Theekanne, goß sich einen dritten halben Liter in die Tasse und leerte sie in einem Zuge. Diese rechtzeitige Hilfe schien die ihm drohende Schwäche wirklich zu verjagen, und offenbar erfrischt spann er sein zähes Garn weiter.
»Nun wie gesagt, ich erholte mich wieder und hielt nochmals Ausguck nach Westen, wo die Sonne nicht so blendete. Von Schiffen sah ich zwar nichts, ebensowenig wie im Norden und Süden, aber plötzlich bemerkte ich einen treibenden und kaum tausend Schritte entfernten Gegenstand. Ich konnte zuerst nicht ausmachen, was es war, und sah nur, daß es einen Schatten auf das blanke Wasser warf und dieses rippelte, als ob es eine Stromkabelung wäre.
»Dafür hielt ich es dann auch und sagte anfänglich nichts davon, behielt es aber unwillkürlich im Auge, und da merkte ich nach kurzer Zeit, daß es sich ziemlich schnell näherte, obwohl unser Boot totenstill lag. Strömung konnte es also nicht sein, weil wir sonst auch mit ihr vertrieben wären und von dem Dinge hätten gleichweit abbleiben müssen.
»Nun wurde ich aufmerksam und sagte es den Kameraden. Es kam immer näher, gerade auf das Boot zu, und bald zeigte es sich auch, was es war – eine etwa zwanzig Fuß lange Spiere.
»Das war ja nun nichts Besonderes, und dergleichen Gegenstände sieht man oft auf See treiben, aber, was uns ganz verdutzt machte, war, daß das Holzstück sich offenbar mit ziemlicher Fahrt von selbst durch das Wasser bewegte, denn von den Duchten aus sahen wir ganz deutlich in der spiegelglatten See, wie das vordere Ende kleine Schaumwellen wie Bugwasser machte und das hintere einen rippligen Kielwasserstreifen zog.
»Die Sache erschien so wunderbar und unerklärlich, daß sie uns auf das höchste aufregte. Wir vergaßen Hunger und Durst, und selbst der Steuermann schien neues Leben zu bekommen. Er richtete sich auf und schaute mit uns auf die merkwürdige Geschichte, die noch schreckhafter wurde, als die Spiere auf etwa hundert Schritt Entfernung plötzlich ihre Fahrt stoppte und dann, ohne sich zu rühren, still auf dem Wasser lag. Was konnte das nur sein, es war wie ein Spuk.
»Nehmt mal ein paar Riemen bei und rojet etwas aus, damit wir sehen, was es ist,« sagte der Steuermann.
»Wir thaten so, und wenige Schläge brachten uns in die Nähe des geheimnisvollen Holzes, aber wie erschraken wir, als der vorn über den Bug schauende Koch plötzlich angstvoll ausrief: »Streicht, streicht, Leute, um Gotteswillen, unter der Spiere liegt ein mächtiger Hai!«
»Na, Sie können sich denken, wie schnell wir die Gig rückwärts gehen ließen, um aus dem Bereich seines Schwanzes zu kommen. Der Hai rührte sich aber nicht, sondern blieb auf derselben Stelle liegen, und als der erste Schreck überwunden war, trieb uns die Neugierde, ob die Bestie etwas mit der Spiere zu thun habe, doch wieder, näher heranzugehen, wenngleich wir vorsichtig noch zehn bis fünfzehn Schritt ab blieben.
»Das Wasser war jedoch so klar wie Glas, und so konnten wir von dort genau sehen, wie die Geschichte zusammenhing. Richtig! Der Hai war an der Spiere fest, aber auf eine ganz merkwürdige Weise.
»Ich habe Ihnen schon vorhin erzählt, welche Kurzweil aus den Schiffen mit den Haien, die man fängt, meistens getrieben wird. Nun dies war keiner von denen, die wir an dem Tornado unter unseren Fingern gehabt, aber er mußte vor nicht langer Zeit auf einem andern Schiffe gefangen sein, wo sie ihm ähnlich mitgespielt hatten. Bei uns war einigen ein spitzer Bolzen zwischen die Kiefern auf und nieder geklemmt, diesen aber hatten sie richtig aufgezäumt wie ein Kutschpferd und ihm die lange Spiere als Wagen angeschnallt. Wissen Sie aber wie?
Eine dicke Eisenkette war ihm wie eine Zaumstange quer durch den Rachen gezogen und ihre beiden Enden waren straff an einem Tauwerk Stropp festgemacht, den man hinter seinem Kopf um den Hals gelegt hatte, so daß er nicht abschlippen konnte, und an diesem befand sich wieder eine längere Leine, an der die Spiere schleppte. Ich muß sagen, das war eine neue, aber gute Methode. Der Kerl konnte nun nicht mehr zubeißen und mußte die Spiere bugsieren, deren Größe ihn am Tauchen hinderte, und die, wie eine Boje, stets anzeigte, wo er war.
Als wir dahinter gekommen waren, wie es stand, brauchten wir uns seinetwegen nicht mehr so große Sorge zu machen, um so weniger, als er noch immer ganz still lag und wahrscheinlich müde war. Wir sahen uns die Sache noch eine Weile an, dann aber sagte der Steuermann:
»Geht an die Riemen, Leute, dies bringt uns nicht vorwärts, und die Spiere können wir nicht gebrauchen. Schaut doch einmal voraus, ich kann es nicht mehr recht unterscheiden, meine Augen thun mir so weh, aber mir kommt es so vor, als ob dort im Norden das Wasser dunkler wird und eine Katzenpfote darüber liefe; vielleicht kommt endlich etwas Wind.«
Ich stieg wieder auf die Ducht und sah wirklich einen schwarzen Streifen, aber es mußte sehr flaue Brise sein, denn weißen Schaum vom Überköpfen der Wellen konnte ich nicht bemerken, und bei glattem Wasser kommt so etwas sehr schnell. Schon wollten wir die Riemen in die Hand nehmen; da schoß mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf.
»Wie wäre es, Steuermann,« rief ich, »wenn wir das Boot an der Spiere fest machten und uns von dem Hai schleppen ließen. Er ist richtig aufgezäumt, und da könnten wir es einmal mit dem Fahren versuchen. Dies müßte ein Hauptspaß werden und kann uns retten. Wenn wir ihn etwas kitzeln, dann reißt er sicher aus wie Schafleder und schleppt uns wie der Teufel irgend wohin, sei es näher an die Küste oder in ein Fahrwasser, wo Schiffe sind.«
Dieser Vorschlag leuchtete allen sofort ein und sie wurden auf einmal so munter, als hätten sie sich eben satt gegessen und getrunken.
»Fölsch,« sagte der Steuermann, »Ihr seid doch ein Hauptkerl. Jawohl, das wollen wir versuchen; Besseres können wir ja gar nicht thun. Macht die Bootsfangleine am Ende der Spiere fest, aber seid vorsichtig, daß ihr nicht zu nahe herangeht, es könnte sonst ein Unglück geben.«
Gesagt, gethan! In kürzester Zeit hatten wir das Hintere Spierenende mit dem Bootshaken herangeholt, die Leine an ihm gut festgemacht, und die Sache konnte losgehen.
Nun kam es aber darauf an, dem neuen Seepferde, das noch immer ganz still lag, die Sporen zu geben, aber wie? Noch näher heranzugehen, so daß wir den Hai mit einem Riemen erreichen konnten, durften wir nicht wagen, das war zu gefährlich, und ein Schwanzschlag konnte uns den Garaus machen.
»Wir wollen einmal versuchen, ihm einen Schreck einzujagen,« sagte ich, »alle zusammen schreien und mit den Riemen auf das Wasser schlagen; ich weiß, daß man sich die Bestien bisweilen damit vom Leibe halten kann, wenn man über Bord gefallen ist und tüchtig mit den Beinen strampelt.«
Wir nahmen also die Riemen hoch, ließen sie auf das Wasser fallen und schrieen gleichzeitig aus allen Kräften. Das wirkte gehörig, und ein Schreck fuhr ihm mächtig in die Glieder. Es folgte ein toller Schwanzschlag, daß trotz der Entfernung das Wasser bis in unser Boot spritzte und dann ging's los. Teufel und Pumpstock! War das eine Fahrt, dreißig Knoten wenigstens – na, vielleicht auch ein bischen weniger!
So etwas hatten das Boot und wir noch nicht erlebt; wir mußten schnell nach dem Hinterteil flüchten, damit sich der Kopf hoch aus der See hob, sonst wären wir untergeschleppt, und es war ein großes Glück, daß wir im Wasser waren, sonst hätte sich die Gig sicher in Brand gelaufen, denn sie fing schon an zu rauchen.
Hui! wie sausten wir dahin, daß der Gischt immer wie ein Schneetreiben über das Boot dampfte, wir durch und durch naß wurden und der Wind von der schnellen Fahrt uns wie eine doppelt gereffte Marssegelkühlte nur so um die Ohren pfiff.
Aber wie schön war das auch bei der brennenden Sonnenglut und wie erfrischend es wirkte! Wir lebten förmlich wieder auf, der Durst quälte uns lange nicht mehr so, das machte das Sitzen in der steten Nässe, damit drang Feuchtigkeit in unsere Körper.
Aber noch etwas anderes, Glücklicheres sollte passieren, das alle Not von uns nahm, wenigstens für die nächsten vierundzwanzig Stunden, und uns einen Teil der verlorenen Kräfte wieder gab.
Sie wissen, daß in den warmen Gegenden das Meer von fliegenden Fischen wimmelt, die aber nur über Wasser kommen, wenn sie von anderen Raubfischen verfolgt werden oder das Geräusch eines segelnden Schiffes sie aufschreckt. Nun, der Hai mußte wohl mit seiner tollen Fahrt in eine große Herde von ihnen geraten sein, denn plötzlich erhoben sie sich wie eine dichte Wolke, schwirrten nach hinten, und verschiedene Dutzend von der Größe eines kleinen Herings fielen in unser Boot.
Wie wir aufjubelten und wie die Wölfe darüber herfielen, um sie roh zu verschlingen! Ach, war das eine Wohlthat und Hilfe in der ärgsten Not! Das frische Fleisch der Fische stillte den Hunger, ihr Blut und die Feuchtigkeit in ihrem Leibe den Durst.
Wir hätten gleich gern alle Fische verzehrt, aber vernünftiger Weise setzte der Steuermann ein Stopp davor und nahm die Hälfte für den nächsten Tag in Verwahrung; wer wußte, wie nötig wir sie dann vielleicht brauchten.
Inzwischen ging unser Seepferd in gestrecktem Galopp immer weiter, als ob der Teufel es ritte, und noch viel toller, aber es steuerte verdammt wild und gierte schrecklich nach beiden Seiten. Bald lag der Hai Süd, bald Nordwest an und wir hatten genug zu thun, um mit dem Boote in seinem Kielwasser zu bleiben, aber im Mittelkurs hielt er doch immer westlich, und es war uns gerade recht, denn damit brachte er uns näher an die große Fahrstraße der Schiffe. Dann und wann machte er Miene, die Segel zu kürzen, weil ihm wohl etwas der Atem ausgehen mochte, aber wir ließen ihn nicht dazu kommen, und wenn wir mit den Riemen aufs Wasser schlugen, dann raste er immer wieder vorwärts.
Nachmittags sprang eine flaue Brise auf, die allmählich mehr auffrischte, und so waren wir anscheinend wenigstens aus den vermaledeiten Windstillen heraus, aber Segel setzten wir natürlich nicht, es ging so schon schnell genug vorwärts und dahin, wohin wir wünschten.
So fegten wir bis ungefähr zwei Stunden vor Sonnenuntergang durch das Wasser und mußten seit morgens früh schon wenigstens hundert Seemeilen abgelaufen haben, da rief einer von den Leuten plötzlich »Ein Schiff, ein Schiff!« und nie hat Musik schöner in unserem Ohr geklungen als dies Wort.
Ja, da war es in Nordwest; seine Bramsegel kamen eben über Wasser, aber es wuchs schnell heraus, und nach kaum einer Stunde konnte man das Unterschiff sehen. Es steuerte mit nördlicher Brise Nordost beim Winde, und wir zitterten bei dem Gedanken, daß der Hai uns zu weit nach Westen schleppen würde. Loswerfen durften wir noch nicht, wir hätten sonst müssen in den Wind aufrudern. Die Nacht stand vor der Thür, wir waren noch zu weit ab, um von dem Fremden gesehen zu werden, und hätten ihn nicht erreicht.
Aber wir sollten nun einmal Glück haben und es kam anders. Unser Hai gierte plötzlich nicht mehr um den halben Kompaß. Sehen können diese Thiere nicht viel, aber sie riechen ein Schiff auf zehn Meilen. Er mußte dies auch gerochen und sich überlegt haben, daß er uns am schnellsten los werden würde, wenn er uns zu ihm lotste, denn er legte plötzlich sein Ruder backbord, hielt auf den Segler ab und steuerte so genauen Kurs, als ob er einen Kompaß vor und einen Quartiermeister neben sich gehabt hätte.
Nun, er brachte uns glücklich bis auf tausend Schritte heran, dann aber schien er sich auf einmal anders zu besinnen, ging über den anderen Bug und sauste mit womöglich noch tollerer Fahrt direkt nach Süden.
Jetzt aber pfiffen wir auf sein Manöver, kappten die Fangleine und ließen ihn mit seiner Spiere allein weiter dampfen, indem wir ihm zum Danke für seine freundlichen Dienste zum Abschiede noch drei Hurrahs mit auf den Weg gaben.
Der Fremde, ein Schwede, hatte uns inzwischen gesehen und backgebraßt, um uns zu erwarten. Wir griffen zu den Riemen, strichen aus, was das Zeug halten wollte, und in einer Viertelstunde waren wir am Bord.
Als wir an Deck geentert waren, stand die Mannschaft mitschiffs und blickte uns halb neugierig, halb ängstlich an – kaum, daß sie uns guten Tag bot. –
Nun, es war auch kein Wunder, wir sahen wohl ziemlich bös aus. Wenn man einen Tornado durchgemacht, erst die Masten und dann das Schiff verloren, vier Tage mit fünf Mann von ein paar Pfund rohem Salzfleisch hat leben müssen, vor Durst halb wahnsinnig geworden und dabei von der Sonne gebraten ist, dann sieht man wohl eher Gespenstern als lebendigen Menschen ähnlich.
Vor allem war es aber ein anderer Umstand, der die Schweden kopfscheu machte. Sie hatten gesehen, wie wir ohne Ruder und Segel mit Teufelsfahrt im Boote herangesaust kamen, nur mit einer Spiere vor dem Bug – dies ging über ihren Verstand. Sie hielten uns für Hexenmeister und wollten es zuerst gar nicht glauben, als wir ihnen den Hergang erzählten, und doch hatten sie es alle selbst mit angesehn!
»Ja, ja, junge Herren« beendete Fölsch sein Garn, »wie ich Ihnen schon gesagt habe, es passieren wunderbare Sachen auf der See, von denen man sich hier auf der Weser nichts träumen läßt, und wie schon gestern haben Sie heute wieder eine davon gehört. Sie klingt zwar etwas unwahrscheinlich, ist aber dafür desto merkwürdiger«, wobei der Alte sich den Rest des Thees in die Tasse und dann mit Wohlbehagen hinter die Binde goß.
»Da haben Sie recht, Fölsch« äußerte der zweifelsüchtige Kadett Martin, um sich für die erhaltenen kleinen Seitenhiebe zu rächen »sie ist beides, aber es bleibt doch schade, daß unser Arrest morgen früh schon zu Ende ist, ich hätte gern noch mehr von der Sorte gehört.«
»Ich auch« stimmte der Messevorstand bei, »aber vielleicht bietet sich für einige an und bald wieder Aussicht auf vierundzwanzig Stunden Kabelgat, und dann setzen wir es fort. Nicht wahr, Fölsch? Jedenfalls schicke ich Ihnen aber morgen früh das versprochene Pfund Thee, Sie haben es redlich verdient.«
Der Bootsmannsmaat zog verständnisvoll sein Gesicht, das so wie so schon wie zerknittertes Pergament aussah, in noch krausere Falten.
»Nun, wenn es so kommen sollte, wie Sie denken« erwiderte er lächelnd, »dann spinne ich Ihnen noch ganz gern ein anderes Garn. Wenn man soweit in der Welt herumgekommen ist, wie ich, dann erlebt man so mancherlei. Aber nun muß ich doch bitten, daß Sie zur Koje gehen und leise durchs Zwischendeck kriechen, damit der Wachthabende nichts merkt. Es hat eben sechs Glas geschlagen (11 Uhr) und der Bootsmann schon vor zwei Stunden gepfiffen »Feuer und Lunten aus, Ruhe im Schiff!« ich käme sonst in Teufels Küche.«
Die Kadetten verabschiedeten sich mit bestem Dank, schlüpften vorsichtig in ihre Hängematten, und bald wurde die Stille im Schiff nur hier und dort durch ein mehr oder minder kräftiges Schnarchen der Schläfer unterbrochen.