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In sechs Aufzügen
*
Endlose Schnee-Ebene
Thamal
kommt in abgerissenen Kleidern, todmüde:
Sind sie mir auf den Fersen? Flieh ich weiter?
Kein Baum, nur Raum, nur Raum, nur Raum vor mir!
Und was ist Raum? Was unsere fletschende Gier?
Leerfraß! O Raum voll Reue, zugeschneiter!
Wenn sie mich doch nur fingen,
Mich köpften oder hingen!
Nur dieser Schnee soll mich nicht verschlingen!
Richtet sich auf.
Schneemann (Mönch) tritt auf mit zerbeultem Zylinder und Rute.
Thamal
tritt ihm in den Weg:
Hilf mir!
Schneemann:
Wozu? Da nach den Veden droht
Unrettbar dir der Sturz von Tod zu Tod!
Thamal:
Mich friert!
Schneemann:
Im Denken liegt das Weltall, sagt der Weise.
Drum denkend wärme dich und denkend speise!
Thamal:
Ist das der ganze Trost?
Schneemann:
Ja! Und ein nasser,
Bestehend aus Zitaten
Er schüttelt sich, daß der Schnee aufstäubt.
und aus Wasser.
Thamal:
Nenn dich!
Schneemann:
Ich bin der Unbedingte, Nackte,
Der Wesentliche, ganz und gar Abstrakte.
Ich hasse alles Sinnenhafte, wiß es!
Und
reime heut nur wegen Kompromisses.
Ich bin schwarzweiß, das Bunte ist mir Greul,
Was diatonisch schwingt ein Urgeheul,
Das zu bekämpfen ich des Amtes walte,
Zu fördern alles Kalte, Reingeballte.
So zieh von Ost nach West ich meine Spur.
Mit Selbstgefühl. In Deutschland such ich eine Professur!
Thamal:
Für Mathematik?
Schneemann:
Nebenbei!
Vor allem für Musik und Malerei.
Thamal
frostschlotternd:
Hilf mir von hier!
Schneemann: Nein!
Er wirft Thamal den durchlöcherten Zylinder zu.
Doch zu diesem Hute
Schenk ich dir noch was!
Er überreicht ihm die Schneemann-Rute.
Thamal: Eine Rute?
Schneemann
beleidigt:
Rute? Das Geistige, das kahle Absolute,
Den Tod des Ornaments, das reine Wesen,
Den Weltextrakt, die neue Kunst ...
Gleitet zauberhaft fort.
Thamal
wirft ihm wütend Rute und Zylinder nach:
Brrr! Besen!
Thamal
nach einer Pause:
Als Er noch mit mir lebte, wie voll Schwung
War jeder Tag und voll Eroberung!
Er blies und fachte meine Seele an,
Er ließ mich schweben über Wie und Wann!
Rausch war der Morgen, jede Nacht ein Fest,
Und ich war Sturm. Was bin ich heute? Rest
Im dreckigen Glas eines Saufbolds nur,
Waschwasser einer ausgebrauchten Hur,
Ein abgestanden Nichts, verfolgt, zerlumpt,
Des Galgens Beute alt und ausgepumpt,
Ein Winkelding verspinnwebt und verstaubt,
Ein Fünkchen, das sich nicht das Glimmen glaubt!
Und nur Verfolgung, Feinde, Polizei,
Frost, Hunger, Schnee und Wüsten-Einerlei!
Mit Leidenschaft.
Komm, du mein Bruder, Engel und Prophet!
Komm, rette mich! Noch ist es nicht zu spät.
Man hört Schellengeklingel und Pferdegetrappel. Ich höre Sporen klirren, Pferde traben, Ich bin entdeckt – so mögen sie mich haben!
Eine Schlittentroika mit hellem Geschelle und Knallen hält knapp vor Thamal. Spiegelmensch kutschiert. Im Fond, wohlverpackt, sitzen die drei Bewunderer und Fisillih. Es ist bemerkenswert, daß die Bewunderer ihre bisherigen Literatur-Hornbrillen mit dem Monocle vertauscht haben.
Thamal
auf den Knien:
O allgewaltiges Schicksal! Tränen! Glück!
Du bist's, Ersehnter? Kehr zu mir zurück!
Spiegelmensch
peitschenknallend:
Was willst du, undevot zerfranztes Vieh?
Merk dir's, du sprichst mit einem Herrn Marquis!
Thamal:
Schlag mich nur! Ich verdiene jeden Schlag.
Ich bin gerettet. Benedeiter Tag!
Spiegelmensch:
Jetzt aus dem Weg!
Thamal: Gnade! mein Augenlicht!
Spiegelmensch:
Den Weg gib frei!
Thamal:
Erkennst du mich denn nicht?
Spiegelmensch
zur Schlittengesellschaft:
Caramba! Meine Herrn – hier der Falott,
Ich find's charmant – ist der Cholshamba-Gott.
Erster Bewunderer:
Ah! Du warst der Hysteriker, mein Sohn?
Zweiter Bewunderer:
Ich dachte längst dich hingerichtet schon.
Erster Bewunderer:
Der Spaß war gut, jetzt bist du ausgeglitscht,
Und hast dich, scheint es, zum Tolstoi verkitscht.
Zweiter Bewunderer:
Das ethisch kommunistische Gesöff
War gestern schon ein abgestandner Bluff.
Dritter Bewunderer:
Nach Osten blickt nicht mehr der echte Snob,
Und »primitiv« ist heute nur der Mob.
Zweiter Bewunderer:
Darum, wer mit uns radikal und kraß,
Der rutscht nach rechts und redet nur von
race!
Merk dir den Gratis-Tip!
Thamal: Wagt ihr zu lästern,
Die ihr mich selbst zum Gott habt ausposaunt?
Spiegelmensch:
Mein Freund! Ich sehe, du bist schlecht gelaunt.
Zu den andern. Wie peinlich sind die Größen doch von gestern!
Zu Thamal. Jetzt, weg da!
Thamal: Nein! Ich laß dich nicht von mir!
Spiegelmensch:
Willst du die Peitsche kosten, dummes Tier?
Thamal:
Du bleibst!
Spiegelmensch knallt: Nun bin ich bald erbost.
Thamal
außer sich:
Ich fahre mit!!
Spiegelmensch: Du bist wohl nicht bei Trost!
Gemütlich. Ich bin nicht herzlos. In einem anderen Fall
Lad ich gerne einen auf, der müd ist und friert.
Aber heute geht's auf den Adelsball.
Du siehst, wir sind alle fein ausstaffiert.
Der Ball ist politisch wichtig für mich,
Denn heute abend entscheidet es sich,
Ob ein allerhöchstes Herz für mich brennt.
Geht's gut, bin ich morgen Prinzregent.
Also apage!
Thamal:
Nicht einen Schritt vom Ort!
Spiegelmensch:
Bedaure, dann muß ich über dich fort.
Er überfährt ihn.
Thamal
erhebt sich:
Aufhalten! Warten! Ah! Zu spät! Vorbei!
Er setzt sich verzweifelt.
Schneeöde um mich! In mir Wüstenei!
Es beginnt zu schneien.
Die Flocken schläfern dicht um mein Gesicht.
Woher die Wärme plötzlich, dieses Licht?
Ist meine Seele noch nicht ganz verzehrt?
O Glorie, die mich durchglänzt, durchklärt!
Ich höre dich und ich versteh dich, Schnee!
Der Name, den du rieselst, heißt Ampheh! –
Der Schneefall wird immer dichter.
Das Paradox der Welt enträtselt sich.
Als ich dich hatte, liebte ich dich nicht.
Nun, da ich dich verlor, du Duft, du Licht,
Du Unerreicht-Entrücktes, lieb ich dich.
Mensch, nur in Trümmern liegend, siehst du Gott,
Und lieben lernst du, Schuft, erst im Bankrott.
Doch ach, aus dieser Liebe löst sich los,
Der Schmerzensdrang zurück zum finstern Schoß.
Steht auf, taumelnd.
Wie meine Liebe in mir wächst! – Geschwind –
Auf, auf! – Ich finde sie – sie – und mein Kind.
Ich liebe! – Auf, zum Friedensort der Welt!
Unendliches Gestöber.
Ich kann nicht! Schnee, Schnee weht, flockt, fällt!
Legt sich in den Schnee.
Das ist das Ende! Gott! Ich bin bereit. –
Musik von allen Seiten wellt, –
Und süß-geheime Opernhaftigkeit
Des Todes steigt – steigt bis zum Rand:
Orchester – Stimmen – Bässe ...
Yado
steht plötzlich da. Er trägt einen riesigen Stock:
Ich bin gesandt!
Thamal:
Du Yado! – Kinderschlaf – und tote Zeit ...
Wer schickt dich?
Yado: Er!
Thamal: Lebt??!
Yado: Alles lebt.
Thamal
wie aus Schlaf: Welt-Dunkelheit!
Haßt er mich?
Yado: Liebt dich! Pocht – in – deinem Blut!
Thamal:
Was will er?
Yado: »Yado! Sei – so – gut«,
So sagt – er – »trag – den – Jungen – fort,
Er – ist – dumm – friert – trag – ihn – zum – warmen – Ort!« –
Thamal:
Mein Opfer sorgt für mich noch über's Grab.
Yado:
Das – ist – der – Auftrag, – den – der – Herr – mir – gab.
Thamal:
Du trugst mich ja so oft. – Ich war ein Kind – –
Yado
kniet:
Hoppla! – – Da! – Steig – auf! – Geschwind!
Thamal
setzt sich auf seine Schulter:
Sag, Treuer, tust du's gern?
Yado:
Bin – Knecht – und – muß!!
Trägt Thamal durchs Gestöber. Singt mit stoßweisen Baßtönen.
Ein – Fährmann – trug – das – Kind – über – den – Fluß ...
Er – hieß – er – hieß ...
Man hört nichts mehr.
Über die Bühne vom Vordergrund zum Hintergrund läuft eine Allee. Zu beiden Seiten Grabmäler. Ziemlich entfernt ein offenes Grab. Rechts und links, den Bühnenausschnitt flankierend, verfallenes Mauerwerk. Rechts an der Mauerruine hocken Bettler, links Aussätzige und Krüppel. Thamal kommt von rechts.
Bettlerkönig
ihm nachschimpfend:
Wir brauchen keinen Kiebitz, mein Sohn!
Die Bettel-Legitimation
Wird nicht erworben mit einem Schlag,
Kein Handwerk erlernt sich an einem Tag.
Hier ist jeder Posten und Platz angestammt
Und redlich erdient in Arbeit und Amt,
Nach Conduit, Rangsklasse und Stufenleiter.
Hier bettelt kein Neuling! Hörst du? Mach weiter!
Die Bettler lachen.
Thamal:
Ich will nicht betteln, –
Bettlerkönig
höhnisch:
Was man nicht erkennt ...
Zu den andern. Aha! Er ist Gymnasialsupplent.
Thamal
flieht nach links.
Zu dieser Gottheit ein Gehet?
Und dies Gebet, wer tut es nicht,
Ob Eintagsfliege, ob Asket?
Ja selbst die Zeit, die Fuß bei Fuß
Vorwärts in allen Uhren trabt,
Phlegmatisch, gähnend, unbegabt;
Sie tut's aus
Hoffnung auf Genuß!
Dringt etwas vor. Bebend vor lüsternem Wissen.
Wie? Selbst vernichten willst du dich jetzt?
Und doch hat der genialste Genuß
Des Lebens dich nie bis ins Letzte entsetzt.
Hast du je ein Hündchen
gequält, je ein Kind
Gelockt am Abend zu einem Fluß?
Wortschlürfend.
Wie da in den Augen, den leichten, die lind
Und dumpfen Zutrauns sich auf dich richten,
Die Angst, die Angst, die Angst aufgrellt,
Und du fühlst: Ich kann die Welt
In diesen lieben Augen vernichten!!
Wenn wegloser Krämpfe Schrei auf Schrei
Sich dann in die mordenden Küsse mischen,
Müssen die Tiefen des Lebens aufzischen,
Und Nadir-Erkenntnisse werden frei,
Die kein Feiger nennt:
Lustmord als heiliges
Sakrament!
Und
Weltvernichtung statt
Selbstvernichtung
Als Opfer-Ekstase und Gottes-Auflichtung!
Thamal
tritt zu dem Mann, reißt ihm Kapuze und Maske ab, und man gewahrt die Physiognomie von Spiegelmensch:
Du?! Ich!
Mann vergeht in der Wand.
Weib taucht im selben Nu aus einer anderen Stelle der Wand hervor. Sie ist blond, üppig, und trägt nichts als einen dichten Schleier.
Weib:
Da bin ich!
Thamal: Du?!
Weib: Ich bin
das Weib,
Und zwar
dein Weib. Denn im gesamten All
Bin ich der göttlich angepaßte Leib
Für dich. Wir sind der
reine Fall,
Der nie sich in der Sterblichkeit begibt.
So wie wir lieben werden, hat geliebt
Das
eine Paar nur
vor dem Sündenfall.
Was er verhieß, war nur Genuß,
Doch wenn wir kosten
unsern Kuß,
Erschließen sich geheimste Harmonien
Im Augenaufschlag aller Dinge zart. –
Wir aber – leichtes Zwie-Gewölke – ziehn
In unbewußter Fahrt
Über die Tiefen ohne Zahl.
Vorbei ist Schuld und Qual,
Das trübe Hassen,
Das aus der Irrtum-Hölle schwelt,
Wenn Mann und Weib nicht
ineinander passen
Fühl mich!
Thamal: Dein Duft beseelt
Seltsam, wie ganz vergangene Heimat.
Weib
breit wie eine Wagnersche Phrase:
Du Fliehst mit mir ewiger Wollust zu!
Thamal:
Hinweg Verzauberung! Meine Seele spricht
Den
anderen Namen!
Weib:
O verstoß mich nicht!
Leise.
Weißt du denn nicht? Noch warten goldene Zonen,
Das Süd-Licht rollt durch Palmen-Avenuen.
Du wirst mit mir in grellen Häusern wohnen,
Lust-Scheiterhaufen, die uns nie verglühn.
Wenn schlaff wir ruhn auf flutenden Terrassen,
Wird sich Orchester-Wonne niederlassen,
Wie Tiefsee-Fische schlafen wir im Grund
Der Weltmusik, befriedigt, schwebend, bunt!
Thamal:
Weib! Du bist unfruchtbar.
Weib: Das wirst du nie bereun,
Ich bleibe ewig schön, dich zu zerstreun.
Thamal:
Nenn dich!
Weib: Versinke ewig in mein Licht!
Thamal:
Die Larve lüfte! Zeig mir dein Gesicht!
Weib:
Noch nicht! Noch nicht! Oh, schone unsern Traum!
Thamal:
Zeig dein Gesicht mir! Oder – aus dem Raum!
Weib:
Zerstör dein Glück nicht!
Thamal
reißt ihr die Maske weg:
Da und da!
Weib trägt das Gesicht von Spiegelmensch.
Thamal:
Du, du und wieder du!
Weib zergeht.
Thamal: Ich wußt es ja!
Schließer
kommt:
Ein Bettelmönch und Beichtiger ist hier,
Dich durch Gebet zu stützen in der Frühe.
Thamal:
Verwünschte Schatten alle ihr!
Zudringlich dünkt mich eure Mühe.
Laßt sterben mich allein!
Schließer:
Zu spät! Da tritt er selbst herein.
Ab.
Bettelmönch er trägt Kutte, Kapuze, Strick und langen Stock. Ohne Thamal zu beachten, spuckt er dreimal in alle Ecken des Raumes.
Thamal
kopfschüttelnd:
Was spuckst du, Teufel, in alle Ecken?
Bettelmönch:
O Lieber, sei still! In den Ecken verstecken
Und kräuseln sich Nebel von tausend Toden.
Durch meinen Speichel und meinen Odem
Will ich sie beschwören und niederstrecken,
Daß sie uns allzufrüh nicht verderben!
Thamal:
Wozu das? Ein Stündchen noch, und ich muß sterben.
Bettelmönch
winselnd und tremolierend:
Du würdest solch Wort viel peinlicher wägen,
Wärst du wie ich schon im Grab gelegen.
Thamal:
Was soll das?
Bettelmönch:
Als scheintot zur Ruhe gebracht,
Bin ich in einer unseligen Nacht
Mitten im Massengrab aufgewacht.
Seit jener Stunde weiß ich so viel,
Doch schnell jetzt gestreut!
Er streut etwas, durch die Zelle schleichend, nach allen Richtungen.
Thamal:
Was will dieses Spiel?
Bettelmönch:
Ich streue Salz, die geweihten Körnlein
Aus eines heiligen Ziegenbocks Hörnlein.
Salz ist ein großes Geheimnis der Welt.
Es ist ein Zerstörungs-Produkt und erhält
Vor der Zerstörung das Leben, das süße.
Drum legten's verständige Völker in Päckchen,
In goldbestickten sakralen Säckchen
Den Mumien unter die schrumpfenden Füße.
Thamal:
Das lockt nur aus ihren Löchern die Ratten.
Bettelmönch:
Ach ja! Den Ratten kommt's auch zustatten!
Den Kröten und Würmern, dem ganzen Geziefer,
Das da huscht durch des Erdenreichs oberen Kiefer.
Was nur quirlt und springt unterm Häutchen der Beule,
Ist Lakai der Verwesung, ist Kutscher der Fäule.
Arme breitend.
Du Lebensfläche, du Lebensweite,
Bist ein Friedhof nur die Läng und die Breite!
Friedhof seid ihr gewaltigen Länder,
Friedhof du Meer, wellaus und wellein!
Zwei Sorten von Wesen kenn ich allein:
Sie heißen
Leichen und
Leichenschänder!
Thamal:
Hör auf! Hör auf!
Bettelmönch
rückt zitternd Thamal näher:
Hast du dir's schon überlegt,
Wie das ist, wenn der Flaum sich nicht mehr bewegt
Auf den Lippen, das liebe Herz nicht mehr schlägt?
Ah, kennst du den letzten Atemzug??
Wer den nur
ahnte, wüßte genug,
Vergangenen Augenblick zu bereun,
Und sich noch der Qual des Lebens zu freun.
Thamal:
O schweig!
Bettelmönch
drängend:
Wenn man den Leib in die Erde stößt,
Und dies herrliche Wunder in Dreck und Schlamm,
In seuchige Feuchte, in Ekel und Schwamm
Dieses holdeste Mutterwerk sich auflöst!
Umfaßt ihn.
Wenn deine Lippen, die noch so frisch
Wägen der Worte durchbrochenen Bau,
Wenn deine Wangen, die jünglingisch
Noch immer erröten vor jeder Frau,
Wenn dein Geruch voll Gesundheit und Kraft,
Wenn morgen dies alles ekelhaft
Und gräßlich ist, wie ein Aas im Verhau, –
Wirst du's erkennen und fühlen dann??!
Thamal die Hände vor dem Gesicht.
Bettelmönch
ihn streichelnd:
Wie du zitterst! Der Angstschweiß! Fühl dich nur an!
Zwingt ihn, sich niederzusetzen und setzt sich selbst,
ohne Thamals Hand loszulassen.
Erinnre dich jetzt! Es ist lange vorbei –
Wie du im hohen Kinderstuhl saßt, –
Und die Mutter dir löffelweise Grießbrei
Einflößte, den du so ungern aßt –
Erinnre dich nur! Ja das ganze Getu
Von Vorsicht, von Sorge, von Seligkeit,
Frag dich nur selbst – es diente wozu?
Daß in wenig Wochen – denn dann bist du soweit –
In deines Auges leerem Gelaß
Eine Made beendet den stinkigsten Fraß!
Thamal weinend: Gott!
Bettelmönch
huscht auf:
Weinst du? Das war nur dein stofflicher Teil,
Doch der feinere, überstoffliche wird,
Wenn er sich ablöst, aufkräuselt, fortschwirrt,
Wird er erfahren Heil oder Unheil?
Hör nur die verwitternden Stimmen im Wind,
Was da für Laute verwunschen sind!
Hast du den Blick gesehn mancher Katzen,
Vernahmst du nicht oft an der Türe ein Kratzen,
Wie von ohnmächtig-müden Hundstatzen!?
Und ist in der Wand das verdächtige Knacken
Nicht wie ein Kampf wider Ketten und Knebel,
Die ein unsichtbar Feuerchen schließen in Schlacken?
Vielleicht sind die Toten ein drückender Nebel,
Der nicht aufsteigen kann und lastet und brütet
Auf den Städten der Menschen, die er böse behütet,
Ein Hirte voll Haß!!! Um diese Zeit
Morgen vielleicht schon weißt du Bescheid.
Thamal:
Luft! Luft! Wer bist du?
Bettelmönch
hinter Thamal:
Der, dem du's noch dankst.
Nenn mich die eigene Todesangst,
Nenn mich das Leben, an dem du hängst!
(– Ich bin zwar bekanntlich mein eigenes Ich, –)
Doch wie dir's am besten gefällt, nenn mich!
Thamal:
O Sterben!
Bettelmönch: Dahin braucht's nur einen Schritt!
Thamal:
Verwesen!!
Bettelmönch: Das nimmt ja jedermann mit!
Thamal
aufschreiend:
Keine Rettung!!
Bettelmönch:
Mach doch kein solches Geschrei!
Er berührt mit seinem Stock die Türe, die weit aufspringt. Draußen Zwielicht.
Du Dummkopf, du alter! Da sieh, du bist frei!
Thamal
der Tür entgegen:
Wonne!
Bettelmönch:
Das Leben begrüßt dich mit zartestem Licht,
Wirft die Derwischtracht ab und steht da als
Spiegelmensch:
Und hier auch grüßt ein bekanntes Gesicht!
Thamal starrt ihn an.
Spiegelmensch
weltmännisch:
Nun, da wir uns wiedergefunden haben,
Können wir fröhlich die Streitaxt begraben.
Ja, unsre Entzweiung war falsch und abnorm,
Vereinigt sind wir gleich wieder in Form.
Ich hab dich gekränkt, beleidigt, getroffen
Durch Freiheitsrausch, Hochmut und Unverstand,
Doch hier meine Hand!
Breitet die Arme aus.
Blutsfreund! Trauter! Meine Arme stehn offen!
Mit beherrschter Nervosität.
Verlassen wir schnell dieses Reich der Fabel,
Wenn du revoziertest, wär das blamabel!
Klopft ihn jovial auf die Schulter.
Nur fort, nur fort, im gemütlichen Trott!
Thamal
stark:
Ich danke dir für die Erkenntnis, Gott,
Und für die Wahrheit, die du in mich gießt!
Er ist der Mittelpunkt von jenem Kreise,
Der furchtbar ewig in sich selber fließt,
Und den ich traben muß auf meiner Reise;
Der Kreis, den ich mit Schuld und Blut und Last
Unüberwindlich eingefaßt.
Kein
Ausweg, der nicht
Umweg ist zu ihm,
Und keine Türe offen, ihn zu fliehn.
Wie töricht war doch jener Spiegelschuß,
Durch den ich einst mich suchte zu befrein!
Jetzt seh ich ein, daß ich allein,
Um
frei zu sein von ihm,
mich töten muß.
Spiegelmensch:
Dein Pathos, o Thamal, ist immer noch groß.
Im heroischen Blankvers bist du famos.
Doch im süß-pointierten, im hüpfenden Rhythmus,
Der dem Witz unters Kleid greift, daß er tänzelt und mit muß,
Bist du der altmetaphysische Tor,
In der Kehle Choräle und keinen Humor!
Sonst kam es dir nicht so leicht aus dem Sinn,
Daß
ich deine einzige Liebe bin!
Thamal:
Ich will sterben.
Spiegelmensch: Gut! Sterben! Aber wozu?
Für wen willst du und zu wessen Nutzen
Den Fleck, der du bist, von der Welt wegputzen?
Der Schließer kommt; er trägt einen großen Pokal in der Hand. Morgenröte dringt in die Zelle.
Spiegelmensch:
Verdammt!
Schließer:
Die Zeit ist um. In diesem Becher hier
Bring ich den Schierlingstrank des Todes dir.
Doch hör mich an und überleg in Ruh!
Du hast das Todesurteil selbst gefällt.
Draus folgt, daß einer nur, und der bist du,
Das Recht des Gnadenspruchs in Händen hält.
Entscheide denn!
Spiegelmensch: Das ist ein Wort!
Thamal: Her den Pokal!
Er ergreift das Gefäß und hält es hoch.
Im Namen dessen, der im Zwitterstrahl
Des frühen Lichtes sich verbirgt.
Spiegelmensch
packt Thamals Arm und zieht ihn vor:
Warum
Willst du das trinken?
Thamal
begeistert: Ein Mysterium
Ist jede Opfertat! Ah! Mich durchrasen
Der
Todes-Wahl beschworne Wonnen ...
Spiegelmensch
fällt ihm ins Wort: Phrasen!
Zeigt ins Theater.
Ganz recht, du stehst in einem Schauspielhaus.
Du trinkst sehr edel Gift. Was folgt? Applaus!
Es klatscht die Claque, es rast die Galerie.
Doch unverändert alle kehren sie
Zur Raufe in den Stall zurück.
Winkt dir am nächsten Morgen Glück,
Wirst du die allerbeste Presse haben.
Es schwärmt der Schmock – du aber bist begraben.
Ob du am Kreuz stirbst, ob im Rampenflaus,
Es wird am Ende ein
Erfolg daraus.
Gemütlich.
Dabei bist du unsicher, Mensch, im Text!
Thamal:
Fort, du! Fort Wort, das mich behext!
Spiegelmensch:
Ja, eins steht fest! Ob Heiliger, ob Tenor,
Sie gehen beide gern zur Rampe vor.
Thamal:
Wie!? Wäre alles nur Schauspielerei?
Spiegelmensch:
Natürlich! Und was ist denn schon dabei?
Thamal
gegen die Morgenröte sprechend:
So wend ich mich zum Tag um Hilfe.
Spiegelmensch: Wisse
Auch dieser Tag ist kosmische Kulisse!
Thamal:
Und keine Rettung!
Spiegelmensch: Diese! Sei nicht toll,
Und frage nach dem
Ist, nicht nach dem
Soll!
Überlegen.
(Hör ein Kolleg! Zwei Kräfte kenn ich nur.
Sie balgen sich um alle Kreatur.
Die Eine jauchzt in draller Leidenschaft,
Nenn sie:
Die absolute Lebenskraft!
Die Andre Kraft, der
Todeswille heißt,
Wohllautend nennt sie sich:
Gewissen –
Geist!
Scheinheilige Masken trägt sie:
Sünd und Schuld.
Was steckt dahinter?
Todes-Ungeduld!
Ich aber halt es mit der ersten Kraft.
Sie liebt mich, sie ist toll in mich vergafft!
Ich bin ihre Wonne! Würde Gott denn schaffen,
Und Satan das Geschaffene aufwiegeln,
Dürften sie beide sich in mir nicht
spiegeln?
Und
du bekämpfst mich mit verrückten Waffen?
Merk dir's: Das ganze menschliche Genie
Ist das verschlagen-süße Umgestalten
Der beiden großen Grundgewalten:
Lebens in
Aufschwung, Tods in
Ironie!
Besinne dich, daß du beizeiten
Dies einfach weise Pensum lernst!
Weh über uns! Nimmst du das Leben ernst,
So hältst du's von den Kräften mit der zweiten.
Thamal:
O leichter Geist der Schwere, glaube mir,
Es gibt ein Liebbedürfnis hier,
Das, wie ein Brand-Licht ohne Maß
Durch meine Seelennacht sich fraß.
Und wenn ich auch im wüstbesoffnen Spiel
Über die eigenen Füße fiel,
Und holde Gnaden mit mir riß,
Die
Sehnsucht ist zuletzt
gewiß,
Die in mir zehrt mit weinendster Gewalt
Nach meiner gott-ursprünglichen Gestalt.
Spiegelmensch
aufgellend:
Das Absolute?? Spiegel-Sichtung!!
Die letzte Lüge?? Selbstvernichtung!
Thamal
hebt den Pokal:
Ich trinke!!
Setzt an.
Spiegelmensch
in höchstem Schreck:
Trink nicht!
Thamal: Es lebe
Die einzige Freiheit, die es gibt!
Spiegelmensch
zitternd:
Kehr um, ins Kloster!
Thamal ekstatisch: Licht!! Schwebe!!
Spiegelmensch
jammernd und zugleich den letzten Trumpf ausspielend:
Nicht – einmal – mich – hast – du – geliebt!
Thamal
scharfen Blicks:
Wohl wahr! So auch um deinetwillen sei's!
Beginnt zu trinken.
Spiegelmensch:
Aus meinen Füßen steigt's – wie – Eis.
Er steht plötzlich auf einer etwas geneigten Spiegelfläche,
die aus der Versenkung gestiegen ist. Der Spiegel beginnt immer stärker zu blitzen. Silberne Flammen schlagen aus ihm auf. Tausend Reflex-Kätzchen irren über die Bühne.
Thamal trinkt.
Spiegelmensch
sinkt langsam, von den weißen Flammen umschlagen:
Flammen! Flammen!
Kalt! Kalt!
Finger! Füße!
Steif! Starr!
Leib lügt!
Bild wieder
Bild!
In Brusthöhe bleibt er stecken, denn
Thamal setzt ab.
Spiegelmensch
unter ohnmächtigen Zuckungen:
Hilf du Gott!
Süßen Leib
Lös vom Bild!
Festgekeilt!
Oh!
Thamal
triumphierend:
Stirb!
Trinkt aus.
Spiegelmensch
furchtbarer Schrei:
Krrriehh!
Versinkt.
Thamal
schleudert den leeren Pokal fort und reißt sich das Kleid über der Brust auf:
Die Wunde!
Umsinkend. Wie gut! – – –
Schließer
fängt ihn auf:
Die Wunde ist geheilt.
Er winkt, eine Bahre wird hereingetragen.
Schließer setzt den Muschelhut auf und verwandelt sich zum Mönch des ersten Teils.
Die Bühne stellt eine tiefe Halle vor, die in einem seltsam unbestimmten Licht liegt. Im Hintergrunde der Halle, als verdecke er das Portal, ein riesiger Spiegel, der matt leuchtet. Im ganzen Raum keine Türe, kein Fenster. An den beiden Längswänden läuft eine lange Matte. Dreizehn Mönche auf jeder Seite sitzen unbeweglich da, den Blick auf ihren Bauch gesenkt. Jeder dieser Mönche ist sein eigener Lichtspender, er hockt in einer mattsilbernen Aura. Vorne auf einer Erhöhung die Bahre mit Thamal. Der Körper ist mit einer Art Sterbelinnen bedeckt. Hinter der Bahre mit Stab und Pilgerhut der Mönch.
Abt
schreitet zur Bahre und schlägt das Tuch zurück:
Steh auf!
Thamal richtet sich auf. Er trägt ein weißes, langfließendes Gewand.
Thamal:
Bin ich nicht tot?
Abt: Das wird noch verschwiegen.
Thamal
wirr:
Ich trank ... das bittere Gift ... und sah mich liegen.
War alles Traum?
Abt: Das wird ewig verschwiegen!
Thamal:
Auferstanden???!!
Abt: Nicht ziemt das Fragen
dir!
Weist auf den Mönch.
Dort ist der Frager.
– Du steh Rede hier!
Mönch
tritt vor:
Mann, der Thamal hieß, sieh mein Gesicht!
Thamal: Du!
Mönch: Wer war ich?
Thamal: Immer das Gericht!–
Der Schließer – Dämon – Gaukler – der Patron ...
Mönch:
Ich frage: Zürnst du mir, mein Sohn?
Thamal küßt seine Hand.
Mönch:
Als
Prüfer scheid ich nun von dir. Jedoch
Mir als dem
Frager stehe Rede noch.
Faßt Thamal an der Hand und führt ihn in einem kleinen Kreis umher.
Ist's Tag ist's Nacht? Ist Dunkel oder Licht?
Thamal:
Nacht!
Mönch:
Sprich so:
Ich, Frager, seh kein Licht!
Neuer Umgang.
Was ist das dort?
Thamal: Ein Spiegel!
Mönch: Ist's gewiß?
Thamal:
Ein Spiegel funkelt aus der Finsternis,
Ein riesiger!
Mönch: Und jetzt, sag, was geschieht?
Sieben uralte Mönche in laubgeflochtenen Kutten gehen langsam an dem Hintergrund-Spiegel vorbei.
Thamal:
Ein Zug von hundertjährigen Greisen zieht
Am Spiegel hin ...
Mönch: Was noch?
Thamal: Sie grinsen mild
Und schief ...
Mönch: Sonst nichts?
Thamal
mit Entsetzen in der Stimme:
Da – da! – Kein Spiegelbild!
Den Greisen allen fehlt das Spiegelbild!
Mönch:
Und dir?
Thamal besinnt sich – stürzt zum Spiegel – schreit auf – und fällt in die Knie.
Thamal:
Mir auch!! – Jetzt weiß ich: –
Ich – bin – tot!!
Mönch
der ihm gefolgt ist, mit zarter Stimme:
Berühre!
Thamal
berührt den Spiegel.
Mächtige Zaubererschütterung. Mit einem Schlag hat sich der Spiegel in ein gigantisches Fenster verwandelt. Von allen Seiten strömt rasendes Tageslicht in die Halle. Hinter dem Fenster eine stark bewegte, trunkene Farben- und Formenwelt, die für den Zuschauer jene höhere Realität bedeuten soll, die nur den Personen auf der Bühne zugänglich ist.
Mönch:
Steh auf und sieh!
Thamal
kehrt sich geblendet, um:
Das Licht! Das Licht! Die Wonne trag ich nie!
Mönch
sehr feierlich:
Nun bist du aus des
zweiten Lebens Nacht
Zur Schau der
Morgen-Wirklichkeit erwacht.
Denn hinter dir versank die Spiegelwelt,
Die uns die Fratze gegenüberstellt
Der eigenen Person in jedem Wesen,
Die Welt, von der die Wenigsten genesen. –
Wir alle gingen durch, doch was wir sahn,
War nicht, was wir zu sehn, zu lieben meinten.
Denn jedes Wesen ward zu unserm Wahn,
Wir blieben heil, doch jene Opfer weinten.
Pause.
Wir waren einst, wir alle, solche Toren,
Und haben hier in einer alten Nacht
Das falsche Ich befreit, das wahre umgebracht,
Und schließlich unser Spiegelbild verloren.
Nun bist auch du zum zweitenmal geboren!
Neu spannt dein Lebensnerv sich und befreit
Von dumpfer Ehrsucht, wüstem Widerstreit.
Du tauchst aus Tod, aus ungewissen Leiden,
Aus allem auf, was feig und halb und vag –
Und lernst mit freien Blicken unterscheiden
Die kranke Dämmerung vom reinen Tag!
Thamal
in die kaleidoskopisch immer neu durcheinander wandelnde Landschaft:
Ich sehe – Ich sehe – Ich sehe! –
Abt
tritt zu ihm:
Der jüngste bist du der Wiedergeburt.
Drum nimm hier des Amtes goldenen Gurt!
Trüb raucht dir das Haupt von menschlichen Stunden,
So bist du zumeist noch der Maja verbunden.
Erst mußt du in Sorgen, Umsichten und Pflichten
Die Seele auf selbstlose Ziele richten,
Dann magst du versuchen die felsigen Stufen
Der Liebe zu steigen, die her dich berufen,
Um endlich die letzte Vollendung zu finden
Im süßen Erlöschen und Ausdirverschwinden.
Stark. Nimm denn!
Thamal legt den Goldgürtel an.
Abt und Mönch neigen sich vor ihm. Indem die sechsundzwanzig Mönche ungerührt und mild grinsend hockenbleiben, schließt die Magische Trilogie.
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