Gustav Weil
Tausend und eine Nacht, Erster Band
Gustav Weil

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Geschichte der drei Kalender.

Einst stand in Bagdad ein lediger Lastträger auf dem Markte auf seinen Korb gelehnt, da kam eine über jede Beschreibung erhabene schöne Frau im glänzendsten Aufzuge auf ihn zu, lüftete ihren seidenen Schleier, zeigte ihm ein paar schwarze, freundlich blickende Augen von langen Augenwimpern beschattet und sagte zu ihm mit zarter Stimme und holdem Ausdruck: »Nimm deinen Korb, Lastträger, und folge mir!« Der Lastträger hatte kaum die Worte der Frau vernommen, so nahm er seinen Korb und rief: »O Tag des Glücks, o Tag der Freude!« und folgte ihr, bis sie vor einem Hause still stand und an dessen Tür klopfte.

Kaum war dies geschehen, so trat ein alter Christ zu ihr herunter, welcher ihr eine geklärte, ölige Substanz (Wein) reichte, die sie in den Korb des Lastträgers tat, nachdem sie dem Christen einen Dinar gegeben. Sie ging dann mit dem Lastträger weiter bis zu dem Laden eines Früchte- und Blumenhändlers; hier kaufte die Frau die besten Sorten Äpfel, Quitten, Pfirsiche, Gurken, Limonen, Orangen, Myrten, Basiliken, Kamillen, Lilien, Veilchen, Nelken, Rosen und andere wohlriechende Blumen, tat alles in den Korb, ging von da zu einem Metzger und ließ sich zehn Pfund Schaffleisch abwiegen, und nachdem sie dieses bezahlt, kaufte sie auch etwas Kohlen und ließ alles von ihrem immer mehr erstaunenden Lastträger sich nachtragen; dieser folgte ihr auch mit dem oft wiederholten Ausruf: »O Tag des Glücks! o Tag der Freude!« Sie ging dann in einen anderen Laden und kaufte verschiedene Sorten Oliven, Käse und allerlei eingemachte Kräuter; dann wieder in einen anderen und ließ sich große Nüsse, Haselnüsse, Zuckerrohr, Zibeben, Pistazien und andere trockene Früchte geben und legte es gleichfalls zum übrigen in den Korb des Trägers; sie ging dann noch zum Zuckerbäcker, bei dem sie das beste und feinste Backwerk und verzuckerte Früchte kaufte. Als sie auch dies noch dem Träger gab, sagte er: »Hätte ich gewußt, daß du so viele Einkäufe zu machen hast, so hätte ich ein Kamel oder ein Lastpferd mitgenommen.« Sie lächelte und ging dann noch zu einem Gewürzhändler, kaufte bei ihm Moschus, Rosenöl, Weihrauch, Ambra und viele andere Gewürze. Nachdem der Träger auch dieses noch aufgeladen, folgte er der Dame, bis sie vor einem großen Hause mit einer prächtigen Halle von hohen Pfeilern getragen, hielt. Hier klopfte sie ganz leise an eine elfenbeinerne mit Gold beschlagene Türe.

Der Träger, der schon von der Schönheit und Liebenswürdigkeit der Einkäuferin ganz entzückt war, verlor nun vollends seinen Verstand und ließ beinahe seinen Korb fallen, als eine Frau die Türe öffnete, welche die erste noch an Schönheit übertraf. Ihr Wuchs war schlank, der Busen rund geformt, die Stirne leuchtend wie der Mond; sie hatte Augen wie ein Reh, Wangen wie Rosen, Lippen wie Korallen, Zähne wie Perlen und einen Hals wie der einer Gazelle, einen Mund wie Salomos Siegelring.Die Muselmänner fabeln viel von Salomos Ring, dem er viele Wunder zu verdanken hatte, und der ihm einmal, als er ein Bad genommen, von einer höllischen Furie geraubt ward, die ihn ins Meer warf. Salomo war ganz trostlos und bestieg so lange den Thron nicht, bis er den Ring in einem Fische, den man auf seine Tafel gebracht, wieder gefunden hatte. Der Träger war ganz in Verwirrung, bis die Pförtnerin zur Wirtschafterin sagte: »Was wartet ihr so lange vor der Tür, kommt herein, wir wollen dem armen Manne seinen Korb abnehmen.« Jetzt traten sie in einen prächtigen Saal mit vielen Teppichen belegt, von Schränken und kleinen Kabinetten umgeben, deren Türen schöne Vorhänge verbargen. Mitten im Saale war ein großer Wasserbehälter mit einem kleinen Nachen. Ein Thron von Ambra, getragen von vier Säulen aus Cypressenholz, befand sich am Ende des Saales. Er war mit rotem Atlas überzogen und mit Perlen, so groß wie Haselnüsse, und mit Edelsteinen geschmückt. Auf diesem Thron saß ein Weib mit verzaubernden Augen, von rundgewölbten Augenbrauen eingefaßt, ihr Atem füllte den ganzen Saal mit Ambraduft, süß wie Zucker war ihr Lächeln, ihre Stirne glich der leuchtenden Sonne, wie ein Dichter sagt:

»Man glaubte, ihr Lächeln enthülle schön gereihte Perlen, Hagelkörner oder Ukanth, die Haare, die ihre Stirne umflattern, gleichen der Nacht, die Stirne aber beschämt den Glanz des Sonnenaufgangs.«

Als sie den Träger nebst der Pförtnerin und Wirtschafterin erblickte, erhob sie sich vom Thron und ging ihnen langsamen Schrittes entgegen; die drei Frauen halfen nun dem Träger seinen Korb abnehmen, leerten ihn und ordneten alles, was darin war, legten die Blumen und wohlriechenden Wasser auf die eine, die Früchte und übrigen Speisen auf die andere Seite und gaben hierauf dem Träger seinen Lohn.

Als der Träger das Geld genommen, blieb er eine Weile stehen und bewunderte die drei Frauen, bei denen er keinen Mann erblickte und die doch so einen großen Einkauf an Wein, Fleisch, Früchten, Süßigkeiten, Blumen und Wachslichtern gemacht. Da nun eine der Frauen bemerkte, daß er noch nicht weggegangen, sagte sie zu ihm: »Was tust du noch hier? findest du etwa deinen Lohn zu gering, so soll meine Schwester dir noch einen Dinar geben.« Da erwiderte der Träger: »Gott bewahre, daß ich mehr Lohn wünschen sollte, ich war nur über euch in Gedanken vertieft, denn ich konnte nicht begreifen, wie ihr Frauen ohne Männer so leben möget; ihr wißt doch, daß ein fröhliches Mahl aus vier Tischgenossen bestehen muß, ihr seid aber nur drei, und so wie eine Gesellschaft von Männern ohne Frauen nicht angenehm ist, so wenig kann es eine Frauengesellschaft ohne Männer sein. Zu einer guten Musik gehören vier Instrumente: eine Harfe, eine Laute, eine Flöte und eine Zither; zu einem schönen Strauß viererlei Blumen: Rosen, Myrten, Levkojen und Lilien; zu einem fröhlichen Leben: Wein, Gesundheit, Geld und ein geliebter Gegenstand; da ihr also nur drei seid, so bedürft ihr eines vierten und dieser muß ein Mann sein.« Den Frauen gefiel des Trägers Rede, doch antworteten sie: »Wir müssen als Mädchen ganz zurückgezogen leben, wir wollen nichts mit Männern zu tun haben, denn wir fürchten, verraten zu werden. Weißt du, wie ein Dichter sagte: »Vertraue niemanden ein Geheimnis an, denn hast du einmal etwas einem anderen anvertraut, so hast du dein Geheimnis verloren: hat deine Brust nicht Raum genug, um ein Geheimnis zu bewahren, so ist gewiß die eines Vertrauten auch zu eng dafür.« Als der Träger dies hörte, sagte er: »Ihr habt einen erfahrenen, vernünftigen und gebildeten Mann vor euch, ich weiß das Schöne zu offenbaren und das Unanständige zu verheimlichen, ich habe sowohl Prosaisten als Dichter gelesen und gleiche dem, welcher sagte: »Nur edle Menschen wissen ein Geheimnis zu bewahren, bei diesen aber bleibt es auch wohl verborgen; bei mir hat ein Geheimnis ein eigenes Häuschen mit einem Schlosse, die Tür ist fest zu und der Schlüssel verloren.« Als die Mädchen dieses hörten, sprachen sie: »Du weißt, daß wir diesen Abend vielen Aufwand gemacht, kannst du nun wohl für deinen Teil uns einigermaßen entschädigen und auch etwas beitragen, so darfst du unser Gast sein. Eine Bekanntschaft, die nichts nützt, ist kein Brosämchen wert«, setzte hierauf die Hausherrin hinzu; »hast du etwas, so bist du selbst auch etwas, hast du nichts, so gehe auch mit nichts fort.« Da sagte aber die Wirtschafterin zu ihren Schwestern: »Ich will gern seinen Teil bezahlen, laßt ihn bei uns bleiben, denn er hat mich sehr gut bedient, kein anderer hätte mich so befriedigen können.« Der Lastträger freute sich darüber, küßte die Erde vor dem wohlwollenden Mädchen, dankte ihr vielmal und gestand, daß er nichts besitze, als den eben erhaltenen Lohn, den er gern wieder zurückgeben wolle, nicht um als Gast, sondern nur um als Diener bei ihnen bleiben zu dürfen.

Während die beiden Schwestern nun in ihn drangen, sich zu setzen, schürzte sich die Wirtschafterin, um freier arbeiten zu können, bereitete die Speisen und Getränke, reinigte allerlei Gold- und Silbergefäße, Tassen, Becher und Gläser, läuterte den Wein und wusch die Gemüse am Ufer des Stroms. Nachdem alles dies geordnet war, brachte sie den Wein und schenkte ihren Schwestern und dem Träger, der zu träumen glaubte, ein. Es trank eine Schwester nach der anderen, der Träger aber sprach folgende Verse, ehe er trank:

»Trinke nur mit rechtschaffenen Leuten, von reiner Abkunft. Der Wein gleicht dem Winde, der gut wird, wenn er vor wohlriechenden Pflanzen vorüberweht, und übel riecht, wenn er über Leichen streift.«

Als er hierauf den Becher geleert, reichte ihm die Pförtnerin einen anderen und wünschte, daß er ihm recht wohl bekommen möge; denn auch dieser gefiel er sehr. Er weigerte sich anfangs und wollte nicht zuerst trinken, doch das Mädchen drang so lang in ihn, bis er den Becher leerte, dann füllte er ihn wieder und reichte ihn dem Mädchen mit folgender Anrede: »Sieh, ich überreiche dir, was deinen Wangen an Annehmlichkeit gleicht, beide verbreiten einen lichten Glanz, wie Feuerbrand.« Sie küßte den Becher lachend und sagte: »Wie willst du mir meine eigenen Wangen reichen?« »Trinke nur«, erwiderte er, »die Farbe des Weins gleicht meinen blutigen Tränen, und meine glühenden Seufzer haben ihm seine Wärme verliehen.« Nun versetzte das Mädchen: »Wenn du aus Liebe zu mir blutige Tränen weinst, so gib mir den Becher.« So blieben sie lange fröhlich beisammen, aßen, tranken, sangen, kosten und umarmten sich, und alle drei Mädchen waren nur mit dem Träger beschäftigt; die eine steckte ihm einen süßen Bissen in den Mund, die andere warf ihn mit Blumen, die dritte streichelte ihm die Wangen, bis sie alle so berauscht waren, daß sie jede Grenze des Anstands und der Sittlichkeit überschritten. Nachdem der Wein ihnen ihre Besinnung geraubt hatte, entkleidete sich die Pförtnerin, um in dem hinter ihrem Hause vorbeifließenden Strom ein Bad zu nehmen; sie blieb lange im Wasser, um alle Teile ihres Körpers rein zu waschen, kam dann wieder zu ihren Schwestern herauf, setzte sich zu dem Träger und war ganz ausgelassen; doch so oft der Träger sich eines unanständigen Ausdrucks bediente, schlugen alle drei Schwestern nach ihm. Nach einer Weile entkleideten sich auch die beiden anderen Schwestern, nahmen ebenfalls ein Bad, und fielen dann mit dem größten Mutwillen über den Träger her. Er durfte alles tun, was er wollte, nur in seinen Worten mußte er bescheiden bleiben. Nun entkleidete sich auch der Träger, um ebenfalls ein Bad zu nehmen. Nachdem auch dieser sich ganz rein gewaschen, kam er wieder zu den drei Schwestern zurück, setzte sich auf der einen Schoß, umarmte die andere, umschlang die dritte und scherzte mit ihnen auf alle mögliche Weise, bis es anfing dunkel zu werden. Da sagten die Mädchen zum Träger »Jetzt ist es Zeit, daß du uns wieder verlässest.« Der arme Träger erwiderte ganz verzweifelnd: »Lieber will ich sterben, als euch verlassen; übrigens ist es schon so spät, daß ich gar nicht wüßte, wohin ich gehen sollte; laßt mich diese Nacht noch bei euch bleiben, morgen früh will ich dann meines Weges ziehen.« Wie früher bat die Wirtschafterin wieder die übrigen, ihn noch diese Nacht bei ihnen zu lassen. »Gott weiß«, sagte sie, »wann wir wieder so angenehme Gesellschaft haben, er ist ja so unterhaltend und witzig, daß wir uns gewiß noch länger mit ihm vertragen werden.« »Wir willigen unter der Bedingung ein«, sagten die Schwestern zu dem Träger, »daß du dich um nichts kümmerst, was sich auch vor dir begeben mag; magst du auch hören und sehen, was du willst, so darfst du, wenn es dir auch noch so auffallend scheint, nicht nach der Ursache fragen.« »Ich werde sein«, erwiderte der Träger, »als hätte ich weder Augen noch Ohren.« Sie führten ihn dann zu einer Tür, über welcher mit goldenen Buchstaben geschrieben war:

»Wer von den Dingen spricht, die ihn nichts angehen, muß Dinge hören, die ihm nicht angenehm sind.«

Nachdem der Träger dies gelesen und noch einmal beteuert hatte, er wolle sich um nichts bekümmern, was ihn nichts angehe, wurden Wachskerzen und Lampen angezündet und mit Ambra und Aloe bestreut, welches den ganzen Saal mit Wohlgerüchen erfüllte, dann wurde zu Nacht gegessen, man fing wieder an zu trinken, zu spielen und Verse herzusagen.

Plötzlich klopfte es an die Türe; die Pförtnerin stand auf, ging hinunter, um nachzusehen, kam nach einer Weile wieder und sagte ihren Schwestern: »Wenn ihr mir gehorchen wollt, so werden wir eine höchst lustige Nacht zubringen; an unserer Tür stehen drei halbblinde Kalender,Die Kalender sind ein bei den Mohammedanern sehr verrufener Derwischorden; sie sind besonders ihrer übermäßigen Genüsse wegen verachtet. Saadi sagte von ihnen: »Sie verlassen keinen Tisch, solange noch etwas zu essen darauf geblieben und sie noch atmen können.« An einer anderen Stelle sagte er: »Ein reicher Erbe, der in die Hände der Kalender gefallen, hat ebenso viel Grund besorgt zu sein, als ein Kaufmann, dem ein Schiff mit Waren untergegangen.« ohne Haare am Bart, am Haupt und an den Augenbrauen. Man sieht ihnen an, daß sie soeben von einer Reise kommen, sie waren noch nie in Bagdad,Bagdad ist die von Manßur, zweitem Kalifen vom Geschlecht der Abasiden, am Ufer des Tigris erbaute Stadt. Ihre Gründung fällt in das Jahr 145 der Hidjrah; sie blieb lange der Sitz des Kalifats. klopften daher zufällig an unsere Tür, denn sie wissen nicht, wo sie übernachten können, und wollen sich, weil sie die Nacht hier überfallen, mit dem Stalle oder irgend einem schlechten Zimmer begnügen. Stimmt ihr also mit ein, da sie doch niemanden hier kennen, und schon ihr äußerer Aufzug uns lachen machen wird, so bewirten wir sie diese Nacht und morgen können sie dann ihres Weges gehen.« Sie bat ihre Schwestern so lange, bis diese endlich ihr erlaubten, die Kalender zu rufen, doch unter derselben Bedingung, die dem Träger auch gemacht wurde. Voller Freude verließ sie den Saal und kam bald mit den drei halbblinden Gästen wieder. Als diese in das Zimmer traten, kamen ihnen die Mädchen freundlich entgegen, hießen sie bestens willkommen und wünschten ihnen Glück zu ihrer Ankunft in Bagdad. »Wie schön ist es hier, bei Gott!« riefen die Kalender einstimmig aus, als sie den schönen Saal, den mit den besten Speisen und Getränken beladenen Tisch und die liebenswürdigen Mädchen sahen. Als sie dann auch den vom vielen Trinken und den tollen Scherzen ganz bewußtlos daliegenden Träger bemerkten, fragten sie: »Ist dies auch ein fremder Kalender, wie wir, oder ist er ein hergelaufener Araber?« Als der Träger dies hörte, erwiderte er: »Setzt euch ohne ferneres Gerede; habt ihr nicht an der Türe gelesen: »Wer von Dingen spricht, die ihn nichts angehen, muß Dinge hören, die ihm nicht angenehm sind! Wie mögt ihr gleich beim Eintreten eure Zunge so gegen mich loslassen?« Die Kalender baten um Entschuldigung und die Mädchen stellten gleich wieder den Frieden zwischen ihren Gästen her. Die Kalender setzten sich dann zum Essen, die Pförtnerin schenkte ihnen Wein ein und der Träger forderte sie auf, sie möchten doch irgend etwas zum Besten geben.

Die Kalender, die schon den Wein spürten, forderten Musikinstrumente; sogleich brachte ihnen die Pförtnerin ein Tamburin, eine Laute und eine persische Harfe; sie teilten diese Instrumente unter sich, stimmten sie und fingen an zu spielen und zu singen, aber die Mädchen sangen mit so hellen, wohlklingenden Stimmen, daß sie die übrigen weit übertönten. Sie sangen so eine Weile miteinander, da wurde wieder an die Türe geklopft. Die Pförtnerin ging hinunter, um zu öffnen; es war der KalifHarun Arraschid, oder der Gerechte, ist der fünfte Kalif der Abasiden; er bestieg den Thron im Jahr 170 der Hidjrah. Sein Vezier Djafar, Sohn Jahias, war lang in großer Gunst bei ihm: es scheint aber die Familie der Barmesiden, aus der Djafar abstammte, durch ihre zahlreichen Anhänger und großes Ansehen den Neid und das Mißtrauen des Kalifen erregt zu haben, der sie dann gänzlich auszurotten beschloß. Harun Arraschid und sein Vezier Djafar. Diese hatten nämlich die Gewohnheit, oft in der Nacht allein die Stadt zu durchwandeln; als sie nun vor diesem Haus vorübergingen und die rauschende Musik, die lauten Stimmen der Mädchen und das fröhliche Getümmel vernahmen, sagte der Kalif zu seinem Vezier: »Ich hätte wohl Lust, ein wenig bei diesen lustigen Leuten einzutreten.« Djafar stellte ihm vergebens vor, daß diese betrunken seien, und da sie ihn nicht kennten, ihm leicht unhöflich begegnen könnten. Doch der Kalif bestand darauf und befahl sogar seinem Vezier, ihm durch irgend eine List den Zutritt zu verschaffen. Als nun die Pförtnerin geöffnet hatte, verbeugte sich Djafar vor ihr und fragte: »O Herrin, wir sind Kaufleute aus Mosul, leben schon seit zehn Tagen in einem Chan, wo wir ein Magazin für unsere Waren haben. Heute wurden wir von einem hiesigen Kaufmann eingeladen. Als uns nun die Speisen und der gute Wein recht aufgemuntert hatten, schickten wir nach Sängerinnen und Tänzerinnen und ließen auch noch einige andere Freunde rufen. Wir waren sehr vergnügt beim Gesange der Mädchen, von Harfen und Lauten begleitet, da wurden wir auf einmal von der Polizei überfallen. Wir mußten schnell entfliehen und über die Mauer springen, wobei sich einige beschädigten und gefangen wurden, wir aber mit noch wenigen anderen kamen glücklich davon. Nun können wir aber den Weg nicht nach Hause finden, denn unsere Wohnung ist sehr weit von hier, wir möchten leicht einen falschen Weg nehmen und der Polizei wieder in die Hände fallen, die uns, weil wir etwas betrunken sind, leicht wieder erkennen würde. Wenn wir auch glücklich die Tür unseres Hauses erreichten, würde man uns doch nicht öffnen, denn es ist in diesen Herbergen vor Tagesanbruch niemanden zu öffnen gestattet. Erlaubt uns daher, bei euch einzukehren, wir wollen gern sogleich unsern Teil bezahlen und mit euch vergnügt sein; ist euch aber unsere Gesellschaft nicht angenehm, so laßt uns die Nacht im Hausgang zubringen, wir wollen gewiß nicht von der Tür weichen, und auch diesen Platz sollt ihr uns nicht umsonst geben.« Als die Pförtnerin dies gehört und ihnen wohl ansah, daß sie vornehme Leute seien, berichtete sie ihren Schwestern, was sie gesehen und gehört; diese bemitleideten die Fremden, ließen sie hereinkommen, und alle, die Mädchen, der Träger und die Kalender, gingen ihnen freundlich entgegen.

Nachdem jeder wieder seinen Platz eingenommen und die Mädchen die neu angekommenen Gäste vielmal bewillkommt hatten, sagten sie ihnen: »Wir können euch nur unter der Bedingung als unsere Gäste aufnehmen, daß ihr wie Menschen mit Augen ohne Zunge sein wollt, ihr dürft nach nichts fragen, was ihr auch sehen möget, von nichts sprechen, was euch nichts angeht, sonst möchtet ihr hören, was euch mißfällt.« Die vornehmen Gäste nahmen diese Bedingung an und versprachen, kein unnötiges Wort zu reden; sie mußten dann am Mahle teilnehmen und wie die Übrigen mitzechen. Mit Erstaunen betrachtete der Kalif zuerst die drei halbblinden Kalender, dann bewunderte er die Schönheit, die Liebenswürdigkeit und Grazie dieser Mädchen nicht minder, als ihre Anmut, ihre Beredsamkeit und Freigebigkeit; der Saal, in welchem sie waren, erregte seine gleiche Bewunderung, doch wagte er es nicht, sich näher nach den Mädchen zu erkundigen. Er unterhielt sich mit den übrigen: das Gespräch wurde immer lebhafter, die Kalender spielten lustige Weisen und der Becher ging von einem zum andern. Nach einer Weile sagte die Hausherrin zu ihren Schwestern: »Erhebet euch jetzt, wir dürfen die uns auferlegte Arbeit nicht versäumen.« Die Pförtnerin stand rasch auf, reinigte den Saal und besprengte ihn mit frischen Wohlgerüchen; sie hieß die Kalender an einer Seite des Saals auf einem Sofa Platz nehmen, den Kalifen mit seinen Begleitern bat sie, auf die andere Seite, jenen gegenüber, sich zu setzen, dem Träger aber rief sie zu: »Auf, du träger Mensch! gehörst du nicht zum Haus? Hilf uns bei unserer Arbeit!«

»Was soll ich tun?« erwiderte der Träger. Da öffnete die Wirtschafterin ein Nebenzimmer und sagte zu ihm: »Komm, hilf mir!« Er mußte hierauf eine Bank mitten ins Zimmer stellen und zwei schwarze, ganz wund geschlagene Hündinnen herausführen, deren Hals von einer Kette umschlungen war. Als er mit ihnen mitten im Zimmer war, nahm die schöne Hausherrin eine geflochtene Peitsche, entblößte ihren blendend weißen Arm und ließ sich vom Träger eine der Hündinnen vorführen. Die Hündin fing an zu heulen und den Kopf zu schütteln, so daß der Träger sie mit Gewalt zu seiner Herrin hinschleppen mußte. Nun begann diese die arme Hündin so lange zu peitschen, bis ihr Arm ermüdet herabsank; dann warf sie die Peitsche weit von sich und nahm die Kette aus der Hand des Trägers, drückte die Hündin an ihren Busen, bedeckte sie mit Küssen, weinte mit ihr, wischte dann ihre Tränen mit einem Tuch ab und ließ hierauf den Träger sie wieder auf ihren Platz zurückführen und die andere hereinbringen. Der Träger tat, was ihm befohlen war, und auch diese Hündin wurde auf die nämliche Art gepeitscht, geküßt und wieder weggeführt. Die Anwesenden waren über diese Handlungsweise des Mädchens im höchsten Grade erstaunt und fingen an, unter sich zu lispeln, denn die konnten nicht begreifen, warum diese Hündinnen zuerst geprügelt und dann geküßt wurden. Djafar bemerkte, daß besonders der Kalif vor Neugierde nicht mehr lange werde schweigen können, und erinnerte ihn durch Winke, daß hier nicht Überflüssiges gesprochen werden dürfe. Als die Szene mit den Hündinnen vorüber war, sagte die Pförtnerin: »Nun will ich auch meine Pflicht erfüllen.« Die Hausherrin setzte sich wieder auf ihr Sofa, wo sie den Kalifen, Djafar und MasrurMasrur ist der Diener des Kalifen; der Erzähler hat wahrscheinlich vergessen, seiner oben zu erwähnen. zu ihrer Rechten und die Kalender mit dem Träger zur Linken hatte. So hell auch die Kerzen brannten, so würzig auch die Spezereien in die Höhe stiegen, so war doch die Ruhe aus dem Herzen der Anwesenden gewichen.

Als alles ruhig geworden war, setzte sich die Pförtnerin auf einen Stuhl und sagte zur Wirtschafterin: »Stehe auf, du weißt schon, was ich von dir verlange.« Das Mädchen stand nun auf, ging in ein Nebenzimmer, kam nach einer Weile wieder mit einem Futteral von gelbem Atlas, das mit grünen seidenen Quasten und mit allerlei Goldstickerei verziert war, und reichte es der Pförtnerin: diese öffnete das Futteral, nahm eine Laute heraus, legte sie auf ihren Schoß, und nachdem sie das Instrument gehörig gestimmt hatte, sang sie folgendes Lied:

»O mein Geliebter, du mein einziges Verlangen, meine einzige Sehnsucht, in deiner Nähe nur ist ewige Seligkeit, fern von dir ist die brennende Hölle. Alle meine Gedanken und Gefühle sind dir zugewandt. Es ist gewiß kein Verbrechen, dich zu lieben; der Gram hat mit dem Gewande der Abzehrung mich umhüllt, darum ist auch meine Schuld kein Geheimnis geblieben, Mein Herz hat dich vor allen auserkoren, und nun fließen Tränen über meine Wangen, und diese verräterischen Tränen haben mein Geheimnis enthüllt. O heile doch meine gefährliche Krankheit, du bist zugleich Gift und Gegengift. Wie lange muß der leiden, der von dir seine Genesung erwartet! Das Licht deiner Augen hat mich aufgezehrt, durch die Rosen deiner Wangen bin ich gebleicht. Die Nacht deiner Haare hat mein Leben verdüstert, meine Pein macht mich zum Märtyrer. Nun gibt's kein Ende mehr für meinen Gram, mir bleibt nichts mehr zu wählen übrig; ich suche gar keinen Trost mehr, denn der Liebe will ich mein ganzes Leben opfern.«

Nach vollendetem Gesang bat sie die Wirtschafterin, an ihrer Stelle fortzufahren; diese nahm die Laute und sang folgendes Lied:

»Wie lange noch dies Weigern und Versagen? Habe ich noch nicht genug Tränen vergossen? Wie lange wird noch unsere Trennung dauern? Selbst mein Feind muß schon seine Schadenfreunde an mir gestillt haben. Habe Mitleid mit mir, schon hat die Liebesqual mich tief gebeugt. O, mein Geliebter, wann wirst du dich mir wieder liebreich zuwenden? Wer will den armen Gefesselten rächen, der mit dem Schlafe nicht mehr befreundet ist, weil seine Hoffnung gänzlich erloschen? Erlaubt es das Gesetz der Liebe, daß ich allein sei, wenn mein Geliebter durch seine Nähe andere selig macht? Doch mag mein Geliebter hart sein gegen mich oder mild, wie viele Mühe und Beschwerde muß ich tragen!«

Als die Pförtnerin dieses Lied gehört, drückte sie ihren Beifall darüber aus, dann faßte sie ihr Kleid, zerriß es und fiel in Ohnmacht; dabei entblößte sich ihr Busen und die Anwesenden bemerkten nun, daß er ganz mit Beulen und Narben bedeckt war. Die Kalender wurden hierüber so bestürzt, daß einer zum anderen sagte: »Wären wir doch nie in dieses Haus gekommen, wir hätten besser auf der Erde geschlafen, als solche herzzerreißende Dinge anzusehen.« Der Kalif gesellte sich auch zu ihnen und fragte sie, was dies bedeute; sie sagten ihm aber, daß sie nicht zu diesem Haus gehörten, daß sie ebenfalls diese Nacht zum ersten Mal hierher gekommen und folglich weder von den zwei schwarzen Hündinnen, noch von diesem gegeißelten Mädchen etwas wüßten. Nun dachte der Kalif, so kann uns doch vielleicht der Träger einige Auskunft geben, er winkte ihn zu sich, um bei ihm über diese Mädchen Erkundigungen einzuziehen. Der Träger schwor aber bei Gott, daß, obschon er ein Bewohner Bagdads sei, er doch in seinem Leben nie in dieses Haus gekommen wäre; »ich wunderte mich bei meinem Eintritt«, setzte er hinzu, »daß sie so allein ohne Männer lebten.«

Ehe er noch ausgeredet hatte, unterbrach ihn der Kalif mit den Worten: »Genug, ich glaubte, du gehörst zu den Mädchen, nun sehe ich, daß du nicht mehr weißt, als wir alle. Indessen sind wir hier ja sieben Männer, sie sind nur drei Frauen, ich werde sie nun fragen, wer sie sind, und antworten sie nicht gutwillig, so können wir sie schon dazu zwingen.« Alle waren damit einverstanden, Gewalt anzuwenden außer Djafar, der ihnen vorstellte, daß sie hier als Gäste seien und nur unter der Bedingung aufgenommen wurden, daß sie zu allem schweigen wollten, was sie auch sehen möchten. Er sagte leise zu dem Kalifen: »Die Nacht ist ja bald vorüber, dann trennen wir uns, jeder geht seines Weges; morgen früh bringe ich die Mädchen vor dich und du kannst dann von ihnen verlangen, daß sie dir über alles, was hier vorgegangen, die Wahrheit berichten.« Der Kalif war aber so ungeduldig, daß er Djafar ganz zornig anfuhr und darauf bestand, die Mädchen müßten ihnen schon jetzt über alles Aufschluß geben. Es wurde dann viel hin und her gestritten, bis endlich beschlossen war, der Lastträger müsse sie im Namen aller Anwesenden befragen. Als die Mädchen merkten, daß ihre Gäste in heftigem Wortwechsel waren, fragten sie: »Was gibt's, daß ihr so laut untereinander streitet?« Da antwortete der Lastträger: »Diese Leute wünschen, daß du ihnen erzählst, was mit diesen beiden Hündinnen vorgegangen, die du zuerst gepeitscht und mit denen du dann geweint hast; ebenso, warum deine Schwester so erbärmlich gegeißelt ist. Dies ist alles, was sie von dir verlangen.« »Ist dies wahr?« fragte die Hausherrin, zu den Leuten gewendet. Alle bejahten, außer Djafar, der kein Wort sprach. Als die Wirtin dies hörte, sagte sie zu ihnen: »Könnt ihr Gäste wohl so unbillig gegen mich sein? Haben wir euch nicht im voraus gesagt: Wer von Dingen spricht, die ihn nichts angehen, muß Dinge hören, die ihm nicht angenehm sind? Wir haben euch in unser Haus aufgenommen und unser Mahl mit euch geteilt, nun wollt ihr uns Gewalt antun? Glaubt ihr, euch alles erlauben zu dürfen, weil wir so närrisch waren, euch unsere Türe zu öffnen?« Hierauf schob sie ihr Kleid zurück, trat dreimal den Boden und rief: »Eilet herbei!« Sogleich kamen aus einem Kabinette, dessen Tür sich schnell öffnete, sieben Sklaven heraus, jeder hatte ein bloßes Schwert in der Hand, fiel über einen der Gäste her, warf ihn zur Erde und in einem Augenblicke waren alle gefesselt, aneinander gebunden und in einer Reihe auf den Boden mitten im Zimmer hingestreckt. Neben dem Haupte eines jeden blieb ein Sklave mit gezogenem Schwerte stehen und sagte zur Hausherrin: »O erhabene Gebieterin und mächtige Herrin, du darfst nur ein Zeichen geben und ihre Köpfe fallen.« »Wartet noch«, erwiderte diese, »ich will zuerst sie fragen, wer sie sind.« Da schluchzte der Träger und rief: »O meine erhabene Gebieterin, laß mich nicht die Schuld anderer büßen, alle haben unrecht gehandelt, nur ich nicht! wie schön war unser Tag, ehe diese Kalender gekommen, die, sobald sie in eine Stadt eingezogen, so viel Unheil stiften, bis sie verwüstet ist.« Dann setzte er auch noch weinend folgende Verse hinzu:

»Wie hoch ziert den Mächtigen die Nachsicht, besonders, wenn sein Feind hilflos ist; bei der heiligen Freundschaft, die zwischen uns bestand, laßt den Ersten nicht um des Letzten willen sterben.«D. h. den Lastträger, wegen des Ungestüms des zuletzt gekommenen Kalifen.

Die Wirtin mußte, so aufgebracht sie war, doch lachen und wandte sich dann zu den übrigen Gästen und sprach: »Saget mir, wer ihr seid, ihr habt nur noch kurze Zeit zu leben, wenn ihr nicht dartut, daß ihr vornehmen Standes, hohe Richter oder Häupter eures Volkes seid, sonst habt ihr wahrlich zu viel gegen uns gewagt.« Als der Kalif dies hörte, sagte er. »Djafar entdecke ihr eilig, wer wir sind, sie möchte uns sonst aus Unkenntnis umbringen lassen.« Djafar erwiderte hierauf: »Du hättest dies wohl zum Teile verdient.« Der Kalif sagte ihm zornig: »Es ist jetzt keine Zeit, dich über mich lustig zu machen.« Indessen fragte die Wirtin die Kalender, ob sie Brüder seien. Diese antworteten: »Nein, wir sind weder Brüder noch arme Derwische.« »Bist du halbblind geboren?« fragte sie den einen. »Nein bei Gott«, erwiderte er, »in meinem Leben haben sich so außerordentliche Begebenheiten ereignet, daß, wenn sie mit einer Nadel in das hohle Auge gestochen wären, sich ein jeder daraus belehren könnte; erst später verlor ich ein Auge, dann ließ ich meinen Bart abschneiden und wurde Kalender.« Nachdem die Wirtin, welche einen jeden der Kalender dasselbe gefragt, von jedem dieselbe Antwort erhielt und der letzte noch hinzusetze, jeder von ihnen sei aus einer anderen Stadt, Sohn eines Königs und selbst Regent, da sagte die Wirtin den Sklaven: »Verschonet den, der mir seine Lebensgeschichte und den Grund, warum er hierhergekommen, erzählt, und bringet denjenigen um, der dies zu tun sich weigert.«

Die Reihe kam zuerst an den Träger, der die Wirtin auf folgende Weise anredete: »Du weißt wohl, meine Gebieterin, daß ich ein Lastträger bin, deine Wirtschafterin hieß mich ihr folgen. Ich ging mit ihr zum Weinhändler, dann zum Metzger, dann zum Obsthändler, von diesem zu einem, der trockene Früchte verkauft, endlich zum Zuckerbäcker und Spezereihändler, dann kam ich hierher und somit wäre meine ganze Geschichte zu Ende.« Die Wirtin lachte und sagte ihm: »Dein Leben sei dir geschenkt, du kannst gehen;« er aber wünschte, noch da zu bleiben, um die Erzählungen der übrigen Gäste zu hören.


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