Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es gab einst in der Stadt Bagdad einen Spezereihändler, mit Namen Abul Hasan, Sohn Tahers, der sehr reich und vornehm war; dabei führte er einen reinen Lebenswandel, war ein aufrichtiger und guter Gesellschafter, und deshalb überall gut aufgenommen, wo er sich zeigte. Er ging oft in das Schloß des Kalifen, und die meisten Frauen und Sklavinnen des Kalifen Harun Arraschid ließen sich von ihm ihre Geschäfte besorgen, wie sie es eben nötig hatten. Auch saßen oft die Söhne der Fürsten und der Großen bei ihm. Unter diesen war auch ein junger, persischer Prinz, mit Namen Ali, Sohn des Bekkar. In der Person dieses Prinzen hatte Gott alle trefflichen Eigenschaften vereint; er war ausgezeichnet schön und anmutig, seine Beredsamkeit war bezaubernd, sein Verstand, sein Mut, seine Freigebigkeit, seine Keuschheit, sein Ernst und seine Tapferkeit unübertroffen! Dieser lebte oft in Gesellschaft Abul Hasans; er konnte sich zuletzt keinen Augenblick mehr von ihm trennen. Als einst der junge Prinz bei ihm saß, sahen sie zehn junge Sklavinnen, schön wie der Mond, vom Markt herkommend; aus ihrer Mitte strahlte ein Mädchen, das den Vollmond beschämte. Diese ritt auf einem grauen Maultier, sie trug einen roten, seidenen, mit Perlen und Edelsteinen besetzten Gürtel. Ihre Schönheit überstrahlte, wie schon gesagt, die der übrigen zehn Mädchen, die bei ihr waren; sie war, wie ein Dichter sagt:
»Sie ist ein vollkommenes Muster der Schönheit, daß man sie nicht anders geschaffen wünschen könnte; sie hat weder zu viel, noch zu wenig, es ist, als wäre sie von Perlenwasser gebildet; ein Mond leuchtet aus allen ihren Gliedern hervor; ihre Stirne ist der Vollmond, ihr Wuchs der Zweig eines Baumes, ihr Atem ist Moschus: kein Mensch gleicht ihr.«
Ihre schönen Augen und die übrigen Reize fesselten alle, die sie sahen. Als sie an den Laden des Abul Hasan kam, stand dieser vor ihr auf, küßte die Erde und ließ sie auf ein seidenes, mit Gold gesticktes Kissen sitzen; er blieb, um sie zu bedienen, vor ihr stehen. Sie befahl ihm, sich zu ihr zu setzen, und als er gehorchte, verlangte sie von ihm, was sie bedurfte. Inzwischen hatte der junge Ali schon seinen Verstand verloren; er war außer sich, war bald rot, bald blaß, und wollte vor Liebe vergehen. Er wollte aus Ehrfurcht vor ihr aufstehen, aber sie winkte mit ihren Narzissenaugen und Zuckerlippen, und sagte: »Mein Herr! wir sind zu dir gekommen und du willst, weil wir dir nicht gefallen, vor uns entfliehen?« Ali küßte die Erde und entgegnete: »O meine Gebieterin! Sobald ich dich gesehen, habe ich meinen Verstand verloren, ich weiß nichts anderes zu sagen, als was schon ein Dichter gesagt:
»Sie ist die Sonne, ihre Wohnung ist im Himmel; tröste dein Herz mit dem schönsten Trost, denn du kannst nicht zu ihr hinauf und sie nicht zu dir herunter steigen.«
Sie lächelte, und heller als ein Blitz leuchteten ihre Zähne, dann sagte sie: »O Abul Hasan! woher kennst du diesen Jüngling, und welches ist sein Rang?« Abul Hasan antwortete: »Er heißt Ali, Sohn Bekkars, und ist ein Prinz von Persien.« Sie sagte ihm dann, wenn meine Sklavin zu dir kommt, so bemühe dich mit ihm zu uns, daß wir ihn in unserem Hause bewirten, damit er sich nicht über uns beklagen und sagen kann: unter den Bewohnern Bagdads herrscht keine Gastfreundschaft; denn der Geiz ist das schlechteste Gewand eines Menschen. Hörtest du, was ich dir gesagt? Wenn du nicht gehorchst, so trifft dich mein Zorn, und ich werde dich nie mehr grüßen.« Abul Hasan antwortete: »Gott bewahre, - o Königin aller Sklaven! - Gott bewahre mich vor deinem Zorn!« Sie verließ hierauf den Laden und ritt davon, nachdem sie sich schon aller Herzen bemeistert und jeden Verstand geraubt hatte. Ali blieb sitzen, er wußte nicht, ob er auf der Erde oder im Himmel wandle. Doch ehe noch der Tag verflossen war, kam eine Sklavin zu Abul Hasan und sagte: »Mein Herr Abul Hasan! Im Namen Gottes komme du mit deinem Freund Ali zu meiner Gebieterin Schems Annahar, der Freundin des Fürsten der Gläubigen, Harun Arraschid.« Abul Hasan stand auf und sagte zu Ali: »Im Namen Gottes, mein Herr!« Sie folgten dann der Sklavin, die weit voranging und welche sie in den Palast des Kalifen führte. Hier zeigte sie ihnen die Wohnung Schems Annahars. Der Jüngling sah eine Wohnung, als wäre sie von Genien gewohnt; er fand darin die mannigfaltigsten Teppiche, Kissen und Divans, wie er solche noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Als er und Abul Hasan daselbst Platz genommen, brachte man ihnen einen Tisch mit den köstlichsten Speisen, und eine schwarze Sklavin blieb zu ihrer Bedienung vor ihnen stehen. Es wurde aufgetragen, was nur laufen und fliegen konnte: von säugenden Schafen, gestopften Hähnen, Tauben und Wachteln, nebst anderen süßen und sauren Speisen. Der junge Mann aß und war vor Erstaunen ganz außer sich; sie verzehrten die besten Speisen und tranken die köstlichsten Weine. Als sie satt waren, brachte man ihnen zwei goldene Waschbecken, sie wuschen ihre Hände; dann brachte man Weihrauch, sie beräucherten sich; dann brachte man ihnen in Goldgefässen kristallene Becher, welche mit Edelsteinen besetzt waren, und gefüllt mit Ambra, Moschus und Rosenwasser; sie parfümierten sich damit und setzten sich nieder. In einer kurzen Weile hieß sie die Sklavin aufstehen und führte sie in einen anderen Saal, dessen Kuppel von hundert Säulen getragen wurde; die Füße der Säulen waren mit vergoldeten Tieren und Vögeln verziert, der Boden war mit seidenen Teppichen belegt. Als die beiden sich setzten und den Saal näher betrachteten, fanden sie, daß der ganze Grund von Gold war, auf welchem weiße und rote Rosen gestickt waren; aus demselben Stoff war die Decke der Kuppel. Auch waren allerlei Gemälde und chinesische Gefäße aus Gold und Kristall mit prachtvollen Edelsteinen besetzt, im Saale. Am oberen Ende desselben waren viele Fenster, und vor einem jeden stand ein Divan mit der feinsten Stickerei überzogen und jeder von einer anderen Farbe; diese Fenster gingen in einen Garten, dessen Boden dem Grund der Teppiche glich. Rings umher floß Wasser aus einem großen Teich in einen kleineren; die Ufer des Teichs waren mit Narzissen, Basiliken und anderen seltenen Pflanzen, in goldenen, mit Edelsteinen verzierten Vasen besetzt.
Die Bäume in diesem Garten waren dicht ineinander geschlungen, die Früchte auf ihnen waren so reif, daß sie bei jedem Säuseln des Windes auf die Oberfläche des Wassers fielen. Eine Menge Vögel ließ sich auf dem Garten nieder, sie schlugen ihre Flügel zusammen und unterhielten sich miteinander durch ihr Gezwitscher, das in allen möglichen Tönen erschallte. An beiden Seiten des Teiches waren Stühle von Ebenholz, mit Silber ausgelegt, aufgestellt; auf jedem Stuhl saß ein Mädchen, das glänzender war als die Sonne, kostbar gekleidet, mit einer Laute oder einem anderen Instrument vor sich; es vereinte sich so der Gesang der Mädchen mit dem der Vögel und das Säuseln des Windes mit dem Plätschern des Wassers. Bald blies der Wind eine Rose auf, bald warf er eine Frucht herunter.
Während Ali und Abul Hasan ihre Augen und ihre Gedanken an dieser Pracht und Schönheit weideten und sie halb nach dem Saal und auf den Tisch richteten, ja ganz hingerissen von der Anmut und Lieblichkeit, wie von der großartigen Zusammenstellung aller dieser Gegenstände, in das höchste Erstaunen versetzt waren, wendete sich Ali, Sohn des Bekkar, zu Abul Hasan und sagte zu ihm: »Wisse, mein Freund, der größte Weise und der Verständigste, der nur gesunde Sinne hat, muß alles dies auch schön finden und davon entzückt und hingerissen werden; wieviel mehr ein Mensch in meiner Lage, dessen Herz von Liebe überfließen will; doch beraubt mich alles, was ich gesehen nicht des Wortes, und noch bleibt mir Kraft zu fragen übrig: Wie hoch muß wohl der Rang dessen sein, der ein so herrliches Gut und so große Macht besitzt?«
Als Abul Hasan dies aus dem Munde Alis hörte, antwortete er ihm: »Wisse, daß auch mir die ganze Sache ein Geheimnis ist; doch werden wir bald die Wahrheit entdecken. Es wird nicht lange dauern, so sind wir am Ziel und das Geheimnis wird sich dir lösen.« Während sie so das Schönste und Üppigste sahen und besprachen, erschien eine Sklavin und befahl den Mädchen, welche auf den Stühlen saßen, zu singen; eine von ihnen stimmte ihre Laute und sang:
»Ehe ich noch die Liebe kannte, ward ich unversehens an ihn gefesselt, und das Feuer der Trennung glühte mir in meiner Brust und in meinem Herzen; auch gegen meinen Willen enthüllten meine Tränen jedermann mein Geheimnis.«
Ali rief aus: »Sehr schön!« Die Sklavin sang weiter:
»Mit der entferntesten Hoffnung neige ich mich liebend zu dir. Doch was helfen den Liebenden Sehnsuchtsseufzer, deren kältester ein Feuerbrand ist?«
Der Jüngling seufzte tief und sagte: »O Mädchen, du hast ausgezeichnet wahr und schön gesungen!« Er wiederholte dann die Verse und bat sie, weiter zu singen. Da sprach sie:
»O du, zu dem meine Liebe immer wächst, bemächtige dich meines Herzens, wie du willst; lösche durch deine Nähe die Flamme eines Herzens, das Entfernung und Trennung zerfließen machte. Nimm, was du willst, an Schuld und Lohn: mir bleibt doch kein anderer Lohn, als der Märtyrertod.«
Ali weinte aufs neue und wiederholte die Verse. Auf einmal erhoben sich alle Mädchen, stimmten ihre Instrumente und sangen im Chor folgende Verse:
»Gott ist groß! Nun ist der Vollmond aufgegangen und vereint ist die Geliebte mit dem sie so innig Liebenden. Wer hat je die Sonne und den leuchtenden Vollmond im Garten der Ewigkeit oder in der Welt beisammen gesehen?«
Ali und Abul Hasan blickten überrascht auf die Mädchen, doch vergrößerte sich ihre Überraschung, als sie die Sklavin, die bei Abul Hasan im Laden war, und sie hierher gebracht hatte, an dem Ende des Gartens erblickten; ihr folgten zehn Sklavinnen, welche einen großen, aus gediegenem Silber gegossenen Thron trugen, diesen stellten sie zwischen die Bäume und sich selbst hinter ihn. Nach ihnen kamen 20 Mädchen wie der Vollmond, mit mancherlei Instrumenten in den Händen, und in Kleidern, die von Juwelen und Perlen strahlten; sie sangen alle zusammen, als hätten sie nur eine Stimme, bis sie den Thron erreichten; hier stellten sie sich zu beiden Seiten auf, ohne das Spiel zu unterbrechen.
Sie waren so ausgezeichnet in ihrer Kunst, daß es Ali und Abul Hasan vorkam, als wenn sich der ganze Palast mit ihnen bewege. Es kamen dann noch andere zehn Mädchen, deren Schönheit unmöglich zu beschreiben ist; ihre Kleider und Juwelen wetteiferten mit ihrer Schönheit. Diese blieben an der Tür stehen, dann kamen noch zehn, die den vorigen ganz ähnlich waren, und in ihrer Mitte Schems Annahar.
Diese strahlte unter anderen Mädchen wie die Sonne unter den Wolken hervor. Sie trug lange Locken und hatte einen blauen, goldgestickten Mantel umgeworfen, der wohl erraten ließ, welche kostbaren Kleider und Juwelen darunter verborgen sein müßten; sie ging langsamen Schrittes majestätisch einher, bis sie den Thron erreichte, auf den sie sich setzte.
Ali konnte sie nun näher betrachten, sah dann den Spezereihändler an, biß sich auf die Finger, daß sie beinahe vom Gelenk fielen, und sagte: »Nachdem man so etwas gesehen, hilft alles Erzählen nichts mehr, und wenn man Überzeugung hat, schwindet der Zweifel!« Er sprach dann folgende Verse:
»Hier ist der Anfang meines Elends, hier beginnt mein langdauernder Gram und mein Liebesschmerz. Nach diesem Anblick kann mein Herz keinen Augenblick mehr seine frühere Ruhe behaupten. O Seele, beim allmächtigen Gott! sage diesem durch Liebespein geschwächten Körper Lebewohl und verlasse mich in Frieden!«
Er sagte dann zu dem Spezereihändler: »Du hast mir keine Wohltat erzeigt: hättest du mir vorher etwas von diesen Herrlichkeiten gesagt, ich würde mein Herz darauf vorbereitet und gestärkt haben, daß es die Geduld nicht verliere.« Er fing dann an zu weinen; seine Augen füllten sich mit Tränen wie ein See, und er blieb wie ein Wahnsinniger vor ihm stehen. Da sagte der Spezereihändler zu ihm: »Ich habe nur Gutes mit dir beabsichtigt; ich fürchtete, dir die Wahrheit zu sagen, weil du sonst vor allzu großer Liebe und Sehnsucht verhindert werden konntest, dich mit ihr zu vereinigen und sie zu sehen, Sei aber standhaft, mache dir Mut, sei frohen Herzens und nicht verzagt, sie wird dir bald entgegenkommen.« Ali fragte dann: »Nun, wer ist sie denn?« Der Spezereihändler antwortete: »Es ist Schems Annahar, die Sklavin des Raschid, und der Ort, in dem du dich aufhältst, ist sein neuer Palast, der unter dem Namen »Palast der ewigen Freuden« bekannt ist. Ich habe viel List anwenden müssen, bis ich euch hier vereinigte. Nun möge Gott ein gutes Ende herbeiführen!« Ali blieb ganz betroffen, dann sagte er zu Abul Hasan: »Wisse, daß die Vorsicht vor allem gebietet, sein Leben zu schonen und die Erhaltung desselben im Auge zu haben. Du hast mir nun mein Leben geraubt, sei es durch eine gewaltsame Liebe oder durch die Hand des mächtigen Sultans.« Er schwieg dann, das Mädchen aber blickte zu ihm nach dem Fenster der Kuppel hinauf, und in ihren Blicken lag Liebe und Schmerz; auch er drückte mit seinen Augen und Mienen seine Liebe aus, und so sprach die Zunge der Liebe zwischen ihnen, obschon sie beide schwiegen, und enthüllte ihnen gegenseitig das Innerste ihres Herzens. Nachdem sie so einander eine Weile betrachtet hatten, befahl Schems Annahar der ersten Mädchenreihe, welche die Laute spielte, sich auf ihre Stühle zu setzen. Sie ließ dann durch Sklavinnen Stühle unter die Fenster der Kuppel, an denen Ali und der Spezereihändler sich befanden, bringen und befahl den Mädchen, die mit ihr herauskamen, sich auf diese Stühle zu setzen. Als sie saßen, winkte sie einer derselben und befahl ihr zu singen; diese stimmte ihre Laute und sang folgende Verse:
»Der Geliebte neigte sich zur Geliebten hin, und die Liebe machte aus beiden Herzen ein Einziges.«
»Sie stehen am Meer der Liebe, es ist ein süßes Meer, darum mache reichen Vorrat. Als sie da standen und Tränen über ihre Wangen flossen, sagten sie: die Schuld liegt nicht am Geschick, sondern an dem, der an diesem Meer vorübergeht.«
Sie sangen dabei auf eine Weise, daß der Gefühlvolle entzückt und der Kranke geheilt werden mußte. Ali war tief gerührt, wandte sich zu einem der Mädchen und bat sie, folgende Verse zu singen:
»Wegen der großen Entfernung, o Geliebte! haben meine Augen nur Tränen geerbt. O Freude und Glück meiner Augen! o du Ziel meiner Wünsche und meines Glaubens! habe Mitleid mit dem Betrübten und Verzweifelten, dessen Augen in seinen Tränen untergehen, dessen Liebe sein Innerstes füllt, so lang es Sehnsucht und Seufzer gibt.«
Als das Mädchen nach Ali's Wunsche diese Verse in einem zärtlichen Ton gesungen, wandte sich Schems Annahar zu einer anderen und hieß diese folgende Verse singen:
»Ich seufze nach dem, der gewiß auch seufzen würde, wenn er, wie ich, liebeskrank wäre; nach dem, den ein Teil meiner Sehnsucht schon seines Verstandes berauben würde. Dem barmherzigen Gott will ich klagen und keinem andern, daß mein Herz nicht besitzen kann, was es allein wünscht. Kein Mensch und kein Engel würde meine Leiden ertragen können.«
Das Mädchen sang diese Verse sehr schön mit einer zarten Stimme. Der junge Mann bat dann wieder eine andere, folgende Verse zu singen:
»Er sah deine beiden Augen und seufzte; es drückte ihn die schöne Geduld, er schmachtete und wurde liebeskrank; unter allen Menschen verlangt er nur nach dir.«
Als das Mädchen diese Verse mit vieler Kunst gesungen, seufzte Schems Annahar und sagte dem ihr am nächsten sitzenden Mädchen: Singe folgende Verse:
»Wenn du meine Seufzer nicht hörst, so weißt du nicht, was Mitleid ist. Bei deiner Liebe, bald ist meine Geduld zu Ende, und wie lang werde ich wohl noch Geduld haben müssen.«
Das Mädchen sang, und die beiden Liebenden schwammen in Entzücken und bewiesen sich gegenseitig die heißeste Liebe. Ali bat zuletzt noch einmal ein Mädchen, das in seiner Nähe saß, folgende Verse zu singen:
»Die Zeit der Vereinigung wird zu eng nach dieser Verstellung (Verheimlichung der Liebe in der Tat). Ihr seid ja so schön, und Schönheiten pflegen doch nicht, sich lange entfernt zu halten.«
Während das Mädchen dies sang, vergoß er viele Tränen und seufzte ununterbrochen. Als Schems Annahar diese Verse hörte und seine Tränen sah, konnte sie sich nicht mehr länger zurückhalten; sie stand auf, um nach dem Saal zu gehen. Ali ging ihr bis zur Tür entgegen und streckte seine Arme nach ihr aus: sie umarmten sich an der Tür: wer noch niemals sah, wie die Sonne den Mond umarmte, sah nie zwei schönere Menschen beisammen, als diese beiden! Ihre Kraft verließ sie endlich, sie fingen an zu wanken; alle Mädchen umgaben sie und legten sie auf die Polster im Saal, sie brachten Rosenwasser und Moschuspulver und bespritzten sie damit, bis sie wieder zu sich kamen und so schön und blühend waren, wie zuvor. Schems Annahar wandte sich dann zur Rechten und zur Linken, und suchte den Spezereihändler, der sich hinter den Mädchen verborgen hatte. Als sie nach ihm fragte und er hervortrat, grüßte sie ihn und hieß ihn willkommen und dankte vielmal und sagte ihm: »Deine Güte gegen mich hat den höchsten Gipfel erreicht, ich weiß nicht, wie ich dich belohnen soll; du stehst niemand nach, wenn es sich darum handelt, als Mann eine schöne Tat zu vollbringen.« Er ward so schamrot, daß er den Kopf zur Erde neigte. Sie sagte dann zu Ali: »Mein Herr, wenn auch deine Liebe den höchsten Gipfel erreicht hat, so ist doch gewiß die meinige nicht geringer! Es bleibt nichts übrig, als auf Gottes Ratschlüsse zu vertrauen und bei seinen Versuchungen standhaft zu bleiben.« Ali antwortete: »O meine Gebieterin! meine Vereinigung mit dir und dein Anblick können das Feuer der Sehnsucht in mir nicht löschen und das, was ich empfinde, nicht vertreiben; ich wiederhole, was ich schon gesagt habe: daß ich nur mit dem Tode aufhören werde, dich zu lieben; nur wenn mein Herz vergeht, wird auch meine Liebe vergehen.« So weinten dann beide und es flossen die Tränen wie zerstreute Perlen über ihre Wangen, die dadurch einer mit Regentropfen behängten Rose glichen. Abul Hasan sagte dann: »Eure Lage ist zart und euer Zustand wunderbar; wenn ihr in der Nähe schon so seid, was wollt ihr in der Entfernung beginnen? Seid munter und verscheucht den Kummer! Liebende müssen ihre Zeit, wie eine Beute, schnell benützen.« Sie hörten auf zu weinen, und Schems Annahar machte der ersten Sklavin ein Zeichen: diese ging schnell weg und kam mit zwei Sklavinnen wieder, die ein silbernes Tischchen trugen, das sie vor Ali und den Spezereihändler setzten. Schems Annahar ging auf sie zu und sagte: »Nach einer solchen Unterredung darf man wohl durch fröhlichen Scherz sich erheitern.« Sie setzten sich dann zu Tische, und Schems Annahar fing an zu essen und dem Ali Speisen vorzulegen, während er ihr manchen Bissen in den Mund schob. Als sie genug gegessen hatten, ward der Tisch weggetragen; man brachte dann ein silbernes Waschbecken mit einer goldenen Kanne, sie wuschen ihre Hände und gingen wieder auf ihren Platz. Schems Annahar winkte wieder einer Sklavin; diese blieb eine Weile weg, kam dann mit drei Sklaven zurück, welche drei goldene Platten brachten; auf jeder derselben war ein Trinkgefäß aus Kristall, mit Gold verziert und mit köstlichem Wein gefüllt. Es war jedem eine Platte vorgestellt. Hierauf befahl Schems Annahar zehn Sklavinnen, sich an unsere Seite zu stellen, auch ließ sie zehn Sängerinnen kommen; alle übrigen mußten sich entfernen. Sie nahm dann einen Becher, füllte ihn und ließ ein Mädchen folgende Verse singen:
»Ich gebe mein Leben hin für den, der meinen Gruß lachend erwidert, und nach der Verzweiflung mir wieder Luft zur Vereinigung gegeben. Sobald er erscheint, entdeckt die Sehnsucht meine Geheimnisse, und zeigt denen, die mich tadeln, was ich im Herzen trage; die Tränen meiner Augen bilden eine Scheidewand zwischen mir und dem Geliebten, als wenn die Tränen ihn eben so liebten, wie ich!«
Sie trank den Becher aus, füllte einen anderen mit Wein und reichte ihn ihrem geliebten Ali. Er nahm ihn und bat eine Sklavin, folgende Verse zu singen:
»Wie dieser Wein, fließen auch meine Tränen; was meine Augen vergießen (blutige Tränen) gleicht dem, was der Kelch enthält. Ich weiß wirklich nicht, ob meine Augen Wein vergießen, oder ob ich meine Tränen getrunken.«
Der junge Mann trank, und Schems Annahar füllte einen dritten Becher und reichte ihn Abul Hasan; dieser nahm ihn an, und sie ergriff eine Laute von einem der Mädchen und sagte: »Ich werde zu diesem Becher singen; es ist das wenigste, was ich für dich tun kann.« Sie sang dann folgende Verse:
»Die wunderbaren Tränen zittern auf seinen Wangen und das Feuer der Liebe brennt in seiner Brust. Wenn die Freunde nahe sind, weint er aus Furcht vor ihrer Entfernung, so daß Tränen fließen, sie mögen nahe oder ferne sein.«
Die zwei Liebenden schwebten in Entzücken. Sie sang mit so vieler Kunst und mit solch himmlischer Stimme, daß Ali einem Vogel glich, dem man seine Flügel geraubt, so schön harmonierte ihr Gesang mit ihrem Spiele. Als sie so eine Weile beisammen waren, kam eine Sklavin gleich einer Biene herbeigeflogen, zitterte dabei wie die Spitze eines Dattelbaums und rief: »O meine Gebieterin! die Diener des Fürsten der Gläubigen sind an der Tür mit Masrur, Afif und Wasif.« Alle sanken fast in den Boden vor Schrecken und vor Furcht; der Mond ihrer Freuden verdüsterte sich und die Sterne ihrer Wonne gingen unter; sie fürchteten, es möchte schon alles entdeckt sein.
Schems Annahar lachte über die Furcht Alis und Hasans, und sagte zu ihrer Sklavin: »Halte sie ein wenig zurück, daß sie nichts merken!« Wiewohl ungern stand sie auf, ließ die Kuppel und den Saal schließen und die Vorhänge an den Fenstern herunterrollen, ging hinunter in den Garten, und die beiden, Ali und der Spezereihändler, blieben, wo sie bisher waren. Schems Annahar ließ die Stühle wegbringen, setzte sich auf ihren Stuhl und ließ sich durch eine Sklavin ihre Füße kneifen und gab endlich die Erlaubnis, die Angemeldeten näherkommen zu lassen. Diese erschienen, von zwanzig Dienern begleitet, im schönsten Aufzug, die Schwerter an einem goldenen Gürtel an ihrer Seite, sie brachten ihr den schuldigen Gruß, sie erwiderte ihn und kam ihnen freundlich und ehrerbietig entgegen. Sie fragte dann Masrur, was er neues bringe, und dieser antwortete: »Der Fürst der Gläubigen grüßt dich, läßt sich nach deinem Wohl erkundigen und dir seine Sehnsucht anzeigen. Er wird heute einen fröhlichen Tag zubringen und wünscht ihn diese Nacht mit dir zu beschließen; bereite dich daher zu seiner Ankunft vor und laß deinen Palast ausschmücken.« Sie antwortete: »Ich gehorche Gott und dem Fürsten der Gläubigen!« Sie ließ dann durch ein Mädchen ihre Haussklavinnen rufen, und als diese kamen, verteilte sie solche in den Garten und den Palast, um den Leuten zu zeigen, daß sie, wie ihr befohlen, Vorkehrungen treffen lasse. Im Palast fehlte nichts an Teppichen und an anderen Ausschmückungen. Sie sagte dann den Dienern: »Geht nun mit Gottes Schutz und Vertrauen! Berichtet dem Fürsten der Gläubigen, was ihr gesehen, und sagt ihm, er solle nur ein wenig verziehen, bis sein Zimmer und sein Lager in Ordnung gebracht seien.« Die Diener gingen fort, Schems Annahar aber kehrte zu ihrem Geliebten und seinem Freunde zurück, die wie Vögelchen vor Angst zitterten. Sie drückte Ali fest an sich, weinte dabei heftig und sagte: »O mein Herr, dieser Abschied wird meinen Tod herbeiführen! Gott gebe mir Geduld, bis ich dich wiedersehe, oder er nehme mir das Leben nach deiner Entfernung!« Sie setzte hinzu: »Was dich betrifft, so wirst du unversehrt und ungesehen von hier wegkommen; du kannst leicht deinen Liebesgram verbergen, so daß dich niemand durchschaut! Aber ich gehe meinem Unheil und meinem bösen Geschick entgegen. Der Kalif wird wohl merken, daß ich, aus Gram über deine Trennung, nicht wie sonst gegen ihn bin. Mit welcher Stimme soll ich vor ihm singen, mit welchem Herzen bei ihm sein, mit welcher Kraft ihn bedienen, mit welchem Witze ihn und die, welche er mitbringt, unterhalten und zufriedenstellen?« Abul Hasan sagte ihr:
»Ich beschwöre dich, dich in Geduld zu fassen und dir diese Nacht so viel Mut als möglich zu machen, Gott wird in seiner Güte euch wieder vereinen.« Während sie so sprachen, kam eine Sklavin und fragte: »O meine Gebieterin, die Diener sind schon wieder zurück und du bist noch hier?« Sie sagte: »Wehe dir! eile und bringe diese beiden schnell in das Sommerhaus, das in den Garten geht, und wenn es dunkel wird, so sorge dafür, daß sie wegkommen!« Die Sklavin sprach: »Ich werde pünktlich gehorchen.« Schems Annahar sagte ihnen dann Lebewohl und verließ sie in Verzweiflung. Die Sklavin nahm hierauf die beiden, brachte sie in das Sommerhaus, das von der einen Seite in den Garten und von der anderen nach dem Tigris hinausgeht, ließ sie dort niedersitzen, schloß die Tür und ging fort.
Schehersad erzählte weiter: Als die Sklavin sie in das Sommerhaus gebracht, ging sie weg. Abul Hasan und Ali blieben allein; es ward schon Nacht und sie wußten nicht, was aus ihnen werden sollte und wie sie gerettet werden könnten. Als sie nach dem Garten hinabblickten, sahen sie mehr als hundert Diener, wie Hochzeiter in den schönsten Farben gekleidet, jeden mit einem goldenen Gürtel, an dem ein Schwert hing. Ihnen folgten mehr als hundert Sklaven, mit weißen Wachskerzen in der Hand. In ihrer Mitte war der Kalif Raschid zwischen Masrur und Wafif, vor Trunkenheit hin und her schwankend. Hinter ihm kamen zwanzig Sklavinnen mit Wachskerzen, kostbar gekleidet; Juwelen glänzten an ihrem Hals und bedeckten ihren Kopfputz. Andere auf ihren Lauten spielende Sklavinnen, an deren Spitze Schems Annahar ging, kamen diesen zwischen den Bäumen entgegen. Schems Annahar küßte die Erde vor dem Kalifen Raschid, und dieser hieß sie willkommen, indem er ihr ein angenehmes Leben und ein freudiges Herz wünschte; er stützte sich auf ihren Arm und ging bis zum silbernen Thron, auf den er sich setzte. Schems Annahar ließ dann die Stühle an der Seite des Teichs aufstellen, und der Kalif befahl den Sklavinnen, welche mit ihm gekommen waren, sich darauf zu setzen. Als alle Platz genommen, setzte sich Schems Annahar ihm gegenüber. Er sah sich eine Weile im Garten um und ließ dann die Fenster der Kuppel öffnen. Er war zur Rechten und zur Linken von so vielen Lichtern umgeben, daß die Nacht zum Tag und die Finsternis in Glanz verwandelt ward. Die Diener holten dann die Trinkgefäße herbei. Ich erblickte hier eine Pracht von Edelsteinen, erzählt uns Abul Hasan, der Spezereihändler, was mir nie die glühendste Phantasie gezeigt hatte. Mir war's, als wenn ich träumte. Ali war ganz verwirrt von dem Glanz, den er sah. Seine Bewegungen waren matt, er schaute mit gebrochenen Augen umher, sein Herz war krank und zerrissen. Abul Hasan sagte zu ihm: »Siehst du den König?« Er antwortete: »Ja, und damit unser Unglück! Uns rettet nichts mehr vom Untergang. Doch mich töten vor allem die Liebe, die sich meiner bemächtigt, die Trennung nach der Vereinigung, die Furcht, die Gefahr unseres Aufenthalts, die Schwierigkeit der Rettung. Gott allein muß ich um Hilfe anflehen in meinem Zustand.« Abul Hasan antwortete: »Nur Geduld kann helfen, bis Gott deinen Kummer mildert.« Er sah dann wieder nach dem Kalifen hin, wie dieser sich eben zu einer der Sklavinnen von seinem Gefolge wandte und ihr zu singen befahl. Diese spielte auf ihrer Laute und sang dabei folgende Verse:
»Hätte man je Wangen gesehen, die von den herunterrieselnden Tränen grünten, so würden die meinigen Grünes hervorbringen. Obschon ich nur Tränen weine, ist es mir doch, als ob mit ihnen alle meine Lebensgeister schwänden! Und weil ich nirgends mehr Ruhe finden kann, rief ich schon dem Tode: sei mir willkommen.«
Die beiden im Sommerhaus sahen auf Schems Annahar, die bei diesen Versen zu zittern begann und auf ihrem Stuhl im Ohnmacht fiel. Die Sklavinnen sprangen ihr bei und trugen sie weg. Ali wandte kein Auge von ihr ab. Als der Spezereihändler ihn ansah, lag auch er in Ohnmacht auf seinem Gesicht, mit starren Gliedern. Abul Hasan sagte dann: »Das Schicksal hat gut gegen diese beiden gehandelt, indem es sie gleichgestellt hat.« Es überfiel ihn aber bald darauf eine große Angst; auch kam jetzt eine Sklavin und rief: »Steht auf, die Welt wird uns zu eng; ich fürchte, die heutige Nacht wird unsere Auferstehungsnacht werden!« Der Spezereihändler erwiderte ihr: »Wie kann man mit dem jungen Manne in diesem Zustand aufstehen?« Sie begoß Ali hierauf mit Rosenwasser und rieb ihm seine Hände, bis er zu sich kam. Sein Freund, der Spezereihändler, sagte zu ihm: »Erwache schnell, ehe du untergehst, und auch uns mit ins Verderben stürzest!« Sie trugen ihn dann vom Sommerhäuschen weg; die Sklavin öffnete eine kleine eiserne Tür, die auf einen Kanal führte, dann klatschte sie in die Hände, und es kam ein Boot mit einem Ruderer herbei; dieses bestiegen Ali und der Spezereihändler nebst der Sklavin. Der liebende Jüngling streckte die eine Hand nach dem Schlosse aus, legte die andere auf sein Herz und sprach mit schwacher Stimme folgende Verse:
»Ich strecke zum Abschied eine schwache Hand aus, und legte die andere auf die Glut, die in meinem Herzen brennt. Möge doch diese Zusammenkunft mit euch nicht die letzte sein, und dieser Genuß eurer Reize nicht der einzige bleiben!«
Der Schiffer ruderte mit den dreien rasch davon.
Als sie über den Strom gesetzt und ans Land gestiegen waren, sagte die Sklavin zu den anderen: »Ich kann nicht länger mit euch gehen und muß euch jetzt verlassen.« Ali war also Hasan allein überlassen, jener war noch so schwach, daß er sich kaum bewegen konnte. Dieser wiederholte immer: »Wir werden verderben, wir sind hier nicht sicher vor den Vorüberwandelnden, welche uns bemerken werden.« Er peinigte mit solchen Vorwürfen noch lange den Jüngling; endlich ermannte er sich, doch gelang es ihm kaum, weiter zu schreiten. Der Spezereihändler hatte aber in jener Gegend mehrere Freunde; zu einem von diesen, dem er vertrauen konnte und bei dem er sich sicher fühlte, lenkte er seine Schritte. Er klopfte an einer Türe, der Herr des Hauses erschien sogleich und freute sich, wie er Abul Hasan erkannte. Er brachte die beiden in seine Wohnung, und als sie auf den Polstern ruhten, fragte er sie, woher sie in so später Stunde kämen. Der Spezereihändler antwortete: »Ich hatte mit jemanden ein Geschäft, von dem ich gehört hatte, daß er nach meinem Vermögen lüstern wäre. Da ich in der Nacht zu ihm gehen mußte, nahm ich diesen Herren - er deutete dabei auf Ali - mit mir, aus Furcht vor Überlistung. Da wurde diesem Herren unwohl, und ich wußte im Augenblick nicht wohin mit ihm: wir nahmen daher unsern Weg zu dir, um uns bei dir zu erholen.« Der Mann erzeigte ihnen hierauf alle Ehre und ließ sie trefflich bedienen. Sie blieben die ganze Nacht bei ihm. Als der Morgen anbrach, verließen sie das gastliche Haus und gingen an den Fluß; sie mieteten ein Boot, um über den Strom zu setzen und sich nach Hause zu begeben. Ali folgte dem Spezereihändler in sein Haus; hier warf ihn Liebe, Verdruß und Mattigkeit darnieder. Nach einer guten Weile erwachte er; inzwischen ließ jener das Haus in Ordnung bringen, um Ali zu ergötzen und aufzuheitern; denn er sagte zu sich: Ich weiß ja alles, was mit ihm und seiner Geliebten vorgeht, und wie sehr diese Trennung ihn schmerzt! Dann lobte er Gott für seine Rettung aus der Gefahr, in der er geschwebt hatte, und gab Almosen für diese Huld. Zu dem erwachten Ali sagte er aber: »Sei guten Muts!« Ali antwortete: »Tu, was du für gut findest, ich widersetze mich dir nicht.« Der Spezereihändler ließ dann seine Knaben und Freunde kommen, auch bestellte er Sängerinnen; so kam der Abend heran, da wurden Wachskerzen angezündet und man lebte lustig und guter Dinge. Als aber die Sängerinnen Verse sangen, fiel Ali aufs neue in Ohnmacht, bis die Morgenröte heranbrach; da kam er wieder zu sich, nachdem alle die Hoffnung verloren hatten, ihn wieder am Leben zu sehen. Ali wünschte dann nach Hause zu gehen, und der Spezereihändler wollte seinen Wünschen nicht widersprechen, aus Furcht von den unglücklichen Folgen. Seine Knaben brachten ihm sein Maultier, das er bestieg, und sein Freund folgte ihm. Als dieser ihn ruhig in seinem Hause sah, lobte er den erhabenen Gott und pries seinen Namen! Er fuhr dann fort, Ali zu trösten, aber dieser war seiner selbst nicht mehr Herr: er wandte ihm weder Herz noch Ohren zu. Dann nahm Abul Hasan Abschied von ihm.
Als er weggehen wollte, sagte Ali zu ihm: »O mein Freund! hast du keine Nachricht von meiner Geliebten? Du hast gesehen, in welchem Zustand sie war, als wir den Garten verließen, wir müssen uns doch nach ihr erkundigen.« Abul Hasan antwortete: »Ihre Sklavin wird gewiß zu uns kommen und Nachricht von ihr bringen.« Er verließ endlich Ali und ging in seinen Laden, wo er auf eine Botschaft wartete; aber die Sklavin kam nicht. Er brachte die Nacht zu Hause zu. Nach der Morgenabwaschung ging er in die Wohnung Alis, den er in seinem Bette fand; viele Leute besuchten diesen und umringten sein Lager; auch Ärzte waren darunter, von denen jeder ein anderes Mittel zur Heilung anordnete. Als Ali Abul Hasan sah, neigte er sich zu ihm, hieß ihn willkommen und lächelte ein wenig. Abul Hasan näherte sich ihm ehrerbietig und erkundigte sich nach seinem Befinden, fragte ihn, wie er die Nacht zugebracht, und setzte sich zu ihm, bis die vielen Leute sich entfernt hatten. Da frug er ihn, was dieser Zustand bedeute? Ali antwortete: »Meine Diener haben ausgesagt, ich wäre krank und kraftlos; da ich, wie du wohl siehst, zu Hause blieb, kamen die Leute, mich zu besuchen, und ich konnte sie doch nicht fortschaffen. Jetzt sage mir, hast du die Sklavin gesehen?« Abul Hasan verneinte, doch machte er ihm Hoffnung, im Laufe des Tages sie noch zu sehen. Ali fing heftig zu weinen an, und sprach folgende Verse:
»Ich habe meine Liebe verborgen, bis sie zur höchsten Flamme entglüht; nun haben meine Tränen offenbart, was ich sorgfältig verheimlicht. Als ich aber sah, wie meine Tränen meine Liebe laut verkündet haben, gab auch ich jede Scham auf, denn Offenheit ist noch das Beste. Nun enthülle ich vollends, was meine Tränen verborgen ließen, und doch ist das, was ich gar nicht aussprechen kann, das Größte und Höchste.«
Er sagte dann: »Mein Schicksal hat mich in ein Unglück gestürzt, das ich wohl hätte umgehen können; ich sehe nicht, wie ich dem Tode entrinnen kann; ich finde keine Ruhe mehr, um die Todesschmerzen zu mildern, keine Freude mehr, meinen Kummer zu lindern.« Abul Hasan sagte ihm: »Vertraue Gott, er wird dich heilen! Du bist nicht der erste noch der einzige, dem so etwas widerfährt.« So unterhielten sie sich noch eine Weile, dann verließ ihn Abul Hasan, um auf den Bazar zu gehen und seinen Laden zu öffnen; ehe er noch recht fertig damit war, kam die Sklavin und grüßte ihn; aber ihre Schönheit war verschwunden und ihr Herz gebrochen. Er fragte sie nach ihrer Herrin, nachdem er sie bei sich willkommen geheißen und ihr erzählt hatte, wie es ihm und seinem Freunde bis jetzt gegangen. Die Sklavin hörte ihn mit Erstaunen an und sagte: »Meine Herrin befindet sich auch in dem schrecklichsten Zustand. Sobald ihr weggegangen wart, und ich mit pochendem Herzen an eurer Rettung zweifelte, kehrte ich wieder in die Kuppel zurück, wo ich meine Herrin auf dem Boden liegend fand, ohne daß sie jemand erkannte, noch auf das hörte, was man zu ihr sprach. Der Fürst der Gläubigen saß ihr zu Häupten, doch konnte niemand Nachricht von dem geben, was sie so peinigte; und so wußte er nicht, was er daraus machen sollte. Sie blieb bis Mitternacht in diesem Zustand. Die Diener umgaben sie von allen Seiten; die einen freuten sich, die anderen weinten über sie. Endlich erwachte sie und stand auf. Arraschid fragte sie, was ihr fehle, als sie seine Stimme vernahm, küßte sie seine Füße und sagte: O Fürst der Gläubigen! Gott nehme mein Leben für das deinige hin! Mir ist infolge einer Indigestion unwohl geworden, und mir war, als brenne ein Feuer in meinem Körper; ich fiel vor Schmerzen in Ohnmacht und wußte nicht mehr, wo ich war. Der Kalif fragte sie dann: Was hast du den Tag über getan? Sie erzählte ihm gerade das Gegenteil von dem, was sie getan, stellte sich wieder krank, forderte Wein und trank ihn; dann bat sie den Fürsten der Gläubigen, daß die unterbrochenen Lustbarkeiten wieder beginnen sollten. Als er wieder seinen Platz eingenommen und ihr befohlen hatte, sich in der Kuppel niederzulassen und keine Unruhe mehr zeigte, ging ich zu ihr hinein; sie fragte mich nach euch, und ich erzählte ihr, was aus euch geworden, und wiederholte ihr die Verse Alis; sie weinte, und eine Sklavin mit Namen Lihazuluschak (Blick der Liebenden) sang folgende Verse:
»Bei meinem Leben! nach der Trennung von euch ist das Leben mir nicht mehr süß. O wüßte ich doch, wie ihr nach mir leben werdet! Es ziemt mir wohl, nach eurem Verlust Blut zu weinen, wenn ihr meinetwillen Tränen geweint.
Sie verfiel dann wieder in ihren früheren Zustand; vergebens rüttelte ich sie hin und her. Ich zog sie an den Füßen und spritzte Rosenwasser auf ihr Gesicht, bis sie erwachte. Ich sagte ihr: Du wirst dich diese Nacht in das Verderben stürzen, samt allen, die in deinem Hause sind. Bei dem Leben deines Geliebten! sei mutig und fasse Geduld, und stündest du auch auf den Kohlen des Ghadha. Sie antwortete: Kann ich dabei mehr als sterben? Nur im Tode finde ich bei diesem Zustand Ruhe.« Während wir so sprachen, sang ein anderes Mädchen, mit Namen Falakulmahdjur (die Morgenröte des Getrennten) folgende Verse:
»Man sagt: vielleicht bringt Geduld zuletzt Ruhe; aber ich erwidere: wie ist nach der Trennung von ihm Geduld möglich? Er hat bei der letzten Umarmung ein festes Bündnis mit mir geschlossen, die Bande der Geduld zu zerreißen.«
Sie fiel wieder in Ohnmacht. Der Fürst der Gläubigen lief erschrocken auf sie zu; als er sie sah, bemerkte er, daß ihre Seele sich von ihr trennen wolle; er ließ den Wein wegtragen und befahl den Mädchen, in ihren Harem zurückzukehren, er aber blieb die ganze Nacht bei ihr. Am Morgen kam sie erst wieder zu sich; da ließ der Fürst der Gläubigen Ärzte rufen und befahl ihnen, sie zu pflegen, und merkte nicht, daß sie liebeskrank ist. Er blieb bei ihr, bis er sie wieder für gestärkter hielt, und kehrte dann mit beunruhigtem Herzen wegen ihrer Krankheit in seinen Palast zurück, ließ aber viele Diener bei ihr. Sie war jedoch kaum allein, so befahl sie mir zu dir zu gehen, um mich nach meinem Herrn Ali, Sohn des Bekar, zu erkundigen.«
Als Abul Hasan die Rede der Sklavin hörte, sagte er ihr: »Ich habe dir schon erzählt, wie es ihm geht; grüße sie also, bemühe dich, sie zu überreden, ihren Zustand zu verbergen; ich aber werde Ali von allem, was du mir gesagt, benachrichtigen.« Sie dankte Abul Hasan, sagte ihm Lebewohl und ging. Abul Hasan verbrachte den Rest des Tages mit Kaufen und Verkaufen, ging dann zu Ali und fand ihn noch ebenso, wie er ihn verlassen hatte; er starrte ihn an, hieß ihn willkommen und sagte: »Mein Herr! ich habe nichts getan zu deiner Erleichterung, und doch habe ich dir eine so schwere Last aufgebürdet, daß mein ganzes Leben bis zu meiner letzten Stunde dir dafür verpfändet bleibt.« Er antwortete ihm: »Genug davon; könnte ich mein Leben für das deinige hingeben, ich würde es gerne tun, und wäre es mir möglich, dich mit meinem Auge zu retten, ich würde es nicht schonen.« Abul Hasan erzählte ihm dann, daß das Mädchen gekommen, und was sie ihm alles berichtet. Dies tat Ali sehr weh; er jammerte, klagte und weinte, und sagte: »Was läßt sich da tun bei einer so wichtigen Angelegenheit?« Er bat dann Abul Hasan, bei ihm zu übernachten, was dieser auch annahm; er schlief aber sehr wenig, und als die Morgenröte leuchtete, verließ er Ali und ging wieder nach seinem Laden. Er wollte ihn eben öffnen, als er die Sklavin davor stehen sah; er ging auf sie zu, und sie winkte und grüßte ihn ehrerbietig. Sie war von ihrer Herrin gesandt, um sich nach dem Wohle Alis zu erkundigen. Abul Hasan tat eine gleiche Frage nach dem Wohl ihrer Herrin. Das Mädchen sagte: »Sie ist noch immer in dem gleichen Zustand, ja in noch schlimmerem. Ich habe hier einen Brief, den sie an Ali geschrieben; sie hat mir empfohlen, eine Antwort zurückzubringen, und überhaupt zu tun, was du mir befehlen würdest. Abul Hasan führte sie nun nach Alis Haus, trat aber zuerst allein ein und ließ die Sklavin außen stehen. Als Ali ihn sah, fragte er, was es neues gebe? Abul Hasan antwortete: »Gutes. Die Sklavin deines Freundes ist draußen; ihr Herr hat sie mit einem Briefchen zu dir geschickt, worin er seine Sehnsucht nach dir ausdrückt und sich entschuldigt, daß er dich noch nicht besucht habe; wenn du es ihr erlaubst, so wird sie vor dir erscheinen.« Er winkte ihm dabei mit dem Auge, und Ali sagte: »Gut, sie komme!« Als er das Mädchen sah, erkannte er sie, sein Herz pochte und freute sich, als sie zu ihm trat. Er fragte sie dann, ihr zunickend: »Wie befindet sich dein Herr? Gott schenkt ihm Gesundheit!« Sie nahm ihr Briefchen heraus und gab es ihm; er küßte es, ehe er es las, reichte es dann Abul Hasan, den seine Hand war so schwach, daß er sie kaum ausstrecken konnte. Abul Hasan öffnete dann das Briefchen und las darin folgende Verse:
»Was ich meinem Boten gesagt, wird dir meinen Zustand beschreiben. Begnüge dich mit dem, was er dir hinterbringt, statt mich zu sehen. Du hast ein Herz verlassen, das vor Sehnsucht und Liebesqual vergeht, und ein Auge, das nur mit Wachen vertraut ist. Sei geduldig im Unglück; niemand kann die Fügungen des Schicksals von sich abwehren. Sei frohen Mutes: denn bist du auch meinem Auge fern, wirst du doch nie aus meinem Herzen weichen: pflege deinen hinsiechenden Körper und nimm meine Spur als Leitung.«
Dann in Prosa folgendes: »Mein Herr! Wenn ich dir mit den Fingern schreibe, und mit der Zunge rede und meine Gedanken ausspreche, so muß ich dir sagen, daß ich von einem Herzen, von einem Geist und einem Körper spreche, welche nicht mehr wären, wenn ich nicht wünschte, dir zu zeigen, in welchen Zustand sie durch dich gekommen, denn mein Körper könnte dieses Ziel nicht erreichen, wäre nicht die Lust, dir die Sehnsucht zu beschreiben, die seit deiner Trennung mich peinigt. Wer mich sieht, bedarf meiner Schilderung nicht; doch, in kurzem, mein Zustand ist folgender: Ich habe ein Auge, das immer wacht; ein Herz, das immer nachdenkt; eine Brust, von der die Wehmut nicht scheidet; eine Seele, die immer phantasiert; Gedanken, die nur einen kranken Körper zur Wohnung haben und an einem seufzenden Herzen vorübergehen. Mir ist, als hätte ich nie Gesundheit gekannt und wäre immer krank gewesen, als hätte ich nie frisch ausgesehen und nie ein vergnügtes Leben genossen! O möchte ich doch nicht vergessen sein, und nur einem Klagenden klagen und nur gegen einen Weinenden weinen!«
»Möge Gott uns doch durch Wiedervereinigung erfreuen, er möge allen helfen, die wehklagen! Und nun, mein Herr und Gebieter! beglücke mich mit einer edlen Antwort: sie wird als mein Freund mir Gesellschaft leisten und als Vertrauter mich trösten. Sei nur fein geduldig, bis uns Gott Mittel zur Wiedervereinigung gibt. Grüße auch Abul Hasan.«
Diese Worte, die selbst ein leeres Herz mit Wehmut erfüllen konnten, wie vielmehr ein volles, rührten Abul Hasan so, daß, wenn er sich nicht gescheut, er alles entdeckt hätte; so aber mußte er die Wahrheit verbergen. Er sagte nur zu Ali: »Der Mann hat sehr schön und zierlich geschrieben, beeile dich also zu antworten.« Da sagte Ali mit schwacher Stimme. »Mit welcher Zunge soll ich sprechen und mit welcher Hand schreiben; meine Schwäche und mein Jammer nehmen immer zu.« Doch setzte er sich endlich und legte Papier vor sich und sagte zu seinem Freund: »Lege ihren Brief vor mich hin!« Er öffnete ihn dann, sah eine Weile hinein und schrieb wieder bis er fertig war; dann gab er das, was er geschrieben hatte, Abul Hasan und sagte: »Sieh es einmal durch und gib es dann der Sklavin.« Abul Hasan nahm es und las folgendes:
Am Namen Gottes, des Barmherzigen! Ich erhielt einen Liebesbrief vom Monde, der sein Licht in meine Augen goß. Dieser Brief wird immer schöner, je länger mein Auge auf ihm ruht, als wären seine Worte von Blumen zusammengestellt. Er hat einen Teil meiner Leiden erleichtert, die durch deinen Verlust so schwer auf mir lasten. Meine unbeschreibliche Liebe ist dir nicht verborgen, und mein ungeheuerer Kummer entgeht dir nicht. Mein Herz und mein Auge, jenes weint vor Liebesflammen und dieses zerfließt vor ewigem Wachen. Meine Tränen hören nicht auf zu fließen, und die Flamme meiner Sehnsucht erlischt nie. Bei meiner Liebe und meiner Hoffnung, ich habe nicht zu viel gesagt: Nach unserer Trennung habe ich meine Liebe nie mehr einem anderen Gegenstand zugewendet.«
»Dein Briefchen, o meine Gebieterin! ist mir zugekommen und hat meiner Seele Ruhe gebracht, die Gram und Liebesschmerz ermüdet haben; es hat ein Herz geheilt, das Sehnsucht und Liebe krank gemacht; es hat eine Zunge wieder zum Reden gebracht, die lange geschwiegen; es hat das düstere Nachdenken wieder in Fröhlichkeit verwandelt und wie ein grüner Garten das Auge erfreut. Als ich dessen Inhalt verstanden und seine Worte und seinen Sinn erwogen hatte, ward ich, je mehr ich darin las, desto inniger erfreut. Dann wiederholte ich oft dessen Sinn, der mir wieder entschlüpfte, und fand immer neue Gedanken darin. Dann ward mir die Trennung wieder schmerzlicher, meine Krankheit nahm wieder zu, meine Sehnsucht verdoppelte sich, meine Pein ward heftiger, die Liebe größer, bedrängter das Herz, die Sorgen mehrten sich, das Auge ward wachend, der Körper ermattet, die Hoffnung abgeschnitten, die Entfernung gewiß, die Brust umstrickt und der Verstand geraubt. Kurz, meine Lage ist so, daß meine Leiden noch alle meine Klagen übertreffen.«
»Meine Klagen ertönen nicht, den Schmerz zu löschen, sondern nur um von einer übermäßigen Sehnsucht zu überzeugen. Mein Herz bleibt durch die Trennung vernichtet, bis die Wiedervereinigung seinen Brand löschen und ihm volle Genesung bringen wird. Friede sei mit dir!«
Diese Worte drangen Abul Hasan ins Herz und ihr Sinn kostete ihm viele Tränen; erst als er zu müde war, hörte er auf zu weinen. Sein Herz ward gerührt und aufgeregt, und nur nach vieler Anstrengung beruhigte er sich wieder. Er gab den Brief der Sklavin; als sie ihn nahm, sagte ihr Ali: »Komm zu mir her!« Sie ging zu ihm, und er sagte ihr: »Sage deinem Herrn, daß ich wohl bin, daß ich aber liebeskrank, und daß die Sehnsucht mir Mark und Bein aufzehrt. Sage ihm, daß ich ein unglücklicher Mensch bin, den das Schicksal mit seinen Unfällen heimgesucht.« Seinen Worten folgten viele Tränen; Abul Hasan und die Sklavin weinten auch; dann nahm die Sklavin Abschied, ging gerührt und weinend fort. Abul Hasan begleitete sie eine Strecke Wegs und sagte ihr dann Lebewohl, weil er in seinen Laden ging. Als Abul Hasan wieder in seinem Laden saß, war sein Herz so aufgeregt, daß er anfing über das Schicksal der beiden Liebenden nachzudenken; er starb fast vor Kummer ihretwillen, denn er wußte nicht, ob es mit ihnen ein gutes Ende nehmen würde. Er blieb in diesem Zustand bis zum folgenden Tag, wo er wieder zu Ali ging. Da er, wie gewöhnlich, viele Leute bei ihm fand, wartete er, bis diese weggegangen. Er erkundigte sich dann nach seinem Befinden, und Ali fing zu klagen an. Abul Hasan sagte ihm: »Ich habe nie eine Liebe wie die deinige gesehen, noch von einer solchen gehört. Ein solcher Liebesschmerz und leidender Zustand finden sich gewöhnlich nur bei unerwiderter Liebe; da du aber von der, die du liebst, wieder geliebt wirst, was würdest du tun, wenn du ein Mädchen liebtest, die dir nicht hold wäre, oder an jemand dein Herz schenktest, das dich hinterginge? Wahrlich, wenn du in einem solchen Zustand verharrst, wird der Mond deines Geheimnisses sich verdüstern, und deine Liebe jedermann bekannt werden! Zerstreue dich doch! Steh' auf, besuche Gesellschaften, reite spazieren! Trage diese Sache mit Ergebung, und überlege sie mit Ernst!« Abul Hasans Rede machte Eindruck auf ihn; er dankte ihm dafür, und als Abul Hasan dies sah, verließ er ihn und ging wieder in seinen Laden. Nun aber hatte Abul Hasan einen Freund, der alle seine Angelegenheiten kannte, und dem selbst nicht das verborgen geblieben, was zwischen ihm und Ali vorgefallen war. Dieser kam nun zu Abul Hasan in den Laden und fragte ihn nach dem Mädchen; er täuschte ihn und sagte, sie sei krank, und weiter wüßte er nichts von ihr, das übrige wisse nur Gott. Er fuhr dann fort: ich habe gestern an mich selbst gedacht und will dir heute alles mitteilen. Du weißt, daß ich ein angesehener Mann bin, der mit den ersten Männern und Frauen viele Geschäfte macht. Da ich nun nicht sicher bin, das Verhältnis dieser beiden jungen Leute entdeckt zu sehen, was den Verlust meines Lebens und meines Vermögens nach sich ziehen würde, ja das Unglück meiner Kinder und meiner ganzen Familie ausmachte, da ich mich ferner jetzt nicht mehr von ihnen zurückziehen kann, nachdem ich einmal so weit gegangen, so habe ich mich entschlossen, meine Geschäfte hier zu ordnen, nach Baßrah zu gehen, dort zu bleiben und abzuwarten, wie es ihnen hier gehen wird, und was Gott über sie bestimmt. Schon ist die Liebe so heftig zwischen diesen beiden jungen Leuten, daß sie, ohne dadurch zugrunde zu gehen, nicht mehr voneinander getrennt werden können. Als Vertraute haben sie eine Sklavin, die alle ihre Geheimnisse weiß. Wie leicht aber könnte diese einen Groll oder Überdruß gegen sie fassen, ihr Geheimnis aufdecken und sie ins Verderben stürzen; darum ist es gut, wenn ich schnell ausführe, was ich beschlossen, ehe ich mit untergehe; ich würde sonst vor Gott und vor den Menschen einst keine Entschuldigung finden.« Der Freund erwiderte: »Du hast mir da eine wichtige Sache entdeckt. Vor dergleichen Dingen fürchtet sich der Kluge, und es scheut sich der Verständige; ich sehe die Sache nicht anders an, wie du. Gott stehe dir bei gegen das, was du befürchtest, und verleihe einen guten Ausgang, auch bleibe der Gegenstand unsres Gesprächs ein Geheimnis.«
Nach diesem Gespräch zwischen dem Spezereihändler und seinem Freund, dem Juwelier, ging dieser wieder seinem Geschäft nach, während Abul Hasan mit Eifer seine Angelegenheiten ordnete und abreiste. Als der Juwelier nach vier Tagen wieder in Abul Hasans Laden gehen wollte, fand er ihn geschlossen; er suchte dann die Wohnung Alis auf und sagte zu einem von dessen Dienern: »Melde mich bei deinem Herrn!« Ali ließ ihn vor sich, und der Juwelier fand ihn auf einem Kissen liegend; als er ihn sah, sprang er auf und kam ihm freundlich entgegen. Der Juwelier entschuldigte sich, ihn nicht früher besucht zu haben; Ali dankte ihm herzlich und fragte ihn dann, ob ihm vielleicht etwas Wichtiges zugestoßen? Da sagte der Juwelier: »Wisse, zwischen mir und Abul Hasan herrscht seit langer Zeit nicht nur die engste Geschäftsverbindung, sondern auch die innigste Freundschaft. Ich liebte ihn sehr, vertraute ihm alle meine Geheimnisse, und wußte, daß es mir nicht nachteilig sein würde; ebenso waren seine Geheimnisse bei mir sicher. Nun hatte ich einige Tage viel mit meinen Gesellschaftern zu verkehren, so daß ich Abul Hasan nicht sehen konnte. Als ich meiner Gewohnheit nach ihn wieder besuchen wollte, fand ich seinen Laden geschlossen, und einer seiner Nachbarn sagte mir, er sei in Geschäften nach Baßrah gereist, die er persönlich besorgen müsse; ich konnte aber mit dieser Antwort nicht zufrieden sein. Da ich weiß, daß es keine vertrauteren Freunde gibt, als euch beide, so dachte ich, daß ich bei dir, seinem Freunde, genau und ausführlich die Wahrheit vernehmen werde; ich komme also zu dir, mich vielmals entschuldigend, um mich nach Abul Hasan zu erkundigen.« Als Ali die Worte des Juweliers hörte, wurde er ganz blaß, zitterte an Leib und Seele, und sagte: »Ich habe von dem allem nichts gewußt, ehe du mir dies sagtest, ja nicht ein Wort davon gehört. Und ist es so, wie du sagst, so erschreckt mich dies sehr, es macht mich krank und schwächt alle meine Glieder.« Die Tränen erstickten seine Stimme, mit der er folgende Verse sprach:
»Schon habe ich über mein Elend geweint, als meine Freunde noch nahe waren: da ich nun auch von ihnen getrennt bin, muß ich ewig über sie weinen. Was soll ein Mann tun, dessen Tränen zwischen Lebendigen und Toten geteilt sind?«
Er neigte dann seinen Kopf eine Weile, erhob ihn hierauf gegen einen seiner Diener und befahl diesem: »Geh in Abul Hasans Wohnung und erkundige dich, ob er zu Hause oder abgereist ist, wie dieser Mann erzählte. Alsdann frage, wohin er gegangen und weshalb er abgereist ist.« Der Diener entfernte sich, der Juwelier aber unterhielt sich mit Ali, der bald seiner Rede zuhörte, bald sich abwandte, bald ihn etwas fragte. Endlich kam der Diener zurück und berichtete: »Mein Herr! ich habe nach Abul Hasan gefragt und seine Leute haben mir gesagt, er sei vor zwei Tagen nach Baßrah gegangen; auch sah ich eine Sklavin an der Tür seines Hauses stehen, die nach ihm fragte; als sie mich sah, erkannte sie mich, obwohl ich sie nicht kenne. Sie fragte mich: Bist du nicht der Diener des Ali, Sohn Bakars? Ich bejahte dies; übrigens glaube ich, daß sie von vornehmen Leuten einen Brief an dich hat; sie steht vor der Tür.« Ali befahl, sie hereinzuführen. Es erschien ein über jede Beschreibung erhabenes schönes Mädchen. Der Juwelier erkannte sie sogleich nach der Beschreibung Abul Hasans. Das Mädchen näherte sich Ali, grüßte ihn und sagte ihm etwas insgeheim; nur im Verlauf des Gespräches hörte der Juwelier, wie Ali dem Mädchen schwor, daß er nichts davon gewußt; dann nahm die Sklavin Abschied von ihm und ging. Ali war ganz verwirrt, es war, als brenne ein Feuer in ihm. Der Juwelier dachte: hier ist Gelegenheit, ein Gespräch mit Ali anzuknüpfen und sagte: »Ohne Zweifel wird aus dem Hause des Kalifen etwas von dir begehrt, oder du hast Geschäfte mit dem Hause des Kalifen?« Ali antwortete: »Woher weißt du dies?« Der Juwelier sagte: »Ich kenne diese Sklavin.« Jener fragte: »Wem gehört sie denn?« Dieser antwortete: »Sie gehört Schems Annahar, der Sklavin des Raschid, welche die Vornehmste, die Verständigste und Schönste unter allen ist; ich habe einmal einen ihrer Briefe gesehen.« Der Juwelier beschrieb dann Ali, wie sie so schön in Versen und in Prosa schreiben könne; dieser war darüber so betrübt, daß der Juwelier fürchtete, er möchte sterben. Als Ali wieder zu sich kam, sagte er zu dem Juwelier: »Ich beschwöre dich bei Gott, sage mir die Wahrheit, woher weißt du das alles? Ich lasse dich nicht, bis du mir die Wahrheit gestanden.« Der Juwelier antwortete ihm: »Damit du an mir nicht zweifelst und mich nicht ungehorsam findest, auch keinen Verdacht gegen mich schöpfst, der dir Kummer bereiten könnte; damit du dich nicht schämst, und dir überhaupt nichts verborgen bleibe: so schwöre ich dir hier bei Gott, daß ich dich nicht verraten und dir nie einen guten Rat vorenthalten werde«. Er erzählte ihm darauf, was er wußte, und sagte ihm, daß er nur zu seinem Besten zu ihm gekommen, aus Liebe zu ihm und aus Besorgnis für sein Wohl; er versicherte ihm wiederholt, daß er Leben und Vermögen für ihn aufzuopfern bereit wäre, und daß er nach der Abreise Abul Hasans ihm Gesellschaft leisten wolle, auch sein Geheimnis treu bewahren und sein Herz erleichtern werde. Er sagte ihm noch weiter: »Sei nur guten Muts und fröhlich!« Ali dankte dem Juwelier und sagte: »Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll; ich lasse dich mit Gott und deiner Männlichkeit.« Er sprach dann folgende Verse:
»Wenn ich auch sagen wollte, daß ich nach seiner Trennung mich noch zu fassen wüßte, so würden meine Tränen und meine ungeheuere Magerkeit mich Lügen strafen. O ich möchte nur wissen, ob meine Tränen gleich Regengüssen fließen, wegen der Entfernung des Freundes oder der Geliebten! Immer fließen meine Tränen wegen der Trennung des Freundes und der Geliebten!«
Er schwieg hierauf eine Weile, dann sagte er: »Weißt du, was die Sklavin gesagt?« Der Juwelier verneinte. Da sagte Ali: »Sie glaubt, ich habe Abul Hasan veranlaßt, wegzureisen, und sei mit ihm darüber einverstanden; in dieser Meinung ging sie fort, denn sie wollte mich nicht anhören und nicht an meine Unwissenheit glauben. Ich weiß nun nicht, was ich tun soll, denn sie war schon gewöhnt, Abul Hasan anzuhören und seiner Rede zu folgen.« Der Juwelier sagte: »Ich habe dies bemerkt, doch werde ich dir beistehen.« Ali erwiderte: »Wie ist dies zu hoffen bei ihrer großen Schüchternheit?« Der Juwelier antwortete: »Ich werde mich bemühen, dir zu helfen und mit Gottes Beistand, mit seiner großen Huld und Weisheit es so einzurichten suchen, daß das Geheimnis nicht entdeckt wird und kein Unglück daraus entstehe. Mache dir nur das Herz nicht schwer; bei Gott! ich lasse nichts Mögliches unversucht, um die Erfüllung deiner Wünsche herbeizuführen.« Dann bat der Juwelier, entlassen zu werden. Ali sagte: »Du hast einen schönen Anfang gemacht; wisse, daß ich deine Gefühle teile, die Vereinigung mit der Geliebten von deiner Freundschaft, das Verschweigen meines Geheimnisses von deiner Männlichkeit erwarte, und den Trost ihrer Nähe als ein Geschenk deiner Gewandtheit ansehe.« Er umarmte den Juwelier, küßte ihn, und der Juwelier verließ ihn.
Als er von Ali Abschied genommen hatte und weggegangen war, wußte er nicht, wohin sich wenden, was beschließen und was unternehmen, und dem Mädchen zu wissen zu tun, daß er mit ihrem Verhältnis vertraut sei; er ging in Nachdenken versunken weiter, als er einen offenen Brief auf dem Weg fand; er nahm ihn und las darin: »Im Namen Gottes, des Barmherzigen und Allmilden!«
»Der Bote kam mit froher, erquickender Nachricht, doch ich glaubte immer, es sei nur ein Wahn. Ich konnte mich nicht freuen, ward nur noch trauriger, weil ich wußte, daß meine Leute dich nicht verstanden.«
»Ich habe gehört, mein Herr! - den Gott erhalten möge! - wie die Bande des Vertrauens sich gelöst und unser brieflicher Verkehr unterbrochen worden ist. Hast du ein Unrecht begangen, so bewahre ich dir doch meine Treue, und hast du mein Vertrauen getäuscht, so werde ich das deinige mit Geduld und Nachsicht bewahren; und ist dein Freund auf deinen Befehl weggegangen, so hast du doch jemand, der dasselbe treu bewahrt und dir ein wahrer Freund ist. Er ist nicht der erste Gegenstand meiner Zuneigung, den mir das Schicksal entreißt. Gott möge deinem Herzen baldige Aufheiterung und schnelles Heil senden! Friede sei mit dir!«
Während der Juwelier dieses Briefchen las und darüber nachdachte, wer es wohl verloren habe, kam eine Sklavin, ganz außer sich vor Schrecken, sah sich auf allen Seiten um, bückte sich dann zur Erde; da sie aber sah, daß der Juwelier den Brief in der Hand hielt, ging sie auf ihn zu und sagte: »Mein Herr! ich habe diesen Brief fallen lassen, sei so gut und gib ihn zurück.« Der Juwelier antwortete ihr nicht und ging seines Weges fort; sie folgte ihm, bis er an sein Haus kam, da trat sie mit ihm hinein und sagte: »O Herr! ich weiß nicht, was dieser Brief dir nützen kann: du weißt nicht, von wem er kommt, noch an wen er gelangen soll; warum nimmst du diesen Brief?« Der Juwelier hieß das Mädchen sich setzen und sagte: »Schweige, sei ruhig und höre mich an! Ist dies nicht die Schrift deiner Herrin Schems Annahar, die an Ali schreibt?« Das Mädchen ward ganz blaß, zitterte und sagte: »Er hat uns und sich selbst geschändet. Die Heftigkeit der Liebe hat ihn in das Meer des Unsinns geworfen, so daß er seine Leiden seinen Freunden geklagt, ohne an die Folgen zu denken!« Sie wollte dann weggehen; der Juwelier aber fürchtete, daß, wenn sie in diesem Zustande weglaufe, es auf Ali ein schlechtes Licht werfen und seine ganze Sache verderben könnte; er sagte ihr also: »O du! die menschlichen Herzen stehen sich gegenseitig als Zeugen gegenüber. Es ist möglich, alles zu verheimlichen, was verborgen bleiben soll, nur die Liebe nicht, die kann nicht verborgen bleiben; da gibt es zu viele Beweise, die sie verraten, und zu viele Zeugen, die von ihr sprechen, da gibt es kein anderes Mittel, als guten Rat anzuhören um nicht zu verderben. Du hast Abul Hasan im Verdacht, während er ganz unschuldig ist, und hast etwas von ihm vermutet, das weit von ihm entfernt ist. Was Ali betrifft, der hat keines eurer Geheimnisse offenbart, der hat nichts entdeckt, und du hast ihm in deiner Rede Unrecht getan. Ich werde dir etwas sagen, was dich erfreuen und deine Brust erweitern wird. Dein Mißtrauen wird verschwinden, seine Unschuld aber klar werden; doch mußt du mir versprechen, mir nichts von eurem Zustande zu verbergen; denn ich weiß Geheimnisse zu bewahren, bei Gefahren standhaft zu bleiben, für den Freund tätig zu sein, in allem aber als ein wackerer Mann zu handeln.« Sie war durch die Rede des Juweliers erfreut und sagte. »Ein Geheimnis, das du bewahrst, ist nicht verloren; ich werde dir einen Schatz anvertrauen, den man nur dem, der es verdient, zeigen kann; sage nur alles ganz klar heraus, Gott und seine Engel sind mir dann Zeugen, daß ich dir alles mitteilen werde.«
Als der Juwelier dem Mädchen dasselbe erzählt hatte, was er Ali erzählt, und ihr sagte, daß er soeben Ali besucht habe, setzte er noch hinzu: »Das gefundene Briefchen beweist, daß ich's gut meine in dieser Sache und daß ich nicht im Sinne habe, als Störer in ihrer Liebe aufzutreten.« Die Sklavin hörte ihm mit Staunen zu und ließ ihn nochmals schwören, daß er ihr Geheimnis treu bewahren wolle. Der Juwelier ließ sie auch schwören, daß sie ihm nichts verheimlichen wolle, nahm den Brief und versiegelte ihn; die Sklavin sprach: »Ich werde Ali sagen, meine Herrin habe mir einen versiegelten Brief gegeben und wünsche eine Antwort darauf, die ich dann auch mit deinem Siegel versiegeln werde; nun gehe ich zu ihm und komme wieder zu dir, ehe ich ihr seine Antwort bringe.« Sie nahm jetzt Abschied vom Juwelier und ließ seinem Herzen ein brennendes Feuer zurück. Sie ließ nicht lange auf sich warten und kam mit einem versiegelten Brief in der Hand zurück, in dem geschrieben war: »Im Namen Gottes, des Barmherzigen und Gnädigen!
»Der Bote, bei dem unsere Geheimnisse verborgen waren, hat sie aus Mißmut enthüllt; nun schenkt mir einen anderen Vertrauten, der Aufrichtigkeit und nicht Lügen für gut findet.«
»Ich war nicht treulos, ich habe nichts Anvertrautes verraten, ich habe kein Versprechen gebrochen und keinen Liebesbund entzwei gerissen; ich habe nicht aufgehört zu trauern und habe nach der Trennung von dir nichts als Jammer gefunden; ich habe von dem, den ihr erwähnt, nichts gehört und keine Spur von ihm gesehen. Nun möchte ich wieder einmal in eurer Nähe sein; doch fern ist der Gegenstand meiner Sehnsucht! Ich wünsche Wiedervereinigung, doch wo ist der Gegenstand meiner Wünsche? Wenn ihr mich sehen würdet, so würde mein Anblick schon genug sagen. Friede sei mit euch!«
Dieser Brief entlockte dem Juwelier Tränen; auch die Sklavin mußte mit ihm weinen. Sie sagte dann: »Geh nicht aus dem Haus zu Ali, bis ich morgen wiederkehre; ich habe ihn in Verdacht gehabt, doch er ist unschuldig; auch hat er mich, ohne daß ich's verdiente, in Verdacht gehabt. Ich will nun alles anwenden, um dich mit meiner Herrin zusammenzubringen, die ich unruhig verließ und die mit Ungeduld Nachricht erwartet von dem, der ihr Geheimnis weiß.« Die Sklavin verließ den Juwelier; am folgenden Morgen aber kam sie sehr freudig wieder zu ihm. Er fragte sie, was sie habe? Sie antwortete: »Ich war bei meiner Gebieterin, habe ihr seinen Brief gegeben; als sie in Nachdenken versunken und ängstlich ward, sagte ich ihr: Fürchte nichts und sei nicht traurig, denke auch nicht, daß Abul Hasans Abwesenheit eurer Sache schade, denn schon haben wir jemand gefunden, der ihn ersetzt. Ich erzählte ihr dann deine Unterhaltung mit Ali, und wie du zu ihm gekommen; dann von dem Brief, den ich verloren, und von deinen Versicherungen, das Geheimnis bewahren zu wollen. Sie wunderte sich darüber und sagte: Ich möchte diesen Mann selbst sprechen und mit ihm bekannt werden, damit ich mich ein wenig aufheitere, und durch seine Güte mich in meinem Vorsatz noch mehr befestige. Komm also mit Gottes Segen und seiner schönen Genehmigung!« Als der Juwelier dies hörte, dachte er, dies sei eine ernste Sache, mit der man nichts zu tun haben sollte. Er sagte daher der Sklavin: »Ich gehöre zum Mittelstand und kann nicht, wie Abul Hasan, durch meine Geschäfte Eingang in die Wohnung des Kalifen finden; Abul Hasan hat mir eine Geschichte erzählt, und ich zittere noch, wenn ich daran denke. Wünscht also deine Herrin mich zu sprechen, so geschehe dies nicht im Haus des Fürsten der Gläubigen. Mein Herz sagt mir, ich soll dir nicht gehorchen.« Als er sich weigerte, mit ihr zu gehen, sprach sie ihm Mut ein und verbürgte ihm, daß er unbeschädigt davonkommen und daß alles verborgen bleiben werde. So oft er ihr aber nachgeben wollte, versagten ihm seine Füße und fingen seine Hände an zu zittern. Endlich sagte sie: »Mache dir's bequem, sie wird zu dir kommen; weiche nicht von hier!« Sie lief schnell fort, kam bald wieder zurück und sagte: »Nimm dich wohl in acht, daß niemand im Hause sei, der uns verrate.« Der Juwelier versicherte, daß niemand hier sei und wie er alle mögliche Vorsicht anwenden werde. Die Sklavin ging wieder, kehrte alsbald mit einem anderen Mädchen zurück, dem zwei Sklavinnen folgten. Das Mädchen, das mit ihr kam, war so schön, daß das ganze Haus von ihrer Erscheinung widerstrahlte. Der Juwelier reichte dieser dann ein Kissen, auf das sie sich niederließ; und als sie ein wenig geruht hatte, entschleierte sie ihr Gesicht, das wie die Sonne oder wie der Mond strahlte; doch zeugten ihre Bewegungen von bedeutender Schwäche. Sie wandte sich zu dem Mädchen, das sie hergebracht hatte und fragte sie: »Ist es dieser?« Jene bejahte es, und der Juwelier grüßte sie ehrfurchtsvoll, was sie höflich erwiderte. Dann sagte sie: »Mein Vertrauen zu dir hat mich bewogen, dein Haus zu besuchen, dir unser Geheimnis anzuvertrauen und darauf zu bauen, daß du es wohl verbergen wirst. Ich gebe mich dir ganz hin und denke nur Gutes von Dir, weil ich dich für einen verständigen und rechtschaffenen Mann halte.«
Sie erkundigte sich hierauf nach der Lage des Juweliers, nach seiner Familie und seinen Bekanntschaften. Er gab ihr über alles, was ihn betraf, die genaueste Auskunft. Dann ließ sie sich die Geschichte seiner Bekanntschaft mit Abul Hasan erzählen. Als der Juwelier damit zu Ende war, erschrak sie und bedauerte den Verlust dieses guten Mannes sehr. Sie sagte dann: »Wisse, daß alle Menschen in Leidenschaften versunken sind, so verschieden auch ihr Zustand voneinander ist. Ihre Wünsche sind so ziemlich dieselben, so sehr auch ihre Handlungen voneinander abweichen mögen. Doch wird keine Tat gelingen, über die man nicht vorher sich verständigt hat; man erreicht kein Ziel ohne Mühe, und findet keine Ruhe, ohne vorhergegangene Arbeit.«
»Ohne Vertrauen gewonnen zu haben, entdeckt man niemand ein Geheimnis, man verläßt sich auf niemand, von dessen Tüchtigkeit man nicht überzeugt ist; man erwartet Hilfe nur von einem wackeren Manne, so wie man nur nach einer Menge von guten Handlungen und aufrichtigen Gesinnungen Dank erwarten kann. Nun ist dir alles klar, der Schleier ist aufgehoben vor deinem Angesicht, mehr braucht es nicht bei deinen männlichen und milden Gesinnungen. Mir aber bleibt nichts übrig, als der Tod und dieses Mädchen; dir ist bekannt, welchen schönen Weg diese wandelt und wie hoch sie bei mir in Gunst steht. Sie bewahrt mein Geheimnis, sie leitet meine Angelegenheiten; traue ihr in allem, was sie sagt und wozu sie dich bereden will; du kannst ruhig und furchtlos sein, sie wird dich nirgends hinführen, ohne vorher alles gesichert zu haben. Sie wird dir Nachricht von mir bringen und unsere Vermittlerin sein.« Schems Annahar erhob sich dann, obwohl sie vor Schwäche kaum stehen konnte. Der Juwelier begleitete sie bis an die Haustür; hier blieb er, ganz entzückt von ihrer Schönheit, wie von ihrer vortrefflichen Rede und Gesinnung, stehen. Dann machte er sich auf, wechselte seine Kleider, ging aus dem Haus und begab sich zu Ali. Kaum zeigte er sich hier, als die Knaben Alis von allen Seiten herbeisprangen, um ihn zu Ali zu führen. Der Juwelier fand diesen auf seinen Polstern ausgestreckt; als Ali jedoch jenen bemerkte, hieß er ihn willkommen und sagte: »Du hast lange gesäumt und noch mehr Kummer zu dem meinigen gehäuft; ich habe, seitdem du mich verlassen, kein Auge geschlossen. Gestern kam das Mädchen mit einem versiegelten Briefchen«, und er erzählte dem Juwelier, was wir schon wissen. Dann sage er: »Ich weiß mir nun keinen Rat mehr, meine Geduld ist zu Ende; ich finde keine Kraft und keine Überlegung mehr, die mich auf den Weg der Freude brächten. Jener Mann (Abul Hasan) war mir ein Trost und ich hoffte durch ihn ans Ziel zu gelangen, weil meine Geliebte ihn gut kannte und ihre Freude an ihm hatte.« Als er dies hörte, lachte der Juwelier. Ali fragte: »Lachst du, weil ich weine, nachdem ich dir mein Elend geklagt?« Darauf sprach er folgende Verse:
»Er lacht, wenn er mich weinen sieht; er würde mit mir weinen, wenn ihm widerfahren wäre, was mir widerfahren. Nur ein Mann, der selbst viel gelitten, nimmt Anteil an den Leiden eines Unglücklichen.«
Als der Juwelier diese Verse hörte, erzählte er Ali, was zwischen ihm und Schems Annahar vorgefallen, seit er ihn nicht mehr gesehen. Als er geendet hatte, fing Ali heftig zu weinen an und sagte: »Ich gehe gewiß zugrunde und sinke ins Verderben; o möchte doch Gott meinen fernen Tod beschleunigen, denn schon hat mich die Geduld verlassen und jede Überlegung ist von mir gewichen. Ohne dich wäre ich schon vor Kummer und vor Schmerz gestorben. Nur du stehst mir noch bei, dafür sei Gott gepriesen und gelobt! Hier liege ich nun als dein Gefangener vor dir; ich werde dir in nichts widersprechen, noch deinem Willen mich widersetzen. Der Juwelier aber erwiderte: »Mein Herr! ein solches Feuer kann nur durch Vereinigung gelöscht werden, jedoch an einem Ort, wo keine Gefahr, kein Schaden und kein Unglück zu befürchten ist. Ich habe einen sicheren Ort ausgewählt. Mein Wunsch ist, euch zu vereinigen: ihr sollt euch sprechen, euren Liebesbund gegenseitig erneuern und euch einander euern Schmerz und eure Freude klagen.« Ali erwiderte: Tu in dieser Sache, was du für gut findest!« Der Juwelier blieb dann jene Nacht bei Ali.
Am folgenden Morgen ging er nach Hause. Kaum daselbst angelangt, erschien das Mädchen wieder bei ihm; er erzählte ihr, was zwischen ihm und Ali vorgefallen war und sie antwortete: »Sorge für einen guten und sicheren Ort zu ihrer Zusammenkunft.« Er schlug ihr dann seine (andere) Wohnung vor und sie sagte: »Wie du es anordnest, so ist es gut; es kommt jetzt nur noch auf Schems Annahars Einwilligung an, die ich von eurem Vorschlag benachrichtigen werde.« Sie ging, kam aber sehr geschwind wieder, und sagte: »Treffe alle Anstalten an dem Orte, den du angegeben, und bereite alles vor, wie es sich für solche Gäste ziemt.« Sie nahm dann einen gefüllten Beutel aus der Tasche, überreichte ihn dem Juwelier und sprach: »Damit schaffst du wohlschmeckende Speisen und süße Getränke herbei.« Dieser beteuerte aber, daß er damit keine Auslagen machen werde. Das Mädchen nahm den Beutel wieder und ging weg. Hierauf begab er sich mit beklommenem Herzen in sein anderes Haus, wo die Liebenden zusammenkommen sollten. Er richtete alle Gerätschaften her und ließ keinen Freund, von dem er sich nicht ein Geschenk erbat. Er verschaffte sich goldenes und silbernes Geschirr, Tapeten, reiche Kissen und andere Hausgeräte zur Ausschmückung des Hauses. Als das Mädchen wiederkam und alles sah, gefiel es ihr außerordentlich. Der Juwelier sagte ihr dann: geh und bringe Ali hierher, ohne Aufsehen zu machen. Sie ging und kehrte bald wieder mit Ali zurück. Er hatte ein prächtiges Kleid an, in dem er höchst reizend und liebenswürdig aussah. Der Juwelier nahm ihn mit Ehrerbietung auf, ließ ihn auf einen Divan sitzen, legte ihm das Beste von allem vor und unterhielt ihn bis zur Ankunft Schems Annahars.
Diese kam gleich nach dem Sonnenuntergang-Gebet, begleitet von ihrer Vertrauten und zwei anderen Sklavinnen. Als Ali und Schems Annahar sich wiedersahen, war ihr Liebesschmerz so heftig, daß keines sich dem anderen nähern konnte - es war eine herzergreifende Szene; der Juwelier mußte Ali schnell beistehen, und das Mädchen mußte Schems Annahar unterstützen, bis beide wieder zu sich kamen und neue Kraft sie belebte. Sie unterhielten sich dann mit matter Stimme eine Weile. Der Juwelier brachte ihnen hierauf Wein, den sie tranken; dann brachte er zu essen. Sie brachen beide in Danksagungen gegen ihn aus. Er fragte sie hierauf, ob sie noch mehr Wein wollten? Als sie seine Frage bejahten, führte er sie in einen anderen Saal, wo sie sich behaglich fühlten, aus freier Brust atmeten und von ihren Leiden sich erholten. Sie waren erstaunt über das, was der Juwelier für sie getan, fanden es sehr gütig und fingen an zu trinken. Dann fragte Schems Annahar den Juwelier: »Hast du eine Laute oder sonst ein musikalisches Instrument?« Dieser bejahte es und brache ihr eine Laute; sie nahm dieselbe, stimmte sie und sang mit lauter, süßer Stimme folgende Verse:
»Bist du ein treuer Bote, so laß alle Ausschmückungen; sage nichts anderes, als dir aufgetragen, und heile mit Wahrheit den Liebeskranken. Ist dein Auftrag eine Weigerung, so wird dadurch eine lobenswerte Standhaftigkeit bewiesen, die, wenn sie lange dauert, schöne Früchte tragen wird.«
Dieser Gesang war so bezaubernd, wie menschliche Ohren ihn nie gehört. Auf einmal erhob sich aber ein schrecklicher Lärm und ein großes Geschrei. Plötzlich trat einer von des Juweliers Dienern herein, der innerhalb der Tür Wache gestanden, und sagte: »Man hat unsere Türen eingebrochen und wir wissen nicht, wer in der Nacht daherkommt!« Während er dies sagte, schrie ein Mädchen, das auf der Terrasse stand, und es drangen zehn vermummte Männer, mit Dolchen und Schwertern bewaffnet, in den Saal; ihnen folgten wieder zehn andere, gerade so bewaffnet wie die ersten. Als der aufgeschreckte Juwelier das sah, entsprang er zur Tür hinaus und flüchtete sich zu einem Nachbarn; denn er war fest überzeugt, daß dieser jähe Überfall nur auf Befehl des Kalifen, dem ohne Zweifel die Zusammenkunft seiner Favoritin mit Ali verraten war, gemacht worden sein könne. Als der Herr der Hauses um Mitternacht herunterkam und jemand in seinem Hausgang verborgen fand, den er nicht kannte, kehrte er erschrocken zurück, kam mit einem Säbel bewaffnet wieder und sage: »Wer bist du?« Der Juwelier antwortete: »Ich bin dein Freund und Nachbar.« Als der Hauseigentümer dies hörte, steckte er sein Schwert in die Scheide und sagte: »Mir tut dieser Vorfall sehr leid. Gott wird dir in seiner Güte alles wieder ersetzen.« Er fuhr dann fort: »Ich möchte wohl wissen, wer die bewaffneten Leute sind, die dich so unversehens überfallen haben, aber ich halte sie für Räuber, die bei dir plünderten und mordeten, weil sie gestern gesehen, daß du viele kostbare Gerätschaften in dein Haus gebracht hast, ich fürchte sehr, sie haben deine Gäste fortgeschleppt oder getötet.« Der Juwelier ging dann mit seinem Nachbarn in das Haus und siehe da, es war rein ausgeplündert und leer, die Fenster waren aufgerissen, die Türen eingebrochen: sie hatten hier einen gräßlichen Anblick, der das Herz zerschnitt. Der Juwelier fing an, über sein Unglück nachzudenken; er wußte nicht, was er anfangen, wie er sich bei den Leuten entschuldigen sollte, von denen er die silbernen und goldenen Gefäße entlehnt hatte. Er dachte auch an Schems Annahar und an Ali; und fürchtete, der Kalif möchte etwas durch einen Diener über sie erfahren haben; sein Mut und seine Kraft verließen ihn. Er sagte dann zu seinem Nachbarn: »Was soll ich tun? Wer ratet mir?« Jener erwiderte: »Habe Geduld und vertraue auf Gott. Die Leute, die in dein Haus gedrungen sind und dich beraubt haben, haben auch angesehene Männer aus dem Palast des Kalifen gemordet, sowie aus dem Hause des Polizeiobersten. Die Leibwachen spüren ihnen nach, vielleicht erwischen sie sie, und du gelangst zum Ziel deiner Wünsche ohne dein Hinzutun.« Der Juwelier nahm seine Zuflucht zu Gott und kehrte nach seinem Wohnhaus zurück, dann sagte er: »Abul Hasan hat das Unglück, in das ich mich blindlings stürzte, vorausgesehen.«
Mit Tagesanbruch verbreitete sich auch das Gerücht von der Plünderung mit großer Schnelligkeit in der Stadt und zog eine Menge Leute von allen Orten herbei; die einen kamen aus Neugierde, die anderen waren schadenfroh, wieder andere bedauerten ihn, und ein großer Teil bestürmte ihn mit Forderungen. Er dankte den einen für ihre Teilnahme, klagte den anderen und wies die Fordernden ab.
So brachte er den ganzen Tag zu, ohne etwas zu genießen. Als er voller Reue so dasaß, kam einer seiner Knaben herein und sagte, daß ein unbekannter Mann, den sie bis jetzt noch nie gesehen hatten, vor der Haustür nach ihm frage und ihn erwarte. Der Juwelier stand auf und ging hinaus; da begrüßte ihn ein Fremder und sagte: »Ich habe in einer wichtigen Sache mit dir zu reden.« Der Juwelier hieß ihn ins Haus treten. Dieser wollte aber nicht, sondern forderte ihn auf, mit ihm in sein anderes Haus zu gehen. »Weißt du«, versetzte der Juwelier, »daß ich noch ein anderes Haus, als dieses hier, besitze?« Jener erwiderte: »Ich weiß es, ich weiß alles und bringe dir Trost.« Als der Juwelier dies hörte, sagte er: »Nun, ich folge dir überall hin.« Als sie miteinander an sein anderes Haus kamen und der Fremde die zerbrochene Tür sah, sagte er: »Das hat ja keine Türen, hier können wir uns nicht aufhalten. Folge mir, ich will dich an einen anderen Ort führen.« So gingen sie von einer Straße in die andere, von einem Hause zum andern, ohne in eines zu treten, den ganzen übrigen Tag ohne Aufenthalt, bis es Nacht ward. Der Juwelier erschrak und hatte nicht den Mut zu fragen. Endlich führte ihn der Fremde ins Freie an die Ufer des Flusses und sagte: »Folge mir nur!« Der Juwelier faßte Mut und lief hinter ihm her, bis sie an eine Stelle kamen, an der sich ein Nachen befand. Sie bestiegen denselben und ließen sich an das jenseitige Ufer übersetzen. Der Fremde ergriff die Hand des Juweliers und führte ihn in ein langes Quartier der Stadt, das er noch nie betreten hatte, und er wußte bald nicht mehr, in welchem Teil von Bagdad er sich befand. Er blieb endlich vor der Tür eines Hauses stehen, und als diese sich öffnete, hieß er den Juwelier eintreten, worauf er die Tür mit einem starken Riegel hinter sich zuschloß. Der Fremde führte ihn in ein Zimmer, in dem sich zehn Bucklige befanden, die sich alle ganz gleich sahen.
Die Männer begrüßten ihn und hießen ihn sich niedersetzen, was er alsbald tat, denn er war fast tot vor Müdigkeit und Furcht. Man brachte frisches Wasser, womit er sich Gesicht und Hände wusch. Hierauf brachte man Wein und endlich auch zu essen, und alle ließen sich's schmecken. Da dachte der Juwelier, wenn ich etwas zu befürchten hätte, würden sie nicht mit mir essen. Als die Mahlzeit und die Abwaschung vorüber war, begab sich jeder wieder an seinen Platz. Der Juwelier setzte sich zu ihnen, worauf sie ihn fragten: »Kennst du uns?« Er antwortete: »Nein, ich kenne weder euch, noch den Fremden, der mich hergeführt hat, selbst nicht das Stadtviertel und den Ort, wo ich mich befinde.«
»Erzähle uns dein Abenteuer«, forderten sie ihn auf, »verschweige uns aber nichts.« Der Juwelier antwortete: »Meine Geschichte ist wunderbar, ist euch davon etwas bekannt?« - »Ja wohl«, versetzten sie, »wir haben gestern den jungen Mann und die Sängerin, die bei dir waren, festgenommen und dein Haus ausgeplündert.«
»Ich bitte euch, bei Gottes Schutz!« rief der Juwelier aus, »sagt mir, wo der junge Mann und die junge Frau sich befinden;« sie antworteten, mit der Hand nach zwei Zimmern, die ihnen gegenüber lagen, zeigend: »Jedes von ihnen ist in einem dieser Zimmer. Sie behaupten, daß außer dir niemand Kunde von ihren Angelegenheiten habe. Aus Rücksicht gegen sie drangen wir nicht länger mit Fragen in sie und haben sie, da wir sie so kostbar bekleidet fanden, woraus wir auf ihren vornehmen Stand schlossen, auch am Leben gelassen. Enthülle uns nun die Wahrheit über ihre Verhältnisse, denn nur unter dieser Bedingung wird dir dein und ihr Leben zugesichert.«
Der Juwelier sagte: »Ich sehe, daß, seit männliche Tugend verloren gegangen, sie nur bei euch wieder gefunden werden kann, und daß nur Menschen eurer Art imstande sind, ein anvertrautes Geheimnis, dessen Verbreitung man fürchtet, in der Brust zu vergraben; hat man ein gefährliches Unternehmen, so darf man nur euch damit beauftragen und überzeugt sein, daß eure Fähigkeiten und Entschlossenheit es glücklich ausführen.« In diesem Sinne sprach der Juwelier noch lange zu den Räubern, bei sich erwägend, daß es in solchen Umständen besser sei, die Wahrheit zu sagen, als sie zu verbergen, da doch am Ende alles an den Tag kommt. Er erzählte ihnen daher umständlich die ganze Liebesgeschichte Alis und Schems Annahars von Anfang bis zu Ende.
Da riefen die Räuber: »Ist der junge Mann Ali, Sohn Bekars, und die junge Frau Schems Annahar?« Der Juwelier beteuerte, ihnen nichts verborgen zu haben. Als dies die Räuber hörten, erschraken sie sehr und gingen zu Ali und Schems Annahar, und baten sie um Verzeihung.
Alsdann kamen sie wieder zum Juwelier und sagten zu ihm: »Vieles von dem, was in deinem Hause geraubt worden, ist noch da, einiges aber fehlt; hier nimm, was noch da ist«, worauf sie ihm den größten Teil der goldenen und silbernen Gerätschaften zurückgaben. Dann sagten sie: es ist unsere Pflicht, alles wieder in deine andere Wohnung zu bringen. Sie teilten sich hierauf in zwei Teile, die einen blieben bei dem Juwelier und die anderen bei dem Liebespaar, und so verließen alle das Haus. Ali und Schems Annahar vermochten sich kaum aufrecht zu erhalten; nur die Furcht und die Lust, wieder befreit zu werden, gab ihnen Kraft dazu.
Unterwegs nahte sich der Juwelier der Schems Annahar und erkundigte sich nach der Vertrauten und den beiden Sklavinnen. »Ich weiß nichts von ihnen«, antwortete sie. Die Räuber geleiteten alle drei bis an das Ufer des Flusses, ließen sie einen Nachen besteigen und ruderten mit ihnen nach dem entgegengesetzten Ufer.
Als Ali, Schems Annahar und der Juwelier an das Land stiegen, hörte man Geräusche von der Wache zu Pferde, die Räuber sprangen wie Adler in den Nachen und ruderten mit aller Macht davon. Ali, Schems Annahar und der Juwelier, als sie sich von den Reitern umringt sahen, blieben bewegungslos stehen. Die Reiter fragten Ali und den Juwelier, wer sie seien. Durch diese Frage aus der Fassung gebracht, schwiegen sie still, bis endlich der Juwelier antwortete. »Diese dort, die ihr über den Fluß setzen seht, sind Räuber, wir aber sind rechtliche Leute aus der Stadt. Sie haben uns in der letzten Nacht aufgegriffen und wir mußten die Nacht bei ihnen zubringen. Sie waren ohne Mitleid gegen uns und nur durch sanfte Worte und List konnten wir wieder unsere Freiheit erlangen, was aus ihnen geworden, habt ihr selbst gesehen.« Die Reiter betrachteten alle drei und sagten zum Juwelier: »Du bist nicht aufrichtig, wer seid ihr und in welchem Stadtviertel wohnt ihr?« Sie gerieten durch diese Frage in neue Verlegenheit und wußten nicht, was sie antworten sollten. Schems Annahar nahm den Anführer beiseite und hatte nicht sobald mit ihm gesprochen, als er vom Pferde stieg und Schems Annahar aufsteigen ließ und selbst das Pferd am Zaume führte, und auch für Ali und den Juwelier wurden Pferde herbeigeholt. Sie ritten dann bis an einen gewissen Platz, wo er einem Mann Befehl gab, zwei Boote herbeizuschaffen.
Er ließ hierauf Schems Annahar, Ali und den Juwelier in ein Boot steigen, und seine Leute in ein anderes. Das Boot steuerte nach dem Palast des Kalifen zu, was sie in nicht geringe Angst versetzte. Der Befehlshaber ließ hierauf zum großen Schrecken der beiden vor dem Palaste des Kalifen anlegen. Auf seinen Wink wurden aber Ali und der Juwelier an ein anderes Ufer gebracht, von wo aus sie, in Begleitung von zwei Wachen, sich in die Wohnung Alis begaben. Sie waren so müde und angegriffen, daß sie sich ganz regungslos niederlegten und bis gegen Abend schliefen. Als der Juwelier erwachte, standen viele Leute laut jammernd umher und waren bemüht, Ali wieder ins Leben zu rufen, und als sie bemerkten, daß jener ausgeschlafen hatte, umringten ihn Alis Leute und drangen in ihn, zu erzählen, was diesem begegnet sei, indem sie ihm zuriefen: »Du bist unseres Herren Untergang und Verderben!«
Der Juwelier antwortete: »O ihr Leute! Sachen von solcher Wichtigkeit lassen sich vor so vielen Zeugen nicht erzählen;« er beschwor sie, nicht weiter in ihn zu dringen und ihren Herren nicht üblen Nachreden preiszugeben. In diesem Augenblick erholte sich Ali und fing an, sich zu bewegen, worauf ein Teil der Leute voller Freude über sein Erwachen zurücktraten, doch ließen sie den Juwelier nicht fortgehen, um seine eigenen Angelegenheiten zu besorgen. Man rieb Ali mit Rosenwasser und Moschuspulver ein, er blieb aber doch noch so schwach, daß er nicht antworten konnte. Auf alle an ihn gerichteten Fragen gab er nur Winke mit der Hand als Antwort. So winkte er auch seinen Leuten, den Juwelier ziehen zu lassen.
Als die Leute des Juweliers ihn von zwei Männern getragen ankommen sahen, schlugen sie sich ins Gesicht und schrieen laut zusammen. Er gebot ihnen Schweigen und sie gehorchten. Die zwei Träger, welche ihn getragen hatten, setzten ihn ab und verließen ihn. Er legte sich nieder und blieb bewußtlos die ganze Nacht hindurch. Am anderen Morgen, als er erwachte, standen seine Frau, sein Kind und seine Freunde um ihn herum und bestürmten ihn mit Fragen über das, was ihm widerfahren. Er ließ sich Wasser bringen, wusch sein Gesicht, dann trank er etwas Wein und dankte den Anwesenden für ihre Teilnahme. Hierauf sagte er, daß er zu viel getrunken habe und dadurch in den Zustand geraten sei, in welchem sie ihn getroffen hätten, worauf die Leute endlich fortgingen und er bei seiner Gattin sich entschuldigte und versprach, den Leuten das Verlorene zu ersetzen. Man sagte ihm aber, daß dasselbe von einem Manne, der alsbald wieder verschwand, in den Gang des Hauses geworfen worden sei, worauf er sich beruhigte. Er verlangte dann Wasser, wusch sich Gesicht und Hände und trank auch den ihm gereichten Wein. Er fühlte sich aber so entkräftet, daß er zu seiner Erholung zwei Tage zu Hause bleiben mußte. Am dritten Tage, als er sich wieder gestärkt fühlte, begab er sich ins Bad.
Im Herzen fühlte der Juwelier eine brennende Begierde, das Schicksal Schems Annahars und Alis zu erfahren, und doch wagte er aus Furcht nicht, sich Alis Wohnung zu nähern. In diesem Zustande wandte er sich zu Gott, gelobte, seinen früheren Lebenswandel wieder einzuschlagen, gab Almosen und suchte sich über seinen erlittenen Verlust zu trösten. Sein erster Gang war auf den Leinwandmarkt zu einem seiner Freunde, einem reichen Kaufmanne, mit dem er sich lange unterhielt. Als er sich entfernen wollte, erblickte er eine Frau, die ihm zuwinkte, und in welcher er sogleich die Vertraute Schems Annahars erkannte. Die Welt verfinsterte sich vor seinen Augen und er entfernte sich schleunigst. Sie folgte ihm, so oft er aber stehen bleiben wollte, überfiel ihn eine ungeheure Angst. Er beflügelte daher seine Schritte so sehr, daß sie ihm kaum mehr folgen konnte, obgleich sie ihm von Zeit zu Zeit zurief, doch stehen zu bleiben und ihr Gehör zu geben. So lief er fort, bis er eine Moschee erreichte, die er unbesucht wußte. Das Mädchen folgte ihm auch dahin und erkundigte sich nach seinem Befinden. Als er ihr nun alles, was sich mit Ali und ihm zugetragen, erzählt hatte, sagte er: »Nun bitte ich dich, mir auch deine und deiner Herrin Geschichte mitzuteilen.«
Sobald ich die Räuber kommen sah, fing nun die Vertraute zu erzählen an, die ich anfänglich für Soldaten von der Leibwache der Kalifen hielt, flüchtete ich mich, weil ich fürchtete, sie möchten mich und meine Herrin festnehmen, mit den beiden Sklavinnen über die Dächer und wir kamen endlich zu dem Hause braver Leute, die Mitleiden mit uns fühlten und uns gut aufnahmen. Am nächsten Morgen in der Frühe begaben wir uns nach Schems Annahars Palast zurück. Wir befanden uns in schlechtem Aufzug, doch gelang es uns, alles geheim zu halten.
Indessen brachte ich den Tag in der größten Unruhe zu; aber als es Nacht wurde, öffnete ich die kleine Türe, die zum Flusse führte, rief einen Schiffer herbei und bat ihn, den Fluß nach allen Seiten zu befahren und genau acht zu geben, ob er nicht eine Nachen erblicke, worin sich meine Gebieterin befände.
Bis gegen Mitternacht wartete ich voller Ungeduld, als sich endlich ein Nachen, in welchem sich zwei Männer und eine Frau befanden, der Türe näherte. Der eine ruderte, der andere stand in demselben und die Frau lag im Hinterraume. Als der Nachen an der Türe angelegt hatte, stieg die Frau aus, und siehe da! ich erkannte in ihr meine Gebieterin, und kam beinahe ganz außer mir vor unaussprechlicher Freude über ihre Rettung.
Ich reichte ihr die Hand, sie befahl mir, ihrem Begleiter 1000 Dinare zu geben. Ich gab ihm denselben Beutel, den ich dir geben wollte, den du aber nicht annahmst, und dankte ihm, worauf er wegging. Hierauf schloß ich die Türe wieder zu und trug sie mit Hilfe der beiden Sklavinnen auf ihr Bett, wo sie in einem todähnlichen Zustande die ganze übrige Nacht und den folgenden Tag blieb. Ich wich diese ganze Zeit über nicht von ihrem Lager und ließ kein Mädchen ihr nahe kommen. Endlich erwachte sie, als wäre sie vom Grabe auferstanden, ich bespritzte sie mit Rosenwasser und Moschus, gab ihr Wein zu trinken, und drang so lange in sie, bis sie auch etwas aß. Als sie der Genesung nahe war, ermahnte ich sie und stellte ihr vor, daß sie ihrem Verderben nahe war und wohl genug erlebt haben werde, um nun von ihrer Liebe abzulassen. Sie erwiderte: der Tod wäre mir leichter gewesen als was mir widerfahren, ich glaubte nicht, mit dem Leben davonzukommen. Als nämlich die Räuber mich aus dem Hause wegführten, und mich fragten, wer ich sei, gab ich mich für eine Sängerin aus, während Ali auf dieselbe Frage an ihn zur Antwort gab, er sei ein Mann aus dem Volke. In ihrer Wohnung angelangt, ergriff uns neue Angst und Furcht. Beim Anblicke meiner Kleinodien erkannten sie, daß ich ihnen meinen wahren Stand verheimlicht; eine Sängerin besitzt keine solche Edelsteine, riefen sie aus. Bekenne uns die Wahrheit! Aber ich schwieg.
Hierauf bestürmten sie Ali mit denselben Fragen, indem sie ihm sagten: Wir sehen wohl an deinem Anzuge, daß du keiner aus dem gemeinen Volke bist. Aber er, wie ich, verbargen ihnen standhaft unsern Stand und Herkunft. Nun wollten sie wissen, wie der Eigentümer des Hauses, in dem sie uns gefunden, heiße, worauf wir ihnen seinen Namen nannten. Ich kenne diesen Juwelier und weiß, wo er wohnt, sprach sogleich einer von ihnen. Wenn das Schicksal mir günstig ist, will ich ihn sogleich herbringen. Sie beschlossen jedoch, uns nicht beisammen zu lassen, und trennten uns, indem sie Ali in ein besonderes, und mich in ein anderes Gemach sperrten. Ruhet aus, sagten sie, bis wir erfahren, wer ihr seid, seid aber ohne Furcht, euer Leben ist in Sicherheit. Als der Juwelier gebracht wurde und dieser Mann ihnen unser ganzes Geheimnis offenbarte, da entschuldigten sie sich bei uns, führten uns nach dem Ufer des Flusses, ließen uns ein Boot besteigen und schifften uns auf die andere Seite über. Aber kaum hatten wir das Land betreten, als eine Schar von der Nachtwache zu Pferd uns umzingelte. Ich gab hierauf dem Anführer ein Zeichen und winkte ihn beiseite, gab mich ihm zu erkennen und sagte ihm, ich sei am verflossenen Abend, auf dem Heimwege vom Besuch einer Freundin, bei welcher ich zuviel getrunken hatte, von jenen Leuten, die eben wieder über den Fluß setzten, angehalten und nach ihrer Wohnung gebracht worden, wo ich auch diese beiden anderen Personen traf, mit denen sie uns hierher gebracht, und bat ihn auch, auf meine Erkenntlichkeit zu zählen. Da stieg er sogleich von seinem Pferde und ließ mich es besteigen und zwei seiner Leute taten das gleiche mit Ali und dem Juwelier, und wir gelangten, wie du gesehen hast, wieder hierher. Was aus Ali und dem Juwelier geworden ist, weiß ich nicht. In meinem Herzen brennt ein heftiges Feuer ihretwillen, hauptsächlich wegen Alis Freund, der so vieles verloren hat. Nimm daher einiges Geld, gehe zu ihm, grüße ihn und erkundige dich nach Ali bei ihm.
Ich machte ihr Vorwürfe und stellte ihr die Gefahr vor, in die sie sich stürze. Fürchte Gott, sagte ich ihr, opfere dein Leben nicht diesem Liebeshandel, und wandle den Weg der Entsagung! Sie fuhr mich aber zornig an wegen meiner Ermahnungen. Ich ging daher nach deinem Hause, um dich aufzusuchen, wo ich dich aber nicht antraf. Zu Ali wagte ich nicht zu gehen, ich blieb daher außen stehen, um dich zu erwarten. Nun bitte ich dich und nimm das Geld an (welches meine Herrin dir schickt), du hast dir keinen Vorwurf deshalb zu machen, da du doch den Leuten das Verlorene ersetzen mußt. Der Juwelier machte sich auf und ging mit ihr bis in die Nähe seiner Wohnung, da sagte sie: »Warte hier, ich komme gleich wieder«, und verließ ihn.
Als das Mädchen wieder zu dem Juwelier kam, brachte sie einen schweren, mit Gold gefüllten Beutel mit, welchen sie ihm übergab und sagte: »Geh' mit Gottes Schutz! Wo treffen wir uns wieder?« Der Juwelier erwiderte: »Komm nur in meine Wohnung, ich werde mich sogleich bemühen, Ali zu treffen und Mittel finden, dich zu ihm zu bringen; dieses Geld macht mir leicht, was mir früher schwer schien.« Das Mädchen verabschiedete sich, der Juwelier aber trug das Geld nach Hause. Er fand in dem Beutel 2000 Dinare, worüber er sich sehr freute, denn es blieb ihm, nachdem er allen Schadenersatz geleistet hatte, eine Summe für seine Familie und die Wiederherstellung seines anderen Hauses übrig. Er begab sich sogleich mit seinen Dienern in dasselbe, ließ Arbeiter kommen und neue Türen und Fenster einsetzen, die viel schöner ausfielen, als die früheren. Um das Haus zu hüten, ließ er auch einige Mädchen daselbst.
Die Freude, sich wieder in solchen Umständen zu sehen, ließ ihn schnell alles ihm widerfahrene Ungemach vergessen, und frohen Mutes und leichten Sinnes ging er zu Ali. Dessen Diener kam ihm sogleich freudig entgegen, ihn bewillkommend und ihn sogleich zu Ali führend, der auf seinem Lager ausgestreckt lag und kaum ein Wort reden konnte. Der Juwelier setzte sich neben ihn und ergriff seine Hand, worauf Ali seine Augen öffnete und ihn begrüßte. Er richtete sich mit großer Anstrengung und Hilfe des Juweliers auf, dankte Gott für dieses Wiedersehen, ließ sich Wein und Speise bringen, genoß reichlich von beidem, erhob sich dann von seinem Lager, wechselte die Kleider und versuchte ihm zuliebe einige Schritte im Zimmer zu gehen. Der Juwelier erzählte, was er von der Vertrauten Schems Annahars erfahren hatte, ohne daß jemand außer ihm ihn hörte, dann sagte er zu ihm: »Fasse Mut, ich kenne dein Inneres.« Ali lächelte und der Juwelier fuhrt fort: »Du wirst Hilfe und Erleichterung finden.« Ali gab dann den Dienern ein Zeichen, daß sie sich entfernten, dann sagte er: »Hast du gesehen, was uns zugestoßen ist?« Er entschuldigte sich hierauf bei dem Juwelier und fragte ihn weiter aus und ließ sich nochmals alles seit ihrer Trennung Vorgefallene erzählen. Dann lobte er Gott und pries den Mut und die Standhaftigkeit Schems Annahars. Hierauf rief er seinen Schatzmeister, ließ Betten, verschiedenes anderes Hausgerät und an goldenen und silbernen Gefäßen weit mehr, als der Juwelier verloren hatte, zusammenpacken, und übergab sie dem Juwelier. Der Juwelier, beschämt durch eine so edle Freigebigkeit, dankte und sagte: »Das Bewußtsein meines Bestrebens, euch zu gefallen, ist mir mehr wert, als was ich empfangen; aus Liebe zu euch werde ich mich vor keiner Gefahr scheuen!« Er blieb hierauf noch den ganzen Tag und die folgende Nacht bei Ali, welcher noch immer schwach und mutlos war, und viel seufzte und weinte.
Als der Morgen anbrach, sprach Ali zum Juwelier: »O höre mich! jede Sache hat ihr Ende. Das Ende der Liebe ist der Tod oder eine dauernde Vereinigung; ich bin dem Tode näher, er paßt besser zu meiner Lage und bringt mir mehr Ruhe. O wäre ich doch tot und vergessen, oder könnte ich mich trösten, ruhig werden und anderen Ruhe gönnen! Nun kam ich schon zweimal mit ihr zusammen, und jedesmal ging es so, wie du wohl weißt; wie kann ich nun einer dritten Zusammenkunft mit Ruhe entgegensehen? Wie kann ich, nach diesen Warnungen, mich noch vor den Leuten entschuldigen? Ohne Gottes Huld wären wir ja schon lange verrufen. Ich weiß nun nicht mehr, wo ich mein Heil suchen soll. Wenn ich nicht Gott fürchtete, so würde ich meinem Tod vorgreifen; aber wir sterben ja doch, ich und sie, nur hat unser Tod eine bestimmte Zeit.« Er weinte dann heftig und sprach folgende Verse:
»Kann der Betrübte etwas anderes tun, wie weinen? Wie groß muß meine Liebe sein, da ich euch mein Geheimnis anvertraut. Mir ist, als wenn die Nacht zu den Sternen gesagt hätte: Bleibet und weichet nicht, wenn der Morgen ruft.«
Der Juwelier sprach Ali Mut ein und sagte: »Mein Herr, sei ein Mann! Sei in der Trauer wie in der Freude ruhig!« Ali sah ihn an und sprach folgende Verse:
»Ist der Tränenstrom mit dem, der ihn vergießt, verwachsen, oder kann er durch schöne Standhaftigkeit zurückgewiesen werden? Mancher hat schon sein Geheimnis zusammengedrängt und versiegelt: da hat sein Auge aufgerissen, was er verschlossen, und so oft er die Tränen zurückhalten wollte, kam der Liebesschmerz dazwischen und hinderte ihn.«
Der Juwelier sagte, er vermute, die Vertraute werde zu ihm kommen, um Nachrichten von Schems Annahar zu überbringen, er wolle daher nach Hause gehen. Als er hierauf Abschied nahm, sagte Ali zu ihm: »Ich lasse dich gehen; aber eile, daß du bald wieder kommst, denn du siehst, in welchem Zustande ich mich befinde.«
Kaum zu Hause angekommen, erschien auch wirklich Schems Annahars Vertraute bei dem Juwelier, aber mit verstörter, ängstlicher Miene und tränendem Blicke. Beunruhigt hierüber, fragte er sie, was vorgefallen wäre. Sie antwortete: »Was wir befürchtet, ist eingetroffen! Als ich dich gestern verließ und zu Schems Annahar in den Palast zurückkehrte, traf ich sie, wie sie eben Befehl erteilte, eine der beiden Sklavinnen, die bei jenem Abenteuer bei uns waren, eines Vergehens wegen zu züchtigen. Diese aber entfloh durch eine offene Türe des Palastes und begab sich zu einem der Türwächter, der wegen einer Sklavin uns beaufsichtigte. Dieser verbarg die Sklavin und wußte ihr durch Schmeichelei, Zureden und Versprechungen den Vorgang in jenen beiden Nächten zu entlocken. Er ging hierauf sogleich mit ihr zum Fürsten der Gläubigen. Dieser zwang sie, alles zu gestehen, was sie auch tat. Schems Annahar wurde nun in die Wohnung des Kalifen gebracht, ohne daß ich mir einen anderen Grund, als den eben angeführten, denken kann, und er läßt sie von zwanzig Dienern bewachen. Ich suchte mich ungesehen wegzustehlen und eilte hierher, da ich nicht weiß, was wohl in solch einer Lage anzufangen sein dürfte. Ich bin, wie dir nicht unbekannt, ihre teuerste Freundin und bewahre alle ihre Geheimnisse. Geh nun zu Ali und fordere ihn auf, alle Vorsicht zu gebrauchen, sich und seine Güte zu retten.«
Die Vertraute verließ ihn hierauf plötzlich und der Juwelier, den diese Nachricht so darniederschlug, daß er kaum stehen konnte, raffte sich zusammen, eilte zu Ali und sagte ihm: »Umhülle dich mit Geduld und umgürte dich mit Standhaftigkeit, entferne von dir jede Schwäche und Mutlosigkeit und wandle den Weg der Tapferkeit. Es ist etwas vorgefallen, wobei dein Leben und all dein Gut verloren gehen kann.«
Ali antwortete: »O mein Bruder, du hast mir den Tod gegeben; sage mir klar heraus, was geschehen!« Der Juwelier erzählte ihm das, was er von der Vertrauten vernommen hatte, und fügte hinzu: »Du wirst gewiß dabei umkommen.« Ali starrte eine Weile vor sich hin und gab nahezu den Geist auf, dann erholte er sich und fragte: »Was ist zu tun?« Der Juwelier antwortete: »Packe deine kostbarsten Sachen zusammen, wähle die treuesten unter deinen Dienern aus und bereite dich vor, mit mir vor Abend die Stadt zu verlassen. Wir gehen zusammen nach Anbar.« Ali sprang auf und taumelte umher, bald machte er einige Schritte, bald stürzte er wieder hin, ordnete seine Geschäfte, so gut er konnte, nahm Abschied von seiner Familie, sich bei ihr entschuldigend, traf alle nötigen Anordnungen und verließ mit dem Juwelier Bagdad.
Sie schlugen den Weg nach Anbar ein, reisten den ganzen Tag und die ganze Nacht, ohne sich aufzuhalten, und erst vor Tagesanbruch machten sie Halt. Sie luden ihr Gepäck ab, banden ihre Tiere fest und legten sich arglos nieder, um zu schlafen. Kaum war einer und der andere eingeschlafen, als sie aus ihrer Ruhe aufgeschreckt wurden und sich von einer Menge Männer umzingelt sahen. Ihre Leute wurden alle getötet, und die Räuber nahmen ihnen Pferde, Lasttiere samt Gepäck und allen Kostbarkeiten weg, und zogen auch diese beiden ganz aus, entfernten sich dann und ließen sie in schlimmster Lage zurück.
Nachdem die Räuber sich entfernt hatten, sagte Ali zu dem Juwelier: »Was sollen wir jetzt anfangen?«
»Nur Gott kann hier helfen«, erwiderte der Juwelier; »sein Wille geschehe!« Sie gingen dann in der Nacht fort, bis sie gegen Morgen eine offene Moschee erblickten, in welche sie eintraten, und sie brachten den Rest der Nacht ungestört in einer Ecke zu. Am folgenden Morgen kam endlich ein Mann herein, um sein Gebet zu verrichten. Als er geendigt hatte und um sich blickte, bemerkte er Ali und den Juwelier.
Dieser Mann näherte sich ihnen und redete sie folgendermaßen an: »O ihr von der Gemeinde Gottes! ihr seid wohl Fremdlinge?« Sie antworteten: »Ja; wir sind heute nacht auf dem Wege von Bagdad von Räubern angefallen und all des Unsrigen beraubt worden und kennen niemanden hier, an den wir uns in unserer Not wenden könnten.« Der Unbekannte versetzte: »Wollt ihr mit mir in mein Haus kommen?« Der Juwelier sagte leise zu Ali: »Da leicht andere kommen könnten, denen wir nicht unbekannt sein dürften, so wird also das Klügste sein, wir folgen der Einladung, ohnedies sind wir hier fremd und gänzlich obdachlos.« Ali erwiderte: »Tu was du willst«, worauf der Juwelier antwortete: »Wir sind bereit, dir zu folgen.« Der Unbekannte zog dann einen Teil seiner Kleider aus und gab sie ihnen. Dann sagte er zu ihnen: »Steht nun auf aus dieser Dunkelheit und folgt mir.« Sie machten sich alsbald auf den Weg und als sie an seiner Wohnung angekommen waren, klopfte der Mann an der Türe, worauf ein kleiner Diener diese öffnete. Der Mann hieß sie hierauf eintreten und führte sie in ein Zimmer, wo er alsbald einen Bündel mit Kleidern und Turbanen herbeibringen ließ. Er schenkte jedem zwei Anzüge und zwei Turbane und als sie sich umgekleidet hatten, trug eine Sklavin verschiedene Speisen auf, worauf der Herr des Hauses zu ihnen sagte: »Esset, der Segen Gottes sei mit euch!« Sie aßen aber nur wenig, dann wurde der Tisch wieder weggetragen, und sie blieben bei ihm sitzen, bis die Nacht hereinbrach. Ali war sehr niedergeschlagen, er seufzte schwer auf und befand sich in einem trostlosen Zustande. Auch sagte er zu dem Juwelier: »Wisse, daß ich bald sterben werde; ich will daher meine letzten Anordnungen treffen, um deren genaue Befolgung ich dich bitte. Geh' zu meiner Mutter, wenn ich sterbe, und bitte sie, hierherzukommen und für meine Waschung und Bestattung zu sorgen, und unsre Trennung mit Geduld zu ertragen.«
Nachdem Ali geendet hatte, fiel er in Ohnmacht, und als er wieder erwachte, hörte er von einer weiblichen Stimme folgende Verse:
»Schnell überfiel uns die Trennung, nach kurzer Liebe, Vereinigung und Zusammenleben. Wie bitter ist Trennung nach Vereinigung! Möchte sie doch nie mehr über einen Liebenden verhängt werden! Die Todespein währt nur eine kleine Weile, dann ist's vorüber. Aber die Trennung der Freunde nagt immer am Herzen. Gott vereinige alle Liebenden und beginne mit mir, denn ich sehne mich nach ihm.«
Hier schwieg die Stimme, und kaum waren die letzten Töne verhallt, so verschied Ali. Der Juwelier blieb noch zwei Tage bei dem Leichnam, hüllte ihn in ein Totengewand, übergab ihn der Verwahrung ihres Wirtes und schloß sich dann einer eben nach Bagdad zurückkehrenden Karawane an. Bei seiner Ankunft daselbst ging er zuerst in sein Haus. Hierauf begab er sich sogleich in die Wohnung Alis. Die Diener kamen ihm entgegen und grüßten ihn, Er ließ sich alsbald bei Alis Mutter melden, und als er die Erlaubnis erhielt, vor ihr zu erscheinen, trat er zu ihr, grüßte sie, und nachdem er sich ein wenig gesammelt hatte, sprach er zu ihr. »Höre mich an, Gott erhalte dich und sei dir gnädig! Der erhabene Gott leitet die Menschen nach seinem Willen; niemand kann seinem Urteil und seiner Bestimmung entgehen....«
Die Mutter rief, heftig weinend: »Du verkündest mir den Tod meines Sohnes!« - »Bei Gott, er ist tot!«
Der Juwelier konnte vor herbem Schmerz und hervorbrechenden Tränen nicht antworten. Die Mutter war nahe daran, in Ohnmacht zu fallen, da eilten ihre Frauen herbei, sie zu unterstützen. Nachdem sie sich wieder erholt hatte, bat sie den Juwelier, ihr alles mitzuteilen. Der Juwelier erzählte ihr alles umständlich, wie es sich zugetragen, und beteuerte, daß er selbst von Trauer erfüllt sei, da er ihm ein sehr teurer Freund gewesen. Die Mutter fragte ihn hierauf: »Da er dir alle seine Geheimnisse anvertraut, so hat er dir wohl vor seinem Tode noch einen Auftrag an mich gegeben?« Der Juwelier bejahte dies und machte sie aufs pünktlichste mit Alis letztem Willen bekannt. Die Mutter brach wieder in lauten Jammer aus, den ihre Frauen noch vermehrten. Der Juwelier verließ sie hierauf, wie ein Blinder umhertappend, um nach Hause zu gehen. Voll tiefer Bekümmernis dachte er über das traurige Schicksal eines so jungen Mannes nach, bei dem er so oft ein- und ausgegangen.
Plötzlich bemerkte er, daß ihn jemand bei der Hand ergriff. Als er die Augen öffnete, sah er eine Frau im Trauergewande mit einem von Gram abgehärmten Gesichte vor sich stehen, in der er sogleich die Vertraute Schems Annahars erkannte. Dieser Anblick und ihre Tränen, die sie fortwährend vergoß, riefen auch bei ihm neuen Kummer und neue Tränen hervor. Er ging ohne Aufenthalt mit ihr fort bis in seine Wohnung.
Der Juwelier fragte die Vertraute, ob sie schon wisse, wie es Ali ergangen. Sie verneinte dies.
Der Juwelier fragte sie dann, was den Tod Schems Annahars herbeigeführt. Sie erwiderte: »Wie ich dir schon erzählt habe, hatte der Fürst der Gläubigen Schems Annahar zu sich nach seinem Palaste bringen lassen. Aber ohne ihr den mindesten Vorwurf zu machen, empfing er sie, liebe- und mitleidsvoll und mit freundlichem Entgegenkommen sprach er zu ihr: »Schems Annahar, du weißt, mit welcher Inbrunst ich dich liebe, wie du mir vor allen übrigen Menschen teuer bist, ich werde dich vor jedem Übel bewahren, trotz aller Verleumdungen, die mir von deinen Feinden zu Ohren gekommen.« Hierauf führte er sie in eines seiner Prunkgemächer. Alles dieses wirkte mit furchtbarer Gewalt auf das Gemüt Schems Annahars. Als der Tag zu Ende war, ließ der Kalif, nachdem er nach seiner Gewohnheit beim Weine gesessen war, die Mädchen zu sich kommen und Schems Annahar, um zu zeigen, wie hoch sie noch in seiner Gunst stehe und welchen Platz sie in seinem Herzen einnehme, an seine Seite sitzen. Ihr Geist war abwesend, ihre Fassung war dahin, und ihr Zustand ward immer schlimmer. Als aber eine Sängerin folgende Verse sang:
»Die Liebe hat Tränen in mir hervorgerufen, sie fließen nun reichlich über meine Wangen herunter.«
»Meine Augenwimpern ermüden und können nicht tragen, was darin ist; sie offenbaren, was ich verheimlichen möchte, und verbergen, was ich offenbare.«
»Wie kann ich meine Liebe zu verbergen wünschen, da meine mächtige Pein deinetwillen alles entdeckt!«
»Nach der Trennung von meinem Geliebten wäre mein Tod eine Wohltat. Nur möchte ich wissen, ob es ihm nach mir wohl wird -«
konnte sie die Fassung nicht länger behaupten: die Tränen stürzten hervor und sie sank bewußtlos nieder. Der Kalif warf den Becher aus der Hand und zog sie zu sich hin. Aber sie war tot. Der Kalif befahl, alle Instrumente zu zerbrechen, und ließ dann ihren Leichnam in sein Gemach tragen, wo er die ganze Nacht bei demselben durchwachte. Des Morgens ließ er ihn waschen, in ein Leichengewand hüllen und beerdigen, ohne sich weiter nach ihren Angelegenheiten zu erkundigen.
»Nun«, fuhr sie fort, »bitte ich dich bei dem allmächtigen Gott, mir zu sagen, wann die Überreste Alis hierher gelangen und beigesetzt werden, damit ich der Beerdigung beiwohne.« Der Juwelier antwortete: »Dies kann nicht geschehen.« Die Vertraute entgegnete: »Du hältst dies für unmöglich; wisse aber, daß dem nichts im Wege steht, da der Kalif allen Frauen Schems Annahars die Freiheit geschenkt und mir die Aufsicht über das Grab seiner Favoritin übertragen hat.« Der Juwelier begleitete sie hierauf an den Begräbnisplatz und verließ sie wieder.
Am vierten Tage, als der Leichnam Alis aus Anbar anlangte, drängte sich eine zahllose Volksmenge hinzu, der Juwelier mischte sich unter die Menge, von welcher viele Männer und Frauen dem Leichenzuge eine Strecke weit entgegen gingen, man hatte nie in Bagdad eine solche Menschenmasse beisammen gesehen. Die Vertraute schloß sich auch dem Zuge an und machte sich durch ihre tiefe Trauer und ihr herzzerreißendes Jammergeschrei vor allen anderen bemerklich, bis man zum Begräbnisplatz kam, wo er beerdigt wurde und den der Juwelier, so lang er lebte, von Zeit zu Zeit besuchte.
Das ist die Geschichte Alis und Schems Annahars. Sie ist aber nicht wunderbarer als die Nureddins und der Enis Aldjelis.