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Walter Buridans Arbeitszimmer mit Schreibtisch, Büchergestell. Diwan, Klubsessel, hohem, bis auf den Teppich herabreichendem Spiegel, einem Wandschirm, dickem Teppich, Eisbärenfell und Musikinstrumenten. Rechts vom Zuschauer eine Seitentür. Im Hintergrund eine sehr breite Balkontür, durch die man auf den Balkon hinaussieht. Es ist Abend. Die Lampen brennen. Draußen klarer Sternenhimmel.
Kadidja unsichtbar. Walter Buridan sitzt hinter dem Schreibtisch.
Buridan: Was tust du denn solange da draußen auf dem Balkon? – Nun, Kadidja, warum antwortest du denn nicht? (Er erhebt sich.) Sie ist doch vorhin auf den Balkon hinausgegangen! (Er ruft.) Kadidja! (Er eilt auf den Balkon hinaus.) Gott sei Dank! (Kadidja ins Zimmer zurückführend): Kadidja, wie kannst du mich so entsetzlich erschrecken!
Kadidja: Ich war darauf gespannt, wie sich die Befürchtung, daß ich nicht mehr dasein könnte, bei dir äußern würde.
Buridan: Ja, ja. – So wenig gelingt es mir, bei all der Liebe, die ich für dich fühle, dich glücklich zu machen!
Kadidja: Ja, ja. Ich bin ein unzufriedenes, undankbares Geschöpf. Was läßt sich daran ändern!
Buridan: Ich mache dir einen Vorschlag, Kadidja, und bitte dich, meinen Vorschlag ruhig zu überlegen. Wir sind jetzt achtzehn Monate beisammen, ohne während der ganzen Zeit mehr als fünf Tage voneinander getrennt gewesen zu sein. Ich weiß, daß ich nicht mehr der Mensch bin, der ich früher war. Ich bin häufig verstimmt, weil es mir an der nötigen Spannkraft fehlt. Diese Spannkraft kann ich aber nur in mir selbst wiederfinden . . .
Kadidja: Das heißt mit anderen Worten, du willst dich von mir trennen?
Buridan: Nur für vierzehn Tage . . .
Kadidja: Dann können wir uns schon geradesogut vollends Lebewohl sagen.
Buridan: So wenig bin ich dir wert?
Kadidja: Was bin denn ich dir noch wert? Ich war von Kindheit auf immer die Freude meiner ganzen Umgebung. Dir bin ich längst keine Freude mehr, obschon ich alles tue, wovon ich denken kann, daß es dir angenehm ist. Aber daran liegt es eben. Ich bin durch meine Nachgiebigkeit und meine Selbstlosigkeit ein ganz anderes Geschöpf geworden, als ich damals war, als du mich zu dir nahmst.
Buridan (im Klubsessel): Ich glaube nicht, daß du durch dein Zusammensein mit mir irgend etwas von deinem Zauber verloren hast. Aber du läßt mir ja keine Zeit, um meine Genußfähigkeit wiederzufinden.
Kadidja: Ich bin das Alleinsein nun einmal nicht gewohnt. Wir waren unsere acht Geschwister in meinem Elternhaus. Als ich dann zum Theater kam, gab es eine Unmenge von Kollegen und Kolleginnen, Regisseure, Theaterarbeiter und Dramaturgen, die in jeder Stadt wieder andere waren. Allerdings hat man mir ja auch schon öfter gesagt, daß ich der Kunst wegen überhaupt nicht zur Bühne gegangen sei, sondern nur um meine Unterhaltung dabei zu finden.
Buridan: Glaubst du denn, ich schreibe meine Theaterstücke aus einem anderen Grunde, als nur um während des Schreibens meine Unterhaltung dabei zu finden? – Ich habe mich sogar auch schon gefragt, ob ich denn wirklich so viel trinke, um Theaterstücke schreiben zu können, oder ob ich nur Theaterstücke schreibe, um während des Schreibens so viel dazu trinken zu können. – Aber das alles macht dich nicht glücklicher.
Kadidja: Als du vorgestern abend fortgegangen warst, da ließ ich von den beiden Mädchen die Körbe, in denen meine Kostüme liegen, vom Hängeboden herunterholen. Ich packte die Kostüme hier aus und zeigte sie den Mädchen. Das ganze Zimmer, der Schreibtisch, der Diwan, der Sessel, alles lag voll von Kostümen. Dann zog ich eins nach dem anderen an, ging darin über den Teppich und besah mich im Spiegel. (Sie tut es.) – Die Mädchen müssen geglaubt haben, ich hätte den Verstand verloren.
Buridan (erhebt sich): Arme Kadidja! (Er küßt sie.) So tief erniedrigst du dich, um dein Zusammenleben mit mir ertragen zu können!
Kadidja: Ich erniedrigte mich ja doch so gerne, wenn ich wenigstens sähe, daß ich dir damit irgend etwas nützen würde! Aber je mehr ich mich in allem nach deinen Wünschen ändere, um so weniger bedeute ich für dich. Manchmal siehst du mich schon gar nicht mehr, wenn ich dicht vor dir stehe.
Buridan (erschrickt): Kadidja!
Kadidja. Von solchen Momenten kannst du natürlich nichts wissen. Als der Winter begann, hast du mir wenigstens noch manchmal deine Lieder einstudiert. Das hast du wohl ganz vergessen? Du hast sie mir mit der Reitpeitsche einstudiert, damit ich, sobald ich auf dem Podium erscheine, das Publikum durch meine Leidenschaftlichkeit überwältige. Dort an dem Büchergestell hängt noch der Zettel angeheftet, auf den du die Lieder, die ich singen konnte, notiert hattest. Du hast den Zettel seit mindestens sechs Monaten nicht mehr angesehen. Der Winter ist zu Ende, und das Singen deiner Lieder ist ein Erlebnis aus meiner Vergangenheit. Die Reitpeitsche gebraucht der Hausknecht, um unten im Hof die Teppiche auszuklopfen.
Buridan (nimmt die Laute von der Wand): Willst du mir nicht eines der Lieder vorsingen?
Kadidja: Wenn ich noch eines kann.
Buridan (hat den Zettel vom Büchergestell genommen und liest die Titel): Da steht: Der blinde Knabe, Franziskas Abendlied, Ilse, Die Wetterfahne, Galathea, Von vorn besehn, Konfession, Tränenschwer und Stille Befürchtung.
Kadidja (nennt einen der erwähnten Titel, z. B. »Die Wetterfahne« und nimmt die zum Singen nötige Haltung an).
Buridan (setzt sich auf die Armlehne des Klubsessels und schlägt die Beine übereinander): Aber die Reitpeitsche habe ich nicht. Könntest du nicht vielleicht auch ohne sie in die nötige Leidenschaftlichkeit geraten?
Kadidja: Ich will's versuchen.
Buridan (schlägt die Saiten an): Dies ist die Stimmung. – Hopp!
Kadidja (singt in diesem Falle folgendes Lied):
Du auf deinem höchsten Dach! Ich in nächster Nähe! Doch die wahre Liebe, ach, Schwankt in solcher Höhe! Du in deinem Herzen leer, Ich in blindem Wahne – Dreh dich hin, dreh dich her, Schöne Wetterfahne! Unterhaltend pfeift der Wind, Drehn wir uns auf hohem Turm |
Buridan: Und jetzt gleich noch der Tanz »Junges Blut« (er singt, sich auf der Laute begleitend, während Kadidja dazu tanzt):
Tanz, mein Liebchen, so wild du Tanzen kannst, tanzen kannst! Hurtig tummle dich, wie kein Satan tanzt, Satan tanzt! Wirf dir übern Kopf die Schuh, Wirf dein Röckchen auch dazu! Schlenkre Fuß und Waden ohne Ruh'! Bis es knackt, schwing' exakt, |
Kadidja (wirft sich Buridan in die Arme und birgt ihren Kopf an seiner Brust): Ich habe das alles entsetzlich schlecht gemacht!
Buridan (sie küssend): Du hast wilder getanzt, als ich es je von dir gesehen habe. – Wolltest du mir doch nur das bißchen Zeit lassen, das ich zu meiner geistigen Sammlung brauche, um mich solcher Augenblicke wieder aus vollem Herzen freuen zu können!
Kadidja (erregt): Wer bürgt mir denn aber dafür, daß du dich mit deinen geistigen Fragen und Aufgaben beschäftigst, wenn du mich den ganzen Tag und den ganzen Abend allein läßt und dann, wenn du endlich gegen Morgen nach Hause kommst, nur Mißvergnügen und Teilnahmslosigkeit für mich übrig hast! (Auf und nieder gehend): Ich glaube jeden Abend zwei volle Stunden daran, daß du dich auswärts mit deinen geistigen Aufgaben beschäftigst. Ich glaube auch noch eine dritte Stunde daran. In der vierten Stunde frage ich mich dann aber endlich, wer ich denn nun eigentlich bin! Dir haben hundert und hundert Frauen nur dadurch die Zeit vertrieben, daß sie dir all ihr Liebesabenteuer erzählten. Bin ich vielleicht so armselig, daß ich nichts zu erzählen fände, wenn ich die Möglichkeit hätte, etwas zu erleben? Ich soll mit gebundenen Gliedern mit allen erdenklichen Frauen um dich kämpfen, die sich vollkommen frei bewegen können?
Buridan: Du bist auf meine Vergangenheit eifersüchtig. Du verzeihst es mir nicht, daß ich, bevor wir uns kennen lernten, mehr erlebt habe als du.
Kadidja: Im Gegenteil! In deine Vergangenheit hatte ich mich längst verliebt gehabt, als wir uns zum erstenmal begegneten. Aber dafür müßte mein Wert für dich nun auch meine Gegenwart sein! Danke schön! Zu Hause soll ich mich dadurch verdient machen, daß ich nicht vorhanden bin, und gehen wir zusammen aus, dann bedrückt dich meine Erscheinung. Sieht mich jemand an, weil ich ihm gefalle, dann tönt ein Fluch von deinen Lippen. Das ist dem keine Freude, das ist mir keine Freude, und dir kann es auch keine Freude sein. Bin ich dazu von Gott geschaffen?
Buridan: Als wir uns kennen lernten, geliebtes Herz, da warst du dir deines Sieges so sicher wie ein Götterkind! Du erblicktest nicht die geringste Schwierigkeit in unserem Zusammensein, während mich die Furcht vor dem Unheil, in das sich auch das größte Glück verwandeln kann, sehr ernst stimmte. Jetzt entmutigt es dich, daß auch bei der größten Liebe das gemeinsame Glück mühevoll erobert werden muß. Und ich sage mir jeden Tag, daß ich mir diese Eroberung tausend und tausendmal schwerer vorgestellt hatte.
Kadidja: Dazu hast du auch allen Grund! Jede Widerwärtigkeit räume ich dir ängstlich aus dem Wege. Die Absätze an meinen Schnürstiefeln sind mit Gummi beschlagen, damit du meine Schritte in der Wohnung nicht hörst. Oder koste ich zuviel? – Wenn ich in einem Schaufenster einen Schmuck liegen sehe, den ich gerne haben möchte und für den ich das Geld nicht ausgeben will, dann gehe ich jeden Tag an dem Schaufenster vorüber und sehe mir den Schmuck an, und sehe ihn mir täglich so lange an, bis er mir vollständig verleidet ist. Dann habe ich das Geld gespart.
Buridan (im Klubsessel): Ganz genau ebenso ergeht es mir mit meinen schriftstellerischen Entwürfen.
Kadidja: Wie meinst du das?
Buridan: Wenn mir ein künstlerischer Entwurf einfällt, den ich liebend gerne ausarbeiten möchte, zu dessen Ausarbeitung ich aber die nötige Zeit nicht finde, dann sehe ich mir den Entwurf jeden Tag von allen Seiten an, und sehe ihn mir täglich so lange an, bis er mir vollständig verleidet ist. Dann habe ich die Zeit, die ich für die Ausarbeitung des Entwurfes nötig gehabt hätte, gespart!
Kadidja (setzt sich ihm auf die Knie, küßt ihn und sagt scherzend): Aber könntest du denn deine Schriftstellerei nicht für die nächsten zehn Jahre aufgeben? Du hast ja, bevor wir uns kannten, so unendlich viel geschrieben, daß es für die nächsten zehn Jahre vollauf ausreichen wird. Außerdem hast du doch jetzt deine Schauspielerei. Du hast dein öffentliches Auftreten mit mir zusammen. Und dann hast du deine Musik, deine Lieder, die du mir mit der Reitpeitsche einstudierst! Und schließlich hast du doch auch noch deine Kinderspielzeuge, die du erfunden hast! Die hätte ich beinahe vergessen. Der deutsche Diskus, die Fahrradschaukel, das Kinderdrahtseil, die Lauftrommel. Könntest du denn, wenn du dich nach geistiger Betätigung sehnst, nicht wieder einmal ein Kinderspielzeug erfinden? Das nimmt dir erstens weniger Zeit weg, und zweitens macht es doch uns beiden ganz unvergleichlich mehr Vergnügen als deine Schriftstellerei! – Soll ich nicht wieder einmal auf deiner Lauftrommel durchs Zimmer gehen? (Sich erhebend): Wo ist denn die Lauftrommel? (Sie holt die Lauftrommel hinter dem Wandschirm vor und schiebt sie in den Stützen ins Zimmer.) Da ist sie. Ich kann schon ziemlich gut ohne die Stützen darauf durchs Zimmer gehen. Soll ich es versuchen?
Buridan (antwortet nicht).
Kadidja (schiebt die Lauftrommel an die Wand zurück): Das scheint dich auch nicht mehr zu unterhalten.
Buridan: Du hast ja kein Publikum!
Kadidja: Ich habe kein Publikum. Schlimm genug! – Gelte ich dir denn noch etwas, wenn ich kein Publikum habe, dem ich gefalle? – Bin ich deshalb eine Exhibitionistin?
Buridan (erhebt sich). Liebe Kadidja, wir müssen unser Beieinandersein etwas vornehmer, etwas vertrauensvoller gestalten! Ein Glück ist unmöglich, wenn beide ununterbrochen davor zittern müssen, einander zu verlieren. Wir müssen aneinander glauben können! Wir haben ein geistiges Band zwischen uns nötig, das uns zusammenhält, auch wenn wir einmal vierzehn Tage lang nicht miteinander unter ein und demselben Dache wohnen!
Kadidja: Du beschäftigst dich doch wahrhaftig zur Genüge mit geistigen Dingen! Aber soll ich mich nun deshalb auch mit Philosophie und dergleichen abgeben? Ich tue das schon aus dem einfachen Grunde nicht, weil es mich nicht kleidet. Außerdem – wenn ich einmal damit begonnen habe, dir blauen Dunst vorzumachen, was bewahrt mich dann davor, daß ich es nicht auch in wichtigeren Dingen tun werde?
Buridan: Bei jedem Aufschwung, den die Seele nimmt, wird man sofort in die nüchterne Wirklichkeit hinabgezogen!
Kadidja (Tränen in den Augen): Deine Worte sind ungerecht! Auf deinen Kreuz- und Querfahrten durch alle fünf Weltteile hattest du jedes Gefühl für Natürlichkeit verloren. Bin ich deshalb »nüchterne Wirklichkeit«, weil du es bei mir wiederfandest? – Im Gegenteil, wenn ich, ohne die geringste Ahnung davon zu haben, das große Wort über Kunst und Literatur führen wollte, wie das die Frauen zu Hunderten tun, dann wäre ich nüchterne Wirklichkeit für dich! Das erlebst du nicht an mir. Ehe ich die herrlichsten Gaben, die mir der Himmel verliehen hat, so kindisch entwürdige, biete ich mich lieber so, wie ich nun einmal geschaffen bin, auf offnem Markte aus.
Buridan: Kadidja! – Ich glaube, so wahr ich hier stehe, daß du dazu imstande wärst!
Kadidja: Fändest du das so ungeheuerlich? – Dann wärst du über meine Bedeutung im klaren. – (Sich ihm nähernd): Ich möchte doch nur die echte Perle, die ich hier an dieser Hand, (ihre Hand küssend) an dieser entzückenden Hand trage, nicht deshalb, weil uns die Perle langweilig geworden ist, gegen einen falschen Diamanten vertauschen.
Buridan (zurücktretend): Es gelingt mir nicht für eine Minute mehr, mich selber wiederzufinden! Seitdem du mir den Beweis gegeben hast, daß du ein Geschöpf von unbegrenzten Möglichkeiten bist, fühle ich bei jedem Atemzug den Schreck in den Gliedern, dich zu verlieren!
Kadidja: Und dabei beklagst du dich noch, daß es dir an geistiger Anregung fehlt!
Buridan: Ich bedanke mich für derartige Anregung! Ich habe nicht zwanzig Jahre um meine persönliche Freiheit gekämpft, um mein Dasein in Angst und Entsetzen zu verbringen!
Kadidja: Wenn dich die natürlichsten Dinge mit Entsetzen erfüllen, dann gehörst du doch selbst zu der furchtsamen Menge, deren blinde Furcht du immer verspottest.
Buridan: Ich kann von diesen Dingen nichts hören, weil ich todmüde bin! Laß mir vierzehn Tage Zeit, dann blicke ich der Wirklichkeit wieder mit der größten Unerschrockenheit in die Augen!
Kadidja: Damals hatte ich dich doch auch nur ganz schlicht und sachlich gebeten, du möchtest es einmal auf eine Probe ankommen lassen, um zu erfahren, wie geartet ich bin.
Buridan (auf dem Diwan): Ich hatte deinen Brief nicht geöffnet. Oder ich hatte ihn nicht zu Ende gelesen.
Kadidja (ohne sich bei der Erzählung anders als sachlich zu erregen): Als du aber an jenem Abend deinem Freunde das Spottgedicht von der Wetterfahne vorlasest, da glaubte ich natürlich, das sei nun die Probe, auf die du mich stellen wolltest. Ich fürchtete dabei nur, daß ich durch deine Verspottung nicht Mut genug finden würde, die Probe zu bestehen, weil mir das Gedicht im übrigen ganz gut gefiel. Als du mich dann aber mit mir allein ließest, da erhob sich ein Sturmgeheul in meinem Kopf, das mich hinderte, noch irgend etwas zu sehen oder zu hören. Rings um mich her flammten die Gedanken wie Blitze nach allen Richtungen hin. Sie zuckten so rasch durcheinander, daß ich nicht über einen einzigen Gedanken einen Augenblick nachdenken konnte. Nach einer Stunde kamst du zurück. Ich kannte mich selbst nicht mehr vor Wut darüber, daß du ein so klägliches Jammergeschöpf aus mir gemacht hattest. Ich biß dich in die Wange, daß du aufstöhntest. Aber als du dann plötzlich, ohne ein Wort zu sprechen, nach meinen Bildern langtest, die in deinem Zimmer auf dem Kamin und auf dem Schreibtisch standen, und als du ein Bild um das andere in Stücke zerrissest und die Stücke unter deine Füße tratst, da faßte mich ein Gefühl, wie ich es bis dahin nie gekannt hatte. Von einer Probe, die dir meine Liebe beweisen sollte, wußte ich nichts mehr, als ich die drei Treppen hinunterrannte. (Lächelnd): Was mich über das Geländer ins Wasser trieb, war einzig die Empfindung, daß gerade das, was mir von frühester Kindheit auf am liebsten an mir war, daß das in Fetzen zerrissen unter deinen Füßen lag.
Buridan (verwundert): Deshalb also sprangst du hinunter?
Kadidja: Ich kann nicht behaupten, daß ich es selber tat. Mich trieb weiter gar nichts als – meine nüchterne Wirklichkeit.
Buridan: Ich wurde unversehens an dir zum Bilderstürmer, weil ich mich auf deine Angriffe hin nicht an dir selbst vergreifen wollte! Nur um dich in deiner Raserei durch ein völlig unschädliches Mittel zur Besinnung zu bringen, vergriff ich mich an deinen Bildern!
Kadidja: Du brauchst mir deine Liebe nicht zu beteuern. Ich weiß ganz bestimmt, daß mich kein Mann in dieser Welt höher schätzen würde, als du mich schätzest. Deshalb gibt es für mich auch keine Wahl zwischen dir und einem anderen Mann. Für mich gibt es nur die Wahl zwischen dir und einem freien, durch nichts beschränkten Freudenleben.
Buridan (erhebt sich): Kadidja, gib mir vierzehn Tage Urlaub! Nur vierzehn Tage gib mir, ohne daß ich derweil um deinen Besitz zu zittern brauche, dann habe ich wieder Genußfähigkeit im Überfluß!
Kadidja: Ich glaube dir, daß du dich danach sehnst! Wenn du vierzehn Tage ohne mich gelebt hast, dann habe ich dich verloren. Ich überschätze meine Anziehungskraft nicht.
Buridan: Kadidja! Ich habe große Gedanken in meinem Kopf! Es war sonst nie meine Gewohnheit, mit meinen Plänen und Projekten zu prahlen. Dir gegenüber muß ich es tun, damit du Mitleid mit ihnen fühlst. Ich arbeite schon viel länger, als wir uns kennen, an einem Werk, durch das die Widersprüche, in denen ich mich seit meiner Kindheit befinde, endlich aufgehoben werden sollen. Ich sehe seit Jahren nicht ein, warum die Verehrung, die wir für die ewigen Weltgesetze hegen, und die Verehrung, die wir schönen Farben, schönen Körpern, der ganzen Schöpfungspracht entgegenbringen, warum sich diese Gefühle ewig in den Haaren liegen sollen! Das war früher anders, als sich die Anbetung des Geistes mit der Verehrung menschlicher Schönheit unter demselben Tempeldach zusammenfanden. Warum soll das nicht wieder anders werden? Der Streit kommt nur daher, daß wir die erhabene Schönheit geistiger Gesetzmäßigkeit so wenig würdigen, wie wir die unerbittliche Gesetzmäßigkeit körperlicher Schönheit einsehen. Der Geist ist uns ein strenger Zuchtmeister, die Erscheinungswelt ist uns ein loser Possenreißer. Die Freude am Geist, die Ehrerbietung vor der Erscheinungswelt, das sind die beiden Elemente, die ich, bevor ich sterbe, noch miteinander aussöhnen möchte . . . (Da es klopft): Herein!
Eine Zofe bringt einen Karton herein, den sie auf den Diwan stellt.
Die Zofe: Eine schöne Empfehlung von Herrn Schneidermeister Mück, und das sei das Phantasiekostüm für die gnädige Frau.
Buridan (zu Kadidja): Was ist das für ein Kostüm?
Kadidja: Das ist mein Phantasiekostüm für das Hochzeitsballett im dritten Akt.
Buridan: Ach ja! Wir haben ja morgen abend Vorstellung! (Zu der Zofe): Hat Herr Schneidermeister Mück eine Rechnung mitgeschickt?
Die Zofe: Der Herr Schneidermeister Mück läßt sagen, der Herr Buridan werden es dann schon berichtigen.
Buridan (gibt ihr Geld): Geben Sie das dem Boten.
Die Zofe: Sehr schön. (Ab.)
Buridan: Dann würde ich aber das Kostüm jedenfalls heute noch anprobieren.
Kadidja: Wer kann wissen, ob ich jemals darin auftreten werde.
Buridan: Aber du mußt doch wenigstens sicher sein, daß es dir paßt.
Kadidja: Gut, dann gehe ich und ziehe es an. (Sie nimmt den Karton, legt Buridan die Arme um den Hals und küßt ihn.) Sei mir nicht böse, daß ich dich so gequält habe.
Buridan: Ich bin gespannt, wie du darin aussiehst. (Kadidja mit dem Karton ab. – Buridan setzt sich hinter den Schreibtisch, schlägt ein Manuskript auf und schreibt.)