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Stilzel
der Kobold des Böhmerwaldes
Weit abwegs von der Landstraße mitten drin in den dicken, wilden Wäldern zwischen Böhmen und dem Bayerland sauste vorzeiten eine Mühle. Die Fugen ihres Gebälkes waren mit Moos verstopft, auf dem Dach wuchs das Kraut Donnergrün, und am Giebel stand, mit Ochsenblut einmal von redlicher Hand rot hingetüncht, jetzt aber halb verwischt und verwittert, der Spruch:
Diese Mühle mahlt recht feyn,
feyner mahlt der Herrgott mein.
Aber trotz des gläubigen Reimes hieß diese Einschicht überall nur »die verlorene Mühle«. Denn der alte stelzfüßige Mann, der da das staubige Gewerbe trieb, war ein kalter Gesell und wollte von Gott nichts wissen.
Wenn die Tennen klangen und die Flegel polterten, so war ihm das tausendmal lieber als das zarteste Turmgeläut. Auch in den Kirchen und Kapellen war er nicht zu finden, vielmehr ritt er am Herrgottstag zur Messzeit auf seinem Esel hinüber gen Jagershof, und derweil andächtige Leute das geweihte Seelenbrot genossen, fraß er eine Hahnensulz und füllte seinen hageren Hals fluchend mit dem sauren Bier.
Ohne Weib und ohne Mühlknecht hauste er in seiner Einöd, und sie schaute darum auch recht verwildert und verwahrlost aus; hätte einer alle Spinnweben, die in den grauen Winkeln hingen, zusammengetragen und auf eine Waage gelegt, sie hätten nicht viel weniger als ein gesunder Mühlstein gewogen. Am lichten Tag stand die Mühle wie tot. Sie ging nur in der Finsternis, und da schlich der Müller gespenstisch um das brausende Haus oder stelzte den Graben entlang, der ihm das Wasser zum Rad leitete und den ihm der Teufel einmal in der Feistraunacht soll ausgehoben haben.
Quer über die Stirn trug er einen blutigroten Striemen, der ihm nimmer verging. Er hatte einmal mit seinem Gewehr mitten in den Sturm hineingeschossen, und darauf hatte einer mit der Geißel herausgeschlagen und ihn für sein Lebtag gezeichnet. Auch munkelte man von ihm, er habe in einer Christnacht einen Schuss in die Stubendecke abgefeuert, da seien drei Blutstropfen heruntergefallen, die habe er mit einer Schüssel aufgefangen und in den Lauf seines Stutzens hinein geflößt, und seither verfehle er keine Scheibe mehr am Schützenstand und keinen Bock mehr im Wald.
Um solcher Gerüchte willen grauste den Bauern vor ihm, und wenn er nicht gar so ehrlich gemahlen hätte, sie hätten ihr Korn nicht um alles in der Welt dem zaunhageldürren Stelzer anvertraut, der in seiner unheimlichen Einsamkeit weiß Gott was für sündige Geschäfte trieb.
Einmal aber kam der weltscheue Müller auf wunderliche Weise zu einem Gesellen.
Er wilderte eben zur Nacht in dem Wald, der voll jagdbarer Hirsche strotzte, und da hörte er es über sich fremd und schwerfällig sausen. Hurtig hob er den Stutzen und schoss darein. Ein närrischer Knäuel fiel aus den Lüften zu seinen büßen: zwei Waldstörche samt Brut und Nest und mit dem Hosenriemen daran geknüpft ein abscheuliches, struppiges, verwachsenes Büblein.
Der Müller löste es aus dem Wirrwarr und fragte es, wie es heiße. Darauf sagte es: »Stilzel!« Und wie das Haus genannt werde, darin es gewohnt habe. Das zottige Kind antwortete: »Bei uns.« Und welchen Namen der Ort führe, wo das Haus stehe. Da sagte es: »Im Wald.«
Mehr konnte der Alte aus ihm nicht erfragen, und er reimte sich die luftige Reise des Findelbuben so zusammen, dass dieser das volle Storchennest aus einem Wipfel geholt und, um es leichter fortzuschaffen, es samt den schlaftrunkenen Vögeln sich an die Hosen gebunden habe, die Störche aber zu Hudern angefangen und ihn mit in die Höhe genommen hätten. Es ist unbekannt, aus welcher Ursache der mürrische Müller den Buben bei sich duldete. Vielleicht freute es ihn, dass das Kind gar so grausam garstig war und die Beute in Schrecken setzte. Oder er hatte eine schlimme Absicht mit ihm vor. Oder tat er es in seinem Erstaunen über dessen Namen, der ihn an den eigenen Stelzfuß erinnerte und irgendeinen geheimnisvollen Zusammenhang verriet? Oder 'schmerzte ihn die wilde Verlassenheit, und er wollte sie enden?
Offenkundig ist nur, dass er in selber Nacht das koboldische Wesen heimtrug und es in die Ofenröhre legte, um es zu wärmen.
*
In der verlorenen Mühle ging es seltsam her. Der Alte lachte nie. Und wenn der Stilzel nachts im Ofenloch hockte, das ihm zum Nachtlager angewiesen worden war, merkte er, dass der Müller nimmer schlafen konnte und die ganze Nacht am Tisch saß und dumpf die durchschossene Stubendecke oder ein Gemshorn an der Wand anstierte, daran der Stutzen hing.
Oft wieder warf der Alte seinen schwarzen Mantel um, drückte den Hut tief in die zerfetzte Stirn, packte das Gewehr und stelzte davon und ließ die Mühle unbehütet sausen und mahlen die ganze Nacht.
Da schlich wohl der Stilzel durch das Gebäu und spähte und sah höchstens ein Wiesel, das im Mondschein mauste, doch niemand, der das Korn aufschüttete, und dennoch schien einer da zu sein, ungreifbar und -- unsichtbar, der das Mühlwerk wie ein emsiger .und sorglicher Knecht betreute.
Krähte dann der erste Hahn, so stand die Mühle wie mit einem Schlag still, und der Müller trottete zur Tür herein, warf einen erlegten Hirsch auf den Tisch und beutelte den schwarzen Mantel aus: da fielen die Kugeln heraus, die die Jäger nach ihm abgeschossen hatten, und die Schusslöcher waren in dem verbrannten Tuch zu sehen. Der mehlbestaubte Wildschütz war fest gegen Pulver und Blei, selbst gegen gläserne Kugeln. Eher hätte man einen Felsen erschießen können als ihn.
Einmal nachts kniete der Stilzel vor seinem Ziehvater, er musste ihm die Fußsohle kraulen, die ihn juckte. Da fiel es dem Alten plötzlich in den Sinn, dass er dem Wirt zu Jagershof
einen Braten für den morgigen Tag versprochen hatte. Er schlug das Gewehr an und knallte durch das Fenster blindlings in die Finsternis hinaus. Hernach schickte er den Stilzel zu einem Kreuzweg mitten im Wald, er möge den feisten Hirschbock holen. Und als der Stilzel dorthin kam, fand er wirklich das Wildbret liegen, noch warm und zuckend.
Zu andern Malen las der Müller in einem kohlschwarzen Buch, dessen Blätter einen feuerroten Schnitt hatten. Dazu riss er grimmige Fratzen, und der Stilzel musste zwischen seine Kule unter den Tisch kriechen und sich still halten. Da ballte sich in der Stube ein leichter Nebel, schwebte und wurde immer dicker, bis es tröpfelte und siferte und zuletzt wie aus Eimern schüttete; oder hing gar ein finsteres Gewölk an der Decke, daraus die Blitze schlugen, und es donnerte grässlich, und wenn es dann allzu bunt herging, schlug der dürre Zauberer das Buch zu, und die Mühle lag wieder in stillem Frieden.
Ein paarmal im Jahr umstellten die Soldaten das Haus, dass nichts davon konnte, der Bach ausgenommen, und sie suchten nach gewilderten Rehen und Hirschen und nach dem rußigen Teufelsbuch, erwischten aber nichts, weil das Buch unter einem Haufen Korn und das Wildbret in dem vollen Herbstmilchkübel versteckt lag.
Hin und wieder erhielt der Müller spätnachts Besuch. Ein Kerl trat ein, mit verwegenem Spitzbart, mit stechenden, pechschwarzen Augen, mit borstigen, langgezogenen Brauen darüber und staubig, als hätte er tagsüber in der Mühle gewerkt. Den spitzen, hohen Hut mit der giftroten Feder tat er niemals ab. Er setzte sich zu dem Müller in die angeschmauchte Stube, und die beiden ließen Dampf aus den Hälsen heraus und spien sich in die Gesichter und starrten sich dabei, ohne zu reden, stundenlang an. Der Fremde rauchte eine Pfeife mit zwei Köpfen, und wenn das Kraut darin verglommen war, musste es der Stilzel wieder anzünden.
Zuweilen spielten sie Karten. Sie spielten stumm, mit weit-offenen, gierigen Augen, mit gekniffenen Lefzen. Der Spitzbärtige verlor immer und warf sein klingendes Geld hin. Einmal rollte eine solche Münze bis zum Ofenloch hin. Der Stilzel zeigte sie am andern Morgen einem Mahlgast, und der erkannte sie als einen uralten Regensburger Fünfbätzner, ohne Geltung und längst nimmer gangbar.
Manchmal wurden die zwei, der Müller und sein schweigsamer Kamerad, von einer teuflischen Wildheit befallen: da soffen sie sich mit brennendem Schnaps zu und stießen mit den bläulichen Flammen an.
In solcher Laune raffte wohl der Spitzbart ein paar Körner aus dem Sack und streute sie auf den Tisch. Stracks schoß da die grüne Saat empor wie aus einem fetten Acker und wuchs zollhoch. Doch der Müller ließ seiner nicht spotten, er holte hastig ein Kuchenreuter Pistol aus. der Lade, tat das Schubfensterlein auf, legte den Lauf des Faustgewehres an die untere Lefze und tat damit einen dumpfen Pfiff, worauf sogleich, als habe er draußen gewartet, ein Wildhase zum Fenster herein hüpfte, das Gras bis zur kahlen Tischplatte auffraß, seine Losung hinlegte und eilig wieder durch das Guckloch entsprang. Da grinsten der Müller und der Fremde sich wunderlich an, und es war, als freuten sich die zwei über einen artig gelungenen Streich.
*
Der Müller. war ein. maulfauler, unwirscher Mann. Was er redete, waren meistens grobe, bissige Flüche, und der Stilzel lernte sie ihm mit seinen pfiffigen Ohren leicht ab und hörte sie gern rasseln und zischen und pfeifen, und die Herrgottscheltung gefiel ihm wohl. Beten lernte er nie.
Wie er einmal die Gänse auf einen abgelegenen Grasbühel treiben musste -und ihm dies nach vieler Mühsal gelungen war, lüpften die eigenwilligen Vögel schnatternd ihre Flederwische und flogen wieder zur Mühle zurück. Da übte er zum ersten Mal seine Flüche, er spuckte sie aus mit schrillem, schiefem Maul, und ein solch gäher Zorn überwältigte ihn, dass er sich vor sich selber nimmer helfen konnte, sich auf der Erde wälzte, sie aufriss mit seinen spitzigen Nägeln und dazu schrie wie eine Sau, die abgestochen wird. Dazumal schielte einer aus den Stauden heraus ihm zu, der hatte eine scharfe, lange Nase und wildverwachsene, rußige Brauen und nickte: »Nur zu, Büblein! Du kommst mir nit aus.«
Der Stilzel hörte schon nach kurzer Zeit zu wachsen auf, er wurde gefräßig und noch hässlicher, ein rechter Wechselbalg, und sein Jähzorn wurde immer blinder und heißer und war das einzige, was mit den Jahren an ihm wuchs. Häufig machte er sich davon Luft, indem er dem Ziehvater irgendeinen schlimmen Possen spielte.
Schlüpfte der Alte am Sonntag in seinen Stiefel, um gen. Jagershof zu reiten, so zerstach er sich den Fuß an einem Zaunigel, den ihm der Stilzel hineingestopft hatte. Da fluchte er denn Gottes Ader und alle tausend Donner und humpelte durch die Mühle, den Übeltäter zu finden und zu prügeln.
Solcher abgefeimter Bosheit war der Stilzel übervoll, und weil er niemand andern in der Nähe hatte, an dem er seine Tücke hätte verspritzen können, so musste der Müller herhalten. Doch als ihm der Stilzel schließlich zu grob kam, machte er ein geschwindes Ende.
Einmal trieb sich der bucklige Bub im Buschwerk herum, Stieglitze zu fangen. Da hörte er es wild schießen und schreien, und aus seinem Schlupf heraus sah er den Müller gelaufen kommen und sich ein paarmal hastig umschauen. Aber die Jäger waren ihm auf der Fährte: sein Stelzfuß, der sich in das Moos eingedrückt hatte, verriet ihn. Und wie er merkte, dass die Jäger den Ring um ihn immer enger zogen und dem Fuchs kein Loch mehr offen blieb, wo er hätte entschlüpfen können, streckte er sich ins Gras und hatte sich auch schon in einen Baumstamm verzaubert. Steif und lang lag er, als wäre er eben von den Hölzhackern gestürzt und gestümmelt worden, und die Grünstrümpfe pirschten sich an ihm vorüber und nahmen seiner nicht wahr.
Nur der Förster Matheis Pürnschild blieb misstrauisch stehen, schnüffelte mit der verwitterten Nase in den Wind und er-luchste den Stilzel. Er nahm ihn bei seinem brennenden Schopf, setzte ihm den Hirschfänger an die Gurgel und drohte: »Auf der Stell zeigst du mir den Wildbretschützen!«
Es hätte des gefährlichen Messers gar nicht bedurft, denn des Stilzels Herz floss über vor Bosheit, und er grinste und deutete auf den Baumstamm.
Der Förster spürte gleich, was dahinter stak, und er setzte sich reitlings auf den Baum, stieß den Hirschfänger darein, klopfte hernach die glühende Asche aus seiner Pfeife darauf, brannte sie wieder an und blies den schönsten blauen Schmauch vor sich hin.
Abends tölpelte der Wilderer in die Mühle herein, eine tiefe, blutige Wunde in der Hüfte. Der Stilzel rettete sich vor ihm auf das Mühlrad, das grad im Gang war. »Eine Natter hab ich an meiner Schüssel fressen lassen!« brüllte der Alte. »Dir dank ich den Stich beut!« Und er verscheuchte den Donnersbuben aus der Mühle.
*
Jetzt streifte der Stilzel im Gebirg hin und her, er schlief in Gestrüpp und Steinlöchern und zog, wenn ihn hungerte, den Gmoseter Bauern die Rüben aus den Äckern. Das behagte den Bauern nicht. Sie fürchteten, der nichtsnutzige Bub könne ein Landschelm werden, der ihnen schade an Fechsung und Vieh, und sie nahmen sich vor, ihn gründlich zu besichtigen, und beschlossen, das wilde Stäudlein hübsch zuzustutzen und ihm zu helfen, dass ihm nimmer vor der Arbeit grause.
Als er gerade eine Gmoseter Geiß in sein Maul hinein molk, fingen sie ihn und schleppten ihn in die Dorfschmiede und betrachteten ihn. Auf seinem unförmigen Kopf wuchs ritzrotes, verstrüppeltes Haar, und daraus lauschten zwei kurze, erzschlaue Ohrwäschlein; seine Nase war aufgestülpt wie die eines Moppelhundes; darunter klaffte eine Hasenlippe; das eine Auge war grau, das andere grün und schief. Um den Schopf hatte er statt einer Haube einen Eichkätzelschweif gewickelt.
An seinen zwinkernden Augen und den zuckenden, unruhigen Händen merkten die Bauern gleich, dass er nicht etwa beim Pflügen das Vieh leiten könne, noch zu einem andern stillen Geschäft tauge, und sie bestellten ihn zum gemeinen Rosshirten. Er sollte auf den grünen Angern im Wald ihre Wallachen, Stuten und Füllen hüten, neunundneunzig Rösser im Ganzen, aus jedem Gehöft elfe. Dafür wollten sie ihm, wenn er sich wacker hielte, freie Zehrung geben und alljährlich zu Martini, wenn die Hirten den Jahrtag haben, eine rosslederne
Hose und eine neue Peitschenschnur. Er müsse aber die Gäule treu versorgen, sie weiden, tränken, striegeln, ihnen die Roßsswespen vertreiben, sie schützen vor Bären und Wölfen und überhaupt achten, dass sie nicht entliefen oder gar ein Dieb siestehle.
Als im Frühjahr die Rösser auf das Gras gelassen wurden, hütete sie das verwachsene Hirtlein in der Schwarzau, das ist der breite, finstere Wald vor dem Städtlein Neumark. Doch trieb er es beileibe nicht so wie jener andächtige Schäfer, der sich in frommer Langeweile einen Herrgott geschnitzt und ihn in einen Waldbaum gestellt, den er vorher wie einen Tabernakel gehöhlt und festlich rot angestrichen hatte, worauf der Freiherr Laminger, der ihn knieend gefunden vor seinem Heiligtum, gerührt ob solcher Hirtenseligkeit an selbem Ort das weltentlegene Kirchlein zum Roten Baum gestiftet hat. Der Stilzel war aus einem anderen Holz. Br hängte sich in die Mähnen seiner Rösser und ritt wie der Satan. Mit dem Geißelstecken hieb er darein, wenn sich die Tiere nicht vertrugen. In den Riemen seiner Peitsche hatte er eine Schlangenzunge geflochten, und damit schnalzte er so eifrig, als wolle er. alle Hexen im Grenzwald verjagen, und so kunstvoll und scharf, dass die Jäger des Öfteren von dem Knall geäfft wurden und herzu rannten, in der Meinung, es sei eine Flinte gelöst worden. Und die Bosheit des Stilzels gedieh auch in der Waldeinöde weiter.
Einst sah er auf der Rosstrift langsam einen goldenen Wipfel aus dem Moos wachsen. Und wie er jedem Geschöpf, totem oder lebendigem, von Herzen gern Schlimmes antat, so ließ ihn auch jetzt sein trübes Blut nicht ruhen: er hob einen Stein und schleuderte ihn nach dem wachsenden Gold. Gleich versank es ohne Spür in den Erdgrund zurück. Hätte er es mit ehrfürchtigen Augen aus der Tiefe steigen lassen, so hätte ihm vielleicht der goldene Baum geblüht, der unterirdisch im Gebirg auf das Sonntagskind wartet.
Sein unbändiges Gemüt zu dampfen und auf Gott hinzulenken, nahmen ihn die Brotherren in die Messe mit in die. Rotenbaumer Kirche: Das Treiben dort nahm den Stilzelt der nie aus dem Wald hinausgekommen war, arg wunder. Da stand ein Mann, der einen Kittel angelegt hatte, hoch droben in. einem Zuber und wetterte auf die Bauern herunter. Und da . er endlich aufhörte, stieg er die Staffeln nieder, hatte eine dreieckige Kappe auf dem. Kopf und in der Hand, ein Beslein, damit spritzte er die Leute weidlich .ab. Hinten aber in der hohen Stube war es wie eine große Hühnersteige, da waren drei droben: der eine biss, in einen Prügel, der andere riss an. einem Prügel,, .und der dritte schlug auf einen Tisch und verbrachte ein mächtiges Donnerwetter. Der Stilzel rückte auf der Bank, darin er saß, ängstlich hin und her, und da der Mesner kam und ihm den Klingelbeutel unter die Nase hielt, riss er schnell das Glöcklein von dem Beutel und rannte davon.
*
Der Stilzel führte in seiner Wildnis kein bequemliches Leben. Oft regnete es den ganzen lieben Sommer lang und hörte nicht auf, so dass ihm vor Feuchte der Rock am Leib herunter verfaulte. Auch wollten ihm die halbwilden Rösser nicht folgen; mitunter verrannte sich eines in den grenzenlosen Wäldern, und er musste es mit unendlicher Plage suchen.
Einmal an dem Sonntag, wo man in den Kirchen Exaudi sang, wurde es riesig heiß, und der Hochbogenberg ließ die Bremsen los. Da hatte der Stilzel sein liebes Kreuz mit dem Gestüt, denn es wurde aus Angst vor den bissigen Fliegen ganz wild. Und wie er darum alle tausend fluchte und nicht nur die gemeinläufigen Flüche über die Zähne stieß, sondern auch neue, noch weit frevlere aussprengte, da rauschte der spitzbärtige Kerl, der zuweilen den Müller heimgesucht hatte, . aus den Stauden und grüßte höflich. Der Stilzel stand ganz verdattert, er zuckte den Eichkätzelhut und dankte.
Darob freute sich der Fremde und sagte: »Ha, jetzt gehörst du schon halb mir! Mhä!« In seiner Einfalt fragte der Hirt: »Bist du der Aderlasser ? Willst du die Hrösser lassen? Dem Sternbauer sein Hroß ist gar vollblütig, dem springt allweg die Ader auf.« Der Spitzbärtige aber schaute ihn hart an mit seinen zwei stockfinsteren Augen und redete: »Ha, ich will für dich vom Sanktjörgelstag bis zum Sanktmartinstag die Hrosswacht halten. Mhä!« Meinte darauf der Stilzel: »Einem jeden Narren steht eine Frage frei. He, was muss ich dir dafür zahlen?« Der andere bleckte die Zähne und grinste: »Ha, ganz umsunst, ganz umsunst! Mhä!«
Selbes behagte dem Hirtlein gar gut, und er ließ den billigen Mann hüten und lebte derweil frei wie der Fuchs im Busch, schaute nachts den Irrlichtern zu, lümmelte bei Lichten im Moos, brütete seine närrischen Grillen aus oder suchte den gestrigen Tag. Von der Seligkeit des stillen Waldes wusste er nichts, und wenn im Laub ein Vöglein recht herzbezwinglich sang: »Ziwih, ziwih, was für einen gelben Schnabel hab ih!« da schreckte er es mit seinem bösen Geschrei.
Zuweilen belauschte er auch seinen Statthalter, den billigen Rossmeister:
Als einmal der pfälzische Wind frischer wehte als sonst, nahm er dem Fremden den grünen Spitzhut. Da war auf seiner nackten Stirn ein schwarzes, krummes Horn zu schauen, das ähnelte den Gemskrickeln in der Mühle. Jetzt wusste der Stilzel, dass er es mit dem leiblichen Teufel zu tun hatte.
Ein andermal wieder saß der Gankes unter einem hohlen Eichelbaum und blies die Sauorgel. Es war ihm schier wehmütig zuzulosen, denn er blies so traurig, als wäre er in der Welt nicht daheim und trage Heimweh nach der Hölle. Wenn dann die Rösser zu übermütig hüpften und schnaubten und ihn in seiner Flöterei irrten oder gar sich von der Weidetrift verlaufen wollten, so winkte er, und aus der hohlen Eiche fuhr heulend ein grauer, zottiger Hund, und der spie einen kohlschwarzen und dieser wiederum einen rothaarigen aus, und die drei Köter kläfften und keiften . durch den Wald, trieben mit ihren glühenden Augen und brennenden Zungen die Herde zusammen, dass sie zitternd und eng gedrängt stand, und hernach fraß der schwarze Hund wieder den roten, und der graue verschlang den schwarzen und schloff knurrend wieder in den Baum zurück.
Einmal schlich ein Gesindel durch. die Schwarzau, das gewohnt war, Rösser zu stehlen, die es dann, mit einem Strohwisch geziert, marktfeil durch das Land führte, bis es schließlich irgendwo ergriffen und an den Galgen gehängt wurde.
Der Gankes aber lag, die Nase im Gras, und schlief. Schnell wollte der Stilzel den fahrlässigen Hüter wecken, er solle ihm die Diebe fangen helfen, damit man jedem ein Hufeisen an die Stirn nagle. Doch wie rau der Stilzel. ihn auch rüttelte, der Gankes schnarchte seelenruhig weiter. Die Rossdiebe aber fingen auf einmal zu plärren an und rannten in wilden Sprängen davon. Und der Stilzel sah, wie seine Rösser hoch droben auf den Baumen herumgingen und die Wipfel abfraßen. Und der Teufel lachte im Schlaf gar hell und hämisch.
Sein Lebtag hatte der Stilzel kein frohes Dachen gehört, denn der alte Müller hatte Tag. und Nacht nur geknurrt und gemufft und das Maul hängen lassen. Und jetzt hörte das bucklige Hirtlein das gelle Gelächter des Teufels, und weil es ihm gefiel, so ahmte .er es nach und lernte es, und gar bald kam. es ihm aus dem Herzen.
*
Am Tage Sankt Martini, wo die Herde, sollte heimgeritten werden, trat der Gankes hart an den Stilzel heran, er habe jetzt lange genug im Rosswald umsonst gehütet und wolle sich um einen einträglicheren Dienst umschauen. Darauf meinte der Stilzel, er möge sich am künftigen Jörgelstag nur wieder einstellen, er wolle ihm dafür zum Lohn ein Paar aus seinem Schopf schenken. Der Dankes glurrte ihn mit, den zwei durch- stoßenden Sperberaugen an und krächzte: »Ha, das soll gelten! Ha,. jetzt bist du schon zu drei Vierteln mein! Ha, was gibst du noch her? Mhä?« Der- Stilzel stocherte nachdenklich -- in einen Ameishaufen und sagte: »Den kleinen Finger geb, ich dir noch. Mehr nit.« Da fing der Gankes ganz närrisch zu tanzen an und meckerte: »Ha, jetzt bist du Schon ganz mein! Ha, ich gehör dir und du gehörst mir! Mhäi«
Die giftrote Feder zog er sich aus dem Hut, stieß sie einer Stute in die strotzende Ader und reichte sie dem Buben. »Ha, schreib mir deinen Namen auf! Mhä !«
Doch der Stilzel war ihm gewachsen: eher hätte der Teufel von ihm lernen können als er von ihm. Der Stilzel war sein Lebtag zu keinem Schulmeister gegangen und konnte darum nicht schreiben. Aber er verleugnete das und meinte: »Ich schreib nix. Geschrieben ist geschrieben, keine Kuh leckt es ab, keine Katz kratzt es aus. Warum soll ich denn meinen Namen schreiben?« »Ha, dass ich nit vergess, dass ich im Frühjahr wieder kommen soll«, antwortete der Gankes listig. »Ha, ich bin steinalt, mein Gehirn zieht nimmer, ha, und dein Name ist schwer zu halten. Mhä!«
Der Stilzel langte nach der Feder, daran ein dicker Tropfen Rossblut hing. »Es ist kein Papier da. Zeig her .deinen Buckel, Gankes, dass ich mich drauf schreib!«
Hurtig streifte der Gankes seinen roten Janker zurück und gab den haarigen, mit schwarzen, scheußlich verhornten Muttermalen gezeichneten Rücken bloß. »Es wird dich aber kitzeln, Freund!« warnte der Stilzel. »Ha, nur zu ¾' meckerte der Gankes. »Ha, meine Haut hält fester als Stahl und Eisen. Mhä!«
Rixfix kratzte der Stilzel drei Kreuzlein darein, und des Teufels Leder rauchte, als ob es mit Glut gebrannt worden wäre, er heulte in wildem Schmerz auf und hopste davon.
Der Stilzel spottete ihm nach: »Hol mich, Gamsbock! Hol mich!« Der fletschte aus der Ferne die schneeweißen Zähne. Kugelige Zähren rollten ihm über die Wangen, den wunden Rücken rieb er sich an der hohlen Eiche. Das Hörnlein war ihm glühend rot geworden in seiner Wut. »Ha, ich hol dich nit! Du kommst von selber! Mhä!« plärrte er und fuhr in den Baum hinein.
*
Der Gankes hatte dem Stilzel nicht vergessen, was der ihm auf den Pelz gebrannt hatte, und er lauerte, ihn zu blenden. Als am Jörgelstag die Wiesen und Saaten verzäunt wurden, dass die Hirsche sie nicht zerträten und drin ästen, musste der Stilzel die Herde wieder weit in den Wald hinein reiten. Einen speckhälsigen, hinkenden Fuchs mit gräulichen Warzen an den hinteren Füßen, den ritt er aus Trutz und Bosheit am liebsten; denn das Tier stak in einer so kitzligen Haut, dass es jeden Reiter herunterwarf. In die rote Mähne verklammert ritt er. den Unband, der sich seiner nicht entledigen konnte, wie toll er auch stieg und bockte.
Auf dem widerspenstigen Fuchs umkreiste der Hirt die Herde. Neunundneunzig Rösser hatte er, und darum konnte er auch bis neunundneunzig zählen. Weiter aber nicht.
Einmal kamen die Händler nach Gmoset, wollten Gäule kaufen für den Rossmarkt in Nürnberg, und der Stilzel sollte darum die Herde heimtreiben. Er setzte sich auf sein Leibross und umritt die andern Tiere: das gemachsame Bräunl, den heißen, vollblütigen Rappen, dem allweil die Adern sprangen, das schneeweiße, täppische Füllen, die lichtstirnige, fromme Blässe, das falbe Stutross, den weißhachseten Pinzgauer, den heimtückischen Talerschimmel, den Spiegelschimmel, das bissige Luder, und alle die halbwilden Tiere. Und der Stilzel zählte sie und brachte immer nur ihrer achtundneunzig heraus, so oft und so genau er auch nachrechnete, weil er immer wieder den Rotfuchs vergaß, darauf er ritt.
Der Teufel trieb dermaßen seine Spiegelfechterei mit ihm, dass er die Trift verließ, um das abgängige Tier zuweg zu bringen. Bergauf und bergab und hin und wieder jagte er durch die Wildnis, tiefer und tiefer in das finstere, störrichte Gebirg hinein. Der Mond hing schon großmächtig im Tann, und das Ross war nicht zu finden. »Hat es denn der Gankes gefressen?« stöhnte er und sprengte den Fuchs unter sich immer zorniger. Der meldete sich und wieherte hellauf, als wollte er den Reiter aus seiner Blindheit wecken. Der Stilzel hingegen glaubte, er hohnlache seiner mit dem hellen Schrei, er schlug ihn darum mit der Faust, verschwor sich bei des Teufels Bart und fluchte: »So dumm wie du kann nur ein Hroß sein !«
Der Rotfuchs hatte die letzte Kraft hergegeben, er röchelte müde und stürzte, zuckte und reckte alle vier gen Himmel. Der Stilzel, ganz unbändig in seinem Zorn, trampelte auf dem toten Ross herum und fluchte dass der Wald krachte und die Hölle sich duckte, und schalt Gott, den er nicht kannte.
Über ihm an dürrem Ast klammerte ein Schuhu mit den haarigen Füßen und glühte herunter.
Ein heimliches Gottesglöckel läutete weit her über den Wald. Der Stilzel hörte es nicht. Er schlang sich seine Peitschenschnur um den Hals und hängte sich damit an den Ast. Er zappelte ein klein bisslein, dann war es mit ihm aus.
*
Mitten in selber Nacht schlich sich der Pascher Peter Klüpfler, den Schnappsack voll bayrischen Rauchtabak, zwischen Atzlern und Bärnloh über die Grenze. Da stieß er jählings an ein totes Ross. Als er mit seinem Blendlicht den Wald ableuchtete, fand er einen buckligen Burschen im Föhricht hängen. Er wendete ihn nach allen Seiten, schaute ihn von vorn und hinten an und stapfte dann gemächlich seines Weges weiter. Beim Weißschädelhof klopfte er ans Fenster. »Was ist los?« schrie der Bauer aus dem Bett heraus. »Weißschädel, in deinem Wald hängt einer«, sagte der Pascher und trottete davon. Der Bauer schrie ihm nach: »Hast du ihn denn nit abgeschnitten ?« »Nein, ich hab ihn ja auch nit aufgehängt.«
Der Weilßschädel fuhr in die Hosenröhren und weckte den Knecht. Zu zweit liefen sie in das Föhricht, knüpften den Leichnam ab, und als sie den Rossbuben erkannt hatten, schafften sie ihn nach Rotenbaum, weil er dort eingepfarrt gewesen war, und legten ihn im Beinhäusel auf ein Brett.
Weil der Böswicht sich selber umgebracht hatte und weil es noch dazu nicht gewiss war, ob er je über einen Taufstein gehalten worden, meinten die Leute, er müsse unter dem Schinderwasen verscharrt werden. Die Gmoseter Bauern aber freuten sich, dass sie den rappelköpfischen Stilzel vom Hals hatten, und bestellten zwei Holzhacker, die sollten im Beinhäusel die Nacht verwachen bei dem Toten.
Die zwei Männer hielten sich anfangs ganz tapfer. Aber später heulte die Klagmutter, und der Mond drang in die Totenkammer ein und stierte in des Stilzels Gesicht, bis es sich auf einmal verzerrte und mit den Augen zwinkerte. Da hielt die zwei Wächter nichts mehr, und sie taten über alle neun Berge aus. Bald hernach geschah ein fürchterlicher Knall, als wäre eine Pulvermühle in die Luft geflogen. Der Totengräber ermannte sich und drang mit ein paar beherzten beuten in das Beinhaus ein. -- Der Leichnam war verschwunden.
*
Der Stilzel blieb auch nach seinem zornigen Hinscheid aus der Welt ein boshaftes und unruhiges Wesen. Er plagte die Wandersleute und die Waldfahrer, neckte und schreckte sie, und wer auf einem einsamen Gang in der Nacht auch nur ganz klein wenig seiner gedachte, dem wurde er allsogleich Herr und huckelte ihm auf und ließ sich schleppen bis zur Dachtraufe einer Hütte oder bis zu einem geweihten Bildstock, oder wich er erst bei Glockenschlag und Hahnenschrei. Was den Neckbold zu solch grausigen Streichen anreizte, ist ungewiss. Vielleicht war es ihm ärgerlich, dass die Menschen durch die Wildnis gingen, die er gern ganz allein behaust hätte.
Zuerst machte sich der Geist nur in der Schwarzau zu schaffen und ängstigte dort die Rosshirten mit nächtlichem Geschrei. Hernach wurde er immer dreister, seine Laune führte ihn über die Schwedenschanzen hinaus weit ins Bayrische hinein und bis ins Klammergespreng und in die Künischen Dörfer, und das Land wurde weit und breit verrufen und unsicher.
Der zuerst an den Stilzel glauben musste, das war der Andreas Ströbel, der Knecht im Weißschädelhof. Er ging einmal bei nächtlicher Weile heim, der Mond leuchtete ihm durch den Wald, und wie er so keines Argen gewartete, streifte ihn das Gezweig des selben Föhrlings, davon er den Stilzel abgeschnitten hatte, unversehens über das Gesicht. Eine eiskalte Angst schoss ihm vom Hirn hinunter bis in die Knie, und auf der Stelle ließ sich etwas aus dem finstern Baum herab und ritt auch schon auf dem Hais des Knechtes und schrie: »Wiah!«.
Der Andres rannte, das Herz krachte ihm im Leib vor lauter Schreck, aus all seinen tausend Schweißlöchern schwitzte er die leidige Todesangst. Die Habergeiß meckerte in der schwarzen Luft. »Bist du ein guter Geist, so bleib! Bist du ein böser, so fahr hin!« Aber der Stilzel wich nicht. Sein Leib wurde immer schwerer, je länger der Knecht ihn trug, zum Schluss war er so schwer wie Blei. Erst als der Andres auf eine freie Höhe kam, wo des Herrgotts silberne Sterne vom Himmelszelt herunterschimmerten, da musste der Stilzel abspringen. Er lachte aus wilder Gurgel und war auf einmal wie vom Erdboden verschluckt.
Der Knecht hatte es so eilig, dass er dem Bauer schier die Tür einrannte. Seine Augen waren verstört, die nackte Galgenangst schaute heraus. Seine Nase war weiß wie Kreide. Das offene Stichmesser hielt er in der Faust und konnte sich nicht entsinnen, wie es darein gekommen war.
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Der Winter schneite den Wald ein, die verlorene Mühle ging nicht, und das große Rad war eingefroren. Als aber im Frühjahr der Auerhahn wieder grugelte, wanderte ein frischer Bursch, Erhard Kürnestl, dem behänden Bach entgegen, in der Meinung, es gäbe selten ein Wasser, das nicht eine Mühle treibe. Und ob er auch sah, dass hierzulande ein grobes Brot wuchs, so nistete er sich dennoch in dem Mühlwerk ein, das verlassen dalag, seit den stelzfüßigen Müller der Gankes geholt hatte.
Aber die Mahlgäste blieben aus. Er tröstete sich, wenn der Herbst käme und die Bauern, ausgedroschen hätten, würde es ihm an Zuspruch nicht fehlen. Doch der Herbst brach ein, und die Flegel hatten ihr Werk verrichtet, und niemand kehrte bei ihm ein. Die Gmoseter führten allsamt ihr Getreid in die Plößer Mühle, und die seine konnte Elend mahlen.
Auch bekümmerte es ihn, dass kein Knecht bei ihm einstehen und keine Dirne ihn haben wollte, trotzdem dass er gewachsen war wie ein Tannenbaum. Die Bauerntöchter von Gmoset trugen die Nasen hoch, aber eher hätten sie in die Schinderei nach Stachesried geheiratet als in die verlorene Mühle.
Einmal im Todherbst wieherte es vor der Tür und ein fremdes fuchsrotes Ross wartete draußen ganz allein, einen Sack Korn am Rücken. Voller Freude trug der Müller das Korn ein und schüttete es auf und meinte, der Mahlgast werde sich schon zur rechten Zeit melden. Die Mühle aber hub an zu zittern und zu tosen, das Rad lief immer schneller, dass die Achsen stöhnten; und auf einmal drehte es sich verkehrt, und aus den Mühlsteinen flog Feuer, und sie zersprangen in Stücke. Und wie der Müller entsetzt in die Radstube rannte, sah er einen krummen, struppigen Wicht über das Geschäufel des Rades wie auf einer Stiege klettern und entwischen. Statt des weißen feinen Mehles hatte das Werk Mausdreck gemahlen.
In der nämlichen Nacht kam gählings, ohne dass es vorher, geregnet hätte, ein hohes, schnelles Wasser daher, wild und ungestüm, als wolle es die Mühle zerbrechen und wegreißen. Der Müller musste durch den gefährlich breitgeschwollenen Bach waten und das Haus mit Stricken an eine starke alte Tanne binden.
Anderntags ging er talab, zu erfahren, welches Unheil der toll gewordene Bach an den andern Mühlen gestiftet habe. Doch dort lachte man ihn aus und wusste nichts von dem hohen Wasser, und es war auch den Ufern und den Mühlhäusern und den Brettsägen kein Schaden anzumerken.
Spätnachts kam der Erhard Kürnestl wieder heim in die dumpfe, moderige Stube. Verdrossen ging er drin auf und nieder, der Wind heulte im Rauchfang wie ein Wolf, die Türe rührte sich, als rüttle sie einer und wolle jeden Augenblick ein Unheimlicher eintreten, und die Bretter des Fußbodens ächzten. Dem jungen Müller ward zweierlei. Und wie er so lauschte wie ein Habicht, klopfte es auf einmal draußen an die Schindelwand. Es war kein Totenhämmerlein, kein Klopfkäfer, der sich im Holz verkündete -- es pochte eine Hand.
Der Müller ergriff einen Knüttel und trat vor die Tür. Draußen war niemand, und der Wind schlief, der Wald rings war so ruhsam und der Mond gar groß, und alles war so still, dass es dem Erhard Kürnestl in den Ohren knisterte.
Doch jetzt klopfte es auf einmal von innen ans Gebälk, als melde sich einer in der Mühle drin.
Da erkannte der Müller, dass hier niemand in Frieden und Gnade hausen konnte, ihm grauste, und er ließ alles liegen und stehen und rannte bei Nacht und Nebel gar eilends davon, als rolle ihm das Mühlrad nach und wolle ihn zerquetschen.
Seither stand die Mühle öd, und sie verfiel. Ihr Gebälk wurde wurmig, und das rote Mehl rieselte daraus. Das Rad ging Tag und Nacht, am Werktag wie zu heiligen Zeiten, solange Wasser darauf fiel. Niemand stellte es ab. Es drehte sich immer langsamer und langsamer und brummte dazu: »Heut ein -- mal, morgen -- ein -- mal!« Schließlich verwuchs grünes Moos das Rad so schwer und üppig, dass es sich nimmer drehen konnte. Und der Bach grub sich ein anderes Rinnsal.
Aber der Stilzel rastete öfters auf dem zersprungenen Mühlstein vor dem Haus, schlenkerte die Beine und lachte gell den Waldhall nach.
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Der Besenbinder Gottfried Kranöst ging einmal von einer Tanzmusik heim. Er war ein feuchter Bruder, ein Windbeutel, ein Müßiggänger, der sich schon einmal einen Hof mit Kegelschieben erspielt und ihn mit der Kegelkugel wieder verspielt hatte.
Blitzhagelvoll taumelte er dahin. Aber der Übermut war in ihm noch wach, und wie er hinter den Helmhöfen zu einem abgeholzten Platz kam, schrie er: »Das wär ein schöner Tanzboden! Da möcht ich mit dem Stilzel nach links tanzen!«
Rixrax hielt ihn auch schon einer bei den Händen und wirbelte ihn herum, zuerst auf dem Holzschlag über Stöcke, Wurzeln und Knorren, immer nach links, und hernach im Wind haarscharf über dem Wald, so dass er sich die Schienbeine an den Wipflingen wund schlug. »Heb die Hachsen, der Haber hat lange Halme!« lachte der Stilzel hämisch und trieb sein Spottwerk weiter, so dass dem Besenbinder die Gurgel immer enger, der Schopf immer steifer wurde und die Gänshaut immer dicker anlief.
Wer weiß, wohin der Stilzel ihn vertragen hätte, hätte nicht in der Huisenmühle drunten der Hund angeschlagen. Da hörte die Kunst des argen Geistes auf, und der Besenbinder Gottfried Kranöst stürzte herunter. Er fiel in einen Sumpf und rührte dabei einen schwefligen Gestank auf. Keuchend arbeitete er sich heraus, griff nach den Ästen einer Moosbirke und hielt sich fest. Es war-eine schwarze Nacht, der Mond blieb aus, und die Sterne waren unbehütet und unbehirtet und sich selber überlassen. In aller Nähe rief der Unker der Unke.
Der Besenbinder ließ die Birke nicht los und tat keinen Schritt vor und keinen hinter sich, weil ein tiefes, moosiges Wasser um ihn war. Und so schrie er die ganze lange Nacht um Hilfe, bis ihn in der Frühe der Huisenmüller erlöste.
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Die Stornsäge steht im Hammerer Gericht. Dorthin schaffte der Moosmichel eine Tanne, länger als ein Kirchturm, und wollte sich daraus schöne weiße Bretter schneiden lassen. Er hatte die stärksten Ochsen aus seinem Stall dem Wagen vorgespannt, und die zogen auch rechtschaffen an. Wie sie aber zu den Totenbrettern kamen -- es war eine unheimliche Stelle, und dort scheute immer das Vieh -, da blieb das Fuhrwerk stehen. Der Moosmichel glaubte, die Ochsen wären eingeschlafen, und trieb sie mit groben Reden an. Sie warfen das Maul hoch und schnoben ganz unruhig, dann stemmten sie die Klauen in das Geröll und legten sich ins Zeug. Aber der Wagen rührte sich nicht und war wie angenagelt. Wie jetzt der Moosmichel zu sakermentern anhub und mit dem umgekehrten Peitschenstecken auf die faulen Ochsen einschlug, da schäumten sie und zogen verzweifelt an. Doch nutzte alle ihre Kraft nichts. Der Wagen wurde immer schwerer und versank bis zu den Achsen in die Erde. Da spürte der Fuhrmann, wer seine Possen mit ihm trieb und unsichtbar auf dem Baumstamm ritt, und er schnalzte scharf mit der Zunge und schrie: »Stilzel, schuib an!« Es dauerte keinen Aderstoß lang, so rollte das Fuhrwerk so leicht dahin, als läge nur das Fläumlein eines jungen Zaunkünigels darauf und nimmer der gewaltige Baum. Und holterpolter ging es dahin, immer ärger, die Ochsen lechzten und konnten nimmer mit den Füßen nachkommen und hingen schließlich hilflos an der Deichsel wie die Docken am Draht. Weit hinterher rannte der Moosmichel und rief alle Heiligen an.
Selbes hat der alte Osserjäger oft erzählt, hat sich dabei in den dicken Bart gelacht und gemeint, sein Lebtag nicht habe er zwei Ochsen so hurtig laufen sehen.
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Ein reisender Siebmacher hatte vom Schinder in Stachesried ein paar Rossschweife gekauft und trug sie heimwärts. Aus den Haaren wollte er seine feinen Netze flechten.
Der Mond fuhr kalt dahin, und der Siebmacher achtete in seinen Gedanken der Straße nicht viel, er war sie ja schon oft genug gegangen. Aber auf einmal erschien ihm der Weg seltsam fremd, die Bäume waren weit älter und zersprungener und moosgrauer als sonst, und Felsen erhoben sich links und rechts, wie er sie an selber Stelle nie gesehen. Er hatte manche Nacht durchwandern müssen und hatte sich dabei niemals gefürchtet, heute aber wurde ihm ganz scheusam zu Mut. Und noch mehr ängstigte er sich, als er mitten auf der Straße einen großen Felsbrocken liegen sah. Doch saß darauf ein verwachsenes Männlein und schien zu rasten. Den wollte der Siebler fragen, ob er auf dem rechten Weg sel.
Der fremde Mensch aber kümmerte sich nicht um ihn, gab keine Antwort und schaute nur immer steif und starr die eigenen Knie an. Sein Gesicht war in der Dunkelheit nicht zu unterscheiden. Als der Siebler ihn zum drittenmal fragte, kehrte er sich ab und deutete hinter sich den Weg weiter und schlug ein durchteufeltes, furchtbares Gelächter an, dass es dem Siebmacher durch Mark und Bein schnitt.
Der verwirrte Wandersmann musste dem Fingerzeig nachgehen, ob er wollte oder nicht, die Bäume wurden immer verbogener und närrischer, der Weg schlang sich im Zickzack, wilde, fremde Bäche rauschten darüber, und er legte oft die Schuhe ab, damit er das geschwinde, eisige Wasser durchwate. Es war alles wie in einem fremden Land.
Zuweilen gelangte er auf eine weite, freie Au, dann sah er wohl das Licht eines fernen Fensters wie ein rotes Auge glühen. Doch wenn er zu dem Gehöft hinwollte, wurden die Wiesen unter seinem Fuß immer unsicherer, gefährliche Wasserlachen standen drin, schwarz stierend im Mondschein, und tückische Löcher, die verirrte Rinder ins Moor getreten, und er musste umkehren und geriet wieder in den verflochtenen, blutfremden Wald und immer wieder zu dem schrecklichen Fleck, wo der unfreundliche Mensch auf dem Felsen gerastet hatte, und immer wieder redete dort eine. spöttische Stimme aus den Bäumen herunter: »He, wohin?«
Der Siebmacher fragte sich, wie ihm denn geschehe und ob er heute nicht alle seine sieben Sinne im Kopfe trage, und er irrte dahin und kam die ganze Nacht nicht aus der Wildnis heraus, wo ihn der Stilzel narrte und im Ring führte.
Die Sonne stand schon hoch, da läutete eine helle Glocke ganz in der Nähe. Er lief dem Klange nach und war auf einmal in einem hübschen Dorf, wo die Kinder auf dem Anger Ringelreia spielten.
Eines von diesen Kindern, das ihm besonders lieb und vertraut schien, fragte er, wie denn der Ort heiße. Das Kind lächelte und sagte, er wisse es wohl besser als sie alle da. Aber er bat gar dringlich, sie sollten ihm den Weg nach Palmesgrün zeigen, wo er sein Gütlein habe. Da gab ihm jenes Kindlein die Hand, und im selben Augenblick wusste er, dass er daheim und das liebe Kind sein eigenes war.
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Der Bärnhäuselmartin kannte jedes Kräutlein im Gebirg mit Namen und wusste, welches man auf den tobenden Hundsbiss oder auf den vergifteten Schlangenstich oder auf böse Geschwüre legt, welches wider die fallende Sucht, wider die wütend Gicht und die Gliederlähme hilft oder die Melancholei vertreibt und frisches Blut macht. Er suchte diese Kräuter in abgelegenen Tälern auf, brockte und trocknete sie und brachte sie zu Eschelkam im Wurzlerladen an den Mann.
Einmal bei zunehmendem Mond graste er eine kräftige blutstillende Blume ab, die besonders gegen Stichwunden gut war und sie schnell verschloss, wenn man sie mit einem Absud daraus wusch. Und weil selbe Krankheit dazumal nicht seltsam war im Grenzwald, so erhoffte der Bärnhäuselmartin einen tüchtigen Batzen Geld für das Wundkräutlein. Den vollen Schnappsack schnürte er sich fürsorglich zu, auf dass es seine Kraft nicht an der Luft verdünste, und als er jetzt heimging, merkte er am Lauf der Sterne, dass die halbe Nacht schon vorüber war, und die Irrlichter hatten sich schon müd getanzt und versanken eins nach dem andern.
Den Weg zu kürzen, trabte der Kräutler quer über einen verschrienen Acker. Und das hätte er sollen unterlassen. Selbes Feld lag bei der Irrloh hinter der Hirschau und wurde das Teufelslus gescholten, weil der Teufel es umgeackert haben soll ohne Pflug und Ross, nur mit seinen krummen, festen Hörnern. Es wurde von den Leuten gemieden und lag brach. Nur unnützes Distelwerk wucherte dort, nichts Gottgesegnetes.
Wie jetzt der Wurzelmann durch das geile Unkraut rauschte, sah er im Mondlicht auf einem Stein eine lichte Münze glitzern. Er hob sie auf: es war ein uralter Regensburger Fünfbätzner. Geld nahm der Bärnhäuselmartin zu jeder Stunde, im Schlaf und im Wachen, es galt ihm gleich, ob es golden oder kupfern, rund oder dreieckig war, und so steckte er es voller Freuden hinter sich in den Schnappsack.
Doch wie er ein Örtel weiter ging, wurde der Sack immer gewichtiger, und bald fing der Martin an zu schwitzen und zu pfausen, und das Rückgrat knackte ihm und wollte brechen unter der Beschwernis. Wie dem heiligen Kristoffer auf der Brücke war ihm, nur dass er witterte, dass er keine gesegnete Last schleppe. Dabei fand er aber nicht das Herz, den Sack wegzuwerfen, und so trug er ihn und redete sich tröstlich ein, er führe ja nur die unschuldigen Kräuter aus dem grünen Wald bei sich.
Er taumelte gerade an der öden Mühle vorüber, da fiel ihm; ein, am Ende treibe der Stilzel seine Kniffe und Spitzfünde mit ihm, und er gedachte des alten Groschens. Da stand ihm vor. Schreck die Zipfelhaube zu Berge, und die Last wurde ihm auf einmal so fürchterlich schwer, als lege sich der Kronawitberg auf seine Achseln. Hurtig seufzte er ein Gebet zu dem Riesen Kristoffer, riss den Schnappsack herunter und schüttete ihn aus.
Da rollte ein mächtiger weißer Mühlstein heraus.
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Die alte Zainel aus dem Dorf Springerberg ging einmal mit dem Graskorb und der Sichel in die Schwarzau, um Futter zu holen. Und wie sie einen kleinen Wiesfleck gemäht hatte, wurde sie müd, und in ihrer Müdheit legte sie sich unter eine Haselnussstaude und schlief ein. Mein Gott, sie war ja kein junges Weib mehr, hatte drei Männer liegen auf dem Freithof ih Neumark und siebzehn Kinder zur Welt gebracht, von dem letzten Mann allein elf.
Als sie wieder aufwachte, leuchtete der Mond so verzaubert in den Wald, kein Blatt an den Zweigen rührte sich, und es war alles so still und so schön, wie sie es in ihrem ganzen langen beben noch nie erlebt hatte. Schier hätte sie weinen können, so gut war ihr zu Mut.
Und wie sie so schaute und lauschte, hörte sie, dass etwer in der Nähe sein Wesen trieb. Sie richtete sich auf und sah, wie auf der Wiese, wo sie das Gras geschnitten, ein buckliges Männlein über das Heu hüpfte, sich auf den Kopf stellte und dann wieder ein paar flinke Räder schlug und ihr dabei die ganze Mahd zerrüttete. Solches erboste sie, und weil sie auch die Sichel nicht fand, die sie vor dem Schlafe neben sich hingelegt hatte, so stand sie auf, ging auf den Kerl los und zankte: »Gelobt sei Jesus Christus! He, du Springinker, hast du mir nit die Sichel gestohlen?«
Der Krumme hielt in seiner Lustbarkeit ein, duckte sich und zog sich in sich selbst zurück wie eine Wildkatz, die springen will.
Der Zainel war jetzt gar nimmer heimlich, zumal sie auch gewahr wurde, dass sie die Sichel bei sich hatte. Sie greinte: »Jetzt bin ich schon so dumm wie der Stilzel, hab eppes in der Hand und find es nit.« Und auf einmal regten sich alle Ängste in ihr, sie nahm den Korb, den sie noch nicht gefüllt hatte, und huschte davon.
Aber der Stilzel war ihr blitzlings in den Korb gesprungen, tanzte ganz besessen darin herum, juchzte und lachte gräulich, und das Weib spürte jeden seiner Sprünge schmerzhaft in ihrem mürben Geripp und glaubte, sie müsse vor Wehtum und Bekümmernis zugrunde gehen.
Da bettelte sie: »Hrossbub, lass mich aus! Ich geb dir mein hrotgläsernes Hringel. Mein erster Mann hat es mir geschenkt. Gott hab ihn selig!« Der Stilzel wollte aber das rotgläserne Ringlein nicht haben, er tanzte nur noch ungestümer und krächzte etwas, was niemand auf der Welt hätte verstanden.
Da schmeichelte sie in ihrer Not: »Hrossbub, hupf heraus aus der Kürbe! Und magst du mein hrotgläsernes Hringel nit, so geb ich dir mein guldenes. Mein zweiter Mann hat es mir geschenkt. Gott hab ihn selig!« Wieder verschmähte der Stilzel das Angebot, wildnärrisch tanzte und strampelte er, und sie fürchtete, er werde ihr den Korb durchtanzen, und sie hatte nur den einen, weil sie ein gar armes Weib war.
Da wurde sie zornig und schrie: »So geb ich dir, was ich von meinem dritten Mann, dem Lumpen, gekriegt hab. Der Teufel soll sich seiner annehmen!« Sie tappte in ihr Haar, brachte eine beträchtliche Laus herfür und hielt sie hinter sich dem Stilzel hin. Der griff gar zart nach dem Unzieferlein, lachte gelind und war verschwunden.
Die Zainel nickte sich selber zu. Es war ihr nicht klar, warum er das genommen, was wertlos war. Doch legte sie es sich also aus, dass die Toten bitter gern etwas Lebendiges bei sich haben, und wenn es auch nur eine Laus ist.
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Der Psilmes und der Gänswürger waren zwei Räuber. Wenn sie gut aufgelegt waren, maßen sie aneinander ihre ellenlangen Bärte, welcher von ihnen den längeren hätte. In der Sewauschlucht hatten sie ihr Schlupfloch, drin glitzerte es von gestohlenem Kirchengut, Kelchen und Monstranzen, und des Gänswürgers Weib trug eine siebenfache Goldkette um den Hals und schaute den ganzen Tag in den Spiegel, und die Psilmesin gängelte ihr schwarzes Büblein mit einer wunderschönen Stola, darein aus eitel Silberfäden eine Himmelsleiter mit auf- und niedersteigenden Engeln gestickt war. Der Psilmes hatte im Beichtstuhl den Pfarrer zu Gutwasser mit dieser Stola schier erwürgt und sie ihm dann entrissen.
Wenn die zwei Schelme einem Wandersmann begegneten, so war ihr liebster Gruß: »Bruder, was du hast, gehört uns, und was wir haben, das ist dein!« Und wenn hernach der Wanderer in seiner Einfalt fragte, was sie denn besäßen, so summten sie durch das Gebiss: »Zwei scharfe Messer und einen Stich!« Auf solche Weise erwarben sie allerhand Geld und Gut, führten ein leichtes Leben und ließen die Vögel sorgen. Einmal schlichen sie selbander mit ihren spitzen Krautmessern aus, sie wollten das Gotteshaus zu Rittsteig plündern und alldort dem Pfarrer das Widum über dem Kopf anzünden. Also trabten sie neben dem Wald dahin, und damit sie sich die Zeit kürzten, erzählten sie sich die Geschichte vom Trill und vom Trall. Und wie der Mond gar eindringlich leuchtete, dass jedes Blatt am Baum zu unterscheiden war, meinte der Psilmes: »Du, heut ist aber eine schöne Nacht, licht wie am Tag.« Darauf redete eine Stimme aus dem pechschwarzen Wald heraus: »Ist es gleich licht wie am Tag, deswegen ist es doch Nacht.«
Da erschraken, die zwei und gingen schleunigst weiter, trösteten sich auch ob des ausgestandenen Schreckens mit lustigen Sprüchen, die ihnen geläufig waren. Derweil der Gänswürger dem Psilmes zusprach: »Tue recht und scheue den Galgen!« antwortete der Psilmes hinwieder dem Gänswürger: »Was recht ist, ist Gott lieb, und wer die Geiß stiehlt, ist kein Rossdieb.« Doch der Wind raschelte arglistig im Dorn, ein Fuchs gellte gegen den Mond, und die Käuze und Eulen sangen übel, und das alles legten sich die zwei als schlimme Vorbedeutung aus und ließen für diesmal ab von ihrem Vorhaben.
Weil sie sich aber der unverrichteten Dinge halber zu ihren Weibern nicht heimtrauten, legten sie sich nebeneinander unter einen Tännling schlafen. Und sie schnarchten bald und träumten alle zwei denselben hitzigen Traum von einem Pfarrhof, darauf der rote Hahn die Flügel schlug.
Derweil stieg der Stilzel von der Tanne herunter und verflocht ihnen mit vielen hübschen Zöpflein und kunstvollen Knoten die Bärte derart ineinander, bis er selber nimmer wusste, wo der eine und wo der andere angewachsen war. Und als die zwei so hart aneinander gezöpft und verstrickt waren, plärrte der Stilzel mit seiner scheußlichsten Stimme, dass es das finstere Gebirg aufweckte: »Feuer aus!«
Hei, da rückten der Psilmes und der Gänswürger mit solcher Gewalt voneinander, dass sie sich die Bärte samt der Haut und den Lefzen aus dem Gesicht fetzten.
Der Stilzel hätte sich damals über den groben Possen fast krumm gelacht, wenn er nicht schon krumm gewesen wäre.
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Der Hammerschmied im Sautal hinterhalb der Kriegermühle musste von dem Stilzel viel Unruhe leiden. Rastete er abends in der Sitzweile bei seinem Weib, so brüllte der Geist oft so stark zum Fenster herein, dass im Herrgottswinkel die Heiligenbilder von der Wand fielen. Ging der Schmied in der Finsternis mit einer Maß Bier heim, so huckelte ihm der Stilzel auf und ließ sich vom Florianiberg bis zu der Martinikapelle tragen. Der kräftigste Segen fruchtete nichts gegen den Wechselbalg. Es hätte schier notgetan, der Schmied hätte den Weihbrunnkessel mitgenommen, wenn er sich im Zwielicht aus dem Haus rührte. Manchmal löschte der Stilzel auch den Kohlenmeiler aus, der vor dem Waffenhammer gloste, oder er ließ mitten in der Nacht das Wasser los, dass der großmächtige Hammer zu bossen anhub und weit und breit die Einödler aus dem Schlaf erwachten und ängstlich dem gespenstischen Gepoch horchten. Derlei alberne Schwänke wurmten den rußigen Meister, der ein ehrsamer und bedächtiger Mann war, und er beriet sich häufig mit seinem Weib, wie er des Teufelskindes könnte ledig werden.
Einmal in der Nacht hörte er den Stilzel in der Werkstatt rasseln. Da stieg er aus dem Bett und spähte zum Türfensterlein hinein. Der Mondschein glomm darin, und der Stilzel hockte auf dem Amboss und schien eingenickt zu sein. Finster über ihm hing der schwere erhobene Hammer.
Schnell weckte der Meister sein Weib und wisperte ihr zu, sie möge in aller Stille hinaus laufen, die Schleuse ziehen und den Bach über das Rad lassen, dass der Hammer niederschlage und den Stilzel zu Staub zermalme. Sie schlüpfte im Hemd zum Fenster hinaus und lief, zu tun, was ihr geschafft worden war. Derweil lauerte der Schmied zum Guckloch hinein und wollte zuschauen, wie der lästige Geist dahinfahre.
Und plötzlich erbrauste der Bach, und der Hammer zitterte, senkte sich, schlug gewaltig nieder und zermalmte den Stilzel, dass die roten Funken davon spritzten. »Der Stilzel ist hin!« schrie der Schmied vor Freude.
Wie aber der Wellbaum sich drehte und den Hammer wieder aufzog, hüpfte das Geistlein heil und unversehrt vom Amboss herunter, kicherte, lüpfte sein Eichkätzelhütlein und verging. Der Schmied fand auf der Schlagfläche des Hammers des Stilzels Bild fein sauber abgeprägt. Man hätte damit Münzen schlagen können, doch hätten sie einen Pfifferling gegolten.
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Der Scherg Federkiel aus Stachesried war ein gottloser, grausamer Kerl, ein mutwilliger Leutschinder, der die Bauern am Feld mit der Peitsche zur Arbeit anhetzte, als ob sie ein Vieh wären und gar nicht von Gott erschaffen zu seinem Ebenbild und seiner Ehre. Als er sich ein Haus bauen ließ, riss er den Weibern, die nach Furth auf den Markt gingen, die Körbe vom Rücken, nahm ihnen daraus die Eier und ließ sie in den Mörtel schlagen, damit die Mauern hart und fest würden. Derlei Frevel verübte er viel, und geriet ihm etwas nicht gleich nach Willen, so fluchte und lästerte er, dass die Sonne schwarz wurde. Da fügte es sich, dass er in vorgerückter Nacht noch unterwegs war zwischen Warzenried und Stachesried. Er trug als Waffe einen Stecken mit sich, drin ein langes dreischneidiges Eisen verborgen war. Wie er mit dem Kienlicht so für sich hin in die Finsternis hinein leuchtete, stieg ihm wohl hin und wieder ein geringes Ängstlein auf, dass ihm etwas Unholdes begegnen könne, aber er brummte dann immer wieder in seinen dicken hängenden Pandurenbart hinein: »Ja, drei Tage nach Sankt Rülps, wenn der Tod gestorben ist !«
Wie er sich aber durch den sausenden Wald tappte, sah er plötzlich einen Kerl an eine Staude geschmiegt lauern, und ehe er sich recht besann, hatte der ihm mit dem Hut das Licht aus der Hand geschlagen, dass es erlosch. Stracks lockerte der Scherg seinen Stockdegen, fuchtelte vor sich hin und fluchte: »Fix, herzu mir! Ich stech' .dich ins Blatt.« Aber es rührte und regte sich nichts mehr.
Erst als er weiter stolperte, polterte es im Wald, Koboldspfiffe gellten in der Weite und wiederum ganz nah, als ob sie einander suchten, und manchmal war dem Schergen, es klinge hinter ihm ein Fuß an einen Stein, und er hielt an, um zu horchen, doch da war der Schritt hinter ihm auch still. Da wuchs ihm die Angst über den Kopf, alle seine Sünden fielen ihm ein, und das Herz schlotterte ihm unter der Haut, weil er immer deutlicher spürte, dass einer hart hinter ihm her war und ihm immer näher ans Leder kam. Er wollte rennen, doch die Knie wurden ihm schwer und versagten.
Zwei krallige Hände spannten sich ihm um den Hals. Da fror sein Blut in der Ader, seine Zähne schepperten, der kalte Schweiß brach aus seiner Haut. Aufschreien hätte er mögen, aber er gewann keinen Atem.
Das Gespenst stank nach dem Rossstall, und der Scherg spürte einen wilden Hauch in seinem Genick wehen. Doch traute er sich nicht, dass er sich umgedreht hätte, weil er fürchtete, der Aufhocker könne ihm den Hals abdrosseln. Und schon trat ihm dieser mit den Fersen in die Weichen, spornte ihn und schrie: »Wiah, wiah, hi ho!«
Der Scherg gelobte, wenn er des Reiters bei gesundem Leib ledig würde, der Muttergottes zu Heilingblut ein ewiges Öllicht und eine immerwährende Kerze und dem heiligen Michel zu Neumark eine silberne Freudenglocke, so groß, dass sie gar nicht in den Turm hineinginge, und er versprach, dass er alle Turmhähne in der Oberpfalz vergolden lassen wolle. Aber der Stilzel verließ ihn nicht und wurde immer schwerer und schwerer, und der Scherg schwitzte unter ihm in dieser Nacht sein Taufwasser aus.
Er stürzte schließlich in das Knie, und weil er mit seinen letzten Kräften verzweifelt den Geist abschütteln wollte, verkrampfte sich der gar wild und würgend in seinen Hals, und sein gutes Glück war, dass gerade jetzt die Hähne von Warzenried zum ersten Mal krähten.
Auf den Knien ist dazumal der Scherg Federkiel heimgerutscht kommen, sein stolzes dreieckiges Hütlein hat er verloren, sein Gesicht war zerkrallt, die Nase zerquetscht, der Zopf zerrupft. An den Schenkeln trug er rote Wunden, wie man sie sonst nur-auf einem Rossbauch sieht, den der Sporn zerstochen hat. Und die Wunden blieben immer offen und heilten niemals zu.
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Die Wälder rauschten, und der Fuchs kochte. Da war die Kutsche arg genug daran, die an dem düstern Herbstabend durch das Gebirg musste, sonderlich als sie an einer Wegscheid anlangte. Der Knecht rief unwirsch vom Bock herunter, in dem faustdicken Nebel kenne sich der Teufel aus, und er wisse schon nimmer, wo hü und wo hott sei, und am klügsten wäre es, sie drehten das Fuhrwerk um und reisten nach Kötzting zurück, allwo in der Post gut einkehren sei.
Daraufhin bemühte sich der gelehrte Doktor Sebald Eselius aus dem Wagen und leuchtete mit einer Laterne, die ganz betrübt und rötlich dumpf im Nebel brannte, den Wegzeiger an. Der deutete nach rechts, und auf seinem Arm stand geschrieben: Gegen Rittsteig! Der gelehrte Herr atmete auf. »Rechts, rechts, Schwager!« sagte er fröhlich.
Der Kutscher murmelte, die Gegend sei heute verhext, und er hätte geschworen, dass der Weg ins Dorf links gehen müsse, und vielleicht habe der Stilzel den Wegweiser verdreht, was ihm wohl zuzutrauen sei.
Da räusperte sich der Doktor Sebaldus Eselius hoffärtig und schnäuzte ihn gebührlich an: »Was faselt Er von dem Stilzel? Der ist nicht, wie die plebs stulta, das blöhöde Volk, gemeiniglich gläubet, ein Satyros oder Waldschrecklein, sondern eine Trügnis des Hirnes, somnium cerebrale, eine Spiegelung der Angst, so aus einer verstopften Milz und einer erkalteten Niere aufsteiget.«
Der Knecht aber zweifelte: »Hochansehnlicher, grober Herr, es haben schon viele aufrichtige Leut mit dem Stilzel zu schaffen gehabt. Gott behüt uns, dass er uns heut nit reitet!«
»Ille Stilzelius, der selbigte Stilzel, ist ein Gespinst der Fantasei«, funkelte der Gelehrte durch seine blitzblauen Brillen, »eine fabula, ein törichtes Märlein, so die hiesigen Pascher aussprengen, auf dass der Böheimer Wald redlichen Leuten ein Grausen werde und sie allein und ungestört darin schalten könnten nach ihrem Gelüst, contra leges, wider die Gesetze.« In der Ferne läutete ein später Mesner gegen den Nebel, und Sebald Eselius nickte wohlgefällig und beschloss seine Rede dermaßen: »Nur zu, Schwager, fahr Er nur rechts! Das Dorf meldet sich schon, es ist nimmer weit.«
»Mir kann es recht sein!« brummelte der Knecht, und als der großgelehrte Herr wieder in der Kutsche saß, trieb er die Gäule den Weg rechts hinein in des Stilzels Nebelgarten, nicht ohne, dass er sich dabei ins Fäustlein schalt, dass er sich an solch vermummtem Tag eingelassen zu dieser Gebirgsreise, statt lieber in der Wirtsstube zu sitzen auf der warmen, geheuern Ofenbank.
Derweil lehnte der gelehrte Herr behaglich in der Kutsche. Gegen den Aberglauben fuhr er zu Felde, die Natur und Materie des weitverrufenen Neckboldes wollte er durchleuchten und erforschen, das täppische Gerücht zunichtemachen und mit dem Strahl kühler Aufklärung den Dunst zerstreuen. Geharnischt mit einer geißhaarenen Perücke, die er seiner Gelehrtheit zu Ehren trug, drang er heute in des Stilzels ureigensten Bereich ein, allermaßen er aus den Schriften eines sicheren Franz Xaver Siebzehnriebl erfahren, dass selbiger Kobold und Waldwisch gerne in der Gegend bei Rittsteig herumstinke. Also in seine abgründige Selbstherrlichkeit versunken, nahm er nicht wahr, wie der Weg wilder, enger und steiler wurde, bis die Kutsche schließlich in einem Hohlweg stecken blieb. Da zerrte der. Knecht die Rösser am Zaum aus dem Felsgässlein heraus und zeterte, er habe die Stolperei satt und wolle warten, bis der Tag anbräche. Worauf der gelehrte Reisende ihm solche Absicht ernsthaft verwies, sie könnten doch nicht die volle Nacht in der triefenden Öde zubringen, und er solle fürbass fahren, irgendwo müsse doch die Straße zu einem Ende führen.
Jetzt rief der Kutscher, Gott möge ihn seligen, dass er sich heute nicht den Hals bräche, alles andere sei ihm gleichgültig, und er schreckte fluchend die Gäule auf, dass sie ihre ganze Kraft anstrengten und die Kutsche über Stock und Stein hinter sich her rissen, immer bergan.
Die Räder krächzten jämmerlich, als wären sie gepeinigte Seelen aus dem Fegfeuer. Der schwere Wagen schwankte wild hin und her und schien sich jeden Augenblick überschlagen zu wollen, und den Doktor drin schleuderte es nach allen Seiten, dass er selber schier glaubte, Waldteufel trieben mit ihm ihre Unholderei.
Plötzlich stand der Wagen mit einem jähen Ruck. Der Knecht peitschte auf die Rösser ein. Umsonst! Sie lehnten sich auf, bäumten sich mit faumender Nüster und wollten nimmer weiter, als hemme sie etwas Unheimliches, das sie nicht durchdringen konnten.
Der Doktor Sebald Eselius riss das Fenster auf, beugte sich zum Wagen hinaus, und weil er dem Kutscher diese unliebsame Versäumnis zumaß, schrie er diesen an: »Asine! Ahasine! Er Esel!« Im selben Augenblick riss ihm einer die geißhaarene Perücke vom Kopf. »Perdutz!« murmelte der Doktor. Doch ihn schreckte kein Mummelmann. Nach dem Pistol zuckte er, den Hahn zog er auf, die gespannte Waffe reckte er zum Fenster hinaus und löste sie.
Ein rotfeuriger Blitz, ein schrecklicher Donner -- und als habe der nächtliche Knall den Zauber gesprengt, zog sich der Nebel jählings auseinander, und die ergrausenden Augen sahen, wie der Wagen auf einem wilden Felsen stand und die steigenden Rösser ihre Vorderfüße schon über den Abgrund hinaus hielten, derweil es tief drunten braute in tausend Wipfeln. Der Mond aber spiegelte sich in einem splitternackten Scheitel, und drunten auf dem höchsten Tannenspitz flatterte unzugänglich, unwiederbringlich des gelehrten Herrn Sebald Eselii Perücke.
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Dem Reiter Veit Goldwurm hatte der Krieg zu lange gedauert, und drum hatte er sich samt seinem Ross aus dem Staub gemacht, in der Meinung, die andern würden es auch ohne ihn verrichten.
So ritt er denn nachts durch die Böhmischen Wälder, willens, noch vor dem Morgen das Grenzstädtel zu erreichen. Ihm war nicht gerade heimlich, denn er hatte hundert erbeutete Gulden in grober, guter Landeswährung, und weil unrecht Gut nicht lange währt, fürchtete er, Zigeuner oder anderes Gesindel könnten es ihm abknöpfen, und wenn ein Kuckuck im Traum hustete oder ein Hirschlein im entlegenen Tal schrie, tappte er schnell nach seinem scharfen Säbel.
Doch begegnete er auf dem langwierigen Ritt niemand als einem buckligen Männlein, das seltsamerweise verkehrt ging, den Buckel voran, als schaue es sich nach einem um, der ihm in der Ferne folgte. Veit Goldwurm legte sich dies also aus: es habe das Männlein gelobt, eine Wallfahrt zu seinem Heiligen rücklings zu verrichten. Er trabte an ihm vorbei, doch musste er, ohne dass er es wollte, den Kopf wenden, dass er dem krummen Nachtgänger ins Gesicht sehe. Da nickte dieser ihm vertraulich zu, redete aber kein Wort.
Dem Reiter gefiel der stumme Gruß nicht. Er scheuchte das Ross aus seinem behaglichen Trab und war froh, als er sich weit von dem Buckligen wusste. Nachdem er wohl eine gute halbe Stunde galoppiert war, vergaß er der Begegnung und spähte nach einer Herberge aus, wo er sein Tier anbinden könne.
Der Weg krümmte sich um einen hohen, mit einer einschichtigen Fichte bewachsenen Stein, und dort sah Veit Goldwurm wieder einen Wanderer von weitem daher schreiten, und wie der allmählich näher kam, merkte der Reiter zu seinem hellen Schrecken, dass es derselbe schiefe Strolch war, der da verkehrt daher trottete, die Fersen voran, und dem er vor einer hübschen Weile weit hinter sich begegnet war. Und wieder musste er sich nach ihm umschauen, und wieder nickte der ihm so unheimlich und vertraulich zu, als teile er mit ihm ein mörderisches Geheimnis.
Der Reiter war kein Hundsfott. Sieben Jahre hatte er den Krieg mitgemacht und sich vor keiner Kugel gebückt. Aber dasmal hing ihm an jedem Haar ein eiskalter Schweißtropfen. Und der Mond stand im ängstigen Wald verirrt, unwirsch ging der Wind, und Veit Goldwurm hetzte sein Ross an und jagte dahin.
Erst als er lange, lange geritten war und er glaubte, jetzt müsse die Wildnis doch einmal aufhören und Acker, Dorf und Wirtshaus nimmer weit sein, festigte sich sein Herz wieder, und er pfiff, sich zu ermuntern, ein keckes Husarenlied und rief dem Rössel zu, es möge es nun wieder ein bisschen langsamer gehen lassen.
Und wie er jetzt gelinder trabte, brüllte in einem nahen Sumpf die Mooskuh schauerlich auf, und auf der Straße zwischen den endlosen Wäldern tauchte wiederum der verkehrte Wanderer auf, der sich nach sich selber umschaute, jener entsetzliche Krumme, und begegnete ihm und nickte ihm zum drittenmal zu mit seiner wilden Vertraulichkeit.
Jetzt schauderte sogar das Tier auf. Und Veit Goldwurm riss sich den Gurt vom Leib und schleuderte ihn dem Gaukelbild hin, dass das weißsilberne Geld über die Straße klirrte. Dem Ross aber stieß er den Sporn in die Flanke und schoss dahin, als säße ihm der Satan im Genick, und als er im Grenzstädtel einritt, waren alle zwei, Mensch und Tier, von kaltem Schweiß so nass, als seien sie durch einen tiefen Fluss geschwommen.
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In dem Dorf Schönwillkomm hausten fünf große Bauern: der Krauspenhaar, der Minzel, der Schnepf, der Weinhas und der Windhesel, und einer tat über den anderen hinaus, und einer war trunkener und gröber als der andere, und sie kamen oft die ganze Woche nicht heim und machten hinter dem Montag noch die andern sechs Tage blau, ihren frommen Weibern zur Kümmernis. Sie sorgten nicht, wo sie das Geld zu ihrer Völlerei hernehmen sollten, und als der Wirt ihnen nach solch einer versoffenen Mette das schwarze Brett zeigte, wo er die Zeche angekreidet hatte, hießen sie ihn, er solle mit dem Schwamm darüber wischen und sich dafür die Gemeindewiese nehmen, was auch geschehen ist.
Sie sangen rauen, schändlichen bieder, schütteten einander das Bier auf die Schädel, stritten, rauften und vertrugen sich, schliefen auf der Bank ein und erwachten struppig und verstört und soffen wieder weiter. Zuweilen trieben sie auch eines ihrer gröblichen Spiele; sonderlich wenn ihnen ein Fremder in die Klauen geriet, spielten sie mit ihm tilltappen, und das war so: er musste mit einem aufgetanen Sack draußen in der Finsternis neben einer Laterne warten, derweil die fünf Spitzbuben rings den Tilltappen jagten, um ihn in den Sack zu treiben, wobei sie schließlich den armen Narren die halbe Nacht mit dem Sack lauern ließen, derweil sie selber schon längst im Stroh schnarchten.
Da saßen die fünf wieder einmal toll und voll beisammen, hübsch spät nach dem Nachtgeläut, der Haber stach sie, und sie wussten nimmer, was sie vor Übermut anfangen sollten, bis der Krauspenhaar vorschlug, sie sollten Geschwinkeles spielen. Und da sie alle dazu erbötig waren und sich einen großen Spaß davon erhofften, kniete sich der Krauspenhaar auf den Tisch, und die andern mussten geschwind auf allen vieren darunter hinweg kriechen, denn der oben schlug mit einem Ochsenziemer ganz malefizisch herunter auf ihre Gesäße. Als er nach einer Weile die Scheibe des flinken Minzel nicht so traf, wie es hätte sein sollen, musste er sich auch durch die Tischfüße tummeln, und der Minzel löste ihn oben mit dem Ochsenziemer ab. Des kräftigen Spieles wurden sie nicht satt, jeder nahm die derben Hiebe mit Hallo und gab, wenn die Reihe an ihm war, sie gern und doppelt zurück. Sie waren so in ihre Lust vertieft, dass keiner merkte, wie die Senkeluhr zwölf schlug. Auf einmal schrie der Schnepf auf, der sich noch das nüchternste Gehirn bewahrt hatte: »Heiliger Donnerschlag, wir sind unser sechs!«
Wahrhaftig, auf dem Tisch droben hockte grinsend ein schielender, verknorrter Kerl, drosch mit gräulichen Schlägen auf das Fleisch der Bauern herunter und eiferte sie an: »Hiho wiah!« Das Blut wurde ihnen kalt. Sie erkannten, dass der Stilzel sich ins Spiel gemischt hatte, und. um ihn bei gutem Mut zu erhalten und ihn nicht zu erbosen, krochen sie eifrig unter dem Tisch durch, von unmenschlich knallenden Hieben gepeinigt, höllisch gehetzt wie die armen Seelen, röhrend, kreischend, den Rosenkranz plärrend; der Schweiß rann ihnen aus den Pudelhauben und das Blut aus den Hosenröhren. Aber es gab keine Rast und kein Verschnaufen, selbst als der Windhesel, der es bei dem übeln Ringspiel am eiligsten hatte, sich unten an der Tischspange einen Hachsen brach:. Eine ewige Stunde wurden, sie gehetzt.
Erst als die Uhr eins schnarrte, ließ der Stilzel den Ochsenziemer fallen und fuhr durch das Fenster in die Nacht hinaus, dass die Scherben klirrten. Und die Bauern taumelten heim, ihren Weibern das rünstige, verschwollene Fleisch zu zeigen und sich bemitleiden zu lassen.
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Verwunderlich war es, dass der Stilzel niemals die Pascher neckte, die dazumal wie heute durch das unwegsame Gebirg verbotene oder mit hohem Zollsatz beschwerte Waren wie Tabak, Salz und Pulver aus einem Land in das andere schafften. Zwar begleitete er ihre schleichenden Rotten von weitem, als wäre er neugierig, was sie in ihren Bündeln und Kraxen trügen, niemals aber vergriff er sich an ihnen, meinte wohl, die armen Leute seien gestraft genug, dass sie bei Nacht und Graus und bei 'unflätigem Wetter ihren Gang tun mussten. Ja, er hielt ihnen sogar zu, und es wäre nur gerecht, wenn die Pascher dem Stilzel als ihrem Schutzheiligen eine Kapelle stifteten. Einmal wurde der böhmischen Grenzwache verraten, dass auf dem Schliefweg von Lambach her über die Zahnhütte und durch die Hinterpucherschlucht nach Böhmen Vieh geschwärzt werden sollte. Da lauerten vier Mann, mit Gewehren stattlich ausgerüstet, voller Amtseifer hinter dem Gemäuer einer verfallenen Pochmühle, einen guten Fang zu tun. Es war schon rabenfinster im Wald, da hörten sie es oberhalb ihres Verstecks auf einem Holzweg blöken und grunzen, es mochte dort die Bande ihre Sauen und Rinder treiben. Flugs rannten die Zöllner hin, ihnen das Vieh abzunehmen. Doch als sie nach harter Beschwernis besagten Weg erstiegen hatten, merkten sie, dass ihr Gehör sie getäuscht hatte und eines der geschwärzten Rinder auf dem jenseitigen Hang der Schlucht sein lautes, anhaltendes und im öden Wald schier schauerliches Gebrüll anhub. Sogleich kehrten sie um, sprangen hitzig bergab und keuchten wieder bergauf, immer dem wilden Geblök nach, und da sie schon weit oben am andern Hang waren, hielten sie an und erkannten, dass sie sich wieder verhört hatten und das Getös von dem aufgelassenen Glasweg herrührte, der in der Schlucht unten sich dahinzog. Dort grunzte es wie ein ganzes Rudel Säue. Und wieder kehrten die Grenzwächter um, sie brachen durch die Wildnis, ganz blind und wirr vor Verlangen und voll Wut über die durchtriebenen Pascher, die sich nicht greifen ließen und sie kreuz und quer in die Irre führten. Über Dorn und Storn ging es, da blieb ein Fetzen Gewand, dort ein Strähn Bartes hängen, aber sie achteten es nicht und jagten den grunzenden Säuen nach. Hoffnungslos, matt und verwirrt waren sie schon, da hörten sie das Vieh plötzlich hart vor sich. Nur eine Dickung war zu durchbrechen. Wie die Hirsche rannten die vier.
Ein Sprung -- und sie staken bis an den Bauch in einem Sumpf. Der erzbetrügerische Stilzel hatte sie geäfft. Auf einem Baumstumpf saß er und grunzte noch einmal wie eine Sau im Stall und blökte noch einmal wie ein Kälbel, und dann brach er in ein grausames Gelächter aus, dass die Schlucht ergellte.
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Da verlief sich von ungefähr einer nach Gmoset, ein rechter Bruder Schneidewind, hatte eine blaue Nase, ging barfußet daher, die Schuhe an den Gürtel gebunden, und sagte, der Bischof von Regensburg schicke ihn her, er solle den lästigen Stilzel vertreiben.
Darauf lüpften die Bauern andächtig die Hüte und fragten ihn, ob er den Geist übermächtigen könne, es habe ihn bisher noch keiner bezwungen. Er lachte listig und meinte, der Stilzel habe nur im Rossstall studiert, er selber hingegen habe die schwarze Schule bezogen, sei ein hocherprobter Teufelsbanner und schreibe sich Spiritus.
Wie er den Stilzel dämpfen wolle, begehrten die Bauern zu wissen. Der Spiritus antwortete, er werde ihn in ein Glas zwingen und hernach vertragen auf den Hötschenberg, der in der Mitte zwischen Tirol und der Schweiz liege. Doch müssten sie ihm zur Wegsteuer drei Taler geben, die Reise dauere gar lang und das Alpgebirge schaue wild und spitzig aus.
Das begriffen sie wohl, sie reichten ihm gern die drei Taler und freuten sich, dass sie den Quälgeist so billigen Kaufes losschlügen. Nur der alten Uraundel war es nicht recht, sie sagte zu dem Spiritus: »Du solltest den Stilzel in sich selber hinein verbannen, nit nach Tirol, wo er wieder frommen Leuten aufhuckelt!«
Aber der Spiritus gelobte sich hoch und heilig, ihn in das öde Eisgebirg hinaufzutragen, wo oft in hundert Jahren keine lebendige Seele hinkommt, höchstens eine Steingeiß. Des waren jetzt alle zufrieden, und die alte Uraundel auch, und sie wollten, er möge nur gleich den Stilzel fangen und binden. Der Spiritus steckte seine drei Taler ein, brachte ein wohlgeschliffenes Tabakgläslein herfür, pfropfte es auf -- es war noch ein ausgiebiges Schnüpflein darin, -- welschte und schlowakte kunterbunt durcheinander und rief schließlich ,ein siebensilbiges, absonderliches Zauberwort, das keiner verstand und er selber auch nicht und das außer ihm kein Mensch sich merken konnte, und hernach stöpselte er das Gläslein wieder haargenau zu. » Jetzt kommt er mir nimmer aus Liebe Leute, seid getrost!« sagte er und ging.
Die Bauern freuten sich darüber unbändig und riefen ihm nach, das Glück solle ihn auf seiner Reise begleiten, und den Stilzel solle er nur recht hoch ins Eis vertragen, und im künftigen Sommer solle er auch gewiss wieder bei ihnen zusprechen, auf dass sie erführen, wie es dem Stilzel auf dem Hötschenberg gefalle.
Der Spiritus kam aber schon am nämlichen Tag ins Dorf zurück und meldete, der Stilzel habe des scharfen Schnupftabaks wegen so abscheulich geniest, dass er das Glas zersprengt und sich dabei verduftet habe. Drum sollten. die Gmoseter ein Einsehen haben und ihm den Schaden ersetzen, das Glas sei ein kostbares Ding gewesen, der Bischof von Regensburg habe es ihm verehrt, und der heilige Josef habe daraus schon die drei Könige aus dem Morgenland schnupfen lassen, da sie sich in Bethlehem eingefunden, so alt und ehrwürdig sei es.
Verdutzt rissen die Bauern die Augen auf. Doch die alte Uraundel erklenkte hurtig einen Fliegenpracker und stäupte den Spiritus zum Dorf hinaus.
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Hinter dem hintersten Wald hart an den Seewänden hauste schlecht und recht in seiner Einöd der Spinnwebschneider; er flickte den Holzhackern die groben Janker und pechigen Hosen und nährte sich sparsam von dem Geltsgott seiner Kundschaften und von dem Segen, der auf seinem schmalen Acker gedieh. Was ihn aber in all seiner Armut bei fröhlicher Seele erhielt, war der warme Ofen in seiner Werkstatt, daran er Sommer und Winter den Buckel lehnte und darauf er den runden, vom Herrgott gebackenen Stein erhitzte, den er jede Nacht zu sich ins Bett nahm, sich daran die frierenden Knie zu wärmen. Um dieser erfreulichen Wärme willen war er eifrig bemüht, recht viele Scheiter vorrätig zu halten, und er schichtete ihrer so viele um seine Hütte auf, dass diese dahinter ganz versteckt lag und kaum mit den Fensterlein in die Welt hinausschauen konnte.
Einmal ging der Spinnwebschneider in den Stornwald einen Strunk suchen, den er im Winter, wenn der Frost im Schindeldach krachte, behaglich daheim verfeuern könne, und er stieß auch bald auf einen Stumpf buchenen Holzes, der ihm über die Maßen tauglich schien für sein Fürhaben, und er machte sich mit dem Krampen darüber her. Aber je tiefer er grub, desto tiefer stak der Stock im Erdreich und nahm kein Ende. Doch weil das Holz gar so kernig und gesund herschaute, wollte der Schneider keinen Span und keinen Splitter davon zurücklassen, und in seinem Geiz grub er dem Stock immer wilder in die Tiefe nach und hörte erst auf, bis er ihn völlig aus dem Loch gehoben hatte. Hernach schob er ihn auf dem Schubkarren mitten durch den blauen Mondschein heim.
Der Strunk sah mit seinem verrenkten Gewurz wie ein bucklig Alrannenmännlein aus und war so unbändig schwer, dass das Scheibtruhenrädlein wie eine arme gequälte Seele im Fegfeuer pfiff und der Schneider alle fünf Vaterunser lang rasten und verschnaufen musste und es schon sehr spät an der Zeit war, da er vor seinem schiefen Häusel ankam. Dort setzte er den Karren haarscharf vor dem Geißstall ab und ging zu seinem Weib in die Stube hinein.
Als sie drin zu wissen begehrte, wo er sich heut gar so lang verhalten habe, und warum ihm der Schweiß wie ein Wildbrünnlein von der Stirn stürze, deutete er pfiffig mit dem Daumen hinter sich und lachte und meinte, draußen lehne einer, und der werde ihnen noch heiß genug machen.
Und wie er ihr jetzt draußen sein Tagwerk weisen wollte, holla, da war der verhexte Stock mit seinen groben Wurzeln um den Schubkarren herum und durch das Rädlein hindurch wiederum fest in den Grund gewachsen, als sei er sein Lebtag da vor der Stalltür gestanden und sei an selbiger Stelle der Baum von ihm geschnitten worden.
Da schauten die zwei Leute groß und klein darein ob des übeln Possens, der ihnen da gespielt worden. Doch es half ihnen nichts, und ob ihnen auch der Schweiß in die Augen rann, sie mussten den Stock noch einmal ausgraben, sonst wäre die Stalltür nimmer aufgegangen und die Geiß darin hätte gottskläglich verhungern müssen.
Als hernach in der Früh den Sternlein der Glanz verging und von der Seemühle her der Hahnengockel sich meldete, da hatten sie den Stock wieder aus der Erde gegraben, und der Schneider gab ihm in seinem Zorn einen sakermentischen Tritt, dass er über die Gred hinunter rodelte. Aber er blieb drunten nicht liegen, sondern kugelte auf der Hauswiese weiter, fing hernach auf der Hutweide an, auf seinen Wurzen zu kriechen wie ein Tatzbär, reckte sich schließlich gäh auf und rannte auf seinen zwei rauen Füßen in den Wald, und als der Stilzel drin geborgen war, da spottete er, dass es gellte und galmte: »Harax dax dax!«
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Juchuh! Die Fuxberger Burschen ritten hemdärmlig aus, die vielfarb gestickten samtenen Käpplein trutzig aus der Stirn geschoben, prangend mit Schnallenschuhen, weißen Strümpfen, schwarzen Kniehosen und grünen Hosenträgern. Ohne Sattel, ohne Steigbügel saßen sie auf den breiten Ackergäulen, die die Mähnen und den Schweif mit bunten Bändern aufgeflittert hatten und Kränze um den Hals trugen. Es galt, wie jedes Jahr, nach altem Bauernbrauch wieder einmal den Pfingstelritt zu üben. Hinter den Reitern drängten die Leute; aus Rotenbaum, aus der Plöß, aus der Hirschau waren sie zusammengekommen, zu schauen, welches Ross am schnellsten sei.. Und die Musikanten bliesen, und die schönste Bauerndirn trug auf einer Stange ein rotseidenes Halstuch wie eine Fahne, zum Preis dem Burschen bestimmt, der allen andern vorausritt.
Ganz hinterdrein, umschwärmt von schreienden Kindern wie ein Turmknopf von den Dohlen, zog der Pfingstelnarr seine dürre, gottsjämmerliche Mähre hinter sich nach.
Die Reiterei hielt vor dem Eichelröd, einem langen brachen Acker, darüber der Wettritt vonstattengehen sollte bis zum Waldsaum. Da ordneten sich die Reiter zu ein er geraden Reihe, und jeder zeigte mit ersichtlichem Stolz, wie er seines Rosses Herr werde, und spreizte sich darauf und tätschelte ihm den mähnigen Hals. Der Pfingstelnarr erlustigte derweil mit seinen Schwänken die Leute, er stieg mit einer heiter auf die Mähre hinauf, purzelte aber auf der andern Seite gleich wieder herunter und trieb das so lange, bis er schließlich oben verkehrt zu sitzen kam.
Schon scharrten die ungeduldigen Rösser den Erdgrund, und die Burschen bissen sich in die Lefzen und wollten es nimmer erwarten, dass ihre Kunst sich erweise und die Geschwindheit ihres Tieres.
Da ritt auf einmal ein hageres, krummes Bürschlein quer über die Wiesen und lenkte seinen roten Fuchs zu den Reitern hin. Niemand kannte ihn, niemand kannte das räudige, gichtisch hinkende, einäugige Ross mit den grausamen Hornwarzen an den Füßen, eine Schindmähre, abscheulich über die Maßen, als habe sie der Abdecker von Stachesried zu aller Rösser Spott hergeschickt.
Die Fuxberger, lauter wohlgetane, saubere, stolze Burschen, begehrten auf, dass einer mit ihnen wettreite, der so missgewachsen war und ein unwürdiges Ross mitbrachte. Doch ehe sie mit ihm einen Streit anzetteln konnten, krachte schon ein Schuss zum Zeichen, dass der Ritt anhebe.
Hui, polterten die Rösser dahin über das Feld, dass es staubte. »Wiah!« brüllten die Reiter, sie klatschten mit der flachen Hand zornig auf die Schenkel der Tiere, sie legten sich 'schräg über deren Hälse, rauften wie unsinnig die fliegenden Mähnen, spornten und keuchten und fluchten und schluckten den aufsteigenden Staub. Und das Volk freute sich und wettete und lärmte und eiferte Ross und Reiter mit lautem Geschrei an. Ganz zuletzt, weit noch hinter der faulen Mähre des Pfingstelnarren hinkte kläglich. der Rotfuchs unter seinem krummen Reiterlein. Zuweilen schickte er sich zu einem plumpen, täppischen Sprung an, knickte dabei aber immer wieder in die Knie, und das gab einen solch lustigen, verschrobenen Anblick, dass sich bald keiner von den Zuschauern mehr um die Pfingstelreiter kümmerte, sondern jeder nur nach dem ergötzlichen Jammergaul den Hals reckte. Und gar, als der Pfingstelnarr von seinem Klepper stieg und des Fremden hinkendes Ross beim Schweif packte und es zurückhielt, da wollte den Bauern vor Lachen schier der Bauch bersten.
Jetzt aber schnalzte der Bucklige so scharf, dass es wie ein Büchsenschuss anzuhören war; und sein Ross bäumte sich, knirschte in den Zaum, ein Rausch überflog es, und hernach war es, als sei ihm der Teufel in die Knochen gefahren. Wie der Sturm schoss es dahin, der im Hochwinter von Bayern herüber braust, und seine Mähne flackerte gleich einem Feuer. Die Rösser holte es ein und überholte sie alle, und als es an dem Waldsaum ankam, erhob es sich über die Tannen in die Luft, Dampf und Funken von sich stoßend vorn und hinten, und sein Reiter jauchzte schrill, schwenkte den. Hut und verschwand hinter dem Plattenberg.
Der Pfingstelnarr aber kugelte sich auf der Erde, in den Händen den Schweif, der sich von dem Ross des Stilzels losgelöst hatte, und als er ihn verwundert anschaute, so war es nur ein Strohwisch.
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Einmal ging das Weib eines armen Pechbrockers in die Schwämme. Sie nahm ihr zartes Kind mit, weil niemand daheim war, der es an ihrer Stelle gewartet hätte. Tief in den hintersten Wäldern des Rantschers legte sie es bei einem weißen Grenzstein ins Moos und schmeichelte ihm, wie es die Mütter gern tun: »Mein Büblein, du mein kleinwinziges Büblein, ach sag mir schnell, was soll ich mit dir anfangen? Bist du ein wilder Zeisig? Was reckst du deine lieben Arme aus? Willst du Flügel haben? Willst du von meinem Schoß auffliegen? Wohin? In des Kaisers Schloss? Nein, nein, mein hübsches, hübsches Büblein, bleib fein bei mir!« Und wie sie so sang und so redete, schlief das Kind ein und lächelte gelind im Schlaf. Die Mutter hatte keine Angst um es, hier im einsamen Wald tat ihm gewiss niemand ein Leides, die Moosbären und die wilden Sauen waren schon längst ausgestorben, und auch die Riesen, die den Menschen gram gewesen, lebten nimmer. Einst war der Osser, der blau und hoch über all den anderen Bergen stand, den Riesen ihr Butterfass gewesen, und mit ihren harten Knien hatten sie Löcher in den Boden gekniet, daraus tranken aber heute die sanften Rehe das laue Regenwasser. Man vernahm jetzt nur noch von holden Waldwesen, die den verirrten Kindern halfen und ihnen, was essbar, war an Beeren und Kräutern, zeigten und sie vor den giftigen Kirschenwarnten. Also verließ die Pechlerin sorglos ihr schlafendes Kind, streifte durch das Buschwerk, suchte dort unter den niederen Ästen und tastete mit dem bloßen Fuß den weichen, schmiegenden Rasen ab, und weil sie die heimlichen Plätze wohl wusste, füllte sich ihr Körblein bald mit sauberen, braunen Steinpilzen, mit schlanken Rotkappen, runzligen Mauracheln und gelben Rehlingen. Sie konnte alles brauchen, sie war ja arm.
Heute war ein gar gottgesegneter Morgen, die Vögel schluckten den Tau und sangen hernach um so klarer und schärfer, der Kuckuck schrie aus seinem hohlen Baum, und das hörte sich gar lustig an. Von weither läutete das Horn des Hüttstätter Hirten. Das Weib .setzte sich auf eine Wurzel, um eine süße Weile zu verrasten, sie tat eine Betschnur mit vielen rotgläsernen böhmischen Perlen heraus, die Schwämme in dem Körblein rochen gar wohlig, und sie war so herzensvergnügt, zumal da sie an ihr Büblein dachte, und dass es ein solch, strahlendes Gesicht hatte, als gehöre es einem Grafen an und nicht einem schlechten Pechbrocker. Und wie sie sich also in sich hinein-freute, flügelte etwas schwarz und ruppig und struppig vor ihr von einer Esche nieder, und das war ein ganz junger Rabe, der, noch nicht reif zum Flug, aus dem Nest gefallen war. Sie hob ihn auf und streichelte seine vor Angst flatternde .Kehle und lachte: »Ei, du bist schlimm daran, du hast einen Rabenvater und eine Rabenmutter!« Dann setzte sie sorglich den Vogel in ein dickes, schützendes Geäst und riet ihm: »Da bleib hübsch auf dem Zweiglein sitzen, dann findet dich deine Frau Mutter gewiss wieder!«
Als sie sich solchermaßen um den Raben bekümmerte, musste sie auf einmal des eigenen Kindes denken, und es wurde ihr seltsam bang ums Herz, und sie wusste nicht warum. Auch war der Wald jäh vergeistert, kein Mooshälmlein rührte sich, grau und trüb schwadmete es heran, die Wipfel der Bäume überfinsterten sich, nebelhaft zerflossen die Tannen. Die lieben Schnäbel im Laub waren still geworden, nur der Holztauber gurrte drohend.
Da rannte das Weib, von einer unsäglichen Ahnung gejagt, zu dem weißen Grenzstein, wo sie das schlafende Büblein ins Moos gebettet hatte. Aber, o du liebe Frau von Heilingblut! was fand sie dort vor? Ein widerliches, misswachsenes Schrähelein, hässlich wie eine junge Eule, und das plärrte und quiekte bald boshaft und bald wieder, als ob es blödsinnig wäre: »Ätätöh ihiii, ätätöh ihiii!« Sein Gesicht war, haarig, zerfurcht, blattermasig, die Augen trieften ihm, an der oberen Lefze trug es eine Scharte, und es mummelte damit wie ein Hase. Ach, und ihr Kind war doch schön und lieblich gewesen wie ein Grasblümlein, und kein einziges Flecklein hatte es auf seiner Haut gehabt!
Da jammerte sie, dass es hätte einen steinernen Berg erbarmen können: »Eine neidische Waldhex hat mir mein liebes Bübel vertauscht, hat mir das wilde Wesen da hergelegt. Weh! Was wird der Vater dazu sagen?! Weh! O du traute Frau von Heilingblut, ein unbarmherziges Weib hat mein Kind in den Krallen, sie wird es nicht liebhaben, nicht herzen, nicht wiegen, nicht baden, nicht atzen mit süßem Mus, nicht tränken mit Milch! Weh! Sie wird es mit der Birke hauen, mit der Brennnessel wischen, wird es nähren mit der Milch des Wolfskrautes. Weh! Mein Kind, wo bist du? Wohin, in welchen feuchten Schrund bist du verloren? Unter bösen Schlangen? Bist du nimmer zu errufen ? Du Grenzstein, du kreideweißer, sag mir,. was ist mit meinem Kind geschehen?!« Ach, ein Grenzstein weiß gar viel, aber er sagt nichts.
Das arme Weib beschuldigte sich, dass sie heute ihr Kind nicht mit dem Weihbrunn gesegnet habe. Geweihtes Wasser stößt den Griff der bösen Gewalten zurück. Als sie einst als junge Dirn in der Einöde am Hochpanzer gedient hatte, da war in der Raunacht der Hausbrunn zugefroren, und weil den Bauer gedürstet hatte, hatte er sie zu dem unheimlichen Quell in den Wald geschickt. Jener Brunn aber war verrufen gewesen, und es waren schon in früheren Jahren die ausgeschickten Mägde davon nimmer zurückgekommen und für immer verschollen, und drum hatte sie nun aus lauter Furcht den Hund mit sich gelockt und die Katze auf dem Arm mit sich getragen, dass sie doch nicht so schrecklich allein gehen müsse, und hatte sich Stirn und Mund und Brust mit Weihwasser genetzt. Und hernach im frostigen nächtlichen Wald hatte der Hund gemurrt und die starken Zähne gebleckt, die Katze hatte gepfaust, aus ihrem straubigen Pelz waren die Funken gesprungen, und die Augen hatten ihr wie riesige grüne Taukugeln geglommen, und wie der Krug dann voller Wasser gewesen war, hatte der schwarze Brunn zu reden angefangen und gesagt: »Was beißt und ballt, furcht ich nicht. Was gleißt und krallt, fürcht ich nicht. Nur das Geweihte scheu ich.« Hätte die Dirn sich damals nicht besprengt, sie wäre nicht lebendig aus dem Wald heimgekommen.
Ach, hätte die Pechlerin heute nur ein einzig Weihtröpflein auf des Kindes Stirn gespritzt! Sie reckte dem Wechselbalg die Faust hin. »Du abscheulicher Kerl, erwarte dir nur nichts Gutes von mir! Ich will dich daheim auf eine Pechschrolle setzen, dass du nimmer los kommst. Hungern will ich dich lassen, dass du dünn wirst, und wenn dich dürstet, will ich dich schreien lassen. Hüt dich vor mir!« Allein das Schrätel blähte nur den dicken Kropf auf, glotzte sie an und plärrte: »Atätöh, ätätöh ihiii !« Da rief sie weinend in den öden Wald hinein: »Wo bist du, mein Kind, wo?« Und der Wald rief traurig zurück: »Wo? Wo???« Er wusste nichts anderes.
Auf einmal aber knatterte ein Schatten über den Grenzstein. Zwei riesige Raben flatterten über das Schrätelkind, krächzten erbittert und hackten mit den Schnäbeln gegen seine gelbliehen Froschaugen. Zuerst fauchte der Stilzel und spuckte gegen die Vögel aus, doch dann schnellte er huj! wie ein Heuschrickel in die Höhe, hielt sich den Arm schützend über den zottigen Schädel und schlüpfte ins Dickicht.
Die Pechlersfrau aber hielt ihr rosiges Kind wieder im Arm und gab ihm selig die Brust, und die schwarzen, großen Vögel kreisten hoch über dem Wald.
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Der weitverschriene Räuberhauptmann Heigl, der in den Kaitersbergen sein Lager hatte, hatte sich in den, Freithof zu Chammünster eingeschlichen, er wollte in die Kirche einsteigen, darin an der Wand, aus dem Marmor des Hochbogenberges gehauen, die Grabplatten mit den Bildern der alten Ritter stehen, die vormals auf den Burgen des Chambereiches gesessen. Ein dünner, fadenscheiniger Mond leuchtete kümmerlich durch das eilige Gewölk. Die Kreuze und Steine auf den. Totenhügeln warfen geringe Schatten, Efeu raschelte, die Stauden schauderten in sich hinein, und es roch nach Nelken und Rosmarin und Verwesung.
Der Heigl schickte sich an, den silbernen Kelch aus dem Gotteshaus zu. holen. Was braucht der Pfarrer auch Gold und Silber? Ein hölzernes Monstränzel, ein Messmantel aus Leder tut es auch. Reichtum ist dem Heiland nicht lieb gewesen, hat er doch selber den Grempelmarkt im Tempel umgeschmissen und die Greißler hinausgejagt. Also beschwichtigte der Heigl, was noch in seinem Gewissen gegen den Kirchenraub aufbegehrte.
Wie er nun durch den Garten der Abgeschiedenen schalanzte, kam er zu dem Karner. Er lugte durch das vergitterte Fenster hinein mit seinen spitzigen, scharfen Augen, die von der Finsternis nicht gehindert wurden. Er pflegte sonst alles einzustecken, was' ihm in den Wurf geriet, aber was da drin aufgehäuft lag, war vor seinem Zugriff sicher. In dem einen Winkel blasses Gebein, Brustkörbe wie gespenstische Mausfallen, krumme Rippen, Wirbel, Schenkel und Schienbein, Fingerknöchlein wirr durcheinander, und in der anderen Ecke ein Wust von Schädeln, Hunderte-und Hunderte, nackt und kahl, zahnlos gähnend oder mit gierig bleckendem Gebiss, greinend und knöchern, grinsend und schmunzelnd, die meisten bäuerisch kugelig, doch einer darunter fremd und schmal und steil, mit hoher Herrenstirn, er glitzerte noch heimlich von einstiger Vergoldung. Wem mochte dieser ritterliche Schädel gehört haben? Ach was, wer kennt heute noch diese Köpfe auseinander, die die Totengräber im Laufe der Jahre da angeschüttet haben? Wer kann sagen, ob jener grünliche dort auf dem Halse eines Herrn oder eines Knechtes, eines reichen Schwelgers oder eines armen Lazarus gesessen, ob dieser da befohlen hat oder hat müssen gehorchen, und wer der Gewaltigste unter ihnen gewesen und wer der Niederste? Und der dort, dem Unterkiefer und Kinn abhandenkommen, ist es vielleicht das Haupt eines Geköpften? Wie heißt doch der alte, traurige Beinhausspruch?
Was ihr seid, das waren wir, was wir sind, das werdet ihr. Mensch, o Mensch, merkst du es bald, was irdisch Gut, was Weltgewalt?
Ein anderer Mann hätte sich verwundert über die Unmenge des Gebeins hier und hätte sich Gedanken gemacht, wie viel von den Toten da auf ewig verdammt wären, doch der Heigl war ein ganz Kalter und Abgebrühter, er nickte nur: »Heut bin ich noch auf der Welt und übermorgen nimmer!« und er beschloss, ehe sein Schädel irgendwo in einem Beinhaus verrolle, wolle er es sich so gut wie möglich ergehen lassen auf seinem Erdenweg und darum ohne Verweilen in der reichen Kirche um einen Zehrpfennig vorsprechen. Als rechtschaffener Mensch kannst du dich zu Tod hunzen, Heigl, und du bringst es zu nichts. Ehrlich währt am längsten, aber wer nichts stiehlt, bleibt ein armer Hund.
Wie er sich nun an sein diebisches Gewerbe machen wollte, hörte er drin im Karner etwas rascheln. Oho, da geht es unrichtig zu, dachte er. Und richtig, da stiegen zwei Jenseitige aus dem stockrabenfinsteren Winkel heraus in das schwache Mondlicht, der eine ein langer, dünner Gesell, krummnasig, ein zerbrochenes Geißhörnlein an der Schläfe, lehnte sich an die feuchte Mauer, der andere, der sich dem Hageren gegenüber auf einem gewaltigen bleichbeinernen Rossschädel reitlings gehockt hatte, hatte Luchspinsel an den spitzigen Ohren. Bei allen drei Teufeln! war das nicht der Stilzel, der so viel Redens von sich machte. im Grenzwald?
Und schon begann der Stilzel als der Klügere den Handel. »Also teilen willst du mit mir, Freund?« fragte er. »Mhä, Halbscheid! Aber ehrlich!« meckerzte der andere. Der Stilzel tappte nach dem vergoldeten schmalen Schädel und schob seinem Spießgesellen einen moosig grünen hin und sagte: »Da hab ich eine Kugel, und da hast du eine, und weil du eine hast, nehm ich mir auch eine.« Und dabei rollte er sich ein Köpflein mit einer feinen, glatten Glatze zu. So hatte er zwei Schädel zwischen den Knien, der andere, der Einfältige, ob er auch die Augen aufriss wie eine Holzkatze, hatte nur einen und begriff nicht, wie das hatte geschehen können. Und nun zahnte der Stilzel und hub den nämlichen Handel an: »Freund, du hast selber gehört, wie alles redlich und mit rechten Dingen geordnet worden ist. Und diesmal fang ich wieder bei mit an. Da hab ich eine Kugel, und da hast du eine, und weil du eine hast, nehm ich mir auch eine.« Scharf glotzte der mit den Hörnern seine wunderliche Hälfte an und schien nachzudenken, wie es komme, dass der andere ihn immer wieder übervorteile.
Aber den, der am Fenstergitter zuhörte, den stach der Haber gewaltig, und er rief in das Gewölb hinab: »Hallo, ihr zwei, wollt ihr epper Kegel schieben? Ich setz euch auf.« Da rührte sich der ganze Beinerhaufen, die Schädel begannen zu wackeln, die Rippen zu klappern. Und der Stilzel drehte ihm langsam die übergroßen Augen zu, darin Heiterkeit und Grauen zugleich waren, die brennenden Nachttieraugen, und sagte: »Was mischst du dich drein? Wir haben es vorüber, hihihi: Du hast es noch zu fürchten, Heigl!«
Ein ferner, feiner silberner Hahnenschrei scholl. Jetzt hatten böse Ieute und Zauberer ihr Amt beendet, und alles. Geisterwerk war gebrochen. Unverrichteter Dinge trabte der Heigl diesmal heim, und es unheimelte ihn an, dass der Stilzel ihn erkannt und beim Namen gerufen hatte. Die Schlüssel und Dietriche hatte er bei dem Karner vergessen.
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Wind und Sonne, Regen und Öde, das sind dem Stierhüter seine vier Wände, das ist seine Herberg, und der Himmel drüber ist sein Dach, und die Wolken sind die Schindeln daran. Sein Schlaf ist unruhig. Dr ist immer halb wach; halb im Schlaf, er dämmert. Drum träumt er viel und weiß dann nicht, was geträumt und was wirklich geschehen ist. Ein hartes Hausen hat er, den ganzen Sommer sieht er keinen rechten Menschen. Aber man gewöhnt sich an alles.
Von seiner steinigen Hochweide aus überschaute der Url fast die ganze Welt, zumindest das Waldkönigreich der künischen Bauern, das weit ins Blaue hinein grünte, und hinter einem rauen Grat zackte der Gipfel des Ossers auf, des altväterlichen Berges. Hier herauf hatte sich die Einsamkeit zurückgezogen, hier hörte der Mensch auf, und der letzte Steig verlor sich in Moos und Geröll. Und dennoch überschritt zuweilen hier über das Felsengefild des Steinernen Tores einer das Gebirg, einer, der Ursache hatte, die offene, ehrliche Straße zu scheuen. Oder es kam etwas, das übermenschlich war, vom Osser her, wo die Föhren sich nimmer aufrecken konnten zu trotzigen Bäumen, wo sie gleich kläglichen Krüppeln den Fels dahin krochen.
Der Hirt, der vor dem Url, hier gehütet hatte, hatte sich für sieben Jahre hier herauf verdingt, im sechsten Jahr aber hatte man ihn, auf einer Rohne reitend, tot aufgefunden. Der Url hatte es anfangs nicht leicht gehabt, weil der Tote sein ausständiges siebentes Jahr noch hatte abdienen wollen. Der Uri fürchtete sich vor nichts, nicht einmal vor dem höllischen Steinbock, aber damals hatte er zu schaffen gehabt, ehe er den Geist bezwungen und ihm das Hirtentum verleidet hatte.
Man sollte es nicht glauben, dass auf diesem unwirtlichen und abgelegenen Ort heroben jemals eine Glashütte bestanden hatte, aber noch gab hier allerlei Getrümmer und schwarzes Gebälk Zeugnis davon, Wust der Zerstörung, der in seiner Wildheit so lange geruht, bis ihn die Zeit wieder mit Gras zudeckte, bis die Himbeerstaude und das rötliche Weidenröslein darin nisteten, bis die Föhre, die am wenigsten zu fressen brauchte, aus dem Schutthügel wuchs. In einem der Gemäuer hielt sich sogar noch der Rauchfang als letzter Rest dessen, was einst geragt hatte; drohend hob er sich, Regen und Schnee hatten ihm den Ruß noch nicht weggewaschen. In der tiefen Schattenschlucht drunten war das Pochwerk längst erstorben. Die Zeit rinnt hin und schwemmt alles mit.
Den Url machten solche Gedanken nicht traurig. Was vergeht, das vergeht, und anderes steigt wieder auf. Er lugte zum Osser hinüber und gähnte. Er erinnerte sich der alten Felsensage. Dort drüben auf dem wilden Schriff hat vorzeiten der Osserriese sein Nest gehabt, der Berg soll sein Vater, der See seine Mutter gewesen sein. Er hat sich droben den steinernen Stuhl aufgebaut und dort den Streit zwischen Sonne und Mond entscheiden wollen. Johlend ist er auf der Schneide geritten, der Elsenschmeißer, der Eichenschleuderer. Wenn er ins Tal kommen ist und seinen Bergstock an die Petermühle gelehnt hat, hat das ganze Haus gezittert. Sein Bergstock ist eine lange Tanne samt Krone und Wurzel gewesen. Er ist noch einer von der alten Welt gewesen. Während eines schweren Gewitters ist er hin worden. Das ist alles einmal geschehen und geschieht nimmer.
Der Url kauerte nieder, er zündete eine Welle dürres Fichtenreisig an, die Mücken wollte er vertreiben. Das borstige, wettergebeizte Gesicht hatte er verschrammt und wundgehauen von der letzten Kirchweih. Mein Gott, das Eisenstraßer Bier macht rauflustig. Wer weiß, was darein gesotten ist.
Falken flogen dahin und flogen daher, die Spirken standen schläfrig auf der Halde, Grillen klirrten, da war es, als singe das Gras. Schon glühte es heimlich in der Eberesche. Wie bald ist wieder ein Sommer gar! Etliche Stiere hatten sich gelegt, andere verweilten stumpf und glotzten, einer schlürfte auf hölzernem Tränktrog, einer weidete in dem harten Gras, und ein Wiedehopf hüpfte auf seinem Rücken herum.
Plötzlich gewahrte der Hirt, dass einer aus dem Rauchfang des alten Hüttengemäuers stieg. Der Url dachte sogleich an jenen Fremden, der im Frühjahr ihm das Geläut seiner Stiere gestohlen hatte. Er hatte es tagelang dann von Dorf zu Dorf gesucht, hatte auf jedem Hütplatz gelauscht, ob er nicht den wohlvertrauten Zusammenklang seiner Schellen heraushöre. Er hatte sie nicht mehr gefunden. Nur einmal war ihm gewesen, er höre sie aus einem undurchdringlichen Dickicht herausglöckeln. Was wollte nun dieser krumme, dickschädlige Kerl dort mit der missglückten Nase und den verschmitzten Augen? Wollte er ein Tier stehlen? Wollte er den Stieren die Schwänze verknüpfen? Der Url leckte sich den Bart, der schmeckte säuerlich nach der sauren Milch. Er stand auf und schnalzte den Fremden an: »Dass du mir das Vieh nicht angreifst!«
Der Fremde kam näher. Vor dem Feuer blieb er stehen und grinste den Url mit den angefaulten Stockzähnen an. Zottig war er wie ein Geißbock, halb nackt, und es fehlten ihm nur noch die zwei Hörndeln. »Ha, wer bist denn du?« staunte der Hirt. »Hörst, bist du epper gar der Stilzel ?« ,,Hujuh!« sagte darauf der Stilzel und sonst nichts. Er redete ein seltsames Deutsch. Aber ein jeder Mensch redet anders. Und da heroben verlernt sich das Reden. »Hab von dir schon gehört, Büebel. Aber nix Gutes«, meinte der Url. »Hujuh«, sagte der Stilzel. Den Hirt verdross es. »Was stellst du dich so keck her? Dass du nur nicht eine fangst! Glaubst du, du Schnurfling, du notiger, du Erdmanndel, glaubst du, dich fürcht ich? Haha! Dass ich nicht lach! Oder willst du epper gar mit mir fingerhakeln?« »Hujuh!« nickte der Stilzel.
Das kam dem Url gelegen. Sein starker Finger war dieshalb und jenhalb des Ossers berüchtigt, keiner widerstand ihm, den Bergriesen hätte er damit über den Tisch ziehen können. Vor wilder Lust stieß er einen hallenden Hirtenschrei aus. Holla hillahooo ! Jetzt wollte er dem anderen wehtun. Den Finger wollte .er ihm ausreißen, dem Schabernacker, der ihm das feine Geläut versteckt hatte.
Sie verklemmten die Finger über das Feuer hinweg. Der Hirt zog mit aller Wut jäh an. Er staunte. War er eine Zange, so war der andere ein Schraubstock. Der drüben rückte nicht um einen Zoll, eine ungeheure Kraft war in seinem Finger. Der Url musste alles, was stark in ihm war, zusammenraffen, dass er das Spiel nicht verliere. »Büebel«, schnaufte er, »eine ewige Schand wär es, wenn ich dich nicht herüberkrieget!« »Hujuh!« sagte der Stilzel. Ein Stier trottete herbei und schaute zu, der Wiedehopf entfaltete zornig seinen rostgelben Federbusch und hupte. Der barfüßige Hirt war in seinem Eifer mitten ins Feuer getreten. Seine Sohlen waren verhornt, und er spürte die Glut nicht. Erst als es. stank, zog er den Fuß heraus. Dann biss ihn eine Flamme ins Knie. »Mehr als wehtun kann es nicht«, tröstete er sich. Sein Schweiß zischte in den Brand nieder. Der andere war stark, er hatte mehr als Menschenkraft! »Büebel, dein Finger ist eiskalt!« stöhnte er und zog und keuchte. Aber auch dem Stilzel rasselte der Kropf, und seine Augen quollen. Auf einmal krachte es dumpf. Der hohe Rauchfang hatte sich geneigt und stürzte in sich zusammen. Uralter Staub stob auf wie eine trübe Wolke. Und als wäre damit die Kraft des Stilzel zusammengebrochen, gab er nach. Und als ihn der Url über das Feuer herüberreißen wollte, zog sich das riesenhaft gewordene Auge des 'Geistes in die Ferne zurück, sein Bild vernebelte sich, löste sich langsam auf, und der Hirt stand wie genarrt da und hielt den zähen Wipfel eines Kranwitstockes in seinen Fingern geklemmt.
Seither war es bei dem Uri mit dem Hakeln vorüber. Es war, als hätte ihm der Stilzel die trotzige Kraft weggezogen, sein Finger war steif, wie erfroren, lahm, schwarz.
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Wenn im hochkünischen Land jemand noch härter lebte als der Bauer, so war das die Bäuerin. Zu ihrer Plage in Stube und Stall, zu ihrem Kummer um die nachlässigen Mägde und um den Mann, der oft länger als nötig beim Wirt vor dem staubigen Bier saß und den Henkel seines Kruges nicht kalt werden ließ, zu all dem schlug sich der Ärger mit den vielen Kindern, die auf den Hutweiden und im Wald aufwuchsen wie die wilden Tännlinge.
Ein solches gepeinigtes Weib war die Bruckerin. Ein ewiges Kindergeschrei war um sie, ihrer neun hatte sie zur Welt gebracht, das letzte zappelte noch im Wiegenstroh. Den ganzen lieben Tag drang das Gesindlein auf sie ein, keinen armen Augenblick hatte sie für sich selber übrig. Da ging es Mutter hin und Mutter her. Mutter, dreh mir das Haar, mach mir Schneckerin! Mutter schneid mir Brot ab! Mutter, ich hab das Häflein brochen, Mutter, der Thomer haut mich alleweil! Mutter, der Anderl hat in die Hosen tan! Mutter, erzähl mir vom Hahn und vom Henndel am Nußberg! Und mit einer Geduld, wie sie nur eine Mutter aufbringen kann, drehte sie der kleinen Schneckerlmadam das Haar, schnitt sie dem Hungermäulchen Brot, tröstete sie die Weinenden, wehrte sie dem Mutwilligen, hob sie das wundersüchtige Kind auf den Schoß und deutete ihm die Finger aus: »Der ist in den Wald gangen, der hat den Vogel gefangen, der hat ihn gerupft, der hat ihn braten, und der, der kleinwunzige Spitzbub, hat alles verraten.«
Aber manchmal freilich, wenn die Kinder es zu arg trieben, ging ihr der Mut aus, gehetzt ließ sie die Arme hängen. Manchmal redete ihr auch die Nachbarin zu: »Bruckerin, lass es leichter dahin gehen! Du musst die Kinder auch ein bisslein sich selber überlassen. Eine barmherzige Mutter zieht lausige Töchter auf.« Die Bruckerin gab zur Antwort: »Du hast schon recht, Veitelbäuerin. Aber wenn in einem. Haus die Gleichgültigkeit einreißt, fallen die Balken von selber auseinander.«
Der Thomer machte der Bäuerin am meisten zu schaffen, bei dem zog kein zartes und kein hartes Wort. Selten war ein Tag, wo er nicht heimlich an der Schulmeisterei vorüber in den Wald schlich, und dort fing er Zeiseln und Drosseln und jagte mit einem Prügel dem schwarzen Eichkatzel nach und schrie dabei: »Das ist der Deuxel ! Das ist der Deuxel !« und. hatte doch selber zwei höllisch schöne, kohlschwarze Augen. Und wenn er dann abends heimkam, voller Hunger, die Hosen zerrissen, da hatte er das Vaterunser und das Einmaleins vergessen, und die Mutter musste ihm die Hände falten und ihm beides wieder beibringen, und sie warnte ihn dann immer: »Wart nur, dich holt gewiss einmal der Stilzel!«
Einmal, der Tag war regnerisch, und der Nebel war so grau und so dick, dass man von der Stube aus kaum auf die Gred hinaussah, da war der Thomer nimmer zu bändigen, und wie die Bäuerin ihn die birkene Rute schmecken ließ, biss er in den Tischfuß und biss sich einen Zahn aus. »Du Zornbünkel trau mir nicht!« drohte die Mutter. »Ich trau dir!« trutzte er. Da jammerte sie: »Vor lauter Arbeit weiß ich kaum, wo mir der Kopf steht, ob vorn oder hinten, und du, du gottverlassener Bub, du willst mich noch verspotten?! Wart nur, der Stilzel springt zur Tür herein und nimmt dich in die hehr!« »Das wär mir lieb«, lachte der Thomer, »da könnt ich mehr lernen, als dir recht ist.« Und wie auf das hin sie den vorlauten Buben beim Schopf nehmen wollte, warf er sich auf die Erde hin und schrie wie am Spieß. Sie fragte verwundert: »Was tust du denn gar so wild?« Er schrie: »Weil es hilft!« »Und es hilft dir diesmal doch nichts«, grollte sie und packte den Thomer, riss schnell das. Fenster auf und hielt ihn in den Nebel hinaus. »Da, Stilzel, friss ihn!«
Draußen griff einer zu, vor lauter Nebel war er nicht zu sehen, und der Bub tat keinen Laut mehr und war verschwunden. Da schaute das Weib freilich verdutzt darein. Aber sie redete sich ein, der Knecht, der immer zu allerlei lustigen Schwänken aufgelegt war, habe draußen zugehört und habe hernach den Thomer im rechten Augenblick erwischt, ihm das Schreimaul zugehalten und ihn in .die Scheuer geschleppt, um ihn zu schrecken.
Doch der Knecht kam in die Stube und wusste von nichts. Da wurde ihr unheimlich, und sie fragte im Dorf herum, allein kein Mensch hatte den Thomer gesehen. Es nächtelte, und die Bäuerin war verzweifelt. Tagelang, wochenlang ließ der Brucker Wald und Moor absuchen, und er ließ bei den Zigeunern nachschauen, aber der Bub war wie aus der Welt herausgenommen. »Was man zum Fenster hinausgibt, gehört dem Teufel«, murmelte die Nachbarin. Und die Bruckerin hatte keine frohe Stunde nimmer, sie weinte die ganzen Nächte und gab sich die Schuld, und kein Trost fand sich hinein in das unglückliche Herz.
Nach einem Jahr, genau nach Tag und Stunde, .ging die Tür auf, und der Thomer kam herein, als ob gar nichts vorgefallen wäre. Die Bäuerin fiel ihm, schreiend vor Freude, um den Hals. »Ja, Thomer, bist du es, oder ist es dein Geist?!« Der Bub wunderte sich, dass die Mutter so ganz außer sich war. Er meinte, sie habe ihn doch erst vor einer kurzen Weile in den Nebel hinausgehängt, er wusste nicht, dass er ein volles Jahr fern gewesen, und konnte auch nicht sagen, wo er die ganze Zeit sich aufgehalten hatte.
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Der Holzhacker Sebastian Brantl war in den Seehäusern daheim. Er lebte ganz, allein für sich dahin. Sein Weib war schon längst unter die Erde eingekehrt. Am Sterbebett hatte sie lange ihre Finger betrachtet und gesagt, sie brauche sich die Nägel nicht zu schneiden, ihr breche sie die Arbeit ab Ihr Totenbrett lehnte draußen an der Steinmauer des Feldes und trug den Spruch
Schaut, ihr Lieben,
manchmal dieses Brettel an
und denkt dabei der Arbeit,
die ich für euch getan.
Die Kinder waren in die Welt hinaus geflüchtet, wo es lustiger und lauter war als in dem verlassenen Wald.
Rau war die Hütte des Sebastian Brantl, flüchtig behauene Tannen bildeten die Wände, darin noch die Seelen der Bäume knisterten, die aus dem großen Wald mit ins Haus hereingekommen waren, Stube und Kammer waren mit runden, zuweilen noch rindigen Stämmen gedeckt; durchs Dach blinzelte der Mond, und der Wind fauchte herein. In der Stube, unbeholfen auf eine Tafel gemalt, hing ein Stammbaum, ein Ahorn, an dessen Wurzel war in silberner Schrift der Name des Urahnen zu lesen, und die Blätter nannten die Nachkommlinge. Der Wurzelvater hatte drei Söhne gehabt, der älteste erbte ein ganzes Krautfass voller Silbergulden und baute, weil er einen Staatskrach fürchtete, schnell dafür ein Brauhaus auf; der mittlere erheiratete einen schuldenfreien Bauernhof, und der jüngste, der dritte, diente zwölf Jahre lang bei den Soldaten, ersparte sich dabei nur einen dicken Schnauzbart und kam barfuß, bloßköpfig und zerrissen heim, da waren für ihn nur noch zwölf Gulden in dem Krautfass geblieben, und die nahm er und ging nach Drosan und kaufte sich dort ein scherkenes Gewand, zwei rindslederne Schuhe und einen hohen Hut, steckte. sich eine Feder drein, und die zwölf Gulden waren vertan. Der war dem Sebastian sein Großvater gewesen, und aus dessen Stammbaumast wuchsen nur arme, unvermögliche Leute.
Hinter der Hütte breitete sich ein schmales, störrisches Ackerlein ans, das nichts als Steine trug, aber alle hellauf von Katzensilber glitzernd, und daneben eine Peunt voll hartes Gras; doch mit den lieblichsten Wildblumen versehen. Dem Brantl sein Herz gab sich damit zufrieden, er war noch einer von dem alten, ausgestorbenen Schlag, der nichts bedurfte als seinen Frieden. Die Seehäuser waren in ihrer Entlegenheit schier unzugänglich, und die wenigen Leute-droben auf dieser Blöße schienen von der Welt nichts mehr zu begehren und zu brauchen. Bäume umhacken ist ein gar bitteres Werk, das rotharte Holz an der Windseite war oft mit der Säge kaum zu bezwingen, und häufig mussten mehrere aus einer Wurzel entsprungene Buchen mit Ketten zusammengeschlossen werden, auf dass sie beim Sturz kein Unheil stifteten. Dabei war der Brantl einmal um ein Auge gekommen, ein Ast hatte es ihm ausgestoßen. Dazu war das Wetter in den hohen Bergen unbarmherzig, der ergrimmte Winter verschaufelte oft die Hütten bis über den Rauchfang hinaus, der Schnee fiel frühzeitig und zerrann auf der Schattenleite hier erst im Mai. Dennoch gefiel es dem Brantl da heroben über alle Maßen, und er wollte im Wald bleiben, solange der Herrgott ihn leben ließ. Hier war ihm die köstlichste Luft geschenkt, das erfrischend kühle, klare Wasser, das schöne Licht der Sonne, alles umsonst, und dann noch täglich das schwarze Brot. War das nicht genug für sein kleines Leben? Er verstand es von seinen Kindern nicht, dass sie waldflüchtig worden waren. Was focht es ihn an, wenn der Tag ihm den wilden Regen ins Gesicht schleuderte? Er lachte: »Nur zu! Weiter als bis auf die Haut traut sich kein Regen hinein. Und morgen ist wieder der Sonnenschein Trumpf.«
In grobgrauer Joppe, den Ellbogen geflickt, Baumsäge und Axt bei sich, im Rucksack Pfanne und Löffel, Brot und Schmalz, ging er in aller Früh zum Holzhau. Der Steig glänzte von splitterigem Glimmer, der Tau blühte, sanfte Schattenblumen glommen, frisches Buchenlaub funkelte, der Wind brachte in seinen Flügeln den Duft des Harzes, des geheimnisvollen Moders, der würzigen Pilze, des raschen, klarbraun dahin schießenden Wassers und den herberen Geruch des Köhlerrauches und der Ameisenhaufen heran. Sommerschwermütig glühten die dunkelfarbenen Weidenröslein, der Kranwitschnerrer sang.
Oft hatte der Sebastian Brantl seine Werkstatt dort, wo das Gebirg sein erhabenes, schwärzlich düsteres Auge zum Himmel aufschlug, bei der steilen Truhe des Ossersees. Dort bleckten dem Berg die steinernen Rippen, dort schwebten das Abbild des Waldes, auf dem Wasser, die Wipfel abwärts gezückt, und der Schatten der hochaufgeblockten, riesigen Seewand und die elfenbeinfarben gespiegelten Wolken. Und dort schaffte der Sebastian wochenlang mit seinen Kameraden, sie fällten die grünen Riesen, ästeten sie und rindelten sie ab, kloben das Holz, schlichteten die Scheiter. Der Wald nahm teil an ihren Gedanken und Gesprächen, und die Bäume lauschten und rauschten darein, und aus den Wipfeln fiel ein wunderbares, unendliches Summen. Und wie schön war dann der Heimweg, wenn das Mondlicht wie Reif an den Tannen silberte, die Berge schwarzmächtig in den Himmel drängten und ihre Gipfel sich mengten in die heiligen Sternenzeichen. Oh, der Wald kann wunderbar und weise erzählen, nur musst du ganz allein mit ihm sein!
Mit dem Winter freilich war da heroben nicht gut Kirschen brocken. Die Arbeit war härter, Blöcher mussten gezogen, vereiste Stämme auf die Schlitten geladen werden, die Sägemühlen im Tal warteten. Sturm und Schnee gebärdeten sich oft unsinnig, da musste man bauchtief waten oder auf den Schneereifen mühselig dahinstelzen. Es war ein Glück, dass der beißende Wolf und der reißende Luchs schon ausgerottet waren, denn alles Getier hungerte, und der Hirsch fraß traurig den Bart von den Bäumen. Die Seehäuser waren dann völlig von der Menschheit abgeschnitten, kaum dass der vermooste Förster oder ein Jägerbursch zuweilen zusprachen. Nur einmal klopfte nachts ein hausierender Krainer dem Brantl ans Fenster, er hatte sich verirrt und wollte wissen, wo er jetzt sei und wem die riesige ebene Wiese gehöre, die da mitten im Wald liege. Er war, ohne es zu ahnen, über den gefrorenen und verschneiten See gegangen.
Sonst kam die ganze liebe Zeit kein Mensch an dem Fenster des alten Holzknechts vorüber. Nur ein Dornstrauch schaute unverwandt in die Stube herein, dünn und halbverdorrt stand er jahraus, jahrein vor der Hütte. Er war nicht langsam unter den Augen des Holzknechtes aufgewachsen. Er war auf einmal über Nacht da gewesen. Obzwar er seltsamerweise niemals blühte -- es war ihm vielleicht da heroben zu wenig warm -, sondern nur etliche vermooste struppige Schlafäpfel zeitigte -- der Herr und Schöpfer weiß allein, wozu er solch seltsames. Zeug gemacht hat -, hatte der Brantl den Strauch dennoch gern wie einen Hausgenossen, und wenn er an ihm vorbeiging, lüftete er allweil seinen Hut und grüßte ihn, und der Dorn nickte und raschelte einiges. Das nahm sich aus wie eine verschwiegene Freundschaft zwischen Mensch und Gewächs. Aber manchmal graute es .dem Holzhacker, wenn im Mond. schein der Strauch, ohne sich zu rühren, in die Stube hereinstierte und dabei die Gestalt eines geduckten Tieres annahm. Oft zwang es den Brantl, dass er spätnachts aus dem Bett kroch und- zum Fenster hinausspähte, und draußen. stand der Strauch und lauerte. Da schlug er schnell ein Kreuz und verkroch sich schaudernd wieder unter der Bettdecke.
In diesen abgelegenen Hochstätten trug sich manches zu, was den unerschrockensten Mann könnte fürchten machen. Wie unheimlich war die feuchte Wasserschlucht, darin der weiße Klammerfall eintönig sauste! Und noch furchtbarer mutete manchmal zur Nacht einen die lautlose Wildnis an. Die Ur-sage wurde wach. Die Welt des Böhmerwaldes hatte mit dem Baum angefangen. Der Baum war zuerst ein Feind dem Menschen gewesen. Mit Fug und Recht. Ob er ihm heute freundlicher gesinnt war? Er hat keinen Grund, einen Holzhacker zu lieben. Wartete er nicht auf den günstigen Augenblick, wo er den Axtmenschen niederschmettern und mit seinem gefällten mächtigen Leib zudecken kann? Und dort aus dem Seeloch drüben dampft weißer Nebel. Dort treiben. oft polternde Geister ihr Unwesen, schreien uralte Stimmen aus den Felsen. Den Ödsee haben die vergangenen Leute jenes gewaltige Wasser geheißen. Was mag sich dort schon begeben haben und all- weil noch heimlich abspielen? Einmal, als hier noch Bärenland gewesen und die Passauer das Gebirg nach eisernem Erz durchschürft hatten, waren zwei Bergleute zu dem verlorenen See hinaufgegangen, der so tief ist, dass die Fische auf seinem Grund keine Augen haben, und der eine Gesell wirft in seinem Frevelmut einen Tannzapfen hinein. Sofort erhebt sich das Wasser und schäumt und teilt sich, der Teufel selber fährt heraus in einem schwefelgelben Kirchenmantel, einen zerbrochenen Becher in der Hand, er hat gerade drunten seine schwarze Messe gelesen. »Wer hat mir den Kelch zerschlagen?« schreit er und reißt den Bergmann mit sich in den Ödsee hinunter.
Das mag wahr sein oder auch nicht. Aber der Brantl hat selber das Seinige erlebt, und das lässt er sich von niemandem abstreiten. Einmal haben die Holzhacker am See die gestürzten Bäume abgeästet, und da ist dem Thomas Linzmaier der Stiel aus der Axt gefallen, und das hat ihn arg verdrossen, und er schreit gegen die Seewand: »Das hab ich nur dir zu verdanken, du verdammter Stilzel!. Und der Widerhall nimmt den Namen Stilzel auf, und er stößt von einem Felsen zum andern und verliert sich zuletzt in dem finstersten Winkel im Wald. Und auf einmal lehnt einer an dem Steinriegel, ist fremd, hat ein Gewand aus grauer Rinde an, hat die Hände auf dem Rücken, redet nichts, deutet nichts, schaut die Männer nur starr an. Da sind, sie damals alle fortgerannt, haben gefürchtet, dass er sie hineinreitet in den See. Der Thomas Linzmaier ist bald hernach gestorben. Und wie der Brantl nachts von der Totenwacht heimgeht, streift ihm im mondscheinigen Wald etwas Entrisches den Hut vom Kopf. Und gleich darauf bricht irgendwo ein wildes Gelächter los, und ist doch keiner zu sehen, der da gelacht hätte, hinter keinem Baum und in keinem Gipfel. Das hat der Brantl erlebt, und darüber könnte er ein Juramentum ablegen. Und wie er damals heimkommt, hängt das uralte Gesicht des Mondes zwischen den Fichten und schaut seine Hütte an, aber der Dornstrauch vor dem Fenster ist nimmer da, ist an seiner Stelle nur ein schwarzes Loch zu sehen, als ob ihn jemand ausgegraben hätte. Aber am andern Morgen steht er wieder dort und klappert mit den moosigen Schlafäpfeln, als sei gar nichts vorgefallen. Das alles hört sich sonderbar und fast unglaubwürdig an. Es ist aber einmal so und gehört einmal zu der einsamen Welt da heroben und ist ihre andere Seite.
So gingen dem Brantl die Jahre zwischen Waldfreude und Geheimnis dahin, und langsam meldete sich die Totenuhr im Gebälk. Der gesegnete, baumfeste Schlaf wich von ihm, alle Nacht lag er mit offenen Augen und wünschte den Tag herbei, und wenn der Tag da war, wünschte er ihn wieder vorüber. Der berittene Pfarrer von Eisenstraß kam und reichte ihm den letzten Seelentrost. Aber er starb nicht und konnte nicht sterben, so sehr er auch danach begehrte, und so herzlich er auch Unsere Liebe Frau bat, sie solle ihn zu sich nehmen. Man glaubt nicht, wie zäh eine Wäldlerseele ist und was sie aushält. Schlimm war nur, dass der Schlaf, der sonst dem Holzknecht den mühevollen Tag so selig abgelohnt hatte, ihn zuletzt auch noch hatte im Stich gelassen.
Aber einmal in der Nacht richtete sich der Kranke im Bett auf, und wie er durchs Fenster schaute, merkte er, dass der, Dorn draußen wieder wie damals in der mondscheinigen Nacht verschwunden war. Und zugleich knarrte die Tür, und einer huschte herein, von oben bis unten in Rinde gekleidet, in der Hand einen Schlafapfel, und den Kopf selber so zottig und wüst und verwildert wie diese moosige Frucht. »O weh«, seufzte der Holzhacker, »so hast du dich verstellt, dass ich dich mein Lebtag für eine Staude gehalten hab, und du hast mir allweil in die Stube geschaut, und ich hab es nicht gefühlt.« Der Stilzel raschelte einen Schritt näher, da klagte der Brantl: »Der Mensch, ehe er stirbt, muss seinen bösen Geist anschauen, heißt es. Aber bist du mein böser Geist gewesen, Stilzel?« Der Stilzel trat ganz nahe an das Bett heran und sagte: »Sei stad, Wastel!« und er legte ihm den moosigen Apfel unter den Kopfpolster und huschte wieder davon.
In der nämlichen Nacht schlief sich der alte Sebastian Brantl sanft in die Ewigkeit hinüber.
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So geschehen in dem Land, wo es keine Pferde gibt, nur lauter Rösser.
Kniete da einer zu Sankt Katharina auf den Beichtschemel lein, drehte eine fuchsene Pelzmütze in den Händen, trug im linken Ohr ein Ringlein mit einem Mohrenkopf, gab sich alle Mühe, als ein ehrlicher Mann zu erscheinen und sah dennoch nicht lieblich aus, man möchte ihm nicht gern auf einem öden Waldsteig begegnen, war aber durchaus kein Kirchenlicht, was sich bald herausstellen sollte. Er schaute eine Weile dem Geistlichen ehrlich und andächtig ins Auge, und hernach fragte er: »Nix für ungut! Seid Ihr der neue Pfarrer?« »Das meine ich«, sagte der Geistliche. »Und wer bist denn du, wenn man fragen darf?« »Ihr dürft fragen, Hochwürden. Ich bin der Lumsch. Hinter Ritzenried bin ich daheim. Mein Weib ist die Lumschin. Beichten möcht ich halt.« »Das ist löblich von dir, Lumsch. Also schieß los!« Aber der Lumsch war noch lange nicht mit seiner Wissbegier fertig. Er sah den Beichtiger dummpfiffig an. »Herr Pfarrer, habt Ihr noch nie ein Ross gestohlen?« »Meine liebe Seele hinter Ritzenried«, lachte der Hochwürdige, »beichtest du oder soll ich beichten?« Nun bog sich der Lumsch verschämt und verschmitzt hin und her, rieb die Achsel an dem Beichtstuhl und hub dann hübsch vorsichtig an: »Hochwürden, wisst Ihr, dass in Viechtach der Teufel einen Kaplan geholt hat? Derselbige Kaplan hat einen Rossdieb verraten, der ihm gebeichtet hat.« Der Pfarrer blinzelte das Beichtkind seltsam an. »Das ist mir, neu«, sagte er, »das glaub ich nicht. Ein Geistlicher riecht nach Weihrauch, und den Weihrauch scheut der + + +, weil er davon Kopfweh kriegt.« Der Lumsch kratzte sich hinterm Ohr und stand auf. »So so, Hochwürden, das glaubt Ihr nicht? Dann geh ich halt nach Rotenbaum beichten. Der Pfarrer dort ist gläubiger.« Der Lumsch trabte also gegen Rotenbaum, und wie er dabei innig darüber nachdachte, wie notwendig es sei, dass die Beichte ein Geheimnis bleibe, und wie gut es seiner Seele tun werde, wenn ihr wieder einmal der Ruß herunter gewaschen werde, da sah er auf einmal mitten im Wald auf einem Wiesenfleck ein wunderschönes Ross grasen. Kein Hirt und kein Reiter waren da in der Nähe. Dem Lumsch erglosten die Augen. Er kannte alle Schimmel und Schecken, alle Falben und Füchse und Braunen weit und breit, alle Rossgärten dieshalb und jenhalb der Grenze hatte er ausgekundschaftet, aber der Rappe da mit dem hochmütigen Gesicht und der spiegelblanken Haut, dem kohlschwarzen Stirnschopf und der seidenen, langhin wehenden Mähne war ihm fremd, und er war so edel und kräftig und so wunderschön gebaut, wie er noch keinen gesehen und auch noch keinen gestohlen hatte. »Er wird sich von weither verlaufen haben«, dachte er. »Nun, je weiter, je besser !' ` Und er nahm sich vor, den Beichtgang auf die nächste Woche zu verschieben und dafür die Gelegenheit bei der Mähne zu nehmen und das herrenlose Räpplein nach Nürnberg auf den Rossmarkt zu reiten. Und so schlich er mit einem Büschel der würzigsten Gräser an den Gaul heran, und als er ihn damit kirre gemacht hatte, sprang er auf ihn hinauf, nahm ihn zwischen. die Knie und schnalzte mit der Zunge. Das Tier folgte willig, und es war eine Lust, es zu reiten, und es tat dem Lumsch nur leid, dass ihn die Lumschin nicht auf dem prachtvollen Rappen sitzen sah. Er kannte alle Schliche und Schlupfwege, wo man nicht erwischt wird, und hoffte, es werde sich alles glatt abwickeln und nach Wunsch gehen. Also in Gottes Namen wioh!
Als der Lumsch durch einen Forst bei Grasfilzing ritt, wurde ihm plötzlich vor Schrecken die Nase. bleich. Er spürte, hinter ihm saß einer auf dem Rappen, und schon legten sich zwei eiserne Arme um ihn, und sie spannten sich knorrig und grob vor seine Brust mit der Kraft einer Eichenwurzel, die nicht zu sprengen ist. Da musste er stillhalten. Und hui! tat der Gaul einen Sprung, als wolle er über die Wipfel der Föhren hinwegsetzen. Da wusste der Rossdieb, dass das Räpplein im Stall des Teufels gezüchtet worden, und ihm wurde angst und bang. »Lass aus, Stilzel !« bettelte er. Aber der hinten hörte nicht. Und nun polterten sie dahin durch die dicke, gefährliche Wildnis, und die Dornbäume kratzten wie Wildkatzen dem Lumsch ins Gesicht, und er duckte sich, dass ihm nicht das Geäst den Schädel vom Leib reiße, und hielt sich an dem Hals des tollen Rosses fest. Und kaum hatten sie das Dickicht verlassen, kamen sie an die reißende Donau, und der Rappe warf sich hinein und schwamm und tauchte, und es hätte wenig gefehlt, so wäre der gute Lumsch ersoffen. Und die Wolken fielen nieder und wurden Nebel, und es nächtelte schnell, und sie ritten über eine endlose Au mitten durch tausend aufgeregte Irrlichter und sprengten plötzlich durch ein lichterloh brennendes Dorf. »Lass aus, Stilzel, lass aus!« schrie der Lumsch, aber der Wicht hinter ihm kicherte nur, und des Teufels Tier wieherte wie zum Spott. Die Nacht wurde immer finsterer und finsterer, Weg und Steg war nicht mehr zu sehen. »Einerlei«, seufzte der Lumsch. Es ging doch augenscheinlich auf der gestrackten Straße zur Hölle. Er schwitzte kalt, und er schwitzte heiß und so viel, dass er meinte, er werde in seiner Sterbestunde kein Tröpflein Schweiß mehr hergeben können. »Lass aus, du Schelmenhals!« brüllte der Lumsch. Aber wilder schleuderte sich der Rappe in die Nacht, und der Wicht krächzte etwas und presste den Dieb, dass er ihm fast das Kreuz abdrückte:
In der Frühe, als es. licht wurde und der Lumsch meinte, nun müssten sie bald am Ende der Welt und müsste alles aus sein, da lösten sich langsam die Wurzelarme von seiner Brust, der Quälgeist glitt von dem Ross herunter, und ehe der Lumsch sich verwusste, hielt der Rappe mit ihm vor der Kirche zu Sankt Katharina. Und der geistliche Herr stand im Tor und staunte: »Lumsch, um Gottes willen, was für einen Häuter bringstdu uns daher?« Und wie der Dieb vom Rosse heruntertaumelte, ganz gerädert und zerschunden, beklommen und das Hirn benommen, und sich das Tier ansah, o pfui Teufel! war das der herrliche Renner von gestern? Eine krämpfige, räudige, jammerdürre Mähre, vorn knickebeinig, hinten fassbeinig und spatig, mit hässlichem Hirschhals, besudelt die Flanken, als ob sie in einem schmutzigen Stall sich gewälzt hätte, vor dem rechten Auge ein graues Fell, an einem Hinterfuß statt des Hufes eine Kuhklaue, lehnte sie matt an der Friedhofsmauer und röchelte. Das ganze Dorf lief zusammen und wunderte sich und lachte über die Schande des alten Roßdiebes. Das lebende Aas brach zusammen, es fletschte sein bleiches Gebiss, ein Schwarm Schmeißfliegen umsummte es gierig, und es stank eine Weile gar ungeheuerlich, so dass es niemand aushielt und alles flüchten musste, und auf einmal war es nimmer vorhanden. »Der Stilzel, der hinterhältige Fuchs!« weinte der Lumsch. »Was hab ich ihm getan, dass er mich so betrogen hat? Gemartert hat er mich, es ist ein Wunder, dass ich noch ausschau wie ein Mensch.«
Der Pfarrer fragte ihn, ob er nun doch bei ihm eine reuige Beicht ablegen und aus einem rotgesottenen Sünder in ein schneeweißes Unschuldskindlein sich wandeln wolle, und er räumte ihm im Beichtstuhl gründlich das Gewissen aus und drohte ihm: »Hüt dich! Du meinst, der Teufel heißt Michel und flickt alte Zipfelmützen. Irr dich nicht in ihn! Der Spitzbätrtelbub schaut dir bei jedem krummen Griff über die Schulter. Und versprich mir, dass du kein Ross mehr stiehlst!« »Ich verspreche es, dass ich kein Ross niemals nimmer nicht stehlen will«, sagte der Lumsch, dabei dachte er sich heimlich: Und zum Halten ding ich mir einen Tiroler.
Der Lumsch konnte von seiner Gewohnheit nicht lassen und endete deshalb auf dem Rabenacker zu Amberg.
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Öd und abgelegen ist das Rosseisenkirchlein auf seinem Hügel erbaut. Sankt Lenhart haust drin, vom Herrgott bestellt, dass er die Hände halte über das Vieh des Bauers. Hätte der Stilzel noch zur rechten Zeit hierher sich gekehrt, und wäre der Verblendete, statt seinen Gaul zu Tode zu hetzen, demütig und gläubig um das Kettenkirchlein geritten, wahrlich, er hätte ja einen so sündigen Hintritt genommen und brauchte Jetzt nicht friedlos als verzweifelter Geist außerhalb der Ewigkeit herumzuirren und die Lebenden zu verstören! Denn der heilige Lenhart setzt vieles durch. Er ist ein hochmächtiger Fürbitter droben. Von goldenen Bienen umwölkt, lauscht er am Himmelsfenster zu seiner Kapelle hinunter, dahin weit aus Böhmen her und weit aus Bayern herein das bäurische Volk sein mühseliges Herz und seine Kümmernis trägt, wenn die Kuh im Stall, wenn Schaf und Geiß krankt, wenn das Ross taumelt oder der Imb im Korb von der Pest ergriffen wird. Doch ist er auch der Schutzherr der rüstigen Schmiede und der Eisenheilige, der den Gefangenen die Ketten löst. Und einmal im Jahr, am zweiten Ostertag, sprengen die Burschen des Bauerngaues rings die geputzten Gäule festlich um das Hübelkirchlein, opfern die Landleute, eisernes Getier, und es lärmt und braust und wiehert und orgelt einige Stunden lang, und hernach ist es die ganze liebe Zeit hier wieder still und verlassen, und selten nur treibt es einen einsamen Beter her, vor des Bischofs Lenhart Altar das versorgte Herz auszuschütten, oder schleicht sich verstohlen und verschämt ein überständiges Jüngferlein ein mit der Bitte, der Heilige möge ihr schleunig einen Mann zuschicken, einerlei ob krump oder gerad, auf dass sie nicht übrig bleibe. Nun ja, auch solch kitzlige Besorgung fällt in das Amt des vielseitigen Sankt Lenhart. Es ist ungewiss, wie die fromme Stätte hier entstanden ist. Vielleicht haben die Jäger der Vorwelt hier das wilde Ross gejagt und dessen Fleisch, das sie für rein gehalten, den alten Göttern geweiht und ohne Scheu gegessen. Oder hat dieser Hügel die Tiere mit geheimnisvoller Gewalt hergebannt und wälzte dort sich das vormals in der Wildnis frei schweifende Pferd, bezaubert von dem Böden, der ihm wohltat und den es voll heilbringender Kräfte ahnte. Vielleicht aber ließ sich auch, als der Heide sich längst dem Heilbrunn der Taufe geneigt hatte, ein in der Wildnis des Chodenbaches verirrter Ritter von seinem Tier führen, um einen Ausweg zu finden, denn die Rösser wittern die milde, offene Weide und die würzigen fließenden Brünnlein, und der Gaul trug ihn auf diese sanfte Schwellung des Bodens hinauf, von wo aus er die rauchende Köhlerstätte oder das rettende Dorf schaute, und er nagelte zur Kennung zunächst in den nächsten Baum dort ein Hufeisen oder splitterte mit dem Schwert das Zeichen des Kreuzes darein und baute später eine hölzerne Klause und, schließlich die Steinkapelle. Wie dem auch immer gewesen sein mag, heute In der veränderten Zeit ist das alles vergessen.
Der Mesner Sepp trat einmal spätnachts aus seiner modrigen schiefen Hütte, die neben dem Gotteshaus wie ein treues, aber schon gebrechliches Wachhündlein geduckt lag. Er wusste nicht, was ihn geweckt hatte. Alter Leute Schlaf währt nicht lange, und die Erinnerungen des vergangenen Lebens spielen. darein, flechten ihre Schattenbilder hinein und machen ihn Unruhig. Über dem Sepp zog der himmlische Heerweg hin, mit glosenden Sternen gepflastert. Er hörte den Chodenbach drunten rauschen und raunen, der rann aus dem Wald heraus, nie Sägmühle schlief. Schwarz lagerte der Schwarm der Berge, der finster hingezogene Rantscher, der gebäumte Steinwald, die Plattenhöhe, der wölbige Gewinzing, wie schwere, nachtrastende Stiere waren sie zwischen den Sternen hingestreckt. Die fernen Dörfer waren in dem Dunkel verloren, kein Lichtlein verriet sie. »Heut ist die Gertraudisnacht, da legen die Hennen die schönsten Bier«, nickte der Kirchensepp sich selber zu. Und als wollte ihm jemand die Zauberkraft dieser Stunde bestätigen, sauste der Wald am Steig drunten verhalten auf. Die Tannen und die Läuber reden miteinander, und Baum begreift den Baum, und in der Nacht spricht alles viel eindringlicher als bei Lichten, Quelle, Bach, Gras, Getreid und Dickicht, und alles, was da gewispert und geraunt wird, birgt in sich einen seltsamen, tiefen Sinn. Und wer in der Nacht das Rauschen des Waldes versteht, der hört auf die andere Seite des Lebens hinüber. Wenn der Wind sich rührt, rauscht die Ewigkeit. Und die Ewigkeit ist ganz anders als die irdische Zeit, die keine Ruhe und keine Rast kennt. Aber was sie ist, kann keine Zunge sagen, denn sie ist gleich dem dreifaltigen Herrgott ein unergründliches. Geheimnis, davor der Mensch zurückschaudern soll. Solches dachte der Kirchensepp in der Gertraudisnacht. Alte Mesner sinnieren viel.
Auf einmal aber riss er die verschlafenen Augen weit auf und erschrak, dass ihm fast das Blut in den Adern kalt wurde. Aus den schmalen, spitzig gebrochenen Fenstern der Kirche stieß schneidend ein gelbes Licht in die stockfinstere Nacht hinaus, und drin in dem Gebäu hub eine hohe, heisere Stimme zu litaneien an, und verworrenes, eintöniges Summen antwortete. Wer hat ohne Wissen und Willen des berufenen Mesners da drinnen das Wachs angezündet? Welche Wallfahrt hat es denn so überaus genötig, dass sie Nächtens in das Einödkirchlein einbricht? Ist gähes Viehsterben los? Hat die geistliche Behörde eine Mitternachtsmette angeordnet? Oder -- ? Holla!
Der Sepp legte bedenklich den Finger vor die Nase und runzelte die Stirn. Oder ist es gar keine irdische Gemeinde, die sich da zusammengefunden hat?
Der Alte traute sich nicht, weiterzudenken. Aber er holte die Feuerleiter von seinem Dach und lehnte sie an eines der unheimlich leuchtenden Fenster. Deutlich hörte er, wie drinnen dumpfe Munde ein Lied anfingen, das hierzulande schon längst nimmer gesungen wurde.
Sünder, sieh die Berge trauren,
Felsen selbst und harten Stein!
Soll dir drob das Herz nicht schauren
ob der unerhörten Pein,
die der Krist gelitten hat
bis hinaus zur Schädelstatt?
Und jetzt lauerte der Sepp in die Kirche hinein, und ihm graute. Uraltes Volk in verjährter Tracht, längst dahingestorbenes, aus den Reihen der Vorgeschlechter erlesen; weilte drin, doch daneben auch Leute, die mit ihrem Wandel dem Sepp einst wohlvertraut gewesen und die er zur Grube begleitet hatte, die aber jetzt, da sich die Wand des Todes zwischen ihn und sie geschoben, von einer kalten, wilden, ja gefährlichen Fremdheit und Gleichgültigkeit zu sein schienen. Jeder hatte ein Wachslicht vor sich brennen. Wie verzaubert glänzte das Glas der Gottesplagenbilder von den Mauern, steiler bäumte mich der Bischof an der Altartafel, vor sich die unverrostbare Kette, aus nimmerbräuchlichem silbernem Münzwerk geflochten, zur Seite die benedeiten Bauernfreunde Wendelin und Isidor mit Lamm und Ochs. Unter dem Gebälk des Orgelchores die gemalten Danktäflein, darauf das Vieh ehrfürchtig in die Knie fällt, und auf dem Tisch das eiserne Opfergetier, kurzbeinig, flach und fast marderartig lang ausgehämmert. Am Altar aber brannten die Kerzen mit stillen feierlichen Flammen, und davor geisterte ein fremder, grauköpfiger Pfarrer in goldgesticktem Mantel und hob mit entfleischten, grässlichen Händen den Kelch. In der vordersten Bank saß, die geschienten Beine steif von sich gestreckt; ein Herr mit rötlich-grauem Bart, bedeckt mit einer ehernen Ringelhaube, eisenbeschuht die Faust, das Kinn auf den Knauf seines Schwertes gestützt. Der mochte bei Lebzeiten wohl ein Ritter der jetzt verfallenen Burg Bayreck gewesen sein, vielleicht der Knochenbrecher, der den Kaufzug im Angeltal gefährdet hatte, oder gar jener Sagenritter selber, der, aus feuchtem Felsverlies entronnen, seine Ketten an einer Staude des Lenharthübels aufgehängt und hernach die Kapelle gestiftet hatte. Und neben dem Bayrecker weilte der Dreiherr Kotz, der die Inselfeste Unterneuem erbaut hatte, er war aus seiner Gruft unter der Thomaskirche gestiegen, die Augen hielt er verschlossen, einen zerbrochenen Degen zwerch über den Knien, sang er leidenschaftlich, und vor dem Atem seines Liedes bog sich das Licht auf dem tief herab geschmolzenen Stümpflein zurück. Neben dem Freiherrn saß vornehm aufgerichtet, perlenbekrönt und bekränzt, in grauer Seide, mit blauen, milden Augen eine Edelfrau und so schön, dass es einem leid tat, dass sie hatte sterben müssen. Und in den andern Bänken waren zu schauen, die reichen Papiermüller und die stolzen Glasherren und die herrischen Richter und Freibauern des künischen Gaues mit ihren Bäuerinnen, die groben Roderhände fromm gefaltet, die Gerle, Joachimsthaler, Eisner und. Poschinger, wie man sie heute noch auf bröckelnden Bildern sieht, und neben ihnen verwegene Bärenjäger von einst und heute, die vor urdenklicher Zeit Perlen gefischt in den Angelwassern oder Eisen gebrockt aus den künischen Felsen und Hammerwerke betrieben, und siehe da, mitten drunter die ehrbaren Kuhtriftmüller, Ähnel und Enkel, hernach der Bärenhäuselmartin, der jedes Kräutlein mit Namen und Wirkung gekannt, das Gott im Gebirg hat grünen lassen, und dann Pechbrocker und Holzknechte und waldwilde Stierhüter und dort gar der weithin geachtete Klausenbauer, bei allen Umgängen hatte er die Kirchenfahne getragen, und als er schließlich betagt und gelähmt war, hatte er sich siebenmal in der Woche vor den Altar tragen und dort speisen lassen, so sehr hatte er sich vor dem letzten Gericht gefürchtet. Und -- schau! schau! -- dort auf dem Bänklein kniet der verwitterte Hausierer Hiermann bei seiner Krax, und jetzt schnappt er just heimlich sein Schnupftabakstrühlein auf und tappt hinein. Der Herr schenke ihnen allen. die Seligkeit in jener Gestalt, wie sie es sich selbst wünschen!
Doch wie im frommen Weizen das Unkraut hochschießt, so war auch hier -- Gott sei es geklagt! -- verrufenes Volk in ziemlicher Menge vorhanden, so der vertrunkene Einöder von der Zahnhütte, den die wilde Jagd vertragen hatte, der Schlangenbanner Quinn, eine Otter ringelte sich in seinem Schoß hoch, der Lenz von Kohlheim, der in der Christnacht den geistlichen Hasen geschossen, und dort, gedrängt im unruhigen Schatten, lauerten die Kruzen, jene fünf Brücder, die Räuber des Grenzwaldes, die wegen ihrer Grausamkeit so gefürchtet waren, dass die Leute, die ihnen begegneten, tot hingestürzt waren vor Schrecken. An der Orgel droben bückte sich ein Verkrümmter über die Noten, und die Pfeifen versagten, die tauben Tasten klapperten gräulich, und ein .hagerer Helfer leuchtete mit lodernder Fackel zu dem vertrackten Spiel. Wer aber war das hastige, flackernde Wesen, das von Bank zu Bank huschte und mit dem Klingelbeutel in zuckenden. Gebärden das Opfer einzog? Eben fing er mit kunstvoller Wendung den Taler auf, den ihm der Freiherr Kotz zuwarf.
Droben um den Wipfel des Altars irrte eine verstörte Fledermaus, und sie senkte sich in stürzendem Flug und drohte die Kerzen umzustoßen, und einer der Kruzen hob die Pistole und zielte nach ihr. Und drunten, flackernd wie der Schatten der flatternden Maus, gaukelte der Klingelbeutler herum, sein
Glöckel zirpte, sein Schädel war zerrauft, seine Gebärde verrenkt und höhnisch, sein Gang nicht züchtig und keineswegs demütig und kirchlich ehrbar, wie es der Brauch begehrte. »Wer pfuscht mir da ins Amt?” murmelte der Sepp draußen auf der Leiter. Der Unfug verdross ihn mächtig. Und als habe das Gaukelmännlein drunten den Unwillen des Mesners gefühlt, hob es den Kopf und sah nach dem Spitzfenster und zwinkerte dem heimlichen Lauscher zu. Oh, es waren zwei verschlagene, hämische Äuglein, und die breite Nase dazwischen war bübisch gestülpt, das Maul griff von Ohr zu Ohr, und auf einmal waren die Augen so groß wie zwei Pflugräder, und der unheimliche Kerl wuchs immer höher und höher und bis zum Fenster herauf und schwenkte dem Sepp das Beutlein vor der Nase herum.
»Der Stilzel!« schrie der Kirchenmann entsetzt, und schnell rutschte er die Leiter herunter. Aber er fasste sich gleich wieder. Er hinkte zum Tor hin. »Hüt dich, du Mesner des Teufels! Mit dem Weihwedel leucht ich dir heim!«
Das Tor war mit Ketten berüstet und mit etlichen hundert Rosseisen benagelt. Durch das Schlüsselloch, durch die Klunsen des zersprungenen Holzes schimmerte das Licht heraus, die Gebete brausten sanft und tief, die Tasten der Orgel schepperten gespenstisch nüchtern. »Wenn ich mich jetzt hinein traue, zerreißen sie mich in Fetzen«, murmelte der Sepp. Aber sein Herz wurde plötzlich so starr und so trotzig, wie es sein Leben nie gewesen. »Per Christum Dominum nostrum!« brüllte er und riss das Tor auf.
Dunkel und Totenstille im Kirchschiff. Alles leer. Nur das ewige Licht zuckte schüchtern.
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Beim Hinterbartelhuis hielt sich kein Knecht und keine Dirn, und Bauer und Bäuerin hätten aus lauter Verzweiflung oft am liebsten selber den Hof angezündet und wären davongelaufen. Das kam davon, weil der Stilzel diese Einöde besonders aufs Korn genommen hatte und die guten Leutlein dort bis aufs Blut neckte und bedrangsalte. Er löste oft nachts im Stall dem Vieh die Ketten und trieb es auf, und kam der Bauer daher, im nachzuschauen, was das Gepolter bedeute, fand er Tor und Tür offen, und die Kühe biesten aufgeregt im Mondschein um den Misthaufen herum und waren kaum zu beruhigen. Der schadenfrohe Waldgeist trieb Unfug wie die Burschen in der Freinacht. Wenn der Hinterbastelhuis mit seinem Gesind die Hochwiese am Brückel mähte, zerlegte der Stilzel drunten den Heuwagen und stellte ihn in der Stube wieder zusammen, dass die Deichsel zum Fenster hinausstand, er ließ sich in seiner Schalkheit die große Mühe nicht verdrießen. Im Winter stellte er den Schlitten aufs Dach und belud ihn dort mit Dung, oder er trug das Häusel auf den Giebel hinauf, und die Leute wussten in ihrer Not nicht wohin. Den Melkkübel hängte er hoch auf einen unersteiglichen Baum. Die Tür verschichtete er mit Scheitholz, dass man in der Früh zum Fenster hinaus musste. Den Knecht im Bett kitzelte er an den Fußsohlen, fast wäre dieser vor Lachen gestorben, der Magd zog er die Decke weg, und wollte das Bauernbüblein sich in der Nacht auf die andere Seite legen, so rollte es der Stilzel über den Bettrand hinaus, dass es schreiend auf dem Fußboden erwachte. Und dabei lachte es immer hell auf, doch unsichtbar. Der Ähnelfrau verwirrte der Wicht das Werg am Rocken, so dass es nimmer gesponnen werden konnte. Die Melkerin warf er samt dem vollen Kübel um, und es half nichts, dass einwandernder Kapuziner das Gehöft aussegnete.
O Gott, du Herr und Meister
über alle Geister,
vertreib aus diesem Stall
die argen Geister all,
die Hexen und di. Druden heint,
den Stilzel und den bösen Feind!
Einmal badete der Stilzel in seiner Bosheit mit seinen kotigen Füßen im siedenden Topf am Herd, dass die Suppe überlief, schmutzig und pechig, und allen grauste davor, und niemand wollte einen Löffel davon essen. Damals drohte der Bauer ihm ganz gewaltig, doch was half es? Tagsüber ging es am Huisenhügel, wo sich das Gelichter der Geister aufhielt, überlaut zu, man hörte sie dort trommeln und blasen und lärmen, und am andern Morgen, als der Hinterbartelhuis erwachte, war in seinem breiten Brustbart ein Drudenzopf geflochten, und weil die Bäuerin trotz aller Geduld ihn nicht aufzöpfeln konnte, musste der Balbierer aus Eisenstein kommen und den wunderschönen Bart wegschneiden. Bei Gott, das Brotessen am Hinterbartelhuisenhof war nicht leicht.
Einmal im späten Herbst, der Mond nahm gerade ab, lag der Bauer auf der Ofenbank. Er war in keiner guten Laune, denn er hatte sich heute wegen seines dicken Blutes zur Ader lassen, und dazu hatte der Stilzel im Wald dem. Ross den langen
Schweif abgezwickt. »Er tut mir alles zu Trotz und zu Neid!« lamentierte der Hinterbartelhuis. »Tausend Gulden geb ich gern her, wenn mir einer den Geist vertreibet.« Abends hinter Lichten, da sich die Sonne zur Rast gesetzt hatte und im Ofen die Scharten krachten, klopfte einer mit dem Stecken ans Tor. »Geh, Weib«, sagte der Bauer, »der Fleischknecht von Neuern ist drauß. Sag ihm, heut ist mir kein Ochsel und, kein Kaibl feil. Ich will meine Ruh haben.« Die Bäuerin leuchtete mit dem brennenden Span zur Tür hinaus. Draußen war kein Metzger, der ins Gäu ging, sondern ein Fremder mit einem großmächtigen Bären, den er an einer Kette hinter sich herführte. Der Mann hatte schlaue, schiefe Augen und ein überstülptes Näslein und sah schier wie ein leiblicher Bruder des Stilzel aus. Er trommelte ein bisschen auf seiner kleinen Handtrommel und bat, man möge ihn mit seinem Tier da im Stall übernachten lassen, es herrsche eine harte Kälte, und der Erdboden sei gefroren. »Nein, nein«, sagte das Weib sogleich, »du könntest der Stilzel selber sein und wer weiß was für einen neuen Possen tun. Wir haben schon an dem alten übergenug.« Und der Bauer drin rief: »Da wird nix draus. Ich habe den Stall voller Vieh. Schraub dich davon!« Der Bärentreiber legte die Hand aufs Herz und beteuerte: »Bär hat Ring in Nase. Bär tut nix.« »Oho, mit eisernen Handschuhen muss du ihn füttern!« sagte der Hinterbartelhuis. Der Fremde war aber ein gar armer Schlowak, sein Beutel war mehr mit Kupfer als mit Silber ausgestattet, und er bettelte gar beweglich: »Bär ist gut, Bär beißt nit, Bär frisst nur Gras. Bittschön, nur kleines Winkel im Stall! Welt ist kalt.«, Und da gaben die gutmütigen Waldleute endlich nach.
Als der Schnauzbär in den Stall hinein trottete, wurde es drin unruhig, das Ross schnob und stampfte und bäumte sich an der. Raufe, die Rinder drehten ängstlich die großen Köpfe, zerrten an den Ketten und brüllten, die Geißen meckerten gar kläglich. Trotzdem dass keines von ihnen jemals einem Bären begegnet war, witterten sie doch aus tiefem Urtrieb heraus den Feind, der ihre Ahnen gefährdet hatte. Der müde, todmüde Bär aber trabte gleichmütig an dem aufgeregten Vieh vorbei, froh, dass er eine warme Herberge gefunden hatte, und legte sich sogleich in einem Winkel zur Rast. In jener Nacht schliefen die Haustiere nicht.
Nicht lange stand es an, da schlüpfte der Stilzel in den Stall herein. Es kam ihm wohl gleich seltsam vor, dass heute der Birger, der braune Ochs mit dem weißen Streifen längs dem Rücken, verkehrt vor dem Born stand, und dass der alte Bock, der sich in der Pfarre des längsten Bartes rühmen konnte, so närrisch an seiner Kette herum hüpfte. Doch setzte er sich rittlings auf den Melkschemel und zipfelte sich die Milch einer Geiß .ins Maul, und hernach grunzte er behaglich und wollte, wie er es gewohnt war, sich für eine Weile in den Winkel hinstrecken. Allein dort lag schon etwas Plumpes, Pelziges und schnarchte. Der Stilzel stieß ihm die Fersen in die Weichen und sagte: »Katz aus!« Das fremde Wesen aber wich nicht, es murmelte nur ein bisslein wie im Traum. Da trat der Stilzel ärger zu. »Katz aus, sag ich!« Darauf erhob sich im trüben Licht der Stalllaterne das Pelzwerk und stellte sich auf die Hinterbeine, und seine Schnauze reichte schier bis zur Wölbung hinauf. Es fletschte die weißen, ungeheuren Fänger gegen den Quälgeist, hob die Pfoten mit den großen Krallen, brüllte erschrecklich, gähnte und packte den Stilzel und drückte ihn an sich, dass ihm die Rippen knackten. Mit Not entzog er sich den grimmigen Pratzen und schlich gottserbärmlich wie der Schatten an der Mauer davon.
Im Frühjahr erst traute er sich wieder an das Gehöft heran. Eine Elster lief eben wie eine große Henne auf dem Misthaufen herum, und er saß im Häusel, darin er sich versperrt hatte, und rief: »He, Hinterbartelhuis, hast du -- hast noch -- den wilden Kater -- den Kater ?« Der Bauer antwortete: »Es ist kein Kater, es ist eine Kätzin.« Darauf rief der Wicht wiederum: »He, Hinterbartelhuis, hast du -- hast du noch -- die wilde Kätzin -- die Kätzin? Ganz zerkrallt und zerkrellt hat sie mich -- ganz -- ganz zerkrallt.« »Ja«, rief der Bauer, »die Kätzin hab ich noch, und sie hat sieben Junge geworfen.« »Uii!« klagte der Stilzel. Und seither zeigte er sich im Hinterbartelhuisenhof nimmer wieder.
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Der Seppl war Kuhhirt auf der Eisenstraß, und das Brückelgebirg und das Brennet schauten auf seine Alm herunter. Sein Leben verlief still und heimlich. Aber wenn er an den schrägen Stangen seines Zaunes lehnte und allerlei Träume ihn heimsuchten, wünschte er, er wäre ein reicher Mann. Geld haben wie ein Sauhändler und nicht alleweil mit Muckenschmalz kochen und jeden notigen Kreuzer zehnmal umdrehen müssen, ehe man ihn hergibt, das wäre schon recht. Aber wo geht der Weg zum Reichtum? Vom Viehhüten ist noch keiner reich geworden.
Wenn er durch den Wald trieb, hörte er es unter den Füßen immer dumpf nachhallen, als seien Höhlen in der Erde vorhanden, und ihm war, er fühle diese Höhlen mit den Fersen. Die alten Leute glaubten an solche unterirdische Gewölbe und Gänge und ließen sich davon, nicht abbringen. Freilich, der Seppl war vorsichtig, er glaubte nicht gleich, an alles, er war hartgläubig. »Den Seppl foppt keiner!« Das war sein Wahlspruch genau so, wie dem Kaiser sein Spruch war: »Mit vereinten Kräften«. Immerhin mochte an den Reden der alterfahrenen beute auch ein Körnlein Wahrheit sein. Hatte man doch hie und da einen eisernen Sporn ausgeackert oder ein Kriegseisen gefunden, warum sollte da nicht in einem verschütteten Keller ein Krügel mit altdeutschem Geld vergessen stehen und auf den Seppl warten? Man müsste nur ausgehen und den heilsamen Schlangenstein suchen oder der Wildsau mit dem goldenen Schlüssel im Maul begegnen. Doch dazu braucht man das Glück und den Stern.
Einmal, es war gerade zu Johann im Sommer, da stand er mitten unter seinem Vieh auf der Hutweide und überlegte sich sein ganzes Leben. O weh! dachte er, der Bach drunten rinnt von Wald zu Wald, und die Zeit rinnt mit ihm dahin, und der Seppl wird alt, und es wächst ihm langsam das graue Haar. Es fuchst mich schon kriminalisch, dass just ich es zu nichts gebracht hab. Armsein ist eine schlimme Krankheit. Der Kirnreither -- in der vorigen Woche haben sie ihn eingegraben, Gott tröste ihn! Ich bin ihm nicht neidig -- der Kirnreither hat sich im Holletitz drunten ein Haus hingebaut, und wie er den Grund dazu grabt, stoßt er auf einen Krug, tausend, silberne böhmische Groschen sind drin gewesen. Da hat er die Maurer und die Zimmerleut leicht auszahlen können. Glück muss einer haben, dann kälbert ihm der Holzschlegel. Und heut wär so ein Tag, wo man sein Glück versuchen sollt. Heut kehrt sich die Sonne in ihrem Ring um, heut blüht das Wasser, und ein Bad im Bach ist heut gesünder als neun andere Bäder. Heut lassen sich die vergessenen Geldtöpfe leichter heben als sonst. Aber -- wer weiß, ob das alles wahr ist ? Wer es glaubt, kommt in den Himmel. Den Seppl foppt keiner!
Träumerisch schaut der Seppl vor sich hin. Im Kornfeld rührt sich der Wind, als liefe der Wolf drin. Die weißen Wolken am Himmel wanderten friedlich, sie hatten keine Wünsche. Aber der Mensch braucht Glück. In Amerika hinten hat ein gewesener Sauhirt aus Spanien ein ganzes Kaiserreich gewonnen. So hat es der Pfarrer dem Seppl aus der Zeitung herausgelesen. Der Seppl war mehr als ein Sauhüter, er war beamteter Gemeindehirt, aber er hat es nur zu einer schiefen Holzhütte und ein paar Dornbirnstauden davor gebracht. Zwar wusste er, wie man reich würde. Der alte Schuster von der Geyerflur hatte es ihm genau ausgelegt. »Der Groschen ist dem Groschen sein Brüderlein«, hatte er gesagt, »es handelt sich also nur darum, dass man den ersten Groschen hinterlegt, die andern tausend finden sich hernach schon selber dazu.« Soweit war aber der Seppl nie gekommen. Auch war ihm dieser Weg zu langweilig und zu langwierig, und er glaubte auch nicht recht daran. Ein gescheiter Mensch ist allweil ein wenig misstrauisch. Den Seppl foppt keiner. Anderseits wäre wieder zu bedenken, dass die Armut eine gute, ruhige Sache ist. Wer nichts hat, ist unter Räubern und Mördern sicher. Aber freilich: Ein klein bisslein haben tut dennoch gut.
Eben entbrannte der Mond rund hinter dem Brückel, und es war doch noch helllichter Tag und noch nicht Zeit zum Heim-treiben. Wie geheimnisvoll heute die grauen Steine aus dem Gras wuchsen! Besonders dort der moosige, kugelige Fels. Darein war ganz deutlich eine Geißklaue eingedrückt. Der Teufel mochte dieses Zeichen hineingetanzt haben. Die Leute tasten niemals darauf, sie reden ungern davon. Doch das Vieh liegt dort sehr gern, der Boden dort zieht es wie mit einem Zauber an. Und auch die Zigeuner lagern dort gern auf ihrer Wanderschaft und fühlen sich dort heimisch. Vorzeiten hatten sie dort sogar ein Gärtlein gepflanzt, das zwar heute schön wieder unter Gras und Moos verwischt ist, davon aber noch manche ausländische Blume, manch merkwürdiges Kräutiein zeugt, das im Dorf keine Seele kennt.
Und wie der Kuhhirt so besinnlich zu dem moosigen Bleck hinschaute, erschrak er plötzlich. Flimmerte dort nicht ein Häuflein Glut? Blühte dort ein Schatz heraus und wollte sich sonnen im Mondschein? Es glänzte wie gesponnenes Gold.
Trotzig schaute der Seppl wieder weg. Man darf nicht alles sehen. Aber man darf auch nicht alles glauben. Die Welt ist auf Täuschung eingestellt, und der Herrgott will seine Narren haben. Aber den Seppl verblendet nichts. Den Seppl foppt keiner!
Schließlich aber war ihm doch, aus einer Staude deute ein weißer Finger heraus und kerzengerad auf den Zigeunerfleck hin. Es war nicht unmöglich, dass der Boden dort verzaubert war und jetzt ausstrahlte. Oder waren dort unter dem Rasen wertvolle Erze ? Was dort immer lichter brannte, vielleicht war es doch ein von den Jesuiten verwunschener Schatz? Hirt, versäum dein Glück nicht! Es winkt nur einmal. Beleidige es nicht! Leg schleunig deine Pudelhaube über den Schatz, dann hältst du ihn fest! Wenn das Eisen glüht, schnell den Hammer drauf! Seppl! Seppl!!
Und der Seppl konnte sich nimmer länger halten. Er sprang zu dem Stein hin, kniete nieder und schrie: »Mein bist du und niemand andern!« Er langte gierig hin nach dem Geleucht. Sein war es und niemand andern. Er griff mitten hinein in einen warmen Kuhdreck.
Oben auf dem Teufelsstein hockte der bucklige Stilzel, baumelte mit den Beinen und kicherte. Den Seppl foppt keiner!
*
Oberhalb des Pestackers auf dem Schleichweg gegen Bayern leuchtete eine Blendlaterne auf. Zwei Schwärzer stießen dort auf einen dritten. »Du bist es, Nachbar?« sagten sie. »Gehst du auch in heimlicher Nacht wallfahren nach Heilingblut? Hast du nicht den Schwarzen Thomas gesehen? Wir sind von ihm abgekommen, weil sich die Weltkugel dreht.« »Niemand hab ich gesehen«, antwortete der dritte, der Pröbstel, ein schwächlicher verschreckter Mann mit einem unförmlichen Sack auf dem Rücken. »Heut ist die Nacht verhext. Ich kenn mich nimmer aus. Ich muss rein auf eine Irrwurz getreten sein. Sonst könnt ich den Fuchssteig da als ein Blinder finden.«
»Was trägst du im Sack ?« fragte ihn der Kürzere der zwei andern, der Ringshendl. »Bist du aber neugierig!« lachte der Pröbstel. »Was ich da trag? Den Teufel nach Rom.« ,,Dass er dir nur nicht auskommt!« warnte der Ringshendl. Der dritte, der Eisenhuet, aber meinte verdrießlich: »Redet nur noch lauter! Du, Nachbar, hast einen besonders starken Stimmstock. Die Grenzwächter sind ja törisch. Nächstens gehen wir. mit einer türkischen Musik über die Grenze.«
»Wo sind wir jetzt? flüsterte der Pröbstel. »Bei der Schlangenfichte«, sagte der Ringshendl. Sie schwiegen. Es war, als schalle ein sehr ferner Ruf. Wer hatte da gerufen? Ein bedrohter Wanderer? Ein Baum? Ein Stein ? Die Nacht selber? Der Eisenhuet stellte das Blendlicht ab. Da wurde die Finsternis noch schwerer und schwärzer.
Sie trabten weiter. »Die Füße muss man hochheben, dass man. sich nicht erpurzelt«, klagte der Pröbstel. »Gerad hat eine Wurzel nach mir gegriffen. Ein elendes Leben! Ein Hundsleben! Für ein paar notige Kreuzer muss ich mich blutig plagen. Das ist eine Arbeit für ein Ross! Alle Rippen tun mir weh. Lieber ginge ich ins Böhmische Schmalz betteln. Aber was soll ich anfangen? Die Not reitet mich.«
Der Ringshendl dagegen sagte wohlgemut: »Mir gefällt das Schwärzen besser als das Holzhacken. Wir Schwärzer sind die freiesten Vögel in Gottes weiter Welt, wir zahlen keinem Mautner, wir verzollen nichts. Dem Kaiser sein Reich hat Grenzen, das unsere nicht.«
»Luset!« flüsterte der Bisenhuet. »Hat sich jetzt eppes gerührt ?« »Nix, nix«, beschwichtigte ihn der Ringshendl, »nur ein Tannenzapf ist gefallen.«
»In deiner Latern, Eisenhuet; geht es stockfinster zu«, sagte der Pröbstel. »Geh, leucht wieder! Ich bin heut nachtblind, ich bin ganz verwirrt, mir ist, ich geh durch lauter Spinnwitten.« Der Eisenhuet ließ einen schmalen Schein über den steinigen Steig schimmern. »Ruf mich nicht beim Namen, Nachbar!” begehrte er. »Im Wald bin ich der Satan-Ober. Und mein Kamerad schreibt sich Satan-Unter. Und gelt, du trägst im Sack Geschirr? Bayrecker Teller und Schüsseln?«
»Jetzt heißt es, hübsch vorsichtig sein«, raunte der Ringshendl nach einer Weile. »Dort am Felsen lauern sie gern, die mit den grünen Röcken, die Grenzwächter, die Waldschleicher. Ist jetzt ein Neuer unter ihnen, scharf wie der Teufel, er meint, er muss es zerreißen.« »Der soll sich nur nicht zu viel herausnehmen!« fuhr der Satan-Ober auf und zog ein blankes Stichmesser. »Da hab ich einen spitzigen Knecht bei mir. Und ein kurzes Rohrlein.« Er riss eine Pistole aus der Tasche und legte auf den Sack des Pröbstel an. »Mach keine Dummheiten!« brummte dieser. »Sag mir lieber, wo wir sind!« »Im Hintersaigenwald. Bei dem Marterl, wo vor drei Jahren der Grüne erschossen worden ist. Und wer hat ihn erschossen? Schmeck's, wenn du eine Nase hast! Hahaha!« ,,Du lachst grausig, Satan-Ober«, murmelte der Pröbstel bang. »Wirst ihn doch nicht du selber umgebracht haben?!«
Sie gingen schweigend weiter. »Heut kommt mir der ganze Weg seltsam verändert vor«, fing der Geschirrträger wieder an, das Schweigen war ihm unheimlich. »Man hat etwas tausendmal gesehen und glaubt, man kennt es durch und durch, und wenn man es dann einmal ganz genau anschaut, dann hat es ein ganz fremdes, ein entsetzlich fremdes Gesicht.«
Die Laterne leuchtete auf. Sie leuchtete .einen Grenzstein an, dem war das bayrische Rautenwappen eingehauen. »Wir sind falsch gegangen, der Steig da führt zur Zollkaserne!« murmelte der Eisenhuet. »Der Stilzel hat uns verführt, der Grashupfer! Die Gurgel reiß ich ihm ab!« »Dass er nur nicht daher trampelt und dir ins Genick springt!« warnte der Pröbstel. Und der Ringshendl sagte: »Schimpf nicht über ihn, Satan-Ober! Der Stilzel hält es mit uns Schwärzern. Unlängst hat er den Mautbaum beim böhmischen Zollamt zerbrochen.« Der Eisenhuet murrte: »Der Stilzel hält es einmal mit uns, das andere Mal mit den Grünen. Wie es ihn eben löstet. Es ist kein Verlass auf ihn.«
»Ich bin schon alt«, seufzte der Pröbstel, »und ich denk zurück, wie es noch keine Erdäpfel bei uns gegeben hat. Aber so eine finstere Nacht wie heut denk ich nicht.« »Nacht und Nebel sind gut für uns«, lachte der Ringshendl. »Im Nebel reißen die Bären am besten. Aber ganz so stockfinster sollte es nicht sein, ein Bröslein Mondschein tät uns wohl.« »Warum geht ihr zwei heut aus?« forschte der Geschirrhändler. »Wollt ihr Ochsen aus dem Bayrischen herüber treiben? Ihr habt Ketten mit. Hoffentlich kommen wir drei dasmal nicht um einen weniger heim.«
Jetzt hallte aus dem Tal herauf ein Schuss. Dann schrie einer: »Hallo! Halloooh!« Hernach war es wieder totenstill.
Es mochte drei Finger vor Mitternacht sein. Der Eisenhuet, der voran ging, kehrte sich um. »Seid ihr noch alle da?« »Ja, alle zwei.« Er leuchtete die Kameraden an. Ihre Gesichter waren verrußt, als seien sie Höllenknechte. Der Ringshendl trug um Mund und Kinn einen düsteren falschen Bart. Auf einmal tat er einen schneidenden, Schrei: »Jesus Maria, wir sind ja ihrer vier!«
Wahrhaftig, ein Vierter, ein Fremder, ein Verlarvter hatte sich angeschlossen. Wer weiß, wie lang er schon mit ihnen gegangen war! Er trug einen altväterischen, grobleinenen Janker und Kniehosen und einen weitkrämpigen Filzhut. Um den Hals hatte er eine Schnur geschlungen. Der Eisenhuet schlug ihm die Ketten ins Gesicht. Der Ringshendl schrie: »Der Stilzel! Rennt! Rennt!«
Der Satan-Unter, der Satan-Ober, der Geschirrhändier mit seinem Pack, sie rennen aus Leibeskräften, sie prallen an die schwarzen Tannen, sie stürzen in feuchtes Gestrüpp, springen auf, rennen weiter, verlieren einander.
Keuchend hält der Pröbstel bei der Schlangenfichte an. Gelobt sei der heilige Thomas von Neuern, die Gefahr war vorüber, die Ware gerettet! Aber kaum, dass er solches dachte, röhrte es höhnisch aus seinem Sack heraus. Eine grässliche Stimme. Höhöhö !
Da schleuderte der Pröbstel die unheimliche Bürde von seinen Schultern und stürzte in die entsetzliche Nacht hinein.
*
Der Rantscher ist ein breithingestrecktes Vorgebirge des Ossers. In seinen tiefen, wildrohnigen Wäldern gloste und schwelte vor langer, langer Zeit ein Meiler, und dort köhlerte der alte Gregor. Sein Gesicht, seine Hand waren schwarz, sein Gewand war schwarz, aber unter dem groben, rußigen Kohlenbrennerkittel schlug ein reines, schlichtes Herz. Er brannte und harzte die ganze liebe Woche und verdiente damit für sich und die Seinen das raue Brot. Er arbeitete für die Hammerschmieden und für die Bauern im Tal der Angel, und sein Sohn half ihm dabei.
In einer Wälderbucht an windgeschützter Stelle trieben sie das schweigsame Gewerbe. Sie gruben mühselig Baumstrünke und dicke Wurzeln aus dem Erdreich, bauten dann auf der Kohlstatt aus dem gesunden, feinringigen Stockholz, das sie zerschnitten und zerkloben hatten, einen Kamin, den Kern des Meilers, umschichteten ihn mit knüppeligem, knorrigem Scheitholz, und dieses Gebäu wurde mit kleinen Schwartlingen und grünem Tannengras bedeckt, mit feiner Walderde, der Lösche, luftdicht verhüllt und schließlich durch den Schacht entzündet. Dann hieß es warten und wachen. So übten sie viele Jahre dieses eintönige, rauchende Geschäft. Einmal hatte der Sohn daheim im Dorf Freihöls zu tun, und er schickte eines seiner Kinder in den Wald hinauf, dass es den Großvater in der Nachtwache ablöse, denn den glimmenden Weiler darf man nicht aus den Augen lassen, dass er nicht in sich ersticke und erlösche oder zu rasch verschwele und nur leere Asche gebe, oder dass das Feuer irgendwo meuchlings herausschlage und die ganze Mühsal vergeblich gewesen wäre. Und so trippelte das Mädchen, rosig wie ein Englein, den zarten Bach entlang, bergauf und waldein. Es war ein gar fröhliches Wandern. Unterwegs blinkten hohe, goldene Blumen wie Gotteskerzen, ein dunkles Hummelglöcklein umsummte sie, und ein Baum flüsterte dem andern zu, dass man es ganz deutlich verstand: »Schau, schau, da kommt dem Kohlenbrenner sein Lieserl daher!« Und ein Fels sah sie nachdenklich an und sagte zu ihr: »Ja, Kind, ich bin schon alt.« Ein Hirsch trank aus dem Bach, eine Elster ließ ihren geheimnisheiseren Schrei hören, der Wind redete. Alles war so einsam. Da waren zerfallene, vermulmte Baumreste, löcherige Stämme, wunderlich verrungene Wurzeln. Sie lugte in eine hohle Buche hinein, drin rührte sich etwas Schwarzes, es 'war nicht zu erkennen. Ach, der Wald macht einen froh und bang zugleich. Eine süße, in der Ferne langsam verhallende Wildnisstimme lockte: »Such mich! Such mich!« Der Liesel schauderte, und sie verhielt sich die Ohren. Die Mutter hatte sie dringlich vor diesem holden Ruf gewarnt. »Such -- mich! Such -- -- -- mich -!«
Die Schatten wuchsen, der Mond ging schon am Himmel um, da kam sie an den Totenbrettern vorüber, die standen schief und alt und mussten bald umfallen, weiß leuchteten sie, kirchhofweiß. Das Kind bildete sich ein, es warte einer hinter den Bretter, der nimmer ist. Sie fürchtete sich gar herzlich, und vor Furcht sang sie ein wunderlich frommes Lied.
»Ich steh auf einem Lilienblatt
und wünsch euch allen gute Nacht.«
Jetzt ängstigte sie sich schon viel weniger, und -- Gott sei gedankt! -- dort leuchtete silbern schon die feine, schlanke Rauchsäule der Köhlerei.
Der alte Gregor, an seinen Spieß gelehnt, staunte in den kreideweißen Mond, der den sanft steigenden Dampf silbern machte. Da hörte er drunten ein Kind singen. Er erwachte wie aus einem verzauberten Schlaf, rüttelte an seinem pechigen Bart, fuhr sich über die rußigen Brauen und schürte mit der Stange gelind den Meiler. Das Lied verging. Aber die frische Stimme rief: »Ähnel? Ähnel?« Der schwarze Einsiedel tat die hohle Hand vor den Mund und antwortete hallend: »Johooo!« Sein Ruf glich dem Gebrüll eines großen, zottigen Waldtieres. »Ähnl, lebt Ihr noch?« fragte es wieder. »Johooo, Lieserlooo!« rief es zurück.
Singend betrat sie die mondhelle Lichtung.
»Ich schlaf auf einem Lilienblatt,
das Gott für mich bereitet hat.
Lilien, Brasilien,
Brasilien und Lilien!«
»Sing nur! Sing auf und sing nieder, kleine Nachtigall!« grüßte der Köhler sein Enkelkind. »Wenn man alt wird, vergisst man die Lieder und wird von selber still. Aber eine ewige hänge bist du ausgeblieben, hab dich heut nimmer erwartet.« Und er versuchte mit der schwarzen, schwerfälligen Hand ihr feines, seidiges Haar zu streicheln. Sie erwiderte: »Heut will ich beim Meiler wachen, dass Ihr ein paar Stunden schlafen könnt. Ihr seid gewiss recht müd.« Sie war ein kluges und liebes Kind. Sie stellte den Korb mit Brot und Butter und Eiern ab, runzelte sorgenvoll die Stirn und meinte: »Dass es uns nur die Waldmäuse nicht fressen! Sie haben so hungrige Zähnlein. Und der alte Severin ist auch gestern gestorben.« »So, so, der Severin«, brummte der Köhler, »der älteste Mann in den Dörfern drunten. Der hat noch den Stilzel gekannt, der in der Schwarzau gehirtet hat.« Jetzt reichte das Kind dem Großvater einen Buschen sommerlicher Dorfblumen, und er drehte ihn verlegen in den Händen, roch daran und wusste nicht, was er eigentlich damit anfangen sollte.
Hernach saßen sie auf der Bank vor der rindenen, kegelförmigen Hütte und träumten in den silbernen Rauch, und rings um sie war nichts als Mondschein und wieder Mondschein und verschwiegener, eingeschlafener Wald, und über ihnen hingen die schönsten und lieblichsten Sterne. Fern über einem eingedunkelten Berg zuckte ein Wetterleuchten. »Ähnel, blitzt es dort?« fragte scheu das Kind. Der Alte murmelte: »Der Herrgott träumt von der Ewigkeit.« »Ähnel, fürchtet Ihr Euch nicht in der Einöde da?« »Warum soll ich mich fürchten und wen soll ich fürchten? Ich bin mit Gott bekannt.« »Aber der Stilzel, Ähnel?« »Liesel, im Finstern soll man seinen Namen nicht sagen. Er lauscht.« »Ähnel, was ist mit ihm geschehen? Warum fürchten ihn die Leute und die Kinder? Warum ist er tot und lebendig zugleich? Hat er unsern trauten Herrgott verleugnet?« »Liesel, ein Rossschinder ist er gewesen, seine Herde hat er gemartert, und zuletzt hat er sich selber weggetan.« »Was hat er sich? Mir wird zu Tod angst!« rief das Mädchen mit weitaufgetanen Augen, es ahnte das Furchtbare. »Am Peitschenriemen hat er sich erhängt, der verzweifelte Stilzel«, erzählte der Köhler. ,,Das sind die schlimmsten Hunde, die sich selber beißen. Und kein Sterbglöckel hat dem versprengten Rosshirten geläutet, kein. geweihtes Erdreich hat ihn zugedeckt. Am Baum ist er verfault, im Wind. Niemand hat um ihn geweint.« »Auch keine Mutter nicht, Ähnel?« »Auch keine Mutter nicht. O, das ist schrecklich, wenn die Seele keine Rast haben darf, keinen Frieden findet, kein Daheim, keinen Schlaf im Grab, keine Herberg in der Ewigkeit, wenn sie, sich selber zum Leid, die Menschen ängstigen muss, immer und alleweil bis zum Jüngsten Tag!« Ähnel, wann ist der Jüngste Tag?« »Wann er kommt, der Jüngste Tag? Kind, der kann morgen ausbrechen, aber auch erst in tausendmal tausend Jahren. Der Herrgott, der alles weiß und noch ein bißlein mehr, der verratet uns das nicht.« »Ähnel, und wie schaut er aus, der Rosshirt?« »Das ist unterschiedlich, Kind. Rennt er über eine Au, so macht er sich so winzig wie die Binsen. Streicht er durch den Tannenwald, so ist er so hoch wie die Bäume. Du siehst ihn nicht kommen, und er ist da. Du siehst ihn nicht gehen, und er ist wieder fort. Er ist etwas und ist wieder nichts. Unser Forst i ist auch nicht sauber, der Rossknecht geistert drin. Ich hab ihn einmal bei der Bildelföhre gesehen oberhalb dem Rantscherbach, wo die neun Steige zusammentreffen. Und. oft geht ein Rossfuß allein durch den Rantscher.« Darauf flüsterte das Kind gar bang: »Oh, dass seine Seele ewig umreisen muss!« Der Alte biss sich in die Nägel und dachte lange' nach. Hernach sagte er: »Ein einziger böser Gedanke langt schon hin, dass der Mensch verdammt wird. Der Rosshirt aus der Schwarzau hat viel vergessen. Auch den Namen Gottes. Wer kann ihm helfen?« Er richtete sich auf und gähnte. »Ich will jetzt schlafen. Die Sonne ist schon längst in der unteren Welt aufgegangen. Der Mond scheint heut so mild, da ist es schad, dass man den Hut aufbehält. Dort droben siehst du den Himmelswagen dahinfahren, Liesel. Wenn seine Deichsel nach der zwiespitzigen Schwedentanne deutet, dann ist Zeit, dann weckst du mich, dann lös ich dich ab.« Und schon halb im Schlaf kroch der Alte in die Hütte.
Die Liesel wachte. Solch ein Meiler ist ein heikles Ding. Das Feuer drin muss fein sittsam sein, es darf nicht über die Stränge schlagen, nicht an den Seiten ausbrechen. Das Köhlerkind wusste davon, es war verständig, und wenn die launische Flamme irgendwo heraus züngelte, dämpfte es sie, indem es ein Schäuflein feiner Erde darüber schüttete, ihr Hunger nach Luft durfte nicht gestillt werden, das Holz durfte nicht verbrennen, nur gelind verkohlen. Und das Mädchen kehrte mit einem Besen den Ring um den Meiler sauber, dass nicht ein fürwitziges Flämmlein auf das Gezweig, das da herumlag, übergreife und der Wald nicht brennend werde.
Sie hob ein feines, glänzendes Bröcklein Kohle auf, setzte sich damit auf die Bank, betrachtete es lange und dachte dankbar: Davon leben wir alle, Vater, Mutter und Kinder, von diesem kleinen schwarzen Ding da. Es war kühl geworden. Wie mild schaute der Mond herunter! Welch tiefe Ruhe weilte über den Wäldern! Die Mitternacht horchte sich selber aus. Die Tannen standen tief in sich gekehrt. Es war schaurig schön. Die Sterne schossen über das Firmament. Andere wieder standen still und funkelten wunderbar grünlich und blau und weiß, verdunkelten sich und erhellten sich wieder, weil die Himmlischen ihre Schatten darauf warfen, wenn sie dort vorüberwandelten. Die Silberdeichsel droben wies noch lange nicht gegen die schwedischen Wipfel. Der feurige Wagen ist dem Köhler seine Nachtuhr.
Jetzt aber kreischte und fauchte es. Das waren die Eulen. Die Stimme eines unbekannten Tieres meldete sich. Dann war es wieder, es wiehere gespenstisch im fernen Wald gegen Hinterwies, der äußersten Weilerschaft vor der bayrischen Grenze.
Die Liesel fürchtete sich, das Herz wurde ihr schwer. Wie mochte erst ein Baum sich fürchten in der Finsternis, in dessen Wipfel die grausamen Eulen rauften! Und der Mond, wie durchdringend grell glühte er jetzt! So stechend hatte sie ihn noch nie empfunden. Die todstille Einsamkeit war kaum zu ertragen. Ihr war, sie müsse jetzt einen Menschen reden hören, wenn sie vor Bangigkeit nicht sterben sollte. Und weil niemand vorhanden war, der mit ihr hätte reden können, so sagte sie laut zu sich selber: »Heut ist aber eine lichte Nacht!« Und schon erwiderte eine fernher rufende, stockende, langgezogene Stimme: »Die -- Nacht -- ist mein!« O wie schrak da das Kind in sich hinein bis zum tiefsten Herzensgrund! Aber es erfing sich gleich wieder und rief in die Wildnis zurück: »Die heiligen drei Leute Josef, Maria und Jesus sind in der Nacht ins fremde Land gereist. Gelobt sei die Finsternis!« Und da sie die Namen der heiligen Eltern nannte, beugte sie das Knie, und bei dem Namen des Heilands kniete sie hin. Und sie betete mit den Worten, die sie von der Großmutter vernommen hatte: »Mein Gott, mein Herr, mein Vater, mein Freund, mein König, dir empfehl ich Seele und Leib, Sinne und Rede, Eingang, Ausgang, Glauben, Wunsch und Wandel, Zustand, Lauf und Ende meines Lebens. Ich empfehle dir meine Rast und meine Auferstehung mit deinen Auserwählten und sonderlich die Stunde, darin Leib und Seele voneinander scheiden. Amen.«
Als sie sich wieder aus den Knien aufrichtete, gewahrte sie eine wilde, fremde Gestalt, zwerghaft und doch furchtbar anzuschauen, und dieses Nachtgebilde stand an dem Meiler, davon eine herrliche milde Wärme in die mondkalte Nacht sich ergoss. Das Mädchen wusste sogleich, dass es der Stilzel war. Dennoch blühte ein wundersamer Mut in ihrem Herzen. Wohl zückte sie zuerst den Spieß. »Wenn du den Meiler zerreißen willst, weck ich den Ähnel auf, und der ist stärker als du!« drohte sie. »Und mir kannst du nichts tun, der Herrgott steht zwischen mir und dir.« Der Stilzel summte etwas, er rieb sich die Hände, ihm war kalt. Da erbarmte er sie, und sie wollte ihm ein Tröstlein ins Gemüt bröseln. »Rossknecht«, sagte sie, »warum redest du nicht? Ist es wahr, dass du jedes Wort sagen kannst, nur den Namen Jesus nicht?« Er zuckte zusammen und kehrte sein grässliches Gesicht ab. »Rossknecht«, fing sie wieder an, »sag, wo lebst du? Bist du -- drunten?« Er sah sie seltsam an und murmelte: »Selten sind wir froh, meistens traurig.« »Stilzel«, sagte sie, »wie schaust du aus! Du bist nicht jung und nicht alt. Du bist, als gäb es für dich keine Zeit. Stilzel, um dich hat keine Mutter geweint. O weh! Stilzel, ich bitt dich gar schön, sag mir nach: Vater unser, der du bist im Himmel!« Der Wicht starrte mit großen Augen die Beterin an, er würgte, schluckte, wollte sprechen und konnte nicht. »Ich helfe dir«, sagte sie und trat zu ihm hin und zeichnete ihm mit dem Bröcklein Kohle, das sie noch immer in Händen hielt, ein Kreuz auf die verworfene Stirn. Der Stilzel schauderte tief in sich hinein, er seufzte, und dann war es, als sei er im Dunst des Mondlichtes zerronnen.
Der alte Gregor steckte den Kopf aus der Hütte heraus und fragte : »Ist schon an der Zeit ? Oder redest du im Traum?«
*
Hinter der Einöde Bärenloch trieb die Hexe Amaleia in einer Hütte, die vor Alter schon halb in die Erde versunken war, ihr verderbliches Unholdenwerk. Schlangen spähten ihr zu dem schmutzigen Fenster hinein, und in dem verfallenen Gärtlein hinter den faulenden Zaunstecken wuchs nichts als elender Hundslolch, Qualmwurz, die Blume Altweiberzorn und manches feiste Giftkraut, das erst grünte, wenn es verflucht wurde, während anderes Gewächs nur gedeiht, wenn der Himmel es segnet. Vor der Tür zwischen den Staffeln, die abwärts führten, blühte eine lange, böse Distel. Die Tür mochte schon lange nicht mehr geöffnet worden sein, wie hätte sonst das stachlige Blumenbäumlein ohne Schaden gar so hoch heranwachsen können? Sieh da, stieg man denn hier zum Fenster ein und aus?! Oder -- huschte man gar durch den Rauchfang? Das hagere Gesicht der Amaleia war runzlig wie eine gedörrte Holzbirn, hutzelig klein, die Stirn kreuz und quer zerkritzelt, die Wangen zerrissen und zerrillt, ihr linkes Auge stach wie ein falscher Otterblick, und im rechten waren zwei trübe, gelbliche Sterne zu schauen, darin sich die Welt verkehrt, mit dem Kopf nach unten, spiegelte. Die weitausgreifende, krumme Nase und das gebogene, spitzige Kinn stießen zusammen. Weil sie so gräulich aussah, wichen ihr die Leute aus dem Weg und mieden ihre schiefe, verzerrte, mit bösen Sagen belastete Hütte, die schon da gehockt hatte, ehe die Ritter noch die Luitburg errichtet hatten. Die Alte war nur mit Schindern, entlegenen Schäfern und Gichtbeschwörern im Bündnis, und selbst ihr Sohn kam niemals zu ihr heim und verabscheute sie, obschon er selbst zu Straubing den anrüchigen Beruf eines Henkers trieb. Ihre Kuchel war mit grauen, staubigen Spinnweben verhangen, und allerlei garstiges Ungeziefer, Ohrwurm und Assel, kroch über Tenne und Tisch, und sie hatte ihr Vergnügen daran und erschlug es nicht. Kein frommes Bild, kein Weihkessel, kein Zierat war an den rauchigen Wänden, nur am Fenster wuchs aus einer zerbrochenen Scherbe eine fremde Blume, die aber hatte denselben feindseligen, unerträglichen grellen Blick wie das eine Auge der Amaleia. In einem modrigen Schrank verwahrte sie schädliche Öle und Pülverlein, zauberische Wachslichter, darein sie oft mit einer glühenden Nadel stach, Kristalle, Wahrsagespiegel, Menschengebein, Alraunenmännlein in samtenen Särgen und auch ein Buch, das ganz mit Blut beschrieben war. Ihr Waschtrog war eine umgestürzte Heidenglocke, und ein abgedankter, verwetzter Stallbesen musste ihr manchmal als Magd dienen, den Tisch decken und die Wäsche besorgen. Vorweilen hatte sie auch einen Drachen gehalten; nächtliche Wanderer hatten ihn oft über den Lamer Winkel fliegen sehen und surren hören mit seinem Hechtkopf, dem feurig blauen Leib und dem Schwanz, der wie ein Sonnwendbesen brannte. Damals stockte oft in dem Graben um den Misthaufen das Drachenschmalz in gelber Lache, überzogen von einer schillernden Haut. Doch selbst dieses grauenhafte Vieh hatte es bei der Amaleia nicht aushalten können und war irgendwo auf einem Waldfelsen verreckt. Nun fütterte sie im Stall nur noch etliche Schlangen zu ihrer Verteidigung. Ihre Mahlzeit war das Fleisch von Tieren, die sie tot im Walde fand und von denen niemand wusste, wie sie verendet waren. Beeren und unschuldige Wurzeln und Wildobst, wie es der Forst rings in Fülle bot, verschmähte sie.
Es wurde überliefert, dass sie von einem landfremden Reiter eingeweiht worden war in die Kraft düsterer Sprüche und Flüche und in das Wissen um zauberischen Sud und gefährliche Salbe. Und den Hass der Leute erwiderte sie mit dreifachem Hass, und sie verwandelte sich in eine Krähe, flog zum Rauchfang hinaus, setzte sich auf den Wipfel eines Dorfbaumes und beobachtete von dort herab alles und lauschte, was Übles man über sie redete, und hernach ging sie bei den Bauern um und setzte ihnen die roten Läuse ins Haus. Einmal hemmte sie mit ihrer rachsüchtigen Kunst zu Rittsteig alle Pflüge, die auf der Flur ackerten, und sie kamen nicht von der Stelle, als wäre die Scholle um sie versteinert. Nur zwei Rösser trotzten ihrem Bann, denn sie trugen im Kummet Zweiglein, die am Palmtag geweiht worden waren.
Der Schmied vom Weberhof taumelte einmal betrunken heim. Es war Nacht, die Sternlein glitzerten, und der Mond grämte sich. Am Kronabitweg sah der Schmied viele Schleiergestalten und Hexen wütend tanzen, doch erkannte er keine davon. Da trat eine im roten Kittel und mit einem Krähennest am Kopf hart an ihn heran und bot ihm zu trinken. Er nahm das Glas, und ehe er es zum Mund führte, hob er es und rief: »Vivat, der Johannissegen!« Und da war er auf einmal nüchtern und merkte zu seinem Schrecken, dass er den silbernen Messkelch der Kirche von Rotenbaum in der Faust schwenkte. Und in der Rotkittelhexe erkannte er die Amaleia. Aber sie drohte ihm, es würde ihm übel heimgezahlt werden, wenn er sie verriete, und so schwieg er davon bis zum Totenbett.
Bin anderes Mal humpelte dieses ausbündige Zauberweib in einer ganz klaren, sternhellen Nacht durch den Steinwald. Ein böhmischer Grenzjäger, der dort auf die Pascher lauerte, belauschte die Alte, wie sie stehen blieb und laut vor sich hinsagte: »Jetzt möchte ich wissen, ob mein Vater und meine Mutter unter der Erde noch an mich denken.« Sogleich zuckte ein roter Blitz über den Himmel, und ein Donnerschlag krachte, dass man hätte glauben können, Berge und Gräber müssten sich gespalten haben wie beim Letzten Gericht.
Also vollzog sie auch viel anderes gräuliches Hexenwerk. Wenn es einmal unmäßig gewittert und aus den Wolken eisig gekieselt hatte, raunte man in den Waldörtern: »Jetzt hat sich die Amaleia wieder einmal ausgeräuspert.« Und während die ehrbaren Weiber und Dirnen ihre Rädlein fein züchtig in den Rockenstuben drehten, spann sie ihr Garn oft nachts auf dem Kirchhof. Sie spann es wohl für einen Galgenstrick, ihr Sohn konnte solches wohl gebrauchen.
Niemand traute sich, sich ihr zu widersetzen und ihr unter der Nase zu kraueln, wie es sich geziemt hätte, ausgenommen der Stilzel, der ihren Zauber durch seinen übermütigen Gegenzauber aufhob. Er musste ja überall dabei sein wie der Schnittlauch auf allem Quark. Schon einmal hatte er sie, als sie zum Hexenfasching reiten wollte, just am Rauchfang bei der Kittelfalte festgehalten, und der Besen war allein fortgeflogen. Er tat ihr aus bloßer Lust am Possenwerk allerlei an.
Einmal an einem Donnerstag in der schwülen Zeit, wo die zwölf Weihnächte der sommerlichen Sonnwend anheben, belauschte der Stilzel die Amaleia, wie sie aus der Truhe einen Kuhschwanz holte und dessen Quaste säuberlich kämmte und rote Maschen und Bändlein darein flocht. Das war ein Zeichen, dass sie sich für den hohen Schabbes auf dem Unholdenberg oberhalb Passau rüstete. Denn wenn in verfallenen Schlössern getanzt wurde, machte sie nicht viel Federlesens und ritt bloß auf einer krummen Wurzel hin, und auf dem Arber hielten die Hexen keine Mette mehr, seitdem sie auf dessen Gipfel einmal die silbernen Glocken von Regensburg gehört hatten. Und nun sah der Stilzel, wie sich die Amaleia die Fußsohlen schmierte mit einer Salbe aus Schierling, Mohn, Raute und Beifuß und ein Tränklein, aus Bilsenkraut gekocht, zu sich nahm und dann sich reitlings auf den festlichen Kuhschwanz setzte. Hui, sauste die Ausfahrerin auch schon zur Esse hinaus! Und der Stilzel, der auf dem Dach kauerte, griff nach der Quaste des Kuhzagels und ließ sich durch die Lüfte mitführen, ohne dass es die trunkene Hexe merkte.
Dreimal rasteten sie unterwegs: auf der riesigen Kirchenzwiebel zu Eisenstein, auf einem Felsen des Pfahles bei der Burg Weißenstein und auf einem zerspaltenen Urbaum, der auf seinem Wipfel einen buschigen Donnerbesen nährte.
Heute war der große Landtag auf dem Unholdenberg, da schwärmten die böhmischen, die bayrischen und die pfälzischen Hexen aus, einander wiederzusehen und sich zu verschwistern, die Donauhexen waren rumorisch geworden, singend, jauchzend, pfeifend flogen sie heran, die Töchter der Finsternis, in wildem Geschwärm, auf Gabeln kamen sie geritten, auf Schemeln, Besen, Ofenbänken, auf Zaunstangen, Leitern, ungeweihten Glockenschwengeln, dürren Ästen, auf Milchgelten und Schubkarren und strohenen Brotkörben fuhren sie án, aus Wäldern, Einöden und Städten kamen sie gewirbelt und landeten und lehnten ihre wunderlichen Reittiere an die Felsen, jedes an seinen gewohnten Platz, und traten zum Tanz an. Indes verkroch sich der Stilzel in ein Gebüsch, sah zu und sann auf einen Trug.
Grüne Pechlichter beleuchteten den Platz, wo der Teufel seine Sakristei hatte, und dort huben die Weiber an, im Ring zu springen und zu singen.
Rix rax,
hax pax
adamax!
Spring hin, spring her,
spring links, spring zwer!
Alter vom Felsen,
her!
Alte und Junge, Abgewelkte und Blühende, Schöne und Grässliche, Hinkende und Herrliche, andere starräugig und schielend, manche hinter dicken Spinnweben verschleiert, etliche mit feuerfarbenen Larven, unsinnig wild sprangen sie im Kreis, und zuweilen zuckten Flammenbüschel aus der Erde, die sie traten. Und plötzlich, mit heulender Freude begrüßt, stand seine Hoheit der Teufel unter ihnen, der böse Schürg, in Dampf und knisternden Funken, und neben ihm schwang ein Kater einen kupfernen Rauchkorb voll Pech und Schwefel. Der Teufel war anfangs zu schauen wie ein grauer Weidenstumpf ohne Füße, oben ähnelte er dem Gesicht eines sehr widerlichen Mannes, dessen Miene ganz verfinstert und alles darin ungeheuerlich und verschoben war, bald die Augen an Stelle der Ohren, bald das Maul auf der Stirn, bald doppelbärtig, bald das Kinn nackt und räudig, manchmal ein zweites, noch wüsteres Gesicht undeutlich daneben. Zuweilen stieß aus seinem Rumpf etwas wie ein kahler Ast heraus, und daran krümmten sich die Krallen eines Luchses. Zwei kohlschwarze Knechte musizierten, der eine spielte auf einem beinernen Rossschädel Zither, der andere schlug mit einem Prügel an eine hohle Eiche und deutete den Takt an. Die Hexen tanzten besessen, und der Teufel, ihr Meister, der Alte vom Felsen, stand in der Mitte des Ringes und hauchte sie an. Inzwischen machte sich der schwänkische Stilzel mit dem Reitzeug der Nachtfahrerinnen zu schaffen, er schlichtete im Schatten des Gebüsches die Krücken und Bänke, Besen, Gabeln, Spinnrocken und Karren, Gelten und Äste zu einem gewaltigen, ganz verworrenen Haufen auf und rieb sich das Fäustlein.
Jetzt aber schlug eine unbändige weiße Flamme aus dem Boden, und der Satan stand in seiner höllischen Herrlichkeit da, dreifach gekrönt mit einer Krone aus gefrorenem Quecksilber, gekrönt mit den drei Hauptlastern des Unglaubens, der Verzweiflung und des Hasses, den Hexen ein Gottkaiser, und alle sanken vor ihm in die Knie und lobsangen ihm.
Doch in ihr Höllenlied mischte sich jäh ein schriller Schrei. »Der Bischof kommt! Der Bischof von Passau!« Augenblicks erlosch der Teufel. Und der Tanz zerriss, und die Hexen stürzten in heißem Schrecken auf ihre Reittiere los, und als sie diese nicht mehr an Ort und Stelle fanden, sondern verstreut und vertauscht, vermengt in dem sinnlosen Durcheinander des Haufens, packte die eine blindlings die Zaunlatte, die ihr nicht zugehörte, die andere eine fremde Ofengabel, kurz jede in der Not des Augenblickes das erstbeste Ding, was ihnen in die Hände geriet, andere stritten um den Sitz auf einer Ofenbank, zerkratzten und bissen einander blutig, weil jede eilig entrinnen wollte, ehe der hochgeweihte Mann mit dem Krummstab, mit der zweispitzigen Mütze und dem blauen Qualm des Weihrauchs daherkam und sie züchtigte.
Die Amaleia gewahrte noch, wie der Schalk, der Stilzel, der alle Verwirrung angezettelt hatte, auf ihrem Kuhschwanz davonritt, und sie schrie ihm voller Wut nach: »Der Teufel spei dir ins Maul!« und verzweifelt weinend setzte sie sich in eine mehlige Backschüssel. Und alle ächzten und krächzten und wimmerten und quenkelten und flogen in alle Weltrichtungen davon, jede dorthin, woher ihr Reittier stammte. Nach jener Nacht waren alle Wipfel des Richnacher Waldes abgebrochen.
Damals kamen die meisten dieser urholden Weiber in Dörfern und Örtern an, die ihnen samt den Leuten dort wildfremd waren und wo sie dann nicht geduldet wurden und elendiglich umkommen mussten. Auch die Amaleia fand nimmer heim in den gewohnten Rauchfang, und man hat niemals wieder von ihr gehört.
Deo gratias!
*
In Sengenbühl hauste vormals ein Körbelzäuner, ein ehrbarer, rechtschaffener Mann, der auf der ganzen Welt keinen Feind hatte und seines Handwerks so fleißig und gründlich pflog, dass die feinsten Leute in der Stadt Furth zu seiner Kundschaft gehörten. Überall war er wegen seines redlichen Wandels beliebt und angesehen. Er hatte nur einen einzigen Fehler: ein bitterböses Eheweib. Und so sah der Spiegel in seiner Stube wenig Gutes. Mit ihrer zweischneidigen Zunge machte sie ihm das Tagwerk sauer, und der liebe Mann hatte keinen Frieden im Haus. Er war durchaus nicht wehleidig, aber was zu viel ist, ist zu viel. Sie war eine richtige böse Sieben und benahm sich, als sei sie zu Kötzting auf dem Hexenmarkt gekauft worden. Das Dorf hieß sie nur die Zuss, so wie man einer bissigen Gans schreit.
Jeden Morgen musste der Korbflechter, schon in aller Frühe den Ärger in den lichten Magen hineinfressen. »Bleib nur recht lange liegen, da kriegst du eine dicke Haut«, raunzte sie.
»Auf, auf! Heut ist nicht der Siebenschläfertag!« Und bettelte er, sie möge ihn nur noch eine kleine Weile ruhen lassen, er habe ja gestern bis in die tiefe Nacht hinein gearbeitet, und es sei noch stockfinster und der Einsiedel habe den Morgenstern noch nicht angeglöckelt, da greinte sie erst recht: »Heraus aus dem Stroh! Du hast drei Tugenden: müd, matt und faul. Ich treib sie dir aus.« Also würfelte sie mit listigen, tückischen Reden und plagte ihn und gab ihm den Sommer und den Winter über kein freundliches Wort und keppelte und kiefelte, so dass er meinte, er müsse aus der Haut fahren, die Haut liegen lassen und davonlaufen. Sie war ein wahres Fegfeuer. Und wenn einmal gar nichts an dem armen Körbelzäuner auszusetzen war, so grollte sie dennoch: »Alle Weiber haben den richtigen Mann gekriegt, nur ich hab müssen den dummen Hansmichel heiraten.«
Sie war zu jeder schimpflichen Unart fähig. Sie mischte Erdäpfel in die Butter, die sie zum Verkauf brachte, und wässerte die ehrliche Milch, bis sie blau wurde wie der bayrische Himmel. Wenn die Erbsen am Acker missrieten, schlug sie mit dem Stecken auf das Feld los. Die Erde prügeln ist aber eine schreiende Sünde, und schon manchem ist deswegen die Hand am lebendigen Leibe verdorrt. In Furth musste das übelrednerische Weib einen Tag lang mit Hals und Händen in der Schandgeige büßen, weil sie der Nachbarin nachgeschrien hatte, sie sei eine Stallhexe. Sie wurde gefürchtet, und niemand wagte es, ihr zu widerstehen.
Der Körbelflicker klagte oft dem Nachbarn seine Not. »O mein Gott, o mein Gott! Da muss man eppes ausstehen, da macht man eppes durch! Das ist ein Elend. Sie kann es nicht erwarten, bis man mir die Kerze anzündet.« »Hättest du sie nicht geheiratet, Jeremias«, lachte der Nachbar. »Ich könnt mir selber die Nase abbeißen, dass ich sie genommen hab!« jammerte der Körbler. »Aber was hätt ich tun sollen? Ich hab ihr zur Kirchweih schon so viel Lebzelten gekauft.« Der Nachbar sah sich um, ob seine Bäuerin nicht in der Nähe sei, dann flüsterte er: »Lass es gut sein! Es gibt nur ein einziges böses Weib auf der Welt, aber ein jeder meint, er habe es. Doch tröst dich. Die Deine lebt auch nicht ewig, und einmal wird sie barfußet über die Höllenbrücke marschieren, und die ist hübsch warm.« Aber der Korbflechter schüttelte den Kopf. »Was hab ich davon, wenn der Teufel sie holt und ich muss den Fuhrlohn zahlen? Sauber ist sie ja genug, das muss ihr der Neid lassen, sie fegt das Zinn und wascht und wischt und staubt ab und reibt auf den Knien die Stube rein, und fleißig ist sie auch, sie spinnt und spinnt und spinnt noch einmal das Blaue vom Himmel herunter. Aber ihr Maulwerk, das geht, als hätte sie sieben Lot Drachenblut in sich.«
Er wurde von Tag zu Tag verzweifelter, stundenlang stand er vor einem Mausloch und dachte an nichts. Einmal, als er ihre spitzigen Reden nicht mehr aushielt, schrie er: »Jetzt hab ich genug. Jetzt geh ich zur Kamp und spring ins Wasser.« Darauf sagte sie in aller Seelenruhe: »Meinetwegen. Aber den guten Rock ziehst du aus! Den lasst du daheim! Es tut es in Hemdärmeln auch.« Darauf schrie er wieder: »So was sagst du deinem dir von Gott und den Menschen angetrauten Mann?! Die roten Panduren sollen über dich kommen!«
Sie feimte just am Herd die Suppe ab und lachte: »Was plauderst du daher, du Trallatsch ? Du ersäufst dich nicht, du hängst dich nicht auf. Du traust dich ja nicht. Da nimm dir den Stilzel zum Vorbild! Der ist nur ein geringer Hütbub gewesen, aber das Herz hat er dazu gehabt. Du hast es nicht.« Darauf entgegnete er: »Der Stilzel? Aber die Kurasch wie ich hätt er nicht aufgebracht, dich zu heiraten. Da bin ich ihm über.«
Sie stemmte streitlustig die Arme in die Hüften. »In deinen Reden ist kein Brösel Verstand. Dem Stilzel wäre ich genau so Herr geworden wie dir. Dem Rossräuber! Dem Kuhdieb, dem schäbigen!« Er erwiderte: »Schade, ewig schade, dass er dich jetzt nicht schimpfen hört, der Stilzel! Der tät dir eins geigen.«
»Er hört mich schon, er hat dünne Ohren«, sagte sie. »Nichts anderes tät ich mir wünschen, als dass er daherkäm. Zurichten möcht ich ihn, dass er nicht mehr Schatten brauchet, als eine Schmelche hergibt.« »Und ich wünsch, er soll dir aufhugeln«, rief der Korbflechter zornig. »Wenn er ein Mann ist, der eppes von sich hält, er lässt dich nicht ungestraft.«
Sie warf einen Brocken Schmalz ins Feuer, dass es hurtiger brenne. »Der leidige Stilzel!« schmähte sie. »Nochmals aufhängen sollt man ihn und hernach so tief einscharren, dass er am Jüngsten Tag nimmer herausfindet aus dem Loch!« »O du arges Weib!« staunte der Mann. »So schändlich redest du dem Stilzel zu, der dir dein Lebtag nichts getan hat? Und weißt du nicht, wie hart der Tod ist? Und du möchtest einen zweimal sterben lassen?!«
Die jähe Ader auf ihrer Stirn wurde blau. »Was ? So redest du mit mir? Gleich knie hin! Bitt ab!« zeterte sie. Und sie riss ihm das Körbel, daran er eben flocht, aus den Fingern und schlug es ihm um den Kopf. Da jammerte er zum Fenster hinaus: »Stilzel, lass dir das nicht gefallen! Stilzel, steh mir bei! Männer müssen zusammenhalten.«
Und dem guten Körbelzäuner wurde wind und weh zumut, und er schlich sich mit einem Strick in den Wald. Dort schlüpfte die Luft geisterlich durch das Dickicht, dort lauerte heimlich und unheimlich das Schweigen, das Moos war feucht vom Nebel. Und wie er zu der verbogenen Föhre kam, da hatte er eine Erscheinung: Mit Grausen merkte er, dass schon einer daran gaukelte, ein zerlumptes, höckeriges Büblein. Der Stilzel! Der drehte sich langsam an seinem Strick, und auf einmal zeigte er dem Körbler das bleifarbene, erstickte Gesicht und die Zunge, die blau auf die Brust herunterhing, und stierte ihn mit grauenhaft wilden Augen an. Da dachte sich der Mann: »Der Stilzel hat dem Tod ins Handwerk gepfuscht, und das verzeiht ihm der Tod nie, und drum hat er ihn aus dem Reich der Ruhe zurückgestoßen in den Unfrieden der Welt.« Und als jetzt gar ein Rabe daher flatterte und sich auf dem Schädel des Erhängten niederließ und gierig krächzte, da schauderte der Körbler vor seinem Entschluss zurück, er legte den Strick mit Abscheu weg und ging. Und er senkte die Augen vor der Sonne, vor der Lampe Gottes, die überall hinleuchtet, in das finsterste Moos, in den finstersten Föhrenwald, in das schwärzeste Herz.
Zur nämlichen Stunde trug die böse Zuss einen Buckelkorb voll Eier nach Eschelkam, sie wollte sie dort bei einem Krämer losschlagen. Unterwegs setzte sie die Last ab, ein wenig zu verschnaufen und den säuerlichen Ampfer aus der Wiese zu zupfen und zu kauen. Da zischte es in der Brombirlstaude, da polterte einer heraus, die Nase überstülpt, den breiten Mund vergrinst, wilde Zotten über Stirn und Augen und gar nicht behaglich anzuschauen. Der Stilzel war es, und er wollte sein Mütlein kühlen. Er juchizte hellauf und sprang mit beiden Beinen in den Eierkorb hinein, dass der gelbe Most um ihn aufquoll. »O du lose Haut!« schrie das Weib entrüstet und fuhr wie ein Gemsgeier auf ihn los, ihn beim Schopf zu greifen und sein Schelmenhaar zu raufen. Doch er hüpfte flugs mit gelben Hosen davon, der Dotter rann an ihm herunter, fast blieb der Wicht an der eigenen Fußspur kleben. Er rannte wie um Tod und Leben. Mit genauer Not entwischte er den Fangzähnen des Weibes.
Als sie zu dem Korb zurückkam, hob sie ihn samt der Brühe drin und stülpte ihn in blinder Wut sich selber über den Kopf.
*
Die Jungfer Sibilla Zelzer hatte seit ihren jungen Jahren im Eisensteiner Winkel als Kindsmagd und Stalldirn fast ohne Entgelt gedient. Ähnlich den Waldweiblein, die sich mit nichts anderem lohnen lassen als mit dem Schaum der Milch. Sie hatte geduldig und gehorsam jede Arbeit verrichtet, die ein Gehöft im rauen Gebirg droben verlangt, und die Bauern riefen sie auch zu sich, wenn eine Leiche zu waschen und umzukleiden war. Bin jeder Mensch hat nicht das Herz zu diesem Geschäft, sie aber tat es ohne Furcht und Scheu. Und als zuletzt ihre fleißigen Hände müde wurden und nimmer schaffen konnten, nahm sie einer, der selber nicht viel hatte, aus Barmherzigkeit in seiner Hütte auf, Gnadenbrot schmeckt bitter. Aber was soll ein steinaltes, bettelarmes Weib tun? Sie hatte nur einen einzigen Kittel, der war verschlissen und verblichen blau, und sie trug ihn am Sonntag wie an Werktagen. Sie hatte sich wirklich nichts erworben als den Spitznamen »Hohlkrouerl« (Hohlkrähe). Man hieß sie so, weil sie mager und kümmerlich worden war und ein gar wunderliches Wesen zeigte. Dieser Name war ihr wohl nicht lieb. Doch sollte sie mit den unvernünftigen Kindern streiten, die ihr das Wörtlein nachriefen? Sie war wehrlos. Auch hatte sie schon viel härtere Dinge erfahren und mit ihrem schüchternen, ergebenen Lächeln beantwortet.
Einmal, als sie im Spitzberger Wald Holz klaubte, ging sie an einem Kreuzbild vorüber und grüßte es andächtig: » Gelobt sei Jesus Christus, liebes Herrgotterl!« Hinter dem Kreuz versteckt stand aber gerade der schalkhafte Stornförster, und er verstellte seine Stimme und erwiderte feierlich: »In Ewigkeit, Amen, liebes Hohlkrouerl!« Da drohte sie dem Gekreuzigten gelind mit dem gekrümmten Finger und sagte: »Herrgotterl, Spitzbüberl, weißt du denn auch schon, dass ich das Hohlkrouerl heiß?« So herzlich vertraut war sie in ihrer Einfalt mit dem Höchsten.
Ihre abgewelkte Hand blättelte gern in dem »Immerwährenden Kalender«. Rollte ein Gewitter auf, so lispelte sie gebückt über ihr »Geistliches Wetterglöcklein«, und immer wieder las sie die rührende Geschichte von der unschuldigen Pfalzgräfin Genoveva mit der Hirschkuh und tastete sich mit dem zitternden Finger die Zeilen entlang und flüsterte mit dem verfallenen Mund ehrfürchtig die Wörter der wunderbaren und oft grausamen Erzählung. In jungen Jahren war sie jeden Pfingsttag nach Gutwasser gewallfahrtet zu Fels und Kirchlein, Quell und Bad des seligen Gunthari, des Heiligen der großen Wälder, jetzt aber war sie schon zu gebrechlich für diesen beschwerlichen Fußweg, und so saß sie gern in der Eisensteiner Kirche, die der reiche Glasherr Hafenbraedl in der Form einer Glashütte erbaut und mit einem riesigen hölzernen Zwiebeldach zugedeckt hatte, oder sie weilte in der Kapelle des Jagdschlosses vor dem märchenhaften Sarg, darin die perlenverschnürten und mit schimmernden Glassteinen geschmückten Knöchlein des heiligen Konstantius rasteten. Am liebsten aber kniete die Sibilla vor einer einschichtigen Tanne, die mit Totenbrettern umzäunt und mit einer Tafel benagelt war, darauf etliche verworfene Seelen gemalt waren, die kläglich beieinander im Fegfeuer schmachteten, und wenn sie das Bild betrachtete, fiel ihr immer wieder der Gebetbuchreim ein:
»Die Sündenlust ist bald vorbei,
bald steigt aus Flammen das Geschrei!«
Und ihr erbarmten die gepeinigten Seelen, und gern wäre sie ihnen mit der Kraft ihres guten Herzens irgendwie zu Hilfe gekommen, sonderlich aber jener Seele, die drunten am meisten leiden musste, und das war nach ihrer einfältigen Meinung dem Stilzel seine Seele, und sie wollte für den heidnischen Zwerg etwas tun, dass er nicht gar zu tief verstoßen bleibe im ewigen Leid.
Also begab sie sich zu dem Schreiner. »Schreiner, mal mir ein Totenbrett für den Stilzel!« Dem Meister verschlug es fast die Rede. »Sibilia«, sagte er, »der Arber wird allweil älter, und du wirst allweil tiefsinniger. Du bist wert, dass man über dich staunt.« Aber sie beharrte auf ihrer Bestellung. Wenn der Stilzel ein hübsches Brettlein hätte, gewänne er auch wie die anderen Verstorbenen seine Ruhe und brauchte das Land nimmer zu plagen, und zu Allerseelen, wenn der Tod das Türlein aufmache und für eine Weile die Abgeschiedenen an die Luft lasse, müsse das Brett schon geschnitzt, gehobelt, beschrieben und bemalt sein, und sie wolle für alle Kosten ehrlich aufkommen. Aber der Schreiner rang die Hände: »Du meine Zeit! Den Stilzel können alle Heiligen nimmer flicken. Der Flank, der Landstreuner! Der Teufel ist ihm zu Gevatter gestanden.« Die Sibilla ließ sich nicht abweisen. Sie meinte, alles müsse versucht werden, um einer abgeirrten Seele den himmlischen Heimweg zu erleichtern, und auf das Brett müssten Name und Stand des Stilzel geschrieben werden, wie es der uralte Brauch erfordere, und darunter wünsche sie noch das Gesätzlein:
Es ist bestimmt in Gottes Rat,
dass man vom Liebsten, was man hat,
muss scheiden.
»Draus wird nichts«, sagte der Schreiner. »Hohlkrouerl, dir sollte leid sein um die paar Groschen, die du noch hast.« Darauf meinte sie betrübt: »Ich seh es schon, besser wird es auf der Welt nimmer, es wird allweil schlimmer, weil den Leuten die Liebe fehlt.«
Jetzt strich sich der Meister gewaltig den Schnauzbart und brummte, wenn sie es denn durchaus haben wolle, werde er sie bedienen wie jede andere Kundschaft, und wenn sie auch ein Totenbrett für den leibhaftigen Teufel anfrieme. Aber im Herzen dachte er sich: Wie stark macht doch der Glaube! Der Glaube hebt den steinernen Berg aus seinem Grund und setzt ihn weiter.
Die Jahreszeiten rauschten schnell vorüber, es herbstelte, und auf einmal war der Allerseelentag da. Die Arberriesin hatte mit den grauen Leintüchern das Gebirg verhängt, und Busch und Dorn waren bereift. Die Sibilla Zelzer wanderte durch den Stornwald nach Eisenstrass, woher sie stammte und wo ihre Freundschaft begraben lag, und verbrachte dort den Tag auf dem Totenacker, ging dort von Grab zu Grab und widmete jedem ein Gebet und kniete in dem kalten, versengten Gras. Ganz feierlich war ihr zumut, denn sie hatte die Begräbnishaube ihrer gottseligen Mutter auf. Am herzlichsten betete sie an dem Hügel eines Menschen, dessen Täflein keinen Namen wusste, eines Landfremden, der, im tiefsten Winter des künischen Waldes wandernd, sich verirrt und todmüd sich hingelegt hatte neben einen Tannenbusch, der aus dem Schnee gewachsen war. Nach Jahren hatte man seine Leiche droben in einem Baumwipfel gefunden. Der Wald war damals ganz und gar zugeschneit gewesen, und der Wanderer war in einem Wipfel eingeschlafen.
Der Stornförster redete die Sibilla an. »Du wirst dich erkälten, du kriegst den kalten Frost. Du kniest gar zu lange. Wie geht es dir denn sonst?« Und sie erwiderte: »Ich dank schön, fürstlicher Herr. Wenn es nur auslangt bis zuletzt. Ich hab nur noch ein Neiglein Leben vor mir. Man stirbt sich langsam ein.«
»Geh, Hohlkrouerl, wer wird denn gleich ans Sterben denken! Ein altes Weib und ein eiserner Herrgott sind zwei ewige Werke.”
Mit diesem Trost verließ sie der Förster.
Sie ging erst heim, als schon der Muttergottesstern blaute. Die Straße war klingend gefroren, an den Ästen graute der Raureif. Der frühe Mond rötete sich im Dunst und erstickte drin. Bald tasteten die Tannen in den Nebel hinein. Eine erste, einsame Flocke schwebte nieder, zerrann in dem Auge der Sibilia und trübte es.
Auf einmal sauste es daher, es wirbelte auf der dämmerigen Straße, der Wald schwankte, eine Geißel schnalzte. Aus dem Nebel. tauchte ein hageres, abgetriebenes Ross, ein struppiges Winterross mit glühenden Nüstern, sein Schweiß rauchte. Und darauf saß einer mit hochgezogenen Knien, mit fliegendem Haar, einen Strick um den Hals. Er hatte den Aufruhr angestiftet. Aus dem blattersteppigen Gesicht glosten zwei Eulenaugen, das Maul war von einem Fluch abscheulich verrissen. Alt und moosig war der Reiter wie eine abgestorbene Grenzfichte. Die Sibilla schrie auf: »Stilzel? O du arme Seele!« Sie konnte nimmer ausweichen. Er ritt sie nieder.
Sie kam nach einer kurzen Weile wieder zu, sich und schleppte sich heim. Alles tat ihr weh, ihr Leib, ihr Hirn, ihr Herz. »Müd bin ich«, seufzte sie, »müd wie eine Herbstfliege.«
Als dann in ihrem Stüblein das Talglicht qualmte, dankte sie zunächst ihren Schutzfrauen, der blutweinenden Muttergottes von Klattau und der Himmelsfürstin von Heilingblut mit dem Türkensäbel im Kopf, dass das Geisterross sie nichtzerstampft hatte. Und dann gewahrte sie das neue Totenbrett, der Schreiner hatte es in ihre Kammer getan, während sie auswärts gewesen. Es lag auf der Erde und roch nach den frischen Farben. Ein wenig kurz war es geraten, allein für den Stilzel genügte es, er war ja auch nicht hoch gewachsen, und seine Leiche, wenn sie ehrbar bestattet worden wäre, hätte gewiss darauf Platz gefunden. Es war kräftig grün angestrichen, mit einem lachenden Totenköpflein freundlich bemalt, und führte als Inschrift die fromme Lüge:
Hier auf selbem Brett
hat geruhet
bis zu seiner Beerdigung
der ehrengeachtete Herr
Hans Stilzel,
Rosshüter aus der Schwarzau,
gestorben: wer weiß noch wann,
begraben: wer weiß noch wo?
Gott sei ihm gnädig!
O Wandersmann, gehst du vorbey,
hör meiner armen Seele Schrey,
und bitt für mich und denke mein,
so lindert sich mein bittre Pein!
Wie herzbezwinglich, wie herzdurchdringlich las sich dieser Spruch!
Die Sibilla kniete neben dem Brett nieder und verschränkte betend die Hände. Morgen wird sie das Brett zu den anderen hinstellen, es an den Baum nageln, die Menschen, die daran vorbeigehen werden, werden sich des Stilzel erinnern, ihr Ein altes Weib und ein eiserner Herrgott seien zwei ewige Werke, hatte der Stornförster gesagt. Aber das stimmte nicht ganz. Denn am andern Morgen fand man das Hohlkrouerl auf dem Totenbrett des Stilzel für immer eingeschlafen. Ein großes Herz war ausgeglüht, und niemand hatte seine Wärmeerkannt.
Erbarmen wird aufgerufen, sie werden für ihn bitten. Der göttliche Urteiler über den Sternen wird seine Gnade in die eine Waagschale legen, und den Stilzel, an dem drunten das bittere Feuer leckt, wird es wie linde Kühlung durchschauern. Ach, was kann er für sein missratenes Leben?! Er ist ein armer Findelbub gewesen, und kein Mensch hat sich in Liebe seiner angenommen.
Die Sibilla zupfte an ihrem Kittel, senkte die Augen und begann mit rührend rauer Stimme ein verschollenes Totenlied. In grenzenloser Müdheit legte sie sich dabei auf das Brett, es passte gerade für ihre bescheidene Länge.
»Hab gute Nacht!
Der Tag war schwül im Erdgewühl.
Schlaf wohl, schlaf lang!
Die Nacht ist kühl.«
Ein altes Weib und ein eiserner Herrgott seien zwei ewige Werke, hatte der Stornförster gesagt. Aber das stimmte nicht ganz. Denn am andern Morgen fand man das Hohlkrouerl auf dem Totenbett des Stilzel für immer eingeschlafen, und niemand hatte seine Wärme erkannt.
*
Als der alte Hiermann seine Krage von Warzenried her gegen die böhmische Grenze trug, kam er zu dem Stilzelacker und beschloss dort zu rasten. Er stieß den kranewitenen Knotenstock ins Gras, hängte seinen Hut mit dem durchschwitzten grünen Band und mit dem kecken Dachsbart darauf und stellte den schweren Kasten ab. Bevor er sich niederließ, zog er sein buntgläsernes Schnupfglas und schlug ein erkleckliches Häuflein Tabak auf den Rücken seiner Hand, es war ein bekömmlicher Perlesreuter, der erschütterndste Brasil, den das sachkundige Bayerland rieb. Der Hiermann war in dieser Hinsicht sehr wählerisch, er genoss nicht jeden beliebigen Tabak und wusste die Heilkraft eines saftigen Schmalzlers gebührlich zu schätzen. Seit das Schnupfen bräuchlich worden, werden die Leute nimmer so verrückt. Wenn man einer Sache gar zu tief nachdenkt, wird die Sinnierader im Hirn so streng angespannt, dass sie häufig reißt, und dann ist das Unglück geschehen und der Narr fertig. Greifst du aber dann und wann nach einem zarten Schnüpflein, so durchdringt es augenblicklich deinen ganzen Menschen, heitert dich auf, zerstreut dich und sänftigt und mäßigt die gefährdete Ader. Mit solchen Gedanken jagte der Hiermann sich den Perlesreuter wollüstig in die erprobte, großzügige Nase, nicht ohne einige Krümel in den graugemischten Bart zu verzetteln, den er sich kapuzinerlich bis zu den Knopflöchern hinunter wachsen ließ. Dann streckte er den kurzen, stämmigen Leib beglückt ins Gras hin und schmunzelte: »Nichts tun, tu ich gern.«
Der Stilzelacker lag mitten im Wald bei den Schwedenschanzen, die man vorzeiten gegen das feindliche Kriegsvolk aufgeworfen hatte; sie hatten nichts gefruchtet, der Krieg hatte trotzdem mit Blut und Feuer herein geschlagen. Es war ein rauer Egarten voller Unkraut und seliger Blumen, fein windstill, und es ließ sich hier rasten wie im Himmelreich. Ein Kranwitschnerrer pfiff, und der Hiermann, der keinen Vogel hören konnte ohne mitzusingen, hub gleich sein Leiblied an:
»Mein Vetter Hans,
was tragt die Gans auf ihrem Schnabel?
Eine Stallhex samt der Gabel
tragt die Gans auf ihrem Schnabel.
Mein Vetter Hans,
was tragt die Gans auf ihren Hachsen?
Den alten Hiermann mit der Kragen
tragt die Gans auf ihren Hachsen.
Mein Vetter Hans,
wer reit't der Gans auf ihrem Pürzel?
Ui je, der Stilzel, Sterzel, Stürzel
reit't der Gans auf ihrem Pürzel.«
Der Alte kannte die Welt hinten und vorn und rundherum, als wandernder Krämer hatte er seine Truhe weit hinein in die Hochschweiz getragen, wo die Straßen mit Käs gepflastert sind, er kannte in Tirol und in den wilden Tauern jedes Gatter, jede Almhütte, jede Sennerin, jeden Gamsbock und jeden Jodler. Aber daheim im Wald war es doch am traulichsten. Freilich, das verwilderte Brachfeld da war in seiner Öde unheimlich trotz der liebreichen Blumen darauf. Am Waldrand die krumme Mehlbeerstaude neigte sich hin und her, und war doch nicht das winzigste Lüftlein zu spüren. Sie schien einem fast mit Geisteraugen zuzuschauen. Seltsam, nickte sie nicht jetzt dem Hausierer zu? Hm, hm! Und das unkrautige Flurstück da, abseits den Dörfern, warum hieß es gerade der Stilzelacker? Das musste seine eigene Bewandtnis haben. Hat man da den erhängten Rossbuben verscharrt ? Aber es war besser, wenn man seiner nicht gedachte, und das Lied vorhin hätte der Hiermann nicht singen sollen, es könnte leicht als Spott genommen werden.
Wenn man den Stilzel nennt,
kommt er geritten oder gerennt.
Der alte Kraxenträger war dem Stilzel schon einmal in die Schräge gekommen, und er hatte ihn tragen müssen, den widerwärtigen Geist. Als junger Bursch hatte er aus lauter Fürwitz dreimal den Namen Stilzel in die Nacht gerufen, bei der scheusamen, öden Ziegelhütte war es geschehen nahe dem Seelackerteich. Stracks war der Geist dem Burschen aufgehugelt, hundertmal schwerer war er gewesen als die Krage, und der Hiermann hatte sich eingebildet, es wachse ihm ein Steinfels in den Buckel hinein. Die Brust hatte ihm gekracht, der Hals gestöhnt, die Herzader hatte getobt, als müsse sie zerspringen. In seiner Not hatte er damals gelobt, in der Glashütter Kapelle eine beinerne Wachskerze aufzustecken. Erst beim Baderwebersteg in Neuern ist der Stilzel von ihm gewichen. Er hat nicht über den Bach hinüber wollen. Auch sein Reich hat Grenzen.
Der Hiermann war sonst nicht geschreckig, er hatte ein festes Mannesherz, aber jetzt schien es ihm, als schleiche etwas Unrechtes um ihn herum, als ducke es sich in den vergrasten Schanzen und habe nichts Gutes vor. Da schrie er, um dem schleichenden und duckenden Ding Angst einzujagen, mit dumpfer Stimme den alten Räuberschrei: »Licht aus! Messer raus! Drei Mann zum Blutrühren!« Und gleich war alles still. Es mochte nur ein Kräuterweiblein gewesen sein, das da geraschelt hatte. Aber die schmächtige Mehlbeerstaude raschelte verdächtig weiter.
Der Hiermann kehrte sich den Blumen zu. Ihm gefiel besonders eine, herzrot war sie, und sie schien zu wissen, dass sie hübsch war, denn sie drehte sich wie eine eitle Jungfer vor dem Spiegel, so dass man ihren vollen Liebreiz bewundern konnte. Und da vermochte der Alte nimmer zu widerstehen, er rupfte sie ab und roch daran. Das hätte er unterlassen sollen.
Im Hui tat der Stilzel seinen Koboldsprung aus der unruhigen Staude und tänzelte gleich einem jungen Geißbock daher, rauköpfig, das Gesicht vom Blatternmann zerfetzt, ein schlimmes Licht stieß ihm aus den Augen, der Teufel selber hätte nicht grausamer dreinschauen können. »M-m-m«, drohte er. »Ist das epper dein Acker?« fragte der Alte erschrocken. »Vergunnst du mir nicht das winzige Schmeckblümel da?« Und er klemmte die Augen bis auf einen schmalen Spalt zu und sagte vertraulich und listig: »Sei nicht so zuwider! Wir kennen uns ja schon lang. Spring nicht auf, ich bin nimmer so fest wie damals.« »M-m-m«, murrte der Stilzel. »Hilf jetzt, was helfen kann!« dachte der Hiermann. Er erhob sich und sperrte seinen Kasten auf. »Da schau hinein, Vetter Hans! Such dir was aus! Für dich ist alles umsonst.« Sauber geordnet lagen drin Schnür- und Strumpfbändlein, Schuhschmiere und die Bürsten dazu, Schnurrbartwichse für vornehme Herren, schmeckende Seifen, Salben gegen die Sommersprossen im Gesicht schöner Mädchen, die noch schöner werden wollen, wunderwirkende Öle. »Sowas kriegst du nicht einmal beim Apotheker Pernfueß«, lobte der Hausierer seine Ware. »Alles frisch aus Portugal bestellt. Magst nix haben, Vetter?« »Nix«, murrte der Stilzel und schnitt ein höllisches Gesicht. »O weh, jetzt nimmt er reich beim Frack!« dachte der alte Hiermann.
Er setzte seinen Hut auf, sperrte den Kasten wieder zu und halfterte sich die Riemen über die Achsel. »Wenn dir nichts passt, Vetter, und kein Geschäft zu machen ist, so ist es am besten, ich geh.« Aber der Stilzel funkelte ihn grauenhaft an, duckte sich in sich selber hinein und setzte zum Sprung an. Der Hausierer merkte es, und er sagte geschwind: »Vetter, ein neues Rätsel weiß ich. Was ist das? Ich koch es nicht und brat es nicht und salz es nicht und schmalz es nicht und kau es nicht und schling es nicht, und schmeckt mir doch nichts besser auf der Welt. Jetzt rat einmal!« Derweil der Stilzel
gar dumm dreinsah und vor lauter Nachdenken den Sprung vergaß, hielt ihm der Hiermann sein schillerndes Schnupfglas hin. »He, da nimm, Vetter!« Der Stilzel sagte nicht ja und nicht nein, er brummelte nur und ließ sich: den braunen Brasil auf die Hand hauen, und er schnüffelte lüstern daran und zog ihn schließlich mächtig schnaufend in die Nüstern. O pfuitausend, der Perlesreuter wirkte! Den Atem benahm es ihm, die Zähren hüpften ihm aus den Augen, und er nieste, dass das Laub vom Wald fiel, und er nieste und nieste und bog sich, als müsse er zerplatzen.
Jetzt raffte der Hiermann sein ganzes Herz zusammen, und mit einem Sprung, den man seinem Alter nimmer zugetraut hätte, sprang er samt der Kraxe dem Waldgeist auf den Rükken. »Du Krobat, jetzt zwiebel ich dich, jetzt kuinier ich dich auch einmal!« schrie er. »Bärenhäuter, du gescherter! Du tragst mich jetzt zur Böhmischen Luft!« Er griff dem Stilzel in das straubige Haar und hielt sich daran fest. Der Stilzel bockte und speuzte und grunzte, er legte alle Gewalt an, den Reiter abzuwerfen, er schnappte in hilfloser Wut nach sich selber, und sein schwarzer Schopf färbte sich ritzrot. Umsonst! Der Hiermann saß felsenfest. Er holte mit seinem Stecken aus. »Heut zahl ich zurück. So, da nimm den Zins!« und er brannte ihm eins auf die Haut.
Der Stilzel setzte sich in Galopp. Er schleppte den Hiermann samt der Kraxe die Grenzschneisen entlang, vorüber an den weißblauen Zollsäulen, vorbei an den böhmisch-bayrischen Wappensteinen. Es war beileibe kein kurzer Weg. Und der Reiter sang dazu einen halsbrecherischen Jodler nach dem andern und tat manchen geistlichen Spruch, der den Stilzel wie ein spitziger Sporn ins Fleisch stach, dass er aufwieherte und immer schneller durch Farn und Hochgras rauschte. »Gott verlässt seine Heiligen nicht!« rief der Hiermann. »Hott herum, Stilzel, Hangerstilzel! Ihaha, Bärnloch zu!« Den Hanger ging es entlang, die Höhe, wo vormals die alte Zollburg gestanden. Der Jäger Damasus Humbs sah die wunderliche Reiterei daher sprengen, er warf staunend die Arme hoch mit dem bayrischen Seelenschrei: »Ja, gibt's denn dös aah?!« An der Grenze bei dem Wirtshaus »Zur Böhmischen Luft« stieg der Kraxner ab. Der Stilzel war ganz in Schweiß gesalzen, der Schaum flatterte ihm aus dem Maul. »Aus is!« keuchte er. Der Hiermann nickte: »Ja, aus ist es, besonders ganz zuletzt, am Ende, wenn es gar ist.« Und während der Stilzel heulend in den Hangerwald hinein stob, tat sich der alte Hiermann an einer Maß Deschenitzer Bier gütlich und freute sich, dass er so schnell und so bequem gereist war.
Also geschehen zu Bayern im Wald.
*
Der Paul Kelchgraber hielt schnaufend auf seinem Botengang ein. Vor ihm grellte eine weißgetünchte Kapelle, und daneben stand finster eine knorrig verkropfte Eiche, das letzte, zähe Überbleibsel eines verschollenen Waldes, der hier einmal das ganze Tal bedeckt hatte. Der Baum trug von einem alten Krieg her eine Kanonenkugel im Leib. Er raschelte mit seinem welkenden Laub.
Von dem Städtlein Neuern herauf meldete sich die Stundenglocke. Die Nacht war sehr still. Der Kelchgraber zählte. Es schlug zehn Uhr.
Der Kelchgraber musste eine Botschaft hinüber ins Bayrische schaffen. Ins Kloster Heilingblut. Ein schwerkranker Mensch schickte der wundertätigen Gottesmutter dort ein wächsernes Herz, es sollte morgen bei der Frühmesse schon auf ihrem Altar liegen. Der Kranke hatte es eilig.
Der Bote seufzte. Das Gestirn des Winters hing über ihm. Der Schnee war tief, der Frost biss. Es wird noch den Hähnen im Stall die Kämme frieren. Der Mond schaute schlimm darein, heute war mit ihm nicht gut Kirschen essen. Und die Meilen dauerten hierzulande lang. Könnte man wie ein Riese mit einem einzigen Schritt über. die Grenzberge treten! Wie gut haben es jetzt die Bauern! Sie lümmeln auf der Ofenbank und schnarchen.
Da glöckelte es eilig hinter dem Boten heran. Schellenkränze! Ein später Schlitten! Br fuhr denselben Weg. Willkommen! Der Schnee stäubte unter den Hufen der hageren Rösser. Im Schlitten lässig zurückgelehnt ein Mann im Wolfspelz, die Haube tief in der Stirn. Ihr kümmerte sich nicht um den Gruß, den ihm der geringe Mann an der Straße spendete. Wer mochte er sein? Ein Arzt? Ein reicher Händler ? £in hoher Zollbeamter?
Der Kelchgraber erkannte .den Vermummten nicht. Gleichviel! Er sprang rasch hinten auf die Kufen des Schlittens. Er stand spreizbeinig drauf, hielt sich fest und fuhr mit. Jetzt hatte die Mühsal ein Bude, in zwei Stunden würde er drüben im Kloster sein.
Eine Eule taumelte durch die fahle Luft. Schuhui, verrat mich nicht! Doch der Fremde vorn im Schlitten merkte nichts von dem blinden Fahrgast.
Schon rannten die Rösser durch das Dorf Kohlheim. Schnee auf den Schindeldächern. Ein matterleuchtetes Fenster. In der Stube drin ein Unschlittstümplein Irin buckliges Weib klöppelte.
Jetzt waren sie schon wieder zwischen den freien Feldern. Ein wildernder Köter fiel den Schlitten an, bellte wütend, blieb zurück.
Die Rösser waren zäh, sie rannten bergan wie talab. Vorüber an finsteren Einschichten. Dann durch das Bergdorf Sankt Katharina. Die frostigen Flügel der Nacht hoben sich. Ein Schubfenster tat sich auf. Eine eilige Hand warf Mehl heraus, die Seele des Windes zu füttern.
Der Wald dunkelte heran. Der bayrische Grenzpfahl hatte eine dicke Haube auf. Vor dem Zollhaus wartete der Wächter. Er winkte. Aber der Schlitten hielt nicht, die Rösser brausten vorüber.
Ein Schuss! Der Zöllner hatte nachgeschossen. Dem Kelchgraber wurde unbehaglich. Seine Knie schlotterten.
Potz Kuckuck! Jetzt verließ der Schlitten gar die gebahnte Straße und nahm das schmale Waldgässlein. Hier pflegten die Wallfahrer immer ein beträchtliches Stück Weg abzuschneiden. Der vermummte Fremde schien das zu wissen. Aber jetzt im Winter war dieser Weg kaum gangbar, geschweige denn zu fahren. Und zudem rumorte in dem moosigen Forst hier der Stilzel, der hinterhältische Geist, der Possenreißer, und lauerte, den Reisenden eins aufs Zeug zu flicken. Gott behüte einen vor ihm!
»Herr, wir fahren falsch!« warnte der Kelchgraber.
Der Fremde rührte sich nicht. Er hatte tote Ohren, sie waren ihm wahrscheinlich erfroren. Er schlug nicht mit der Geißel rückwärts nach dem ungebetenen Gast, der ihm den Schlitten beschwerte.
Enger wurde der Weg und enger. Äste fegten dem Kelchgraber über die Nase, die Zweige rissen ihm den Hut herunter, Schnee sank ihm in die Augen. Die Rösser brachen durchs Gestrüpp. Er klammerte sich fester, er wollte in der Wildnis, im Gehege des Stilzel, nicht abspringen. Und besser schlecht fahren als gut gehen! Ein alter, kluger Spruch!
Wie verwegen kutschierte der nächtliche Mann da vorn! Führte ihn der Leibhaft am Band? Es war, als stünde der Schlitten still, und die weißen Tannen schäumten vorüber. »Aushalten! Aushalten! Wir erschlagen uns!« rief der Kelchgraber. Ihm war todangst. Sein Herz hämmerte. Und jetzt war ihm, das wächserne Opferherz in seiner Brusttasche fange auch an wild zu klopfen.
Aber der breite, verschwommene Leib des Fremden rührte sich nicht. Er scherte sich nicht um Peitsche und Zügel, er fluchte nicht auf, das irrwitzige Gespann zu leiten. Er konnte doch -- um Himmels willen! -- bei dieser tollen Hetzjagd nicht eingeschlafen sein? Der Kelchgraber schaute schärfer hin. Er sah aber nur die mächtigen Schultern, das speckglänzende Haar und, die zottige Haube, sonst nichts.
Schon hatten sie wieder die geräumige Straße erreicht. Auf den Knien sei es der Muttergottes von Heilingblut gedankt! Sie, nur sie hatte geholfen, dass der Schlitten nicht zerschellt war. Da ragte ihre Säule dämmerig am Weg, die betrübte Heilige hatte das Haupt von einem hussitischen Säbel gespalten bekommen.
Und dort, wo das rötliche Licht zuckte, dort hauste, mit Verlaub zu melden, der Schinder. Was trieb er noch so spät? Gewiss nichts Frommes, nichts Ehrbares! Heute war der Pfinztag vor Dreikönig, und in dieser Nacht wurde gebannt und gezaubert, und die Geister wandelten.
Das Dorf Atzlern schob sich vorüber. Der Kelchgraber kannte an dieser Straße jeden Eschelbaum, jeden Backofen, jeden Zaun, jedes Totenbrett und alle Namen und Sprüche daran. Tausendmal schon war er diesen Weg gezogen, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Aber so schnell wie heute noch nie. Grau stieg die Klosterstadt auf. Dächer schimmerten. Jetzt war es an der Zeit, dass man absprang. Heimlich, heimlich! Der im Wolfspelz brauchte es nicht zu wissen.
Der Kelchgraber warf noch einen letzten Blick auf den Fremden. O höllischer Schreck, was war das?! Er erkannte, dass der Kerl vorn ihn anschaute. Das Gesicht zurück ins Genick gedreht, glotzte der Fremde. Was wie eine Pelzhaube, wie ein gleißender Schopf geschienen, jetzt drang es deutlich durch die zwielichtige Nacht: ein hämisches Gesicht, eine plattgequetschte Nase, ein grinsendes Maul, triefende grelle Hauer darin! Zwei feuerglühende, bohrende, riesige, verderbliche Augen! Oh, die ganze Fahrt hindurch hatte dieses Ungesicht den Boten angezwinkert, angestiert, belauert, und er hatte es nicht gewusst! Oh, es war das Gespenst des erhängten Rosshirten, es war der Stilzel selber!
»Maria Heilingblut!« ächzte der Kelchgraber.
Da löste sich die Fratze im Nebel, der ungeheuerliche Leib vergraute, verdunstete, Schlitten und Tiere zerrannen. Einsam taumelte der Bote im Schnee.
Er sah sich um. Er griff nach der Stirn. Wo war er?
Vor ihm grellte die weißgetünchte Kapelle, der verknorrte Eichbaum raschelte mit seinem welken Laub. Über ihm hing das Gestirn des Winters. Tief war der Schnee.
O Blendspiel! Der Kelchgraber stand an der alten Stelle, um keinen einzigen Schritt war er weitergekommen.
Von Neuern herauf wehte Glockenschlag.
Er zählte. Es schlug zwölf.
*
Als der Reichsgraf Palm zum ersten Mal in seine böhmische Herrschaft Bistritz einritt, eilte ihm kein guter Leumund voraus, und dessen Berechtigung erwies sich alsbald, als das Dorf mit Blumen und Ehrenbogen seinen adeligen Herrn begrüßte. Der Bürgermeister verrichtete einen abenteuerlichen, weit hinter sich greifenden Kratzfuß, räusperte sich und begann: »Euer hochgräfliche Gnaden erlauben untertänigst, dass wir, unsere mit tiefster Erkenntlichkeit erfüllten Herzen zu Hochdero Füßen legend, die teuerste Versicherung leisten, wie unsere Ehrerbietung ebenso grenzenlos ist, wie die Begierde, uns Hochdero Hulden und Gnaden würdig zu machen, wovon wir uns die fortwährendste, mildeste Gesinnung untertänigst erbitten und --« Der Graf hörte zu, biss sich in die Lippen und lachte grell auf. »Schluss mit Jubel!« unterbrach er den erschrockenen Dorfobersten. Er reichte ihm seine elfenbeinerne, goldeingefasste Tabaksdose und ließ ihn schnupfen. Hernach sagte er: »Mein fußfälligster Diener, Er hat das Rauchfass wacker geschwungen, Er hat sich gründlich vor mir hingekniet. Nun kann Er Höchstmich -- -- --!« Damit schwenkte er den Hut und gab dem Pferd die Sporen.
So wurden die Untertanen schon von allem Anfang an aus ihm nicht klug, und sie wichen ihm fortan aus dem Weg und mieden ihn, wo es nur anging, wobei sie nur seinen Neigungen entgegenkamen, denn er gab sich am liebsten mit seinen Pferden und Hunden ab, und die Menschen schienen ihn vollkommen kalt zu lassen. Die Leute schüttelten die Köpfe. Was war auch von einem Mann zu erwarten, der -- wie das Gerücht lautete -- die Auferstehung des Leichnams leugnete, und der, weil er in Bayern draußen ein aufgehobenes Kloster gekauft und als Gestüt eingerichtet hatte, gewiss einmal auf den Nebelwiesen hinter Bistritz würde müssen feurig umgehen mit seinem blauen Hut, der wie ein Schifflein geformt war, und seinen knarrenden Stiefeln. Man redete ihm nach, er mache heimlich Geld, und wollte ihn belauscht haben, wie er nachts Gold gemolken habe, das wie ein Brunnenstrahl aus der Mauer des Schlossparkes gezischt habe. Jedenfalls stimmte etwas mit ihm nicht. Woher hätte er denn auch den Reichtum gehabt, um die Maurer und Zimmerlinge zu bezahlen, die seiner Bauwut dienen mussten? Er baute ohne Aufhör. Er ließ sich einen offenen Saal errichten mit zahllosen drehbaren Spiegeln, welche mannigfaltige Ansichten des gespiegelten Ossergebirges und der Chodischen Höhen boten. Auf einer Insel in dem von Fischteichen glitzernden Park setzte er eine Einsiedelei hin, Wand und Dach mit Fichtenrinde bekleidet, und als sie fertig war, ließ er sie sofort wieder abtragen und an ihre Stelle ein chinesisches Tempelehen mit geschwungenem, dreimal sich verjüngendem Dachwerk errichten, das der launische Bauherr wiederum durch ein griechisches, der Sonne geweihtes Säulenkirchlein ersetzte. Einmal hieß es sogar, er wolle das ganze Schloss Bistritz außen und innen vergolden lassen. Auch sein sonstiges Leben erschreckte die Gemeinde. Sie sahen entsetzt seine halsbrecherischen Ritte, sie fürchteten seine großen, starren, fliederblauen Augen, seine herrische Nase, seinen spöttischen Mund. Oft lud er die adelige Nachbarschaft zu sich ein und steckte sie in wildem Zechgelage mit seiner Tollheit an. Der Kammerdiener Gaston musste seine Räusche zählen und in ein Buch eintragen. Es geschah unter anderem, dass zur Überraschung der hochwohlgeborenen Gesellschaft in die Trinkstube, von zwei riesigen Leibjägern Arm in Arm geführt, ein leibhafter Wildbär kam, der kürzlich im Geschründe des Ossers in einer Grube sich gefangen hatte. Über einen Teich ließ der Graf zwei Holzbrücken schlagen und in deren Schnittpunkt ein Lusthäusel mit rundem Tisch und behaglichen Stühlen errichten. Wenn seine Gäste dort bei Braten und Wein am ausgelassensten waren, ließ er hurtig die Brücken senken, und die Zecher saßen bis an den Bauch im Wasser, und Fische, so rot wie Pomeranzen, umschwammen ihre Knie. Hier aber sei nur das denkwürdigste Stück erzählt, das der Graf sich erlaubt hat.
Der Graf Palm lud den Maler Afreddo Nibuk mittels eines Schnellboten über die Alpen herüber zu sich in den Böhmerwald ein. Er hatte ihn auf einer Seereise in den Liparischen Gewässern als einen sich ähnlichen, einfallsreichen Liebhaber launischer Schrullen schätzen gelernt. Der Künstler war, wie schon sein ungewöhnlicher Name verriet, irgendwo in den zauberischen Nilländern geboren worden, doch in Italien großgezogen und zum Maler ausgebildet und bald berühmt worden, er hatte Unsummen Geldes verdient und sie schleunig wieder vergeudet, er hatte feierliche Päpste und düstere Briganten gemalt, rote Kardinäle, Geißhirten und Hexen in den Abruzzen und Bettler mit dem bösen Blick, am liebsten aber Gespenster und altheidnische Wesen, so in einer Höhle des genuesischen Gebirges den letzten noch lebenden Kentauren, im Schatten eines Ölbaums am perusinischen See einen Faun und in den pontinischen Sümpfen die kindlich zarten und zuweilen verzerrten Gesichtlein der Irrlichter. Er war geradezu darauf versessen, mit Stift und Farbe Gespenster festzuhalten, und um dieser Leidenschaft willen wäre er sogar in die feurige Esse des Stromboli getaucht, um die Zyklopen drunten in ihrer Schmiede zu malen, oder er wäre der verkohlten Fährte des Satans selber gefolgt. Er war von seinem ägyptischen Ursprung her mit Zauberkräften begabt.
Der Graf bestellte ihn zu sich, dass er die Ahnfrau male, die weiße Dame, die sich auf Bistritz zuweilen unheilvorauskündend blicken ließ, und der Gespenstermaler ging sofort auf das lockende Angebot ein und stürzte bald in die Arme des Freundes. Das Schloss.behagte, ja begeisterte ihn, es war ein artiges Geisterschloss auf einem Felsblock, umrollt von einem düsteren Flüsslein, hochalt, mit seinen unheimlichen Gängen und Gewölben weithin verrufen. Man hörte dort Tritte, und es kam niemand, man vernahm Stimmen und konnte die Murmler nicht stellen. Ein Diener war einmal in den Schlosskeller geschickt worden und war unerklärlicherweise in einem unterirdischen Gang verschollen. »Grandioso!« schrie der Maler, als er solches erfuhr. Da er zudem ein tiefgründiger Trinker war, fügte er sich gut in die Art des Grafen. Und schließlich entzückten ihn die Bäche, die hier dunkler rannen als in anderen banden, und das mochte wohl so sein, weil die Schatten finsterer Fichten zu lange auf ihnen geruht hatten. Und auch der Himmel dieses Landes erschien ihm wunderdunkel, als spiegle sich darin die dunkelgrüne Waldunendlichkeit.
Den ersten Abend verbrachten der Graf und sein Gast im Saal bei einem starken, berauschenden Wein, einem richtigen Hirnbrecher. Der Raum, nur ungewiss beleuchtet vom Feuer des Kamins, war öde und verwahrlost. Ein blauer Jasminbaum blühte in einem Kübel, den Fußboden bedeckte ein türkischer Teppich. Auf einem staubigen Tisch funkelte eine Elektrisiermaschine, lag eine Handschar mit eingelegten Koransprüchen, eine Harfe mit erschlafften Saiten. In einer Ecke war ein künstliches Spinnennetz aus Stuck angebracht. In später, trunkener Stunde kamen die beiden überein, den in der umliegenden Gegend behausten Forstgeist Stilzel vorzuladen, der in den letzten Jahren Land und beute über alle Gebühr aufregte und belästigte.
Der Maler öffnete seinen mit Eisen wuchtig beschlagenen Reisekoffer, darauf er gesessen, kramte aus allerlei Wust ein mächtiges Hufeisen herfür, kniete damit vor den Kamin hin und hielt es gegen den Rauchmantel. Dann schloss er die Augen, lauschte eine Weile und flüsterte: »Die Berge sind wie Festungen. Sie sind leer. Die Wälder sind schwarz. Sie sind leer. Die Wiesen ziehen weit. Sie sind leer. Im Park kauert er. Der Überall und Nirgends. Bei der alten Manieneiche.« Der Beschwörer erhob sich. Er warf eine Handvoll Staub ins Feuer. Grüne arsenikalische Dämpfe fuhren auf. Wind stieß aus dem Kamin, da züngelte dem Zauberer über dem Scheitel, der eben noch kahl gewesen, ein schneeweißer lodernder Schopf hoch, sein Gesicht wurde fremd und streng, Fluch und Lockung rief er in den Rauch, die ziehenden Kräfte des Mondes, der draußen in seiner vollen Fülle hing, sprach er an. Er pfiff dreimal einen markzerschneidenden Pfiff. Dann tat er einen. Schrei: »Abadon! Abadon!« Seine Zunge tönte wie Eisen.
Da rumpelte etwas Dumpfes plump den Kamin herunter. Der Maler riss es aus dem Feuer. Ein Scheusal! Ein schlafendes, zwergiges Ungeheuer. Halb nackt, bucklig, fast ohne Hals, eine entartete Gestalt. Sie roch modrig. Sie griff sich an wie gefrorenes Fleisch. »Der Stilzel !« frohlockte der Graf. Afreddo Nibuk kehrte das Gesicht des Geistes gegen das Licht. »O wie wüst! O wie herrlich! Ein Fabeltier!« rief er begeistert. »Dass mich der Tarant steche! Ich male ihn, während er schläft. Packen Sie an, Graf!«
Sie schleiften den Unhold hastig zu einem Bücherschrein, der war aber nur eine verkleidete Drehtür, die in den Spiegelsalon führte. Sie stießen sie auf. Hier in dem achteckigen Zimmer, wo die Kerzen prunkvoll in den Armleuchtern brannten und ihr Widerbild in den klaren Spiegeln fanden, die Scheibe an Scheibe alle Wände und die Decke droben verhüllten, hier war der Waldgeist von allen Seiten her bis in die geringste Runzel seiner zerfurchten Fratze beleuchtet. Sie setzten ihn in einen messingbronzierten, mit alabasternen Kapitälen versehenen Stuhl und legten seine haarigen Pratzen auf die Armlehnen.
Afreddo Nibuk umkreiste den Kerl nun wie ein spürender Weidmann, er wollte ihm die grässlichste Seite abluchsen, er forschte dessen Bild in den strahlenden Scheiben aus und auch droben, wo es in der gläsernen Decke kopfunter sich spiegelte. Dann nahm er dem Schlafenden gegenüber Platz. Sein Scheitel war wieder spiegelnd kahl, sein Gesicht knabenhaft zart und freundlich geworden. Er begann mit roter Pariser Kreide auf köstlichem holländischem Velinpapier die Fratze zu zeichnen. Indes bestieg der Graf einen ausgestopften Bernhardiner, der auf zwei krummen Kufen wie ein Schaukelpferd eingerichtet war, es war sein Lieblingshund gewesen. Ein leidenschaftlicher Reiter, wollte er sich auch im Salon den Genuss eines Rittes nicht entgehen lassen, und er schaukelte und fächelte dabei mit einem perlmutternen Fächer der weinerhitzten Stirn Kühlung zu.
In der Tür erschien Gaston, auf einem Tablett Flaschen und Gläser bringend. Er starrte verdutzt den berußten, zerloderten, schlafenden Unhold an, der da -- der Teufel weiß wie -- hereingeschneit war, und fast hätte er seines Grundsatzes vergessen, sich über nichts zu verwundern, was die Herren treiben, denn gar ungewöhnlich war die Gruppe, die sich in unzähliger Spiegelung rings wiederholte. Ein Bild, man hätte verrückt werden können. Aber dann setzte der Kammerdiener schweigend jedem der beiden Herren ein geschliffenes Glas vor, goss ein und zog sich rücksichtsvoll zurück.
Der Maler kostete mit kluger Zunge. Der Wein schmeckte feurig mild und zärtlich. »Ein toskanischer Schluck! Monte Chianti!« lobte Afreddo Nibuk. »Schade, dass der Satyr da nicht mit säuft!« Graf Palm lächelte: »Und wenn ich den Zottigen jetzt von Gaston flink balbieren und ihm ein Kavalierzöpflein flechten ließe, was würde er dazu sagen, wenn er erwacht?«
Der Atem des Stilzel schnarchte anfangs heftig, ging dann immer langsamer und leiser, bis er plötzlich aussetzte. Der Graf wurde unruhig. »Ist der Kerl jetzt hin? Gaston soll ihn aus dem Schloss schaffen.« Der Maler winkte unwillig ab und zeichnete mit fliegenden Strichen.
Nach einer Weile sagte der Graf: »Was ist mit ihm los? Er soll Rossbursch gewesen sein in der Luitburg bei Warzenried, die im Schwedenrummel ausgebrannt ist. Er scheint also schon ein moosaltes Bübel zu sein. Erdrosselt soll er sich haben. Und doch lebt es in ihm noch.« Der Maler ließ die zeichnende Hand rasten und sagte: »Die Seele wirft beim Tod die grobe Leiblichkeit ab und kleidet sich in einen Ätherleib. Dieser Waldsatyr ist noch nicht so weit, er ist noch kein Seelenleib, er ist wohl noch kaum ein Gespenst. Er dämmert in einem Zwischenreich zwischen Welt und, Nichtwelt. Vielleicht ist es ihm auch nicht möglich, ganz zu sterben.« »Es muss sich diese Erscheinung schließlich doch durch die Vernunft erklären lassen«, meinte der Graf. »Erklären, Conte de Palm?!« lächelte der Maler. »Lässt sich ein einziges Wesen in dieser Welt auf den Grund schauen ? Was ist der graue Stein, den Sie vom Weg aufheben und forschend betrachten? Was ist das linde Laub des Baumes draußen im Park? Was ist das Tier, das scheu im Dickicht schweift? Was bist du, Mensch? Gott und Welt und Leben und Tod, alles ist Fremde. Nichts ist erforschbar. Oh, der ewig nach dem Sinn schürfende Mensch! Gott findet ihn nicht der Antwort wert.«
Er zeichnete weiter. Der Graf schaukelte und trank und fächelte seinen Spiegelbildern träumerisch zu.
Die Sinne des Kobolds waren von der Welt abgeschlossen, aber seine Miene änderte sich immer wieder, bald war sein Gesicht hämisch, bald grausam, bald gutmütig und neckend, dann wieder todtraurig, dann spöttisch, dann von wilder, gefährlicher Heiterkeit, bübisch unreif und dann plötzlich uralt, aber immer sehr hässlich. So oft der Maler hinblickte, gab es sich anders. Ein Ausdruck rann unmerklich in den andern über. Der Zeichner hatte fortwährend zu ändern. »Seine Träume malen sich in dem Gesicht ab«, murmelte er. »Was mag er träumen? Wie großartig verworren sind diese Pratzen! Das allein hat meine Reise hierher gelohnt. Und jetzt wieder, Götter, dieses zerrende Zucken, wie von der Hölle ausgeschäumt! Tod und Teufel staunen davor. Oh, das Leben hat keine Ufer!«
Er griff nach seiner Farbenplatte und deutete die Farben der Zeichnung an. »Die Haare, starr wie ein Wacholderstrauß, eben noch strohgelb, jetzt sind sie tintenschwarz. O du Chamäleon!« raunte er. »Dort die blutrote Scharte über dem Maul! Dort der Grünspan in der Falte der Stirn! Wunderbar, wunderbar! Doch jetzt diese neue, zerrissene Miene ? Ist das noch ein Menschengesicht? Gehört diese Fratze einem tausendjährigen Mann? Einem Weib? Einer Hexe? Hat meine Großmutter nicht so grauenhaft dreingeschaut, wenn sie eifersüchtig gewesen?«
Der Graf schüttete sein Glas in sich hinein. »Ich finde die Grässlichkeit des Stilzel übertrieben«, nörgelte er. »Wär ein Ätzarzt im Schloss, er müsste der Missgeburt da die scheußlichen Warzen auf der Stirn wegbrennen.« »Nein, keineswegs!« wehrte der Maler ab. »Die Warze gilt bei den einsichtigen Völkern als ein Zeichen der Weisheit. Wir sollten ihm eher neue Warzen dazu pflanzen.«
Stumm malte er weiter, die Zähne in die Lippen klemmend. Nur einmal redete er wie abwesenden Geistes sich selber an:
»Ach, wir Ungestorbenen, die wir noch bewusst die Wege dieser Welt treten! Wie hat doch Anaxagoras einst zu mir gesagt? Das Ziel des Daseins ist die Schau und die Freiheit, die daraus entspringt.« Der Graf hielt seinen Schaukelhund still und staunte. »Anaxagoras hat das zu Ihnen gesagt? Sie fabeln. Der Grieche Anaxagoras, der etliche Jahrhunderte vor Christus gelebt hat?« »Derselbe«, erwiderte Afreddo Nibuk gelassen. »Wie alt schätzen Sie mich übrigens, Conte ?« Der Blick des Grafen traf den Rücken der malenden Hand, und er sah zum ersten mal, wie uralt sie mit dem Gerunzel der dick hervortretenden Adern war, darin das Blut fast hörbar klopfte. Ihm war auf einmal, er sitze, der einzige Lebende, zwischen zwei Gespenstern. »Wie alt ich Sie schätze?« schauderte er. »Dreihundert Jahre!” Der Maler flüsterte sanft: »Ich bin so alt wie Gott.«
Der Kobold atmete wieder schüchtern. Er redete im Schlaf, als treibe er ein Ross an. »Wüa ! Wüa !« Und plötzlich schlug er das eine Auge auf und stierte den Italiener an. »Ungeheuerlich!« rief dieser. »Welch flammendes, stechendes, zerschneidendes Schwarz! Solch ein Auge kann den Tod ausstrahlen. Es ist Gift darin. Unter seinem Blick welkt die Blume, löst sich das grüne Blatt vom Zweig, dorrt die Platane, verkriecht sich der Wolf, versiegt die Milch im Euter. Dieser Blick frisst Eisen an. Erblinden diese schimmernden Spiegel vor ihm? Die Herden tötet er, die Scheunen steckt er in Brand. Wie er mich angafft! Werde ich jetzt nicht siechen? Nicht an Auszehrung sterben?«
Der Stilzel hatte nun die Nase eingezogen, dass man sie kaum mehr erblickte, und das gab seinem Schädel das Aussehen eines Totenkopfes. Zugleich tat er das zweite Auge auf, und das war blau und erfüllt von einem heiteren Schelmenblick und milderte die Furchtbarkeit des anderen. Der Stift des Malers flog, die Zeichnung zu fördern. Der Graf sah ihm über die Schulter. »Meister, Sie haben sich selber überflügelt. Welch göttliche Hässlichkeit! Welch ein Bild! Wie soll ich Sie lohnen? Verlangen Sie das Schloss! Verlangen Sie die Herrschaft Bistritz!« »Nein, nein«, ächzte der Italiener, »ich versage an dem Urbild!«
Der Stilzel war erwacht. Er sprang auf. Er wurde sich des Raumes bewusst. Auf schnaufte er wie ein entsetztes Ross. Er gewahrte die beiden Männer, gewahrte die blendenden Spiegel und an allen Ecken und Enden und über sich in fürchterlicher Wiederholung die eigene Gräuelgestalt.
Er starrte zu Boden, als müsse er auch dort sich gespiegelt finden. Und nun brauste er in unsäglicher Wut auf sein Bild los, er hieb in das Glas, die Ungestalt hieb grauenhaft zurück, ein Zweikampf auf Leben und Tod, und wo die Fäuste einander begegneten, splitterte und krachte und zerschellte es. Warum schlug er in die Spiegel? Wähnte er darin seinen Feind? Hasste er die eigene Hässlichkeit? Der hundertfach gespiegelte Kampf des Unholds verwandelte den Salon zu einer tobenden Walstatt, hundert Unholde rasten gegeneinander in Spiegelung und Widerspiegelung.
Die zwei starken Jäger, die den Bären vorgeführt hatten, und ein Reitknecht kamen gelaufen und übermannten den Wahnsinnigen und rissen ihn in den düstern Saal hinaus. Dort wartete der Kammerdiener mit einem Windlicht. Ein Mops mit einem grellroten Halsband war auf einmal da, der verbiss sich in die Wade des Gespenstes. »Meine Herren, stopft ihn in meinen Koffer!« schrie der Maler. Doch schon war der Stilzel unter den Händen seiner Bändiger verdunstet.
Afreddo Nibuk deutete auf die zerstörten Wände, auf den Scherbenhaufen. »Eine saubere Bescherung!« sagte er. Dann kam ihm von weither eine graue, urhafte Erinnerung und durchdämmerte ihm die zurückschaudernde Seele. Hatte er das, was eben hier vorgegangen, hatte er das nicht schon einmal mit allen Einzelheiten genau so erlebt? Vor vielen, vielen Jahrhunderten ? Und an demselben Ort hier? Und überfällt das ewig Gleiche immer wieder den Menschen? Spiegelt sich das Erlebnis in seinen tausend Brechungen immer wieder gleich in dem ewig sich wieder erneuernden beben des Menschen ab? Kehrt alles wieder? O wie schön wäre das! Und wie furchtbar!
Er malte dem Schlossherrn später zum Trost noch ein flandrisch üppiges Bild der Weißen Frau von Bistritz. Das Blatt mit dem Porträt des Stilzel wurde wegen seiner abstoßenden Hässlichkeit von den Nachfahren des Grafen nicht mit dem gebührenden Verständnis behandelt, und diese Urkunde des Waltens jenes Wälderschrecks hing längere Zeit noch, zwar unter Glas, doch ganz vergilbt, in der Küche einer abgelegenen Hegerei, bis sie dort ein Händler um einen Schundpreis erstand und Gott weiß wohin verschleppte.
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In einer sternhellen Nacht ging der Traxler vom Schmied von Sollern heim. Er trug eine Stierkette mit sich und schepperte von Zeit zu Zeit kräftig damit, dass der Stilzel sich vor dem eisernen Geräusch fürchte. Der Bauer war ein siebenschrötiger Mann, scheute nicht Tod und nicht Teufel und hatte erst jüngst am Plattenberg einen Bären mit. der Axt erschlagen. Aber mit einem Geist wollte er nichts zu schaffen haben.
Der Kirchturm von Rotenbaum stieg schwarz in der Nacht auf. Droben das Turmfenster war hell von einem unruhigen Schein. Vielleicht störte der Totengräber droben die Dohlen aus dem Schlaf, und sie flatterten ihm in seine Laterne, so dass er sie leicht fangen und abkrageln konnte, die ihm mit ihrem Geschrei tagsüber gar zu arg in den Ohren liegen mochten.
Wie der Trailer, solche Dinge überdenkend, seine Straße zog, kam plötzlich etwas geduckt über die Wiesen daher und kerzengerad auf ihn zu. Er drückte die Angst in sein Herz hinunter, und weil er ein tüchtiger Mannskerl war, wollte er mit Gottes Hilfe den Stilzel erwarten. Er stellte sich fest an, dass ihn der Geist nicht über den Haufen rumple, und als er ihn kalt und schwer auf dem Rücken spürte, raffte er sich auf und stolperte mit ihm dem Kirchdorf zu.
Wie sie jetzt zu den ersten Häusern kamen, zappelte und ruckte der Stilzel hin und her und wollte sich dem Bauer entwinden, aber der hielt ihn bei den haarigen Pratzen gepackt, und wie wütend der Geist auch sich wehrte und sperrte, er hielt ihn fest und sprang in weiten Sprüngen dem offenen Kirchtor zu und schleppte ihn in die hochgeweihte Herberge unseres Herrgottes hinein, zum Taufstein hin.
Und der Geist fauchte, krallte und spuckte, aber der starke Trailer tauchte ihn tief in den Weihbrunn. Da fing der Stilzel wie ein Kind zu winseln an, und das Wasser hub an zu sieden und zu rauchen, und ein schrecklicher Dampf schlug jäh in die Höhe und verhüllte alles.
Der Bauer hatte genug. Mit verbrühten Händen ging er davon. Der Mesner, von dem Gezisch und Getös gelockt, stieg den Turm herunter. Er sah das Ewiglichtlein zittern wie ein geängstigtes Herz. Im Taufbrunn aber war das geweihte Wasser versiegt, und es lag nur ein schäbiger Eichkätzelbalg drin.
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Solch wunderlicher Märlein gäbe es noch etliche zu erzählen, und wer sie weiter hören will, der frage den Kuckuck vom Kronawitberg, der weiß alles.
Gewiss und wahr ist es, dass den Stilzel, seit er gegen seinen Willen im Taufbecken zu Rotenbaum gebadet worden ist, kein seliger Mensch mehr gesehen hat. Die einen behaupten, der Bischof von Regensburg führe ihn bei sich in einem rubinenen Glas; die andern schwören Stein und Bein, ein Mann aus Melhut sei seiner gewaltig worden und habe ihn auf siebzig Jahre nach Siebenbürgen verbannt. Wenn dem so ist, muss seine Zeit bald um sein und er wieder heimkommen. Dann helf Gott allen, die zur Nacht durch große Wälder gehen!
Es hat auch einer und der andere geglaubt, der Stilzel sei wieder frei und ledig. Sonderlich ein Drescher aus der Hirschau. Der ging einmal von, der Plöß heim, wo er den Haber hatte dreschen helfen. Den Flegel hatte er sich mit einem ströhernen Band an den Drischelstiel gebunden, damit er nicht unnütz in der Luft hin und her baumle. Wie er jetzt, die Drischel auf der Achsel, zwischen Lichten und Finsternis über die Hirschauer Höhe dahin wandert und den verlassenen Herbst spürt über Äckern und Wiesen, so denkt er, das sei so die rechte Reitschule für den Stilzel, und wie er das denkt, kriegt er schon einen schmerzhaften Schlag über die Achsel. Gleich besinnt er sich, so grob könne nur der boshafte Stilzel hinhauen, es wuselt ihm vor Schrecken kalt über das Genick hinunter, er fängt zu rennen an, zu schreien. Aber der hinter ihm bleibt ihm hart auf den Fersen und schlägt mit einem Prügel, je mehr der Drescher springt, je schneller auf ihn los. Der kommt schließlich ins Dorf und schreit alles aus den Häusern heraus: »Helft, helft, der Stilzel ist unterwegs!« Doch hatte sich nur das Strohband gelöst vom Drischelstiel, und der Flegel war auf den Buckel des Dreschers niedergefallen.
In Wirklichkeit weiß niemand, wie es sich heutzutage mit dem verwunschenen Rossbuben verhält. Ein alter Viehhüter hat erzählt, der Stilzel könne erlöst werden, wenn alle Rösser des Böhmerwaldes dreimal um die Schwarzau geritten wurden. Das wird wohl nimmer geschehen, und so wollen wir denn aus Erbarmnis ein Lichtlein auf einem hölzernen Span anstecken für des Stilzels arme Seele.
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