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Drittes Buch.
Der Meister

 

Der Stamm der gebrochenen Pipinslinde war noch kerngesund, und Altdorfer kaufte ihn und ließ den tauglichsten Teil davon in Tafeln zerschneiden, und darauf malte er fortan die wesentlichsten seiner Bilder.

Ihn freute damals wieder die kleine Form, und seines Vaters gedenkend, des Kleinmalers Ulrich, schnitt er seine Reihe vom Sündenfall und von der Erlösung und vom Einbruch des Heilands in die Hölle ins Holz, eine zwielichtvolle Folge, ein helldunkles Werk, reichste Gestaltung und verwegenste Bewegung bergend auf engstem Raum.

Zu Ehren des enthaupteten Freundes aber schnitt er das Blatt mit den heiligen Leuten am Taufstein, darauf er, schwelgend in der Kunst der Wiedererwachung, seinen dreistöckigen Taufbrunn mit aller Pracht seiner Erfindung weltlich üppig auszierte, und darüber spannte er streng über ernste Säulen, was er an gotischem Raum- und Wölbungswissen von Wolf Roritzer erfahren hatte. Dieser Holzschnitt war ihm besonders lieb, sah er doch darauf wie im Sinnbild sein zwiespältiges Wesen, das in der altdeutschen Kunst atmete und dennoch sich heftig der berauschenden Fülle des Neuen zuneigte.

Dann schuf er wieder an seinen Zeichnungen, die in ihrer traumhaften Verschnörkelung, mit den weltfernen, spielerischen Linien seines feinen Pinsels und den geisterduftigen Gestalten und dem selbstvergessenen Wesen seiner Baumformen an zartes Glas, an verschneite Birkenhaine, an unwirkliches Gewölk mahnte.

Er entwarf eine Zeichnung zu den Regensburger Goldgulden, darauf Sankt Wolfgang mit der Axt zu schauen war. Er malte den Vorhang zum Heiltumsgestühl.

Die Minderbrüder zu Regensburg beauftragten ihn mit der Herstellung eines Flügelaltars. Er nahm sich dazu einen gewandten Gesellen, den Michael Ostendorfer.

Er malte das Abendmahl: Christus, unter dessen Achsel der Liebling Johannes wie ein mattes Vöglein hing, das sich in eine Hohle flüchtete, ermüdet eingeschlafen nach der Osterwanderschaft, Christus reichte dem Verräter das Brot und forschte den stumpfnasigen, schwarzen Mann an, dem es anzumerken war, ob er sich auch abgewandt hielt, wie er den hässlichen Mund aufriss. Ein schwarzer Pudel soff aus dreifüßigem Kühlkessel. Der Hund des Uberto Vistosi.

Hernach füllten sich die Stuben des Hauses am Veitsbach mit den Tafeln des Altarwerkes, das der Abt Peter Maurer zu Sankt Florian bestellt hatte. Sie waren groß und in feurig-sinnlichen Farben gemalt, sie strahlten wie Edelgestein oder die überirdische Glut der Domfenster, sie schimmerten, wie sich ihr Maler die welsche Luft dachte. Die Tafeln sollten in der Ferne einer geräumigen Kirche das Volk ergreifen und mit ungestümem Eifer predigen. Es waren die Bilder des Heilandleidens und des Lebens des Jünglings Sebastian.

Das Ölbergbild begann den furchtbaren und großartigen Farben- und Marterreigen. Im Vordergrund schliefen die drei Jünger, Peter, kahl, bärtig, in gelbblühendem Mantel, Johannes in der vollkommenen Auflösung des Schlafes, Jakobus, dem Beschauer den grellroten Rücken zukehrend. Der Heiland, die Gebärde tiefster menschlicher Gebrochenheit im gebeugten Nacken, gegen seine Angst ankämpfend, kniete. Vor ihm auf fäulnisleuchtendem Baumstumpf der Engel mit dem Kelch und die wildangeleuchtete Felswand. Der Himmel in blutroter Ahnung und mit bösem Gewölk. Schon taumelt Judas schillernden Blickes über den Steg, den roten Beutel umklammernd und die Rotte führend, die mit Windlichtern sucht. Im Dunkel glimmen die Kanten der Regensburger Türme. Es leuchten die feinen Schreiberhände Johannis und die Spangen des Buches, darauf sie ruhen, es brennen die Mäntel der Apostel, die gelbroten Fackeln schwelen und blitzen in den Waffen wider, es bricht ein Stück Goldhimmel auf über die trotzig versunkene Düsterstadt.

Dann die Gefangennahme. Voran die wilde Rauferei: Peter schmeißt sein Schwert darein, Männer Kopf gegen Kopf, Hand gegen Hand, die überhelmten Judengesichter Regensburgs, Fratzen, fremde Augen. Die schwarze Nacht wird gesprengt, ihre Dinge werden angestrahlt von Pechfackeln, Stangenflammen, darin in zürnender Vermählung Rot und Gold sich paaren. Jede der tausend Schuppen des Panzerkleides hat ihren Blitz, Helme und Zierat der Rüstung glimmen tückisch, Licht züngelt an Schwertgriff, Armschiene, Hellebarde. Eine zu Boden gefallene Laterne wirft kraftloses, schwefelgelbes Licht. Höllenfarbener Brandschimmer am Himmel.

Aus wallendem Traum zur klaren Vorstellung, zu Entwurf und Ausführung schreitend, dunkel hingerissen und dennoch klug überlegend, arbeitete Altdorfer vom frühesten Morgenlicht bis zum Mondaufgang. Seine Frau seufzte: »Kunst ist äußerste Mühsal.«

Die Geißelung. Der Heiland an der Säulen vor dem Hieb zurückzuckend, ganz Nerv.

Die Dornenkrönung. Welch grausame Wollust in den Armen des Peinigers, der die Stange ins Gedorn presst! Ach, Altdorfer hatte schon viel der Marter und Todesqual schauen müssen in seiner unbarmherzigen Zeit! Vor dem in ein gelblichweißes Hemd gekleideten Heiland kniet der Spötter, Nase und Kinn und Zähne sind einem Drachenspeier entliehen. Der Meister der Henkersleute, die Axt geschultert, vorn am Hut die Rabenfeder, in schwarzem Prunk: es ist derselbe Mann, der Wolfgang Roritzer gerichtet hat.

Frau Anna deutete auf die unmenschlichen Fratzengesichter der Peiniger. »Kann ein Mensch den andern so quälen?« schauderte sie.

»Ich rufe das Böse beim Namen und vernichte es damit«, sagte Altdorfer.

Am Marterberg. Der Gekreuzigte weitet in göttlichem Adel die Arme. Links der rotwüst verworrene Kopf des einen Schächers, der, die Beine aufgehackt, höhnend und hassend bis zum letzten, ausspeit, Blut ausspeit. Der rechte Räuber, das Haupt mit dem sanft vornüberfallenden Haar demütig geneigt, gerettet in dem Versprechen seines Heilands. Zu Christi Füßen der Jammer der goldzöpfigen Magdalena, belauscht von dem lümmelnden Knecht mit dem weißen, aufgekrämpten Federnhut. Maria, zu Tod erschöpft in ihrem Leid, sie hat kaum mehr die Kraft, die Hände zwischen den ermatteten Knien ineinanderzukrampfen.

Den blonden Sebastian malte Altdorfer schön wie einen griechischen Jünglingsgott und stellte seine Legende in das heimatliche Land an der Donau und unter fürstliche Prachthäuser. In der Frau, die sich über die Leiche des Heiligen neigt, in dieser Edelfrau mit dem golddurchwirkten Schleier und im blauen, goldgesäumten Samt erkannte sich Anna Altdorfer entzückt in ihrem Feiertagskleid.

»Unser Leben ist schön«, seufzte sie dann. »Möcht Gott uns jetzt auch ein Kindlein schenken!«

Er tröstete sie lächelnd: »Um Kinder und schlechtes Wetter soll man nit beten, das kommt von selber.«

Viele Leute besuchten Altdorfer und staunten über diese neuartige, erregte Kunst, über die verwegen nebeneinander-gestellten Farben, die man noch auf keines anderen Meisters Bildern geschaut und die aus den farbigen Träumen einer dämonischen Tiefe hergeweht waren. Mildes Blau stritt gegen grelles Grün und gegen hohes Rot, und mancher wähnte, Altdorfer menge seine Farben mit flüssigem Gold. Der Ruf des Malers flog weithin über den Donaugau. – –

Altdorfer begab sich in das Kloster der heiligen Klara. Seine Kunst, die ihn ganz für sich brauchte, entfremdete ihn den nächsten Verwandten. Er wollte nun nach Jahren wieder die seltsame Schwester sprechen.

Sie kam ans Redefenster. Sie war blass, als hätte die Sonne sie nie beschienen, eine Schattenblume. Aus dem Dämmer ihrer Weltentrücktheit aufgestört, blickte sie durch das Gitter unwillig den Mann an.

»Ach du, Albrecht!« sagte sie dann.

Lange forschten sie sich in die Augen, Bruder und Schwester.

»Ich will dir melden, Magdalena, dass Aurelia zu Amberg geheiratet hat. Und Erhard dient jetzt dem Herzog Heinrich zu Mecklenburg.«

Sie lächelte träumerisch und schwieg.

Ratlos und erschüttert von ihrer Gleichgültigkeit, fragte er: »Und was ist mit dir?«

»Ich bin in der tiefsten Tiefe geborgen. Hierher stechen mir die Flammen der Welt nimmer nach.«

»Sehnst du dich nit nach der freien Sonne? Nach Lachen und frohen Blumen? Die Luft da ist dumpf und gesperrt.«

»Das Licht in mir hat siegreich gestritten gegen das Licht der Welt. Ich lobe Gottes Marter.«

Er empörte sich. »Was wär meine Kunst ohne das Licht? Ist das Weltlicht unheilig?«

»Jesus ist mein Tänzer«, sagte sie still. Dann fiel der Schatten der Trauer in ihr zartes Gesicht. »Doch du, Albrecht? Versinkst du nit in die Welt? Ich hab es gehört. Fürchtest du nit um dein Heil? Gott rechnet einmal mit dir.«

»Meine Kunst dient Gott.«

»Gott braucht deine Kunst nit. Du stehst aber in der Knechtschaft der irdischen Dinge.«

»Der Mensch kann Gott herzlich ergeben sein und dabei auch die Welt lieben. Ich tu nur, was Gott will. Er teilt jeglichem Geschöpf sein Amt zu. Er sagt zur Rose: ›Blüh!‹ Er sagt zum Raubtier: ›Reiß nieder!‹ Und zu mir: ›Bilde, Altdorfer!‹«

»Du redest so listig von Gott und ehrst doch die falschen Götzen in deinem Werk. Du liebst das Altertum, und es ist doch teuflisch. Oh, ich weiß es! Durch die schweren Mauern des Klosters ist es zu mir gedrungen. Du liebst den Trug der Sinne. Der Wald mit seinem heidnischen Gefunkel ist dir lieber als der heilige Reiter Jürg davor.«

»Kann man Gott anders als im Spiegel seiner Welt erfassen und begreifen?«

»Dir ist der Leib des Menschen wichtig, und er ist doch nur das Gespenst der Seele! Wes gedünkst du dich, elend Fleisch?!« zürnte sie. »Du, Maler, wirst du nit in der Hölle dereinst bestraft werden mit Blindheit und immerwährendem Schatten? Kehr um, eh du den Himmel verwirkst! Mein Gebet gilt deinem Heil, du verirrter Mensch!«

Sie wandte sich gegen den Kruzifixus an der Wand. »Ewig haftest du am Kreuz. Wer erlöst dich, Erlöser?«

Jäh zog sie sich vom Redefenster zurück.

 

Vor dem Tor stieß Altdorfer auf die Sattelpognerin. Sie war in freches Rot und keckes Grün gekleidet.

»Frau Rachild, Ihr seid wie ein Blumenstrauß«, sagte er. Sie drohte lächelnd mit dem Finger. »Was treibt Ihr bei den Nonnen? Hütet Euern frommen Leumund!«

Er sagte traurig: »Ich fürcht um meine Schwester. Sie ist in Gott versunken wie in eine Finsternis.«

»Alle Welt wird trübselig«, erwiderte die Ritterin. »Auch meinem Mann stampft das Gewissen in der Brust wie ein toller Hengst. Er reitet nimmer aus, er hockt in seiner Burg wie ein Bußmönch.«

»Bereut er?«

Sie nickte. »Ich hab ihm gesagt, nur ein Narr bitte Gott, er möge ungeschehen machen, was geschehen ist. Grau und still ist er geworden. Er fürchtet die Hölle. Mit Geld will er seinen Ahnen Erasmus dem Teufel wieder abkaufen.«

»Wie findet Ihr Euch in sein neues Wesen, Frau?«

»Jüngst hab ich ihn um ein Spieglein gebeten, das meine ist mir in die Donau gefallen. Darauf bringt er mir einen Totenkopf. ›Darin spiegle deine Larve!‹, hat er zu mir gesagt.«

»Und habt Ihr seine Mahnung beherzt?«

Sie schlug ihn scherzend mit dem hirschenen Handschuh auf den Mund. »Lebt wohl, Ihr züchtiger Mann! Ich bin keine Burg der Keuschheit. Ich geh zu Dionys Roritzer.« Sie schaute noch rasch in ihr stählernes Spieglein. »Feuer, wie bist du so heiß!« girrte sie.

Altdorfer staunte. »Zu Dionys wollt Ihr?«

Sie lachte frech. »Er ist das einzige, was mir der Dommeister vererbt hat.«

Nach einigen Schritten kehrte sie sich mit ihren sündigen Weltaugen nach Altdorfer um. »Bist du traurig, wenn ich geh?« »Wie könnt Ihr mich also fragen?!«

»Kennst du das Märlein von dem Reh, das verzückt in den Arm des Zauberers springt? Ach, tun möcht ich, was dir lieb ist, und lassen, was dir leid ist!«

 

Als der frühlinghafte Hochgang der Donau sich stillte, schaffte Altdorfer die beiden Altarwerke mit dem Schiff nach Sankt Florian.

Die leuchtkräftigen, bewegten und dem Volk wohlverständlichen Tafeln begeisterten den Abt, und er bestellte von dem Künstler ein neues Tafelwerk mit dem Leben des Schirmheiligen des Klosters.

 

»Die Galgen werden gebessert, der Kaiser kommt«, rief Oswalt Geltinger.

Den Estrich des Hauses des Ascher Luria in der Niedern Judengasse bessernd, stieß ein Maurer auf einen Topf mit vierhundert ungarischen Goldgulden. Der Stadtrat zog hurtig den willkommenen Fund ein, den Hausherrn und den Finder je mit einem bescheidenen Anteil beschwichtigend. Doch der Kaiser bekam davon Wind und forderte von Augsburg aus, der Zirbelnuss, wie er seine Lieblingsstadt ihres Wappens wegen zärtlich nannte: der Hort müsse ihm eingehändigt werden, weil nach altem Recht dem römischen Kaiser alle gefundenen Schätze gehörten. Als sich die Regensburger dagegen wehrten, kam Max selber, seine leere Reisetruhe zu füllen.

Auf einem edeln Ross irischer Abkunft, das sehr sanft trat, ritt er in der Reichsstadt ein. Er war alt und empfindlich geworden, und sein Gefolge war gering.

Er verhandelte im Rathaus wegen der ungarischen Gulden.

Der Anwalt der Stadt, Hirsdorfer, erwiderte ihm, dass es wohl im Sachsenspiegel laute, alles gehöre dem König, was in der Erde tiefer begraben sei, als die Pflugschar schürfe; nirgends aber sei eine Satzung zu finden über Geld, das man in Kellern ausgrabe.

»Was schert mich die alte sächsische Scharteke!« rief unwirsch der Kaiser. »Betrübt Uns nit in Unsern gewohnten Rechten!«

Die Räte der Stadt schwiegen nun. Sie fürchteten keinen Krieg. Sie wussten, der Kaiser benötigte Geld bei seinen Verhandlungen mit den Fürsten, dass sein Enkel Karl römischer Kaiser werde. Es war schwer, diesem freundlichen und liebewerten Herrscher den Wunsch abzuschlagen. Doch Regensburg brauchte jeden Kreuzer für sich selber.

 

Als Altdorfer in die Herberge des Kaisers geholt wurde, fand er dort außer dem lustigen Tischrat noch einen gelbbärtigen Mann mit ernster Stirn und besonnenen, langsamen Augen vor.

»Da Altdorfer! Seine Farben sind ein deutsches Wagnis. Da Johannes Thurmeyr, genannt Aventinus, eine Fackel unter den Gelehrten aller Zeiten!« So stellte der Kaiser die beiden Männer einander vor, indem er mit schleppenden Schritten dem Maler entgegenkam.

»Meister Altdorfer, Ihr müsst mich nun zeichnen. Einen alten, abgekämpften Mann. Ja, schaut mich nur haarscharf an! Der graue Reif ist mir ins Haar gefallen. Mein Sand rinnt ab.«

»Theuerdank ist verdrossen«, sagte Kunz. »Er hat seine Zimmervöglein diesmal nit mitgebracht. Der Fugger ist ein schäbiger Filz, krampft die Hand um den Geldbeutel. Und ein gesunder Kerl ohne Geld ist todkrank!«

»Fürwitz, Unfall und Neidelhart sind mir treu blieben«, rief Max. »Einst ist mir die Welt ein froher Falkengarten gewesen, ein Tanzrain, ein Festturnei. In stolzer Heerfahrt bin ich über Land gereist. Das ist alles aus!«

»Wir haben manches Paar Narrenschuh vertreten und sind nimmer die Jüngsten. Doch wollen wir noch allerlei Tolles anheben. Ich hoff es.« Also tröstete Kunz. Er kauerte auf einem Schemel, die langen Beine eingezogen, auf dem Knie ein Buch in grobem Druck.

Der Kaiser schalt: »Du Speivogel! Du gesprenkelter Kauz! Ich hätt sollen den prächtigen Tod in der Schlacht sterben, den Kopf im Schoß des Sieges! Auf der Ofenbank werde ich trübselig enden!«

»Lasst junge Weiber bei Euch schlafen, dass sie Euch das kalte Blut wärmen wie dem König Salomo! Freilich, junge Weiber sind sanfte Zelter, darauf man bald gen Himmel reitet.«

»Kein Kraut, kein Wildbad frommt gegen das Alter«, seufzte der Kaiser. »Nimmer steig ich ins Gebirg zu meinen Gemsen!«

Er ließ sich auf einen Stuhl nieder. »Redet weiter, Doktor Aventin, von Kaiser Siegmund!«

Und während der Gelehrte begann, ergriff Altdorfer den Silberstift und das köstliche Venediger Papier, das er mitgebracht hatte, und zeichnete mit fliegenden Strichen das herbstlich reife Gesicht des Herrschers, die bleiche Nordlichtstirn, die welken Wangen, die Nase, die nun noch viel weiter vorsprang als früher, den hoffärtigen Mund, die Augen, darin noch immer das alte Blau trotzte, den mit köstlichem Rauchwerk gefütterten Mantel.

»Siegmund«, erzählte Aventin mit gemacher Stimme, »hat aus Böhmen die frommen Schätze, die sein erlauchter Vater Karl in seiner Feste Karlstein aufbewahrt hat, dann das Goldblech, womit die Grüfte der böhmischen Heiligen bestreut gewesen, leichtsinnig zu sich genommen und hat sich aus den Prager Kirchen das köstliche Gerät bringen lassen, das dort geopfert worden, goldene und silberne Köpfe und Hände und Monstranzen, hat sie einschmelzen lassen und damit sein Heer bezahlt. Darauf haben die hussischen Pfaffen gewettert: ›Ei, was wirft man uns Kirchenschändung vor? Wir haben nur hölzern Bildwerk umgestoßen, Siegmund aber hat das Gold der Heiligen geplündert und zerschlagen!‹«

»Der Chronist hat hernach leicht schelten«, antwortete Max. »Wenn hingegen die Knechte nach hartem Gefecht schwierig werden und murmeln, der deutsche König habe kein Geld, jetzt hätten sie für ihn gerauft, und er wolle ihnen den Sold verweigern und ihnen Urlaub geben, und sie müssten hungern? Und einer knotzt auf der Trommel und hascht sich und dem König zum Spott eine Fliege und frisst sie? Was dann? Und die andern brüllen: ›Wir wollen einem besseren Herrn dienen! Dem Papst! Dem Franzosen!‹«

»Das ist ein übler Augenblick!« gestand Aventin zu.

Der Kaiser wandte sich an den Maler. »Wie weit seid Ihr? Der Pfaff Lamprecht zu Regensburg hat ein Lied von Roland gedichtet, drin ist zu lesen, wie der Held sterbend den Handschuh dem heiligen Michel reicht. Welch schöner Tod! Ich aber lebe allzu lang über meine Taten hinaus. Der glückliche Mann stirbt nach vollbrachter Tat. Unbefriedigt, ungestillt fahr ich zur Grube. Altdorfer, zeichnet mein Bild gut, dass es nit gar zu bald im Nebel der Vergangenheit verlischt!«

»Habt Ihr nit genug getan?!« tröstete Kunz. »Ihr habt venedisch Macht und der Schweizer Pracht und französisch Schar niedergelegt für hundert Jahr!«

Der Kaiser blickte scheu an die Wand. Dort flatterte ein Stich Albrecht Dürers: die Melancholia starrte mit furchtbarem Blick über alles Menschenwerk hinaus ins Nichts.

»Habsburg soll in meinem Enkel der ganzen Welt gebieten«, sagte er. »Ich hätt es gern selber getan, und mein Blut ist heut noch voll fürstlicher Herrschsucht. Aber ich hab mich mein Lebtag mit den Kleinen raufen müssen, mit dem Städtlein Venedig, mit den Flämlingen, mit den Husserern. Räuberische Ritter hab ich wie Rossdiebe an den Ast geknüpft. Ach, was hab ich erreicht gegen die Ränke und Wänke der Welt?!«

»Ihr redet nit recht«, verwies ihn Aventin. »AEIOU! Alle Erde ist Ostreich untertan!«

»Die Welt löckt den Stachel wider mich. Der verschmitzte Hof Frankreichs will die Wahl meines Enkels hintertreiben, den türkischen Feind gilt es von Deutschlands Hofzaun abzutreiben, der Luther ärgert mich. Ich bin leidiger dran als der arme Mann, der sich den Schuh mit Widen bindet. Ich ohnmächtiger Nebelkönig! Hat je seit Christus ein anderer so gelitten wie ich? Nit einmal eine rechte Heimat hab jdi, jede Nacht schier schlaf ich unter einem andern Dach!«

»Eure Heimat ist Deutschland«, sagte Aventin.

Kunz schlug das Buch auf seinen Knien schallend zu und spottete: »Deutschland? Ich bet, dass die alte Scheuer nit umfällt.«

»Meine Heimat ist der Sattel gewesen«, sagte Max. »Ich bin ein Stegreifkaiser gewesen. Einmal singt man von mir, wie sie vor hundert Jahren von dem König Ruprecht auf den Gassen gesungen: ›Gaukelmann ist kommen, er hat ein leere Taschen hradit.‹«

»Ihr werdet bei den Deutschen in gutem Gedächtnis weiterleben«, sprach Aventin aufrichtig. »Sie werden Eure Taten in buntes Kirchglas schmelzen, in Teppiche wirken, in die Steintore der Schlösser hauen, in himmlischen Farben auf ewige Tafeln malen.«

»Ach, was ist mein Leben gewesen? Die Staufer haben irdische Macht verloren, doch steten Ruhm gewonnen. Und ich? Mein Haus hab ich groß gekuppelt! Unsere Macht ist nit ruhig und gesetzmäßig aus sich selber gewachsen wie ein Eichwald, nit aufgerichtet worden in Schweiß und Blut. Kann sie dauern?«

Altdorfer forschte das durchfurchte Antlitz bis ins tiefste aus. Vor ihm saß ein müder Grämling, ein enttäuschter Greis, nimmer der, den ein anderer als Ritter zwischen Tod und Teufel gezeichnet hatte.

»Zeichnet nit allzu genau, Altdorfer!« sagte der Kaiser, die Empfindungen des Künstlers erratend. »Nehmt nit jede Runzel mit! Mein Balg ist nichts mehr wert, mein Mark ist morsch. Bald muss ich aus der Zeit scheiden, die ich so stark geliebt hab, und nur trübe Märe bleibt zurück.«

»Ihr habt den Reimschreibern und Bilddruckern genug zu tun gegeben«, tröstete Aventin.

Darauf nörgelte Kunz: »Und überall, mein Kaiser, seid Ihr drein getappt wie der Matz in den Brei. Ihr hättet weniger ins Ausland fahren, hättet lieber hübsch daheim nach dem Rechten sehen sollen! Ist die Katz fort, schlupfen die Mäus aus dem Loch. Oft habt Ihr Euch täuschen lassen von den falschen Fuchswedlern, habt die verkehrten Mittel ergriffen. ›Es dampft, drum ist ein Feuerlein da!‹, hat der Teufel gemeint, hat seine Großmutter im Winter auf einen rauchenden Rossknödel gesetzt, und sie ist darauf erfroren.«

»Narr, was schulmeisterst du mich, da es zu spät ist?!«

»Verzürnt Euch nit über mich, Weißkönig! Nehmt mich, wie ich bin, oder jagt mich fort! Wo ein Narrenhaus ist, kann kein Bräuhaus stehen. Schaut her!« Kunz hob das Buch. »Drin sind die Streiche des Eulenspiegel beschrieben. Wenn Ihr, Max, einmal abdanket, möge das wunderliche Volk der Deutschen den Eulenspiegel zu seinem König wählen. Es würde nit viel schlimmer fahren.«

»Eulenspiegel? Den reinen Narren?«

»Verachtet ihn nit! Gott hat den Narren erschaffen, als er im vollsten Saft gestanden, hernach erst hat er die Gescheiten gemacht, und zuletzt erst, als er schon ganz matt gewesen, den Meister Überklug.«

Der Kaiser winkte seinem Tischrat unmutig ab.

»Aventin«, sagt er, »schreibt in Eure Bücher, dass ich der Sohn einer versinkenden Zeit gewesen bin. Ich fürcht, in Deutschland wird Volk gegen Volk aufstehen, Ritter gegen Stadt, Bauer gegen Ritter, Pfaff gegen Pfaff. Wird denn nimmer den Deutschen der Hass gegen sich selber aus der Seele schwären?!«

»Auch ein Volk muss in Unwettern reifen wie das Korn.«

»Überall der Keim des Zwistes! Der Papst verkauft denen, die es glauben, die Himmelstür. Und der Luther, der Poltergeist, der grobe Schwärmer, der Hussit!« rief aufgebracht der alte Mann. »Der Besserwisser, auf biblischen Wortkram versessen! Mit seinem bäurischen Geschrei hätt er lieber Landsknecht werden sollen als Prediger! Dieser dickschädlige Mönch, dieser Hitzkopf, wird er mit der Schleuder seines jähen Geistes nit noch wildere Zwietracht ins Land werfen? Wird er mir Deutschland nit noch tiefer zerspalten?«

»Vielleicht führt Luther einem neuen großen Gedanken das Schwert?« sagte Aventin. »Es handelt sich in seinem Aufruhr nit um müßiges Gezänk, nit um Mönchsneid, nit um ein Trünklein Wein beim Abendmahl.«

»Darf man ihm trauen? Er ist doch ein abtrünniger Mönch. Er ist nit treu blieben.«

»Seiner Sache ist er treu. Lind das ist mehr.«

»Sie werden ihn genauso braten wie den Hus«, weissagte Kunz. »Wer laut denkt, wird gehenkt. Amen.«

»Ich glaub nit«, widersprach der Gelehrte. »Höhere Gewalt als dem Schwert ist dem Wort gegeben. Luthers Rede zwingt, er weiß, wie man zu dem Volk spricht. Wie fliegender Same sinkt sein Wort in den deutschen Acker. Es wird entzweien und befruchten. Und einst, wenn die zwei Lager versöhnt sind, kommt das goldene Zeitalter wieder, davon die Mären der Alten träumen.«

Der Kaiser erhob sich jäh, und seine Augen funkelten. »Aventin, Ihr habt vorhin von der Nachrede der Folgewelt gesprochen. Was ist der Ruhm? Ist er ein zergänglich Gespinst und eitel Larvenspiel? Was melden die alten Fabler davon? Ihr seid ein Gelehrter, der festbannt, was im Nebel der Vorzeiten zerrinnen will. Ihr wisst, wie die Völker vergehen, wie die großen Menschen sterben, wie der Tyrann im Blut ausglitscht und der redliche König gesegnet die Augen schließt. Erzählt mir ein Wort, eine Tat! Ich hör gern das Vergangene.«

Aventin begann: »Das Schicksal der Großen ist das Schicksal des Erdreichs. Der höchste Held ist Alexander gewesen, er hat Persia und India besiegt, die unermesslichen Schätze des Ostens sind ihm zu Füßen gelegen. Sein Traum hat sich in einer ungeheuern Tat ausgewirkt.«

Kunz blätterte geräuschvoll durch sein Buch und rief: »Eulenspiegel ist gestorben zu Möllen. O weh, die Narrenpritsche ist zerbrochen!«

»Schweig!« gebot ihm der Kaiser. »Und hör zu!«

Aventin berichtete weiter: »Als Alexander gestorben war, hat man in seiner Hand einen goldenen Schild gefunden, darauf war geschrieben das Wort: ›Alles!‹ Der Weise, der seine Kriegsfahrt allweg begleitet hat, hat ihm den Schild sanft aus der Hand gerungen und ihm ein bisslein Staub darein gedrückt.«

Der Kaiser saß mit verfallenem Gesicht und sann. Doch Altdorfer trat wie ein Entrückter an das Fenster, breitete sehnsüchtig die Arme gegen den Himmel und sagte: »Alles!«

Dann kehrte er zu seinem Stuhl zurück und begann wieder, still zu zeichnen.

Der Kaiser hatte ihm verwundert zugesehen. Doch fragte er, innerlich berührt, nicht nach dem Sinn dieser Gebärde.

»Schön ist es für den Mann, furchtlos leben und sterben ohne Wunsch«, flüsterte er dann. »Das eine hab ich getan, das andere ist mir versagt. Was wird aus Deutschland?« Er sah ratlos um sich.

Doch als er dem tiefen, sinnenden Auge des Künstlers begegnete, rief er: »Und dennoch! Gott liebt Deutschland!«

Er ließ sich die Zeichnung reichen und betrachtete sie lange.

»Altdorfer, Ihr habt mich zu menschlich gesehen«, tadelte er. »Hier ist Kraft nur noch in der trotzig vorgeschobenen Lippe. Ihr hättet mich nit als lebenssatten Mann zeichnen sollen, sondern als Sankt Jörg am Felswald oder als Jäger, der mit der Stange die Gams herunterstößt von der Schrofe! Das ist das Gesicht eines Menschen, der sein Sach verspielt hat. So also seht Ihr mich!«

»Kaiserlicher Herr, die Zeichnung ist nit fertig.«

»Lasst sie, wie sie ist!« Und Max nahm das Blatt an sich. Und er redete es wie aus schwerer Erkenntnis heraus an: »Du jagst und wirst gejagt. Du drängst und streitest und leidest, unruhig sehnst du dich nach ungewissem Ziel. Und ruhst doch still in Gottes Beschluss! Du Mensch!« –

Als hernach Altdorfer und Aventin durch die Walengasse gingen, sagte der Gelehrte: »Der Kaiser führt seinen Sarg mit sich. Das Feuerherz ist müd. Sein Geist ist zu unbeständig gewesen, zu viel hat er unternommen und unternehmen wollen, der Welttausendsassa!«

 

»Besucht Ihr mich wieder?« rief Uberto überrascht mit seiner hochgestimmten welschen Stimme. »Viele Jahre habt Ihr mich übersehen und verachtet, Altdorfer, seit die Leute Eure Bilder gut bezahlen! Oder hat der Roritzer Euch in seinem letzten Stündlein gegen mich aufgehetzt?«

»Lasst ihn ruhen!« sagte der Maler. »Ich meld Euch nur, dass der Kaiser sogleich zu Euch kommt.«

Der Venezianer lauschte hoch. »Der Kaiser?! Will er von mir Geld? Er tritt in die falsche Tür. Wie kann der große Herr wissen, dass ich lebe?«

»Ich bab ihm von Eurer chymischen Küche erzählt.«

»Allzu hohe Ehr für mich! Den schwefelblauen Flammenteufel will er heimsuchen? Will er mich zu seinem Münzmeister machen? Soll ich ihm den Brutgulden prägen?« schwätzte der Alte. »Seid Ihr sein Diener worden, Altdorfer? Was tut er für Euch? Was hat er von Dürer bestellt? Ein notdürftig Betbuch. Einen Degenknopf. Den Entwurf einer Ehrenpforte, sich selber zu beweihräuchern. Sonst nicht viel. Welch herrliche Aufträge hingegen gibt Italia dem Bramante, dem Michelangelo, dem Rafael Sanzio!«

Der Kaisertrat in den Flur. Ubertos alraunisch zerfurchtes Gesicht zuckte vor Erregung. Er neigte sich immer und immer wieder.

»Ihr seid der, der um gutes Geld Spinnweben verkauft«, scherzte Max. »Habt Ihr ein Mittel gegen greises Haar feil?«

»Seid mir günstig, Majestät! Ich bin ein geringer-Kaufmann und bring sonderlich Arznei wider die Pest zuweg, kräftigen Pestilenzessig, Balsam, Räucherpulver, geweihte Schilder, unterm Hemd zu tragen. Oder wünscht Ihr anderes? Wünscht Ihr ein Bild von Albrecht Altdorfer?« fragte er pfiffig. »Und welchen Heiligen? Ich besorg alles.«

Max streichelte einen Wandteppich, ein Hochstück arabischer Webekunst. »Eure Ware, Messer Vistosi, soll für einen Kaiser allzu teuer sein, hab ich vernommen. Ich will nur Eure chymische Werkstatt sehen.«

»Mein ganzes Haus ist Euch offen«, buckelte der Bucklige.

Er trippelte mit einem brennenden Ölschifflein voran. Der hohe Gast, Kunz von der Rosen und Altdorfer folgten ihm die glitschigen Staffeln hinunter.

»Das Haus rührt aus der Römerzeit her, Majestät. Kaiser Drusus, Euer erhabener Vorgänger in der Gewalt, soll hier genächtigt haben«, erklärte Uberto.

Sie standen in dem stickigen Keller. Kohle glomm finster, Rauch schwebte dünn in den Rauchmantel hinauf. Auf dem Estrich des uraltrußigen Raumes ein Haufe Kupfer, Zimtober, Stangen braunen Holzes. Auf Gestellen Geräte der hermetischen Kunst, Gefäße mit blinkendem Quecksilber, abenteuerlich geformtes Glas, .ein ausgestopfter Pelikan, die Bilder der Planeten. Bücher, in Eselshaut gebunden.

Der Kaiser blätterte darin. Er las ihre Titel. »Der Streit der Weisen.« »Der Triumphwagen Antimonii.« »Güldenes Fell.« Des Thomas von Aquin »Geheimster chymischer Schatz«.

»Wie weit seid Ihr in der lobwürdigen Feuerkunst?« fragte Max. »Wie tief schaut Ihr in das Geheimnis? Habt Ihr es schon mit dem Meteorstein versucht? Ich brauche Gold. Ich will nit mit reinem Gold siegeln wie Kaiser Karl zu Aachen, aber die Landsknechte sind teure Ware, wollen bezahlt sein. Nimmer führt wie vormals die lautere Ehre allein den Krieg.«

»O heilges Blütle von Weingarte!« rief Kunz. »Unser Säckel hangt hohl, fällt kein dürres Brösel heraus. Max, wir sollten den Ablasshandel für Deutschland pachten!«

»Sind drüben in India nicht die Goldgruben des Krösus wiedergefunden worden?« fragte Uberto. »Flößt man nicht Silber über die Meere?«

»Das Gold bleibt in Hispania«, sagte der Kaiser. »Deutschland kommt allzeit zu kurz. Doch, Welschmann, habt Ihr da auch anderes zustand gebracht als Asche und Ruß?

Glaubt Ihr, dass das unfertige Metall sich zu Gold vollenden lasse?«

Der Venezianer flüsterte ehrfürchtig: »Das Gold ist die Krone im starren, atemlosen Reich der Gesteine. Gold gewinnt und hält und fällt die Welt. Ich will aus Zedernholz Gold machen, wie es daraus einst Johannes, dem Botschafter Christi, gelungen ist. Ich mühe mich, seine Apokalypse richtig auszulegen. Sie ist ein chymisch Buch und nichts anderes.«

»Ihr schwärmt und faselt und wisset so wenig wie die andern«, lächelte der Kaiser. »Ihr wisset nichts. Das erkenn ich.« »Warum besucht Ihr mich dann, Majestät?«

»Aus Neugier. Sie ist wieder einmal enttäuscht.«

»Ihr haltet das, woran ich glaube, für unnützes Beginnen«, sagte Uberto beleidigt. »Wisst Ihr denn alles? In den Fichtelbergen wachsen in den Grotten die reinen Metalle wie Baum und Strauch, mit glimmenden Wurzeln, mit glosendem Gezweig, mit glitzernder Frucht. Dort prangt die Silberstaude, der Goldwipfel.«

»Wo? Wisst Ihr die Stelle genau?«

»Ich kenne einen Mann, der ist dem Wunder hart auf der Spur.«

»Ich bin alt, kann nimmer suchen und schürfen«, sagte Max. Und er blies ins Feuer. Da stob Asche davon. Ein müdes Goldfünklein schwebte, sank, losch aus.

 

Der Kaiser ließ sich vor dem Prebrunner Tor den mächtigen Stumpf der Pipinslinde zeigen. Er sah zu Weihsanktpeter die Taten Karls des Großen an der Mauer verewigt.

»Karl ist mächtig gewesen«, sagte er düster. »Doch ich? Wohl befehl ich, doch wer gehorcht mir im Land? Die Faust hab ich der Faust entgegenhauen wollen, Gewalt gegen Gewalt. Machtlos ist das Gericht des Reiches. Und der deutsche Kaiser ist arm, ein Falke ohne Nest, ein Bär ohne Höhle.«

Er besichtigte den Steindom. Der neue Dommeister Erhard Heydenreich ließ eben Notdächer über den Turmstümpfen errichten.

Ein Mensch, der hinter der Torsäule gelauert hatte, ein Wirrbart, ein Tollauge, sprang plötzlich mit gezücktem Messer gegen den Kaiser los. »Du maßest dir meine Krone an!« schrie er.

Kunz von der Rosen stieß den Irrsinnigen zu Boden.

»Klagt mich der Dom an?« flüsterte Max erschüttert. ».Mir ist, der Wolf Roritzer habe mich angesprungen!«

 

Zu Ende des Jänners 1519 drang die Kunde nach Regensburg, Kaiser Max sei gestorben.

Ein seltsames Leben, das wahrlich mehr als eines gewogen, hatte sich vollendet. Einem Sturm gleich ohne bindende Wurzel, ohne beschwichtigende Heimat war er spielerisch und ruhelos durch seine ruhelose Zeit gebraust.

»O weh, der Kaiser ist hin! Da kriegen wir neues Geld. Und mit neuem Geld fährt neues Unglück ins Land!« rief der Oswalt Geltinger.

Die Regensburger Juden erbangten, da die kaiserliche Hand nimmer war, die schützend über seinen Kammerknechten geschwebt hatte.

Der Domprediger Balthasar Hubmayr, trefflich beritten in Bibelstellen und mit der Weisheit der alten Kirchenlehrer gerüstet, griechisch und hebräisch genau so gewandt redend wie deutsch, benutzte das Traueramt für den Kaiser, um gegen die Juden zu predigen.

Hubmayrs Rede fiel wie eine stürmische Bergache nieder. Immer glühender predigte er, und so gewaltig mochte einst vor dreihundert Jahren der selige Bruder Berthold gepredigt haben, vor dessen Wort der ergriffene Sünder sich zur Erde geworfen und öffentlich seine Schuld bekannt hatte.

Indes auf den Plätzen Regensburgs unter Paukenschall ausgerufen wurde, niemand dürfe im Getto plündern, was dort zurückgelassen werde, wanderten die Juden ab, die Mauern der Stadt schrecklich verwünschend.

Zu Ende des Hornungs war der Judenpferch leer.

 

Als die Maurer die Judenkirche niederbrachen, stürzte der Steinmetz Jakob Kern mitten im gläubigwilden Eifer der Zerstörung in die Tiefe, und über ihn donnerte das Gewölb wie ein Gewitter nieder und begrub ihn. Die Gesellen zogen ihn aus den Trümmern und aus dem aufwolkenden bejahrten Staub heraus. Ihm rieselte Blut aus Mund und Ohren, und sie schafften ihn auf einer Bahre heim, die Sterbekerze in den Händen. Er stand aber noch am selben Abend wieder auf und schwur, stürzend habe er die Muttergottes angerufen, und er habe es deutlich gesehen, wie sie ihn eilends mit ihrem Veilchenmantel gegen das nachstürzende Gewölbe geschützt habe.

Hubmayr pries das Wunder von der Kanzel herab, und es war in aller -Mund, und das Weib des gnädig Geretteten verlobte sich mit einer gewaltigen Wachskerze der himmlischen Helferin. Bald luden allerorten Opferstöcke das Volk ein, zur Erbauung einer Frauenkapelle an Stelle der Judenkirche ein Scherflein beizusteuern, und arm und reich gab gern.

Die Predigten Hubmayrs förderten den Bau des Kirchleins, das zur Wallfahrt bestimmt war. Klüglich hoffte der Rat, dass aus allen Gauen die Beschwerten, Frommen und Neugierigen, die städtischen Einkünfte mehrend, kommen würden.

Der Weihbischof weihte das Heiligtum, das, aus Balken und Brettern hastig gezimmert und geschindelt, auf steinernem Grundbau einfältig und ärmlich wie ein geringes Waldkirchlein zu schauen war. Die Fenster waren vergittert, im Türmlein gellte ein Glöckel, im Betraum lauerte eine Rattenfalle, denn es gebrach hier nicht an dem grauen, widerlichen Ungeziefer, es schlüpfte aus den Kellern der zerstörten Häuser.

Doch am Marmoraltar prangte klar in der Kraft seines Leuchtens das Bildnis der Schönen Maria: eingefangen im strahlenden Mandelreifen hielt die ernste, milde Frau der Gnade ihr dunkellockiges Kind. Die Wallfahrer wussten nicht, dass das Bild von Altdorfer herrühre, sie wähnten, der heilige Lukas habe es im Traum gemalt, als er vor tausend Jahren in Regensburg geweilt habe, und durch ein hohes Wunder sei es so farbenfrisch in einem Kirchlein im Grauwinkel erhalten geblieben trotz aller Kriege und Brände. Und wer in Altötting verzagt hatte oder bei der Gnad zu Deggendorf nicht erhört worden war, und die einst nach Eichstätt gepilgert, sich dort an dem Tau zu stärken, der aus dem Grab der heiligen Walpurgis träufelte, und die einst zu Ebersberg aus der Hirnschale des heiligen Sebastian getrunken und die in den Kolomanskapellen vor dem kupfernen Haupt gekniet: sie alle vergelübdeten sich fortan zu der Schönen Maria, die mit ihrem sanften, ernsten Götterblick allen andern Nothelfern überlegen schien. Bald umspannen wunderbare Legenden das Bild.

Ein Mann aus Stadt Enns ging stockblind von Hause fort; je näher er aber Regensburg kam, desto erfreulicher besserte sich sein Auge. Bei Wernstein gewahrte er schon einen grünen Schimmer, bei Vilshofen erkannte er schattenhaft die Umrisse der Bäume, bei Plattling sah er den Weg und konnte ohne Führer weiterwallen, bei Straubing wurde er der fernen Berge inne und unterschied wieder die Farben, und als er endlich vor dem Bild kniete, sah er es in seiner edeln, tröstlichen Glut und war geheilt. Wie aus tiefster Nacht war er durch heiter sich lösenden Nebel ins herrliche Licht gewandert.

Einer ungarischen Frau war bei einem türkischen Überfall aus Schrecken die Zunge gelähmt worden. Durch die Gewalt des Bildes gerührt, redete sie davor wieder ihr erstes Wort: »Maria, ave! Was gilt dir mein armer Gruß?!«

Ein Heiliger, der in der Ferne gesucht wird, vermag mehr des Wunders als einer, der alltäglich in der Nähe zu finden ist. Und so erzählte sich bald das Volk Deutschlands an den Brunnen und auf den Brücken das Wunderbare immer wunderbarer, und es hieß, dass der junge Kaiser selber zur Schönen Maria wallfahren wolle und dass jüngst an die hundert Mohrenritter auf ihren Rössern durch das Tuneser Meer geschwommen und nach Regensburg geritten und sich dort vor dem gewaltigen Bild weinend zu Christo bekehrt hätten.

Eines Morgens sagte Frau Anna erwachend zu Altdorfer, sie habe ein erschütterndes Traumgesicht erlebt: einen harten Stein habe sie in das Herz der Schönen Maria getaucht, und der Stein sei darin zerronnen wie Eis im lauen März.

Als der Maler einmal vernahm, ein großer Wallfahrtszug nähere sich mit weißen, wächsernen Windlichtern, begab er sich mit Michael Ostendorfer zur Kapelle.

Vor dem Kirchlein umstand ein Haufe Menschen, der sich sehnsüchtig bergen wollte in der Gunst Mariens, des Quellbrunns aller Erbarmnis, der Jungfrau, der das Lob der Engel und das Lächeln Gottes galt, umstand ein Haufe singend ein Steinbild.

»Der Heydenreich hat das Bild gemeißelt«, sagte Ostendorfer, »liebedienerisch hat er es geschenkt, dass er einst beauftragt werde, den Bau der großen steinernen Frauenkirche hier zu vollführen.«

Altdorfer drängte sich durchs Tor in die Nähe des Altars, der sein Bild umrahmte.

Ein raues Lied wogte in wirrem Chor um ihn auf. »Maria zart von edler Art, ein Ros ohn allen Dorn, du hast mit Macht das Heil uns bracht, das einst uns war verlorn.«

Hinkend kamen sie gewallt, Sand im Schuh, sich zu martern auf dem Weg zum Heil, oder mit dornumflochtenen, bloßen Füßen, bestaubt, blass, mild, mit wankenden Knien niederbrechend vor dem Bild, stammelnd um Hilfe. Manche waren des Nachts durch Wald und Wildnis einsam gepilgert, ihr sündiges Herz mit Angst und Schrecken zu strafen.

Wenig Licht brach durch die kleinen Gitterfenster. Aber über ein halbes Hundert großer Kerzen flackerte, wie eine mächtige Baumreihe geordnet, gespendet von frommen Bruderschaften, von bayrischen Städten, und vor allem ragte die Kerze, die der Sattelpogner gestiftet hatte: sie wog so schwer wie ein gepanzerter Ritter samt seinem Ross und sollte hundert Jahre bei jedem Hochamt brennen.

In dem Zauber dieser unruhigen Lichter strahlte das Bild der Göttin, der Strahlentauber glomm darüber, und heilsgläubig opferten die Menschen ihre Gaben auf das von der Nonne Magdalena Altdorferin kunstvoll gestickte Altartuch.

Ein hageres Weib in schwäbischer Tracht hielt dem Gemälde die verdorrte Hand hin. Ein Schlagflüssiger hatte Wange und Mund ganz überzwerch und toll verrissen: »Maria, du Tod des Todes!« lallte er schwerfällig. Eine Frau, lahmend an den Gliedern, wurde auf einer Bahre hereingeschafft, mit durstigen Augen suchte sie den Altar. Ein Mensch hustete Blut; ein anderer spie ekeln Schleim, es war, er faule von innen heraus; einem dritten rann eiteriger Unflat aus dem entblößten, hässlich veräderten Bein; ein vierter hatte die Stirn wie mit birkener Rinde verschorft. Es kamen Kranke, von Wassersucht triefend, mit Wildbrand oder neunundneunzig Fiebern, mit dem fressenden Scharbock, mit Dorrsucht, Grieß und Stein, Gelbsucht, Lohfeuer, persischem Feuer, mit Unruhe des ganzen Leibes behaftet.

Ein Besessener wurde in Ketten dahergeführt, er brüllte wie ein Stier, stampfte mit dem Fuß, redete von Totschlag und von Leuten, die er bereits ermordet habe. Als er Altdorfers starken Blick auf sich ruhen fühlte, keuchte er ihn an: »Schau mich nur an, du Wolf! Ich bring dich um!« Und teufelwitternd schnob er auf, und von der Gewalt Gottes gerührt, schlug er klirrend auf den blechbeschlagenen Estrich hin. Er zuckte mit den Mundwinkeln, es riss ihn an Arm, Schulter, Brust, Bein, und Schaum schoss ihm aus dem verzerrten Maul, blutig vom Biss in die Zunge; die Knie zog es ihm schier bis zum Kinn hinauf, die Finger seiner Hände fielen einander an, zerkratzten und zerbrachen einander, und dann verfiel er plötzlich mitten in dem Neugierhaufen in tiefen Schlaf. »Maria hat geholfen«, flüsterten die Menschen, »der Teufel ist aus ihm gefahren«.

Von Atem und Ausdünstung und vom schweißigen Geruch der Waller war die Luft dumpf und dick, und mancher musste, der Ohnmacht nahe, von hinnen geführt werden.

Frauen stellten silberne Becher und Schalen auf den Altar und Schmuck, den sie um den Hals getragen. Die Leute brachten Köpfe und Beine und Tierbilder aus Wachs, wächserne Ohren und Augen, sie drängten rücksichtslos zu den Opfertischen. Bauern schenkten Flachs und lebende Hühner, Gänse und Tauben; ein Imker brachte den ersten Bruch samt Wachs und Honig, weil die Jungfrau ihm geholfen, als er im Wald die schwärmenden Bienen geschöpft hatte.

Alles, alles kehrte sich an die magdliche Mutter und Königin, an Gottes Frau, die dem Blinden das holde Licht schenkte und dem Tauben den Ruf der Welt, die dem Stummen die Zunge löste, dem Gefangenen die Ketten zerriss, den Verstürmten in den stillen Meerhafen lenkte, den Verzweifelten hoffen machte, dem verwirrten Zweifelgeist wieder glauben ließ, den Gefallenen gütig zu sich aufhob.

Betäubt von diesem wilden Fest des Vertrauens, Bittens, Forderns und Dankens, begab sich Altdorfer wieder ins Freie, und er sah, wie die eifernden Scharen eben über die letzten Mauern des Judenviertels herfielen und stürzten, was noch an jene erinnerte, die den Heiland und seine Mutter verhöhnt hatten.

Und Altdorfer merkte später, wie zu Regensburg die Weinschenken, die Bier- und Metbrauer und die Lebkuchner viel Geld lösten, die Schuster zu schaffen hatten, den Krämern der Beutel am Gurt schwoll, die Seinen, Altdorfers, bunten Holzschnitt von der Schönen Maria und die von ihm entworfenen silbernen und bleiernen Gnadenmünzen vertrieben oder Mirakelbüchlein feilboten; wie das Geld, womit das Volk hundert Tage Ablass zu gewinnen hoffte, aus den Opferstöcken gehoben und gesiebt wurde, um rascher die gewichtigeren von den geringeren Münzen zu scheiden; wie schließlich die Opfergaben auf dem Haidplatz oder im Kramwinkel wieder an das Landvolk versteigert wurden. Er sah dies alles mit zwiespältigem Gefühl.

Immer zahlreicher kamen die Menschen nach Regensburg, ein rätselhafter Sturm schien in die Massen gefallen zu sein.

Die Sense rauschte ein der Faust der Riesin Pest. Ausgestorbene Schiffe trieben herrenlos übers Meer. Dörfer ödeten aus, unablässig ratterte der Leichenkarren in den Gassen der Städte. Die Pestflämmlein brannten auf den strohernen Dächern der Totengräber. Das Vieh siechte. Früher hatte man sich dem Verhängnis demütig unterworfen und geseufzt: »Es hilft nichts dagegen, wir müssen die Seuche fressen lassen, bis sie sich in ihrer Gier überfressen hat oder sich selber verschlingt.« Jetzt schwang das geängstigte Volk die Seele voll Hoffnung zur Schönen Maria.

Dürre lagerte über dem Land, die Wiesen trauerten rötlich und vergilbt, das Gras deckte nimmer den trockenen, zerrissenen Boden, an den saftlosen Bäumen hing das Laub schläfrig und krank, die zwergige Frucht gedieh nicht und fiel vorzeitig ab, kläglich sickerte es im Röhrbrunn, die kraftlosen Bäche bewältigten nimmer die Mühlen, und im versiegenden Strombett stieg der Hungerstein auf. Trespe und Taumellolch wurden ins Brot gebacken, das Kornmehl zu ersetzen, und die Leute wurden davontrunken und tanzten wie Tolle gegen Regensburg.

Mancherorten bebte die Erde wie unter Krämpfen, die Menschen taumelten, betäubt von Schmerzen des Hirnes, und diese wurden so unerträglich, dass die Kranken sich die Stirnen einrannten oder in die Abgründe sprangen, die sich aufgetan hatten. Blutige Kometen drohten, mächtige Vogelzüge schreckten, Unziefer wuchs. Ungeheuer mit gehörnten Geißköpfen wurden von den Weibern geboren, und die Priester verweigerten ihnen die Taufe: also war es in den Flugblättern zu lesen. Man wähnte den Jüngsten Tag nahe, da der Herrgott die Welt abbrechen sollte.

Die Wallfahrer kamen leidenschaftlich daher, wie aus dem Feuer gesprungen, aus entlegensten Einöden, wo ansonsten der Gang der Zeit nicht hörbar gewesen, aus Polen, Windenland, Ungarn, Böhmen, aus allen Winkeln Deutschlands, von dem Gerücht der Wunder gelockt. Heilungsgläubig traten sie vor das Bild Altdorfers, das sich in den Träumen Tausender und Tausender spiegelte, das in veilchendunkelm Mantel ihnen zugewinkt hatte, so dass sie gebannt waren und wallfahren mussten, ob sie wollten oder nicht. Barfuß wanderten sie, sie fasteten unterwegs, lebten fast nur von dem Gras am Pfad. Manche gingen nackt, manche krochen.

Über Regensburg-dröhnten aufhörlos die Glocken, die Gassen brausten von Gebet und Lied. Und Altdorfer sah sein Gemälde schimmern über all dem Elend und der Sehnsucht, göttlich kalt und ungerührt von der inbrünstigen Anrufung schimmern und sah die Massen unerhört und ungeheilt wieder abströmen und dennoch ungebrochen in ihrem Vertrauen, als wäre ihnen eine große Gnade gewährt worden.

Einmal abends, da die Wallfahrt sich verbraust hatte, blickte Altdorfer in das Kirchlein hinein. Mild glänzten die Kerzen, Wandteppiche dämmerten farbig, und eine Frau stand in der Haltung eines versonnenen Baumes und hob eine kleine, leere Wiege zu der Göttlichen empor, die ein Kind gewonnen hatte ohne Mannes Rat. Es war Frau Anna.

Er zog sich leise zurück, um sie nicht zu beschämen.

Auf dem Heimweg hörte Altdorfer zwei Stimmen in einem Flur streiten. Ein Weib raunte voller Hass: »Du Würgvogel!« Ein Mann widersprach: »Für wen hab ich gewürgt? Du Erzbuhldirn! Lebendig sollt man dich vermauern!« Es waren der Sattelpogner und Rachild.

 

Altdorfer gelobte, er wolle vor das Kirchlein eine Pforte bauen, edler noch als die vor dem Dom, wenn Gott ihm ein Kind schenkte.

Er wünschte heimlich, der künftige Steinbau zur Schönen Maria sollte ihm übertragen werden, der Neubau, aus den reichen Einkünften der Wallfahrt aufgeführt. Er wollte ein Gnadenhaus errichten, das würdig bestehen konnte neben dem Dom. Entzündet von dem eintürmigen Entwurf Konrad Roritzers glühte der furchtbare Plan Babels wieder in einem deutschen Geist auf. Und Altdorfer erschrak vor sich selber.

Dann aber erinnerte er sich der neuen Kunst der Wiedererwachung, und er träumte einen Rundbau aus lebhaft buntem Stein und darin Säulen aus goldbetupftem thebanischen Porphyr, breite Stufen führten hinan, an den Wänden glühten Gottesbilder und über den Altären Kronen. In den Nischen wunderbar geformte, springende Kunstbrunnen. Alles rundbogig, die Fenster angenehm geordnet und weit, das flutende Licht zu empfangen. Auf der Vierung weithinschauend eine Kuppel, luftig durchbrochen, dass die Vögel ein und aus flögen, dass die ferne Landschaft und der blaue Himmel eindrängen. Ringsum ein Edelgarten. Eine Gottespfalz sondergleichen, und mitten auf dem Wöhrd müsste sie sich erheben, umronnen von der Donau.

Altdorfer entwarf auf vielen Blättern Grund- und Aufriss und Innenschmuck, dazu den Plan des Gartens, er löschte die Striche und zeichnete dafür andere, die ihm sinnvoller zu sein schienen, und war glücklich in diesem träumerischen Geschäft.

Als Altdorfer erfuhr, dass Erhard Heydenreich, dessen Arbeit am Dom nun fast vollständig ruhte, wütend um den Bau der Marienkirche sich bewarb, verschloss er seinen Wunsch in sich.

Nun aber legte der Augsburger Steinmetz Hans Huber, ein baukundiger Mann, der Stadt einen Plan vor und ließ davon ein birnhölzernes Bild herstellen. Altdorfer fühlte in dieser edeln Mittelanlage mit Kuppel und Zeltdächern, Sonnenrädern und holdem Maßwerk im Rundfenster sogleich die Werdeluft der neuen Zeit und, bezaubert von der Vollkommenheit, bestimmte er die Stadt, diesen Plan auszubauen. Nicht schmerzlos verzichtete er dabei auf die eigenen Absichten.

Er kehrte zu seiner Staffelei zurück und malte eine Geburt Mariä. Nebenher gab es für ihn manch nüchternes Geschäft, seit er in den Rat der Stadt berufen war. Regensburg stellte Geschütze bereit, weniger um des aufdrohenden türkischen Gewitters willen, mehr noch zum festlichen Empfang des jungen Kaisers, und Altdorfer musste Büchsen gießen und sie mit dem Wappen der Stadt zieren und sich kümmern, dass Harnische, Hirnhauben, Waffen und anderes Rüstwerk in den Zeughäusern blank und glatt und bereit waren. Er liebte seine Vaterstadt und zeigte ihr es in diesen bescheidenen Diensten.

Im Rathaussaal stießen Erhard Heydenreich und Hans Huber vor dessen Holzbild gegeneinander.

Huber, städtisch fein in ein Samtwams gekleidet, bot Altdorfer die harte Hammerhand und dankte ihm.

»Ihr bauet, was ich nur träumen kann«, wehrte Altdorfer ab.

»Ich hoffe, meinen Bau wird nicht das Los eures Domes treffen, der nimmer wächst«, sagte der Augsburger.

Heydenreich trat hastig herzu. Ein giftiges Kraut wuchs in seiner Brust. Der Neid. Er war ein Mensch mit schroffem, ungünstigem Urteil, soweit es ihn nicht selber betraf, mit steingrauer Stirn, auffliegenden Brauen, schmalen Wangen. Sein Blick hatte etwas von einem Funken an sich, der aus dem Kiesel springt, als er auf das Holzbild deutete. »Ein Zwitterwerk, nit altdeutsch, nit welsch! Nur glatte Form, die die Sinne verhext, den Ingrund der Seele aber nit berührt!«

»Zwitterwerk?« rief zornrot Hans Huber. »Muss nit ewig das Alte tiefer strömend unter dem Neuen fortwirken und es tragen? Und muss nit das Neue aus dem Alten sich aufrichten, weil das Leben stets sich wandelt?«

»Ein flinkes Männlein seid Ihr, das sich in die Zeit zu schicken weiß«, erwiderte Heydenreich grob. »Doch Zeitgeschmack ist hinfällig. Herr Schnabelschuh ist gegangen, Herr Kuhmaul ist gekommen, Herr Bundschuh wird ihn verdrängen. Eure Kunst ist flüchtig, Hans Huber, die meine ist ohne Zeit. Ihr putzt und plustert Euch jämmerlich mit den Federn der antikischen Kunst auf!«.

»Und Ihr seid ein Neidling!« rief Huber.

Die beiden Baumeister fuhren auseinander, als habe sich zwischen ihnen ein feuriger Abgrund aufgetan.

Frau Anna faltete die Hände vor dem neuen Bild.

Den blauen Hut am Kopf, am Rücken einen Laib Brot, tritt Joachim in den festlich weiten Kirchraum, darin sein Weib Anna in einem hohen Bett von der Qual der Geburt ausrastet; die Mägde sind mit ihr beschäftigt, und eine nimmt das neugeborene Mägdlein Maria sorgsam aus der Wiege. Zwischen den hohen, dunkeln Säulen hindurch schaut man in die feierliche Mittelkirche, in Chor und Chorumgang, und droben in der Höhe der Säulenknäufe tanzen zahllose Engel, sie reichen sich die Hände und schweben wunderbar tief in den Hintergrund hinein, einem seligen Kranzgewinde, einem Kronleuchter ähnlich.

»Welch schönes Bett!« staunte Anna. »Aber in einer Kirche?«

»Das Wochenstüblein hat sich zum Dom gewandelt«, sagte Altdorfer. »Ist das nit glaublich, wenn die Gebärerin die Großmutter des Heilands ist?«

»Es ist alles unwirklich, Albrecht. Noch nie hab ich einen solch lichten Gottessaal gesehen! Werden die Menschen dir glauben, was du auf diesem Bild sagst?«

»Ein Kunstwerk, Anna, ist nit ganz wahr. Doch ist es beileib nit erlogen.«

Als er sie bei diesen Worten anblickte, sah er an ihrer Wange eine klare Träne haften. Er wusste, warum das Gemälde trotz seiner Lieblichkeit sie traurig stimmte. Sie hatte kein Kind.

 

Als Hans Huber das Bild mit der Geburt Mariä genüglich betrachtet hatte, urteilte er: »Die baulichen Kräfte spielen hier in einem herrlichen Verhältnis. Wie weit, wie licht ist alles gedacht! Von Euch kann auch ein Meister lernen. Ihr wäret ein großer Baukünstler. Ach, ich hab Euch um den Kirchbau der Schönen Maria gebracht!«

»Nein, nein, ich bin nit zünftig!« sagte Altdorfer. »Ich darf nit bauen.«

Hans Huber beschäftigte sich mit den Farben des Gemäldes. Der Raum des Domes war fliederbläulich und grau wie Blei, tiefrote Kleider glühten rubinengleich, durch die Fenster brach rücksichtslos der blaue Himmel, überrumpelnd, überzeugend.

»Wo seht Ihr solche Farben, Altdorfer? Sie tosen. Eine neue, süße Weise heben sie an, die noch keiner vor Euch gesungen. Bairisch Land, wirst du je einen größeren Meister nähren?« rief er jäh erkennend aus. Und er griff bittend nach Altdorfers Arm. »Entwerft mir den Taufbrunn für meinen Bau!«

Der Maler zeigte ihm hernach seine Entwürfe zu Bechern und Brunnen und etliche Blätter mit Landschaften, die er aus der Erinnerung auf Eisen geätzt hatte.

»Welche Unruh ist in Euch!« sagte der Augsburger. »Immer wieder arbeitet Ihr mit anderem Werkzeug! Ihr ritzt das Kupfer, pflegt den Holzdruck, zeichnet mit Silberstift, Rötel, Tinte, malet auf deutscher Lindentafel, auf welschem Pappelbrett, und nun ätzet Ihr! Wie fein ist Euer Strich! Wie heldengleich habt Ihr den Baum da gebaut! Welche Fülle von Licht, wie wohlerwogen jeder Schatten! Doch schafft Ihr diese Atzung wahrhaft nur um der Bäume und Berge willen! Ich finde nirgends einen Menschen darauf.«

»Die Leute werden sich an die Einsamkeit dieser Blätter gewöhnen«, sagte Altdorfer sorglos.

»Wie rätselhaft ist doch die Kunst mit ihrem Schweben zwischen Handwerk und Begnadung!« murmelte Hans Huber. »Wer dem Geheimnis des Träumens auf den Grund käme, wahrlich, der wüsste auch um das innerste Geheimnis der Kunst!«

Altdorfer führte den Gast auf den Turm seiner Hausburg.

Drunten lagerte die Stadt wehrhaft und wuchtig mit Trutzwerk, mit Brücke, Dom und Donau. Draußen dämmerte der Frühling im feuchtschwarzen Glanz offener Acker, in deren Furchen sich die Lerchen rührten. Mancherorten war junge Saat zart über die Fläche gehaucht. Alles schwebte in einer wehmütigen Durchsichtigkeit. Die Donau säumte in ahnungsvoller Wanderschaft die traulichen Uferhügel, trennte sie träumerisch von der Ebene.

Ein Regenbogen umzäunte die Sonne.

»Ist das nit ein schlimmes Vorzeichen?« fragte Huber betreten.

»Mich freut der farbige Ring«, erwiderte der Maler.

Hans Huber sah ihn heimlich an. Diese blanken Augen, die bald sich schauend mühten, die Welt an sich zu raffen, und bald wieder gelassen in sich verweilten und die Erde zu sich herankommen ließen! Dieser stille Seelenblick!

Der Baumeister schielte wieder nach dem Sonnenring. »Es bereitet sich manches vor«, unkte er. »Der Türk mit Bogen und Pfeil und gebundenem Hut steigt auf. Und der Luther? Wie steht Ihr zu ihm? Irrt er nit den Frieden? Ist er nit ein ungefüger Bauer? In Rom hat er nur die Lasterstadt gesehen, nit die Schönheit der jungerwachten Altkunst.«

»Rom ist zuchtlos worden. Drum tadelt er es.«

»Er will den Papst mit der Zündkraft seines Wortes aus dem Feld schlagen. Meint Ihr nit auch? Zwar soll der junge Kaiser gelacht haben: ›Clericus clericum!‹ Zu deutsch: ›Kutten fressen einander nit!‹ Er hofft, Papst und Luther finden einander wieder.«

»Euch behagt Luther nit?«

»Nein! Der heftige Mann! Wird er nit sein schwarzes Tintenfass wider unsere Kunst schmeißen, wie er es wider den Höllenschrat geworfen? Wird er nit auch in Regensburg gewaltig werden und meinen Bau hindern, der der Liebfrau geweiht ist? Sprecht, Altdorfer! Ihr malet doch auch Madonnen!«

»Ich male die Mutter und das Kind.«

»Altdorfer, sie wollen die Bilder stürmen und zerschlagen! Fürchtet Ihr nit um Euer Werk? Bedenkt, es ginge in einer brennenden Kirche unter und es wär kein einziger Strich von Eurer Hand nimmer zu finden?!«

»Verhüt es Gott! Doch glaub ich, auch dann ist, was ich vollbracht hab, nit umsonst gewesen. Der Geist ist in allem Geschehnis. Was soll ich fürchten?«

Huber fand den Sinn dieser Rede nicht. Ziellos starrte er über die Stadt hin.

»Augsburg ist mir lieber«, sagte er endlich. »Es ist freier, stolzer. Jüngst hab ich mir die Gespenstertiere am Tor der Schotten hier betrachtet. Mir graut vor dieser wilden Fantasei. Sie liebt statt der sanften Formen der Geometria, statt der Blume und des Laubes, die mild und geregelt gestaltet sind, sie liebt das reißende, dräuend erschaute Untier. Wie hat je eines frommen Künstlers Wille nach solcher Formung greifen können? Was sollen uns diese Nachtgeburten?«

»Das Schottentor ist ungelenk. Doch ergreift mich sein Bildwerk immer wieder rätselhaft, und ich könnt es nie vergessen.«

»Wie könnt Ihr in den finstern Gassen da drunten dauernd hausen?!« fragte Huber.

Er berichtete nun von seinen Reisen, die ihn in den Norden geführt hatten, wo das Meer den Rhein in sieben Strängen an sich nimmt, und nach Italien. Dort schmeichle sich die welsche Flut an Venedig, und die goldenreife Frucht geselle sich am selben Zweig der weißen Blüte. Und die Künstler dort lebten zehnfach lebendiger als die deutschen, und sie hausten in Palästen.

»Es kommt nur darauf an, ob einer richtig in seiner Seele haust«, meinte Altdorfer.

»Ihr seid ein Meister des Lichtes. In Italia leuchtet der silberne Baum, da schimmert die Meerflur, der Marmor, der Mensch! Der Mensch!«

Altdorfers Blick vermählte sich einer weißen ziehenden Wolke. »Wohl lockt mich das Unendliche und ich möcht es einmal schauen im unbegrenzten Meer, das blau in den blauen Himmel hinüberfließt.«

Er stand auf einmal wie entleibt und war nur noch ahnende Schau in sich selber.

Als er aus atemloser Verzückung erwachte, errötete er und bat den Augsburger: »Verzeiht mir!«

»Ich verlasse Euch«, sagte Huber. »Ich will den Kaufmann Vistosi aufsuchen, er hat schöne welsche Baupläne. Kennt Ihr ihn etwa?«

»Ja. Ich sehe ihn manchmal wie ein knorriges Gespenstlein durch die Gassen wischen.«

»Jüngst hab ich mit ihm gestritten, Altdorfer. Ich liebe das Tyrrhener Meer stärker als die Adria. Nun hab ich den alten Venezianer gereizt, die Adria sei ein Sumpf, ein Tümpel, sie stinke nach Schlamm. Da hat er geschrien: ›Ein herrlich Meer! Blau, endlos!‹ Ich spotte: ›Nit einmal Heringe wachsen drin!‹ Da jauchzt er: ›Aber Delphine! Delphine!‹«

Als Altdorfer den Gast zum Tor geleitete, sagte dieser: »Noch eins! Was sagt Ihr zu Dionys Roritzer? Gelt, ein feiger Kerl, ein trüber Gesell! Sein Vater hat ihn als Kind wohl mit samtener Gerte geschlagen. Ich kenn ihn von der Lombardei her. Bei jedem Gewitter hat er sich eilends in den Abtritt gesetzt, er hat gemeint, dorthinein schlage der Donner nit. Dass der edle Wolf Roritzer solch einen Welpen gezeugt hat! Und doch soll des Ritter Sattelpogners Weib, eine kühne Frau, ein Augenwunder an Schönheit, in diesen Mann vernarrt gewesen sein, in seine verschmitzten Weinäuglein, in den Kerl, von dem jeder gewusst hat, dass ihn die Lustseuche ergriffen!«

»Ist Rachild nimmer vernarrt?«

»Wisst Ihr nit, dass Dionys verschollen ist?« wunderte sich Huber. »Man erzählt, er sei jüngst mit etlichen trunkenen Gesellen über die Brücke gegangen und sei auf ihrer Brüstung gelaufen wie weiland der Kaiser Max. ›Schaut, meines Vaters Dom kriecht zur Donau herunter, will sie aussaufen!‹ hat er gescherzt. Hernach schwankt er, breitet die Arme aus und stürzt lautlos ins Wasser hinunter. Keiner mehr hat ihn gesehen.«

 

An der Stelle der einstigen Synagoge bauten sie die steinerne Kirche der Schönen Maria. Schiffe führten Steine aus dem Ainwald herzu, sie wurden in der Bauhütte Hans Hubers behauen, und man griff auch nach den Judengrabsteinen und schliff sie zu.

Unter den Taglöhnern bei dem Bau fiel ein verlarvter Mann riesigen und edeln Wuchses auf. Er schaffte voll Eifer und ungestümer Kraft und weigerte sich, Lohn zu nehmen. Man hielt ihn für einen Büßer, der sich mit starkem Gelöbnis an niedere und harte Arbeit band, und ließ ihn ungefragt Steine zu Grundmauer und Plattform schaffen und Rüstholz schleppen und Mörtel mischen.

Es war Abend. Frau Anna war von ihren Schwestern ins väterliche Haus geholt worden, der alte Paumgartner war ein gepeinigter Zipperleinsmann geworden und hatte nach ihr verlangt. Altdorfer betrachtete glücklich die Tafel, die er eben fertiggestellt hatte und die die Geburt Christi schilderte, und er erinnerte sich dabei an eine elmsfeurige Winternacht, wo die Flocken wie goldene Späne gefallen waren.

Da meldete sich drunten vor dem Tor ein Ruf.

Als er öffnete, schimmerte das Licht das Gesicht einer blassen Nonne an. Sie ähnelte sehr dem Bild der Schönen Maria. Hatte sich dieses aus dem Altar gelöst, seinen Maler heimzusuchen?

Er flüsterte erschüttert: »Magdalena!«

»Verbirg mich!« bat sie hastig. »Meine Seele ist blind gewesen. Ich will im Leben blühen.«

Er zog sie ins Haus.

»Ich bin geflohen«, stammelte sie. »Ich bin zuletzt im Niedermünster gewesen. Verbirg mich!« Schluchzend sank sie an seine Brust. »Albrecht, ist es nit zu spät?«

»Fürchtest du nit, dass du mit deiner Flucht dir das Heil verscherzest, Magdalena?«

»Und sollt es auch sündig sein, was ich tue!« rief sie.

In seiner Werkstatt fiel sie in einen Stuhl, die Knie trugen sie nimmer.

Das neue Bild leuchtete. Sie staunte es an, und dabei stillte sich die Erregung ihrer verstörten Seele.

Es woben wundersame Lichter durch das Dunkel des Gemäldes. Der Winter war voll des flimmernden Schnees, weiß glomm der beschneite Fels, eine Laterne leuchtete, Sankt Josef schützte sein Kerzenflämmlein vor dem nordischen Wind, das Kind strahlte wie ein Sönnlein. Doch die irdischen Lichtquellen genügten hier nicht: die Lichte des Himmels spielten in die Irdischkeit herein und belebten die verfallenen Mauern und hüllten alles in unwirkliche Farben. Am Himmel droben statt des Wundersternes war ein Loch gerissen, ein regenbogenhaftes Rund, und neben ungeheuerlichem, geheimnisvollem Wolkenwerk schwebte seliges Grün, und ein Engel schoss hernieder im fernen Purpurdämmer des Geländes, daraus ungewisse Gebäude drängten, Säule, Tor und Bogen in der Pracht der Auflösung, ein edler Rundbau in verzauberter Öde. Alles war zart und liedhaft gemalt, war in seiner Glut wie aus einem Regenbogen gebrochen. Selig verstaunt neigte sich Maria über das feine Kind, dessen Vater nie ein Weib berührt hatte, und dessen Mutter jungfräulich war, und sie mochte wohl sinnen: »Wie komm ich zu dir, Kindlein? Hab ich dich nur erträumt?«

»Albrecht«, sagte Magdalena, »ich hab nit gewusst, dass du in solchen Bildern lebst.«

»Was hat dich aus dem Kloster getrieben, Schwester?«

»Bruder, es ist das Herz, dessen Schrei nit übertäubt werden kann. Bruder, ich will ein Kind tragen wie die Heilige dort. Ich will es wiegen und tränken.«

»Schwester, du hast einmal anders geredet.«

Sie erzählte: »In Niedermünster lebt eine Nonne, man hält sie für irren Geistes, und darum spricht man wenig mit ihr. Sie führt ein versunkenes Lächeln an den Lippen, als schaue sie etwas, was anderen verschlossen ist, als wandle sie schon dort, wo es selig ist. Sie ist unermesslich schön, sie singt süßer als der Engel der Verkündigung. Aber was sie singt, ist dunkel, und niemand versteht es.«

»Ich weiß, Geuta heißt diese Frau«, sagte Altdorfer.

»In Niedermünster liegen in einem morgenländischen Trühlein die Handschuhe der Muttergottes. Geuta hat sie einmal heimlich angezogen. Geuta hat einmal traurig ein wächsernes Kind gewiegt. Mir ist davon bang worden, und das ewige Licht ist mir wie ein düster zuckendes Herz gewesen. Als ich mir heute den Schleier gewaschen, bin ich davon. Geuta hat mir lächelnd den Schlüssel zum Tor zugesteckt.«

Altdorfer berührte sanft ihre Stirn. Ihr Mund, daran schon in früher Mädchenzeit leise Vergrämung gehaftet, jetzt war er in ihrem Weltheimweh voll und blühend.

»Seele, du Wirrgärtlein!« flüsterte er.

Sie aber sprach: »Mein Weg ist ganz klar.«

Mit tränenverhangenem Blick sah sie sich um. »Wie warm ist das Getäfel da an der Wand. Meine Zelle ist kalt und öd gekalkt.«

Altdorfer begab sich hinauf auf den Turm, das bewegte Herz unter den freien Sternen zu stillen. Er schaute in stummer Lust.

Der Mond rüstete sich zum Aufgang, seine Macht war noch gering, und so glänzte der Himmel in reicher Tracht: da ragte der Orion gegürtet und geschwertet und silberblitzend über Regensburg, der einsame Nordstern glomm, die goldene Deichsel wies ins unendliche Dunkel. Ein Strom, des Altdorfer sonst nie geachtet hatte, trat edelsteinern klar hervor, ein bläuliches, durchdringendes Geisterauge.

Und hinter dieser erhabenen Gestirnwelt, nein, mitten unter den zahllosen, schweigenden Lichtleibern schwingt der unschaubare Gott; in dem sonnendurchsäten, uferlosen Unraum hangt die Ewigkeit, und in ihrem Schoß spielt die Zeit wie ein törichtes Kind.

»Stürz dich in mich, Ewigkeit!«

Welch wahnhaftes Unternehmen, in das Geheimnis droben eindringen zu wollen, das versperrt ist, ehern verriegelt, nicht aufsprengbar dem fragenden Geist! Aber die Sehnsucht schwingt sich, den schnellsten Blitz beschämend, von Sternbild zu Sternbild in die Lichtnebel hinaus, die ungewiss dämmern im äußersten Nichts, und durchbricht sie und holt Gott aus seiner Einöde heim an das trauliche Herdfeuer des Herzens.

Der Maler sah empor und sah hinab.

Die Türme und Gassen, die Giebel der Waldberge erstanden im beginnenden Mondenbrand. Ein Stundenruf aus der Tiefe. Ein fernverlorener, traumhafter Hornruf. Ein nächtliches Fenster füllte sich mit müdem Licht. In schwarzer Weite zuckte es rötlich, dort mochte eine Bauernscheuer brennen.

Altdorfer fühlte sich auf einmal wurzellos verschweben im All, nur verbunden den Sternentiefen, daraus es wunderbar auf ihn niederwirkte, und wusste sich mit seinem traumerlebten Werk dennoch innig wurzeln in dem Land, das jetzt da drunten dämmerte, im Land an der Donau, in Deutschland.

Er ließ die Lider über die schauenden Augen sinken. Da wuchsen in dem endlos hingedehnten Raum seiner Seele die steilen Alpen und das nie geschaute Meer und bunte Edelgärten, Lustbrunnen sprangen, adelige Becher formten sich und glühten, sonnig schimmerte das Gold, geistiger das Silber. Er fühlte, wie es sich gestaltete in der geheimnisvollen Werkstatt des Schöpfertums.

Sanft drehte sich droben das ungeheuere Mühlwerk des Alls. Und auf einmal geriet der Himmel in farbigen Aufruhr: liber einem breiten, azurenen, unter dem voll aufgegangenen Mond etwas grünlichen Streifen der Wölbung schwamm eine ganz schmale, leichte Wolke und glühte in einem tiefen, ahnungsvollen Rot. Es war, der Heilige Geist müsse daraus herniedersinken mit seinen schlohweißen Flügeln.

»Schwester!« sagte Altdorfer zu der Wolke.

 

Als Anna heimkam, erzählte ihr Altdorfer von Magdalena.

Sie hatte die Nonne nie gesehen. Auf den Zehen schlich sie sich in die ampelmilde Kammer, wo Magdalena schlief.

Trotz des unhörbaren Schrittes der Frau erwachte die Nonne. Sie wusste gleich, wer die war, die sie tröstlich umarmte und zu ihr sagte: »Ich grüß dich mit Sonne und Mond, mit Gott und seinen Engeln!«

 

Die Sache der Schwester in aller Stille zu schlichten, begab sich Altdorfer nach Niedermünster und begehrte dort zunächst nach dem Beichtiger.

Der hagere Mann empfing ihn mit einer Flut von Verwünschungen, die sich gegen Luther richteten. Er sprudelte: »Aus dem verfluchten Abgrund der Seele dieses Winkelpredigers schießt die ganze Hölle ins Kraut. Mit seiner sträflichen Lehre bringt er Gott und die Welt durcheinander. Allerwegen entweichen die Ordensleute. Der Luther ist der letzte Trumpf des Teufels, eh die Welt untergeht.«

Altdorfer ließ den Eiferer toben und besah sich ein schwarzes Marienbild, davon das Gerücht sagte, es sei aus dem Hausrat der Heiligen geschnitzt worden.

»Tief reißt der lutherische Wust ein«, zankte der Beichtvater. »Als man jüngst wie üblich die Heiltümer zur Verehrung ausgestellt hat, hat der verhetzte Pofel mit Willen das Gerüst umgestoßen. Und der Rat der Stadt hat diesen Frevel nit geahndet. Es ist keine Scheu mehr da. Nit einmal bei-den Geistlichen. Ich weiß einen Pfarrer in unserer Nachbarschaft, der hat ein luthrisch Buch gelesen. Aber der Blitz hat es ihm aus der Hand gefressen. Höhöhö!«

»Ich möcht mit Euch wegen meiner Schwester sprechen«, sagte Altdorfer ungeduldig.

Die tiefgebetteten Augen des Kaplans erglühten. »Die höllische Schlange hat sie angeblasen, und sie hat ihr Gelübdnis gebrochen und ist ihrem Fleisch erlegen. Der Teufel hat ihr durch das versperrte Tor geholfen. Sie verschmäht den Heiler Jesum, ärgerliche Sprünge und Tänze sind ihr lieber. Das rotgoldene Erdenlicht lockt sie!«

»Redet züchtiger von meiner Schwester! Und tut nit so, als habe der Teufel die sichtbare Welt geschaffen!«

»Seid Ihr auch schon verführt von den unflätigen Büchern dessen, dessen unseligen Namen ich nit sprechen mag, des Hö1lenkindes, das mit seinem Greuelwerk den mütterlichen Schoß der heiligen Kirche beschmutzt? Der böhmische Gänserich Hus hat auch geschnattert, und hernach hat er gebrutzelt auf dem Anger zu Konstanz. Höhöhö!«

»Wie redet Ihr wüst!« zürnte der Maler. »Luther will nichts anderes als das reine Gotteswort aus der wuchernden Auslegung der Jahrhunderte .reißen und retten. Er will keine neue Kirche. So versteh ich es.«

»Also seid Ihr ihm auch zugetan, der die Gottesmutter beschimpft, die Ihr mit Eurer Kunst ehret?«

»Ich hab mit Luthern nichts zu schaffen. Aber sein Gedanke bezwingt mich, dass der Mensch sich nit faul auf die Gnaden der Kirche verlassen soll, und dass alles unerbittlich in der Brust jedes einzelnen ausgefochten werden soll.«

Der Geistliche reckte sich hochmütig. »Unsere Kirche ist allmächtig. Sie behauptet, die Erde stehe still, und drum muss sie auch stillstehen. Unsere Kirche hat die Kraft, das Los des Menschen nach seinem Tode zu bestimmen, Himmel oder Hölle weisen wir ihm schon auf Erden zu. Wir binden und lösen.«

»Mich nit!« erwiderte Altdorfer.

Darauf rief der Kaplan: »Meister, wir wissen, dass Ihr nit luthrisch seid. Aber Ihr betet in Eueren Bildern, ob sie auch Jesum und seine Heiligen zu rühmen scheinen, Ihr betet die Sonne und die Erde an. Aus Euerm Werk lockt in aberwitzigem Heidentum das nackte Leben. Ihr heftet den Menschen, der nach dem Himmel zielen soll, fester an die Welt. Oh, es wär besser, man träte Euch die Augen aus!«

»Führt mich zur Äbtissin!« begehrte Altdorfer schroff.

Das Gesicht der Äbtissin war steinern und bewegungslos, der Mund hart und fast ohne Lippen, er mochte wohl nie von der Welt geküsst worden sein. Eiskalte Augen maßen den Maler.

»Euer Ehrwürden! Ihr wisst, was ich vor Euch verteidigen will. Ein Mensch will im Leben blühen und hat das Recht dazu.«

»Was blüht, sündigt«, sagte der harte, mitleidlose Mund eintönig. »Ich kann diese Nonne nit fangen und zurückbringen. Mag sie verderben in der betrüglichen Welt!«

»Mir ist die Welt wahr und klar, ob sie auch voller Streit ist. Versteht doch den Menschen, ehrwürdige Frau!«

»Meister Aitdorfer, Eure Schwester ist geflohen, weil sie Eures weltsüchtigen Blutes ist.«

»Wie sollt ich der Welt feind sein? Ist das Irdische nit aus Gottes Willen geronnen? Und ist es darum nit eins mit Gott?«

»Zieht dem Irdischen die Larve herunter, dann erfahrt Ihr, was flüchtig und elend dahinter lauert! Und besinnt Euch in Eurer Kunst! Die Kunst ist nur da, die Kirche zu stützen.«

»In der Welt erkenn ich Gott besser als in den Martergeschichten der Heiligen«, trotzte Altdorfer.

»Sprecht nur so weiter in Eurer glitzernden Narrheit, bis der Tod Euch den Mund mit Erde füllt!« sagte die Äbtissin und wich vom Redefenster.

Der Vorgarten zu Sankt Emmeram blühte hell, und das versöhnte Altdorfer wieder.

Er trat durch das Jakobstor in das freie, lichtgesättigte Land hinaus, und die Seele wurde ihm weit. In Blume und Gewölk, im wellenden Blau der frohen Donau, im knirschenden Sand unterm Schuh spürte er den allgestaltigen Gott.

Er kehrte in heiterer Wissenschaft in die Stadt zurück.

In der Walengasse bettelte ihn ein zerlumpter Fremder an: »Gebt mir Geld! Die Schöne Maria befiehlt es Euch!«

Als er zu dem Kirchbau kam, sah er den Verlarvten schnaufend eine Quader wälzen. Und als dieser sich just über die Stirn strich, den strömenden Schweiß zu trocknen, fiel ihm die Larve zu Boden. Er hob sie schnell auf und band sie wieder um.

Altdorfer hatte das kantige Gesicht erkannt. Der gottesfrönige Knecht hier war der stolze Ritter, dessen Name obenan in den Turneibüchern stand: Siegmund der Sattelpogner.

Eben kam Hans Huber unmutig aus der Bauhütte. Er klagte Altdorfer, gestern Nacht seien beim Heimgang aus der Schenke »Zum Greifen« zwei unbekannte Männer mit blanken Messern über ihn hergefallen, er habe sie mit dem Stoßdegen nur mühsam abwehren und vertreiben können, und sie seien gewiss von Heydenreich gedungen gewesen.

»Regensburg ist mir unheimlich«, sagte er. »Wir sind bei dem Bau auf weite unterirdische Räume gestoßen. Wie leicht kann einer da hinein verschleppt werden! Ich denke an Dionys. Wohin ist er gekommen? Vielleicht ist er gar nit ertrunken, nirgends ist eine Mannsleiche aufgefischt worden. Und auch die Sattelpognerin ist spurlos verschwunden.«

Unwillkürlich sah Altdorfer sich nach dem verlarvten Froner um. Der war aber wie von der Erde verschlungen.

»Hütet Euch vor Heydenreich!« warnte Altdorfer. »Gekränkte Ehre tut sich hart. Und er spürt, dass seine Zeit um ist. Wolf Roritzer hat sich noch zur rechten Stunde von der veränderten Welt wegbegeben.«

»Sein Dom wächst nimmer«, nickte Huber. »Das macht Heydenreichs Herz böse. Wär ich anders?«

»Auch gegen mich singt Meister Heydenreich die gelbe Gift-und Gallenweis«, sagte Altdorfer. »Er schreit überall, mein Bild der Heiligen Nacht sei im Wahnsinn hingefiebert. Das steinerne Marienbild dort, das er gestiftet hat, will er umwerfen lassen; er behauptet, diese seine Säule bewirke den Zulauf der Wallfahrer, nit mein Bild. Ach, ich mach ihm diese Ehr nit streitig!«

»Am liebsten möcht der Neidling alle andern Künstler blenden oder ihnen die Augäpfel ausreißen lassen! Altdorfer, gibt es auf Erden größeren Neid als in der Kunst? Aber nit nur Heydenreich allein will meinen Bau da verhindern. Auch die

Klöster sind eifersüchtig, weil die Schöne Maria ihre Heiligen verdunkelt. Ist unlängst in Niedermünster ein Barfüßer auf der Kanzel gegen sie losgezogen mit Blitz und Donner, hat geschmäht: ›Was rennst du hin und reißt dir die Kleider vom Hals und den Schuh vom Fuß und legst ihr ihn auf den Altar? Ist doch ihr Haus eine feuchte, stinkende Bretterhütte! Und was steckt darin? Ein gemaltes Bild. Sonst nichts. Geh lieber zum heiligen Erhard wallen! Sein Gebein liegt leibhaftig da!‹ Und die Augustiner schreien, die Schöne Maria brauche kein Opfer, denn sonst sei sie bezahlt und bestochen und keine Mutter der Gnaden. Bischof und Mönche ärgern sich, dass die alten Heiltümer jetzt minder geachtet werden, und die Krämer jammern, die Versteigerung des Opferwachses und der anderen Opfer schwäche ihr Geschäft.«

»Sie können dem Kirchbau dennoch nit an«, tröstete Altdorfer. »Unsere Stadt genießt aus der Wallfahrt allzu viele Vorteile. Der Rat wird die schreienden Mönche verhören und aus unsern Mauern weisen. Sorg Euch nit! Seht dort, wie die Wallfahrt blüht!«

Eben trat aus der Pilgerschar ein irres Mädchen hervor und rief schrill in das Holzkirchlein hinein: »Geigen und Pfeifen hör ich gern, Tanz und bunt Gewand sind mir lieb. Ich bin eine sündhafte Magd!« Sie warf ihren Schleier auf die Schwelle und tanzte, und alles wich in weitem Ring von ihr zurück. Sie tanzte sich um den Atem und sank schwindlig ins Knie und weinte: »Hebt einen Stein auf und schlagt mich!«

Nun brach die Tanzwut bei den anderen aus. Sie sprangen toll einzeln und zu Paaren und in ganzen Haufen, sie trampelten, stießen einander wohl auch nieder, schrien sinnlos und verzückt: »Mareia, Mareia, juchandeia, jucheia!« Ein Mensch, der schon tagelang drin vor dem Bild gestanden und es wortlos angestiert hatte, und dem vor lauter Stehen die Beine aufgebrochen waren, er kam heraus und gesellte sich mit wahnwitzigen Sprüngen der Horde. Ein Bettler mit verkrustetem Schädel riß sich die Fetzen herunter, dass er fast nackt war, warf die Arme verrenkt auf und schrie, er sei Adam und wolle zum- Himmel fahren. Eine Schwangere fing an, sich in Wehen zu wälzen. Und Menschen liefen zusammen, tanzten mit oder sahen zu in Neugier und Grauen.

Ein Kind mit einer Sichel in der Hand fragte Altdorfer, ob sie schon bei der Schönen Frau sei.

»Ja. Woher kommst du, Mägdlein?«

»Ich weiß nimmer. Bin über die Donau gangen.«

»Auf welcher Brücke?«

»Auf keiner Brücke. Bin allweil geschwebt, hab nit Weg, nit Zeit gespürt. Hab nit gehungert, nit gedürstet. Maria hat mich gehalten.«

»Haben dich Vater und Mutter wallen lassen?«

»Haben müssen. Sonst wär mir Leides geschehen, wär krank worden, wär gestorben. Just beim Grasen bin ich davon.«

Sie stieß die Sichel mit der Spitze ins Gebälk des Kirchleins. »Nimm sie, Maria! Hab sonst nichts, kein Kettlein, kein feines Bändlein.«

Der Prediger Balthasar Hubmayr hatte sich eingefunden und wollte den Tänzern wehren. »Ist das noch Gottesdienst?« schrie er. »Ist denn der Türk eingebrochen? Schämt ihr euch nit, dass ihr eure Geilheit stillt vor der Heiligsten? Zügelt euch!«

Er packte einen der keuchenden Springer beim Arm. »Was bist du?«

»Ein Hirt.«

»Du hast gewiss deinem Bauer die Hut nit aufgesagt, hast deine Säue jäh und unbehütet auf der Trift lassen und bist den Wallern nachgerannt. Das will Gott nit!«

Doch die Kirchfahrer tobten weiter, schleuderten sich krachend zur Erde, reckten die Beine, verrenkten die Arme, lagen starr in der Form eines Kreuzes, zitterten und zuckten am ganzen Leib, seufzten, wehklagten. Ein Mann, dem das Hirn rasend worden. war, brüllte: »Bekehrt euch! Die Welt geht unter.«

Indes kamen die starken Kornmesser von den Schrannen daher. Hubmayr hatte sie holen lassen, auf dass sie die Unzüchter verjagten. »Peitscht sie fort! Haut drein! Das sind keine Leut, das ist Vieh!« rief der Prediger außer sich.

Doktor Malleolus löste sich aus dem Schwarm der Gaffer und grinste Hubmayr an. »Ich glaub, Ihr habt die Leut verzaubert.«

Und düster begab er sich wieder fort.

»Was sinnt mir der Malleolus an?« sagte Hubmayr heimlich zu dem Maler. »Will er mich ins Feuer stellen? Ich hexe nit. Euer Bild verhext die Welt.«

Der Maler erwiderte ruhig: »Es sind die nimmer rastenden Wünsche des Herzens und das angstvolle Gewissen, was die Waller bannt.«

»Euer Bild soll man fortschaffen, es verführt die Leut«, raunte der Prediger. »Fast wär es mir lieb, in den Kirchen wär kein schillernd Priesterkleid, kein Zierat und kein Bild. Alle Frömmigkeit sollt nur aus sich selber steigen, aus der reinen, bildlosen Betrachtung des Wesens Christi! Wie eitel ist alles Wissen, alle Kunst!«

»Der Mensch braucht Bilder«, erwiderte Altdorfer. »Doch Ihr redet wie einer, der die Bilder stürmt.«

»Ich hab die Bibel vielhundertmal gelesen, und je tiefer ich drin forsche –«

Der Maler fiel ihm ins Wort: »Drückst du die heilige Schrift allzu stark, spritzt Blut statt Milch heraus!«

»Altdorfer, ich vertrau es Euch heimlich an, und wollt es nit weitergeben! Es kommt wohl die Zeit, wo ich von der Kanzel schrei, dass ich bereu, was ich gepredigt und gewirkt hab. Ach, ich bin ein dumpfer Abgötterer gewesen, ein hohler Segensprecher. Und ich erkenn, dass alle die Wallfahrer nur um irdischer Dinge zur Schönen Maria kommen, keiner wegen seiner Seele. Das bedrückt mich.«

»Hat Euch Luthers Ruf verwirrt?«

Hubmayr wehrte verächtlich ab. »Luther ist mir zu lau. Er ist ein fauler Christ. Und wir alle sind falschen Glaubens. Drum stellt uns Gott den Jüngsten Tag nahe, da alles verbrennt.«

»Wisst Ihr den rechten Glauben? Wisst Ihr einen Ausweg?«

»Ein andermal will ich Euch sagen, was mir Gott verraten hat. Mich schmerzt das Haupt. Ich liege oft die ganze Nacht wach.«

Ohne Gruß und in sich verloren ging der Prediger davon.

»Was hat der Hubmayr Euch zugeflüstert?« wollte Hans Huber wissen. »Hat er von der Wallfahrt geredet? Seine Predigt lässt nach an Feuer. Oft steht er eine Weil gedankenlos auf der Kanzel und findet das Wort nit. Was geht in ihm vor? Ich fürcht, die Wallfahrt kommt ab.«

»Sie nimmt eher zu«, entgegnete Altdorfer und wies auf die riesige zweifache Reihe der baumlangen Kerzen, die außerhalb des Kirchleins ragten, da sie drinnen nimmer Platz gefunden.

»Es steht schlimm«, murmelte der Baumeister. »Die verschuldete Stadt rauft mit dem Bischof um die Einkünfte der Wallfahrt. Niemand weiß, wohin das Geld rinnt, das bei uns eingeht. Das Volk ärgert sich über die geizige Geistlichkeit, die der Stadt nit helfen will. Sie werden noch den Pfaffen in die Stuben rennen und sie treten, bis das Blut rinnt.«

»Meister, Ihr habt heut den verlarvten Fröner erkannt«, sagte der Sattelpogner.

Sein trüber Blick traf die legendären Bilder des Florian-Altares, die vollendungnahe, in Scharlach, Purpur und Gold strahlend, an den Staffeleien lehnten. Er reckte sich hoch, seine fahle Stirn glättete sich, sein Mund öffnete sich wie in frommem Lauschen.

Er betrachtete die Landschaft, die krumme Knüppelbrücke über die Enns, die weiße Burg im Hintergrund, das Strahlenhaupt des knabenhaften Heiligen, der mit dem Mühlstein in den Fluss hinab sollte gestoßen werden, alles in leidenschaftlichen Farben und von fremdem Licht verklärt.

»Ihr habt wohl oft zugeschaut, Altdorfer, wie man die Übeltäter an der Regensburger Brücke ertränkt hat?« sagte der Ritter leise und strich verlegen durch sein geiergraues Haar. »Ja, der Künstler ist eine Hand Gottes.«

Dann raffte er sich zusammen. »Hört mich! Ihr seid mir lieber als ein Beichtmönch. Ich hab schwer gesündigt. Schwerer als je ein Mensch denken kann. Ich will mich in ein strenges Kloster einbrüdern. «

»Was Ihr auch verbrochen habt, macht es wett mit einem hilfreichen, tätigen Leben!« tröstete der Maler. »Seht, ein gewalttätiger Riese hat bereut und hat die Wanderer durch die reißende Stromfurt getragen und ist heilig worden.«

»Aber mir wird nit verziehen, und wenn tausend Pilger für mich wallfahren und wenn sie bei jedem Schritt einen Blutstropfen für mich fallen lassen!«

»Ritter, die Gnade kennt keine Grenze.«

»Fremd ist mir die Welt. Fremd ist mir das Weib wie eine Schlange, deren Hass und Gierde und Ängste man nit versteht. Ich will ein einsamer Mönch werden und den Blick nimmer wenden von den Wunden des Erlösers. Wenn er mir auch nit hilft. Ich verachte das Leben und die vergänglichen Dinge.«

»Wie könnt Ihr verachten, was Gott ähnelt?!«

»Ähnelt die Welt Gott?« lachte der Sattelpogner bitter. »Wie ähnelt ein Baum Gott? Hat Gott Wurzel und Laub? Rauscht er?«

»Nehmt es nit spöttisch und nit kleinlich! Gott hat die Schöpfung nach seinem Wesen ersonnen. Jeder Meister schafft, was in ihm ist.«

»Da hätt ich Drachen müssen gebären!« murrte der Ritter. Und mit zerknirschtem Geist fuhr er fort: »Was ist die Welt mit Ehr und Macht und Reichtum? Ein flüchtiger Anhauch. Drüben lauert das rote Fegfeuer, die weißglühend Höll.«

»Sattelpogner, Ihr fürchtet Euch? Einst habt Ihr gefragt: ›Was ist die Furcht?‹«

Der Ritter stöhnte: »Oft steht der Satan sichtbar vor meinem Bett, will mir die Seel aus dem Rachen reißen. In der Nacht sitzen die Geister auf meiner Brust, schwer, schwer! Ich – find nit Ruh.«

»Wer ernsthaft nach der Gnade begehrt, der findet sie.« »Hat Wolf Roritzer Gnade gefunden?«

»Vor den Menschen nit. Vor Gott gewiss.«

»Meister Albrecht, denkt, Ihr wäret Gott und säßet auf dem Richterstein, und folgende Sache würde Euch vorgetragen. Ein Ritter ist geritten durchs Baierland, frech und stark. Aber es ist kein Mann so witzig, ein Weib macht ihn zum Narren. Der Ritter hat ein allzu junges Weib gefreit. Sie hat sich das Haar gelöckelt, die Putznärrin, und hat ihn angelacht: ›Auf der Stell will ich einen Pelz aus Winterbiber! Ich will ein gülden Ohrgeschmeid! Ein Scharlachtuch! Einen Atlasmantel aus Brügge!‹ Und der Ritter hat auf den Straßen geraubt, was sie begehrt hat. Sie hat es ihm nie gedankt, sie hat mit einem andern geliebäugelt. Er hat sein Schwert spitzig schleifen lassen, hat die zwei im selben Bett ertappt, hat die Schandhur und den Buben mit einem Schwertstich aneinandergespießt!«

Entsetzt starrte Altdorfer den Furchtbaren an.

Er erkannte den Grund der wilden Sage. So also war das kunstreiche Geschlecht der Roritzer in seinem Letzten schändlich erloschen!

Der Ritter schloss: »Ich hab mein Herz vor einem Menschen aufgerissen. Ihr versteht mich. Mich wundert, dass die Erde mich noch trägt.«

 

Altdorfer brachte Magdalena zu der in Amberg verheirateten jüngsten Schwester. Aurelia war eine Frau mit fast mannesernster Stirn, mit entschlossenem, kräftigem Mund und mütterlich warmen Augen geworden. In ihrem Haus kamen die Kinder meist zu zweien auf die Welt, und Magdalena hatte sogleich zu schaffen, die wildwüchsigen Kleinen zu betreuen und zu zähmen, die durch die Stube wimmelten: eines taumelte im Gängelstuhl, eines ritt sein beledertes Steckenross, eines kauerte auf dem Töpflein, eines in der Wiege schrie, weil es den Zuller verloren hatte, einem reichte die Mutter die Brust.

Wieder nach Regensburg heimgekehrt, verlieh er dem Reigen des standmütigen Florian, in dessen Anfängen ihm sein Malknecht Ostendorfer geholfen hatte, den letzten farbigen Glanz. Altdorfer liebte das für das Johanniskirchlein des Donauklosters bestimmte Altarwerk herzlich und trennte sich sehr schwer davon.

Indessen steigerte sich der Streit zwischen den beiden Baumeistern. Sie stellten einander auf offener Gasse, Schimpf schnellte von ihren Munden. Einmal wurde über Nacht Schaden an dem jungen Bau angerichtet, das Gerüst war umgestürzt, und auf die Plattform war hingekalkt worden: »Hans Huber ist ein stümperischer Schelm!«

Hans Huber lebte in immerwährender Aufregung. Nach einer regnerischen Nacht, da er bewaffnet seinen Bau bewacht hatte, begann er zu kränkeln, Die Ärzte zweifelten an seinem Aufkommen. Dem Mönch, der ihn mit der Ölung versah, klagte er: »Weh, dass ich fort muss, und sollt ich doch noch manch Jahr auf Erden bleiben und treu vor meinem Werk stehen! Ob mich der Heydenreich totbetet?«

In fieberischer Grübelei und in dem Wunsch nach Versöhnung mit der Welt bat er kurz vor seinem tödlichen Hintritt, man möge ihm den Dommeister holen.

Erhard Heydenreich stellte sich ein. Er kam so eilig, dass er noch den Zollstab in Händen hielt. In grausamer Neugier stellte er sich vor das Krankenbett.

»Meister Erhard«, begann der Kranke, »wir haben einander aus Herzensgrund gehasst. Ihr habt mir Übles zugefügt, und ich hab Euch das Schlechteste zugetraut und das Schlimmste gewünscht.«

»Das ist so«, bestätigte der andere. »Jetzt liegt Ihr nun mit grasgrünem Gesicht, und ich bleib übrig.«

»Bald tret ich vor Gottes Bart, Meister Erhard. Und dass ich vor dem Richter bestehen kann, tu ich all meinen irdischen Hass gegen Euch aufrichtig ab und bitt Euch demütig, auch Ihr wollt Euch versöhnen. Tragt einem Sterbenden nichts nach!«

Finster griff Heydenreich nach der Türschnalle. »Habt Ihr mich deswegen holen lassen? Was schert mich Euer Heil? Möget Ihr zur Hölle fahren und dort dem Teufel eine Kapelle bauen!«

Hans Huber raffte sich verstört auf. Der Schaum der äußersten Wut fuhr ihm aus dem Mund, heiser kreischte er: »So reif3 ich meine Abbitte zurück, du unbarmherziger Hund! So wider ruf ich mein versöhnlich Gefühl und bedaure es. Dich aber und dein Werk verfluch ich!«

Ehe noch der Feind die Tür hinter sich zugeworfen hatte, verschied Hans Huber. Er starb so jäh, dass er nicht einmal Zeit fand, ans Herz zu klopfen.

 

Altdorfer hatte sich ein zweites Haus gekauft, das hatte Heinrich Ebran zu Wildenburg gehört und lag mit seinem Zinnengiebel und dem krummen Hahn am Steildach in der Spiegelgasse. Er hatte es besonders wegen des dazugehörigen Gärtleins erstanden, damit er mitten in der grauen Stadt die Augen belustigen könne am Grün des Grases und des Laubes, und um Anna zu erfreuen, die gern einige Blumen pflegen und ein wenig Suppengrün züchten wollte.

Ein einziges Mal kam die Hebmuhme zu Frau Anna. Aber sie gebar tote Frucht. Das trug sie mit Leid. Es war ihr nicht bestimmt, dass ihre kraftvolle Schönheit in Kindern weiter blühe.

An ihrem Hochzeitstag hatte sie zu dem Bräutigam gesagt: »Jetzt wollen wir unser Lebtag fröhlich sein und die Zeit hübsch genießen bis an unser selig End!« Es kam anders.

In Ihrem Haus weilte der Kampf, die Mühsal, die Unruhe und der Gram des Künstlers, und sie war keine Adlerin, dass sie ihm hätte in seine Höhen und düsteren Abgründe folgen können. Nach den ersten Jahren, wo sie ihm die süße Sinnenweide gewesen, zog er sich in sein Werk zurück. Er schien die häusliche Heimlichkeit, die sie um ihn webte, nicht zu fühlen, sein Herz war immer fern, und er hatte keinen Sinn für den Duft der Weinäpfel am Schrank und der dörrenden Birnen am Ofen, er dankte ihr nicht für die holde Wärme der winterlichen Stube, die ihm seine Arbeit ermöglichte, für den traulichen Winkel. Dies verfinsterte der die behagliche Enge liebenden Frau den Ehehimmel. Und wenn sie erzählte, merkte sie oft, dass er kaum hinhorchte, und ihren Fragen begegnete er unaufmerksam, und das kränkte sie. Viel später erst erkannte sie, dass das, was nach außen hin wie unhöfliche Zerstreutheit wirkte, nichts anderes war als innere Sammlung und Spannung, und sie ertrug dann seine wunderliche Art ergeben und freundlich. Manches seiner Bilder aber blieb ihr immer unheimlich, und rätselhaft blieb ihr sein Auge, das meistens träumerisch und unbeteiligt zu sein schien und mehr nach innen als nach außen blickte und dabei doch alles aufs Genaueste wusste, was an Form und Farbe auf der Welt war.

Nun reinigte Anna die Luft des neugekauften Hauses, indem sie darin Rosmarin und Wacholder verbrannte, und sie setzte im Garten Stauden und Bäume und fand dabei manch zerscherbtes Töpferwerk aus den Brennöfen altrömischer Hafner und grüne Heidenmünzlein und schenkte sie Aventin, der damals öfters herüberritt von Burg Randeck, wo er seine Jahrbücher der Baiern schrieb.

Indes ein lichter Raum als sommerliche Malstube eingerichtet wurde, schaltete Anna zwischen blauen Gilgen, welschen Violen, Salbeibusch und Glöckleinstock, Reseden, Balsaminen, blauen Zierdisteln und einem Wall von Ritterspornen, und ein Vogel wippte an dem Zweig neben der vollen Rose und grüßte: »Ei, du schöne Altdorferin!« Doch der Meister verstand den flötenden Ruf nicht. Das Untergründige arbeitete in ihm, die ewig mit sich unzufriedene, sucherische Seele.

Er starrte den Stamm eines bejahrten Apfelbaumes an und zeichnete dessen hässliche Rinde auf Landshuter Papier. Sein bohrendes Auge war fern. Es liebte wohl nur die Bäume und die Wolken und die Einsamkeit.

Anna war fromm und fest der römischen Kirche ergeben, und dass er sich gleichgültig gegen geistliche Dinge zeigte, das bedrückte sie sehr. Einmal warf sie ihm vor: »Du besuchst weder die Messe, noch kümmerst du dich ernstlich um Luthers Schriften. Du bist nit römisch, nit ketzerisch. Entscheide dich doch!«

»Soll ich dich noch mehr verstören?« antwortete er ihr befremdlich.

Im Gärtlein hingen die Äpfel in üppigen Trauben. Die gelbrote Frucht pochte ins Gras. Der Reif fraß die letzte Rose vom Strauch. Vor dem Tor blies ein Fahrender schrill und schwermütig die windische Pfeife.

In der Donau widerleuchteten die goldenen Weidenbäume. Manchmal rann sie wolkendunkel. Die Wälder nordhalb Regensburg wurden unruhig, Birschbracken kläfften, Täler tönten. Die Winzer traten mit krummen Hippen an.

Hernach verhängten schwere Nebel die Stadt. Altdorfer schritt durch graues Gras, und wenn sich die Schleier hoben, wies sich ihm das Trauerland des sich entlaubenden Herbstes.

Aber noch einmal, ehe die Erde erstarrte, hauchte ein glühender Atem darüber. Da wurden die Bäume des Gartens in der Zeit irr und blühten wieder. Ein Kirschbaum brach in weiße Raserei aus. Falter in tanzendem Flug, fliegende Flämm-lein, die einen pfauenhaft geäugt, andere zackig geschnitten, Feuerlinge, Perlmutterlinge, saphirene Funken, spielten gleich elbischen Seelen mit neuerwachten Blüten. Der Garten lag verzaubert.

Altdorfer lehnte am Fenster des oberen Gadens und sah in das Falterparadies hinunter. Und wie er über die Mauer des benachbarten Gartens blickte, schlug ihm plötzlich das Blut im Herzen wild auf. Drüben lag neben einem kleinen Weiher auf einem Teppich eine Jungfrau, offenbar vom Bad ermüdet, im tiefen Schlaf. Der vollkommen schöne Leib war nur in seine scheue Keuschheit gehüllt. Neben ihr im Gras warteten zwei rote Pantöffelchen.

Diese wonnige Gestalt, dieses trunkene Antlitz war ihm bekannt: im Traum hatte er oft diesen Leib gebildet und mit den berückendsten Farben des Fleisches bemalt. Nun schaute er leibhaft drunten atmen, was seine Träume behaust hatte, und er hielt entzückt den Atem an.

Als das Mädchen, vielleicht angerührt von dem Wehen einer Falterschwinge oder betroffen von einem versprengten Kirschblütenblatt oder weiß Gott von welcher himmlischen Nichtigkeit, sich regte, trat Altdorfer vom Fenster zurück.

Die Nackte war Ursula, die Tochter der Wittib Venedigerin.

Anna hatte sich wieder in die mehr hausige und behaglicher eingerichtete Wohnung am Veitsbach zurückgezogen. Auch hielt sie sich viel bei ihrem Vater auf, der an der Gicht krankte und außer des Heilmeisters noch linder Frauenhände bedurfte.

Altdorfer aber blieb in der Spiegelgasse wohnen. Die junge Ursula Venedigerin war ihm mit ihrer Schönheit und ihrem Namen zum lockenden Sinnbild des Südens geworden, und manchmal durchdrang ihn ein Gefühl, wild und zerstörerisch wie ein erzürnter Strom, der im Wahnsinn eines neuen Frühlings sein Maß vergisst, über die dunkeln Ufer schwillt und die nächtlichen Dörfer wegreißt.

Damals malte er ein Bild für den bayrischen Herzog.

Nachdem er mit zarten Strichen den Entwurf aufgerissen hatte, malte er zuerst unten in die Mitte der Tafel eine hohe blühende Königskerze und daneben eine Marmorstiege und ein helles mächtiges Bauwunder, wie er sich den Palast des Dogen dachte, mit Hallen, Türmen und breiten Treppen, Brüstungen und rundbogigen Fenstern, aus weißem und aus rotem Marmor wechselnd erbaut, elfenbeinhell, schimmernd wie Schmelz, ein Schloss des Lichtes, unmessbar reich an schönen Bauformen. Vor diese Prunkpfalz setzte der Maler einen in Saphir und Bernsteinglut spielerisch wechselnden Estrich und daneben eine Wiese im frischen, saftigsten Hochmai. Er malte die geliebte Donau dazu und im Hintergrund eine ritterliche Burg, die den offenen Palast schirmte wie ein düster entschlossener Held ein schönes, sorgloses Weib. Und dahinter baute er noch ein schroffes Trotzgebirge auf. Und alles war klar und bis ins Geringste genau ausgeführt, so die Ferne, so die nächste Nähe.

Während auf den Gassen die Leute von den Türkengreueln erzählten, während Fässer voll lutherischer Bibeln in Regensburg eingeschmuggelt wurden und Landsknechte, die vom Kaiser Karl gegen Rom eingesetzt werden sollten, durch die Gassen brüllten, arbeitete Altdorfer weltvergessen an dieser Tafel und ließ sich im Rat, dessen Mitglied er war, entschuldigen.

In das wiesenholde Vorgärtlein neben einem Brunnen malte er in züchtigem Vorgang die keusche Susanna: nicht nackt, sondern köstlich wie eine Prinzessin bekleidet und nur die Beine bis zur halben Wade entblößt, die Füße in einer kupfernen Schüssel badend, umflattert von Zofen, deren eine ihr das gelbe Haar strählte. Was er im Holzschnitt, in Zeichnung und Ätzung oft gebildet hatte, den nackten Frauenleib, er wagte nicht, ihn in Farben zu malen. Eine tiefe Scheu hemmte ihn.

Flecklein um Flecklein malte er, und alles löste sich leicht und glücklich von ihm, selbst das I-Iochgebirg, das drohend den Frieden des Gärtleins begrenzte, selbst die Steinigung der greisen Lüstlinge, die fern und undeutlich geschah.

Anna besuchte den Gatten in der Spiegelgasse und brachte ihm auf einem Zinnteller zartes Weißbrot mit, das aß er gern. Sie war entzückt über die Art, wie er eine Köstlichkeit an die andere reihte, und an die Sommerfülle ihres Gartens sich erinnernd, gebot sie: »Hier mal roten Mohn her! Hierher eine Lilie! Hierher Näglein! Oh, du malst die Blumen so, dass sie fast duften!«

Und gehorsam setzte er das anmutigste und farbigste Klein-leben hin. »Willst du noch einen Falter? Eine Schnecke? Ein kugelig Käferlein?« scherzte er. »Alles ist wichtig.«

Sie jubelte kindlich: »Solch ein Schloss gibt es auf der Welt und auch im Himmel nimmer! Und wie wunderbar blüht da die Blume Himmelbrand!«

Erloschenes leuchtete in Altdorfer wieder neu auf. »Ich bin der Blume begegnet, als ich mit Vater und Mutter und mit Imilda durch den Wald geflohen bin.«

 

Altdorfer traf in dem winterlich öden Vorgarten des Klosters Emmeram nach langer Zeit wieder Balthasar Hubmayr. Der Prediger war abgehagert, sein Blick verwildert und unstet, sein Gewand vernachlässigt.

In ungezügelter Rauflust fiel er den Maler an. »Blendet Ihr noch immer mit Euern Bildern die Leut und macht sie verrückt?«

Betroffen über den ungestümen Gruß gab Altdorfer zurück: »Und Ihr? Wie habt Ihr mit Flammenzungen die Schöne Maria vor dem Volk gelobt!«

»Mich widert der Hubmayr an, der sich zum römischen Pfaffen hat salzen und schmalzen lassen!« sagte der Prediger. »Mir ist leid, dass ich gepredigt hab, was nit wahr gewesen. Hab es nit besser verstanden, bin unwissend gewesen. Ich verfluche, dass ich die Gemeinde verlockt hab! Gott verzeih mir!«

»So habt Ihr Euch doch zu Luthern bekehrt?«

»Luther?! Der stinkt nach der Päpstlerei. Der schreit wie ein Waldesel und beschwört statt Gottes den Teufel in die Hostie. Mit Luthern hat sich der Fuchs zum Gänshüter gemacht. Der Seelenmörder! Der Irrstern!«

»So seid Ihr also ein Narr auf eigene Faust worden!« sagte Altdorfer, unwillig über die wüsten Schmähungen.

»Christi Wunden haben mich wach geschrien. Vordem bin ich ein kalter Lippenchrist gewesen, keine Tat hat für mich gesprochen. Der Heiland hätt mir nit gedankt, wenn ich ihn gegrüßt hätt. Was schert mich der Ratzenkönig zu Rom? Was der zu Wittenberg? Mögen sie einander mit Lästerbüchern überfallen! Gott hat mich erhellt, dass ich fortan den wahren Sinn aus der Bibel lese.«

»Ist das Buch nit eitel hebräisch Gerümpel. Ihr habt doch die Juden aus Regensburg vertrieben und wollet nun alles Gotteswissen aus einem jüdischen Buch holen?!« grollte Altdorfer. »Ihr wandelt Euch schnell.«

Hubmayr drehte die feuerdüsteren Augen zu dem wulstig geballten Schneegewölk. »Ich wandere in des Geistes Botschaft. Du bist bei mir, Christe, zornige Blitze schlagen aus deinen Wundmalen in mich über. Du sagst zu mir: ›Du bist mein Stein, und darauf bau ich meine Burg!‹ Auf des Geistes Geheiß will ich die Wiedertaufe künden. Doch dir, Altdorfer, meld ich Gottes Gebot: Du sollst kein irdisch Bild schaffen von dem, was bildlos sein will! Was lauschet Ihr mich so spöttisch an?«

»In jedem Pfäfflein steckt ein Päpstlein. Doktor Hubmayr, Ihr springt allzu jäh von einem Äußersten zum andern. Wollt Ihr die Bilder töten, so ertränkt zuerst den hölzernen Palmesel, der in der Frauenkapelle steht, in der Donau!«

»Spottet zu! Moder wird verehrt, Knochenplunder angebetet! Ich kehr mich davon ab. Verscharren soll man die götzenhaften Reste! Was brauchen wir Orgeln und Glocken mit ihrem Bimbam? Gott, hau drein mit deinem Donner! Wie leid ist mir, dass ich Euch, Altdorfer, bewogen hab, der Schönen Maria Fahnen und Bilder zu malen! O die Kunst ist der verruchteste Kniff des Antichristes!«

»Hubmayr, gehört nit ein frommes Herz zum Malen eines Heiligenbildes?«

»Der Teufel, der Tausendlistler, führt am meisten Gott im Wappen. Ja der Satan selber hat zu Mailand einen Gekreuzigten gemalt, von dem das Blut regnet. Bilder sind Teufelstand. Von den Wänden soll man sie kratzen! Die Rotte der steinernen und hölzernen Götzen soll man stürzen!«

Seine Seele entlud sich in einer grellen Predigt. Die Gedanken sprangen seiner Rede weit voraus, und diese klang darum verworren, insonders da sich die irren Bilder der Apokalypse darein mischten. »Der Papst, der Gaukelhans!« brauste er. »Sein Götzenhaus soll man sperren, darin er die Bilder griechischer Huren sammelt!«

»Ihr grober Knüttel!« erhob sich nun Altdorfer. »Scheltet mir nit die schönen Göttinnen und die edeln Bauten und den fürstlichen Willen, der sie erstehen 1äßt! Gott soll geehrt werden im Menschenwerk!«

Hubmayr krallte die mageren Finger und fuchtelte in der Luft herum, als wehre er sich gegen Mörder. »Euch kann man predigen wie dem Käuzlein in der Wüste! Ihr hoffärtiger Vogel bildet Euch wunders was ein auf Euer flüchtig und ohnmächtig Pinselwerk, auf die Scheinwelt Eurer Kunst! Ihr werdet gewiss noch die Blutfahne des Antichristen malen! Bald werden seine bösen Wunder geschehen: auf dem Haupt wird der Antichrist die siebenstöckige Krone tragen. Aber Gott wird sein Gericht verhängen und die verlorene Erde zerschlagen. Er wird Regensburg vernichten, wie er die Lasterstädte im Toten Meer ersäuft hat!« Der Prediger riss einen Stein vom Weg und hob ihn in toller Kampfeslaune gegen den Meister. »Weh dir in den Rachen, der du blind wandelst! Weh dir, wenn dein Fleisch einst aufersteht und sich vor den Richter stellt! Zahnklaffen wirst du im Schwefelsumpf allzeit und ewig!«

»Hubmayr, Ihr raset Euch zu Tod«, mahnte der Maler. »Fürchtet Ihr nit, dass in Eurer Brust der gebundene Gott stirbt?«

Aber der Besessene krächzte: »Verführer, die Augen soll man dir mit eisernen Löffeln ausgraben!«

»Dann würde ich mit der Seele schauen!« lächelte Altdorfer. »Doch seht dort den fremden Mann! Der horcht Euch schon eine gute Weile zu. Wenn er Euch verrät, dann wird der Bischof übel mit Euch abrechnen.« Er wies auf einen Menschen, der in der gespannten Haltung eines Lauschers in der Nähe stand.

Und der Meister nahm den Schwärmer fest unter dem Arm und führte ihn mit leichtem Zwang durch die Kirche zur Gruft der Karolingerin. Da lag das Steinbild der Königin Hemma voll Leid und Hoheit im strengen Gefältel ihres Mantels, da ruhte das stille Adelsgesicht, dessen Kummer sich in der unendlichen Trauer der Augen niedergelassen hatte. Altdorfer hoffte, vor diesem beredsamen, überzeugenden, schmerzlich schönen Stein würde sich die eifernde Wut des Wiedertäufers legen.

»Was soll ich da?« murmelte Hubmayr.

»Schweigen und schauen! Denn in dieser Form webt Gott.« »Was nennt Ihr Gott?«

»Gott ist mir der Allumfassende, der in Licht und Farben sich mir offenbart und hingibt, soweit ich mit der geringen Kraft meiner Erkenntnis ihn ergreifen kann. Aus furchtbarer Ewigkeit herüber reicht er mir meine geringe, bemessene Zeit, dass ich sie erfülle mit meinem Werk. Gott, ich bin deines Atems!«

Hubmayrs Blick war glasig geworden, er fraß sich fast in das Steinbild hinein. Und Tränen rollten ihm über die Wangen in die zuckenden Mundwinkel hinein, und er schluckte sie, und der Schaum seiner Flüche war versiegt.

Aber dann erbleichte seine Stirn, und er keuchte: »Ehe die neue Ordnung wird, muss das Chaos geschaffen werden!« Und er schlug mit dem Stein, den er noch in der Faust umklammert hielt, rasend in das edle Antlitz Hemmas.

Altdorfer riss ihn zurück. »Drachenherz!« schrie er.

Das herrliche Bild war verstümmelt, ein Teil der Nase war abgehauen.

Hubmayr schleuderte den Stein von sich und entrann heulend aus der Gruft.

Außer sich jagte Altdorfer ihm nach, das geschändete Bild zu rächen, den Frevler niederzuwerfen, ihn zu erdrosseln, zu ertreten.

Im Kirchtor stieß er auf den fremden Lauscher. Der hielt den Fassungslosen an beiden Armen ehern fest. »Auf ein Wort, Meister Altdorfer!« sagte er.

Altdorfer stand still. Wo hatte er diese dürre, meckernde Stimme schon vernommen? Wo das fremdländische, schlitzäugige, edelstirnige Satansgesicht schon geschaut? Diesen Mund ohne den holden Saum der Lippen? Dieses schwarze Fell über der Braue? War es ein Tatarenchan?

»Mein Gesicht ist unvergesslich«, sagte der Fremde, als errate er die Gedanken des Künstlers. »Und es altert nicht.« »Was haltet Ihr mich fest?«

»Sprechen will ich Euch. Ich will mir ein Bild von dem berühmten Meister malen lassen!«

 

In dumpfer Trauer um das Steinbild verbrütete Altdorfer die Tage. Er wagte sich nicht in die Emmeramskirche, er glaubte, den Anblick der Verstümmelten nicht ertragen zu können. Er mied die Menschen. Was für eine Welt war das, die solch hohe Kunst gefährdete?! Seine Seele war wie in blindem Nebel verschüttet, kein Bild erwachte darin.

Er quälte sich mit einer Kreuzigungsgruppe und fühlte sich leergeschöpft. Gott hatte sich von ihm entfernt. Nur flaches Stümpertum war der Rest.

In solcher Stimmung fand ihn Matthias Löffelberger.

Der Fremde lauerte flüchtig die Anfänge der Kreuzigung an: Christus an den Elsenholzbaum geheftet, die Schächer mit zerhackten Knien. Die trübe Marterung schien ihm wenig zu behagen, und er blieb vor dem fast vollendeten Susannenbild stehen. »Ein Märlein? He?« meckerte er.

»Wenn Ihr es nit erkennet, so erfahret es! Es ist Susanna im Bad. «

»Ich freu mich Eurer Kunst. Ich war lange in den wilden Fichtelbergen.«

»Was habt Ihr dort gesucht?«

»Ich hab dort ein Gestein geprüft, das rhenische Gold heißt es. Die Walen schleppen es in Schubsäcken heim.«

»Da seid Ihr wohl reich worden und könnt in Regensburg den Bau der Schönen Maria fördern.«

»Dazu bin ich nit her kommen«, lachte Löffelberger. »Reich bin ich freilich worden. Freund Uberto, des Ihr leider ganz und gar vergessen habet, Altdorfer, Uberto hat mich zum Erben seiner Güter eingesetzt.«

»Ich hab ihn lange nimmer gesehen.«

»Er ist alt worden wie das Meer, das er sehr geliebt hat. Doch jetzt ist er tot.«

»Tot?« staunte der Maler. »Hat er sterben können?«

»Ich hab ihn in seiner Goldküche gefunden. Auf der Erde ist er gelegen, den Kopf klein und runzlig wie ein vertrocknetes Äpfelchen, die Glimmerbrille vor den Augen, mit seinem Buckel, dessentwegen er sich selber so gehasst und im Selbsthass seinen Leib gegeißelt hat.«

»Woran mag er gestorben sein?«

»Vielleicht ist er im scharfen Rauch erstickt. Der mähnige Pudel ist auf seiner Brust gestanden, hat mich nimmer erkannt, hat mich tückisch angeglotzt. Ich hab ihm Wasser in einem Kupferbecken hingestellt. Er hat daraus gesoffen wie ein Feuer.«

»Ihr habt ihn vergiftet?«

»Ja. Mit einem behutsamen Giftlein. Er hat das treibend Siechtum gekriegt. Animam excacaverit. Und Euer Freund Hubmayr ist auch aus Regensburg entwichen. Doch lassen wir diese kleinlichen Dinge! Euer Bild da ist durchstäubt von Licht. Selten hab ich so köstliche Kunst geschaut.

Er drehte die Susannentafel, dass das Licht sie noch zauberhafter verschönte. »Ich lobe ungern«, sagte er. »Doch hier muss ich loben. Welch großer Baukünstler ist in Euch verloren gangen! In diesem Palast, bunt von farbigem Gestein, verherrlicht Ihr den Geist der Wiedererwachung. Ihr sehnet Euch darin nach der unglaublichen Ferne. Gern möcht ich mir dieses Schloss in Stein übertragen lassen. Welche Freiheit der Fenster! Und Palast und Garten so wunderbar miteinander verbunden! Da die Gartenwiese, welche Traumschau! Ist jemals auf der Welt so zärtlich gemalt worden? Die sanften Baumkronen, nie hat der Wind darin gekämmt, sie sind aus dem Paradies geholt. Und die wilde Bergwand! In diesen berauschten Farben erhebt sich ein neues Lied. Und welche Feinheit und Sorgfalt im Einzelnen! Und doch wie groß geschlossen das Ganze! Ihr traget ein Stück Unendlichkeit in Euch, Meister!«

»Wie jedes andere Geschöpf. Wie der kleine Grashalm«, sagte Altdorfer leise und beschämt.

»Albrecht Altdorfer ist der größte Maler der Baiern. Er ragt hoch über diese und hoch über die kommende Zeit hinaus. Aber er trägt ein feiges Herz.«

»Wie meint Ihr das?«

»Ihr wagt es nicht, die nackte Reife des Weibes zu malen. Statt dass Ihr einen Gartensee und darin die weißrosige Haut Susannens schimmern und die schlangenedle Gebärde der Nackten aus klarem Wasser steigen und darin sich spiegeln lasset, setzt Ihr eine angezogene Docke hin, die sich in bäuerischer Scham die Knie verhüllt und sich des Leibes vor den Blumen und Wolken da schämt. Schämt sich die Blume dort, die auch nackt ist?«

»Die Blume weiß von ihrer Blöße nichts. Doch der Mensch.«

»Ja, der Mensch vom Sündenfall her!« grinste Löffelberger. »Aber ich kenne, was da nackt erblüht ist unter dem Meißel der Griechen.«

»Südland ist anders als wir. Nordland ist schämig. Wir verhüllen den Leib. Seinen Bau soll man nur an dem klug gelegten Gefältel ahnen.«

»Zum Teufel, was malt Ihr dann eine Badende? Wen reizt die Zimperliche da, die sich die Füße wäscht? Die zwei Greise, wie bescheiden lasst Ihr sie im Gras daher kriechen! Ihr beraubt uns der Lüsternheit ihrer Mienen! Wer begreift, dass die zwei Greise, von ihr verführt, dort vor dem Schloss gesteinigt werden? Ihr müsst Susannen in einem Wildbach malen und zeigen, wie sich der enthüllte Leib höhlt und wölbt, wie ihr Fleisch leuchtet! Oder vermögt Ihr das nicht? Malt doch einmal die Metze Putiphar, elbenhaarig, nur eine Goldschnur um die Hüften! Malt das Weib des Urias, von König David belauscht! Malt die Töchter des Loth! Die Unzüchterin Phryne!«

»Ich würde es mir wohl zutrauen!« sagte Altdorfer. »Aber man darf nit alles malen.«

»Überwindet die sinnlos keusche Scheu in Euch! Echte Kunst ist niemals sündig. Aber ihr Deutschen seid gebunden in euch selbst. Ihr seid gelehrt, doch nicht lebendig. Wohl stehen eure Dome erhaben da; wohl schimmert dieses Bild vor mir, als könnt es nimmermehr erlöschen. Doch was sonst? Nüchterne Reimerei, die der eitle Kaiser Max von ein paar Stubenschreibern sich hat hinkritzeln lassen! Das grobe, eintönige Gereimsel eines Nürnberger Schusters! Das langweilige, öde Zunftgetändel der Meistersinger!«

»Wer seid Ihr, dass Ihr so überheblich verwerfet, was unser Deutschland hervorbringt?«

»Wie viel begehrt Ihr für die Susanna da?« erwiderte der Fremde.

»Sie ist für Euch nit feil. Handelt Ihr mit Bildern?«

»Ich bin nur ein bergverständiger Mann, ein Erzsucher. Ich vermag unterirdische Erze mit dem Leib zu erfühlen. Ich bin auch schon in der Höhle zu Predewind gewesen.«

Altdorfer fuhr zurück. »Ihr redet, als wüßtet Ihr viel von mir!«

»Ich hab die nigromantische Schule zu Toledo bezogen, bin an den hohen Schulen zu Alcala und Salamanca gewesen. Allein ich vergesse, was mich neben meiner Neugier heut zu Euch führt. Uberto hat Euch in seinem Vermächtnis mit einem Geschenk bedacht, das Euch freuen wird. Er hat Euer gedacht, ob Ihr ihm auch seine Freundschaft mit Undank gelohnt habet.«

»Ich hab ihn gemieden, das ist wahr. Er hat gegen Wolf Roritzer geeifert.«

Löffelberger wandte sich wieder dem Bilde zu. »Ja, Meister, was Ihr da malet, widerspricht den biblischen Fabelsagern. Bei dem Bad da ist es hitziger zugegangen.«

»Wisst ihr das so genau? Seid Ihr wohl selber dabei gewesen bei dem Überfall?« höhnte der Maler verärgert.

»Man erzählt viel, was geglaubt werden muss, und kann doch kein Zeuge es bestätigen.« Löffelberger deutete auf die Kreuzigung. »Wer ist unter Christi Galgen gestanden, als er gestorben?«

»Maria, Magdalena und Johannes, der selige Degen und besondere Freund des Heilands.«

»Nimmer!« glühte der Erzsucher geheimnisvoll. »Als der Nazarener zwischen den Räubern starb, hing die Sonne schwarz und ausgebrannt am entstellten Himmel, die Erde bebte, Felsen klafften, Bäume barsten. Da flohen alle Menschen von dem Schmerzensberg, der römische Hauptmann, die Söldner, die jüdischen Gaffer, das Gefolge Christi und selbst seine Mutter und sein Freund Johannes versteckten sich in einer Höhle am Ölberg. In der großen Einsamkeit aber erwachte der Gott noch einmal, er war nicht tot gewesen, sondern nur in Ohnmacht gefallen, weil sein Leib so hart entblutet war. Und er sah, dass der rechte Schächer gestorben war. Der Linke aber, der Rothaarige, war voll zäher Lebenskraft, und zu seinen Füßen standen sein Vater, der alte Gaudieb, und seine kupplerische Mutter, und mit den Stamm des Kreuzes schlang seine Hure heulend die Arme. Der Räuber aber fluchte, verkrümmt in Wut und leiblicher Qual; die Knie hochgezogen, hing er und verfluchte die Sippe drunten, die ihn liebte, die ihm den roten Schweiß zu stillen versuchte, die um ihn weinte und ihn nicht verließ. Aber er schrie: ›Verflucht, dass ich jetzt hinfahren muß! Könnt ich doch euch alle reißen in die Verdammnis!‹ Darauf sagte die Dirne drunten: ›Ich folg dir gern!‹ Jesus aber hörte zu. Er scheuchte mit blanken Zähnen den Raben, der ihn umflatterte und nach seinen Augen hackte. Und als er sich so verlassen sah von Mutter und Bruder und Braut und selbst von Gott, dessen Sohn er sich geheißen hatte, seufzte er, den Räuber beneidend, tief auf und neigte das Haupt und starb für immer.«

»Er ist auferstanden!« rief Altdorfer sehnsüchtig.

»Der linke Räuber allein hat ihn sterben sehen«, sagte Löffelberger. »Wenn nun ich jener Räuber gewesen wär? Wenn ich gehört hätte, wie der enttäuschte Heiland sterbend widerrufen hätte, was er an Liebe gelehrt?«

»Was für irre Bilder kobolzen Euch durchs Hirn?« sagte Altdorfer, entsetzt über die düstere Tiefe dieses Geistes.

Aventinus war eingetreten. Umständlich zog er seinen luchsgefütterten Mantel aus und hängte ihn samt der Otterhaube an eine Elchsschaufel an der Wand.

Auch er war betroffen von der ungewöhnlichen Fremdheit des schneidendscharfen Gesichtes des Erzsuchers. »Ich bin Johannes Thurmayr«, sagte er.

»Wer sollte den hochgelehrten Aventin nit kennen?!« erwiderte der andere höflich. »Ich schreib mich Matthias Löffelberger.«

»Seltsam!« meinte Aventin. »Genau so hat der Hexerich geheißen, der aus dem festen Haus Trausnitz den Herzog Friedrich hat befreien wollen, der auf der Gickelfehwiesen bei Mühldorf vor zweihundert Jahren ist gefangen worden!«

»Ein hübsches Ungefähr!« lachte Löffelberger. »Die gemeine Sage weiß, dass mein Ahn, vom Papst abgesandt, im roten Feuermantel über die Schröfen Tirols ist geflogen kommen. Dem Herzog Friedel hat er zugeraunt, der Halbkönig Ludwig komme und wolle ihn töten, und drum solle er mit ihm, dem Zauberer, durchs Turmfenster fliegen in die Freiheit. Aber der Herzog ist vor der Tiefe drunten zurückgeschaudert, so tapfer auch sonst sein Herz geschlagen. Da ist denn der Mann, der meinen Namen getragen, allein zum Turm hinausgefahren.«

Aventin hatte verwundert zugehört. »Ich bin jeden Winkel Bayerns ausgekrochen, die alten Geschichten zu erfahren. Doch so genau hab ich noch nie über den Gefangenen zu Trausnitz reden hören. Ihr habt ein Geistermärlein erzählt.«

»Was ist die Wahrheit?« sagte Löffelberger und rüstete sich zum Gehen. »Wer erkennt sie.«

Altdorfer sah dem Sonderbaren auf die Stirn, die düstere Schmiede des Zweifels, er schaute durch die engen Augen-schlitze dieses Mannes eine Schlangenseele lauern.

»Vielleicht ist alles, was jetzt in den Büchern der Geschichte gefroren steht, nur ein verzerrter Schatten der Wahrheit, ist je nach Laune erzeugtes falsches Gerücht. Was wissen wir? Sag eine Lüge zehnmal, und sie wird zur Wahrheit! Und vielleicht braucht der Mensch das Falsche?« Also sagte der Fremde.

»Quod non, diabole! Das soll Gott nit wollen!« rief der Gelehrte empört. »Das Höchste in der Welt ist die reine Wahrheit. Sie ist die Lehrmeisterin und herbe Arznei der Menschheit.« Er beruhigte sich sofort wieder und sagte zu dem Erzsucher: »Ihr seid ein unruhiger Geist. Ihr solltet eine Weltgeschichte schreiben. Auf Euer Vorwort wär ich begierig.«

»Mein Vorwort würde lauten: ›Gott hat am ersten Tag die Welt erschaffen und ist gleich hernach aus lauter Ermattung und aus Ärger über das verpfuschte Werk gestorben. Er ist tot. Seitdem verwaltet und verantwortet alles der Teufel.‹«

»Ihr seid ein saftiger Kauz«, lachte Aventin. »Euere Weisheit ätzt sich scharf ins Hirn. Hütet Euch vor den Ketzerbrennern!«

»Nehmt es nicht als lustiges Gedankenspiel, Aventin! Mir ist es ernst. Seht Euch um! Die Zeit trägt ein arges Gesicht. Die Welt welkt, die Sterne dorren. Ist Deutschland nicht wie ein verfallendes Tollhaus? Der Kaiser hat ein spanisch Herz und ist außer Landes. Die Glocken gellen wider den Türken. In den Klöstern singt man den Judaspsalm gegen Luther und seinen Anhang. Das Bauernvolk disputiert, statt dass es ackert und sichelt; es knirscht wie ein Stier gegen sein Joch, und an den Mauern der Burgen leckt die Flamme. Die schönsten Buben des Landes sterben im welschen Garten. Doch was kümmert das mich? Ich schau nur zu.«

»Seien wir nit undankbar gegen unsere Zeit«, erwiderte Aventin. »Sie reift Neues und Großes, mögen auch Bauer und Mönch meutern. Wir erkennen wieder, was die weisen Alten erkannt haben, und was sie angesponnen haben, denken wir weiter. Wir decken das verschüttete Erbe auf. Wissenschaft und Kunst werden aus den Händen der Geschorenen genommen, die abergläubischen Träume der Mönche werden durch den strengen, forschenden Geist zerstreut. Und Deutschland wird stolzer und besinnt sich seiner selbst.«

»Erhofft Euch nicht zu viel!« warnte Löffelberger und griff nach dem Barett. »Meister Altdorfer, Ihr besucht mich doch? Und auch Ihr, Doktor Aventinus!«

Der Gelehrte sann ihm nach. »Ein gleißender Geist! Ein doppeltes Hirn, dafür kein Herz! Wer ist der Mann?«

»Ich kenn ihn so wenig wie Ihr«, sagte Altdorfer. »Er scheint allerlei dunkle Kamst zu wissen.«

»Mag er sich hüten!« rief Aventin zwischen Scherz und Ernst. »Vor des Henkers Eisen nutzt das Festmachen nichts. Doch schweigen wir von ihm! Er hört vielleicht von der Ferne zu und erhebt im Zorn gegen uns das magische Schwert.«

Er betrachtete nun die Susannentafel, und seine männlichen Augen wurden kindlich froh. »Wir Baiern sind ein langsam und schwerfällig Volk, und was wir beginnen, fällt rau und plump aus. Doch Euer Bild hier ist frei und leicht trotz seiner bairischen Art und bunt wie eine Perle. Deutschland soll eine Pyramide bauen und auf ihre goldene Spitze schreiben: ›Albrecht Altdorfer schaut die Schönheit des Landes!‹«

»Aventin«, bat der Maler, »Ihr habt einmal dem Kaiser Max von dem Eroberer Alexander erzählt. Berichtet mir von ihm!«

Der hochgeschulte Mann rückte die festen Brauen nachdenklich zusammen und begann mit dem Spruch Alexanders, dass nur eine Sonne am Himmel und nur ein Herr auf Erden sein solle, und erzählte, wie der Held weltgierig auf seinem Ross

Ochsenkopf ausgeritten, der Perser Kaisertum umgestoßen, Afrika durchreist und den Osten bis ans Ende der Erde erobert hatte und dann mitten in Größe und Macht jung gestorben war, ein wundersames Leben, Lehre und Warnung allen Herrschern.

Als Aventin sich verabschiedete, dämmerte es bereits. Er seufzte: »Ach, was frommt die Erfahrung der Jahrtausende? Die Welt will nit witzig werden. Und dann: tritt nit ein jeder Mensch nach einem Gesetz an, das nur ihm eigen und das einmalig ist? Und vielleicht ist meine Erzählung nur ein Heuwagen voller Lügen und ist nur ein Nadelbüchslein voller Wahrheit drin? Wie rede ich heut gar verzagt? Mich hat der Löffelberger mit seinem Lied schwarzgallig gemacht. Ist sonst nit meine Art.«

Abends erhielt Altdorfer das marmorene Jünglingsgötterhaupt zugeschickt, das er einst im ewigen Maienfrieden seiner Schönheit bei Uberto gesehen. Er küsste die kühle Steinstirn des Bildes und sagte zu ihm: »Alexander!«

 

Frau Anna Altdorferin kam in das Haus weiland des Uberto Vistosi. Ihr bangte vor dem kristallisch funkelnden Gestein, das überall auf Gestellen ausgebreitet lag, und vor dem stechenden Geruch einer Säure, der die Luft fast ungenießbar machte, und vor dem Mann, der hässlich war wie der Fürst der Nacht.

»Die Altdorferin bin ich«, stammelte sie.

»Ich hab Euch in den Kirchtüren gesehen«, nickte Löffelberger. »Ihr seid eine andächtige Frau. Ich kenn Euch.«

»Heimlich komm ich zu Euch und bitt Euch, wollt geheim halten, was ich von Euch wünsche. Ich schäm mich bitter.«

Er lachte auf. »Wünscht nur zu! Ihr haltet mich nach meinem übeln Gesicht für einen Hexentanzmeister, der viel vermag.«

»Es riecht seltsam in dem Haus«, flüsterte sie. »Riecht das Gold so schlimm?«

»Beruhigt Euch! Ihr seid in keiner Giftkammer. Es schlägt Dunst aus dem Keller, dort will ich aus. Donnerstein Gold ausscheiden.«

»Die Leute reden, Ihr hättet Salomonis Geheimnisbuch, hättet die sieben Siegel daran aufgebrochen und wüsstet jetzt starke Dinge. Albrecht staunt über das, was Ihr wisset.«

»Aber er ist gefeit. Ich kann ihm nit an.«

»Wollt Ihr ihm Arges tun?« fürchtete die Frau.

»Ich will ihn nur aus seiner Enge locken.«

»Das versteh ich nit.«

»Wie zaghaft hält er die Susanne verkleidet! Hat er nie in ein Weiberbad gelugt? Oder erlaubt ihm die Altdorferin nit, dass er ein nacktes Maidlein male?«

Errötend und unwillig über die dreiste Rede senkte sie den Blick. »Das ist sündhaft. Verführt ihn nit dazu!« bat sie.

Ach, sie wusste, dass Albert jetzt in der Badstube des Bischofshofes entblößte Leiber malte, sie hatte heimlich die Entwürfe dazu gesehen: die badenden Paare, die miteinander scherzten, einander küssten, einander zutranken, die nackte Frau, die sich das Haar auswand, den lüsternen Narren, der ihr zusah.

»Seid Ihr deswegen gekommen, Frau Altdorferin?«

»Herr, ich weiß, Ihr könnt verzaubern. Doch, was ich bitte, lehrt mich das schwarze Vaterunser!«

»Wen wollt Ihr behexen?«

Sie raffte sich auf. »Das Herz meines Mannes will ich besprechen: es soll mir allein gehören! Es ist wie eine Mauer jetzt zwischen mir und ihm. Ich weiß nit warum.«

Die Stirn Löffelbergers war auf einmal schön und klar. Er sagte: »Die einzige Lust des großen Mannes ist, sich dem erträumten Ziel zu nähern. Dabei tut er denen weh, die ihm nahe sind.« Und wiederum ins Teuflische umschlagend, fragte er: »Ihr gönnt ihn keiner andern? Wollt Ihr ihn töten oder bloß lähmen? Ein gefährlich Kraut ist in unseren Wäldern, das sprießt nur, wenn ein Mensch den andern vergiften will.«

»Gott sei davor!« schrie sie und lief davon.

Er öffnete ihr die Haustür und sagte: »Er haust einsam in der Spiegelgasse. Besucht ihn doch einmal nachts!«

 

Altdorfer betrachtete traurig den stockenden Kirchbau. Seit die Wallfahrt nachgelassen hatte und nichts mehr eintrug, kümmerten sich die günstigen, weisen und lieben Herren des Rates kaum mehr um das künftige Haus der Schönen Maria. Die Gerüste lagen verödet, ein einziger Arbeiter schaffte träg. O armer Hans Huber, dein Werk erleidet das Schicksal des Domes. O unschlüssige Zeit!

Ein dürres Gelächter flackerte hinter dem Maler auf. »Seid fröhlich, dass Ihr kein Baumeister seid!«

Altdorfer kehrte sich um. »Findet Ihr das des Lachens wert, Löffelberger? Luther tut dem Bau da Eintrag. Seine Lehre wird auf deutscher Erde gewaltig.«

»Und doch schätzt Ihr ihn, statt ihn zu hassen, Meister. Was findet ihr Neues an ihm? Er hat den alten Judengott ein wenig deutsch überfärbelt und gibt uns ein neues, schales Tröstlein, indes Gott wie einst und je in seinem Himmel gefangen sitzt und der Welt nicht helfen kann.«

»Was wisset Ihr von Gott?!« erwiderte Altdorfer spöttisch. »Lässt er uns nicht im Elend kauern? Nicht einmal den Krieg lässt er erlöschen!«

Eine prunkende Rotte rauschte vorüber, in den Augen die stolze Sehnsucht des Kriegers, und sang, dass die Gasse hallte. Arkebusen und Stützgabeln blitzten und Hellebarden. Deutschland wollte mit Heereskraft über die Alpen steigen.

Löffelberger redete einen jungen Knecht an: »Landsknecht blau, Landsknecht rot, wohin so strack?«

Der Knecht stützte sich auf seinen Spieß und rühmte: »Ins breite Feld. Nach Friaul. Nach Siebentod. Rom legen wir in Schutt, des untreuen Papstes Pfalz. Eine Schaftrift machen wir draus. Luther muss Papst werden!«

»Der Krieg ist dem süß, der ihn noch nicht kennt«, sagte der Erzsucher. »Landsknecht, verbietet aber nicht Gott, dass du die Menschen erschlägst?«

»Ich bring Mannsleut um, das ist wahr, aber ich mach dafür wieder Buben.« Und der Knecht schlug sich auf die bergfeste Brust und eilte seinen Rottgesellen nach.

Löffelberger wies auf den Bau. »Jetzt könnt Ihr, den Regensburg zu seinem Stadtbaumeister ernannt hat, die Mauern da nach Euerm Gutdünken hochführen. Dem toten Huber wird es recht sein.«

Altdorfer entgegnete: »Ich darf nur in meinen Bildern bauen. Regensburg will in mir nur den gewissenhaften Beamten haben, der seine Mauern überwacht, aber den Künstler fürchtet es, und keiner wird mir einen Bau anvertrauen. Sie sagen, sie könnten nit wohnen in den Häusern, die ich plane, sie würden in meinen Bauten frieren, und alles wäre zu toll erdacht und zu teuer.«

Die beiden schritten durch die lebhaften Gassen, und vor ihnen entfaltete sich der buntgeschäftige Tag. Kinder zogen wie kleine Landsknechte spielerisch mit Spießen und Trommeln dahin. Ein Mann schrie, dass im ›Güldenen Greifen‹ frischer Breisgauer Wein vom Zapfen zum feilen Kauf ausgeschenkt würde. Ein Pfeidler rief aus seinem Gewölb heraus seine Hemden, Strümpfe und Hauben aus. Ein Narr zog die Kappe vor einem Hund, der in feiger, gekrümmter Haltung seine Losung ausgab. Gänsemänner trugen Geflügel zu Markt. Ein bäurischer Mensch bettelte, die Lanzenbuben hatten ihm alle Finger abgehauen; er bettelte mit den Stummeln. Ein Verbrecher wurde vorübergeführt, er bückte sich in Ketten nach einem Stein, ihn nach den Gaffern zu schleudern.

Urban Trunkl, Altdorfers Nachbar, kam wichtig daher und berichtete, eben sei Erhard Heydenreich nach schneller Krankheit gestorben. In letzten Nöten habe er nach einem Beichtiger begehrt, da sei der Kaplan Hans Weinzürl gekommen, ihm das heilige Brot auf die Zunge zu legen. Doch der Dommeister, ob auch schon fast ohne Aderschlag und Atem, habe die Lippen hart zusammengezogen und gesagt: ›Ihr seid Kaplan bei der Schönen Maria, von Euch nehm ich das Sakrament nit.‹ Und danach habe er fürchterlich niesen müssen und habe den Geist ausgeniest.

Über die Dächer glitt eine Wolke, schmal, kühn und finster wie ein Raubschiff. Düsterheit lauerte aus den Toren der alten Häuser.

Am Prellstein drehte ein Weib die Bauernleier und sang dazu. In der Ferne pflog ein Kessler seines lärmenden Gewerbes.

Der Trunkl wusste noch andere Neuigkeiten. Der Sauerbäck Altmeier werde morgen zur Brücke gebracht, er solle mit dem Galgen in der Donau gewippt werden, er habe betrügerisch zu viel Löcher und zu viel Luft ins Brot gebacken.

»Er hat seine Seel darein gebacken«, lachte Löffelberger. Ein hübsches Fräulein huschte vorüber und streifte mit gleißendem Blick den Maler.

»Altdorfer, wollt Ihr nicht doch einmal ein nacktes Weib malen?« sagte plötzlich Löffelberger. »Aber Euch gelingt der Mensch nicht. Würdet Ihr Euch an das Bild des Kain wagen? Des Mörders, dem das grelle Zeichen in die Stirn gerissen worden? Ich hab Dürer einst darum gebeten, der seine Mutter gezeichnet hat. Dürer hat sich lange geplagt mit dem Kainszeichen, es ist missglückt, und vor Grauen hat er es aufgegeben. Nur einer könnt es malen: Meister Grünewald.«

»Wer ist der?«

»Seine Kunst ist ein düsteres Gewitter, das den Menschen betäubt und hinschleudert in Zerknirschung. Er reißt zum Himmel auf und stößt zugleich zur Hölle. Altdorfer, Ihr solltet werden wie Grünewald.«

»Ich will nur aus mir selber heraus werden.«

»Malet mit Euern flammenden Farben die Nacktheit!« drängte Löffelberger. »Der Kaiser wird das Bild kaufen. Er braucht brennende Bilder, dass sein kühles Blut sich daran erhitze. «

Mit Abscheu trat Altdorfer vor dem Versucher zurück.

Doch der ließ nicht nach. »Und dass Euch das Gewissen nicht schmerze, malt ein biblisch Bild! Den trunkenen Loth im Arm seiner Tochter! Macht meinetwegen die Farben dazu mit Weihwasser an! Der Kaiser ist reich, die Schätze Mexikos schwimmen in seine Häfen. Er wird Euch reich belohnen. Ihr seid ein Mensch. Eure Wünsche werden sich verwirklichen. Ihr werdet Venedig und sein Meer genießen!« .

Wunderbar weitete sich die Seele des Künstlers. Breite

Marmortreppen stiegen in das Meer, in das kobaltschimmernde, im Unendlichen verschwimmende Meer. Aus dem weißen Faum der Brandung hob sich die Wogengöttin.

»Malet die Nacktheit!« flüsterte Löffelberger. »Eure Gesichte greifen ins Unermessliche hinaus, und Ihr wollt dabei in der Enge weiter leben wie der Nachbar Seifensieder? Denkt an des Kaisers Lohn! Ihr habt ein sehr schönes Weib. Malt es!«

Zornig stieß der Maler den drängenden Mann von sich.

 

Anna wachte auf. Ein Traum hatte sie gequält, sie hatte geweint.

In der föhnigen Nacht verließ sie das Haus und schlich sich in die Spiegelgasse. Droben war der sterndurchstäubte Himmel, manchmal zuckte ein Feuerstrahl darüber, und der Wind seufzte auf. Ihr schlichtes Herz war verwirrt.

Sie huschte durch das Vorgärtlein und stieß den Schlüssel ins Schloss. Ein Baum rauschte warnend auf.

Mit der Hornlaterne leuchtete sie die Räume des Erdgeschosses ab. Auf den Tischen lagen Blätter, darauf flüchtig entworfen Becher, Kirchenhallen, struppige Bäume. Auf der Erde ein trockener Pinsel. Fässlein mit Farben.

Geräuschlos stieg sie die hölzerne Stiege empor. Sie bebte, als verübe sie Böses.

Aus der Werkstatt Altdorfers schlug ihr der Geruch frischer Farben entgegen. Auf der Staffelei glühte ein Bild, als wäre es auf eine Flamme gemalt. Ein sündhafter Spuck.

Eine Venus, vollkommen enthüllt, lagerte in unsäglicher, fast frevler Schönheit mit flatternd aufgelöstem Goldhaar, wunderbar knospenden Brüsten und edeln, üppigen Gliedern, den Hals mit einer köstlichen Schnur voller Perlen und rötlichen Edelsteinen geziert, die sich in der schimmernden Haut zauberisch spiegelten. In der Hand hielt sie ein Glas roten Weines, womit sie wohl den hässlichen, braunhäutigen, nackten Greis trunken gemacht hatte. Im Hintergrund das grauenhafte Licht einer von nächtlichem Feuer ergriffenen Stadt. Dunkel überkam es Anna, der scheußliche Alte müsse Loth sein, der altbiblische Weinschwelg, der von seinen Töchtern zur Blutschande verlockt worden war.

Weißrosig leuchtend, in festlicher Jugend prangend, im herrlichsten Ebenmaß des Rumpfes und der Glieder lag das Weib hingeschmiegt an den teuflisch dunkeln Leib des faunischen Alten. Wie schwül ihre Augen, wie verworfen die schönen Lippen! Oh, es war nicht die reine Schönheit des gottgeschaffenen Leibes, das Bild war unkeusch gemalt, das fühlte Anna, und es war ihr widerwärtig, und der Vorgang darauf erfüllte sie mit Abscheu und Grauen.

Ihr fiel die Geschichte eines Malers aus Siena ein, der ein Bild der nackten Venus gemalt hatte und bald danach gestorben war und hernach als ein irrendes Licht in der Stadt umging und die Leute bat, das unzüchtige Bild zu vernichten, auf dass er nimmer auf der glühenden Eisenbrücke über dem Fegefeuer wandeln müsse. Oh, dass Albrecht nur nicht Gott erzürnt hat mit diesem Gemälde!

»Welche Dunkelheit ist in ihm!« schauderte sie. »Was weiß ich von seinem geheimsten Leben? Nie kann ein Mensch den andern durchschauen.«

Welchen Weibes Leib aber hatte er mit seiner Kunst hier enthüllt und preisgegeben? Dieses Bild war nicht aus unbefangener, kühler Betrachtung entstanden, es bebte die Glut eines Erlebnisses darin nach. Es war nicht der Körper Annas.

Unerträglich pulste das Blut ihr durch die Adern des Halses, sie glaubte, ersticken zu müssen. In schicksalhaftem Zwang öffnete sie die Tür des Schlafgemaches.

Ein mattes Öllicht in irdener Ampel leuchtete. In breitem Bett, vom tiefen Schlaf übermannt, lagen Altdorfer und, auf seinem Arm halb enthüllt, ein junges Mädchen, in der Pracht ihrer Schönheit ganz ähnlich der Venus auf dem sündigen Bild. Sie trug Perlen und rötliche Edelsteine an einer Schnur um den Hals, und das Haar hing ihr aufgelöst über den Rand des Bettes.

Wie in einen feindlichen Traum gebannt betrachtete Anna den Gatten, Seine schöne, freie Stirn war sorglos entspannt und schien einen frohen Traum zu tragen, die feinen, langen Finger seiner Rechten lagen auf der Brust des Mädchens. Jetzt rastete er, unbewegt von drängenden Bildern, von der lustvollen Qual des Schaffens. Ach, wer weiß, was in dieser atmenden Brust dort alles vorgeht? Welche Geister schlagen darin ihre Schlachten? Welche finsteren Gewalten hausen drin und müssen drin bekämpft und besiegt werden? Wer weiß es? Sein Mund schweigt von diesen Tiefen.

Doch neben ihm das Weib! Einen Augenblick lang war Anna wie von Leid versteinert. Dann trat sie zu der Nebenbuhlerin hin, sie fühlte sich versucht, sie an dem aufgelösten Haar zu packen und aus dem Schlaf zu zerren. Sie gedachte der Schreckenstat des Ritters von Sattelpogen und sah sich wild nach der rächenden Waffe um. Doch nur so lang, wie die Zeit währt, die sich zwischen zwei Herzschlägen spannt.

Dann war ihr, sie müsse fliehen, weithin und für immer fliehen und irgendwo das Gesicht legen in den Schoß der siebenfach durchschwerteten Gottesfrau. Mutter, nimm mich auf in dein Leid!

Indes ruhte das Mädchen ahnungslos am Grunde des tiefen Schlafes. Ihr Antlitz war voll Unschuld und engelhaft, die Lippen waren leicht geschwellt, die Brust drängte und ebbte sanft unter dem leisen Atem, die Wangen blühten.

Anna war plötzlich in einem jähen Umschwung des Gefühles entwaffnet. Ihr war: das Glück ist verglüht, das Leid ist erloschen.

Und so deckte sie behutsam den Leib der Schläferin zu, sie hob sanft die langen, seidenen Strähne, die über das Lager hinaushingen, und legte sie geordnet in das Bett hinein. Dabei flüsterte sie: »Gott behüt dir das schöne Haar!«

In selber Weile richtete sich Altdorfer im Pfühl auf und starrte mit weiten, verdunkelten Augen seine Frau an.

Sie legte ernst den Finger vor den Mund, ihm Schweigen bedeutend, und zog sich zurück.

Matthias Löffelberger war von dem neuen Gemälde aufs höchste begeistert. »Frau Venus, die feinste Zofe des Teufels!« jauchzte er. »Einen solch vollkommenen Frauenleib hat kein Deutscher neben Euch gemalt! Damit verdient Ihr Himmel und Hölle zugleich, Ihr Strahlkerl! Wahrlich, ich hätt es Euch nicht zugetraut! Ein Feuerbild! Ihr steht den besten welschen Meistern nicht nach. Und der Blutschänder Loth! Er ist mir nicht ganz ähnlich, er ist schöner als ich. Doch weiß ich, dass Ihr in ihm mich gemeint habet.«

»Es ist so«, sagte Altdorfer gelassen.

Verstarrt in den Lasterrausch sann Löffelberger. »Wer kennt sich in euch Deutschen aus. Zum Teufel, habt Ihr da nicht das Leben im Arm des Todes gemalt? Schönheit umschauert von Verwesung? Die stete Vergänglichkeit? Welch furchtbar dunkle Fragen werft Ihr da auf?«

Altdorfer legte schweigend die Hand an die schwere Stirn.

»Doch was kümmert mich, was hinter dem Bild steckt!« raffte sich Löffelberger auf. »Ihr habt es für mich gemalt. Scheut Euch nicht und nennt den Preis!«

»Das Bild wird wieder vernichtet«, sagte der Maler leise. »Es ist nit für Menschenaugen gemalt. Ich hab mich damit nur vor mir selber bestätigen wollen.«

»Hitzkopf! Lasst erst Eure Schläfen sich wieder kühlen! Wir verkaufen das Bild dem Kaiser. Sein Beichtvater wird es erlauben!«

»Geht!« schrie Altdorfer. »Ich vertrag Euch heut nit!«

 

Altdorfer hatte das Haus in der Spiegelgasse verlassen und

wohnte wieder am Bach. Die junge Ursel Venedigerin war aus der Stadt verschwunden.

Anna redete niemals von jener Nacht, sie blieb ihrem Mann gegenüber liebevoll und fürsorglich wie früher, so dass der Maler oft meinte, er sei damals von einem lebhaften Traum genarrt worden. Nur einmal in später Nacht, als er die Frau seufzen hörte und er mit einem Wachslicht sich über sie neigte, gewahrte er Tränen an den Wangen der Schlafenden.

Da verschloss er sich wochenlang in sich und arbeitete.

Einmal trieb es Altdorfer wieder an die Donau. Er sah einen Reiher drüber fliegen mit einem Fisch im Schnabel. Der Tag war von leichtem Nebel düster. Eine Zille fuhr schemenhaft vorüber. Hier war der Ort, wo der Sage nach Albertus mit einer Silberschelle den Fischen geläutet hatte.

Aus dem Erlengehölz rauschte Doktor Malleolus heraus. Der Hexenrichter war dürr und welk geworden; er flackerte ruhelos, als verfolgten ihn die Geister jener, die er ins Feuer gebracht hatte.

»Was Böses träumt Ihr da, Meister Altdorfer?« schwätzte er gespenstisch. »Wisst Ihr nit, wo jetzt Euer Freund Hubmayr haust? Er ist mir entronnen. Er war mit dem Teufel verbündet. Seit er fort ist, stockt die Wallfahrt. Er hat die Pilger angebannt. «

»Tut ihm nit unrecht!« sagte Altdorfer heftig.

»Warum haltet Ihr ihm die Stange?« argwöhnte der Richter. »Auch Ihr seid mir verdächtig. Eure Bilder blenden wie Höllenwerk. Wer lehrt Euch so gleißend malen? Könnt Ihr dabei des Teufels Beistand entraten? Meister, Euere Kunst ist wie Beschwörung fremder Geister!«

»Ihr seht die Welt falsch, Doktor.«

»Wie soll man sie sehen?« lauerte der Richter.

»Ich sehe darin die Unschuld des Göttlichen. Euch aber haben dumpfe Schriften betört. Glaubt Ihr denn wirklich, dass der Teufel mit alten Metzen buhlt, sie eisig umarmt und mit totem Samen sich wüstes Gezücht erweckt? Dass ein gebrechlich Weiblein durch die Lüfte fliegt oder eine Kindsleiche aus dem Friedhof ausscharrt und verzehrt?!«

»Wenn Ihr wüsstet, was ich weiß!« glomm der Richter finster. »Nur wenige sind frei von dem Einfluss des Höllenriesen. Auch solche, die als heilig gelten, sind ihm erlegen. Albertus Magnus! Wem verdankt er sein übernatürliches Wissen? Ich wittere, dass er sich mit grauser Formel an die Tiefe gebunden hat. Ich hab die Bekenntnisse ehrwürdiger. Mütter gehört: hinterhältische Hexen sind sie gewesen, die des eigenen

Blutes nit geschont und ihre Kinder dem Satan hingeopfert haben!«

Zornig erwiderte Altdorfer: »Vor Euerm Misstrauen ist keiner sicher! Selbst der Heiland nit, der Wunder gewirkt hat!«

»Wo ist der Grenzrain zwischen Wunder, das Gott wirken lässt, und abgöttischer Zauberei?« flüsterte der Alte.

»Teufelswerk ist nur, was Ihr treibt!« brauste der Maler auf. »Habt Ihr denn nit Mitleid mit Euern Opfern? Einsam sterben die Schuldlosen, als Verbrecher verabscheut und unter dem Hass und Fluch der Welt, selbst ihre Kinder entsetzen sich vor ihnen. Keine Zähre der Erbarmnis wird um sie geweint. Und sie sterben in dem Wahn, dass sie Teufelsbräute seien und scheußliche Mörderinnen Gottes, dass sie aus einem Feuer ins andere übergehen, aus der Qual der Folter und dem langsamen Tod in der Flamme in die unaufhörliche Pein der Hölle. Sie sterben in dem Gedanken, dass sie nichts hinterlassen als einen geschändeten Namen, und in der Reue darüber, dass sie Unschuldige angezeigt und dem Henker ausgeliefert haben.«

»Ganz und gar seid Ihr dem verfallen, der zu aller Menschheit Ubelfahrt eingesetzt ist!« krächzte der Doktor. »Ihr leugnet die Hexerei, drum seid Ihr schuldig. Es wundert mich nit.« Der Unheimliche dämpfte sein Geschrei bis zum Flüstern herab. »Schnaubt nit der Drache selbst dem gelehrten Richter nach der Ferse?! Wisset, Altdorfer, es lässt sich nimmer lange verheimlichen, dass ich selber ein Satansmann bin!«

Mit glimmendem Blick, mit kalter Stimme erzählte er: »Auch mir schalmeit der Teufel, auch mich zaust er. In der Nacht Johannis des Taufers hat es mich gezwungen, hab müssen zu der Klamm fahren, darein unterhalb Weltenburg die Donau gezwängt ist. Da ist am andern Ufer drüben ein grauer, langer Mann im gleichen Schritt mit mir gegangen, hat mir flussüber zugerufen, dass kein Gott lebe, in einer mir fremden Sprache hat er es gerufen, und ich hab es dennoch verstanden. Jetzt berg ich die verfluchten Worte in mir, muß sie verschweigen und möcht sie doch ausschreien, dass sie mir nimmer in der Seele so sehr weh tun. Oh, der Züchtiger soll mich mit der roten Zange in der Marterkammer zwicken, dass ich wie ein Hund den Rachen aufreiße und das unselige Wort ausbelle!«

Mit den dürren Armen fuchtelnd, rannte der Besessene in den Nebel hinein.

Traurig rann der wolkendunkle Fluss. Ein einsamer Fischer riss einen Hecht aus dem Wasser.

 

Harnischer, Schwertfeger und Pulvermacher hatten zu schaffen. Die Stechhaufen rannten über die Alpen, das kühne Schwert Frundsbergs schlug im Tiergarten vor Pavia den Franzosen nieder, Raben rotteten sich auf den Walstätten. Der Stuhl Sankt Petri erzitterte vor dem Landsknecht.

Das beschwerte Volk der Bauern erhob sich gegen den Adel, den Nutznießer seiner Mühsal, den Missbraucher seines bitteren Schweißes. Wie Grasmäher zogen sie in den Krieg, auf ihren Fahnen das Pflugrad. Sie sprühten Feuer, wurden zu Teufeln, brachten die Herren mit Mistgabel und Tremel um. Die aufgeschürten Massen stürzten die kupfernen Särge in den Grüften, die Gebeine der Toten lagen in Verachtung durcheinander gestreut, Mordglocken gellten, die Burgen loderten, des Plünderns war kein Ende.

Grollend kam Aventin zu dem Maler. »Die Bauern zerreißen mit kimbrischem Geheul die teuren Urkunden! Man soll die Aufrührer an die Turmhähne binden und verschmachten lassen! Sie haben sich außer Recht gesetzt. Die Schändlichen bringen das Reich ins Unglück.«

»Mischen wir uns nit in den Streit der Zeit!« sagte Frau Anna. »Lassen wir die hohen Wasser vorüber rinnen!«

»Des Reiches Ehr geht nieder!« rief Aventin. »Um so mehr muss der Künstler die deutsche Ehr halten!«

»Es dringt mir alles zu Herzen«, sagte Altdorfer, »und es formt an mir. Ich fürcht um mein Vaterland.«

Die Rache drang auf. Luther polterte wider die Bauern, man möge den hartnäckigen Aufruhr grob austilgen. Mit ehernem Besen fegte das Schicksal dann über die Dörfer Schwabens und

Frankens. Mit den Schädeln der erschlagenen Bauern hätte man einen Turm bauen können. Ein Strom von Tränen rann durch das deutsche Land.

Zu Regensburg in den Weinschenken und auf den Bierbänken stritten die Bürger, nahmen Luthers, nahmen des Papstes Partei. Vertriebene Juden sandten Fehdebriefe herein. Und im Osten erhob sich der Türke mit Schwert und Brand gegen die zerworfene Christenheit, und das Reich war zu ohnmächtig, ihn über den Sauffuß zurückzustoßen.

Der Stadtbaumeister Altdorfer wurde in der drohenden Zeit hart beansprucht. Er musste sich kümmern, dass die Mauern und Türme Regensburgs gebessert, in wehrlicheren Zustand gesetzt und mit Hagelbüchsen bestückt wurden. Bescheiden der Vaterstadt dienend, übernahm er die Nutzbauten, die ihm aufgetragen wurden, und führte schlicht und ohne Zierat, nur ihrem Zweck entsprechend, Weinstadel, Harnischhaus und Schlachthaus auf.

Schweigend litt er unter dem trüben Kampf und der feindseligen Spannung in seinem Volk. Immer wieder floh er aus der verstürmten Zeit zu seinem Werk und fühlte sich in aller Zersetzung seines Jahrhunderts dem ruhenden Göttlichen verbunden.

Damals bezichtigte der Doktor Malleolus sich selber der Teufelsbannerei, und als man ihn gefangen setzte, wollte er sich die Zunge ausreißen, man musste den Tobenden binden und fand ihn kurz danach an seiner Kette erhängt.

 

Altdorfer ritt donauabwärts in die Landschaft Heuwisch und nordwärts an Burg Egg vorüber ins Jugendland des Flusses Regen, den Aventin den bairischen Mäander zu nennen pflegte. Er sah die silbergrauen Schindeldächer der Einöder und hörte die arme und rohe Sprache der Waldhirten. Er begegnete dem Volk, das im Schatten seiner schweren Wälder mühsam und unbedankt das karge Haferfeld betreute, den kurzen, wehmütigen Sommer und den endlosen Winter trug, vertieft in seine dämmernde Sage. Zuweilen band er den Gaul an einen Zaun, in der Stube knieten die Bauern betend um den Mittagstisch, und er aß mit ihnen aus der espenhölzernen Schüssel. Wie ein düsterer, niederer Himmel schwebte das Gebälk der Decke, der Brunn redete neben dem Herd.

Er ritt durch den verwobenen, nordisch kühlen Dunkelwald, eine bergige Landschaft mit Fichten und Laubholz, seine Augen atmeten die Farben, das grüngoldene Dämmerwesen, das brandigbraune Gewölk, die Verschattung des Tales. Manchmal brach durch eine Schlucht die blaue Ferne herein, glitzerte in der Tiefe die Donau. Seine Seele war oft wie ein berauschter, wirbelnder Farbenfleck.

Ihm war, er müsse die Stelle finden, wo er einst mit den Eltern und dem Schwesterlein Imilda auf der Flucht gerastet, wo das braunklare Wildwasser ihm die Augen verzaubert und gesegnet hatte, wo die unvergessliche Blume Himmelbrand, ein goldenes Türmlein, geblüht hatte. Er sehnte sich zurück nach der Kindheit, nach den Stunden des ersten Staunens, wo ihm der Regenbogen noch die Brücke der Engel gewesen, die Wolke noch ein in den Lüften hangendes Schloss, wo seine Gefühle noch keine Worte gefunden, sich darin zu kleiden und zu klären, und darum noch wild und dunkel und herrlich gewesen waren. Wo ihm die Welt noch göttlich und ein holdes Zauberwerk gewesen. Oh, sie war es ihm noch!

Sanfte Linien glitten von den Bergscheiteln nieder, schwangen über weite, einförmige Höhen und versanken irgendwo. Eine taubengraue Wolke drang auf, der Himmel strahlte und donnerte, das Laub gleißte nach dem Regen. Farbensprühend verging die Sonne. Der brandrote Abendsaum verglomm. Der Hirsch trabte nach dem Geäse.

Die schwarzverdüsterten Berge duckten sich, den jungen Mond zu erschrecken und fürchten zu machen. Altdorfer zündete sich ein heiteres Feuerlein an und saß auf einem mit Wasen überwachsenen Stein. Eisenschwarz rollte der Bach vorbei, auf dem Moor regte sich das Gezünsel der Irrlichter. Von droben aber starrte die Unendlichkeit durch die Augen der nie-gezählten Sterne nieder.

Wenn Altdorfer den Wald rauschen hörte, wurde ihm seine Seele verständlicher. Hier war die beruhigende Stille, hier wuchs die Vergessenheit der Welt. Wo bist du, armer Zwist der Zeit? Wo ist Luthers Kampf? Wo des Kaisers Ruhm?

In Altdorfer erwachte die alte Sehnsucht wieder, das Antlitz Gottes zu malen, ihn zu erfassen im Bild, der unbeschreiblich und unumschreiblich war. Anders, als es Dürer in dem stolz gekrönten, ernsten, bärtigen Greisenhaupt Gottvaters versucht hatte!

Wie ist das von ewigem Geheimnis umschleierte Gesicht Gottes? Ist es ein reines Farbengebilde ohne Form? Wie gestalte ich den leiblosen Geist? Hat wahre Schönheit Gestalt? Hat der Himmel, hat der Raum Gestalt?

Du dunkler Mensch, blick auf!

Er schaute zu der Sternenwölbe hinauf, dem gewaltigsten Sinnbild des Höchsten, das den Menschen niederschleudert in die tiefste Abkluft seines Nichts, das ihn steil erhebt über alle Schöpfung und ihn in namenloser Ahnung erschaudern lässt.

Mondenbäche glommen und rauschten. Altdorfer schlief ein und träumte sich in ein Einhorn verwandelt, er ging unter Rehen und Hirschen und schmeckte, wie süß das Gras war.

Vor dem Silberglanz der Frühe wich der Mond zurück. Die goldenen Auen des Morgengewölkes schwammen auf. Das Licht ordnete die Formen der Berge und Felsen, der Blumen und Wellen, entwirrte, was die Nacht verschmelzt hatte, und stellte als einzelnes heraus, was in der Finsternis dumpf ineinander verronnen gewesen. Da glühte eine Sonnenperle am Halm, kauerte ein Föhrenbusch, dort trotzte die Unserfrauendistel, schimmerte bleich der wilde Weiher, starrte die riesige Tanne, die vom Gipfel herab abstarb, oben fahl und dürr, unten grün und rauschendes Leben. Und das mächtige Urgestirn erhob sich. Da erbrauste der Chor der Bäume.

Tiefer ritt er in die Wildnis hinein. Dort waren die Stämme mit Schlinggewächsen schwer umrankt, graue Flechten hingen nieder. Licht flimmerte über feuchtem Farn. Wusch sich nicht dort im Waldbrunn die Elbin das sonnige Haar?

Er bestieg einen Felsen. Weit dehnte sich der Sehkreis. Die Wolke droben änderte flüchtig ihre Form, die Farben wandelten sich mit der steigenden Stunde, zwischen ihrer Klarheit schwebten unbestimmbare Tönungen. Und drunten der ewig in sich hinein raunende Wald, die dunkelgrüne Schweigsamkeit, darein gebettet nur das beschwörende Geräusch eines stürzenden Baches. Ein Rabe reiste mit schweren, tief niederschlagenden Flügeln. Voll dunkeln, unübertragbaren Wissens starrte der Fels den Menschen an.

Das war die große Natur, immer sich selber treu und immer sich selber gleich und doch immer anders, einförmig und tausendgestaltig in dem geheimnisvollen Äußeren ihrer Wesen. Und es war, als sei eine weise Besinnung in der Welt und ein ewig drängender Wille, Formen aus sich herauszutreiben. Und aus jedem Geschöpf predigte der Heilige Geist.

Altdorfers Auge kehrte sich einwärts, er schaute die Unendlichkeit in sich. Und da er die unendliche Seele wieder nach außen kehrte, begegnete er der Natur und erkannte in ihr die Grundmauer aller Kunst. Und die wirkliche Welt mit Nähe und Weite, Licht, Schatten, Farben und Bewegung wurde ihm auf einmal wunderbar durchsichtig, und er sah, was hinter ihr lebte und geheimnisvoll auf ihrem Grund flammte, und Erde und Al! verflossen in ihm zu einem Urgefühl. An seiner Lippe bebte das seltsame Wort: »ALL-EINIG!«

Und er fühlte plötzlich Gott, der als Wolke in den Höhen sich sonnte, in tausend Blüten am Strauch ausbrach, als wilder Vogel niederstieß und stumm im Steine schlief, er fühlte ihn aus sich selber sprechen. Und er erkannte die Welt als das ewige und einzige Antlitz Gottes.

Wer die Welt malt, malt Gott.

Schwer von der Erde, schwer von der Erkenntnis, kniete Altdorfer auf dem Fels vor der freien Unendlichkeit und weitete die Arme in einsamer Sehnsucht.

Und Gott hielt die Welt in seinen Fingern wie ein Zittergras.

 

Er ritt wieder menschenwärts.

Nein, nun wollte er nimmer malen den Heiland im Elend, den gestäupten Gott an der Säule, den Dorn in der Schläfe, oder auf seinem Weg ins Martergebirge, nimmer den Streit des Ritters mit der Flügelschlange oder das Jüdlein David mit dem Schleuderstein und auch nimmer die heidnischen Rossmenschen oder den Meergott mit der Gabel. Er schaute in die reine Landschaft wie in einen beseelten Spiegel.

Jäh zerrte er das Pferd zurück. Auf dem Steig ringelte sich eine Otter. Der alte Hass erwachte in ihm. Er sprang aus dem Sattel, die Schlange zu steinigen.

Aber ihre ahnungslose Ruhe erschütterte ihn, und zum ersten Mal erkannte er in der geformten Schönheit des befeindeten Geschöpfes den Gedanken des Schöpfers und sah es als eine Prägung des Ewigen, eines zeugenden und die Schönheit begehrenden Überwillens, der sich ebenso wie in den Leib des kleinen Grashalmes da und in den Leib des Menschensohnes auch in die schillernde, befremdliche Form dieses Tieres kleidete.

Und ehrfürchtig trat Altdorfer vor der Otter zurück.

In träumerischer Reise baute der Maler in sich Bild um Bild auf, Landschaft mit weiten Ebenen und Meer und hohem Wolkenhimmel, mit Gestirnen und Wäldern. Und den Blick zurückholend aus diesen gewaltigen Gesichten, schaute er die winzigen und einfachen Wesen um sich, Stein und Halm und Biene, und er wusste, dass diese äußerlich so kleine Welt ebenso tief war wie der Kreis der Gebirge und die Sternenbezirke, dass das Weltall und das Stäublein darin gleich schwer wogen, und dass aus dem Geringsten das Unendliche lauschte.

So wurde in ihm eine menschenlose Landschaft, vom feuchten, milden Atem der Donau belebt, schlicht, nur Tanne und Laubbaum, grünes Gekräut, ein paar schartige Bergkämme. Moosiger, wettermürber, gedankenvoll in sich vergessener Fels, steigt aus dem Strupp und weist das uralte, niemals gedeutete Rätselgesicht. Ein hellbrauner Weg zieht den Blick tiefer in das Bild hinein. Das rote Dach eines Waldschlosses, sonst keine Spur des Menschen. Nur sich selber zugewandte Natur, um ihrer selbst willen gepriesen, feiernde Stille, tiefer Raum, freudige Farbe. Nur die reine Gottesschöpfung, demütig gespiegelt in dem Werk des Künstlers.

In Altdorfers Fingern zuckte es, sie verlangten, an die Arbeit zu gehen, diesen Traum zu malen und zu wagen, was noch keiner gewagt, die menschenlose und dennoch beseelte Landschaft, die Natur als herrlichste Offenbarung Gottes.

Er fühlte, wie er Kraft und Wesen und Seele des heimatlichen Donaulandes in sich trug, das Herz pochte ihm in äußerstem Glück, und auf einmal schwebte es vor seinen staunenden Augen aus ihm heraus und in die Höhe der Lerchen und Adler empor, und er schaute die Welt von oben.

 

Fürsten, Adel und Gesandte hatten ihre Wappen über den Toren der Herbergen angeschlagen, die Gassen füllten sich mit Prunk und Tanz, Freudenfeuer loderten, Büchsen donnerten festlich, von den Türmen bliesen die Pfeifer, es tönte von Harfen und Schwegeln, Pauken und Geigen. Die Juristen kauderten allerhand in weitwendigen, abschweifenden Reden. Fremdes Bettelvolk störte die Beter im Dom. Es war Reichstag.

Altdorfer sah den Empfang des jungen deutschen Kaisers Carolus von Hispania. Der Weihbischof trat in blaudamastenem, golddurchwirktem Prunkmantel aus dem Domtor, das schwere Gold daran drückte den zarten Mann fast zur Erde. Er hielt dem Herrscher die Monstranz hin, und Karl küsste den von einer großen Perle gehaltenen Dorn darin, der von der Schmerzenskrone Christi stammte. Karl war auf spanische Art gekleidet, er weilte hinter einem Zaun von Hellebarden. Im Halbgesicht geschaut, mit den schweren Augen und der lässigen, etwas müden Gebärde erinnerte er Altdorfer leise an einen der einstigen Juden Regensburgs.

Der Weihbischof zog dem Mann, der die alte und die neue Welt besaß bis an die Pforten der Pole, den Handschuh aus, auf dass er die heiligen Gebeine mit den bloßen Fingern berühre.

 

Auf unerklärliche Weise hatte Matthias Löffelberger bei dem Kaiser Zugang gefunden. Er schenkte ihm einen chymischen Ring, und Karl steckte ihn an den Daumen, weil die andern Finger zu schmal waren. Der seltsame Ring sollte vor Krankheit schützen und führte in sich ein winziges Uhrwerk, und wenn eine Anzahl von Stunden um war, gab es dem Träger einen zarten Stich. Karl empfand Freude über diesen Schmerz.

Löffelberger nannte sich einen Schüler des Doktors Johannes Faust, der sich zu Speyer freventlich vermessen hatte, alle Wunder Christi zu wiederholen und zu übertreffen.

In einer kleinen Gesellschaft, der auch Altdorfer zugezogen worden war, sollte Löffelberger auf Wunsch des Kaisers den Geist des Eroberers Alexander zurück ins Reich des Lebens beschwören. Das geschah in einem verfinsterten Saal. Im Kamin entwickelte sich dicker Rauch, und der Beschwörer rief mit dreifachem Höllenzwang den Helden aus dem Tod zurück.

Ein Haupt reckte sich aus dem stickenden Dampf, riesenhafte Nachtaugen taten sich nach Jahrtausenden wieder auf und starrten den Kaiser an. Karl schrie auf und sank in Ohnmacht.

Sofort verblich das Geisterhaupt.

Die Fenster wurden aufgerissen, Luft strömte herein. Der Kaiser richtete sich verstört wieder auf.

Lächelnd verneigte sich der Zauberer vor ihm.

 

Anderntags brach Löffelberger ungestüm in die Werkstatt Altdorfers ein und rief: »Evangelizo tibi gaudium magnum. Der bayrische Herzog wird sich von Euch den Alexandersieg malen lassen. Als ich ihn gestern in Geisterbezirke gestoßen hab, ist ihm der Wunsch danach erwacht.«

»Ein kriegerisch Bild?« zögerte Altdorfer und deutete mit stiller Gebärde auf die ruhige Landschaft hin, die noch feucht, doch schon vollendet, von der Staffelei schimmerte.

»Sieh da, welche Vermessenheit!« wunderte sich der Zauberer. »Die Natur selber! Kein Schrätel lümmelt drin, kein Heiliger wird drin gevierteilt, kein Büblein beschnitten, kein pralles Englein flattert hernieder. Ihr habt Euch die reine Natur zur Aufgabe genommen. Schon lustwandelt meine Seele den Weg da in die Tiefe des Bildes.«

Er stand eine gute Weile ratlos und schnüffelte an dem Gemälde. »Ein krauses Wunder! Groß trotz seiner kleinen Fläche! Seltsam! Wie kommt Ihr dazu?«

Altdorfer lachte. »Im Wald hab ich in einem Hexenring geschlafen, da hat mir das Bild geträumt.«

»Ich glaub Euch zu verstehen. Ihr wollt nimmer das Gleichnishafte malen, sondern die Natur ihr selbst zuliebe. Damit seid Ihr der Vortraber einer neuen Kunst. Doch ein Vorreiter im Nebel. Und – wer wird solche Bilder kaufen?«

»Was kümmert es mich?« sagte der Maler trotzig.

»Ihr brecht einen neuen Weg. Ihr habt triebhaft gemalt. Es ist eine Weisheit in dem Bild da, davon, ich hoff es, Ihr nichts wisst«, sagte der Erzsucher dunkel. »Nun müsst Ihr dennoch die Räuberseele Alexanders lobpreisen.«

»Nein. Ihr seht, meine Kunst führt mich andere Straßen.«

»Ei, wollt Ihr nun rastend beharren, weil Euch das da so trefflich gelungen ist? Wollt Ihr Euch gar wiederholen und abschreiben?« spottete Löffelberger. »Dem Künstler darf kein Gipfel genügen. Er muss unruhig und bewegt sein. Er muss auch den Schritt in das alles Menschenmaß Überschwellende, ins Grässliche hinaus wagen. Meister Grünewald hat es getan. Und Michelangelo ist groß, weil er hart gegen sich selber ist. Er hat seinen marmorenen Tod Christi in Trümmer gehämmert, vier herrliche, lebensgroße Gestalten, weil sie ihn nicht ganz befriedigt haben.«

»Ist nur der Künstler erhaben, der nit zufrieden ist mit sich?«

Löffelberger zuckte mit den Achseln. »Michelangelo hat zu mir gesagt, er sei nimmer Fels und noch nit Leib, er werde dereinst, ein Torso, unerfüllt sterben. Er begreift die Ohnmacht aller Kunst. Ihr aber, Ihr satter Mann, mögt tun und lassen, was Ihr wollt!«

Wütend schlug er hinter sich die Tür ins Schloss.

 

Aventin, der einstige Erzieher des Herzogs Wilhelm von Bayern, hatte in seinem fürstlichen Schüler den Wunsch nach der Darstellung der Alexanderschlacht erweckt und dabei auf Altdorfer hingewiesen. Der Herzog wollte das Gemälde in sein Münchner Lusthaus hängen.

Als der sich sträubende Künstler meinte, er sei nun reif genug, um zu wissen, dass Kunst, an eine Bestellung gefesselt, unfrei sei, erwiderte ihm Aventin, Kunst müsse immer dienen, und der wahre Künstler wisse sich die Freiheit auch im Dienst zu wahren.

Altdorfer dachte zurück an die Schlacht bei Wenzenbach, und in blitzschneller Traumschau gewahrte er sich auf der steilen Zinke eines Alpenberges, und in der Tiefe drunten stritten die Völker.

»Ich hab noch nie ein Kriegsbild gemalt«, bedachte er sich. »Der gunstreiche Herzog wird viel reisiges Volk auf der Tafel sehen wollen und nichts anderes. Ist das nit ein nüchterner Auftrag?«

»Es soll alles wachsen aus Euerm Wesen. Drum fürchtet nichts!« beschwichtigte der Gelehrte ihn.

Aventin vermittelte eine Zusammenkunft des Bestellers mit dem Künstler, und als jener großsinnig dem Maler alle Freiheit gestattete, sagte dieser zu.

Aventin riet ferner, die Schlacht bei Issus darzustellen, und schilderte ausführlich den geschichtlichen Vorgang. Altdorfer bewunderte das gründliche und weitausholende Wissen des Freundes.

Von ihm erfuhr er auch das furchtbare Ende Balthasar Hubmayrs. Der ruhelose Kopf hatte leidenschaftlich gegen die Bilder geeifert und, Luther weit übertrumpfend, selbst das Kreuz in seiner Kirche abgeschafft. In Wien war er als Wiedertäufer auf den Scheiterstoß geführt worden. Nachdem der wildhirnige Mann noch bis zuletzt seine Richter als widersässige Teufelsrotte beschimpft hatte, hatte er sich vom Henker ohne Widerstand den breiten Bart mit Schwefel und Pulver einreiben lassen und dazu gesagt: »Oh, salz mich gut!« Singend war er im Feuer gestorben.

In der rauschenden Zeit des Reichstages traf Altdorfer in einer Schenke den Knecht Hundundkatz. Der hatte den Rauferschädel weißhaarig und vernarbt, doch war er noch aufrecht im Rückgrat, und sein wildes Auge blaute noch jung. Er hatte Bräune und Ruhr, Speerstich und Kugel glücklich überstanden. Und der Alte erzählte bunt durcheinander, wie sie bei Rofreit mühsam über die Alpen geklettert, hernach Venedig überwunden, Friaul geplündert und die Last der Beute geschleppt hatten, dass ihnen das Genick gekracht, und wie die hallenden Haufen in Rom eingedrungen, den Papst zu fangen. Seine Rottgesellen seien in roten geistlichen Röcken auf Eseln durch die Stadt gezogen, und er, Hundundkatz, habe vor der Engelsburg dem belagerten Papst zum Schimpf einen heftigen Trunk Weines ausgebracht, und alles habe lachend geschrien: »Der Hundundkatz soll der Papst sein!« Und er gedachte seines Kaisers Maximilian und sagte: »Der Max ist ein rechter Mittendurch gewesen, die Seel allweil fest im Schwung. Aber der Karl jetzt ist ein zaghafter grüblerischer Hintenherum. Max ist noch jung gewesen im grauen Haar. Karl ist heut schon morsch und uralt.«

Er schleuderte eine Handvoll Silbermünzen hin, darauf war San Marco geprägt, wie er dem Dogen eine Fahne reichte. »Da, Gesellen, sauft und singt mir mein Leiblied!«

»Kein Walch soll uns regieren, dazu kein Spaniol!«

»Wir reisen wieder nach Welschland, Albrecht!« verabschiedete sich Hundundkatz. »Komm mit! Wir wollen die Trauben grüßen am Vesuv!«

»Es kommt wohl auch mir die Stund, wo ich das südliche Land schaue«, sagte Altdorfer sehnlich.

 

Während Altdorfer sich sonst gern von Aventin aus dessen verdeutschtem Zeitbuch von der Urfrühe hatte vorlesen lassen, von den heiligen Wäldern, die das ehrfürchtige Volk nur mit gefesselten Händen betreten hatte, und von den Tagen, da die Baiern noch nichts von Jesu wussten und auf Er und Perchta vertrauten und an den Donner glaubten, an Alben und Druden und die drei Fräulein, wollte der Maler jetzt nur das Leben Alexanders erfahren, dessen ungeheuerliche Landnahme er versinnbilden sollte in dem Gemälde der siegreichen Schlacht. Und Aventin erzählte immer wieder von der ruhmwürdigen Tat, die Asien stürzte und bewirkte, dass abendländische Bildung nach Osten sich ausbreitete. »Der Geist des Makedoniers atmet über den Abgrund der Vergangenheit herüber zu uns«, sagte Aventin. »Und heut rumort der Türke vor den Toren des Reiches und rüstet sich, Deutschland das Herz auszubrechen. Ach, hätte doch unsere Zeit auch einen Alexander, der die türkische Gewalt für immer zermalmte!«

Altdorfer füllte nun Blatt um Blatt mit Gruppen kämpfender Männer und Rösser in griechischer Rüstung, Tag um Tag rang er mit dieser Welt. Sie blieb aber steif und leblos. Das, was noch im Gestaltlosen schwebte, ließ sich nicht gewaltsam aufs Papier zwingen.

Er quälte sich ab, zerwühlte sein Gedächtnis, und es war umsonst, das Werk rückte nicht weiter. Er zerknitterte die Entwürfe, die ihm hohl und dürr erschienen. Die Kraft der Gestaltung versagte. Der Sohn des Miniators hatte das All im Kleinsten erlebt, das Gewaltige aber gelang ihm nicht.

Er suchte in den Wolken, im Strom, in der Finsternis, er verhüllte die Augen und lauschte. Er beobachtete seine Träume. Darin belebten sich die Giebelfriese bleicher Tempel: Götter und Titanen, Helden und waffenwilde Weiber erwachten aus dem Schlaf des Marmors und vernichteten sich und die Welt. Mit öder Stirn auffahrend, sah er graues Dämmer um sich und wusste nicht, ob der Tag erst werde oder schon abklinge. Erfolglos verrannen die Wochen.

Doch eines Abends, als er nach langem, suchendem Ausritt auf einem Hügel nahe bei Donaustauf hielt, erfasste ihn der göttliche Augenblick in einem Wachtraum, wie er ihn lebendiger und ungeheuerlicher noch nie geträumt hatte.

Das Haupt betäubt von drängendem Föhn, schaute er eine zerklüftete Wolke in ein solch zürnendes Purpurrot gekleidet, als fahre der Teufel über die verlorene Erde dahin. Und ihn umfasste ein brausendes Allgefühl, und die Ebene jenseits der Donau drunten hub zu schwingen und zu taumeln an und füllte sich mit Reiterschwärmen und Söldnerscharen, die gegeneinander aufbrachen, und das verzauberte Auge des Malers glaubte, jeden einzelnen der unzähligen Ritter und der wie wilde Halmenfelder starrenden Lanzenhaufen genau in Gesicht, Gebärde und Rüstung zu erfassen. Und er schaute auf jagendem Sichelwagen den geschlagenen Perser und sah den Speer Alexanders auffunkeln im Augenblick des Sieges. Und hinter der wogenden Schlacht bauten sich Stadt, Burg, Gezelt und grauenhaftes Gebirg auf, wölbte sich das Meer, hing buchtiges Wolkengestade, hing die Weltfackel Sonne, im kosmischen Kampf gegen den fahlen Mond gestellt, und er selber, der Schauende, schwebte hoch über dem Geschehnis und hörte die Schreie der Männer aus der Tiefe herauf und sah die streitenden Lichte des Himmels unter sich.

Dieses Traumbild mochte nur so lange wie ein den Sehkreis überzackender Blitz gedauert haben, aber es war eingefangen in der Seele des Mannes, der erwachend das stille, abendliche Land der Donau drunten kaum wieder erkannte.

Sein Tier hetzend auf Tod und Leben, sprengte er heim.

Es war Nacht, als er zu Hause anlangte, und doch fand er die Gesandten des Rates bei sich versammelt.

»Du sollst der Kammerer von Regensburg sein«, sagte Hans Portner zu ihm.

Frau Anna stand stolz und glücklich in der Tür und horchte. Sie war ein ehrgeiziges Weib.

Bedrängt von seiner Gestaltenwelt, wies Altdorfer die Männer schroff ab. »Ihr wollt mir das goldene Kettlein des Bürgermeisters um den Hals legen und mich damit binden. Nein!« »Albrecht!« rief Anna bittend.

Hans Portner sagte: »Der Türke ist nahe. Regensburg braucht in gefährdeter Zeit einen Mann. Du bist voll Leidenschaft und dabei klug und verhalten. Du weißt mit Kaisern und Fürsten klug umzugehen. Du kennst die Welt. Nimm das Amt an! Du bist als Bürger der Stadt dazu verpflichtet.«

»Ich stehe unter einer höheren Pflicht«, sagte Altdorfer. Die Gesandten gingen.

Anna kehrte sich mit Tränen der Enttäuschung von ihm ab.

Er aber riss angstvoll, dass die Erinnerung ihm verrauche, mit fliegenden Strichen den ungeheuerlichen Welthintergrund seines Bildes auf, deutete die Gliederung und Bewegung der Scharen an und maß beiden Herrschern ihre Stelle zu. Auf Blätter zeichnete er fiebernd mit Kohlenstift und Kreide die einzelnen Kampfgruppen. Noch schwebte der große Traum wie eine Landschaft in sinnenhafter Klarheit vor ihm.

Dann entwarf er die Einzelheiten, Haltung des Rosses, Gewand und Waffen des Reiters, Prunk der flüchtenden Perserinnen, Burg und getürmte Stadt, Felseneiland. Aber nachbildend fühlte er, dass er die Gewalt und Herrlichkeit des Traumgesichtes nicht erreichte. Da kämpfte er sich grimmig in sein Werk hinein, ergriff verzweifelt die Fetzen der Erinnerung und presste stöhnend die Zähne ineinander.

Der Herbst wurde fahl. Altdorfer zeichnete und zeichnete, er stellte die Entwürfe zusammen und verwarf sie wieder mit elendem Herzen. Er lebte verschollen. Er aß sehr wenig. Er sprang aus dem seichten Schlaf auf, rannte in die Werkstube und klitterte Striche auf das Papier. Oft starrte er bewusstlos in die kupfergleißenden Zeichen des Abends, in die leere Nacht. Die Sterne standen grausam. Wo rollte im äußersten Dunkel des Allraumes die für immer verglommene Sonne?

Tagelang redete er mit seiner Frau nicht. Auf ihre Fragen hörte er kaum hin, er gab sinnlose Antwort.

»Du schleppst dich mit einer Arbeit ab, die dich erdrückt«, sagte sie in Mitleid und Sorge. »So wie du hat sich noch kein Mensch abgemüht.« Sie wies auf die Entwürfe, die ungeordnet die Tische und den Fußboden bedeckten. »Zeichnest du nit allzu viele Gestalten? Sie sind nit zu zählen. Es sind Ameisen und keine Menschen.«

»Es soll sie auch keiner zählen können!« sagte er. Wehmutbefangen fragte sie: »Liebst du mich noch, Albrecht?

Dein Tag ist nur Arbeit und Last. Wo ist die Freude?« »Lass mich!« schrie er gereizt. »Lass mich allein!«

Sie weinte heimlich im Dämmer der Küche. Wenn der Mittag die beiden für kurze Weile am selben Tisch vereinte, wich ihr Blick dem seinen aus. Er war zerstreut und gewahrte nichts.

Er arbeitete wütend. Mit verbissener Gründlichkeit zeichnete er jede Straußenfeder, jede Lanze durch, jeden Turban, jedes Pferdeauge, jede Perle am Nackenkranz der Frauen, jede Zacke des Meergebirges.

Die Tage des verfrühten, nebligen Winters waren wie ein müdes Blinzeln. Ein einziges Mal nur verließ Altdorfer Stube und Stadt. Die Schneeluft tat ihm wohl. Feiner Frosthauch hing über der Donau. Die bleichgelbe Sonne war, als wolle sie sich in Trümmer zerspalten.

Altdorfer wählte das schönste Brett der Pipinslinde. Bei der Malerei für die Minderbrüder zu Regensburg und für die Florianer hatte er zur Grundierung der Tafeln Michael Ostendorfer und andere Malknechte beigezogen, an diesem Bild aber wollte er alle und selbst die nebensächlichste Arbeit selber tun. Er tränkte die raugehobelte Platte auf beiden Seiten mit Leimwasser, ließ sie in der Sonne trocknen und überstrich sie dann wieder und wieder mit einer Mischung von Leimwasser, Kreide und Zinkweiß, bis sie weiß blinkte und tauglich war, die Umrisse der Gestalten aufzunehmen.

Zu Ende des Lichtmessmondes übertrug er die Entwürfe mit Rötet zart auf die Tafel. Die Umrisse zeichnete er mit schwarzer Leimfarbe nach.

Föhnfauchende Nächte. Die gefrorene Donau regte sich, warf die Fessel ab, der Eisstoß knirschte, kratzte, krachte, toste, donnerte. Der Schnee glitt von den steilen Dächern.

Altdorfer malte nun über das Brett eine dünne Lasur und begann die Zeichnung mit Ölfarbe herauszuarbeiten. Da sah die Tafel aus wie eine seiner erhöhten Handzeichnungen auf farbigem Papier.

Draußen ging der Regen still. Der Frühling floss vorüber. Der Sommer. Altdorfer merkte es nicht.

Er malte. Sein Mund war gespannt, die Stirn zerfurcht, das Auge verkniffen. Hungernd nach Schlaf, versagte er sich ihn. Der Kopf schmerzte ihn, als sei eine zwängende Kette um seine Stirn geflochten. Er sprach fast nimmer. Es galt nur beharrsames Schaffen.

Scheu streichelte Anna über seine rastlosen Finger. Er erbarmte sie. Mit zwinkernden Lidern, verwundert schaute er auf. Fast hatte er vergessen, dass er ein Weib hatte. Die gewohnte Nähe entfremdete sich ihm, die Ferne wurde ihm vertraut.

Anna hasste das Werk, weil sie glaubte, er gehe daran zugrunde. Er war wie eine Fackel, die sich selber verzehrt. Er redete oft verworren.

Nachts suchten ihn Fieberbilder heim. Kometen heulten vorüber, Sonnen quollen und quirlten, Gebirge tanzten, Ströme sangen eintönig, Gletscher klangen wie Glocken.

Wie ein Wächter sehnend vom öden Meerturm auf goldene Luftgebilde späht, so war manchmal seine Sehnsucht. Einmal murmelte er: »Wenn ich das Bild fertig hab, reis ich nach Italien.«

Es herbstete. Der Winzer hütete an den Hügeln die reife Rebe. Früchte glänzten. Dann gilbte das Schilf an den Ufern.

Altdorfer saß und malte mit trotzig gewölbtem Mund. Es galt die äußerste Geduld in beide Hände zu nehmen. Das Bild wurde bunt. Über die weißgehöhte Zeichnung legte sich lasuriert die Leinölfarbe, das Fleischhelle der ritterlichen Gesichter, das Blaugrau der Rüstungen, das Weiß der Straußfedern und der Zeltstadt.

Er malte das Schlachtgewühl, vorn die Ritter, dahinter die Fußgänger. Schon glänzte das besonnte Meer auf, wild formte sich das Gewölk. Oft waren Altdorfers Hände vor Müdheit wie abgestorben, und er mußte innehalten. »So ungefähr schmeckt der Tod«, dachte er. »Aber ich lebe. Mein Herz rührt sich. Schon schwindet die Lähmung wieder. Ich lebe meinem Bild.«

Seine Lider röteten sich krampfhaft von dem unausgesetzten scharfen, anstrengenden Schauen. Der Nacken, die Beine schmerzten ihn. Oft meinte er, nun müsse er vor Ermattung den Pinsel fallen lassen. Er versuchte, mit der linken Hand zu malen, aber es misslang. In seine Stirn waren Runzeln wie mit dem Messer hineingeschnitten. Er erschrak vor seinem Bild im Spiegel.

Doch seine Augen, die am Waldwasser gesegnet waren, hielten durch, und er konnte die winzigsten in die Ferne verlegten Handlungen genau malen.

Der düstere deutsche Winter hemmte ihn.

 

Matthias Löffelberger wartete im Vorraum.

Altdorfer trat ein. Sein Gesicht war hager und verfallen, der Mund fremd, gealtert, zuckend, das Auge verstört, an die Unendlichkeit gewöhnt, abwesend, noch ganz bei dem Werk. Er hatte eben an dem grünglasigen, alpisch kühnen, geisterhaft unwirklichen Gebirge des Mittelgrundes gearbeitet, an einer Traumlandschaft, wie sie nie eines Menschen Auge gegrüßt hatte.

»Ihr scheint die Menschen nimmer zu kennen«, sagte Löffelberger betreten. »Wisst Ihr noch, wer ich bin?«

Die entrückte Seele des Meisters fand wieder heim in die Wirklichkeit des Tages. Er gewahrte erst jetzt, dass ein Frühlingsgewitter über die Stadt donnerte.

Sein Gesicht wurde um einen Hauch düsterer. »Ich kenn Euch«, sagte er unbeholfen. Die eigene Sprache war ihm fremd geworden.

»Ich stör Euch, Altdorfer?«

»Ja.«

»Ihr arbeitet an Euerm Ruhm.«

Der Meister sah ihn verständnislos an.

»Altdorfer, Ihr seid krank. Die Arbeit an der Schlacht macht Euch alt, bringt Euch um.«

»Ihr stört mich, bloß um das zu sagen?«

»Nein. Ich will den Sündenfall Loths wiedersehen. Ich hab das Recht dazu.«

Altdorfer nickte gleichgültig. Er führte ihn in eine entlegene Kammer und riss ein graues Tuch von einem Rahmen.

Das blühend farbige Bild schimmerte wie Schmelz.

»Ich muss Euch wieder bewundern«, sagte der Erzsucher. »Ihr habt die Geilheit herrlich versichtbart. Bei Mann und Weib. Und einige Züge meines Gesichtes habt Ihr dabei verewigt. Ich dank Euch dafür. Meinetwegen malt mich als Judas oder als Teufel. Ich bin einverstanden.«

Der undurchdringliche, kühl gelassene Mann, der seine Kräfte fast nur zu einem Nein gesammelt hielt und dabei doch ein brennender erasmischer Geist war, er wollte Altdorfer reizen.

»Schaffet eine Beweinung des Teufels!« raunte er. »Er verdient die Zähren. Denn wer leidet härtere Pein als er in seiner alles und sich selber auslöschenden Verneinung? Beehret seinen Scheitel mit einer glitzernd schwebenden Heiligenscheibe!«

»Ihr verteidigt in dem Teufel Euch selber«, erwiderte der Maler. »Und glaubet doch nit an ihn, wie Ihr nit an den Heiland glaubet.«

Löffelberger grinste. »Im Jahr dreiunddreißig soll man einen harmlosen Schwärmer gekreuzigt haben. Aber hat Jesus Nazarenus dich und mich erlöst? Ist mir der Friede worden? Kann ich an den Gott glauben, den er verkündet hat? Was weiß dieses Bild da von Gott? Was weiß der grelle Blitz draußen von ihm?«

Altdorfer sagte gläubig: »Gott dröhnt im Nichts. Er ist der Ursprung und das Bewegende.«

»Es scheint ein allmächtiger Wille auf dem Weltenei zu lasten und zu brüten. Zum mindesten wähnt es der Mensch, der nach den Gestirnen schaut und in das Harnglas guckt. Doch sagt mir, glaubt Ihr an das, was Ihr da malen müsst um des Verdienstes willen? Nehmt Ihr wirklich den Heiland und die Heiligen ernst? Ist es Euch nicht vielmehr darum zu tun, dass schöngefärbte Kleider mit den grünen Wäldern rings und der blauen Luft und der aufgelösten Ferne angenehm zusammenläuten? Ja, die strengen Pfaffen munkeln mit Recht, dass in Euern Bildern nur Frau Welt gleiße.« Und Löffelberger deutete auf einen schmiedeisernen Buchständer, darauf eine Bibel lag, messingen bespangt und bebuckelt und in helles Hirschleder gebunden. »Ihr seid nicht päpstisch. Ich weiß es. Was seid Ihr denn? Denn Ihr glaubt ja auch nicht an Luther und nicht an Zwingli, die um eitel Wind streiten und sich dabei begeifern.«

»Sind Menschen, ringende Menschen«, unterbrach ihn der Maler.

»Sind grobe, streitsüchtige Dickschädel. Der Luther hat die Schlemmer für sich gewonnen, weil er ihnen den Kelch hinhält. Der Trunk freut den Deutschen.«

Da schlug Altdorfer lächelnd die deutsche Bibel auf und las die weltalltiefen Sätze von Gottes erstem Wort, das, ein Urstrahl, ordnend in die wogende, wirbelnde, verworrene Finsternis eingebrochen war. »Und die Erde war wüst und leer und es war finster auf der Tiefe, und der Geist schwebte über den Wassern. Und Gott sprach: ›Es werde Licht!‹ Und es ward Licht.«

»Ja, leset nur weiter, und Ihr werdet sehen, dass der vergessliche Schöpfer die Sonne noch einmal geschaffen hat!«

»Er hat das Urlicht aufgerufen vor der Sonne«, sagte Altdorfer.

»Und den Menschen hat er aus Dreck gebaut!« rief Löffelberger mit eiskaltem Hohn.

»Verachtet die Erde nit! Und glaubet! Woher käm doch die heilige Kunst, wenn nit Göttliches waltete?«

»Wahn! Wahn! Wahn! Es gibt keinen Gott. Es gibt keine Sünde, keinen Erlöser, kein Gericht! Lebt wohl! Und heut lass ich mir das Bild da mit der Venus und dem Schrat holen.«

»Meinetwegen!« sagte Altdorfer gleichgültig. Der Erzfeind des Abendlandes wob von neuem Krieg. Wie die hunnischen Rossteufel brachen die Türken ein. Das Trauergeheul der Witwen erhob sich. Von den Kanzeln wetterte man gegen Soliman, den allergottlosesten moslemischen Sanherib, der seine Zelte vor Wien aufgeschlagen hatte. Die Reichsarmada war langsam.

Der Stadtbaumeister Altdorfer ließ Ketten zur Sperre durch die Donau ziehen, er verstärkte den Mauergürtel Regensburgs, errichtete die Ostenbastei und die Kreuzbastei, ließ die verfaulten Wehrgänge neu zimmern und die Schanzgräben erneuen und die Zeughäuser mit ihren feuerfesten Kellern und geräumigen Kornböden ausbessern.

Das Gewitter rollte gnädig vorüber. Der Türke musste schmählich zum Abzug blasen. Von der Kanzel frohlockte der Prediger Widmann, Gott habe den stolzen, schnaubenden Feind einen Zaum durch das höhnische Maul gezogen und seiner wüsten Tyrannei gesteuert für alle Zeit.

Altdorfer widmete sich nun ganz seinem Werk, immer wieder überwältigt von Freude über das farbige Sein, von Freude an den tausenderlei Waffen und Zierden der Schlacht, an Bauwerk und Landschaft und dem kämpferischen Vorgang in den Lüften.

Der Herzog erkundigte sich oft, wie weit das Staatsbild gediehen sei. Er war ein ungeduldiger Fürst, und die leeren Wände seines Lusthauses verdrossen ihn.

Anna brachte dem Künstler ein mit den Trauben seines Weinberges bedecktes Zinnrund zur Staffelei. Es war ein gesegneter Herbst. Eintausendfünfhundertzwanzigundneun galten die Fässer mehr als der Wein! Er nahm gedankenlos eine der grünlichen Beeren, kaum dass er empfand, wie sie schmeckte, und malte versunken weiter.

Er malte hier den Helm, dort den Bundhut, Schwert und Spieß hier und dort Bogen und Pfeil, er malte Feinheiten wie Bärte und Schmuckstücke mit weißockeriger Tempera heraus. Die Wasserfarbe gab einen klareren Strich als das Öl. Und wieder ließ er die Tafel trocknen, und wieder hauchte er eine feine Lasur darüber. Unfassbar in seiner Geduld führte er das Win- zigste, das Fernste aus und fügte alles wunderbar zusammen, dass es als lebendige Einheit wirkte, und deckte unermüdlich neue Schichten darüber und rieb, den Pinsel verschmähend, mit fühlenden Fingern die Farbe in die Zeichnung. Und das Bild leuchtete immer kräftiger und edler.

Selten nur stieg er auf seinen Turm. Da war verhaltener, ernster Glanz in den vom feurigen Herbst ergriffenen Wäldern. Ach, wie lange hatte er die Gezeiten des Jahres nimmer genossen!

Einmal nachts begab er sich auf die Brücke. Es war finster, der Mond stand im leeren Schein. Die Brücke tastete mit den rötlichen Lichtern ihrer Türme den Strom ab. Vielleicht kam sie, die Steinerne, Beständige, Unverrückbare in dieser Stunde dem Rätsel des ewigen Gleitens und der ruhelosen Verwandlung nahe?

Als er dem Bild die letzte malerische Überarbeitung gab, ließ er niemand mehr in die Werkstatt, auch Anna nicht.

Jahre waren vergangen. Altdorfer war bei seinem Werk vereinsamt. Er kümmerte sich nicht um die Geschäfte der Welt, im Rat ließ er sich entschuldigen. Er begab sich nur zu den Feuersbrünsten, da er das Löschwesen zu verwalten hatte, er erteilte seine klugen Befehle und schaute dabei, wie in zwei Geister gespalten, der Flamme zu, die gleich einem herrlichen Zweig der Hölle blühte und wilderte und ihren unruhigen Glanz in die Nacht goss.

 

Es war gerade Reichstag, da vollendete Altdorfer den Zusammenprall der stählernen bläulichen Ritterheere und der Rennscharen der Knechte, dessen Getümmel sich unter den flammenden, flatternden Fahnen ordnete in der Ebene der Schlacht. Vollendet waren die Ruinen am Hügel, von Morgenlicht leise an-gerötet, das Zeltlager mit seinen blauen, rosigen, weißen und gelben Tüchern, der in zarter Frühe erschimmernde ölgrüne Berg, die turmreiche deutsche Stadt, das blaue Meer und sein

Gebirge und darüber das wilde Blau des Himmels, von Grau durchraucht, gewitterahnend in düsteren Wolkenwirbeln, Föhnhimmel bairischen Landes, daraus strahlenzückend die orangene Sonne aus feurigem Krater brach und der gehörnte Mond erschreckte. Und in diesem Himmel hing die schräge Schreibtafel mit Wimpel und karminener Quaste wie der Schrei der Weltgeschichte.

Als der Meister von dem vollendeten Bild zurücktrat, wankte er schwindelnd und musste sich an einem Stuhl festhalten. Er sah einen Augenblick lang das strahlenschleudernde Antlitz seines Dämons, und geblendet wandte er sich ab.

Dann aber ruhte das Gemälde weihevoll vor ihm, die Fernen des Erdreiches und die Fernen des Weltalls umarmten sich darin, und alles war ein geronnener großer, wilder Traum, vollkommen, unerschöpflich, wunderbar gegliedert und doch unfasslich. Was in seiner Seele so schmerzlich gekämpft hatte, nun lag es selig vor ihm, außer ihm auf dem Brett, losgelöst und fremd.

Ist es sein Werk, was da wie aus der Schau eines hochhangenden Adlers gemalt worden? Mensch, Erde, Meer, Sonne, der feuerwirbelnde Himmel, der sich zuletzt eiskühl ins luftlose Nichts verflüchtigt, alles, alles unter ihm! Durch die Klüfte des Gewölkes fuhr der Blitz schaudernd ins Unendliche.

Ein Wort klang dem Mann herüber aus der Tiefe der Kindheit. Du sollst schauen, was vor dir noch niemand geschaut hat!

Anna durfte das Bild zuerst sehen.

Sie starrte atemlos auf das stahlblaue Gewoge der Ritterschlacht, auf die Eilande und Vorgebirge, die in furchtbarer Kette dem Meer begegneten, auf den Aufruhr der Höhen und die aus unendlichem Trichter schrecklich hervorstoßende Sonne, die die Tiefen ahnungsvoll in Blut und Gold tauchte.

»Ich – fürchte mich davor«, stammelte sie.

Der kämpfende Himmel, in dessen Wirrsal der geordnete Streit der Heersäulen drunten sich gewaltig spiegelte und sich übersteigerte im Grenzenlosen, er warf sie fast zu Boden. Ihr war, Altdorfer habe keine Ehrfurcht vor den Schranken, die dem Menschen gesetzt sind.

»Was hast du? Was fehlt dir? Du bist blass. Bist du krank?« fragte er bestürzt.

»Nichts! Nichts! – Albrecht, ich fürchte mich – vor dir!« flüsterte sie.

Doch als sie den Gatten sah, grau von der Stubenluft, wie um Jahre gealtert, mit verirrtem Blick, erschöpft, da erbarmte er ihr. »Gott sei Dank, dass es vorüber ist!« rief sie.

»Ist dir der Himmel zu unruhig?« fragte Altdorfer.

Und er erkannte jäh, dass das unruhige Blut seines Vaters dieses Gemälde durchströmte.

 

Aventin betrachtete erschüttert die Schlacht, daraus der wilde Atem der Weltgeschichte stieß.

»Das ist unbändig und doch mit weiser, gezügelter Kraft und aus einer nur Euch eigenen Art des Geistes heraus geschaffen!« rief er. »Ihr seid deutsch. Denn was Ihr tut, tut Ihr ganz aus Euerm Wesen heraus.«

Er faltete die Hände. »Und Gott sah, dass es gut war. In diesem hohen Sinnbild preiset Ihr den Sieg der Deutschen über Soliman. Vor der Sonne des Abendlandes weicht der türkische Halbmond. Das ist die Stadt Issus, das sind die Berge Kilikiens und die Pässe, die Syrischen Tore genannt. In der Küstenebene zwischen Gebirg und Meer ist die Walstatt gewesen. Ihr seid der Wahrheit gefolgt, Altdorfer. Und wie wisset Ihr die Zwietracht der Dinge zu bändigen, das Gottgeistige und das Weltgeistige! Ihr seid aber über das Geschick der Völker hoch hinausgeschritten. Ich nehme die Menschheit wichtiger als Ihr. Euch sind die Völker nur winzige Splitter des Alls.« Und in sich mehrender Erkenntnis fügte der Gelehrte hinzu: »Ihr habt anderes dargestellt auf dieser Tafel, als der Herzog bestellt hat. Es ist keine bloße Landsknechtsrauferei. O wie arm bin ich. Ich staune nit einmal mehr über das Wunder des Regenbogens; ich fühle nimmer, dass alles um mich Zauber ist!«

Begeistert kehrte Aventin von sich wieder zu dem Bild zurück. »Altdorfer, wie groß offenbart sich die deutsche Seele in Euerm Werk! Wie stößt es bis zu den letzten Gründen hinab!

Und Ihr habt nichts vergessen: es ist Erdgeschichte, es ist Menschheitsgeschichte, es ist Bewegung des Weltalls! Was wird der Kaiser dazu sagen?«

 

Michael Ostendorfer umarmte den Meister. Er schrie: »Von wo aus habt Ihr das gemalt? Von jenem Standplatz aus ungefähr mag Gott seine Schöpfung übersehen, das Kleinste und das Ganze!«

Er stellte sich ganz in die Nähe des Bildes, blinzelte es an, zählte die Perlen auf den Nacken der Frauen und Töchter des Dareus, sprang wieder zurück und genoss alle Weite und Geschlossenheit. »Eine Landkarte!« rief er, auf die bläulichweißen, wie vergletscherten Berge weisend. »Ein Wunder! Ihr seid in das Geheimnis Gottes eingebrochen. Ihr haltet fest, was an Licht und Farbe unabwägbar in der Luft schwebt!« Und die unendliche .Mühsal der Kleinmalerei erkennend, sagte er: »Altdorfer, Ihr seid der fleißigste Mann auf Erden. Ihr habt Euch nichts geschenkt. Ihr habt mit tausend Augen alles gesehen, dem Argus gleich. Nur ein Wahnwitziger würde es versuchen, dieses Bild getreu nachzumalen. Und welch ungeheure Tiefe des Raumes! Die Ferne ist unerzeichbar fern. Man könnte hundert Jahre hineinschreiten und erreichte das Ende nit.«

 

Ostendorfer kündete in der Stadt aus, dass das Gemälde Altdorfers endlich in unerhörter Pracht vollendet sei.

Der Herzog Wilhelm stürmte herein. Er freute sich des strahlenden Besitzes dieser ritterlichen und höflichen Schlacht, die da ohne Rohheit ausgekämpft wurde; er entzückte sich über die speerstarrenden, unzerreißbaren Ketten der Fußkämpfer, über die rennende Phalanx, die, von den nachdrängenden Massen unwiderstehlich geschoben, alles Hemmnis vor sich niedertrampeln musste.

»Will's Gott!« rief der Baier. »Ich hör schier die Geschwader dröhnen und die Stangen splittern. Und so grausam viel Volk! Das hätte Kaiser Max noch erleben sollen! Wo habt Ihr das alles erluchst, Meister? Ihr malet, als hättet Ihr in diesem Treffen mitgestritten!«

Landschaft und Himmel reizten ihn wenig zur Betrachtung, sie dünkten ihn nur Beiwerk, dem ein Maler nicht ausweichen kann. Umso mehr staunte er über den Prunk der federbuschwallenden Reiterei, über Rüstungen und Rösser, über die bunte Menge der Waffen, über das zeltschimmernde Lager, über die Art des Angriffes und besonders über den Sichelwagen, darauf der Perser in die rote Ernte gefahren war. »Wie viel Streiter habt Ihr gemalt?« wollte er wissen. »Zehnmal zehntausend?«

Der Herzog dankte freudig dem Künstler. »Morgen wird das Bild zum Kaiser getragen. Er soll mich darum beneiden! Was vermögen seine Flamen und Spaniolen gegen Euch, Altdorfer!«

Matthias Löffelberger drang fast gewalttätig in die Werkstatt. Sein Gesicht verzerrte sich vor dem Bild. Er schwieg eine Weile ratlos und überrumpelt und schien nach Mängeln zu suchen.

»Welch kühne Nasen unter den Helmen!« spottete er dann. »Alle Gesichter da sind gleichgültig, keines ist in Wut oder Qual erregt. Und Alexander mit seinem Gefolge? So reiten Brautleute, nicht Männer, die die Welt erobern. Und keine Sterbenden, keine Toten! Ist der Herzog damit zufrieden? Wahrlich, Ihr könnt doch keine Menschen malen! Ihr habt Euch um ein Puppenspiel bemüht. Ihr bleibt der Miniator!«

Altdorfer wandte sich von dem Beleidiger ab. Sein Herz war nicht getroffen worden.

Der Alte lauerte das Gemälde genauer an. Er begann stockend: »Gewiss, ich leugne nicht, Ihr versteht in Farben zu zaubern. Ihr habt das Bild in der neuen Art gemalt. Aber es schillert ein geheimer Unterstrom darin. Ihr wollet nicht nur Farben mitteilen. Ich erkenne jetzt: das Heldentum ruht hier mehr in Gewölk und Sonne als bei den Kriegern. Ihr seid ein verwegener Meister. Ihr wagt Euch in den wilden Wald hinein und ins Unendliche hinaus. Eine tolle Schilderei! Ihr möchtet wohl am liebsten lauter Feuer malen? Und die Fernen! Ich überschaue auf dem Bild da, wie sich die Erdkugel krümmt. Was Ihr da bekennet, Altdorfer, die Kirche verdammt es. Und Ihr preiset nicht die Eroberer, Ihr singet dem Weltall Euer heidnisch Lob!«

»Die Welt als Schauplatz Gottes«, sagte der Maler still.

»Ja, an dem Treiben der Menschen lernt Gott immer wieder Neues«, murmelte Löffelberger. Von der überschwellenden Fülle des Werkes betäubt, suchte er es sich zu ordnen. »Da unten im Schatten kämpft die Zeit, darüber schwebt die Sehnsucht in die irdischen Fernen, und droben stürmen Al! und Ewigkeit. Alles habt Ihr wunderfein erwogen und eingeteilt, der obere Teil und der untere fallen nicht auseinander. Über alles aber, Ihr stürmischer Meister, stellt Ihr den wilden Lichtkampf, die tödliche Tiefe des widerglänzenden Weltalls, und – o furchtbar! – das brausende Nichts hangt über allem Kampf, über aller Bemühung der Menschheit!«

»Ihr deutet das Bild in Eurer Art«, widersprach Altdorfer. »Ich erkenne darin die Einheit des Alls.«

Als er sich nach diesen Worten umkehrte, war Löffelberger verschwunden, als wäre er in die Wand gefahren.

 

Altdorfer wurde in die Malteserburg berufen.

Man führte ihn in einen weiten, hellen Raum, dort saß der Kaiser in einem Armstuhl und unterhielt sich eben mit Aventin, wobei er mehr der ausforschende Horcher zu sein schien. Aus seinem Gesicht sprach eine fast greisenhafte Klugheit, es war weltsatt. Selten hob er den Blick vom Boden.

»Die Geschehnisse sind das bunte Gewand der Zeit«, sagte Aventin. »Und so schreib ich die Geschichte meiner Baiern in unserer uralten deutschen Rede nieder und will die verwucherte Vergangenheit klären und heller hinleuchten auf die vergrauenden Inseln der Vorzeit, ehe sich alles verspinnt in unbeweisliches Gerücht und Sage.«

»Warum schreibt Ihr nicht lateinisch? Warum in Eurer hölzernen Waldsprache?« fragte Karl.

»Ich bin ein Diener der Wahrheit, Majestät. Wir lateinern viel zu viel herum, und das Volk gewinnt nichts im Geist. Das Volk soll seine Geschichte lesen können, dass es erfährt, woher es kommt.«

»Das frommt dem niedern Volk nicht. Auch die Bibel hätte nicht verdeutscht werden sollen!«

Aventin wagte nun zu sagen: »Euer Großvater, der gottselige Kaiser Maximilian, hat die deutsche Sprache geliebt und sie geehrt und darin gereimt.«

»Mein Ahnherr ist nicht mein Vorbild«, sagte Karl kühl.

»Er ist wert, dass ein Herrscher ihm nacheifere«, sagte Aventin kühn. »Er ist tapfer und redlich gewesen und hat es mit uns Deutschen herzlich gut gemeint. Bei allem fürstlichen Hochmut, womit er über den gemeinen Mann hinweggesehen, ist er dem Volk doch nahe gewesen, und es hat ihn heut noch nit vergessen.«

»Wollt Ihr damit erinnern, dass das Volk in mir den fremden Spanier sieht?«

»Bei Gott, nein!« sagte der Gelehrte betreten.

»Mein Ahn war dem Volk mehr der Abenteurer, der verstiegene Gemsenjäger als der kaiserliche Herr. Er hat allzu viele Pläne entworfen und allzu viel geträumt. Er hat den Beizfalken steigen und angreifen lassen, er hat sich Hofnarren und Hofweise gehalten –«

»Ja, er hat mich gern bei sich gesehen«, murmelte Aventin.

»– er hat bei Turnei und Schlacht darein geschlagen und gestochen, er hat gemalt, lauteniert, gereimt, gebaut, Heiraten vermittelt, alles gefördert und niemals Geld besessen. Ich bin anders. «

»Ihr müsst anders sein, Majestät, denn Eure Zeit ist anders. Kaiser Maximilian ist einfach und gerade gewesen wie ein Schwert. «

»Er hat es leichter gehabt als ich.«

»Die Welt ist verändert. Seit dem Tod Eures erlauchten Ahnen ist der Magellanische Sund durchfahren und die Welt umsegelt worden. Euer Reich dehnt sich über die ganze Erde. Und Luther hat zu reden angefangen, wie sich die Flügel des Adlers auseinanderfalten.«

Der Kaiser zuckte zusammen. »Der Luther! Dieser Wortfechter! Alle Wunder will er wirken.« Spott umwitterte die dünnen Lippen. Dann aber herrschte er den Gelehrten an: »Ihr schwätzt wie ein offener Lutheraner.«

Aventin schüttelte den grauen Kopf und entgegnete: »Ich bin katholisch.« Dann fuhr er freimütig fort: »Ja, Eure Zeit ist anders, doch nit gut. Hispania ertrinkt in Gold, Haus Habsburg wird reich, doch Deutschland geht nieder. Und wenn ich jetzt meinen Urbericht über das bairische Volk schreibe, will ich damit die Fürsten warnen.«

»Wie, wollt Ihr mich belehren?« sagte Karl schneidend. »Soll ich müßig zuschauen, wie der Luther mein Reich toll macht?«

Aventin, dieser Mann voll Zucht und Weisheit, vergaß sich und polterte grobbairisch darauflos: »Was hat Euch der Wittenberger zu bekümmern? Der Papst soll es allein mit ihm ausfechten! Wollt Ihr Krieg mit Luther führen und Deutschland gegen Deutschland treiben? Soll deutsches Blut daran?«

Karl erhob sich stumm, trat ans Fenster und sah hinaus.

Aventin errötete tief und sagte: »Ich weiß, in der Nähe der Gewaltigen muss entweder die Wahrheit oder die Gunst daran. Doch zürnt nit, Majestät, wenn ich alternder Mann Euch etwas erzähle. Heut bin ich vor dem Römertor stehengeblieben. Wo ist das stolze Weltvolk, das dieses Tor errichtet hat? So hab ich mich gefragt. Die Zeit ist geschwind, der Mensch verweht, Kronen fallen von gesalbten Häuptern. Kaum dass der Stein dauert und Zeugnis gibt. Der Atem der Gerechtigkeit geht langsam. Selig der Fürst, der ein frommes Andenken hinterlässt!«

Der Kaiser am Fenster regte sich nicht.

Aventin verstand. Er nickte wehmütig und ging.

Karl ließ sich wieder auf dem Stuhl nieder, ihn fror in seinen hermelingefütterten Ärmeln. »In Spanien ist es wärmer«, sagte er. »Meister Altdorfer, man hat mir berichtet, dass Ihr brennende Farben wählet, schönere als Dürer. Sagt mir, wie haltet Ihr es in dem grauen Regensburg aus?«

»Herr, es ist meine liebe Heimat.«

»Seid Ihr schon einmal südlich der Alpen gereist?«

»Nein. Jetzt erst, nachdem das Gemälde fertig ist, will ich hin.«

Diener brachten das Bild der Schlacht herein und stellten es auf den Wink des Kaisers auf eine Truhe. Es leuchtete in der Sonne.

Der Herrscher betrachtete lange die wildbeseelte Landschaft und besonders die Gestalten der zwei großen Gegner.

Mit langer Lanze jagt Alexander den Großkönig vor sich her. Dareus weicht in edler Schmerzenshaltung dem ungeheuren Verhängnis, das Haupt forschend, staunend zurückgewandt, Ehrfurcht gebietend noch im äußersten Unglück, während sich die Flucht seiner Lakaien feig und würdelos vollzieht: sie peitschen in die Rosse, um im Staub des Rückzuges zu entkommen und ihr unbedeutendes Leben zu retten. Unter dem Goldschirm wendet der von den Göttern Verworfene schwermütig das Antlitz gegen den Glücklicheren zurück wie in der weisen und düsteren Erkenntnis, dass dem Glück der Fall folge, und es war, als überwinde er in sich das eigene elende Los und trauere schon um den Sieger.

Das kühle Gesicht des Kaisers bewegte sich nicht. Einmal hüstelte er. Er schmiegte sich schaudernd in sein Wams.

Was ging in ihm vor? Erfasste er den Adel des Siegers, den Adel des von einem wilden Schicksal verletzten Persers? Sprach ihn die Tiefe der Welt aus den Farben an?

Weile um Weile verrann. Der Kaiser schwieg.

Da raffte Altdorfer sich auf, seine Stimme war stolz und glühte. »Majestät, es ist ein deutsches Werk!«

Der Kaiser erhob sich und winkte.

Der Künstler war entlassen.

 

Warum hat Euch der Kaiser wortlos weggeschickt?« fragte Aventin nachdenklich den Maler. »Was Ihr als Einheit in Bäumen, Menschen, Bergen, Wassern, Wolken, Gestirn und Raum ahnt und schauet und in dem ungeheuren Wort ›Weltall‹ zusammenbindet, ist es ihm fremd? Beleidigt es ihn? Ihm ist der Mensch die gewaltigste Form, die je der Staub angenommen.«

»Niemals will ich die Taten der großen Männer und Völker erniedern!« verteidigte sich Altdorfer.

»Ich habe den Kaiser gereizt, und in seiner übeln Laune missfiel ihm wohl auch Euer Bild. Aber Euer Werk steht hoch über der Laune der Gekrönten, es bleibt ein ewiger Besitz der

Nation: und einst wird man in Deutschland sagen: ›Welch ein Geist hat unter uns gewohnt!‹«

Errötend wehrte Altdorfer das Lob ab.

Der Gelehrte fuhr fort: »Ihr und ich, wir suchen das Sternbild der Wahrheit. Der Kaiser aber, ein bevorzugtes Kind des Glücks, nicht durch eigene Kraft, nicht durch ein kühnes Wagnis wie Alexander hat er die Welt an sich gerissen: er ist in einer fürstlichen Wiege gelegen, und der Fugger hat zahlen müssen, dass er Kaiser worden ist. Und dieser Kaiser von Fuggers Gnaden ahnt nicht, dass es lebendige und sehnsüchtige Völker gibt, er kennt nur sein Haus und ehrt die römische Kirche als Stütze seiner Macht. Gestern hab ich ihn warnen wollen, er möge nit auf das Gold der Neuen Welt bauen. Schnellen Gewinn nimmt der Wind hin. Ich wünsche meinen Deutschen, sie mögen in harter Mühsal und oft gefährdet ihre Güter sich erarbeiten und in Kraft sich bewahren. Das ist gesund und dauert an. Der Kaiser hat sich heut nit großherzig erwiesen. Aber«, so schloss Aventin, von plötzlicher Bitterkeit erfasst, »es ist einmal so: in allen Zeiten, ob im Altertum, ob jetzt oder in später Folgewelt, es begegnet uns immer wieder der Mensch.«

»Was beginn ich nun?« fragte Altdorfer. »Das Bild ist vollendet.«

»Ihr reiset jetzt nach Welschland.«

»Ach, Aventin, man reimt sich in der Einbildung manches hübsch zusammen, das Leben aber verhindert es.«

»Was hält Euch in Regensburg fest, Meister?«

»Meine Hausfrau kränkelt. Ich will sie nit verlassen. Und die Stadt braucht meine Dienste, ich hab mich ihr allzu lange entzogen. Ich bin Ratsherr und städtischer Baumeister. Und der Türk wird gewiss Wien noch einmal berennen und ins Land der Baiern einfallen.«

»Ihr tut mir leid«, sagte Aventin.

Doch der Maler richtete sich plötzlich hoch und rief: »Wehe der Sehnsucht, die sich erfüllt!«

Der Gelehrte wiegte sinnend den grauen Kopf. »Und doch wünscht sich jeder sein kleines Glück. Seht, ich will in meinen alten Tagen ein Weib nehmen, sie soll mein verworrenes Hauswesen instand halten. Auch möcht ich nit ohne Leibeserben hingehen. Mein Leben ist unstet gewesen. All mein Zeit bin ich von Stift zu Stift, von Stadt zu Stadt in Baiern gewandert, hab in den Altertümern und Buchkammern den uralten Staub aufgewühlt, hab die Urkunden durchforscht, die Inschriften von Steinen und Bildsäulen sorgfältig abgeschrieben und alles, was gedächtniswürdig ist, mir angemerkt. Jetzt will ich beschaulich meine Chronika zu End bringen und mir hier in Regensburg am deutschen Nilus ein Haus kaufen.«

»Wie will ich mich Eurer Nachbarschaft freuen!« rief der Maler. »Denn Ihr wisst, ich lebe sehr einsam.«

»Ihr habt Euch. Ihr habt Euer Werk, Altdorfer. Der Mensch soll Gott helfen, das Licht ausbreiten. Ihr habt es getan. Ihr habt eine neue Lichtwelt geschaffen.«

 

Altdorfer kaufte außerhalb der Stadt in der Witholzgasse, wo der Eisenheilige Leonhard in seiner Kettenkirche prangte, ein Haus mit gotischem Doppelgiebel und Steintür, mit geräumigem Garten und in freier Lage: Von dort flog der Blick gegen Prebrunn und dessen Schloss. Der Maler wollte in der schönen Jahreszeit inniger mit der Natur leben.

In der leidlosen Welt des sicheren, milden, heimlichen Gartens schien sich Anna wieder zu erholen. Sie saß mit dem Gatten vor dem Brunnenspiel unter dem Kirschbaum, der, eine weiße Maienfackel, hellauf brannte, unter dem dämmerigen Welschnussbaum, im Schatten der Früchte. Falter umwirbelten einander im Wohlgeruch, die Immen besuchten den Klee und die schönen Wilddisteln. Auf den buchsumrandeten Beeten blühten Akelei in mancherlei Farben, das gelbe Löwenmaul, Iris und Lilie, der süßgrelle Mohn, die feurige Nelke, die Kornblume. Aus leisem Gras erhob sich der Zierat der Rose, des Goldregens, die bläuliche Wolke des türkischen Flieders. Im Arzneigärtlein pflegte Anna Hustenkraut und Gelbsuchtwurz. Jungen Bäumen waren köstliche Reiser eingeimpft.

Der Garten führte aus der Welt hinaus in einen linden Frieden.

Zuweilen gingen die Eheleute zur nahen Donau hinab und überraschten die taugerüstete Frühe.

An den verrunzelten Kopfweiden hingen nach alter Sage die Seelen der ungeborenen Kinder. Die kinderlose Frau lauschte trauernd in das feine Säuseln.

Auch Altdorfer brauchte den Frieden des Gartens. Als er den großen Wurf seiner Alexanderschlacht vollendet hatte, war er ratlos geworden. Der ewige Reigen der Bilder, der sein Herz ruhelos selig gemacht hatte, war versiegt. Eine böse Leere war in ihm gewesen. Es war gewesen, als sei er erblindet.

Jetzt aber fühlte er es wieder leise in sich wachsen. Und auch aus der Verzauberung seines Schaffens hatte er wieder menschlich heimgefunden zu seiner Frau.

Doch währte das Glück nimmer lange. Die friedliche Schönheit der Erde und die Liebe des Gatten konnten ihre müde Seele nimmer halten.

Einmal in der Nacht erwachte er aus einem Bautraum, eine finstere Wölbung war über ihm eingestürzt. Er lauschte auf. Hatte Anna nicht angstvoll gerufen?

Sie schlief nicht. Sie griff nach seiner Hand und legte sie auf ihre heiße Schläfe. »Wie gut! Wie kühl!« flüsterte sie.

Er erhob sich in Sorge. Arzneigläser blinkten im Licht der Kerze.

Sie schlummerte wieder ein. Ihr feiner, gelassener Atem wehte noch eine Weile. Sie schlummerte ahnungslos in den Tod hinüber.

Altdorfer erkannte plötzlich, dass es vorüber war.

Er legte ihre Hand an seine Brust. Die Tränen erkalteten an seiner Wange. »Jetzt bin ich allein!« dachte er. Und der Boden schien unter seinen Füßen zu weichen.

Unbewusst öffnete er das Fenster. Es regnete draußen: Der Wind stöhnte durch das verödete Haus.

Hernach blinkten wieder die Sterne und eine angeleuchtete Silberwolke, der hohe Hausrat der Nacht. Altdorfer schaute mit umschleiertem Blick hinauf.

Der Morgen begann müde und grau wie ein Abend.

Da standen das eschenflammige Gerät, die Becher am Brett, die Zierteller, alles sinnlos. Und der Mann erinnerte sich, wie Anna ihm Blumen neben die Staffelei gestellt hatte, dass er sich daran freue. Erloschenes leuchtete ihm in holderem Licht auf. Unwiederbringliches.

Ach, dass er keine Kinder hatte! Der Schmerz grellte ihn wie ein flammender Gletscher an.

Er suchte sich zu trösten. »Was Gott mir verhängt, ist göttlich. Also auch meine Menschennot.« Aber dieser Gedanke tröstete jetzt nicht.

Im Bett ruhte der aufgelöste Leib der Geliebten; ihr Antlitz, dem Irdischen traumhaft und weit entrückt, war sehr bleich.

Altdorfer griff nach einem feinen Pinsel und malte ihr ein ganz zartes Rot an die blassen Wangen, und er weinte dabei voller Reue, und er wusste doch, dass alles so hatte kommen müssen.

Er öffnete ihr Schleierkästlein und legte eines der lichten, linden Gewebe behutsam über die Sternengelandete.

Er schaute in sich zurück. Ach, was bleibt dem Menschen außer seinem Herzen?

 

Es währte Monate, ehe Altdorfer wieder malte.

Seine Seele kehrte nach dem Prunk des Weltbildes innig in ihr Innerstes zurück.

Er malte aus der Erinnerung heraus die Frau, die sich aus dem Licht zurückgezogen hatte. Er malte sie als Maria in der Verklärung.

Hinter ihr im Flammengold der Ewigkeit schwebten die Chöre der Seligen, neben ihr blühten entzückte Engel. In der Tiefe drunten der Friede der Erde, eine reiche Berglandschaft, ein heller Palast, ein wilder Baum, und die Donau, darauf er der Geliebten zum ersten Mal begegnet war. Die fernen Alpen. Und Licht! Licht! Licht!

Annas Haupt, darin alle Anmut und Treue der Welt vereinigt war, warf einen goldenen Schatten. Und auf dem Schoß der Kinderlosen stand das göttliche Kind.

Matthias Löffelberger war verschollen. Ein Gerücht kündete, der alte Höllenfreund sei, als er unweit der Hundsmühle den Teufel in einer wüsten Scheuer vorgeladen habe, von ihm zerfetzt worden.

Hundundkatz machte damals den Maler mit einem Abenteurer bairischer Abkunft bekannt, einem der namenlosen Söhne des Glücks, der selbst das umstürmte Horn Südamerikas umfahren hatte und jetzt heimgekehrt war, vom Zauber wunderbarer Gerüchte und wilder Schicksale umwittert, wie man sie nur in der äußersten Fremde erfährt. Zumpermayer war ein Kerl mit schwarzem, dickem Gewaltsbart und gebaut wie der große Christoffer, in seinen riesigen Armen hätte er Bären tot-pressen können, aus seinem zerrissenen Gesicht redeten Raufereien in allen Erdstrichen, aber aus seinen Augen lachte ein Kind.

Es war in einem Weinhaus. Von dem ungestümen Gesöff erregt, küsste Zumpermayer mit seinem struppigen Mund die Schenkmagd, dann lümmelte er sich neben Altdorfer hin, den er für einen Weinzierl zu Stauf hielt, strählte sich den Bart mit den klobigen Fingern, fletschte die starken, gelben Zähne und flunkerte: »Mit Karavellen wollen wir zum Mond fahren und ihn belagern und erobern für Karl Quint. Oder für den, der besser lohnt.«

»Herr Mondadmiral Michel, erzähl uns von der Insel Peru!« stieß ihn Hundundkatz an.

Da redete Zumpermayer, wie sie, ihrer dreihundert frecher Knechte, das Machtreich der Inkas umgestoßen und Schätze erbeutet hatten, wie sie kein Kaiser geahnt hatte.

Zu Cochiquo stand auf einer Anhöhe in einem blühenden Garten ein zyklopisches Werk, aus wuchtigen Hausteinen getürmt: der Tempel der Sonne. Innen und außen war er mit gehämmerten Platten aus reinem Gold bekleidet, und er grellte im Licht der wolkenlosen Tage. Inmitten des Tempels hing eine gewaltige, runde Goldscheibe, darauf war das sanfte Gesicht des Sonnengottes abgebildet, umkränzt von fremden Edelsteinen, aus den Schächten Perus geholt, und dieser kostbare Zierat, der köstlichste wohl der ganzen Welt, Abbild der Sonne, die ihn zu gewisser Zeit durch ein Fenster anstrahlte, war dem Auge des Menschen ebenso unerträglich wie die nackte Sonne selber. Und im Kreis um diese Scheibe saßen auf goldenem Gestühl die verdorrten Leichen der Inkakönige, die ernsten Gesichter noch nach dem Tod in Scheu gesenkt, die Arme über die Brust gekreuzt, in unerhörtem Prunk mit Perlen übersät, dünne Goldplättchen über den eingetrockneten Augen, die seidebeschuhten Füße auf goldenen Schemeln.

»Der Bock streif mich!« schwur Zumpermayer. »Ich hab die heidnische Monstranz erbeutet, hab sie mit dem Schwert in heißer Rauferei behauptet gegen die neidischen Gesellen, einen Zentner schwer ist sie gewesen. Aber zur Nacht am Feuer rennt mir der Teufel überzwerch, und ich würfle. Da hab ich das goldene Sonnenbild in einer Nacht verwürfelt.«

»Du toller Schnarcher!« schalt Hundundkatz. »Und wem gehört die Scheibe jetzt?«

»Ist ein unheimlicher Kerl gewesen, ich kenn ihn sonst nit. Er hat vorgegeben, er wüsst alle Erdschätze Perus, hat Bücher und Landkarten gezeigt, wir haben sie keiner verstanden. Das Gold ist ihm beim Würfeln schier zugeflogen. Gefaselt hat er, er will die peruanischen Berge schmelzen, dass das eitle Gold herausrinne. Er ist auch ein Gotteslästerer gewesen, die Zung hätt man ihm herausschneiden sollen. Doch haben wir Knechte ihn als Narren geachtet.« Also brodelte Zumpermayer.

»Und was ist weiter mit ihm geschehen?« wollte Hundundkatz wissen.

»Vielleicht klopft er jetzt just an die Höllentür«, lachte der Gewaltbart. »Einen Schädel hat er wie der linke Schächer und über der Braue ein haariges Mal.«

Da fragte Altdorfer: »Heißt er nit Matthias Löffelberger?« »Der Bock streif mich. So heißt er!« rief der Landsknecht überrascht. »Wie kannst du das wissen?!«

Und er rückte von Altdorfer wie von einem Hexerich weg.

 

Aventin war in seiner Weltfremdheit mit einem ungestümen Weib verkuppelt worden. Er zeugte mit ihr Kinder. Doch war es eine böse Ehe.

Sie suchte seine Schriften und Pergamente in die von ihr gewünschte Ordnung zu bringen, und als er ihr dieses sanft verwies, erboste sie und schalt ihn einen Wust, einen Büchernarren, und wurde dem alternden in sich vergrabenen Gelehrten stechend feind wegen seines kühlen, wässerigen Blutes. Die beiden hatten schließlich nichts mehr gemein als den Raum, den sie miteinander teilen mussten. Von dem gallsüchtigen Weib aufs tiefste beleidigt und erniedrigt, zog er sich zurück von seinen Freunden, die Augen erstarrten ihm, die Stirn wurde ihm schneeweiß. Und auch sonst war er vom Unglück verfolgt. Als seine große Chronik vollendet war, verhinderten seine geistlichen Feinde, dass sie im offenen Druck erschien. .

Nach einer Reise von Ingolstadt heimgekehrt, erkrankte der trübsinnig gewordene Mann, und sein Leben verfiel rasch.

Als Altdorfer den Sterbenden besuchte, streckte sich ihm eine magere, wirrgeäderte Hand entgegen. Verschrumpft und zaghaft lag Aventin im Bett, und der Maler musste an Christum denken, wie er als Mensch in völliger Einsamkeit und von allen verlassen geweilt hatte.

»Mit mir ist es traurig bestellt«, klagte der Gelehrte. »Was nimmt der Mensch mit ins andere Land? Ein paar Hobelscharten unterm Kopf in der Truhe. Der Mensch! Ach ja, der Herrgott braucht Spielzeug.«

»Ist Euer Gott so klein, dass Ihr ihm Vorwürfe macht, Aventin?«

»Soll ich nit? Morgen lieg ich am Totengerüst und möcht doch bis ans Ende der Welt leben, dass ich meine Chronika schließen könnt mit dem Jüngsten Gericht, da alles Geschehnis offenbar wird. Und just in dieser wunderlichen Zeit soll ich sterben?«

»Unsere Zeit, ist sie Abendlandschaft? Ist sie Frühling? Durchdringen sich darin Untergang mit neuem Morgenrot?« fragte Altdorfer.

»Die Völker bauen dumpf an ihrer Geschichte und ahnen nit ihre Zukunft. Nur wenige ragen schauend über die Menge hinaus. Ach, was soll aus Deutschland werden, wenn des einen Wahrheit des andern Irrsal ist? Ich fürcht, alles löst sich auf.«

»Der Weg der Menschheit ist schwer und keine gerade Straße«, erwiderte der Maler.

»Altdorfer, Ihr seid glücklich. Euch hat Gott an einem goldenen Faden durch den Irrgarten des Lebens geführt. Mag es fürder mit Euch so bleiben! Lebt wohl!«

»Verzeihet, Aventin, dass ich Euch noch mit einer Frage bedränge! Jeder Mensch prägt sich seine Weisheit in einem Wort, in einem kurzen Satz. Was ist Euer innerster Glaube?«

Das todgezeichnete Antlitz des Gelehrten verklärte sich auf einmal in einem männlichen Lächeln. »Die letzte Wahrheit ist uns verhüllt, Altdorfer. Aber wo ein großer Mensch geackert hat, schimmert eine ewige Furche.«

 

Regensburg wankte im Streit der Geister.

Die Römischen verwünschten den Anhang Luthers in die Wildnis der Hölle, verweigerten denen, die das Sterbesakrament ablehnten, das Begräbnis auf dem Kirchhof, verjagten die Ketzer und verfluchten im Dom ihre Lehre. Der Bischof ließ Münzen schlagen mit dem Schrei: »Heiliger Petrus, schütze das Schiff der Christenheit!«

Doch. die Zünfte entschieden sich heimlich für Wittenberg, und der größere Teil des gemeinen Volkes schwur Rom ab und fürchtete sich nicht vor der Drohung der Kirche, die Türken würden zur Strafe die Donau heraufkommen. Man war erbittert über die allzu hohe Zahl der Geistlichen, Mönche und Nonnen, die großenteils nichts arbeiteten .und von frommen Gaben behaglich lebten. Und die Leute begannen die Bibel deutsch zu lesen und wurden unruhig in der Seele. Der Laie erhob sich in der Kirchenbank und entgegnete dem Prediger, und selbst Klosterleute wurden aufrührerisch gegen ihre Oberen und der Guardian des Schwarzen Klosters schrie auf offener Gasse: es werde nicht eher gut, bevor er sich die Hände im Blut der Mönche und Pfaffen gewaschen habe.

Die verscheuchten Ketzer kehrten gestärkt und kühner aus Wittenberg zurück, gerüstet mit Büchern, und verlangten vom Rat evangelische Geistliche. Durchreisende luthrische Prediger sprachen in den Kapellen der Häuser. Wiedertäufer wurden vom inneren Licht geweckt; schwelgend in der träumerischen Sehnsucht nach dem tausendjährigen Reich auf Erden, lehnten sie die weltliche Ordnung ab, verwarfen Obrigkeit und Besitz, weissagten, dass die Ungerechten von den Gerechten erschlagen würden und wünschten in leidenschaftlichem Opfermut, ihres Glaubens wegen zu leiden. Ein wiedertäuferischer Schulmeister wurde hingerichtet, die andern aber tauften unbekümmert darum in den Scheuern der Bauern und in den Flüssen Regen und Nab weiter.

Schließlich huben gar die Augustiner in ihrer Kirche aus Luthers Postille zu predigen an, und die Gemeinde dort sang das Trutzlied von der festen Burg.

König Ferdinands Ungnade lastete fühlbar auf der ketzerischen Stadt.

Da geriet der Rat in Angst, und er wandte sich an Altdorfer. »Ratsbruder, Ihr müsst den König beschwichtigen, ehe er zu den Mitteln der Gewalt greift! Ihr allein vermöget es. Euer Ansehen ist gewichtig. Ihr seid voll weltmännischer Ruhe und brennt dennoch in der Seele. Ihr liebt Regensburg.«

Altdorfer bereitete sich unverweilt auf die Reise vor. Er rinkelte sich die. Sporen an die Schuhe, zog den Wolfspelz an und ritt in den Winter hinein. Er war fünfundfünzig Jahre alt, doch aufrechter Haltung und sattelfest wie ein Jüngling.

Er ritt dem sauern Ostwind entgegen, seinen Begleitern immer weit voraus, neben sich die Donau, daraus feiner Frosthauch stieg. Der Silberzierat verschneiter Zweige schlug ihm an die Stirn. Er sah die braundunkeln Perlbäche aus dem Nordwall brechen, er übersetzte die grünlichen Alpenflüsse. Er freute sich an den Spielen des Nebels, und wenn die Wolkendecke wieder aufbrach und der Tag glasig hell wurde, blendete der stechend besonnte Schnee den Reiter. Dann stand der Himmel wieder perlgrau über den verschneiten Wäldern, und die blaue Mandelkrähe schrie.

Den engen Strompass östlich von Passau meidend, ließ er sich von einem Bauernfergen über den Inn setzen. Verwegen starrte das Felsenschloß nieder, an den Schattenlehnen blaute der Schnee. Der Sturm strahlte in der Sonne.

Die müde Flamme der Sonne erlosch. Die Wolken wurden zu Rosengärten.

In blauer Nacht leuchtete die Landschaft aus sich selber. Eine Föhre rauschte hohl. Unter bangem Geisterlicht begann der Nord zu bluten.

Altdorfer erinnerte sich, wie er auf der Salzzille zum ersten Mal gesehen, wie sich die Nordflamme in das Dunkel eingewirkt hatte. Und er dachte zurück an die Flucht seiner Eltern und an das grasige Grab seines Schwesterleins Imilda: dort am verschollenen Hügel mochte die sanfte Hirschkuh äsen. Er dachte seiner Geschwister. Auch Magdalena hatte längst geheiratet und kochte Kinderbrei. Er dachte des Sattelpogners, der sich zu Oberaltaich hatte in die Klosterzelle sperren lassen, nachdem er der Welt abgedankt hatte, und der jüngst hurtig an der Pest gestorben war und sich in einer Mönchskutte hatte begraben lassen, Gott zu täuschen.

Altdorfer blickte in die Gestirne, wo die Verblichenen jetzt daheim waren. Er fühlte sich dem All nahe, das sich durch seine Augen ihm in die Seele goss. Unverloren war ihm die Kraft des Schauens, wenn auch die Braue über dem Auge ergraut war.

Am klaren Tag stieg gegen Mittag das gepanzerte Steilgebirge auf. Der Eisvogel funkelte über der Traun.

Zu Sankt Florian sah er die Himmel seiner Altäre wieder leuchten. Sein traumgeborenes, leidenschaftlich erlebtes Werk sprach ihn wie etwas Fremdes an. »Hab ich das gemalt? Und wird meine Kunst in späteren Meistern weiterschwingen?«

Auf verwehtem Weg ritt er weiter. Körnige Schneeschauer fegten dahin. Nebel waberte, ballte sich zu Geistergestalt und trat erschreckend jäh auf ihn los. Zuweilen stieß er auf die nebelatmende Donau und ritt ihr träumerisch und wunschlos entlang und hätte ihr wochenlang nachreisen können, bis sie irgendwo satt ins Meer sank. Schwermütig rauschte Schnee aus dem Geäst zur Erde.

Zuweilen sah er noch die Verwüstungen des Krieges.

In Wien kehrte er sich bei den Ämtern ernsthaft gegen die Verleumdung, Regensburg wolle sich wieder aus der Unmittelbarkeit des Reiches reißen, und es gelang ihm, die Räte des Königs von dem guten Willen der Stadt zu überzeugen.

König Ferdinand empfing ihn mit Wohlwollen. »Ihr also seid der Meister, der seine Bilder über eine lautere Goldschicht malt?« fragte er lächelnd, und aus seinem vollen Bart glänzte die starke, feuchte Unterlippe. »Doch habt ihr des Doktor Luthers trotzigen Schädel gezeichnet. Sagt, seid Ihr nit selber ein Ketzerling?«

»Majestät, ich bin nie von Gott abgefallen.«

»Wie meint Ihr das, Meister?«

»Ich hab ihn immer um seiner Schöpfung willen geliebt.« »Das klingt arg nach heidnischer Weisheit. Aber Ihr habt doch hundertmal ehrfürchtig die himmlische Frau gezeichnet und gemalt, die bei Luther wenig Gunst gefunden hat. Wisst Ihr, dass er gesagt hat, nach der Verjagung der Juden vollbringe der Teufel zu Regensburg seine falschen Zeichen durch die Muttergottes?« Altdörfer sagte still: »Ich hab die Menschenmutter gemalt.« »So meint Ihr mit Eurer Kunst anderes, als sie darzustellen scheint? Was wollt Ihr mit Euerm Werk?«

»Majestät, mein Werk ist Traum.«

»Ihr weicht aus. Ihr redet wie ein Kind oder wie ein abgefeimter Staatsmann. Euer Werk ist Traum. Wohl, der Traum kann den Menschen zum Gott machen. Aber wenn er ausgeträumt ist?«

 

Bei der Heimreise durchfuhr ein ungeheurer Frost das Land. Die Donau mochte bis an den Grund hinab gefroren sein, und Altdorfer ritt eine lange Strecke auf dem Eis wie auf einer spiegelnden Straße.

Auf dem Blachfeld knarrte und pfiff der resche Schnee unter dem Huftritt. Die Berge gingen geheimnisvoll in Grau über.

Die Kälte quälte Altdorfer so sehr, dass er es im Sattel nimmer aushielt und neben dem Ross einhertrabte. Meister Winter, ach wie seid ihr grob und grausam!

Im Nebel fast aufgelöst stand eine einsame, zerwetterte Fichte. Davor zwerchten sich die Wege, und dort fand Altdorfer ein verirrtes Kind auf einer winzigen Holzbürde weinend kauern.

Das Haar fiel dem Mägdlein in leichter Wellung licht über die Schultern nieder, und aus ihren Augen leuchtete ein Licht, das den Reiter wunderbar berührte und an etwas längst Vergangenes, unsäglich Holdes erinnerte.

Hatte sich von Frau Perchtens ungetauftem Kinderheer eines hier versäumt? Trug es nicht das Tränenkrüglein in der Hand?

Er hob es zu sich auf das Roß und nahm es unter den Mantel und wärmte es. »Ich bring dich zu deiner Mutter. Wo wohnt sie?«

»Weiß nit«, zirpte das Kind.

»Hast dich wohl beim Holzsuchen verlaufen?«

Ja.«

»Wie heißt deine Mutter?«

»Mutter. «

»Aber dein Vater?«

»Bist du der Vater?«

Da sagte er zärtlich: »Ja, ich bin dein Vater.«

Sie wurde zutraulich und spielte in seinem vereisten Bart. »Ich will bei dir bleiben. Du bist warm, du alter Mann.«

Er staunte. War er denn wirklich schon alt? Rauscht das Leben gar so geschwind vorüber?

Das feine Kind fühlte, dass es etwas Unpassendes gesagt hatte und suchte es zu mildern. »Nur deine Haare sind alt. Dein Gesicht ist noch ganz jung.«

Welch liebliche Stimme! Hatte ein Falter gesungen? Der Maler liebkoste das Kind. »Ei, du hast zwei Glühwürmlein in den Augen!«

Aber die Glühwürmlein verschollen. Das Kind war müde und schlief ein.

In unsäglichen Gefühlen ritt er dahin. Schenkte ihm Gott ein vom Himmel gefallenes Kind? War es sein Schwesterlein Imilda, dem es so sehr glich? Wurde sie noch einmal in die Welt geschickt, dem Einsamen zum Trost? Oder war er gar nicht der berühmte Meister Altdorfer, war er der Kleinmaler Ulrich, der sein verlorenes Kind wiedergefunden? Oder ist es das Kind der Ursel Venedigerin, die aus Regensburg fortgezogen ist? Ist es mein leiblich Kind?

Er lauschte diesem sehnlichen Abendschrei seines Herzens. Dann lächelte er müde. »Ich bin schon kindisch worden!«

Im nächsten Dorf trat eine fremde Frau freudeschreiend zu ihm hin. Er herzte noch einmal zart das schlafende Kind und reichte es ihr.

Er ritt weiter, einsamer als früher. Die Luft war dunkel vom fallenden Schnee.

Am Spättag lichtete sich der Nebel. Die Sonne ging in einer düsteren Trauer unter, als wende sie sich für immer von der Erde ab und wolle nimmer zu diesen schweigsamen Tälern zurückkehren.

 

In seinen alten Tagen baute Altdorfer den Marktturm und zeichnete Entwürfe zu manch heiterem Becher, zu feierlichen Türen und prunkvollen Kaminen.

Michael Ostendorfer sagte von ihm: »Er malt nimmer. Er ist reich genug. Und für wen sollt er noch weiter Geld erwerben?«

Altdorfer war menschenscheu geworden. Eine Sehnsucht, davon er mit niemand redete, machte ihn einsam.

Manchmal ritt er auf seinem greisen Ross vor die Stadt. Der alternde Mann, den vollen Bart noch fahlblond, unter der grauen Braue das fragende, forschende Auge. Die Donau ging heimwehvoll, als dächte sie an waldverschattete Quellen zurück, und ging so müde, als könne sie nimmer Meer und Münde erreichen. Ein Fisch schnellte hoch, silbern schillerten die Schuppen, er fiel zurück und verscholl. Eine Erle schauderte auf. Scheu verhuschte sich der Wind im Schilf.

Er neigte sich über die geliebte Flut, deren Tiefe von langer Wanderschaft geklärt war, und im steten Gleiten erblickte er sein unverrücktes Bild. »Es weset nit, es ist nur Schein«, flüsterte er zu sich. Doch was ist Wesen? Was ist Widerbild?

Er warf sich in diesen Spiegel der Bäume, der Wolken, der Sonne. Zärtlich empfing die Donau seinen Leib und trug und flößte ihn. Sein Leib war noch männlich und schön und führte nicht die Zeichen des Alters.

Am frühesten Morgen, da der Tag noch rein war von den Gedanken und Taten der Menschen, da die Schöpfung noch in vollkommener Lauterkeit erneut und verjüngt zu sein schien, pflegte er seinen Garten zu besuchen. Da traf er immer eine schöne Schlange an. Er tötete sie nicht, sein Hass war erloschen, seine Seele versöhnt. Er stellte ihr täglich einen Napf süßer Milch hin. Er gab ihr den Namen ›Imilda‹, und sie schien darauf zu hören und hob lauschend den klugen Kopf.

In diesen frühen Stunden zeichnete er. Eine Welt von Gesichten lebte in ihm.

Er zeichnete einmal eine Säule, die aus den Trümmern eines Tempels ragte, das heilige Bärenklau am Haupt: das einsiedlerische Sinnbild der Vergänglichkeit. Oder war es ein Zeichen der nie erloschenen Sehnsucht nach dem Süden?

Er malte um die Schläfen eines gebleichten Totenschädels einen grünen, mit heiteren Wiesenblumen durchsprengten Kranz und schrieb ihm auf die Stirn das Wörtlein: »Wann?«

Er vollendete eine schönschreiberisch geschnörkelte Zeichnung, der er ein düsteres Grün als Grundfarbe unterlegte: das Totenfloß Charons glitt auf der Donau an überhangenden Felsen vorüber und führte den Zeichner selbst als Fracht mit. Das Blatt warf er dann ins Feuer und lauschte, wie es loderte und sich krümmte und veraschte.

»Was verkrämere ich mich an diesen nichtigen Dingen?« dachte er manchmal. »Wie viel Zeit ist noch meinem Atem zugemessen

Doch war es nicht die Ermattung des Alters, die ihn rasten und spielen ließ. Ihm war wie einem, der nach großer Tat sich tief in sich selbst zurückzieht und sich sammelt und spart für ein Letztes, Gewaltiges.

Einmal nachts hörte er den Totenwurm ticken in dem Fußbrett seines Bettes.

»Ich muss eilen, mein Weg vergeht mir«, sagte er am Morgen zu seinem Lehrling Hänsel Müelich. »Bald lieg ich unterm Estrich bei den Augustinern.«

Er tauchte aus sich selber wie aus einem verwunschenen See. Schnell, schnell, ehe das Zaubertor des Lebens hinter ihm zufiel! Wie mit dem Auge der Sonne schaute Altdorfer das Ende-lose und malte es auf das letzte Brett der Pipinslinde.

In der Mitte des Bildes graute ein harter Wetterbaum. Die Donau glomm, aus wilden Wäldern eilte ihr ein schleierweißer Sturzbach zu. Ein wunderbares Schloss machte das Land wohnlich. Die Ferne mit kalkigem Hochgebirg, mit Firn und Eis schimmerte dahinter im Föhn wie Erz. Darüber spannte sich der Weltraum, und man empfand mit Grauen, wie die Erde im Unendlichen rollte und badete. Ein Licht war darüber, darin sich die Sonne mit den brennenden Gestirnen zu vermählen schien, und das doch nicht die Wirkung der Sonne und der Sterne war, sondern ein unbeschreiblicher Zustand, Helle und Dämmernis unwirklich und wunderbar ineinander verschlungen. Hier war nicht der erobernde Mensch, hier war das Licht der Held. Es strömte aus unerklärlichen Quellen, aus Urschlünden, aus dem letzten Abgrund Gottes wurde es geschleudert und band und vereinigte die widerstrebenden Dinge zu einer seligen Einheit.

Und während er an der kühlblauen Gipfelwelt dieses Bildes malte, fühlte er zwischen sich und dem All keine Schranken mehr, eines tauchte ins andere und war eins. In diesem menschenlosen Werk, in dieser Landschaft voll unermesslicher Einsamkeit träumte er noch einmal die Welt in seine Form um.

In letzter Scheu unterließ er es, das Meer darin zu malen, das er nie geschaut und nie befahren hatte.

Zu Mitten des Hornungs im Jahr 1538 schrieb Altdorfer abschließend sein Zeichen in eine Wolke des Gemäldes.

Der Glanz der Vollkommenheit umwitterte das Spätwerk des reifen Künstlers und Menschen. Darin war der jagende Schwung der Schöpfung, brausend im niederschleiernden Bach, im mächtig ziehenden Strom, in der schweren Nähe der aufschroffenden Gipfel, im Urglanz. Altdorfer sah sein ganzes Leben in diesem Gemälde wie in einem Kristall, darin alle Farben das Fest ihres geheimnisvollen Daseins feiern, und dahinter erhob sich Gott, der mit unbewegter Stirn vor und nach der Ewigkeit steht und dennoch – welch geheimnisvoller Zwiespalt! – in sich das Wesen führt immerwährenden, notwendigen Wandels und der Vergänglichkeit, die in diesem Wandel beschlossen ist.

Der junge Hans Müelich spürte das, als er sagte: »Meister, in Euch gibt Gott der Welt die Hand.«

 

Es war damals ein ungewöhnlich milder Monat. Nach Lichtmess hatten im Garten des Leonhardwinkels schon Veilchen, Hasel und Palm zu blühen begonnen und die Stare im Nussbaum gerufen, und die Erde hüllte sich leise in das liebliche Gras. Ein überfrüher Frühling hatte sich an die Donau verirrt. Schon gingen die Kinder barfuß .

Altdorfer schritt durch die geliebte Stadt.

Nach vielen, vielen Jahren besuchte er wieder die Gruft Hemmas. Die steinerne Königin ruhte in erhabener Schönheit, ein zeitloses Wunder. Die Verstümmelung vermochte ihren Adel nicht zu mindern.

O Zauber! Lächelte jetzt nicht dieser ernste, schmerzliche Mund? War das nicht das Lächeln der unbesiegbaren Ewigkeit über die Zeit?

Der Maler wanderte an dem verfallenden Holzkirchlein der Schönen Maria vorüber. Es lag mitten im flutenden Leben der Stadt verlassen, mit seinem vermoosenden Dach vergessen von den Wallfahrern.

Er ging über den Domfriedhof. Hier war es still, und das mächtige Gebäude gewann von dieser Seite aus das Wesen einer frommen Einsamkeit. Die Bauhütte schwieg. Nur in dem Lichtgehäuse einer steinernen Säule waberte zaghaft eine kleine Flamme.

Altdorfer weilte im Dom, und seine Seele griff ahnend in das fremde Jenseits.

Hier hatte ein unmittelbarer Glaube gebaut. Hier war in den verwegenen Bogen das hohe Menschenwagnis, das Unmögliche zu ermöglichen, das Ungestaltbare zu gestalten, das Unendliche zu formen, mit Licht zu durchtränken und zu überbrücken, was unversöhnlich zu sein scheint: Geist und Stoff.

Weiches Licht wob in den ruhigen, klaren Hallen. Die Fenster strebten wie schmale, bunte Flammen auf, darin farbig die Wappen und Bilder dämmerten. Das ahnende Zwielicht war mit erschütterndem Schweigen beladen.

Er umschritt den Dom von außen und sah einen bildenden Willen ganz toll hingegeben an geringe Einzelheiten, die doch das von dem Überschwang betäubte Auge niemals erfassen konnte. Und dennoch wirkten diese wunderbaren Mauern als gewaltige Ganzheit.

»Ist mein Werk auch so?« fragte sich Altdorfer.

Ein starker Donnerschlag erwiderte ihm und dröhnte durch die erbebenden Gassen. Ein verfrühtes Frühlingsgewitter entlud sich.

Als der Meister heimkam, empfing ihn Hans Müelich in verzweifelter Stimmung.

Ein Blitz hatte in der Werkstatt Feuer angelegt. Der Lehrling hatte mit Hilfe der herbeigerufenen Nachbarn den Brand gelöscht. Aber das neue Bild war verkohlt und vernichtet.

Ein schweres, müdes Grau erfüllte den Geist des Meisters. Doch fasste er sich.

»Gott hat das Bild wieder heimgeholt in sein Dunkel«, grübelte er. »Wozu hat er mir meine Kunst verliehen? Mich irdisch zu beglücken? Die Menschen zu erfreuen? Oder um meine Seele aufzubauen? Traum und Gedanke, Wille und Werk haben mit mir ihr ernstes Spiel getrieben und an mir geformt. Was weiß ich?«

Wenige Tage danach fand Hans Müelich den Meister gelähmt an den rechten Gliedmaßen. Er wollte zum Arzt rennen, zur Elefantenapotheke, zu den Augustinermönchen. Doch Altdorfer verlangte nach dem Stadtschreiber, sein Haus zu bestellen und die Erben einzusetzen. Und die Nachbarn sollten ihn auf den Hausturm tragen.

In seiner pelzbesetzten Schaube saß der Gelähmte dann droben, die Stirn rissig, das Auge still und klar.

Ein Mönch kam, ihn für das Ende vorzubereiten.

»Ich bin meines Heiles gewiss«, sagte Altdorfer.

»Kehr in die Reue ein, Sünder! Die Reue unterscheidet den Menschen vom Tier. Ihr seid schweigsam gewesen, und niemand in Regensburg weiß, wie es inwendig in Euch ausschaut. Aber bedenket, das Christentum segelt siegreich über das verstürmte Meer der Zeit, und das Kreuz ist unserm Schiff der Mast.«

»Ich beuge mich vor dem Opfer des Heilands«, erwiderte der Maler. »Doch Gott hat noch ein größeres Sinnbild seines Seins für uns errichtet.«

»Welches?«

Altdorfer deutete ins Land hinaus. »Die Welt!«

»Bedenket, was drüben wartet!« mahnte der Mönch.

Der Meister sagte in großer, gelassener Heiterkeit: »Ich werde auslöschen und werde Licht sein und im Urlicht weiterleben. «

Dann gab er keine Antwort mehr.

Der Beichtiger verließ ihn.

Drunten ruhte die Stadt, für die Altdorfer geschaffen hatte, die braunen Ziegeldächer, die rauchgrauen Mauern, die starken Wehrtürme, die Klöster und Kirchen, die Brücke, der unvollendete Dom, die engen Gassen, daraus gedämpfter Lärm stieg, alles zwischen prallem Licht und tiefem Schlagschatten geteilt. Und weiter dann der deutsche Strom, die Ebene, die Höhen des Nordwaldes, die verschwimmende Ferne. Und darüber die frische Bläue des Donauhimmels. Alles in Farbenglück hell und verschaffet.

Seele und Landschaft waren in dieser Weile des Schauens eins. »Wenn ich jetzt stürbe«, lächelte Altdorfer, »müsst auch die Landschaft mit mir sterben.«

Im Bild dieser Erde hatte er erfahren, was Gott ist. Und er wusste erkenntnisklar und beruhigt die Welt als eine in sich selbst geschlossene und bedingte Einheit, die auf den Kräften des Allraumes ruht und mit allen ihren Wesen sich wendet gegen ein gemeinsames Ziel. Und in dieser Einheit hat alles Sinn und Sendung. Und ihr höchster Sinn aber ist die kämpferische Wandlung.

Die Heimat drunten aber ist ein Teil des Ur-Alls, wie diese Zeit ein Bröslein Ewigkeit ist.

Entzückt sah er in die Landschaft hinaus. »Gott segne dich, Deutschland! Gott segne dich mit Früchten und mit willigen und großen Menschen!«

Er wollte nun an jene denken, die er geliebt und geehrt hatte, aber seine Erinnerung verschleierte sich, und seinem Gedächtnis waren alle Namen entsunken.

Wie hieß sie doch, die Freundin, die geliebte Genossin, die sorgend und treu einst mit ihm dieses Haus bewohnt hatte? Und die Gott vor ihm abgefordert hatte von der Erde? O schöne vergangene Zeit! O vergängliche Form! Wo schwebt die Geliebte jetzt? Wartet sie jenseits der Sterne in der gleichen Schönheit ihres Wesens oder neugestaltet oder gestaltlos?

Und wie hat der geheißen, der trotzige, wilde Freund, der drüben am Dom gebaut und um seines Werkes willen den Schwerttod erlitten hat?

Altdorfer erinnerte sich von allen Namen der Erde nur noch an den Namen der Schlange, die in seinem Garten hauste.

Ein Frühlingsvogel hub irgendwo süß und schüchtern an. Altdorfers Seele bebte in dem Lied dieses Vogels. Er fühlte keine Schwere mehr in sich. Er fühlte nur noch, dass ihn ein Heimweh auf die Schwingen nahm.

O ferne Waldesöde, ihr Felsen der Sage, Dämmerschimmer des Laubes, Quellenstille! Schwermütig wanken dort die alten Wipfel.

Altdorfer konnte einer Träne nicht wehren. Er weinte sie der ihm versinkenden Welt.

Mühevoll kehrte er sich zu Hans Müelich um. »Bist du bei mir, Hänsel?«

»Ich bin bei Euch, Meister«, sagte der Lehrling.

»Vergiss nit, Hänsel, – die Schlange – Imilda! Wenn sie wieder erwacht, – füll ihr – das Schüßlein!«

Die Sonne ging unter. Die Welt verklärte sich noch einmal im Spätlicht.

Altdorfer hob den Arm zu einer erglühenden Wolke empor, es mochte niemals auf der Welt eine edlere Farbe als ihren Purpur gegeben haben.

Er schien die Wolke anzubeten.

In dieser Gebärde erlosch er, gehorsam seinem Schicksal, mit der erlöschenden Wolke, und sein göttliches Auge sank ins Dämmer der Ewigkeit.

 

Die sieben Sterne neigten sich. Der Orion verging. Der Morgenstern verblich.

Brausend erhob sich die Sonne, neu und groß wie im Donner der ersten Schöpfungstat.

Die Welt atmete weiter.

Die Donau funkelte. In fernen Wäldern sprangen die Quellen trunken aus Gottes Urne.

Im Garten zu Sankt Leonhard grünelte samtig die schwarze Erde der Beete. Ein junger, selig betauter Grashalm wiegte sich. Eine Schlange kroch schillernd heran und züngelte nach dem Tropfen Tau, darin das große Gestirn in glühendem Abbild gefangen war.

 

Und die Sonne, Gottes brennende Blume am Himmel, und die Lerche, die droben im Blauen blühte, die Wälder, die Felsen der Ferne im weißen Firn, die silbernen Meere, alles, alles sang das eine Wort:

 

»ALL-EINIG!«

 


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