Jakob Wassermann
Alexander in Babylon
Jakob Wassermann

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Drittes Kapitel

Liblitu

Arrhidäos war der Sohn des Königs Philipp und einer thessalischen Tänzerin. Er hatte eine armselige, unter Soldaten, Dirnen und Sophisten verbrachte Jugend gelebt. Von seinem Vater nicht anerkannt oder wenigstens nicht beachtet, von seiner Mutter nicht geliebt, war er stets von Schwelle zu Schwelle gestoßen worden. Was er, eingedenk seiner Herkunft, an Ehren, an Würde, an Entgegenkommen beanspruchte, war ihm niemals auch nur im mindesten gewährt worden. Er hatte oft nicht Geld genug für die dringendsten Bedürfnisse, er hatte nie einen Freund besessen, nie einen Fürsprecher, nie einen Bildner seines nicht unbegabten, aber verworrenen Geistes. In seiner Brust wechselte die tiefste Betrübnis mit einer verstiegenen Meinung von sich selbst. Er lernte wie Alexander die Sprachen des Orients; er hatte die Schriften aller Philosophen und die Gedichte aller Dichter gelesen und verschmolz die fremden Gefühle und Meinungen in nicht ganz glücklicher Weise mit seinen eigenen. Über das schwerste Ungemach hob ihn das Spiel mit sich selbst hinweg, und er vermochte den Druck der Gegenwart durch die Erwartung einer Zukunft zu erleichtern, die sein inneres Auge mit märchenhaftem Glanz blendete. Er war zwei Jahre jünger als Alexander, und während dieser von Sieg zu Sieg stürmte und sich zum Herrn über die ganze Welt des Ostens erhob, verzehrte sich Arrhidäos in ungestillter Tatengier, schenkte dem Geschwätz der Wahrsager und den Deutereien der Zauberer sein Ohr, fuhr auf einem elenden Schiff an den Küsten des Pontus entlang und warb endlich mit mühsam aufgetriebenem Geld dreihundert berittene Lanzenträger, um nach Asien zu ziehen und irgendeinen Thron zu erobern, irgendein Reich zu gründen, irgendeine Tat zu vollbringen, selbst gegen den Willen und zum Trotz Alexanders, wenn es sein mußte.

Zu Ende des Winters verließ er Makedonien, kam zwei Monate später in Sardes an und zog nun am Tag der Totenfeste mit seiner Schar durch die tiefen Schluchten des gordyäischen Gebirges. Der landeskundige Wegweiser war der Meinung, daß sie noch vor Anbruch des zweiten Tages das Ufer des Tigrisstromes erreichen konnten.

Das Gestein, hochaufragend an beiden Seiten des Pfades, zeigte großartig zerrissene Formen. Oft näherten sich die Felsen nach oben so sehr einander, daß nur ein schmaler Himmelsstreif sichtbar blieb, den das Dunkel der Schlucht noch dunkler färbte. Dann öffnete sich wieder ein enges, ansteigendes Tal, aus dem eine eisige Luft wehte, denn im Hintergrund erhoben sich bläulichweiß die ewigen Schneegipfel. Die Söldner, von der Wildheit der Natur bedrückt und geängstigt, verwünschten ihre Abenteuergelüste und die Versprechungen ihres Führers Arrhidäos, dem sie zu mißtrauen angefangen hatten.

Es waren nur wenige Makedonier; die andern waren Thessaler, Samiaten, Lyder und Griechen. Die Verwegenheit ihrer Gesichter war nicht die von ehrgeizig gestimmten Soldaten, sondern die von eilig aufgelesenen und schlecht bezahlten Wegelagerern. Die meisten hatten schon in Syrakus, in Karthago, in Rhegion und bei den Persern gedient – Menschen, die um zehn Drachmen für jede Untat zu haben waren, stadtverwiesene Sykophanten, Meuchelmörder, Tempelräuber und Burschen, die auf ihren Wangen das Siegeszeichen der Städte, gegen die sie gekämpft, als Schandmal aufgebrannt trugen.

Arrhidäos, im einfachen Panzer und mit dem schweren Metallhelm auf dem Haupt, war tief in sich selbst verloren. Sein hageres, langes Gesicht mit der scharfen und hageren Nase, zu der das breitrunde muschelförmige Kinn in auffallendem Gegensatz stand, war von schwebenden Phantasien bewegt. Bisweilen spornte er blitzenden Auges sein Pferd, daß es wiehernd vorauslief, und wenn er sich weit genug und unbeachtet glaubte, rief er einen anfeuernden Vers in die hehre Einöde der echoenden Felsklüfte, in den siedenden Lärm der Bergbäche.

Gegen Abend erweiterte sich die Schlucht, und die kreisförmig zurücktretenden Felswände umschlossen eine öde Hochfläche, die mit ungeheuren Blöcken besät und von breiten Streifen erstarrter Lava durchzogen war. Dann bog sich jählings der Weg hinab, und noch auf dem Abhang reitend, gewahrte Arrhidäos ein tiefes Tal, wie versteckt inmitten der Gebirge liegend, von leuchtendem Pflanzen- grün überzogen, und in seiner Mitte einen See, auf dessen blauem Spiegel sich Myriaden von Wasservögeln schaukelten. Der Wind trug die Blütengerüche bis herauf. Kastanien, Birnen- und Granatbäume wuchsen am Seeufer, ein Hügel war ganz mit roten Blüten überdeckt und sah aus wie ein umgestürztes Gefäß aus poliertem Kupfer, an dessen Seiten Blut herabströmt.

Wegen der Steile des Weges stiegen die Reiter ab und führten die Pferde über den mit Zwergeichen bewachsenen Hang hinunter. Während ihnen gegenüber ein Schneegipfel, der bis in die Abendwolken hineinragte, rot erglühte, leuchtete der See in immer dunklerem Blau.

Arrhidäos wandte sich an seinen Begleiter, einen Rhetor namens Dion, der den Zug der Truppe als halbwegs sichere Wegbegleitung zum großen Heer benutzte und sich dafür durch Schmeichlerdienste erkenntlich zeigte. Er war schon beinahe siebzig Jahre alt, ein verkommener Mensch, aufgeblasenen Geistes, bettelarm.

»All dieses Land gehörte Alexander«, sagte Arrhidäos mit einer Niedergeschlagenheit, deren er nicht Herr werden konnte, »und ich habe nicht einmal fünfhundert Goldstücke, um meine Leute zu bezahlen.« Und mit dem Tonfall kindlicher Trauer, der ihm oft eigen war, fuhr er fort: »Warum ihm alles und mir nichts? Löse mir doch dies Rätsel, Dion. Bin ich denn schlechter, geringer, kraftloser, unwürdiger? Bin ich mißgestalt, sind meine Augen ohne Glanz, ist meine Zunge nicht beredt? Ich wollte mich ja zufriedengeben, wenn ich nur in meinem Innern nicht diese Glut spürte. Ich kann nicht schlafen, Dion, beständig höre ich Stimmen, und wenn ich so daliege, in Schweiß gebadet, dann kommen Pläne über Pläne, alles scheint leicht; dann schlaf ich so um Tagesgrauen ein und habe die schönsten Träume, aber leider kann ich sie nie austräumen, weil mich die Lagertrompete weckt.«

Dion schüttelte den Kopf, rückte den Myrtenkranz auf seinem kahlen Schädel zurecht und verzog die rüsselartigen Lippen zu einem beruhigenden Grinsen. In diesem Augenblick hielten die Söldner ihre Tiere an und deuteten hinüber auf eine Stelle des Seeufers. Eine Rauchsäule wälzte sich schwarz und qualmend über halbverkohlte Baumwipfel; sie konnte keinem friedlichen Feuer, sondern nur einer Brandstätte entstammen.

Die Söldner eilten vollends hinab, schwangen sich auf die Pferde und ritten im gestreckten Galopp über die Talsohle. Arrhidäos sprengte als erster unter den dunklen Schatten der Bäume, deren rissige, harztriefende Rinde in der purpurnen Dämmerung glühte. Es herrschte Brandgeruch. Die Stille des Hains wurde durch keinen andern Laut gestört als das sausende Geräusch der Pferdetritte im hohen Gras. Die Söldner schwiegen.

Im weiten Halbkreis traten die uralten Bäume zurück. Auf der tiefblauen und wie gehämmertes Metall glatten Seefläche glänzte prächtig das Gefieder der Wasserhühner. In der Mitte des gelichteten Runds stand ein Tempel von halb persischer, halb lydischer Bauart. Aus seinem Dach drängte sich schwer die Brandwolke. Die vier schlanken Säulen der Vorhalle waren umgestürzt und der goldnen Verzierungen beraubt. Das Kranzgesimse war flammengeschwärzt, auf den Stufen lag heruntergeronnenes und halbvertrocknetes Blut. Die Wohnhütten der Priesterinnen waren verbrannt oder zertrümmert. Angekohlte Balken, Opfergefäße, Weihgeschenke, wertloser, doch ehrwürdiger Schmuck bedeckten den Boden. Am Ufer lag in einer Blutlache der Leichnam einer jungen Priesterin; ein abgebrochener Speerschaft ragte aus ihrer Brust, Kopf und Hals waren ins Wasser getaucht.

Selbst auf die verhärteten Sinne der Söldner wirkte es befremdend, wie das Bild des Mordes in den süßen Frieden eines paradiesischen Tals eingewebt war. Leuchtend weiß und grau stiegen die Gebirge empor; der Seespiegel begann sich schon schwärzlich zu färben, das Getier, das sich auf ihm getummelt, verschwand lautlos. Die Söldner löschten das Glimmen des Gebälks im Tempelinnern, richteten die Zelte auf, brieten Vögel am Spieß, die sie in Eile geschossen, und kochten Reis in großen Pfannen.

Arrhidäos liebte das Schweigen der Natur. In Stunden wie dieser fühlte er sich dem Schicksal gewachsen. Ihm war, als ob mit dem Wunsch und der Glut des Wünschens schon das Wichtigste vollbracht sei. Die Tat war nur der enteilende Schatten des Traumes von ihr. Allmählich stieg seine wunderbare Erregung so sehr, daß er aufsprang und mit großen Schritten umherging. Er erschien sich in diesem Augenblick als der beseelende Dämon, der in Alexander aus der Ferne gewirkt, der dem Geiste nach vollbracht, was Alexander dem Wesen nach und vor den Augen der Welt erreicht hatte.

Indem er sich umdrehte, stolperte er über einen Stein. Das betrübte ihn als schlechtes Vorzeichen, und statt des Lichts sah er nun auf einmal wieder Dunkelheit vor sich. Warum bin ich denn nach Asien gegangen? dachte er. Warum in ein Land, das schon ein anderer besitzt? Warum nicht gegen Westen? Warum nicht in den furchtbaren Norden? Was will ich hier, wo alles schon getan ist? Eine fressende, unbestimmte Sehnsucht erfüllte Arrhidäos' Herz. Vom Lager herüber drang das Schwatzen der Söldner, aber als er sich dem Hain näherte und die Stille wie etwas Bewegliches auf ihn zufloß und ihn umhüllte, löste sich der Lärm des kleinen Lagers auf und zerbröckelte wie Salz in Wasser. Hie und da drang noch ein rohes Lachen herüber oder die heisertrunkene Stimme Dions, der ein Kornstampferliedchen vortrug. In einer Mischung von Einsamkeitsgrauen und Götterfurcht begann Arrhidäos zu weinen.

Dem Ufer folgend, kam er an einen gewaltig dicken Baum, dessen weit hinausgreifende Äste bis über den Wasserspiegel hingen. Am Fuß des Baumes, auf dem im Nachtschein gelbschimmernden Moos lag ein schlafendes Weib. Arrhidäos starrte eine Weile auf sie herab. »Wer bist du?« fragte er mit seiner heiseren Stimme und berührte mit der Sandale den nackten Arm der Emporschreckenden. Er erhielt keine Antwort und stand eine Weile ratlos. Dann wandte er sich und stieß einen hallenden Doppelruf aus. Seine beiden Sklaven liefen herüber, einer trug die brennende Fackel. Arrhidäos befahl ihnen, das Weib ins Lager zu führen, und versank wieder in sein trübe gärendes Inneres.

Als er zurückkehrte, hatten sich die Söldner schon zur Ruhe hingelegt. In den Bergen schallte der Schrei des Wildes, Vogelrufe tönten durch die Nacht, die Spannketten der Pferde klirrten. Arrhidäos wollte sich zum Schlaf hinlegen, da kam der lydische Wegführer und machte ihn auf jenes Weib aufmerksam, das von den beiden Sklaven gefolgt durchs Lager schritt und in abgebrochenen Lauten vor sich hin sang. Es klang wie die Rufe der kleinen Wüsteneule, wenn der Hirt in den Euphratebenen am Abend seine Herde zusammentreibt. Ihr Gang war nicht leicht und befreit wie jener der Griechinnen, nicht hüpfend wie bei den Ägypterinnen, nicht rasch und kraftvoll wie der Gang skythischer Frauen, sondern es war etwas Nachlässiges und Schleppendes in ihm. Es war der zögernde Schritt einer ziellos und willenlos Gehenden, noch dazu beschränkt durch das enge babylonische Kleid.

Vor dem Altar, von dessen Ecke eine der gestürzten Säulen im Fall einen Widderkopf abgeschlagen hatte, las sie die Opferscheite aus Zedernholz von der Erde auf, reinigte sie mit einem weißen Tuch, legte sie in gekreuzten Reihen zu vieren übereinander, forderte von den Sklaven die Fak- kel und setzte das heilige Feuer wieder in Brand. Arrhidäos sah eigen bewegt hinüber, denn es war ein schönes Bild: das Weib rötlich beschienen vom aufleckenden Feuer, die beiden Sklaven lautlos furchtsam, rings schlafende Söldner, die still schreitenden Wachen an den Enden des Lagers, der halbzerstörte Tempel, die nachtschwarzen Gebirge und der Himmel von Sternenlichtern besät.

Arrhidäos preßte die Stirn in den Arm. Sein Gemüt war bedrückt, Rätsel über Rätsel erfüllten es. Ach, er beneidete die Nacht um ihren Frieden, den Tag um sein Licht, die Lustigen um ihr Lachen, die Steine um ihre Leblosigkeit. Plötzlich sprang er auf und fuhr den Lyder an: »Sprich ein gutes Wort, ein vorbedeutendes Wort, schnell, schnell, besinne dich nicht, wie es der Geist eingibt.«

Der Lyder nahm eine heuchlerische Feierlichkeit an und antwortete frech: »Alexander wird Arrhidäos fürchten lernen.«

Arrhidäos blickte schwermütig zu Boden. Dann lächelte er verächtlich, angewidert durch den Hauch der Lüge, kehrte dem Lyder den Rücken und schritt gegen den Altar. Er winkte den zwei Sklaven zu gehen und fragte die Fremde, wer sie sei, wann der Tempel zerstört worden und durch wen. Ihr Gesicht hatte alle Merkzeichen der chaldäischen Rasse: die platte kleine Stirn, die dicken, gleichsam blutenden Lippen und schwarze, leidenschaftliche Augen. Die Brauen, kaum geründet, flossen in der Mitte zusammen, ein Zeichen dunkler Kräfte. Der Blick brach unter den schweren Lidern hervor und verkroch sich wieder darunter, so wie ein geheimnisvolles Wesen aus den Fluten des Meeres aufsteigt, mit kühler Luft die dumpfe Welt betrachtet und ruhesuchend wieder untertaucht.

Vor der Kälte der Nacht schauernd, zog sie das braune Wollgewand fest um die Schultern und gab bereitwillig Auskunft.

Sie war Liblitu, die Tochter Inusins des Babyloniers. Sie war in den Schoß der großen Anahita geflohen, um vom Aussatz zu genesen, und die Göttin, die das Blut in den Adern erzeugt und die sieben Himmelswasser beherrscht, hatte sie geheilt. Vor einigen Tagen waren Bewaffnete vom Norden gekommen; ihr Führer Meno, von Alexander beauftragt, hatte vier Jahre lang vergeblich die Stadt Cambala belagert und war schließlich von den Einwohnern besiegt und verjagt worden. Furcht vor Alexander hielt Meno in den Gebirgen fest. Seine Soldaten empörten sich, und als er hierherkam und vor dem Bild der Anahita betete, erschlugen sie ihn, plünderten und zerstörten den Tempel und schleppten die meisten Priesterinnen mit fort. Nur Liblitu vermochte sich zu retten, denn als sie den Hain durchsuchten und sie unter den heiligen Schlangen fanden, packte sie Entsetzen; sie glaubten, die Göttin selbst sei aus der Erde gestiegen. Damit schloß sie den kargen Bericht, in dem nichts Mitleidforderndes für sie selbst enthalten war. Ihre silbrige umflorte Stimme erinnerte an ihren Gang, sie hatte etwas Zögerndes, Unentschlossenes und Gefesseltes. Sie fragte um das Ziel der Truppe und bat um die Erlaubnis, dem Zug bis zum großen Heerlager folgen zu dürfen. Dort werde sie Klage erheben. Was sie sagte, hatte Vernunft und Bestimmtheit und flößte Arrhidäos Achtung ein; billigdenkend, wie er war, beschloß er, die Einsame in seinen Schutz zu nehmen.

Der Morgen war voller Duft und Kühle. Die zackigen Kämme der gigantischen Felsenmauern schienen die Himmelsbläue zu zerschneiden. Ein Bach im steinigen Bett warf den kristallenen Schaum rauschend zur Tiefe. Eine uralte Brücke führte über den Bach nach aufwärts, und der Pfad wurde so steil, daß Mensch und Tier nur mühsam keuchend vorwärts kamen. Die Felsen waren hoch hinauf von alten Grabhöhlen so durchlöchert, daß sie wie ungeheure Wespennester aussahen. Der Weg wurde schmäler; die Pferde und Maultiere, in langer Reihe schreitend, fanden kaum Platz für ihre Füße. Einsamkeit und Totenstille!

Die Söldner beachteten weder die Gefährlichkeit noch die Großartigkeit des Pfades. Sie waren von einer Unruhe erfaßt, die jeder in sich selbst verspürte, ohne sie am andern zu merken. Die Babylonierin, auf einem Maultier hinter Arrhidäos reitend, war das Ziel ihrer erregten Blicke, ihres unablässigen Spähens. Sie hatten Weiber genug gehabt; von Milet bis Sardes hatten sie die Vergnügungen der Liebe bis zur Abspannung genossen, aber diesmal war es, als seien ihre Sinne durch Zauberei vergiftet. Es war, als ob ein Gluthauch der Wollust, der von dem Weibe ausströmte, sie unfähig mache, ihre gewöhnlichen Gedanken zu denken, ihre gewohnten Reden zu tauschen. Es sah aus, als zöge Liblitu diese wilden Männer gefangen hinter sich her. Wenn sie das Tier anhielt und ihren versprechenden, doch gleichsam noch schlummernden Blick nach rückwärts schweifen ließ, zitterten sie und stießen Laute aus wie Waldtiere, die zur Brunstzeit der Fährte eines Weibchens folgen. Beständig lag ein Ungewisses, unbewegliches, durstiges Lächeln auf Liblitus Lippen, und der übrige Körper schien gedrückt von der Last der Sonnenhitze.

Als der Abstieg auf breiten mit Moos bewachsenen Felsterrassen begann, erweiterte sich das Tal mehr und mehr, und spät nachmittags trat das Gebirge mit einemmal wie durch Zauberei zurück, und die unermeßliche Ebene Mesopotamiens wurde sichtbar. Einen letzten Blick wandten selbst die Müdesten zurück nach den in Eis und Schnee starrenden Gebirgen Assyriens, dann richteten sie das Auge nach Süden.

In gleichmäßigem Wellengang hob und senkte sich die Fläche, rotbraun schimmerte sie, und milchig zitterte die Luft über ihr. Breit und ruhig, gleich einer beweglichen Straße, floß der mächtige Tigris dahin und verschwand unter dem bläulichweißen Horizont. Kein Baum, kein Strauch, kein Haus war zu sehen, kein Anzeichen menschlichen Wirkens. Gazellen jagten fern dahin, schwarz in den hellen Himmel gezeichnet wie Schattengebilde. Am Strom weideten die wilden Esel, Schwärme von Trappen flogen, und hoch im Wolkenlosen schwamm langsam ein Geier.

Arrhidäos blickte regungslos, voll Andacht, voll wesenloser Dankbarkeit hinaus. Es war das Land uralter Sage, das vor ihm lag, das geheimnisvolle Gebiet chaldäischer Weisheit, das Reich der Könige Assurs, der furchtbare Schoß kriegerischer Völker. Und dort, unsichtbar für Augen, aber nahe jeder Ahnung, lag Babylon, die fabelhafte Stadt, der Nabel des Morgenlandes.

Am Fuß eines letzten Felsenausläufers wurde das Lager errichtet. Da zeigte es sich, daß die schreckliche Begierde des Söldnerhaufens in Raserei überzugehen drohte. Sie waren wie von einer Krankheit ergriffen. Die meisten unterließen es, ihre Zelte aufzustellen, aßen nicht, tranken nicht, sprachen nicht. Doch wagten sie nicht zu handeln; einer fürchtete den ändern, und alle fürchteten den Gegenstand ihrer Gier. Dichte Scharen umlagerten die Babylonierin und starrten sie lautlos an, während die Lagerfeuer aufflammten. Das geängstete Weib suchte zu fliehen, doch sie folgten still wie Hunde.

Nicht anders vermochte sich Liblitu zu retten, als daß sie sich ins Zelt des Arrhidäos begab und seinen Schutz erflehte. Sie war wie ein Kind in Furcht gesetzt vor dem Feuer, das ihre eigene Hand spielerisch unwissend entfesselt hatte, und sie schluchzte.

Arrhidäos ahnte nichts von diesen Vorgängen, und sein Gefühl nahm keinen Teil daran. Von anderem Drang und anderen Wünschen war sein Inneres durchwühlt. Die halbe Nacht lag er wachend unter freiem Himmel; wie ein Traumbild stieg die Gestalt Alexanders vor ihm auf, und Arrhidäos sprach zu ihm: Was du auch getan hast, hätt ich es nicht ebenso zu tun vermocht, wenn Glück und Zufall mich begünstigt hätten? Er empfand die Scham eines Zuspätkommenden, das Herzleid eines im Schatten Wandelnden. Der Neid zerriß seine Brust.


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