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Der Zug war soeben in die Station eingefahren und sollte sofort weitergehen, denn er hält hier nur zwei Minuten – gerade so lange, als nötig ist, um die Post herauszugeben und aufzunehmen. Die Station ist ganz unbedeutend, und es kommt selten vor, daß ein Reisender ein- oder aussteigt.
Doch heute – wie noch nie zuvor – drängte sich eine große Menge Dörfler und Dörflerinnen auf dem Perron, alle sprachen lebhaft durcheinander ... Die einen verabschiedeten die anderen, nämlich diejenigen, die Blumensträußchen und Buchsbaumzweiglein an den Mützen hatten ...
Es waren dies die Reservemannschaften aus dem anliegenden Dorfe K., die man zu Übungen, die etwa nur drei Wochen dauern sollten, einberufen hatte. Doch falsche Gerüchte von einem nahen Krieg hatten die Dorfbewohner getäuscht, und diese nahmen Abschied von den jungen Leuten, als sollten sie sie lange und vielleicht auch – niemals wiedersehen.
Einen Augenblick versammelten sie sich alle vor dem alten, langen Waggon dritter Klasse, der sich dicht hinter dem Tender befand. Diesen Vorrang verdankt die dritte Klasse vielen traurigen Erfahrungen ... Im Falle eines Unglücks zerbrechen ja die ersten Wagen in Stücke – samt den Insassen, wohlgemerkt! ... und schützen dadurch die hinteren Wagen, für die man teurer zahlt ...
Im letzten Augenblick, als sich der langgezogene Pfiff der Dampfpfeife hören ließ, und die Wagen anruckten, sprang ein schönes Mädchen geschickt auf den Tritt und reichte einem hohen, blauäugigen Soldaten, der sich zum Fenster hinausbeugte, ein Blumensträußchen. Er erfaßte die Blumen, und drückte die Hand des Mädchens heftig.
Der Zug setzte sich in Bewegung, aber die beiden jungen Leute hatten entweder keine Zeit dazu gehabt, oder es war ihnen unmöglich gewesen, auch nur ein Wort miteinander zu wechseln.
Das Mädchen stand da, ganz außer Atem, rot vor Aufregung und verfolgte mit den Augen das Fenster des Waggons, der allmählich in der Ferne verschwand, und in dem der Kopf des blauäugigen Kriegers sichtbar war.
Dann verschwand der Zug hinter einem Hügel.
Die Sonne brannte, indem sie zum Abschied feurige Strahlen auf die schwarzen Berge warf und ging unter.
Durch leere, stille Felder flog der Zug mit Blitzesschnelle. In den Waggons hatte man die Lampen angezündet. Die jungen Burschen öffneten die Bündel mit Vorräten, um sich mit dem zu stärken, was man ihnen mitgegeben hatte ...
Plötzlich ertönte der durchdringende Pfiff der Lokomotive – der Zug hielt.
»Was ist geschehen? ... Ist das eine Station? ...« fragten die jungen Leute, indem sie durch die Fenster in die dunkle Ferne blickten.
Der Zug stand im freien Feld, augenscheinlich hatte ihn irgendein Hindernis aufgehalten.
»Man sieht rotes Licht! ...« ließ sich eine Stimme vernehmen.
Und wirklich, vor dem nächsten Bahnwärterhäuschen hatte man eine rote Laterne auf die Erde gestellt, als Zeichen, daß die nächste Brücke defekt sei, und der Zug hier bis morgen warten müsse, das heißt, solange die Ausbesserungsarbeiten nicht vollendet seien.
»Wer will, kann aussteigen! ...« rief der Kondukteur, indem er die Wagentüren öffnete.
Im Augenblick befanden sich die Soldaten im freien Feld.
Die Reisenden in den anderen Wagen stiegen ebenfalls aus, aber sie nahmen das unangenehme Vorkommnis nicht so gleichgültig und ruhig auf.
»Das ist eine Frechheit! ...« riefen die Herren aus der zweiten Klasse.
Die Reservisten aber ließen sich durch dieses Ereignis nicht aus der Ruhe bringen – es wunderte sie, aber es ärgerte sie durchaus nicht. Es erwachte in ihnen die soldatische Erziehung, deren allererste Pflichten Ergebenheit und Geduld sind.
»Na ... hört mal zu ...« riefen einige – »wir strecken uns im Gras aus! ...«
»Die Herren sollen nur in den Waggons schlafen, damit sie sich nicht erkälten!« spotteten andere.
»Aufs Gras! ... Schlafen wir unter freiem Himmel!«
Kein einziger von ihnen wollte im Waggon bleiben, und während die »Herren« die Wagenfenster schlossen, damit die nächtliche Kälte nicht eindringe, warfen sich die Soldaten ins weiche Gras und richteten die Augen auf die blinzelnden Sterne, die im dunklen Himmelsraum blinkten wie diamantener Sand, und ihre Gedanken schweiften in die weite Ferne, dem heimatlichen Dorfe zu, in dem man ihrer mit gleicher Sehnsucht gedachte.
Nach und nach schwiegen die Gespräche ... alles ringsum ward still. Die Aufregung des Abschiedes und der Trennung von allem, was dem Herzen lieb und teuer ist, verbunden mit der angenehmen nächtlichen Kühle, wiegten die ermüdeten Burschen alsbald in tiefen Schlaf. In der nächtlichen Stille hörte man nur das ruhige Atmen von zwanzig jungen, gesunden Lungen.
Nur Mladen Rajtschow schlief nicht ...
Er war es, dem das junge Mädchen das Blumensträußchen gereicht hatte. Aus seinen Augen, seinen Gedanken wollte die Gestalt des Mädchens nicht weichen. Er sah sie fortwährend vor sich, wie sie ihm im letzten Augenblicke des Abschieds erschienen war: mit gerötetem Gesicht, außer Atem vom schnellen Laufen, mit schwarzen, feurigen, erschreckten Augen, die feucht waren vor Erregung – mit Lippen, rot wie Korallen, auf denen süße, doch ungesprochene Abschiedsworte bebten. Seine Hand preßte zärtlich die Blumen, die sie ihm im letzten Augenblick gegeben, sie zitterte noch vom Drucke ihrer Hand ...
In seiner Seele erwachte ein geheimes, sehnsüchtiges Gefühl, ein heißes Verlangen, jemanden zu sehen ... jemanden etwas zu sagen ... etwas Unbestimmtes, etwas, wofür er kaum Worte finden konnte ... etwas, was ihm wie ein Stein auf der Brust lag.
Es schien, als wären seine Seele, sein Herz, als wäre er selbst dort auf dem Bahnhof geblieben, und als wäre hier ein anderer, ihm unbekannter Mladen.
Seine Qual entsprang daraus, daß er während der letzten Tage Canka nicht gesehen hatte, er hatte sie nur im Augenblick der Abreise erblickt und auch dann nur für wenige Sekunden ... Nicht einmal ein einziges Wort konnte er mit ihr wechseln, und so viel ... so viel hatten sie einander vor der Trennung zu sagen! ... Aber sie war ihm erschienen wie ein Traum, und wieder verschwunden wie ein Traum ...
Es war offenbar, daß das Mädchen heimlich herzugeeilt war, um sich von ihm zu verabschieden ... und daß es erst im allerletzten Augenblick sich zu Hause losgerissen hatte ... Und als sich ihre heißen Blicke begegneten, erstarb ihr Herz in Schmerz und Verzweiflung!
Er selbst war die Ursache, daß man sie zurückgehalten ...
Gestern war er zu ihrem Vater gekommen, zum Milosch Karadschelew, Tschorbadschija,Tschorbadschija (türkisch) bedeutet Brotherr, entspricht hier z.B. dem bayrischen »Großbauer«. – Im allgemeinen wird jeder vermögende Mann so genannt. einem stolzen und zornmütigen Bauern, der manchmal ein gutes Herz hatte ... Als er ankam, gab Milosch gerade Gästen das Geleite.
»BajBaj. vertraulicher Ausdruck. Wird im Bulgarischen angewandt, wenn man weder »Herr« noch »du« sagen will. Anm. d. Übers. Milo ... ich rücke morgen mit unseren Reservisten aus und bin gekommen, um Abschied von dir zu nehmen und dich, den Älteren, um deinen Segen zu bitten ...«
Milosch Tschorbadschija geriet in Staunen. Lange Jahre hindurch herrschte Haß zwischen ihm und Mladens Vater, einem verhärteten Aufrührer, wie er es bis zum Tode geblieben, einem sehr eigensinnigen, aber höchst rechtschaffenen Mann. Milosch nannte ihn verächtlich Komita. Seinen Haß trug er vom Vater auf Mladen über, der dessen Eigensinn und die Tollkühnheit sowie die Mißgunst gegen den Tschorbadschija geerbt hatte. Daher gab es dem letzteren zu denken, warum Mladen zu ihm komme, um Abschied zu nehmen und ihn um seinen Segen zu bitten ...
»Ah! ... Du gehst ... Das ist gut ... Dort werden sie einen Menschen aus dir machen. Der selige Rajtschow hat aus euch lauter Hundesöhne gemacht ... Gott verzeih's ihm ...« sagte Milosch.
»Baj Milo ... sprich nicht schlecht von meinem Vater... Du hast ihn Zeit seines Lebens genug gekränkt!« antwortete Mladen mit bebender Stimme.
»Eh! ... was du sagst! ... War er denn ein Kind? ... Und jetzt, wenn du gehst, so mache, daß du fortkommst!« rief Milosch, indem er einen zornigen Blick auf den Burschen warf.
Mladen wich nicht vom Fleck. Die Grobheit des Tschorbadschija prallte an seiner Hartnäckigkeit wie an einem Felsen ab. Er sagte in entschiedenem Ton: »Ich werde gehen ... Doch bevor ich es tue, habe ich dir ein paar Worte zu sagen, die du gut im Gedächtnis behalten mußt ...«
»Sprich ... wir werden sehen!«
»Wenn ich lebend vom Militär zurückkomme ...«
»Und wenn du nicht Zurückkommst, gibt's noch lange kein Loch im Himmel ...« unterbrach ihn Milosch scharf.
»Immerhin ... wenn ich zurückkomme, werde ich dich um die Canka bitten. Denke also daran, daß du sie bis zu jener Zeit nicht jemand anders gibst.«
Als Milosch diese verwegenen Worte hörte, starrte er den Burschen an, um sich zu überzeugen, ob er ihn zum besten habe, aber der Blick Mladens verriet durchaus keinen Scherz, sondern kühne Entschlossenheit.
Da brach Milosch in verächtlichen Zorn aus: »Ah! Du Hundesohn! ... Du willst meine Tochter, aber wer wird dich wollen, du Ferkel?! ... Seht ihn mal ..., er fragt nach dem Popen, wenn man ihn mit Hunden aus dem Dorfe hetzt.«
»Canka will mich! ... Wir lieben einander ...« rief Mladen erregt aus.
Milosch brach in Lachen aus, und indem er die Hände in die Taschen seiner türkischen Beinkleider steckte, drehte er sich um und ging.
»Höre ...« schrie ihm Mladen nach – »denke daran, daß du Canka niemandem geben darfst, bis ich wiederkomme ... sonst lasse ich dich mit Rauch in die Luft steigen!«
»Du Banditensohn! ... Verwünschte Sippschaft! ... Der Sohn eines Komita muß auch ein Komita sein!«
Wie er jetzt im Grase lag, kam ihm das alles in Erinnerung, und tolle Wut kochte in seiner Brust.
Ich töte sie alle und mich dazu, wenn der Alte Canka einem anderen gibt ... dachte er wütend.
Doch bald beruhigten ihn angenehmere Gedanken.
Er sah vor sich sein Heimatsdorf ... Unter dem besternten Himmel ruht es still in tiefem Schlummer ... der Bach rauscht neben dem Zaun von Miloschs Gehöft ... unter den herabhängenden Zweigen alter Weiden, am Ufer des kleinen Flusses, schlummern die Gänschen ... im Hof Stille, nur der alte Birnbaum rauscht ab und zu, und die Bohnenblätter lipeln... unter dem Birnbaum steht ein Schuppen mit einem Webstuhl, und dort ist Cankas Schlafgemach. Alle im Hof schlafen, nur Canka allein wacht, es wacht auch ihr Liebster ... er denkt an sie und seufzt nach ihr ... Wie sie sich freuen würde, vernähme sie plötzlich sein leises Rufen, wenn sie einander wiedersehen und ohne Hindernis nach Herzenslust plaudern könnten von allem, was ihnen im Augenblick der Trennung die Herzen bedrückt ... Was wäre das für eine Freude! ... Sie würde zu ihm herauskommen, wie eine Schlange würde sie ungesehen von ihrem Lager schlüpfen.
Plötzlich blitzte ein Gedanke in seinem Hirn auf: und wenn er zu ihr ginge und sie sehen würde? ... Bis zum Morgengrauen sind's noch sechs bis sieben Stunden, Zeit genug, um die Geliebte, wenn auch am Ende der Welt, zu sehen, geschweige denn kaum eine Stunde Weges entfernt! ...
Ohne weitere Überlegung entschloß er sich ...
Jetzt hätte ihn nichts mehr zurückhalten können, er war bereit, durch einen feurigen Strom zu schwimmen, wenn ihn ein solcher von Canka getrennt hätte, er war bereit, Festungsmauern zu stürmen, sollte der Zaun von Miloschs Gehöft sich in solche gewandelt haben.
Die Sterne blinkten schweigend am azurblauen Himmel ... Ringsum Stille ... nur das Schnarchen der jungen Krieger unterbrach sie ... Mladen stand vorsichtig auf und schnellen Schrittes eilte er durch die Felder, an der Bahnlinie entlang.
Bald verschwand er im nächtlichen Dunkel ...
Mitternacht war vorüber, als Mladen, berauscht von dem süßen Zusammensein mit der Geliebten, das Dorf verließ, um zur Station zu gelangen und von dort aus an den Bahnschienen entlang weiterzugehen.
Bisher hatte ihn niemand getroffen, niemand hatte ihn gesehen.
Das Dorf war leer, wie ausgestorben; das freute ihn, er wollte, daß seine Anwesenheit im Dorfe sowie die Ursache derselben für alle ein Geheimnis bleibe. Jetzt erst kam es ihm in den Sinn, daß er ein Vergehen gegen die soldatische Disziplin begangen habe, daß seine Handlungsweise wahnwitzig war, aber nicht hinzugehen, wäre über seine Kräfte gestiegen.
Er eilte vorwärts, die Stunde wußte er nicht, er fürchtete, daß, bevor er den Zug erreiche, der Morgenstern ihn noch im Felde überrasche ... so lief er denn, immer schneller ...
Ein starker Wind hatte sich erhoben und brauste dumpf zwischen den Zäunen und den Nußbaumzweigen ...
Als Mladen bereits ein weites Stück durch das Feld gelaufen war, fiel ihm auf der linken Seite ein starker Lichtschein auf ... Er sah sich um ... in der Ferne sah man auf der Flur gelbe Flammen aus den Garben steigen ... Der Wind trieb sie auseinander, und sie sprangen auf immer neue Garben und Schober über und bildeten zwei Flammenströme ... Die ganze Gegend war in dieses Lichtmeer getaucht ... die Feuersbrunst übertrug sich auf einen sehr hohen Schober ... eine glühende Säule stieg in die Luft, und der immer stärker wehende Wind löste sie in Millionen feuriger Zungen auf.
Plötzlich vernahm Mladen Schritte in der Nähe ... erschreckt schaute er auf und sah zwei Gestalten auf sich zukommen. Zwei Bauern waren's aus seinem Dorfe ... Er sprang behend in die Büsche und eilte gebückt weiter ... Er war überzeugt, daß ihn die beiden Bauern nicht gesehen hatten.
Beruhigt lief er weiter und blieb wieder stehen, um den Brand zu betrachten.
Der Anblick schmerzte ihn ... Wie viel menschliche Arbeit ging hier verloren! In einem Augenblick ward der Wohlstand zu Asche, den der Fleiß erworben, und keine Menschenmacht konnte etwas retten aus diesem Flammenmeer.
Das unterlag keinem Zweifel: dieses Feuer hatte die Hand eines Verbrechers angesteckt! ... Mladen sah dies als ein schlechtes Zeichen für sich an. Er lief schnell, doch der unheilverkündende Feuerglanz folgte ihm überall nach. Als endlich ein Hügel ihn verbarg, wurde es Mladen leichter ums Herz.
Als er an Ort und Stelle angelangt war, lagen seine Gefährten noch in tiefem Schlafe. Er warf sich auf die Erde und schlief neben ihnen in dem Augenblick ein, als sich die blaßrosige Morgenröte auf dem stillen, dunklen Hintergrund des Himmels zeigte.
Die Sonne ging auf, die Brücke war wiederhergestellt worden, und der Zug setzte sich von neuem in Bewegung.
Am Nachmittag langten sie in der Stadt, die das Endziel ihrer Reise war, an.
Am Abend des folgenden Tages rief man Mladen zum Vorgesetzten. Er wunderte sich sehr, warum man ihn rief. Doch sein Staunen ward zum Schrecken, er erblaßte, als er, vor seinen Vorgesetzten tretend, diesem zur Seite Cankas Vater, Milosch, erblickte.
Sollte mich jemand gesehen haben? ... dachte er – Nein ... davon weiß kein Mensch ... Milosch will mich gewiß dessen anklagen, was ich vorgestern gesagt habe. Das wird mir nicht schaden ...
Das Gesicht des Offiziers war streng. – Milosch war rasend vor Wut.
Mladen stand da wie eine Bildsäule.
»Mladen Rajtschow, als ihr bei der defekten Brücke halten mußtet, hast du dich von dort entfernt?« fragte ihn der Offizier.
Mladen begriff, daß sein Ausflug nach dem Dorfe allen bekannt sei, gewiß hatten ihn die beiden Bauern, die er unterwegs getroffen, erkannt und es mitgeteilt. Er beschloß, nicht zu lügen, sondern die volle Wahrheit zu gestehen und die Strafe mutig zu ertragen. Nur eines wollte er nicht sagen ... kein Wort davon, daß er Canka gesehen hat! ... Nein, um nichts in der Welt wird er dem Mädchen diese Schande machen. Eher stirbt er, als daß er es sagen sollte. Und sobald er es beschlossen hatte, wußte er, daß er davon nicht abweichen werde. Seine Entschlossenheit wandelte sich in eiserne Willenskraft.
Mladen gehörte zu jenen strengen Bauern – es gab ihrer viele bei uns –, die einen harten, unbeugsamen Charakter haben. Im letzten Kriege versetzten sie alle in Erstaunen durch ihre übermenschliche Geduld und seltene Selbstbeherrschung, die fast an Gefühllosigkeit grenzte, dies vor allem unter dem Messer des Chirurgen.
Auf die Frage des Vorgesetzten antwortete Mladen kurz, daß er im heimatlichen Dorf gewesen sei.
»Was hast du dort gemacht?«
Mladen schwieg.
»Du lügst! ... Du bist nicht in unserem Dorf gewesen! ... Du warst auf unseren Feldern!« schrie Milosch wütend.
Das war für Mladen eine große Überraschung.
Augenscheinlich wußte niemand um seine Zusammenkunft mit Canka. Das freute ihn. Aber warum war Milosch so in Zorn? ... Warum war er hergekommen? ... Ihm war das alles unbegreiflich.
»Was hast du auf den Feldern Miloschs gemacht?« fragte der Offizier, der von der Ansicht ausging, daß er nicht einmal zu fragen brauche, warum er nach dem Dorf gegangen sei, war er doch fest überzeugt, daß Mladen dort nicht gewesen war.
Jetzt erst begriff Mladen, wessen man ihn anklage. Die niedergebrannten Schober gehörten Milosch, und dieser verdächtigte ihn der Brandstiftung ... eines so schrecklichen Verbrechens! Der Gedanke empörte ihn, aber ruhig sagte er: »Ich war im Dorf. Auf den Feldern Miloschs war ich nicht und hatte dort auch nichts zu suchen.«
Vor seinen Augen standen plötzlich die beiden Bauern. Gewiß, die hatten ihn in diese Pein versetzt.
Die Stirn des Offiziers verdunkelte sich.
»Und warum hast du gestern gegen Milosch Drohungen ausgestoßen?« fragte er, indem er auf Milosch wies.
Entsetzt richtete Mladen seine Blicks auf Milosch.
»Warum stellst du dich jetzt so blöde?« rief Milosch aus. »Frage ihn, frage, Herr Offizier, ob er nicht gesagt hat, daß er mich mit Rauch wird in die Luft steigen lassen?«
»Antworte!« befahl der Offizier.
»Ich habe es gesagt!« antwortete Mladen.
Diese aufrichtige Antwort verwunderte den Offizier und – gefiel ihm sehr. Mladen gewann seine Teilnahme, aber unglücklicherweise sprachen alle Umstände gegen ihn. Der Offizier hegte keinen Zweifel, daß er den tatsächlichen Anstifter des Brandes vor sich habe.
»Führe ihn auf die Wache!« befahl er dem diensttuenden Soldaten.
Als man Mladen hinausgeführt hatte, wandte sich der Offizier zu Milosch: »Sonderbar, der Bursche sieht gar nicht aus wie ein ...«
»Eh, das ist ein vollendeter Lump, Herr Kapitän ... Hat er es dir nicht eingestanden wie in der Beichte? Der Sohn eines Komita! ... könnte er denn anders sein!« unterbrach ihn Milosch lebhaft.
Der Offizier sah ihn streng an und verließ die Stube.
Man fügte sich den verpflichtenden Gesetzen und übergab den Verbrecher den Zivilbehörden.
Niemals lag ein ähnlicher Fall so klar da; niemals hatte man in einer Prozeßsache so schnell Stellung nehmen können, und niemals fällten die Richter ihr Urteil mit reinerem Gewissen ...
Die Beweise der Schuld Mladens waren so klar, so überzeugend, daß selbst der Rechtsanwalt, der seine Verteidigung übernommen hatte, den jungen Burschen, obgleich er fortwährend leugnete, dennoch für schuldig hielt. So beschränkte er seine Verteidigung nur auf die Bitte, mildernde Umstände anzuerkennen und somit die Strafe herabzusetzen.
Mladen wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.
Schon über fünf Monate seufzte Mladen im Gefängnis.
Eines Tages geriet der junge Gefangene in große Verwirrung, als er hinter einem Wachtmeister der Gendarmen den Vater Cankas seine Zelle betreten sah.
»Mein Junge!« rief Milosch, und er war ganz außer Atem – »Sei guten Mutes! Man wird dich aus dem Gefängnis entlassen! ... Du bist unschuldig, mein Kind ... der verdammte Stano hat meine Schober angezündet ... er selbst hat es gestanden. Na. .. komm nur schnell!«
Mladen war ganz erstaunt und schenkte diesen Worten keinen Glauben. Der Wachtmeister aber bestätigte Miloschs Worte, indem er den Befehl des Kreisgerichtspräsidenten, der Mladen die Freiheit wiedergab, verlas.
»Söhnchen ... kannst du mir verzeihen, daß ich dir so viel Böses zugefügt? ... Ich bitte dich um Verzeihung!« sagte Milosch demütig, fast unter Tränen – »Warum hast du nicht die Wahrheit gestanden? Du siehst, was wir dadurch angerichtet haben!«
»Ich sagte es doch, Baj Milosch, daß ich Euer Feld nicht einmal gesehen hätte ...«
»Na, jetzt glaube ich's ... Aber als dich die Richter fragten, warum hast du nicht gesagt, wo du warst, und wer dich im Dorfs gesehen hatte?«
Mladen dachte nach... Er wurde rot und erwiderte: »Warum ich es nicht gesagt habe? ... wegen Canka ...«
»Wieso denn? ... Wegen Canka?«
»Ich bin ins Dorf gegangen, um Abschied von Canka zu nehmen ... damals schworen wir's uns, daß wir einander heiraten würden ... Konnte ich wohl den Namen Cankas nennen, konnte ich sie verdächtigen?«
Er schaute Milosch gerade in die Augen – doch diesen überkam anstatt des Zornes ein anderes Gefühl.
»Das war's also! ... Kind ... ihr liebt einander wirklich, du und Canka? ... Darum also ist sie so finster seit jener Zeit ... aber nicht ein einziges Wort hat sie gesagt ... Na, na... küsse mir die Hand und bitte, daß ich sie dir gebe ... Es sollen sich alle freuen!«
»Du tust gut daran, Milosch, denn ich hätte sie mit Gewalt genommen, wie es sich einem Soldaten ziemt ...« rief Mladen aus, indem er seine Hand küßte.
»Und wenn ich sie jemand anders gegeben hätte, hättest du bei mir Feuer angelegt?«
»Na, na, Baj Milosch... Du kennst mich!«
»Von nun an nenne mich Vater, verstehst du? Vater ... irre dich nicht, Komita!« rief scheinbar streng der lächelnde Milosch aus, indem er ihn zum Gefängnistor hinausführte.
Dem Wunsche des beglückten Milosch gemäß fand die Verlobung Mladens mit Canka noch an demselben Abend statt – die Hochzeit acht Tage später.
Als im Dorf die Hochzeitsmusik erklang, verbreitete sich zugleich die Nachricht von dem Ausbruch des serbisch-bulgarischen Krieges.
Am folgenden Tag rückte Mladen aufs Schlachtfeld hinaus.
Nichts halfen die Bitten und Tränen der jungen, verzweifelten Frau. Mladen ließ sich nicht erweichen. Auf die Bitten Miloschs gab die militärische Behörde Mladen einen einwöchigen Urlaub – aber er bestand auf seinem Willen, indem er sagte: »Meine Frau, meine Familie, mein Schatz, mein alles ist jetzt mein Vaterland, solange der Feind sich in ihm befindet.«
Und er ging von einer Hochzeit zur anderen – zur blutigen.
Und er kam nicht wieder ... Er ließ sein mutiges Leben auf den Anhöhen von Caribrod.
Als Andenken an ihn hatte Canka ein einziges Söhnchen, ein schönes, blauäugiges Engelchen. Es schrie, was die Lungen hielten, und war eigensinnig wie der Teufel.
Oftmals – wenn der Enkel dem Großvater die Hände zerkratzt hatte – sagte der Alte, indem er des Kindes rundes Gesichtchen küßte: »Der ganze Vater! ... Ein reiner Komita! ... der Dickkopf!«