Iwan Wasow
Die Bulgarin und andere Novellen
Iwan Wasow

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Welko im Kriege.

Eine wahre Begebenheit.

Als man ihn zum Militär nahm, versteckte er sich auf dem Heuboden im Stroh ... Der alte Vater ging in die Stadt, um auf dem Amte zu bitten, man möge WelkoWelko, bulgarischer Vorname. Entspricht dem jerwotischen und serbischen Wuk. Bedeutet Wolf. (Im Russischen heißt Wolf = Wolk, im Polnischen = Wilk.) nicht nehmen, da er der einzige Sohn sei und es niemanden in der Wirtschaft gebe, der die Ochsen weiden und die Saaten bestellen könnte.

Zu Hause blieb nur die alte Mutter, die alle diejenigen, die nach Welko fragen würden, abfertigen sollte.

»Baba Wida ... rufe Welko! ... Er muß in die Stadt gehen ... er ist Reservist ... Er soll das Gewehr mitnehmen ...« sagte ihr der Kmiet.

»Welko ist nicht zu Hause, mein Söhnchen.«

»Mutter Wida! ... vielleicht hat Welko sich versteckt? ...« fragen die Reservisten, die an der Tür vorbeigehen.

»Nein, Söhnchen! ... Wo sollte ich ihn auch verstecken? ... Seit vorgestern weiß ich nicht, wo er ist... Er ist doch kein Nichtsnutz! ... Ihr kennt ihn doch ...«

Doch jetzt kommt Iwan Morisiwina, der Anführer der Reservisten. Er ist bewaffnet von Kopf bis zu den Füßen. Man kennt ihn als einen grausamen Menschen, und alle im ganzen Dorfe zittern vor ihm.

»Großmütterchen! ... Wenn Welko bis morgen früh vor unserem Ausmarsch nicht zur Stelle ist, gebe ich ihm hundert Stockhiebe, sobald ich ihn fasse! ... Merke dir das gut! ...«

»Aber wieso denn! ... Mich tötet, sobald ihr ihn findet! ... Er ist doch kein Nichtsnutz! ... Weißt du es denn nicht? ...« murmelt die erschreckte Mutter Wida und denkt an Welko, der auf dem Heuboden sitzt ...

»Hundert Hiebe mit einem Stocke von Knorpelkirschenholz! ... Nicht einen weniger! ...« wiederholte Iwan und ging.

Und Welko? ... Zitternd wie im Fieber sah er ihm nach durch eine Öffnung, die er im Dache gemacht. Er hatte die Drohung des schrecklichen Morisiwina gehört und war noch mehr erschrocken.

Er glitt rasch in einen Winkel des Dachbodens, kroch ins Stroh und vergrub sich darin bis an den Hals.

Und so blieb er bis zum Abend.


Am folgenden Tag früh am Morgen sieht er durch den Spalt: auf dem freien Platz im Dorf steht eine Menge Reservisten, alles seine Genossen, alle vergnügt, alle in Uniform, und auf ihren mit Herbstblumen geschmückten Mützen leuchten in der Sonne kleine goldene Löwen ... Im Mund halten sie kleine Zweige von Buchsbaum, mit dem sie auch die Gewehre verziert haben ... Patronen, wie Perlen aufgezogen, kreuzen sich auf ihrer Brust ... Und wie die blechernen Feldflaschen, die ihnen an der Seite hängen, sie gut kleiden ... die Sonne spiegelt sich in ihnen! ...

Stille legte sich über die Gruppen. Die Reservisten traten seiner Hütte gegenüber in Reih' und Glied.

Von der Schenke her nahte Iwan Morisiwina. Er trug eine Mütze hoch wie ein Schornstein, an ihrer Seite hatte er eine weiße Feder befestigt.

Er blieb vor den Reihen stehen, sprach etwas zu ihnen, gab mit der Hand ein Zeichen ... sie setzten sich langsam in Bewegung, gleichmäßig, geordnet, und er vor ihnen. Hinter ihnen in bunter Menge die Verwandten und Freunde, die gekommen waren, Abschied von ihnen zu nehmen.

Ein Lied erscholl laut, klangvoll ...

Welko horchte ... er konnte sich nicht satt hören an der süßen Melodie ... und das Lied erfüllte mit seinem Klang das ganze Dorf ... Himmel und Wälder ...

Sie sind gegangen ... verschwunden ...

Von Zeit zu Zeit brachte ihm der Wind Klänge des Liedes, das in der Luft verhallte.

Es ist doch etwas Schönes um den Krieg! ...

In der Brust des dummen Welko erzitterte das Herz ... Er sah an sich hinunter ... bestaubt von oben bis unten, mit Stroh und Spinnweben behangen ... um ihn dumpfer Geruch, Finsternis, Unrat von Mäusen ... und hier und da durch einen Ritz dringen spärliche Sonnenstrahlen ... gleichsam gestohlenes Licht ...

Und dort ... weite Felder, heller Himmel, die reine Sonne leuchtet ... der Fluß im Tale rauscht, Vögel schwingen sich in freiem Flug in die Höh' ... und seine Genossen marschieren durch die grünen Felder und singen ...

Ohne viel zu denken, glitt Welko durch die viereckige Öffnung vom Boden in die Stube, ergriff das Gewehr an der Wand, ging durch den Kuhstall, streichelte den gesteckten Ochsen, küßte den Stern auf dessen Stirn, sprang über den Zaun, auf daß die Mutter seiner nicht ansichtig werde, und lief aufs Feld, als ob ihn jemand jagte.

Die Reservisten marschieren und singen ... Wie Blitze zucken ihre Bajonette in der Sonne ... ihre Standarte flattert wie ein großer Vogel mit ausgebreiteten Flügeln ...

Allen voran schreitet Iwan Morisiwina. Von Zeit zu Zeit wendet er sich zurück, kommandiert und geht langausschreitend wieder weiter mit seiner großen Mütze.

Als Welko sie erreicht hatte, schwieg das Lied, die Reihen lösten sich, und alle fingen an zu schreien, denn nach Welkos Ankunft hatten sie jemanden, den sie vornehmen konnten.

»Umalejtan! ... Umalejtan! ... Wie geht es dir?! ... Was für ein Held du bist! ... Wo warst du denn? ...« riefen die einen.

»Umalejtan ist angekommen! ...« schrien die andern – »jetzt fürchten wir nichts mehr und nehmen den Sultan gefangen! ...«

»Marsch! ... Marsch! ... und lustig sein! ... Marsch! ... Marsch! ... Konstantinopel ist unser! ...«

Und alle Reservisten lachen und blicken neugierig auf Welko Umalejtan, an dem hie und da noch Spinnweben hängen.

Welko wurde rot und schwieg.

Iwan Morisiwina lächelte, aber bald runzelte er wieder die Stirn und rief scharf: »Genug, genug damit! ... Was habt ihr so zu lachen? ... Bravo, Welko! ... Marsch! ...«

Die Reservisten rückten weiter in Ordnung.

Aber bevor sie über die erste Anhöhe waren, hatte man Welko aus Umalejtan in »Unterleutnant« umgetauft.


Abends langten sie in Philippopel an.

Man brachte sie in der neuen Kaserne auf dem Hungrigen Felde unter.

Am folgenden Morgen machte der Offizier die Runde, hörte den Rapport Morisiwinas an und ging.

Welko gefiel es hier gut: die Suppe mit Fleisch, der neue Soldatenmantel und die Gefährten und die Lieder und die Vergnügungen – alles, was das Herz nur verlangte. Er gewöhnte sich an das neue Leben, eignete sich die Gewohnheiten und die Sprache der Soldaten an ... in nichts mehr war er dem ehemaligen Welko ähnlich.

Man ruft zum Appell.

»Hier!« ruft er aus vollem Halse, indem er sich gerade streckt wie eine Saite und dem Vorgesetzten frei in die Augen blickt.

Und die anderen machen sich lustig über ihn.

»Welko ...« rief Iwan Morisiwina, der schon zum Offizier ernannt worden ist – »du hast das Löwchen verkehrt an die Mütze genäht! ... Wilder Kerl! ...«

»Zu Befehl Eure BlagorodieBis zum serbischen Kriege, d.h. bis zur Abberufung der russischen Offiziere, titulierten die Soldaten ihre Offiziere nach russischer Weise. Gegenwärtig sagen sie: Herr Leutnant, Oberst u.s.f. Anmerk. der Übersetzerin. ...« und Welko blickt seinen Vorgesetzten achtungsvoll an.

Jeden Augenblick kommen neue Transporte Rekruten an, die man zur Einübung unter die Reservisten verteilt.

Welko wurden etwa zehn Landleute und fünf Städter zugeteilt. Iwan Morisiwina hatte etwas gegen einen der letzteren und quälte ihn schrecklich.

Er hatte jetzt die Gelegenheit gefunden, sich zu rächen.

»Welko! ...« ruft er seinen Untergebenen zur Seite.

Und als Welko neben ihm stand, fragte er, indem er mit den Augen auf die in Reih und Glied stehenden Rekruten wies: »Gehorchen sie dir? ...«

»Sie gehorchen, Eure Blagorodie ...«

»Und siehst du dort jenen großen? ...«

»Ich sehe ihn, Eure Blagorodie ...«

»Das ist ein Hundesohn ... das ist ... du verstehst? ... Paß gut auf ... erlaube ihm nicht, sich zu rühren ... wenn er schlecht marschiert, gib ihm einen Fußtritt ... sieht er nicht geradeaus, hau' ihm aufs Maul mit der Faust ... schone ihn nicht ... Vorwärts, daß ich's zu sehen bekomme ...«

»Zu Befehl! ...«

Welko kehrte zu seinen Rekruten zurück, und der Unterleutnant wandte sich der Stadt zu.

Welko begriff nicht, warum der Unterleutnant befohlen, nur den Großen zu schlagen. Manche von den Landleuten sind wahre Löwen während der Übungen, und der Große marschiert am besten nach dem Kommando. Sollte der Herr Unterleutnant sich nicht geirrt haben? Sein Kopf konnte es nicht fassen, aber seit jener Zeit, ohne zu wissen warum, fühlte er sich verlegen angesichts des Großen.

Abends rief Morisiwina ihn in die Kanzlei.

»Welko, wie geht's denn mit jenem Esel? ...«

»Zu Befehl, Eure Blagorodie ...«

»Ist ihm 's Maul geschwollen?« ...

»Durchaus nicht, Eure Blagorodie, er macht seine Sache ordentlich ...«

Der Unterleutnant runzelte die Stirn.

»Höre, du bist ein Kamel. Morgen komme ich während des Exerzierens ... Was er auch tun möge, du wirst ihn in meiner Gegenwart tüchtig ausschimpfen, sonst holt dich der Teufel! ...«

Welko ging erschreckt.

Er hatte bemerkt, daß der Herr Unterleutnant seit seiner Beförderung schlimmer geworden war, und schließlich ... wer weiß ... vielleicht war es so Sitte ...

Am folgenden Morgen kam der Unterleutnant zur Übung mit einer tiefen Runzel auf der Stirn.

Welko fühlte kalten Schweiß perlen.

Sogleich beim ersten Kommando: »Eins, zwei!« trat Welko zum Großen, riß ihn an der Uniform und rief mit dumpfer, schwacher Stimme, als käme sie aus dem Erdboden: »Bitte ... Herr! ...«

Weiter konnte er nichts mehr sagen, er sah den Großen nur stehend an.

Einige Soldaten, die Städter, lächelten unwillkürlich, als sie die bedauernswerte Lage Welkos sahen, der nicht wußte, ob er sich im Himmel oder auf der Erde befand ...

Wütend biß Morisiwina die Zähne zusammen, erblaßte, sprang auf Welko zu und schlug ihn ins Gesicht, daß ihm das Blut aus der Nase stürzte.

Das brachte den Offizier noch mehr in Wut, er rief: »Welko! ... vierundzwanzig Stunden Arrest... ohne Brot! ...«


Schwer war die Strafe für Welko.

Die ganze Nacht hindurch weinte er. Ganz unter ging er in seinem Leid. Er erinnerte sich seiner Mutter, die da schluchzt, wenn sie an ihn denkt ... seines Vaters, dem die Füße bei schwerer Arbeit nicht mehr dienen wollen ... des gefleckten Ochsen im Stalle, der sich jetzt umsieht, ob Welko nicht komme, ihn zu streicheln ... Lange dachte er daran. Zum drittenmal krähten die Hähne, der erste Tagesschimmer fing an, sich durch das Fensterchen hineinzustehlen ... bald wird die Kaserne erwachen, die Zeit der Strafe vorüber sein und er wird wieder zum Exerzieren gehen ... und wieder wird er das gerunzelte Antlitz des wilden Unterleutnantes sehen.

Nein ... er wird heute abend davonlaufen ... sobald es finster wird ... Mag geschehen, was da wolle ...

Indessen, sein Vorhaben konnte Welko nicht ausführen. Man schickte Iwan Morisiwina irgendwohin, und an seine Stelle kam ein vernünftiger und menschlicher Offizier.

Und Welko blieb.

Der erste Offizier bemerkte bald die Tüchtigkeit Welkos, seinen Gehorsam und die herzliche Schlichtheit.

Eines Tages belobte er ihn laut vor der Abteilung für gute Ausführung irgendeines Auftrages.

»Bravo, Welko! ... Du bist ein kühner Kerl! ... Ich wünsche allen, daß sie solche Soldaten werden, wie du einer bist ...«

Welko schien es, als sei er in den Himmel zurückgekehrt. Seit diesem Augenblicke war er bereit, auf jeden Wink des Vorgesetzten zu sterben. Es kam Leben in ihn, und er fing an, die Gefährten auszufragen, ob bald ein Krieg gegen die Türken kommen würde, er hatte nämlich Lust, einige Türken auf sein Bajonett zu spießen. Von Tag zu Tag wurde er kriegerischer.

»Welko ... wirst du in der Schlacht wirklich eine Menge Türken totschlagen? ...« fragten ihn seine Gefährten boshaft.

»Ihre Mütter werden sie beweinen ...«

»Und wie wirst du sie totschlagen? ... Du warst ja noch nie in der Schlacht ...«

»Was ... ich? ...« antwortete der gereizte Welko, er trat zur Seite, faßte das Gewehr fest an – holte aus und durchstach die Luft mit dem Bajonett.

Alle wichen aus, denn der erboste Welko hätte wirklich jemanden auf das Bajonett, dessen Spitze in der Sonne glänzte, spießen können. Unvermutet klopfte ihm jemand auf die Schulter.

Er wandte sich um.

Vor ihm stand sein Offizier und sah ihn halb lächelnd, halb streng an.

Welko stellte sich stramm und war sprachlos vor Scham.

»Ich möchte dich auch vor dem wirklichen Feinde so kühn sehen ...« sagt der Vorgesetzte.

»Zu Befehl, Eure Blagorodie ...«


Es war im Jahre 1885. Am zweiten November (alten Stils, am 14. neuen Stils) führte man das ganze Regiment auf das Hungrige Feld und stellte es in Reih' und Glied. Bald kam der Oberst zu Pferde an und verkündete allen, daß Milan, der König von Serbien, Bulgarien einen ungerechten Krieg erklärt habe und daß abends das Regiment ins Feld zum Kampfe ausrücke, die Grenzen des Vaterlandes zu verteidigen.


Nach dem ersten, unwillkürlichen Gefühl der Befriedigung ob des Krieges mit Serbien (die allgemeine Freude hatte sich auch Welko mitgeteilt) entstand in Welkos Kopf große Verwirrung. Er konnte zwei Dinge nicht fassen: erstens, warum denn die Serben nicht gegen die Türken auszogen, die schlecht und keine Christen sind, und ferner, ob es schrecklich ist, über das Meer zu fahren, wenn man nach Serbien gelangen will? ...

Aber er hatte keine Zeit, es in Erfahrung zu bringen; alle hatten die Hände voll zu tun, liefen hin und her und rafften die Sachen zusammen, denn man mußte in den Bahnzug steigen.

Der Bahnhof ist angefüllt mit Leuten ... Die Mütter nehmen weinend Abschied von den Soldaten... Die Mädchen bekränzen ihre Mützen mit Laub ... andere stecken Fichtenzweige in die Gewehrläufe ... Nur ihn verabschiedet niemand ... niemand klagt, daß er in den Krieg geht ... Sehnsucht erfaßte ihn, aber es gibt keine Zeit: man packte sie in die Abteile, die Musik fing an zu spielen, die Menge verabschiedete sie mit dem Ruf »Hurra! ...« und der Zug setzte sich in Bewegung.


Schon seit zwei Tagen dröhnt das ebene Feld von Sofia vom Kanonendonner wider, der in dem hohen, in seinen Grundlagen erzitternden Witosch sein Echo sucht ... Der Berg hüllt seine erzürnte Stirn in dichte Wolken ein ...

Erschreckt ist gleichfalls das alte Sofia, die bulgarische Residenz ... auf den Straßen Verwirrung und Gedränge ... auf den Straßen Trauer ... und die Herzen – schwer ...

Weiße Fahnen mit roten Kreuzen wehen überall, die Stadt hat sich in ein Spital umgewandelt, Wagen mit Verwundeten langen unaufhörlich an ... und vom Schlachtfeld kommen immer mehr düstere Nachrichten ... der Kanonendonner nähert sich immer mehr, wird immer schrecklicher, die Luft bricht sich, die Scheiben zittern in den Fenstern.

Hinter Sofia, in der Richtung von Sliwnitza, ist die ganze Chaussee schwarz von Militär; sie kommen: aus dem Innern der Rhodoper Sümpfe, von den Ufern des Schwarzen und des Weißen Meeres, von der Donau kommen diese Helden. Die Nächte haben sie zu Tagen gemacht, im Gehen schliefen sie, sie nahmen keinen Bissen in den Mund, und es ist ihnen wohl bekommen! ...

Hörst du? ... sie singen noch als Antwort auf den Donner der Kanonen, obwohl sie bis an die Lippen mit Kot bespritzt sind, nur ihre Gewehre blitzen, und in ihren Herzen herrscht Freude ... Sie wissen, daß Bulgarien auf sie schaut und sagt, was es von ihnen erwartet, sie wissen, daß Bulgarien für sie betet.

So weit das Auge reicht gen Westen, ist der Weg bedeckt mit Infanterie mit aufgesteckten Bajonetten ... eiserne Wagenräder knarren ... sie ziehen schwere Geschütze und Wagen mit Munition ... wenn sie ausweichen, bespritzen sie die ermüdete Reiterei mit Schmutz! ... Aber welch sonderbare Reiterei! ... Zu dreien auf einem Pferd, wie die Soldaten Radetzkis, als sie zum Kampf gen Schipka eilten, dem Landsturm zu Hilfe.

Jetzt ist bei Sliwnitza ein zweites Schipka, und ein Soldat, eine Kugel mehr – kann das Vaterland erlösen... Unsere Helden wissen es, und daher hat ihnen Gott eiserne Kräfte und unsichtbare Flügel gegeben...


Ein schrecklicher Kampf wütet seit einer Stunde auf der ganzen Linie hinter Sliwnitza. Schon seit drei Tagen donnern die Geschütze ununterbrochen, und Millionen Kugeln pfeifen. Dichter, bläulicher Nebel hängt über dem Schlachtfeld und will sich nicht verziehen.

Zusammengedrängte feindliche Wagenburgen dringen von allen Seiten ein und weichen überall zurück. Vorgestern waren sie in dreimal stärkerer Zahl als wir, gestern in zweimal stärkerer, heute sind die Kräfte ausgeglichen.

Der Kampf gärt auf dem linken Flügel, in der Mitte und auf dem rechten Flügel, in dem sich unser Welko befand. Er kämpft für zehn, vollbringt Wunder.

Der Grabhügel, von dem aus die Bulgaren schießen, gehörte gestern den Serben. Nach wiederholter Attacke haben unsere Soldaten die Serben aus dieser Position gedrängt – der Feind zog sich auf die gegenüberliegenden Anhöhen zurück, wo er sich während der Nacht verschanzt hat... Er richtet ein konzentrisches Feuer auf uns und überschüttet mit einem Hagel von Kugeln unsere Position, die niedriger liegt als die serbische ... Die Serben selbst sind unsichtbar ... hier und da tauchen aus dem Rauche die Spitzen schwarzer Mützen auf, und allsogleich verschwindet alles wieder.

Die Stunden vergehen, der Kampf dauert immerfort. Das schreckliche Feuer der serbischen Schanzen steigert sich jeden Augenblick.

Unsere Kompagnie spart die Patronen und schießt nicht umsonst, sie wartet auf das Kommando »Vorwärts!«, um auf die Schüsse mit Bajonetten zu antworten ... Mittlerweile horchen unsere Jungens auf das Pfeifen der Kugeln oder auf das dumpfe Aufschlagen derer, die in die Erde schlagen ... und sobald unsere Artillerie zu donnern anfängt, verfolgen sie mit den Augen die Granaten und rufen: »Hurra! ...«, wenn der Schuß getroffen hat.

Nur Welko allein hört nicht auf zu schießen ... er allein antwortet dem Feind regelmäßig, und daher fallen die meisten Kugeln rings um ihn. Am meisten erboste es ihn, daß er seit gestern morgen keinen einzigen Bissen im Mund hatte ... infolge des unaufhörlichen Feuers konnte das Brot nicht in die Schanzen gelangen. Die Eingeweide Welkos hatten sich zusammengezogen wie die Ringe einer Schlange. Er fluchte zwischen den Zähnen und schoß immerfort ...

Aber – der Hunger erobert die Städte ...

Welko stand auf, richtete sich gerade und fing an, in den Tornistern der Kameraden zu suchen, ob er nicht einen Bissen Brot finden könnte ... Er hörte nicht einmal das Pfeifen der Kugeln, die immer dichter um ihn fielen.

»Leg dich auf die Erde, Umalejtan! ...« riefen alle, entsetzt über die Unachtsamkeit Welkos.

Aber Welko schweigt, richtet sich auf, beugt sich wieder und durchsucht alle Taschen ... endlich findet er ein Stück verschimmelten Zwieback, und hochaufgerichtet beißt er hinein, den Serben zum Trotz ... Eine Kugel pfiff dicht an seinem Munde vorbei und trug den Zwieback weit fort ...

Das war ein großer Fehler der Serben: er brachte Welko in Raserei ... Um sie dafür zu strafen, hob er die Arme in die Höhe und fing aus Leibeskräften an zu schreien: »Hurra! ... hurra! ... hurra! ...«

Hunderte von Kugeln umpfiffen den Rasenden ... Welko zuckte nicht ... »Den Unschuldigen beschützt der Engel« – sagt das Sprichwort ... Die Kameraden glaubten, Welko wäre wahnsinnig geworden, aber sie konnten ihm nicht widerstehen, und auf dem Boden liegend schrien sie beim Kommando Welkos: »Hurra! ...«

Der Anführer der Kompagnie schaute mit Entzücken auf die Unerschrockenheit Welkos; doch das Schauspiel konnte sich jeden Augenblick in eine Tragödie wandeln, und Welko war ein auserlesener Soldat ...

»Welko! ... auf die Erde! ...« kommandierte der Offizier.

Aber als wäre er taub geworden, schwang Welko immerwährend die Arme auf die Serben zu und schrie: »Hurra! ... hurra! ... hurra! ...«

Und die auf dem Boden liegenden Gefährten wiederholten sein: »Hurra! ... hurra! ... hurra! ...«

Sonderbar! ... Die Raserei des Mutes ist ansteckend. Der Ruf Welkos entzündete die Herzen aller ... einige erhoben sich, um es Welko nachzutun ... jetzt war er der wahre Anführer.

Der Kompagniechef zog die Stirn in Falten und rief befehlend: »Umalejtan, ich befehle dir ... auf die Erde! ... Alle auf die Erde! ... Unnötige Opfer will ich nicht!«

»Eure Blagorodie ...« zum erstenmal sprach Welko – »sie fliehen! ... Hurra!«

Der Anführer erhob sich und richtete sein Fernglas auf die serbischen Positionen.

Und wirklich ... die Serben flohen ... Aus dem Ruf »Hurra« hatten sie gefolgert, daß die Bulgaren zum Angriff vorgingen.

Zwanzig Minuten später besetzten bulgarische Soldaten die hohen serbischen Positionen ohne einen einzigen Schuß.


Welko lag drei Monate im Spital infolge einer Wunde am linken Arm, die er bei Zaribrod erhalten; die linke Hand war seit dieser Zeit zur Arbeit untauglich. Er bestellte nach wie vor das Feld und blieb immer derselbe Welko Umalejtan. Die Gefährten nannten ihn noch scherzweise »Unterleutnant«, obwohl sie nicht vergessen konnten, daß er es war, der eine der Befestigungen von Sliwnitza erobert hatte. Auch er vergaß es nicht, bei jeder Gelegenheit erzählte er seine Kriegserinnerungen.

Wenn für den Soldaten die Kaserne die Schule ist, ist der Krieg die Hochschule für ihn. Und – tatsächlich – Welko lernte viele Dinge kennen und verstehen. Nur eines konnte dieser schlichte Bauer nicht begreifen: warum schlug man sich mit den Serben?

Wir weisen Politiker wir haben sofort eine fertige Antwort auf diese äußerst naive Frage ...

Aber es scheint mir, als gäbe es sowohl bei uns als auch bei unsern Nachbarn hunderttausend schlichte Bauern wie Welko, die es bis auf den heutigen Tag nicht verstehen können, für wen dieser Krieg notwendig und unumgänglich war, da sie nur Sonne und Regen zur rechten Zeit brauchten ...

Einfältige Köpfe!


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