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13

Kommissar Kelly schaute von einem zum anderen. Er schien keine Eile zu haben und die Situation, die er hier vorfand, recht belustigend zu finden.

»Schön, Sie wieder mal zu sehen«, begrüßte ihn Tony mit einem strahlenden Lächeln.

»Ach, Sie haben wohl eine kleine Herren-Party?« fragte Kelly harmlos, während er Jimmy anschaute.

»Dazu ist es doch noch zu früh«, meinte Perelli.

Kelly nickte.

»Ich war heute schon bei einer anderen kleinen Männerversammlung«, bemerkte er trocken, beinahe barsch. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. »Drei Mann waren wir – der Leichenbeschauer, ich und Shaun O'Donnell. Aber die Unterhaltung haben der Leichenbeschauer und ich allein bestritten.«

In Tonys Zügen drückte sich tiefste Anteilnahme aus.

»Der arme alte Shaun! Es ist wirklich tragisch ..., als ich die Nachricht in der Zeitung las, bekam ich direkt einen Schock. Das ganze Frühstück war mir verdorben.«

»Ihm auch«, entgegnete Kelly hart und nickte. »Dieser junge Mann dort ist wohl Mr. McGrath?«

Tony stellte die beiden einander vor, obwohl das eigentlich überflüssig war. Kelly wußte genug Bescheid.

»Sie mußten doch die Universität verlassen, weil Sie einen Kameraden bestohlen hatten?« fragte er Jimmy.

Der junge Mann war durch die Anwesenheit des Beamten noch verwirrter als vorher geworden. Als er endlich antwortete, zitterte seine Stimme vor Nervosität.

»Sie scheinen es ja sehr genau zu wissen.«

»Ich habe ihn sozusagen als Volontär eingestellt«, erklärte Tony.

Kelly betrachtete ihn spöttisch.

»Zum Totlachen – als Volontär! Und was hat er für Aufgaben? Haben Sie ihn vielleicht angestellt, um Blümchen auf Ihre Alkoholflaschen zu malen? Für so etwas sind Sie doch nicht zu haben, mein Junge, wie?«

Jimmy gab keine Antwort.

»Jedenfalls haben Sie sich gestern abend nicht mit solch harmlosen Dingen beschäftigt!«

Jimmy atmete schnell.

»Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen«, entgegnete er heiser.

Kelly konzentrierte seinen Angriff auf Jimmy. Perelli hatte es auch gar nicht anders erwartet. Wahrscheinlich verdächtigte der Beamte auch Con, aber den ließ er vorerst warten.

Der Ire hörte mit wachsender Ungeduld zu. Es machte ihm wenig aus, wenn er im Verdacht stand, Shaun ermordet zu haben, aber er konnte nicht ertragen, daß man ihn vollkommen übersah. Außerdem fürchtete er, daß Jimmy zusammenbrechen würde, und dann war auch er erledigt.

»Wie lange sind Sie schon bei Perelli?« fragte Kelly.

»Er ist seit drei Monaten bei mir, Mr. Kelly«, erwiderte Tony sanft, »und er ist ein wirklich netter Junge ...«

»Kannten Sie Shaun O'Donnell?« fragte der Kommissar weiter.

»Ja, ich habe ihn öfter gesehen.«

»Ich meine, ob Sie ihn kannten?«

Jimmy nickte.

»Sie haben mehrmals bei Bellini mit ihm gegessen – folglich müssen Sie ihn also recht gut gekannt haben?«

Jimmy zögerte.

»Ich kannte ihn nur oberflächlich.«

»Sie wissen, daß er tot ist?«

Der Junge nickte wieder.

»Er ist gestern abend erschossen worden«, fuhr Kelly erbarmungslos fort und ließ den Studenten nicht aus den Augen. »Von einem dieser Revolverhelden, die man für ein paar hundert Dollar kaufen kann.«

Er beobachtete den jungen Mann jetzt so scharf, daß ihm auch nicht das Zucken eines Augenlids entgangen wäre.

Jimmy wurde abwechselnd rot und bleich, als Kelly mit dem Verhör fortfuhr. »Wo waren Sie denn gestern abend?«

»Im Theater.«

»In welchem Theater?«

»Warum wollen Sie denn das wissen?« Jimmy dachte nach. »Im Blackstone-Theater.«

»Und welche Nummer hatte Ihr Sitzplatz?«

O'Hara konnte es nicht lassen, sich jetzt einzumischen. Die Fragen wurden immer gefährlicher, und die Unruhe Jimmys hatte ihren Höhepunkt erreicht.

»Wie soll er sich denn jetzt noch an die Nummer seines Sitzplatzes erinnern?« fuhr es ihm heraus.

Kelly drehte sich ärgerlich nach ihm um.

»Halten Sie den Mund – mit Ihnen rede ich später!« herrschte er Con an und wandte sich dann wieder an Jimmy. »Also, wie war die Nummer?«

»Ich weiß es nicht mehr.« Jimmy wich Kellys Blick aus. »So etwas behält man doch nicht.«

»Aber was für ein Stück gespielt wurde, werden Sie schließlich noch wissen«, erkundigte sich Kelly ironisch.

Jimmy suchte krampfhaft nach einem Titel, und endlich fand er einen.

»Was für ein Stück? – Ich glaube, es war die ›Broadway-Revue‹ ... Natürlich, das war es.«

Kelly schaute ihn verächtlich an.

»Das ist zwar zufälligerweise der Titel eines Films, aber immerhin.«

Jimmy sah sich hilflos um.

»Kann auch sein, daß ich in einem Kino war. Ich kenne mich in Chicago nicht aus und wollte mich irgendwo ein wenig unterhalten.«

»Soso – sehr wahrscheinlich. Können Sie mir wenigstens Sagen, um wieviel Uhr Sie aus dem Kino gekommen sind, Mr. McGrath?«

Hinter Kellys Rücken gab ihm Tony ein Zeichen mit den Fingern.

»Ich glaube, es war zwölf.«

»Großartig!« Kelly triumphierte. »Die Abendvorstellung der ›Broadway-Revue‹ fiel gestern nämlich aus.«

Jimmy wußte jetzt endgültig nicht mehr weiter, und O'Hara versuchte aufs neue, die Aufmerksamkeit des Beamten auf sich zu lenken.

»Hören Sie, Kommissar, der junge Mann ist doch in Chicago fremd ...«

Kelly ging diesmal auf seine Bemerkung ein.

»Aber Sie sind wohl schon lange hier?«

Con grinste.

»Nein, ich bin auch noch nicht lange da. Bin von New York gekommen.«

Kelly schüttelte den Kopf.

»Ich muß der Stadt direkt einen Dankesbrief schreiben, daß sie auf Ihre Anwesenheit keinen Wert mehr gelegt hat und Sie hierherkommen ließ. Wie finden, eigentlich Sie sich in Chicago zurecht?«

»Ausgezeichnet – ich fahre immer im Taxi.«

»Sind Sie auch gestern abend in einem Taxi an die Ecke der Michigan Avenue und der Achtundvierzigsten Straße gekommen?«

»Ich? Ich war schon um zehn im Bett!« erklärte O'Hara entrüstet.

»Aber Sie sind hingefahren!« Kelly sah drohend Jimmy an, der aufsprang.

»Nein!«

»Doch!«

»Nein!« Jimmy brüllte beinahe.

Langsam zog Kelly ein Notizbuch aus der Tasche.

»Hören Sie, ich sprach mit Shaun, bevor er starb, und Shaun hat gesagt, daß er von Ihnen und O'Hara erschossen wurde.«

Er hörte ein leises Lachen.

Tony hatte sich bequem in einen Sessel gesetzt und sich eine Zigarette angezündet.

»Er starb, ohne ein Wort zu sagen – ich weiß es«, warf er scheinbar gleichgültig ein.

»Woher wollen Sie denn das wissen?«

»Sehr einfach – wenn Shaun tatsächlich so etwas gesagt hätte, würden Sie die beiden doch verhaften.«

»Ich weiß viel zu genau, daß ich mit einer Verhaftung nur Ihren Rechtsanwalt auf die Beine bringen würde, der schon einen Antrag auf Freilassung und eine Kaution in der Tasche hätte. Vorläufig ist es viel einfacher so.«

Er ging zu Tony hin und legte ihm seine Hand fast freundschaftlich auf die Schulter.

»Perelli, schlau sind Sie – das muß ich Ihnen lassen. An dem Tag, an dem es mir, gelingt, Sie auf den elektrischen Stuhl zu bringen, kaufe ich mir eine Flasche von Ihrem geschmuggelten Whisky und besaufe mich.« Er schaute auf die Uhr und ging zur Tür. »Sie müssen jetzt übrigens bald gehen, sonst kommen Sie zu spät zu Ihrer Verabredung. Lassen Sie Tom Feeney bloß nicht warten!«

Nach dieser Bemerkung verließ er das Zimmer.

»Woher weiß er das nur?« fragte O'Hara.

Tony wartete, bis sich die Wohnungstür hinter Kelly geschlossen hatte. Dann rief er nach Angelo und gab Jimmy den Auftrag, Tom Feeney anzurufen. Jimmy war schon am Telefon, als Angelo eintrat. Tony gab ihm rasch noch einige Anweisungen, bevor er Jimmy den Hörer aus der Hand nahm.

»Sind Sie am Apparat, Tom? Seien Sie vorsichtig – man hat uns nachgespürt und unser Gespräch belauscht ... Kelly war eben hier. Deshalb komme ich etwas später ... Alles in Ordnung ... ja, wir gehen dann zu mir ... gut.«

Tony legte den Hörer auf.

»Sind die andern fertig? Na, dann ist ja alles gut. Sie kommen mit, Con.« Er schaute nachdenklich zu Jimmy hinüber. »Nein, Sie bleiben lieber da. Ich bin in ein paar Minuten wieder zurück.« Dann wandte er sich an Angelo. »Du gehst jetzt gleich zu Schoberg.«

Angelo hatte diesen Gang schon öfters gemacht und dort eine schwarzumränderte Karte abgegeben, auf der ein Gedicht stand. Das gehörte zu den unumstößlichen Regeln bei einem Bandenmord. Und Angelo konnte ganz ordentliche Verse machen; er hatte schon manchen poetischen Nachruf verfaßt.

Tom Feeney hatte bereits am Telefon erklärt, warum er seinen Gegner so bereitwillig sprechen wollte. Das war keine geheime Zusammenkunft zwischen zwei Bandenführern, sondern eine Aussprache, die vor den Augen der Polizei stattfand. Es würde also von keiner Seite aus eine Schießerei geben. Wenn die Polizei bereits von der Konferenz wußte und daran war nicht mehr zu zweifeln –, so konnte jeder Bruch der geltenden Vereinbarung für beide Parteien gefährlich werden.

Perelli wußte bereits, daß seine Annahme stimmte, als er den Treffpunkt noch nicht erreicht hatte. An allen Straßenecken standen Polizeiautos, und überall wimmelte es von Beamten in Zivil. Als die beiden Bandenchefs einander gegenüberstanden und sich wie ehrbare Bürger die Hand gaben, taten sie es in Gegenwart vieler Zeugen, und Tom Feeney war sich dessen wohl bewußt. Seine Begleiter waren in Rufweite zurückgeblieben. Diese Maßnahme hatte auch Perelli angeordnet.

»Hallo, Tom!« begrüßte Tony den andern.

Dann schüttelten sie sich kräftig die Hände.

»Kommen Sie mit in meine Wohnung?« fragte Perelli. Feeney schaute nach seinen Leuten.

»Die Jungs können ja mitkommen«, schlug Tony vor. »Wir werden doch um Himmels willen keinen Streit bekommen! Übrigens steht direkt hinter Ihnen Kellys Wagen – er beschützt Sie wirklich wie einen Bruder.«

Tom zögerte. Er war ungewöhnlich nervös, denn irgendwo im Hintergrund hielt sich auch seine Schwester auf – und er wußte, daß in ihrem Auto ein Maschinengewehr untergebracht war, mit dem sie ausgezeichnet umzugehen verstand.

»Gut, gehen wir«, sagte er schließlich.

Wenig später öffnete Tony seinem Gast die Wohnzimmertür und wurde Zeuge eines kleinen Idylls, das sich im Hintergrund des Zimmers abspielte.


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