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Der Missionar war ein guter Mensch, jedoch von der unrichtigen Farbe. Er hatte große Ideen von seiner Pflicht gegenüber seinen Mitmenschen; er war beseelt von der Aufgabe seines Standes in einem anderen Lande, aber, wie Sanders sehr richtig sagte, Indien ist nicht Afrika!
Kenneth McDolan kam zum Bezirksamtmann Sanders mit einem Empfehlungsschreiben des neuen Gouverneurs. Es war ein heißer Morgen, und Sanders saß beim »Chop«, beim Frühstück, als Abiboo, sein Sergeant und zugleich sein Diener, mit einer Visitenkarte hereintrat.
Es war eine hübsche Karte, rund an den Ecken und goldgerändert, und in der Mitte stand in altenglischem Druck:
Rev. Kenneth McDolan.
Unten war mit Bleistift hingekritzelt: »Auf einen kurzen Besuch.«
Sanders schnob ungeduldig, denn Reverend ist soviel wie Missionar, und Missionar konnte alles mögliche bedeuten. Sanders betrachtete die Visitenkarte in seiner Betroffenheit von neuem. Der altenglische Druck und das »Ehrwürden« paßten nicht gut zu den abgerundeten Ecken und zu dem Goldrand.
»Wo ist er?« fragte Sanders.
»Herr, er ist auf der Veranda«, sagte Abiboo. »Soll ich ihn runterschmeißen?« Abiboo sagte das in selbstverständlich-klingendem Tone. Sanders starrte ihn an.
»Sündensohn«, sagte er scharf, »sprichst du so von einem Gottesmann und noch dazu von einem weißen Mann?«
»Der Kerl trägt die Kleider eines Gottesmannes«, erwiderte Abiboo lustig, »aber 's ist 'n Schwarzer, und aus diesem Grunde zählt er nicht.«
Sanders zog ein Paar Moskitoschuhe über seinen Pyjama und fluchte innerlich.
»Weiße Missionare, meinetwegen«, sagte er übelgelaunt, »aber schwarze Missionare? – Nein!«
Seine Ehrwürden Kenneth saß in Sanders' Madeirastuhl, ein Bein nachlässig über die eine Lehne des Stuhles geschlagen, um seidene Strümpfe sehen zu lassen. Seine Fingerspitzen berührten einander, und er starrte mit gutmütiger Nachsicht auf den kleinen Garten, der das besondere Vergnügen des Bezirksamtmanns bildete.
Er war schwarz, sehr schwarz; aber seine Manieren waren gewandt und seine Haltung selbstbewußt.
Er nickte Sanders lächelnd zu und streckte ihm lässig die Hand entgegen.
»Ah, Herr Bezirksamtmann Sanders!« begrüßte er diesen in tadellosem Englisch. »Ich habe viel von Ihnen gehört.«
»Runter von dem Stuhl!« befahl Sanders, der von konventionellen Redensarten kein Freund war. »Und stehen Sie gefälligst auf, wenn ich zu Ihnen herauskomme! Was wollen Sie?«
Seine Ehrwürden erhob sich rasch und paßte sich der Situation mit einer Schnelligkeit an, die jedem unbegreiflich ist, der nicht weiß, wie die Kultur der zivilisierten Wilden kaum daumennageltief sitzt.
»Ich bin nur auf kurzen Besuch hier«, sagte er mit einem Unterton von Unterwürfigkeit. »Ich besuche die kleinen Dörfer und Städte an der Küste und halte da Gottesdienst ab. Ich möchte die Erlaubnis haben, zu Ihren Leuten sprechen zu dürfen.«
Nun war das eigentlich nicht die Rede, die er sich zurechtgelegt hatte. Er kam geradeswegs von England, wo er so was wie einen Salonlöwen in der guten Gesellschaft Bayswaters gespielt hatte, und wo überdies seine theologischen Bestrebungen ihm einen Ruf und sogar eine gewisse Berühmtheit auch in weiteren Kreisen eingebracht hatten.
»Zu den Eingeborenen des Bezirks meinetwegen! Aber nicht zu den Kanoleuten, noch zu den Haußas, denn die sind fanatische Mohammedaner.«
Der Missionar, der seine Sicherheit wiedergewonnen hatte, lächelte.
»Um Licht in die Finsternis zu bringen – –« begann er.
»Still! Das Palaver ist aus!« schnitt Sanders ab. Er wandte sich und ging ins Haus zurück.
Dann kam ihm ein Gedanke.
»He!« rief er, und der Missionar, der bereits im Begriff war, zu gehen, kehrte wieder zurück.
»Wo haben Sie denn den Kenneth McDolan aufgetrieben?«
Der Neger lächelte.
»Es ist der Adoptivname, den ich in Sierra Leone von einem Weißen und guten Christen erhielt, der mich ernährt und erzogen hat wie seinen eigenen Sohn«, erzählte er.
Sanders grinste.
»Tjäwoll, ich habe von solchen Fällen schon gehört«, sagte er unverbindlich.
Am nächsten Tage kündete der Missionar seine Absicht an, ins Innere zu gehen. Er kam zu Sanders, als ob nichts vorgefallen wäre. Vielleicht erwartete er, den Bezirksamtmann etwas betreten über sein gestriges Verhalten vorzufinden; aber in dieser Erwartung sollte er sich gründlich getäuscht sehen; denn Sanders erwies sich als alles andere denn reuig.
»Sie haben ja einen Brief vom Gouvernement!« sagte Sanders. »Ich kann Sie also nicht hindern.«
»Hier gibt's Arbeit für mich«, meinte der Missionar, »Hilfs- und Erlösungswerk. In Indien gab es etwa vierhunderttausend –«
»Hier ist nicht Indien«, erwiderte Sanders kurz, und ohne ein weiteres Wort ging der Prediger seines Weges. –
Wer das Akasavavolk gründlich kennt, kennt an ihm hauptsächlich seine Faulheit – außer in der Blutrache oder im Ausfechten so blutiger Fehden, wie sie ihnen gerade in den Weg kommen, oder im Ziegenstehlen; in allen diesen Dingen entwickelt es eine Energie und eine Betriebsamkeit, die wirklich unerklärlich ist.
»Er ist ein Akasavamann, er zeigt mit seinem Fuße«, ist ein Sprichwort vom Oberlauf des Flußes, und der Ursprung dieses Sprichwortes geht auf eine nebelgraue Vergangenheit zurück, in der, wie die Sage erzählt, ein Fremdling auf einen im Busch liegenden Akasavamann stieß.
»Freund«, redete der Fremde diesen an, »ich habe mich verirrt, zeig' mir den Weg zum Fluß!« Und der Akasavamann erhob sein Bein vom Erdboden und zeigte mit den Zehen in der Richtung des Pfades.
Obwohl diese Legende des eigentlichen Humors entbehrt, wird sie doch als der Gipfel aller spaßigen Sagen von Boma bis zum Ladodistrikt angesehen.
Sechs Monate, nachdem der Reverend Kenneth McDolan die Küste verlassen hatte, um seine Missionsstation zu errichten, kam eine sehr niedergeschlagene Gesandtschaft zu Sanders. Sie kam um Mitternacht in zwei Kanus an und wartete auf ihn, als er morgens, aus seinem Bade kommend, die breite Veranda seines Hauses betrat. – Ein Halbkreis von gepeinigten, düster blickenden Männern hockte auf der hölzernen Veranda und blickte Sanders aus Augen an, in denen das Elend stand.
»Herr, wir sind Akasavaleute, und wir haben einen langen Weg hinter uns!« sagte der Sprecher.
»Das kann ich mir denken«, gab Sanders trocken und bissig zurück, »wenn das Akasavaland nicht seine Lage über Nacht geändert haben sollte. Was wollt ihr?«
»Herr, wir sterben vor Hunger, denn wir haben eine große Mißernte; es gibt auch keine Fische im Fluß, und deshalb kommen wir zu dir, der du unser Vater bist.«
Nun war das ein ganz ungewöhnliches Verlangen, denn der Eingeborene Zentralafrikas stirbt nicht so leicht vor Hunger; außerdem war keine Nachricht über eine Mißernte vom Oberlauf des Flußes eingetroffen.
»Das sieht mir alles nach Schwindel aus«, meinte Sanders nachdenklich, »denn wie kann es in Akasava eine Mißernte geben, da die Ernte in Isisi mehr als mittelgut ausgefallen ist.«
Der Sprecher wurde unsicher.
»Herr, wir haben eine Epidemie gehabt, und da wir uns einer um den andern kümmern mußten, ist die Saatzeit ungenützt verstrichen; und was die Fische anbelangt, so trauerten unsere jungen Männer zu ernst um ihre Toten, als daß sie hätten lange Reisen machen mögen.«
Sanders blickte sie starr an.
»Deshalb hat uns unser Häuptling zu dir gesandt, damit wir dich bitten sollen, uns zu retten. Wir verhungern!«
Der Mann sprach mit Überzeugung, und das war das Überraschendste von allem. Sanders war baff, offensichtlich wie vor den Kopf geschlagen; denn bei allem ungewöhnlichen Verlauf, den sein tägliches Leben nahm, herrschte doch eine gewisse Regelmäßigkeit, selbst in seiner Unregelmäßigkeit. Aber hier war eine neue, gänzlich ungewohnte Lage. Solche Vorkommnisse deuteten Unruhen an, und er fing an, dieser Angelegenheit auf den Grund zu gehen.
»Ich kann euch nichts geben«, antwortete er, »außer dem Rat, so schnell wie möglich dorthin zurückzukehren, woher ihr gekommen seid, und diese Botschaft eurem Häuptling auszurichten. Später werde ich kommen und Erkundigungen einziehen.«
Die Leute waren damit nicht zufrieden, und ein bejahrter, runzeliger Alter mit graumeliertem Haar wandte sich dagegen.
»Man erzählt uns«, muffelte er zwischen seinen zahnlosen Kinnladen, »daß bei Hungersnöten in anderen Ländern viele weiße Leute kommen und Getreide und Nahrungsmittel bringen.«
»He?«
Sanders Pupillen wurden eng.
»Wartet!« befahl er und ging schnell durch die offene Tür in sein Bungalow.
Als er wiederkam, hatte er eine biegsame Peitsche aus Rhinozeroshaut in der Hand; die Abordnung verlor ihre Würde und suchte schleunigst das Weite.
Sanders beobachtete die beiden Kanus, wie sie in rasender Fahrt stromaufwärts paddelten. Aber sein Lächeln war nicht vergnügt. – Noch in derselben Nacht ging die »Zaire« nach dem Akasavabezirk ab; sie trug einen Brief an Seine Ehrwürden, Kenneth McDolan, und dieser Brief war kurz, aber nicht mißzuverstehen.
»Geehrter Herr!« lautete er, »Sie werden mit Ihren Habseligkeiten den Überbringer zum Gouverneur begleiten. Im Falle ihrer Weigerung, dieser Aufforderung Folge zu leisten, habe ich meinen Sergeanten beauftragt, Sie zu verhaften.
Ihr ergebener
H. Sanders, Bezirksamtmann.«
»Und der Grund, weshalb ich Sie aus diesem Lande weise«, sagte Sanders, »ist der, weil Sie spaßige Ideen in die Köpfe meiner Leute bringen.«
»Ich versichere Ihnen«, begann der Neger.
»Ich wünsche keine Ihrer Versicherungen. Sie werden keinen indischen Hungersnot-Fond für Zentralafrika schaffen!«
»Die Leute waren am Verhungern.«
Sanders lächelte.
»Ich habe ihnen sagen lassen«, erwiderte er grimmig, »daß ich nach Akasava kommen und den ersten verhungert aussehenden Mann beim Kragen kriegen und so lange hauen werde, bis er wund ist.«
Am nächsten Tage empfahl sich der Missionar auf Nimmerwiedersehen; zur größten Genugtuung der vielen weißen Missionare, die am Fluß verstreut wirkten, denn, so sonderbar, wie es scheinen mag, ein Niggerprediger, der einen schwarzen Bratenrock und seidene Strümpfe trägt, wird mit einer guten Dosis Mißtrauen angesehen.
Seinem Versprechen gemäß machte Sanders seinen Besuch. Aber er fand niemand, den er hätte prügeln können, denn er kam zu einem merkwürdig wohlgenährten Gemeinwesen, das eine volle Woche damit zugebracht hatte, die Nahrungsmittel aus den verborgenen Versteckplätzen auszugraben, in die sie diese auf Anraten eines zu eifrig nach Ruhm Jagenden verborgen hatten.
»Hier«, sagte Sanders boshaft, »endet die erste Lektion.«
Aber er war weit entfernt, zufrieden zu sein.
Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß sich alle möglichen Dinge ereignen, wenn man nur erst einmal den ruhigen Fluß des Eingeborenendaseins unterbrochen hat. Es kann natürlich nicht behauptet werden, daß alle Dinge, die sich nach dem Rücktritt Seiner Ehrwürden Kenneth McDolans von seiner Tätigkeit ereigneten, gleich auf seinen geistreichen Versuch, eine Hungersnot in Akasava zu inszenieren, zurückzuführen waren. Aber er hatte eine Saat gesät, die Saat des Gedankens, daß jemand verantwortlich für ihr Wohl sei. In der kurzen Zeit seines dortigen Aufenthaltes hatte er in diese heidnischen Gemüter die verschwommene, unbestimmte und trügerische Idee gepflanzt, daß alle Menschen Brüder seien.
Das entdeckte Sanders auf dem Rückwege von seiner Inspektionsreise. Er traf auf ein im Strom treibendes Kanu; darin lag lang ausgestreckt ein Mann, der seine Paddel so faul handhabte, daß das Kanu mehr vom Strom getrieben als gesteuert wurde.
Sanders befand sich auf der Brücke seines winzigen Dampfers und zog die Dampfpfeife, denn das Kanu lag mitten in seinem Kurse. Trotz des Warnungspfiffes machte der Mann im Kanu nicht die geringste Anstrengung, aus dem Wege zu gehen; und da beide Fahrzeuge mit dem Strom liefen, konnte nur durch ein Überlegen des Ruders auf der »Zaire« und durch das Streifen einer Sandbank vermieden werden, daß das kleinere Fahrzeug in den Grund gebohrt wurde.
»Holt den Kerl an Bord!« befahl Sanders; und nachdem das Kanu ohne Förmlichkeit mit einem Bootshaken längsseit der »Zaire« und der Insasse etwas unsanft an Bord geholt worden war, ließ Sanders seinem Unwillen freien Lauf.
»An deiner verdammten Faulheit sehe ich, daß du ein Akasavamann bist! Aber das ist noch kein Grund, weshalb du die Strommitte für dich beanspruchst.«
»Herr, es steht im Buch der Bücher geschrieben, daß der Fluß für uns alle da ist, für Schwarz und Weiß, da wir in den Augen der weißen Götter alle gleich sind.«
Sanders hatte sich ungeduldig auf die Lippen gebissen.
»Wenn du und ich tot sind«, sagte er, »dann werden wir gleich sein; aber, da ich schnell bin und du schnell bist, werde ich dir zehn Hiebe geben lassen, um die üble Lehre, die du in dir trägst, etwas zu berichtigen.«
Sanders schuf einen Bekehrten.
Aber das Unheil war bereits geschehen.
Sanders kannte das Eingeborenengemüt viel besser als irgendein anderer Lebender, und er verbrachte für den nächsten Monat einen bestimmten Teil jedes Tages damit, Seine Ehrwürden Kenneth McDolan zur Hölle zu wünschen.
Bis jetzt war allerdings noch kein Unfug geschehen, der nicht wieder gut zu machen gewesen wäre, aber Sanders war nicht ein Mann von der Art, die sich im Schlaf überraschen läßt. Bis in die entlegensten Ecken seines kleinen Königreiches wurden seine geheimen Kundschafter gesandt, und Sanders wartete, wie sich die Dinge entwickelten.
Im Anfang waren die Nachrichten gut. Die Spione sandten Nachrichten von friedlichen, normalen Zuständen.
Dann wurden die Berichte weniger zufriedenstellend. Das Akasavaland liegt ungünstig, denn es liegt richtig in der Mitte und daher in einer geradezu idealen Lage für die Verbreitung einer verrückten Idee, wie Sanders schon früher entdeckt hatte.
Die Nachrichten seiner Späher erzählten von geheimen Versammlungen, von Gesandtschaften zwischen Stamm und Stamm; von Boten, die sich um Mitternacht aus den Dörfern schlichen; von sonderbaren Gebräuchen, die im Dickicht des Waldes geübt wurden, und anderen beunruhigenden Dingen.
Dann kam die Krisis. Tigili, der König des N'Gombistammes, traf Vorbereitungen für eine geheime Reise. Er opferte eine Ziege und sicherte sich gute Vorzeichen. Ebenso gaben drei Zauberdoktoren günstige Prophezeiungen in feierlicher Zusammenkunft ab.
Der Häuptling glitt eines Nachts mit vierzehn Kanupaddlern, einem Trommler, mit dem Anführer seiner Krieger und zweien seiner Weiber stromabwärts und erreichte die Hauptstadt der Akasavas am nächsten Abend bei Sonnenuntergang. Dort traf ihn der Akasavahäuptling und führte ihn in seine Hütte.
»Bruder,« sagte der Akasavahäuptling nicht ohne eine Beimischung von Protzigkeit, »ich habe meinen Bogen mit Affenfell überzogen.«
Tigili nickte würdevoll.
»Meine Pfeile sind beschwingt mit den kleinen Wolken«, erwiderte er.
In dieser Symbolik ergingen sich die beiden fast eine Stunde lang zu gegenseitigem Vorteil.
Außerhalb der Hütte lag ein halbnackter Mann im Schatten, anscheinend im Schlaf, den Kopf auf den Arm gelegt, seine Beine in bequemer Lage gekrümmt.
Eine der Akasavawachen bemerkte ihn und versuchte, ihn mit dem Fußende seines Speeres aufzuwecken; aber er bewegte sich nur im Schlaf, und der andere, in der Meinung, er sei einer von Tigilis Gefolge, ließ ihn liegen.
Als der König und der Häuptling ihr Palaver beendet hatten, erhob sich Tigili vom Fußboden der Hütte und ging zu seinem Kanu zurück. Der Häuptling der Akasavas stand am Flußufer und beobachtete das Fahrzeug, als es zurückfuhr.
Der Schläfer an der Hütte erhob sich lautlos und schlug einen anderen Pfad zum Fluß ein. Kurz außerhalb der Stadt mußte er eine vom Mond erhellte Lichtung kreuzen; dort stellte ihn ein Mann.
Es war ein bewaffneter Akasavakrieger. Der Schläfer stand auf dessen Anruf still.
»Wer bist du?«
»Ich – ein Fremdling.«
Der Krieger kam näher und sah ihm ins Gesicht.
»Du bist einer von Sandis Spionen!« sagte er. Da warf sich der andere auf ihn.
Der Krieger hätte Lärm geschlagen, aber eine Hand wie von Stahl saß ihm an der Gurgel. Der Wachtmann gab einen leisen Ton von sich, wie das Geräusch, das ein Bach verursacht, wenn er über ein seichtes Bett von Kieseln läuft; dann knickte er in den Beinen zusammen und fiel zu Boden. Der Schläfer beugte sich über ihn, wischte sein Messer an der nackten Schulter des Toten ab und verfolgte seinen Weg zum Fluß. Unter dem Ufergebüsch fand er ein Kanu, löste den Baststrick, mit dem es festgemacht war, bestieg es und trieb den Einbaum stromabwärts.
*
»Und was hältst du von allem?« fragte Sanders.
Er war auf der breiten Veranda, und vor ihm stand der Spion, ein schlanker junger Mensch in der Uniform eines Sergeanten der Haußapolizei.
»Herr, es ist der Geheimbund, und sie wollen ein großes Morden veranstalten«, antwortete der Sergeant.
Der Bezirksamtmann schritt die Veranda auf und ab, den Kopf gesenkt, die Hände auf dem Rücken gefaltet. Diese geheimen Gesellschaften kannte er zur Genüge, obwohl seine Bezirke bisher frei von ihnen waren. Er kannte ihr pilzartiges Emporschießen; wie sie aus dem Nichts hervorschossen mit geheimnisvollen Gebräuchen und immerfertigen Tricks. Er kannte ihren Einfluß auf und nieder der liberianischen Küste; er hatte einige Kenntnis von den »Schweigenden« von Nigeria und hatte mit den »Weißen Gesichtern« am Kassai Bekanntschaft gemacht.
Und nun war diese Pest auch in seinen Bezirk eingedrungen. Das hieß Krieg; das bedeutete das Zuschandenmachen einer Arbeit von zwanzig Jahren, einer Arbeit von Männern, die dafür gestorben und freudig gestorben waren im Glauben, daß sie dem Lande den Frieden gegeben hätten – ja, es war das Untergraben seiner ganzen eigenen Autorität.
Er wandte sich an Abiboo.
»Nimm den Dampfer und fahre sofort zum Ochorilande und sage Bosambo, dem Häuptling, daß ich ihn aufsuchen werde.« Er wußte, er konnte sich, wenn es zum Schlimmsten kam, auf Bosambo verlassen.
Während er wartete, sandte er einen langen Bericht an das Gouvernement, das in Muße etwa hundert Meilen küstenabwärts residierte. Ein Telegraph lief längs des Meeresstrandes, und wenn der in Ordnung war, dann erwies er sich als großer Segen. Glücklicherweise war das im Augenblick der Fall, denn es gab Zeiten, wo umherstreifende Elefantenherden die Telegraphenstangen herausgerissen und den Telegraphendraht in der Ausdehnung einer englischen Meile in einen hoffnungslos unentwirrbaren Knäuel zusammengedreht hatten.
Die Antwort auf seinen Bericht kam schnell.
»Wendet äußerste Mittel an, um Gesellschaft zu vernichten. Wenn nötig, verhaftet Tigili. Werde Sie mit vierhundert Leuten und Kanonenboot unterstützen. Ziehe vor, Sie schaffen Angelegenheit ohne Lärm aus der Welt.
Gouvernement.«
Sanders machte einen langen Spaziergang am Strande, um sich über die Lage und deren Lösung klar zu werden. Falls die Bevölkerung auf Krieg sänne, würde es ein gleichzeitiges Losschlagen, eine allgemeine Erhebung geben. Er schüttelte den Kopf. Vierhundert Soldaten und ein Kanonenboot mehr oder weniger machten da keinen wesentlichen Unterschied. Gab es da vielleicht eine Hoffnung, daß ein Stamm vor dem anderen revoltierte? – Er konnte mit den Akasavas fertig werden, er konnte sogar mit den Isisis und den Akasavas fertig werden. Der Ochoris war er sicher, das war ein Trost – aber die anderen? – Wieder schüttelte er seinen Kopf. Vielleicht vermochte die angeborene Faulheit der Akasavas, diese etwas zurückzuhalten; aber das war ganz gegen ihre Tradition.
Er mußte ganz plötzlich auf eine Lösung gestoßen sein, denn er hielt mit einem Male mitten im Gehen inne und stand still in tiefem Nachdenken, den Kopf auf die Brust herabgesunken. Dann wandte er sich um und ging schnell in seinen Bungalow zurück. –
Welcher Tag für den Aufstand ausersehen war, wird wohl niemals festgestellt werden können. Was durchsickerte, ist, daß die Akasavas, die N'Gombis, die Isisis und die Bolekis sich im stillen für die große Zeit der kommenden Metzelei vorbereiteten, als die große Neuigkeit kam: Sandi sei tot.
Ein Kanu sei auf dem Isisiflusse gekentert, und der Bezirksamtmann sei von dem reißenden Strom fortgerissen worden; und obwohl Leute am Ufer auf- und niederrannten, war kein anderes Zeichen von ihm sichtbar, als der große weiße Tropenhelm, der, sich langsam drehend, außer Sicht schwamm.
So berichtete ein Akasavamann, der es von einem Haußasergeanten hatte. Sofort hörte man den scharfen Ton der Lokolis, der Sprechtrommeln, und die Häuptlinge der Dörfer liefen keuchend zum Palaverhaus, um den Oberhäuptling der Akasavas dort zu treffen.
»Sandi ist tot!« verkündete der Häuptling feierlich. »Er war unser Vater und unsere Mutter und trug uns in seinen Armen; wir liebten ihn und taten manches, was uns zuwider war, ihm zu Liebe. Aber nun ist er tot, und da ist keiner, der »Ja« oder »Nein« zu uns sagt. Die Zeit, von der ich zu euch unter dem Siegel der Verschwiegenheit gesprochen habe, ist jetzt gekommen. Deshalb laßt uns jetzt zu unseren Waffen greifen und zu Felde ziehen; erstens gegen die Missionare, die beten und uns durch Besprengen mit Wasser bezaubern, und dann gegen den Häuptling der Ochoris, der seit Jahren Schande über uns gebracht hat.«
»Herr,« sagte der Häuptling eines kleinen Fischerdorfes, das an der Grenze von Ochori lag, »ist das klug? – Unser Gebieter Sanders hat doch gesagt, es soll kein Krieg geführt werden.«
»Unser Gebieter Sanders ist tot,« bemerkte weise der Oberhäuptling, »und da er tot ist, kümmert es uns nicht groß, was er gesagt hat; außerdem,« fügte er hinzu, als ihm plötzlich ein Gedanke kam, »habe ich letzte Nacht von Sandi geträumt; er stand zwischen großen Feuern und befahl: Geht hin und bringt mir den Kopf des Häuptlings von Ochori!«
Man verlor keine Zeit mehr.
In dieser Nacht tanzten die Männer von zwanzig Dorfschaften den Kriegstanz, und das große Feuer der Akasavas brannte düsterrot an dem sandigen Ufer des Flußes zur großen Beunruhigung einer Flußpferdfamilie, die in der Nähe im hohen Grase lebte.
Beim Morgengrauen hielt der Akasavahäuptling Parade über sechshundert Lanzen und drei Dutzend Kanus und hielt dabei folgende Ansprache:
»Zuerst wollen wir die Missionare vernichten, denn sie sind Weiße, und es ist nicht recht, daß sie am Leben bleiben, während Sandi tot ist. Dann wollen wir gegen Bosambo, den Häuptling der Ochoris, ziehen. Als die Regenzeit einsetzte, während unsere Ziegen lammten, brachte er, der ein Fremdling und nicht menschlichen Ursprungs ist, viele üble Leute mit sich und zerstörte unsere Fischerdörfer, und Sandi sagte, es sollte kein Krieg sein. Aber nun ist Sandi tot und, wie ich nicht zweifle, in der Hölle; und da ist niemand mehr, der unseren Hochmut bändigt.«
Langsamer als je, denn sie hatte einen starken und heimtückischen Strom gegen sich, kam um die Krümmung des Flusses die Nase der »Zaire«. Merkwürdigerweise hatte sie die kleine blaue Flagge am Heck nicht auf Halbmast gehißt. Was das zu bedeuten hatte, entging den Akasavas. Schneidig fühlte das kleine Fahrzeug seinen Weg zu dem sandigen Ufer. Die Laufplanke wurde niedergelassen, und auf ihr kam, sehr munter und ganz in Weiß, den kleinen Ebenholzspazierstock mit silbernem Knopf zwischen den Fingern, Herr Amtmann Sanders sehr lebendig herab, und zwei blitzende Maxim-Schnellfeuergeschütze auf jeder Seite des Fallreeps beherrschten das Ufer.
Ein von Furcht und Besorgnis gelähmtes Volk beobachtete die Landung; der Häuptling der Akasava befand sich in Kriegsmalerei ein wenig im Vordergrund vor seinen Kriegern.
Auf Sanders' Gesicht lag ein Ausdruck naiver Überraschung.
»Häuptling!« sagte er, »du tust mir eine große Ehre an, daß du alle deine jungen Männer versammelt hast, um mich zu bewillkommnen; nichtsdestoweniger sähe ich sie lieber auf ihren Feldern arbeiten.«
Er ging die Reihe der dick mit Cam-Holz-Farbe beschmierten Krieger entlang mit dem bedächtigen Schritt einer hohen Persönlichkeit, die eine Ehrenwache besichtigt.
»Ich bemerke,« fuhr er, über die Schulter zu dem Häuptling sprechend, der ihm, gefesselt von der unerwarteten Erscheinung, folgte, »ich bemerke, daß jeder Mann einen Schlachtspeer und ein Gefechtsschild aus geflochtenem Bambus hat, und daß viele unter ihnen N'Gombi-Schwerter tragen.«
»Herr, das ist richtig,« antwortete der Häuptling, der seine Fassung wiedergewonnen hatte, »denn wir sind im Begriff, auf die Elefantenjagd in den Busch zu gehen.«
»Ich bemerke aber auch, daß manche von euch die kleinen Knöchelchen, die von Menschen stammen, um den Hals gebunden haben – und das hat mit der Elefantenjagd nichts zu tun.«
Sanders sagte das nachdenklich, grübelnd, während er seine Beobachtung fortsetzte, und der Häuptling war sichtlich verlegen.
»Da geht ein Gerücht,« stammelte der Häuptling, »man sagt, – da kam ein Kundschafter, der uns erzählte, daß die Ochoris sich zum Kriege sammelten, und wir hatten Furcht –«
»Sonderbar,« sagte Sanders halb für sich, aber in der Landessprache, »sonderbar in der Tat ist diese Geschichte, denn ich selbst komme direkt von der Ochoristadt, und dort sah ich nichts wie Menschen, die Korn mahlten und friedlich auf die Jagd zogen; auch ist ihr Häuptling krank, er leidet am Fieber.«
Sanders schüttelte seinen Kopf in wohl geheuchelter Betroffenheit.
»Herr,« antwortete der arme Kerl von Akasavahäuptling, »vielleicht hat man uns Lügen erzählt. – Solche Dinge sind schon vorgekommen.«
»Da hast du recht,« erwiderte Sanders ernst. »Hier ist das Land der Lügen. Einige erzählen sich, daß ich tot bin, und siehe da, gleich heißt's im ganzen Lande, daß es kein Gesetz mehr gibt, und daß die Menschen ganz nach ihrem Belieben morden und Krieg führen dürfen.«
»Und wenn ich in dieser Minute sterben soll«, antwortete der Häuptling sichtlich entrüstet, »und wenn der Fluß sich in Feuer verwandeln und meine Eingeweide fressen sollte, und wenn jeder Baum sich in einen Leoparden verwandeln sollte, der mich verschlingt, ich habe nicht einmal im Traume an Krieg gedacht.«
Sanders lachte innerlich.
»Spare deinen Atem!« sagte er freundlich. »Ihr geht nun auf die Elefantenjagd. Bis zum Urwald ist es weit, und da gibt es viele Sümpfe zu überschreiten und viele Flüsse zu durchschwimmen. Mein Herz ist so froh, daß ich noch zurecht gekommen bin, um euch Lebewohl zu sagen.«
Eindrucksvolles Schweigen trat ein, denn das mit der Elefantenjagd war eine gänzlich aus der Luft geholte Finte des Häuptlings; denn zum Urwald waren es zwei Monate Reise, einen Monat zur Hin- und einen Monat zur Rückreise; überdies geht der Marsch durch das verrufenste Land, und die Akasavas sind ein Volk, das keine langen Reisen liebt, es sei denn, auf dem Flusse und dann mit dem Strom.
Das Schweigen wurde durch den Häuptling unterbrochen.
»Herr, wir möchten die Reise zu Ehren von Euer Ehren Anwesenheit vertagen, denn, wenn wir gehen, wie könnten wir uns dann zum Palaver versammeln?«
Sanders schüttelte den Kopf.
»Den Jäger soll man nicht aufhalten«, bemerkte er. »Gehe in Frieden, Häuptling, und mögen dir viele Elefantenzähne beschert sein!«
Sanders sah die Augen des Häuptlings plötzlich aufleuchten, aber er fuhr fort:
»Ich werde einen Sergeanten meiner Haußas mit euch senden, der mir von eurer Tapferkeit Bericht erstatten soll –« das Aufleuchten in den Augen des Häuptlings erlosch wieder –, »denn es gibt viele Lügner, die erzählen würden, ihr hättet niemals den Urwald erreicht, und für diesen Fall hätte ich dann Beweise, um sie Lügen zu strafen.«
Noch immer zögerte der Häuptling, und die wartenden Reihen der Krieger drängten ungeduldig vorwärts, bis sie aufhörten, einer bewaffneten Macht zu gleichen, und sie mehr einem wirren Knäuel Menschen, einem Mob ähnelten.
»Herr,« sagte der Häuptling, »morgen werden wir marschieren – – –.«
Noch immer lag das Lächeln um Sanders' Lippen, aber sein Gesicht war hart, und in seinen Augen lag ein stählerner Glanz, den der Akasavahäuptling kannte.
»Du marschierst heute, mein Lieber«, antwortete Sanders, indem er seine Stimme dämpfte, bis sie fast nur noch ein leises Flüstern war, »sonst marschieren eure Krieger unter einem neuen Häuptling, und du baumelst am nächsten Baum.«
»Herr, wir marschieren,« sagte der Mann heiser, »obwohl wir schlechte Fußgänger und unsere Füße sehr empfindlich sind.«
Sanders, der sich der Trägheit der Akasavas erinnerte, kämpfte mit Lachen.
»Wenn ihr wunde Füße habt, könnt ihr euch ja ausruhen,« bemerkte er anzüglich. »Wenn ihr wunde Rücken habt, könnt ihr weder marschieren noch rasten. Geh!«
Am nächsten Morgen beim Tagesgrauen kamen die N'Gombileute in vierundzwanzig Kriegskanus, um sich mit ihren Akasavafreunden zu vereinigen und fanden den Ort leer und nur von Weibern und alten Leuten bewohnt; und Tigili, der König, ergab sich in der dadurch hervorgerufenen Bestürzung widerstandslos der kleinen Abteilung Haußas, die am Ufer war.
»Und was geschieht mit mir, Herr?« fragte König Tigili.
Sanders pfiff nachdenklich.
»Irgendwo habe ich dich betreffende Anweisungen.«