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VII. Der Wald der seligen Träume

Sanders war auf dem Wege, Steuern einzutreiben und dem Volke, das am unteren Isisifluß wohnte, Gerechtigkeit zu verzapfen; unterwegs hatte er an einem Holzplatze festgemacht.

Der kleine Dampfer war am Flußufer vertäut; dort befand sich eine kleine Bucht, in der die reißende Strömung des Flusses zu einer sanften Bewegung gebrochen wurde.

Trotzdem besichtigte Sanders die Vertäutrossen aus Stahldraht, ehe er die schmale Laufplanke betrat, die zum Deck der »Zaire« führte. Das Holz für die morgige Fahrt war an Deck aufgestapelt, der neue Wassermesser war von Yoka, dem schwarzen Maschinisten, in Tätigkeit gesetzt worden, wie Sanders befohlen hatte, die Maschinen alle gereinigt. Sanders nickte beifällig. Er trat vorsichtig über zwei, drei Schläfer hinweg, die sich an Deck zusammengerollt hatten, und ging an Land.

Sanders sah auf seine Uhr; der Stundenzeiger stand auf neun. »Bettzeit«, murmelte er. Er stand einen Augenblick am Rande der Uferböschung still und starrte über den Fluß hinüber. Die Nacht war dunkel, aber er konnte die Umrisse des Waldes am jenseitigen Ufer noch erkennen. Er sah das demantenbesetzte Firmament und den Widerschein der Sterne auf dem Wasser. Dann ging er in sein Zelt, schlüpfte in seinen Pyjama und entnahm einem winzigen Fläschchen zwei Chininpillen, verschluckte sie, trank ein Glas Wasser dazu und steckte darauf seinen Kopf durch die Zeltöffnung.

»He, Sokani!« rief er in der Landessprache. »Rühr den Lokoli, die Sprechtrommel!«

Dann ging er zu Bett.

Er hörte das Hasten eilender Leute, das gurgelnde Lachen, als sein Scherz von jenen wiederholt wurde, denn das Cambulvolk hat einen ausgeprägten Sinn für Humor; dann hörte er das durchdringende Gerassel der Schlegel auf der Eingeborenentrommel, einem ausgehöhlten Baumstamm. Wild tönte das, rasend, atembeklemmend, mit einer ab und zu tieferen Note, als der Trommler, seine ganze Kraft aufbietend, den Befehl zum Schlaf durch das Lager jagte.

Der Lokoli brach mit einem wilden Krescendo ab; Sanders legte sich mit einem Seufzer der Erleichterung nieder und schloß die Augen.

Plötzlich richtete er sich im Bett auf; er mußte eingenickt gewesen sein; aber jetzt war er ganz wach.

Er horchte, glitt aus seinem Bett und zog seine Moskitoschuhe an. Dann trat er in die Nacht hinaus und fand N'Kema, den Maschinisten, der draußen wartete.

»Hast du gehört, Massah?«

»Ich hab's gehört, aber wir sind hier doch nicht in der Nähe eines Dorfes?«

Wieder horchte Sanders.

Aus der Nacht stiegen hundert flüsternde Geräusche auf; aber über allem, nicht mißzuverstehen, das schwache Gerassel einer antwortenden Trommel. Der Weiße hob die Brauen. »Kein Dorf ist näher als Bongindanga«, murmelte er betroffen, »nicht mal 'n Fischerdorf! Und der Busch doch verlassen –«

Der Schwarze hielt warnend seinen Finger hoch und beugte lauschend den Kopf vor; er versuchte die Botschaft zu verstehen, die die Trommel sandte. Sanders wartete. Er kannte die wundervolle Einrichtung des Eingeborenen-Telegraphen, und wie dieser seine Botschaften durch die pfadlose Wildnis sandte. Er konnte diese Sorte Morse nicht verstehen – kein Europäer konnte das –, aber Sanders hatte Achtung vor diesem Geheimnis.

»Ein Weißer befindet sich hier«, übersetzte der Eingeborene. »Er ist krank.«

»Er ist wahnsinnig«, meldete N'Kema weiter. »Er hält sich im Walde der ›seligen Träume‹ auf und will von dort nicht fort.«

»Kein Weißer bleibt im Wald der ›seligen Träume‹, wenn er nicht wahnsinnig ist«, fügte N'Kema, halb zu sich selbst, hinzu.

Aber die ferne Trommel wiederholte die unglaubliche Botschaft: Hier, in der Tat, im Herzen des lieblichsten Tales von ganz Afrika, mitten im Mittelpunkte des grünen Pfades, der zum Tode führt, war ein Weißer, ein kranker Weißer – im Wald der seligen Gedanken! Ein kranker Weißer!

So fuhr die Trommel fort und fort, bis Sanders seinen eigenen Trommler aus dem Schlaf aufriß und seine Antwort längs des Flußes rasseln ließ. Dann kleidete er sich hastig an.

Im Busch lag ein Schwerkranker; er hatte den Platz für sein Lager selbst gewählt. Er lag in einer Lichtung unweit eines kleinen Baches, der sich zwischen hohem Elefantengras zum Flusse schlängelte. Mainward hatte ihn gewählt, gerade als ihn die Krankheit überfiel, weil der Platz hübsch war. Das war natürlich ein ganz unzureichender Grund, aber Mainward war eine sentimentale Natur, und sein Leben war eine lange Kette solcher Mißgriffe, hübsche Rastplätze zu wählen, ohne Rücksicht auf die sie umgebende Gefahr. »Er war«, wie eine Zeitung sagte, die sich über sein alles krönendes Unglück ausließ, das ihn als einen vor dem Gesetz Fliehenden in die afrikanische Wildnis sandte, »überlastet mit Phantastik.«

Mainward war mit ganz unzeitgemäßer Vertrauensseligkeit belastet. Das war einer der Gründe, warum er in diesem todbringenden Streifen des Iturilandes verweilte, jenem Streifen, den die Eingeborenen unbeholfen »Das Land, wo alle schlimmen Gedanken sich in gute Gedanken verwandeln« nannten, und den poetisch veranlagte Forscher und unternehmende Kaufleute mit »Wald der seligen Träume« bezeichneten.

Übergroße Vertrauensseligkeit war sein hauptsächlichstes Unglück gewesen – übergroße Vertrauensseligkeit, daß seine Pferde das Rennen gewinnen müßten; allzugroßes Vertrauen in seine eigene Fähigkeit, Geld zu beschaffen, um seine Unterschlagungen – er war einmal Direktor der Welshire-Kreis-Bank – zu verbergen, und Übervertrauensseligkeit in die Liebe zu einer Frau, die ihn verständnislos ansah, als der große Krach kam, und die ihm sagte, es täte ihr leid, aber sie habe nicht die geringste Ahnung von seiner großen Leidenschaft für sie.

In diesem Augenblicke hob Mainward seinen schmerzenden Kopf aus dem Kissen und fluchte laut über das Getöse der Sprechtrommel. Er hatte eine oberflächliche Kenntnis des Pigeonenglisch, soweit ein Mann sich diese bei einem dreimonatigen Aufenthalt in Sierra Leone und Grand Bassam anzueignen vermag.

»Warum sie machen dem verfluchten Lärm, he?« klagte Mainward. »Ihr sein viel Narr, Mann, Abiboo!«

»Si, Señor!« stimmte der Kanoboy, der ihn bediente, gelassen bei.

»Hör' auf damit! Hörst du? Aufhören!« wütete der Mann in dem zerwühlten Feldbett. »Dem Lärm treiben mich zum Wahnsinn! Sag' ihnen, sie sollen mit dem Trommeln aufhören!«

Der Lokoli hörte ganz von selbst auf, denn der Horcher im Lager des kranken Mannes hatte Sanders entfernte Antwort gehört.

»Komm her, Abiboo!«, bat der Kranke. »Ich möchte etwas Milch! Öffne eine neue Dose und sage dem Koch, er soll etwas Suppe machen.«

Der schwarze Boy verließ den Kranken, als dieser vor sich hermurmelte und sich rastlos auf der ächzenden Bettstelle hin- und herwarf.

Mainward mußte an viele fernliegende Dinge denken. Sonderbar, wie alle diese Dinge seine sofortige Aufmerksamkeit beanspruchten! Eigentümlich, wie sie, eines das andere, sich stießen, schoben und miteinander in ihrer lärmenden aufdringlichen Weise um Mainwards Beachtung kämpften! Natürlich spielte dazwischen der Bankrott der Bank und die Aufdeckung von Mainwards Unterschlagung mit – es war doch anständig von dem Inspektor der Bank, daß der sich durch die Flucht allem Weiteren entzog – und Ethel – Ethel – und die Pferde – und – und – – –

Das Tal der seligen Träume –! Das hätte eine gute Erzählung abgeben können, wenn Mainward ein Schriftsteller gewesen wäre; aber unglücklicherweise war er keiner. Schreiben konnte er wohl – seinen Namen oder »Drei Monate nach Datum zahlen Sie an die Order von – –« Mainward konnte auch anderer Leute Unterschrift unter solche Papiere wie das eben erwähnte zeichnen – –!

Mainward stöhnte und wand sich unter diesen Gedanken.

Aber hier war ja der Wald, wo schlimme Gedanken zu schönen Gedanken wurden; und weiß Gott, sein Gemüt war übel dran. Mainward brauchte Frieden, brauchte Schlaf und Glück – Glück vor allem! Angenommen, »Fairy Lane«, sein Rennpferd, hätte den Wokinghampreis gewonnen? – Der Gaul hatte natürlich nicht gewonnen! – Mainward bäumte sich von neuem bei dieser bösen Erinnerung. Aber angenommen, der Gaul hätte gewonnen, angenommen, Mainward hätte einen Freund gefunden, der ihm 16 Tausend Pfund Sterling vorstreckte – –, oder wenn sogar Ethel – –

Hier unterbrach ihn Abiboos Stimme: »Dem Puck-a-Puck lebt zu kommen (kommt).«

»He! – Was gibt's?« Wütend wandte sich Mainward an den Jungen.

»Puck-a-Puck! Hörst du nicht?«

Aber der Kranke konnte den Schlag des Heckrades der »Zaire« nicht hören, wie diese wacker gegen die wachsende Strömung des Flusses ankämpfte. Er war nur überrascht, daß es heller Tag war, und gestand sich widerstrebend, daß er »geschlafen« habe.

Mainward schloß seine Augen von neuem und hatte einen sonderbaren Traum. Die Hauptperson in diesem Traum war ein kleiner, braungebrannter, glattrasierter Mann mit weißem Tropenhelm und einem schmutzigbraunen Überrock über seinem Pyjama.

»Wie fühlen Sie sich?« fragte der Fremde.

»Verflucht elend«, grollte Mainward. »Besonders wegen Ethel! Meinen Sie nicht, daß es ziemlich gemein von ihr war, mich glauben zu machen, sie habe mich Gott weiß wie lieb, und mich dann in der letzten Minute glatt fallen zu lassen?«

»Empörend!« sagte der Fremde ernst. »Aber schlagen Sie sie sich jetzt mal aus dem Sinn; sie ist der Beachtung nicht wert! – Was meinen Sie hierzu?«

Er hielt eine kleine grünliche Pille zwischen Daumen und Zeigefinger. Mainward lächelte mühsam.

»Ach, Unsinn!« kicherte er leise. »Sie sind einer von diesen ›Kobolden des seligen Traumwaldes‹! – Was ist das? Eine Liebestrank-Pille?«

Mainward lachte nervös über seine Witzelei. Sanders nickte.

»Liebe oder Leben!« antwortete er, aber anscheinend gar nicht vergnügt. »Schlucken Sie's runter!«

Mainward gehorchte kichernd.

»Und nun«, sagte der Fremde – das war aber sechs Stunden später –, das beste wäre es, meine Jungens brächten Sie auf meinen Dampfer, und wir nehmen Sie mit zur Küste.«

Mainward schüttelte den Kopf; er war gereizt aufgewacht und fühlte sich beklagenswert elend.

»Mein Lieber, das ist ja riesig nett, daß Sie gekommen sind – à propos – es scheint mir, Sie sind Doktor – –?«

Sanders schüttelte den Kopf.

»Im Gegenteil. Ich bin der Amtmann des Bezirks«, antwortete er leichthin, »aber Sie sagten – –«

»Ich bleibe hier! Es ist höllisch hübsch hier.«

»Höllisch! Das ist die richtige Bezeichnung, die ich auch gebraucht hätte, mein lieber Mann! Dieser Fleck ist die Pestquelle des ganzen Kongogebiets; es ist die Heimat jener todbringenden Fliegen- und Wanzenart in Afrika.« Sanders wies dabei mit der Hand in der Richtung versteckter Ausblicke auf frische grüne Täler, auf üppige Lianen, die sich im Schein des Lagerfeuers zeigten. »Sehen Sie sich das Gras an!« bat er. »Es sieht aus wie das Gras bei uns zu Hause; darin liegt das Verführerische! Ich hätte mein Lager beinahe selber hier aufgeschlagen. Nein, kommen Sie, mein Freund! Lassen Sie mich Sie in mein Lager schaffen!«

Mainward schüttelte hartnäckig den Kopf.

»Sehr verbunden, aber ich möchte noch für 'nen Tag oder so hier bleiben. Ich möchte gern die übernatürliche Wirkung dieses Platzes versuchen. Ich habe so viele Gedanken, die noch der Behandlung bedürfen – –!«

»Hören Sie mal!« sagte Sanders barsch. »Sie wissen sehr wohl, woher der Name dieses Waldes kommt. Man nennt ihn ›Wald der seligen Träume‹, weil er von Fieber strotzt und von jeder Krankheit von der Beriberi an bis zur Schlafkrankheit. Mensch, ich kenne das Land, und Sie sind ein Neuling! Sie sind hierhergezogen, um von der Zivilisation loszukommen und hier Ihr Leben von vorn anzufangen.«

»Ich bitte um Entschuldigung.« Mainwards Gesicht überzog tiefes Rot, und er sprach sehr förmlich.

»Oh, ich weiß alles über Sie! Sagte ich Ihnen nicht, ich sei der Bezirksamtmann? Ich war damals in England, als die Dinge mit Ihnen verkehrt gingen, und das übrige habe ich in den Zeitungen gelesen, die ich von Zeit zu Zeit herausgeschickt bekomme. Aber das alles berührt mich nicht, geht mich nichts an. Ich befinde mich hier, um Ihnen zu helfen, ein neues Leben zu beginnen. Wenn Sie Selbstmord begehen wollen, warum dann erst nach Afrika kommen? Seien sie doch vernünftig und verlegen Sie Ihren Lagerplatz! Ich werde meinen Dampfer zurücksenden, um Ihre Leute abholen zu lassen. Werden Sie kommen?«

»Nein!« antwortete Mainward verdrossen. »Ich will nicht! Ich bin nicht versessen drauf! Außerdem – – ich bin außerstande zu reisen!«

Das war ein Punkt, gegen den Sanders nichts anzuführen vermochte. Er selbst war über diesen Punkt nicht ganz sicher, und er zögerte, ehe er von neuem begann.

»Nun wohl«, sagte er nach einer Pause, »nehmen wir an, Sie bleiben noch einen Tag hier, um Gelegenheit zu haben, sich etwas zusammenzureißen. Morgen komme ich mit meinem Tip-Top-Krankenstuhl. Wetten?«

Mainward hielt seine zitternde Hand hin, und der Schatten eines Lächelns zuckte um seine Augenwinkel. »Angenommen!«

Er verfolgte den Bezirksamtmann mit seinen Blicken und hörte, wie sich dieser, durch das Lager schreitend, mit einem Mann nach dem anderem in einer fremden Sprache unterhielt.

Ein sonderbarer, kraftvoller Mann, dachte Mainward. Ob er wohl Ethel gemeistert hätte –? Mainward beobachtete den Fremden mit neugierigen Blicken und bemerkte, wie seine eigenen faulen Schlingel von Trägern bei Sanders' Worten sprangen.

»Gute Nacht!« sagte Sanders' Stimme, und Mainward sah auf.

»Sie müssen noch eine zweite Pille nehmen, und morgen werden Sie so stark sein wie eine Dampfwinde. Ich muß noch heute nacht zu meinem Lager zurück, sonst finde ich morgen früh, daß meine sämtlichen Vorräte gestohlen sind. Aber wenn Sie lieber wünschten, daß ich hier bleibe – –«

»Nein, nein!« erwiderte der andere hastig; er wollte allein sein, er hatte eine Menge Dinge, mit denen er ins Reine kommen mußte. Da war beispielsweise die Frage mit Ethel.

»Sie werden nicht vergessen, die Pille zu nehmen?«

»Nein. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie gekommen sind. Sie sind sehr gut zu mir gewesen.«

Sanders lächelte. »Reden Sie keinen Unsinn!«, sagte er scherzhaft. »Das ist alles brüderliche Liebe. Weiß gehört zu Weiß und Verwandt zu Verwandtem. Wir sind beide allein hier, und kein anderer Weißer ist innerhalb fünfhundert Meilen. Gute Nacht! Und bitte, nehmen Sie die Pille!«

Mainward lag und lauschte dem Lärm des Aufbruchs. Es schien ihm, als höre er eine kleine Glocke läuten. Das mußte der Schiffsmaschine gelten. Dann hörte er das Puck-a-puck des Heckrades – also deshalb hatte der Dampfer bei den Schwarzen diesen Namen erhalten!

Abiboo kam mit Milch. »Haben Sie die Medizin genommen?«

»Ich nehme sie«, murmelte Mainward, aber die grünliche Pille lag unter seinem Kopfkissen.

Danach begann eine sonderbare Befriedigung über Mainward zu kommen; er verfolgte jedoch diese Befriedigung nicht bis zu ihrer ersten Entstehungsursache zurück. Er hatte genug an Erinnerungen für diesen einen Tag hinter sich.

Jetzt kam das Gefühl, daß er glücklich sei, wie eine angenehme Erschütterung über ihn.

Er öffnete seine Augen und sah sich um. Es schien ihm, sein Bett stände im Freien und er zöge die Vorhänge beiseite, um eine bessere Aussicht zu haben. Ein kleiner Mann kam schnell den Samtstreifen des Grases, den Talabhang entlang, auf ihn zugeschritten.

»Atty!« stammelte der Fiebernde. »Bei allen Wundern!«

Atty, in der Tat, der alte Atty von damals; nur zog er diesmal nicht das lange Gesicht, das Mainward an ihm gewohnt war. Der kleine Mann stak in Reithosen; seine niedlichen Schaftstiefel waren mit Schlamm bedeckt, und auf seiner hochroten seidenen Bluse lagen Spuren eines scharfen Rennens. Er berührte seine Jockeimütze ruckartig mit seiner Reitpeitsche und legte den Rennsattel, den er trug, auf seinen anderen Arm.

»Sie hier, Atty?« murmelte Mainward lächelnd. »Was um's Himmelswillen tun Sie denn hier?«

»Der Raum der Jockeis ist hier in der Nähe«, antwortete der kleine Mann, »und ich komme eben vom Nachwiegen. Ich war sicher, ›Fairy‹ machte das Rennen, und sie hat's gemacht.«

Mainward nickte wissend. »Ich wußte es«, stimmte er zu. »Hat sie sich gut betragen?«

Der Jockei lächelte wieder. »Das tut sie wohl niemals, aber sie ist doch gut gelaufen. Als wir aus der Senkung heraufkamen, hing sie ein bißchen hinterher, aber ich zeigte ihr die Peitsche, und sie kam heran so gerade wie ein Würfel. Einmal dachte ich, ›Hirsch‹ schlüge uns; aber ich hab' sie rumgekriegt, und wir waren niemals in Schwierigkeiten. Ich hätte um zehn Pferdelängen gewinnen können.«

»Du hättest um zehn Längen gewinnen können?« wiederholte Mainward erstaunt. »Nun, du hast mir einen großen Gefallen getan, Atty. Dieser Gewinn wird mich aus einem der tiefsten Löcher herausholen, in das ein unvorsichtiger Mann jemals geraten ist. Ich werde dir das niemals vergessen, Atty!«

»Davon bin ich überzeugt«, antwortete der kleine Jockei dankbar. »Aber nun müssen Sie mich entschuldigen, Herr!«

Mainward nickte und folgte ihm mit den Augen, als der Jockei sich schnell zwischen den Bäumen entfernte.

Mehrere Leute wurden jetzt in dem Tal sichtbar, und Mainward sah beschämt an seinem schmutzigen Tropenanzug herunter. »Was für ein Esel bin ich doch, in einem solchen Aufzug hierherzukommen! Ich hätte es doch wissen sollen, daß ich hier mit diesen Leuten zusammentreffen würde.«

Da war einer dazwischen, den er lieber nicht gesehen hätte. Sobald er Venns mit seinen argwöhnischen Augen und seiner großen Nase ansichtig wurde, versuchte Mainward, sich dessen Beobachtung zu entziehen. Aber Venn sah ihn doch und kam durch die Bäume auf ihn zugestolpert, die schwammige Hand ausgestreckt und seine trüben Augen voll Glanz.

»Hallo!« grinste er. »Hab' Sie gesucht.«

Mainward murmelte eine verlegene Antwort.

»Komischer Platz, Sie zu finden, nicht?« Venn schob seinen glänzenden Zylinderhut in den Nacken und trocknete seine Stirn mit einem fürchterlich geschmacklosen, seidenen Taschentuch.

»Aber sehn Sie mal, alter Junge, was das Geld anbetrifft – –!«

»Oh, sorgen Sie sich nicht mein Lieber!« Mainward wehrte leicht ab. »Ich werde Sie jetzt bezahlen.«

»I, das meine ich nicht!« entgegnete der andere hastig. »'N paar hundert mehr oder weniger zählen nicht, aber Sie wollten doch eine große Summe?«

»Und Sie sagten mir, Sie sähen mich lieber – –«

»Ich weiß, ich weiß!« warf Venn hastig ein. »Aber das war, ehe die Kaffernminen in die Höhe gingen. Aber jetzt, alter Bursche, können Sie's haben.«

Er sagte das mit lächerlicher Wichtigkeit, breitbeinig, den Zylinder tief im Nacken, seine Hände theatralisch ausgestreckt. Mainward lachte gerade heraus.

»Sechzehntausend Pfund Sterling?« fragte er.

»Oder zwanzigtausend«, erwiderte der andere nachdrücklich. »Ich will Ihnen zeigen – –«

Irgend jemand rief Venn, und mit hastig gemurmelter Entschuldigung stolperte er über den grünen Abhang, blieb stehen und wandte sich, um Mainward durch Zeichen noch einmal sein Vertrauen und seine Bereitwilligkeit, ihm zu helfen, zu bestätigen.

Mainward lachte ein tiefes, gurgelndes Lachen wirklichen Vergnügens. Von allen Leuten Venn! Ausgerechnet Venn! Mit seinen verdammt unbequemen Fragen, seinem Geschwätz von Sicherheiten und so! Da schlägt's doch dreizehn!

Dann wich die Lustigkeit plötzlich von Mainward; er stöhnte wieder; sein Herz schlug schneller und schneller; eine sonderbare Schwäche überfiel ihn.

Wie wundervoll sie aussah und wie kühl!

Sie ging in der Lichtung. Eine schlanke Gestalt, ganz in Weiß. Er hörte das leise Frou-Frou ihrer Robe, als sie durch das Gras schritt, ganz weiß – mit einem grünen Gürtel, der mit güldenen Spitzen besetzt war. Mainward verschlang jede Einzelheit mit hungrigen Augen; die Goldverzierungen, die vom Gürtel herunterhingen, den Spitzenkragen um ihren Hals, die – –

Sie hatte es nicht eilig, zu ihm zu kommen; das war einmal nicht ihre Art. Aber in ihren Augen, in ihren lieben Augen, die sich unter seinen Blicken senkten, dämmerte es wie die Morgenröte der Liebe zu ihm auf.

»Ethel!« flüsterte er und wagte es, ihre Hand zu fassen.

»Bist du nicht aufs tiefste überrascht?« fragte sie.

»Ethel! – Du – hier?«

»Ich – ich mußte kommen.«

Sie sah ihn nicht an, aber er sah das Rot auf ihren Wangen und hörte ihre bebende Stimme mit einer ungestümen Hoffnung. »Ich bin so schlimm zu dir gewesen, so häßlich!« Ihr Köpfchen sank.

»Liebste!« stammelte Mainward, »Liebste!« und tastete nach ihr wie ein Blinder.

Sie lag in seinen Armen, an seine Brust gepreßt; der Duft ihrer Gegenwart berauschte seine Sinne.

»Ich mußte ja zu dir kommen«, ihre Wange lag an der seinen. »Ich liebe dich so sehr!«

»Mich liebst du? Mich? Wirklich?« Mainward zitterte vor Glück. »Liebste!«

Ihr Gesicht war zu seinem hinaufgewandt; ihre Lippen so nahe – er fühlte ihr Herz so wahnsinnig schlagen wie sein eigenes. Er küßte sie; ihre Lippen, ihre Augen, ihr liebes, liebes Haar – – –

»O, Gott, wie bin ich glücklich!« schluchzte sie, »so – so glücklich – – –«

*

Sanders sprang an Land; gerade, als die Sonne im Aufgehen war. Nachdenklich schritt er durch das Unterholz zum Lager.

Abiboo hockte am Bett, dessen Moskitonetz heruntergelassen war, und stand nicht auf.

Sanders trat an das Bett, zog das Moskitonetz beiseite und beugte sich über den Mann, der dort lag.

Dann zog er das Netz wieder zu, zündete sich langsam seine Pfeife an und sah zu Abiboo hinunter.

»Wann ist er gestorben?«

»Beim Morgengrauen, Herr«, gab der Mann zurück.

Sanders nickte. »Warum hast du nicht nach mir geschickt?«

Einen Augenblick schwieg die hockende Gestalt, dann erhob sie sich und reckte sich.

»Massah«, sagte der junge Mensch auf arabisch – in einer Sprache, die feine Unterschiede gestattet. »Dieser Mann war glücklich; er ging im Walde der seligen Träume lustwandeln. Warum hätte ich ihn in ein Land zurückrufen sollen, wo weder Sonnenschein noch Glück ist, sondern nur Nacht und Qual und Krankheit?«

»Du bist ja ein Philosoph!« gab Sanders gereizt zurück.

»Ich bin ein Anhänger des Propheten«, antwortete der Kanobursche, »und alle Dinge geschehen nach Gottes Ratschluß.«


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