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Captain Hamilton mußte sich in seinem Leben um zwei Menschen kümmern: um seine Schwester und um seinen Untergebenen.
Seine Schwester hieß Patricia Agatha, sein Untergebener führte den Familiennamen Tibbetts und den Vornamen Augustus, aber Hamilton hatte ihn in seiner willkürlichen Art »Bones« getauft.
Solange Patricia noch in Bradlesham Thorpe in der Grafschaft Hampshire weilte und Bones etwa dreitausend Meilen davon entfernt an der Westküste Afrikas lebte, empfand Captain Hamilton seine Verantwortlichkeit nicht als eine große Last.
Als Patricia Hamilton den Entschluß faßte, ihrem Bruder einen Besuch zu machen, geschah es mit seiner vollen Zustimmung, denn er wußte nicht, daß das Zusammentreffen seiner beiden Sorgenkinder Veranlassung zu Schwierigkeiten geben könnte.
Patricia war an einem glühendheißen Tropenmorgen angekommen und herzlich von ihrem Bruder empfangen worden. Die Haussa standen in ihren Alltagsuniformen am Ufer und schauten feierlich zu, wie Militini seine Schwester begrüßte.
Distriktsgouverneur Sanders, Ritter des Michael- und Georg-Ordens, war ihr etwas formeller gegenübergetreten, denn er hatte eine gewisse Scheu vor Frauen. Und Bones war damals, wie wir ja wissen, nicht zugegen – was in mehr als einer Beziehung unangenehm war.
Auch die Tatsache, daß Miß Hamilton außerordentlich hübsch war, machte die Lage für den unglücklichen Bones nicht leichter. Männer, die unter Eingeborenen leben und außer schönen Gestalten, die aber nicht auf europäische Art gekleidet sind, nichts sehen, sind geneigt, jede weiße Frau, die ihnen nach langer Zeit zu Gesicht kommt, für eine Schönheit zu halten. Aber es bedurfte weder des Kontrastes noch des Vergleichs mit den Eingeborenen, um Patricia zu bewundern.
Sie war von keltischem Typus und etwas über mittelgroß. Ihre Haltung war aufrecht, und sie hatte einen wunderbaren Gang. Ihr Gesicht bildete ein vollkommenes Oval, ihre schöne, glatte Haut war leicht gebräunt.
Ihre Augen strahlten, und sie war immer zum Lachen bereit. Trotzdem war sie ein ernster Charakter, und aus ihren Blicken und Zügen sprachen angeborene Güte und Zartheit. Drei Menschen verehrten sie an der Küste.
Ihr Bruder bewunderte sie natürlich, sah sie aber etwas kritisch an; Sanders bewunderte sie und fürchtete sie ein wenig; Leutnant Tibbetts bewunderte sie und hielt sich von ihr fern.
Nach jener peinlichen Entdeckung warf Bones die Tür seiner Hütte hinter sich zu und lehnte standhaft alle Nahrung ab. Er hatte sich selbst aus dem Kreis seiner Landsleute ausgeschlossen.
Am nächsten Morgen traf er Hamilton bei den Exerzierübungen. Er sah hohläugig aus (wie er hoffte), denn er hatte eine schlaflose Nacht hinter sich. Aber seine Haltung zeigte nichts von der tiefen Hochachtung und Verehrung seinem Vorgesetzten gegenüber, wie sie eigentlich die Paragraphen der Dienstvorschriften forderten.
»Wie geht es eigentlich Ihrem Kopf, Bones?« fragte Hamilton, nachdem er die Soldaten hatte wegtreten lassen.
»Ich danke Ihnen, Sir«, sagte Bones bitter, obwohl gar kein Grund vorhanden war, über diese freundliche Nachfrage beleidigt zu sein. »Ich danke Ihnen, es ist immer dasselbe. Meine Temperatur ist oder war etwa vierzig Grad Fieber, ich lag im Delirium, und ich kann auch gerade nicht behaupten, daß ich im Moment frei von Wahnvorstellungen bin.«
»Kommen Sie mit zum Mittagessen«, lud ihn Hamilton ein.
Bones salutierte – das war das sichere Vorzeichen, daß er eine größere, dramatische Rede halten würde.
»Sir«, sagte er fest, »Sie sind immer ein netter, alter Offizier mir gegenüber gewesen, bevor dieses schreckliche Ereignis mein junges Leben vernichtete – aber ich werde niemals wieder derselbe werden, der ich früher war.«
»Seien Sie doch kein Esel, Bones!«
»Schmähen Sie mich nicht!« rief Bones entrüstet. »Geben Sie mir lieber einen gefährlichen Auftrag! Einen abenteuerlichen Auftrag, bei dem ein Mann wie ich sein Leben in die eine und den Revolver in die andere Hand nimmt. Aber fragen Sie mich nicht . . .«
»Meine Schwester möchte Sie gerne sehen«, unterbrach Hamilton den Strom seiner Beredsamkeit.
»Haha«, lachte Bones hohl und schritt zu seiner Hütte.
»Der Himmel mag wissen, was ich mit ihm anfangen soll«, seufzte Hamilton bei Tisch. »Deine Ankunft hat ihn völlig durcheinander gebracht, Patricia!«
Sie faltete die Serviette zusammen, trat ans Fenster und schaute über den gelben Exerzierplatz hin, der jetzt verlassen dalag.
»Ich werde ihn einmal besuchen«, erklärte sie plötzlich.
»Armer Bones«, murmelte Sanders.
»Das ist recht herzlos von Ihnen!« Sie nahm ihren Tropenhut vom Regal neben der Tür, setzte ihn sorgfältig auf, ging dann durch die offene Tür und pfiff vergnügt.
»Ich hoffe, Sie nehmen das Pfeifen nicht übel«, entschuldigte Hamilton seine Schwester. »Wir haben es Ihr niemals abgewöhnen können.«
Sanders lachte.
»Es wäre ungewöhnlich, wenn sie nicht pfeifen würde«, meinte er geheimnisvoll.
Bones lag auf dem Rücken, hatte die Hände unter dem Kopf verschränkt und dachte nach. Eine halbleere Keksdose und die Überbleibsel einer Pralinenpackung ließen erkennen, daß der Einsiedler nicht die Absicht hatte zu verhungern.
An seinem Geist zog eine lange Folge trauriger, melancholischer Bilder vorüber. Vielleicht würde er fortgehen, weit, weit fort in das Innere. Sogar in das Gebiet des großen Königs, wo das Leben eines Mannes nicht mehr wert war als fünf Pfennige. Wenn dann Tag um Tag dahinging, ohne daß Nachricht von ihm eintraf – wie sollte das auch möglich sein, wenn er unter einem Steinhügel ruhte –, dann würden sie ängstlich werden und sich um ihn sorgen. Und dann würden Boten kommen, die ihr die paar Wertstücke überbrachten, die er ihr vermacht hatte – eine Armbanduhr, einen zerbrochenen Säbel und ein silbernes Zigarettenetui, das die Eindruckstelle des Pfeiles zeigte, der ihn durchbohrt hatte. Und sie würde um ihn trauern und ihn in der Einsamkeit ihres Zimmers beweinen.
Vielleicht auch würde seine Kraft noch reichen, ihr ein paar Worte zu schreiben und sie um Verzeihung zu bitten. Dann würden Tränen in ihre schönen grauen Augen kommen – wie sie jetzt in seinen eigenen Augen standen, als er sich dieses Bild ausmalte. Und sie würde alles wissen und ihm verzeihen.
Draußen pfiff jemand.
Oder er würde von einem schweren Fieber heimgesucht werden und todkrank auf seinem Lager liegen, dann würde sie kommen und ihn pflegen wollen, aber er würde es ablehnen. »Sag ihr, Ali«, würde er mit schwacher, ersterbender, aber tapferer Stimme flüstern, »sag ihr . . . ich bitte sie nur um Verzeihung.«
Wieder wurde gepfiffen.
Bones hörte es wohl. Der Pfiff kam von dem offenen Fenster unmittelbar über seinem Kopf. Singvögel waren in diesem Teil des Landes selten, aber er war zu träge und zu sehr in seine traurigen Phantasien vertieft, um aufzustehen.
Aber vielleicht würde sie ihn nie wiedersehen, und vielleicht würde sie niemals die tiefe Ungerechtigkeit . . .
Jetzt pfiff man aber sehr laut und sehr lange. Bones hörte es genau und deutlich, wandte den Kopf halb um und schaute nach oben –
Im nächsten Augenblick sprang er auf und wischte sich mit der Hand die feuchte Stirn ab. Sie, bei der alle seine Gedanken weilten, lehnte mit gespitzten Lippen an der Fensterbank.
Patricia schaute ihm fest in die Augen. »Kommen Sie heraus, Sie Unglücksrabe.«
Bones schaute sie bestürzt an, aber er gehorchte.
»Was soll das heißen, daß Sie hier in Ihrer häßlichen, kleinen Hütte Trübsal blasen, während Sie doch auf Händen und Füßen herbeikriechen müßten, um mich um Verzeihung zu bitten?«
Er erwiderte nichts.
»Bones«, fuhr das energische Mädchen fort und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, »Sie verdienen eine gehörige Tracht Prügel!«
Bones hielt sein knochiges Handgelenk hin. »Schlagen Sie mich nur«, trotzte er.
Aber kaum hatte er das gesagt, als ihre fest kleine Hand ihm auf die Finger klopfte. Bones stöhnte.
»Aber Haltung, meine liebe, gute Miß Hamilton«, sagte er und rieb sein Handgelenk.
»Ja, Haltung, mein lieber, alter Bones«, ahmte sie ihn nach, »Sie sollten sich wirklich schämen . . .«
»Lassen Sie die Vergangenheit vergessen sein, meine liebe, gute Miß Hamilton«, bat Bones jetzt großzügig. »Ich sehe, daß Sie eine tüchtige junge Sportsdame sind – geben Sie mir Ihre Hand, selbst wenn sie eine Tonne schwer ist.«
Er streckte seine sehnige Hand aus und schüttelte die ihre, daß Patricia ihr Gesicht verzog.
Fünf Minuten später ging er neben ihr her, zeigte ihr die Quartiere der verheirateten Haussa-Soldaten und erzählte ihr die Geschichte seiner ersten Liebe. Sie verstand es ausgezeichnet, zuzuhören, und unterbrach ihn nur durch ein paar Fragen, ob irgendwie Verrücktheit in seiner Familie erblich oder ob die junge Dame kurzsichtig gewesen sei. Es hätte Hamilton selber sein können, der Bones so hänselte.
»Was reden die beiden nur so viel miteinander?« wunderte sich Sanders, der sie von seinem tiefen, bequemen Segeltuchstuhl aus beobachtete.
»Bones erzählt ihr sicher seine Lebensgeschichte«, meinte Hamilton gleichgültig, »und wie er diese Kolonie vor einem Aufstand bewahrt hat. Er bittet sie natürlich auch, weder Ihnen noch mir ein Wort davon zu sagen, denn er fürchtet, daß wir dadurch verletzt sein könnten.«
In demselben Augenblick erzählte Bones tatsächlich recht unbescheiden von seinen Verdiensten und machte am Schluß eine kleine Randbemerkung.
»Natürlich möchte ich nicht haben, meine liebe, gute Miß Hamilton«, sagte er leise, »daß Sie hiervon ein Wort zu Ihrem netten Bruder sagen. Er ist ein sehr feiner Mensch, aber im Vergleich mit einem so tüchtigen und umsichtigen Manne wie mir, der die Seele der Eingeborenen so gut versteht . . .«
»Warum schreiben Sie eigentlich nicht ein Buch über Ihre Abenteuer? Das würde sich doch wie warme Semmeln verkaufen.«
Bones war hingerissen vor Dankbarkeit.
»Das ist ganz meine Meinung! Was für ein klares Urteil haben Sie doch! Es ist wirklich schade, daß dieser gerechte Sinn nicht in Ihrer ganzen Familie vertreten ist! Ich will Ihnen einmal ein Geheimnis verraten, aber Sie dürfen niemand etwas davon sagen – auf Ehre!«
»Auf Ehre!«
Bones schaute sich um.
»Das Manuskript liegt schon fertig für den Verleger da«, flüsterte er und trat einen Schritt zurück, um den Eindruck seiner Worte auf Patricia zu beobachten.
In ihren Augen lag Bewunderung, und Bones erkannte, daß er endlich eine mitfühlende Seele gefunden hatte.
»Es muß schrecklich interessant sein, Bücher zu schreiben«, sagte sie seufzend. »Ich habe es auch versucht – aber ich kann keine Geschichten erfinden.«
»Natürlich – aber in meinem Fall . . .«
»Ich nehme an, Sie setzen sich mit der Feder in der Hand hin und denken sich allerhand aus«, fuhr sie belustigt fort. Dann lenkte sie ihre Schritte wieder zur Residenz.
»Dies ist die Geschichte meines Lebens«, erklärte Bones ernst, »das sind keine Erfindungen und keine Phantasien . . . diese Abenteuer haben sich wirklich zugetragen.«
»Wer hat sie denn erlebt?«
»Selbstverständlich ich«, rief Bones lauter als nötig.
»Oh!« erwiderte sie nur.
»Sagen Sie bloß nicht ›Oh‹!« entgegnete Bones etwas gereizt. »Wenn wir beide gute Freunde sein wollen, meine liebe, gute Miß Hamilton, dann dürfen Sie meine Worte nicht in Zweifel ziehen.«
»Nun renommieren Sie doch nicht so stark, Bones«, wandte sie sich so energisch an ihn, daß er kleinlaut wurde.
Sie führte ihn als Gefangenen zur Veranda und setzte ihn dort in den bequemsten und weichsten Stuhl, den sie finden konnte.
Von diesem Tage an war er ihr Sklave, nur in einem Punkte behauptete er sich selbst.
Bei Tisch drehte sich die Unterhaltung um die Mission, und Miß Hamilton erwähnte, daß sie zur Hochkirche gehöre.
Bones bekannte, daß er Wesleyaner sei.
»Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie ein Dissident sind?« fragte sie ungläubig.
»Ja, doch, das ist meine nette, feine Religion, meine gute Miß Hamilton«, erklärte er. »Ich hätte selbst die geistliche Laufbahn eingeschlagen, aber ich hatte nicht genug – nicht genug . . .«
»Verstand«, sagte Hamilton.
»Nein, ich fühlte mich nicht davon durchdrungen, zum Wort Gottes berufen zu sein.«
Patricia hielt ein langes Verhör mit ihm ab, um festzustellen, wie weit seine religiösen Überzeugungen gingen.
Bones verteidigte sich bis aufs Äußerste. Er hatte nur eine sehr schwache Vorstellung von der Lehre, die er verfocht, und lehnte in Bausch und Bogen verschiedene Glaubenssätze ab, die Miß Hamilton sehr teuer waren.
»Aber Bones«, rief sie im Eifer, »Wenn ich Sie nun bäte, Ihren Glauben zu wechseln . . .«
Bones schüttelte den Kopf. »Meine liebe, gute Freundin«, sagte er feierlich, »es gibt zwei Dinge auf der Welt, die ich niemals tun werde. Ich ändere meinen Glauben nicht, zu dem ich mich seit meiner glücklichen und ach so fernen Jugend bekenne, und ich höre nicht auf irgendwelche Worte, die Sie, meine liebste, beste Schwester, irgendwie heruntersetzen könnten . . .«
»Ich verstehe, Bones«, sagte sie etwas reserviert. »Ich sehe, daß Sie mich nicht so gern haben, wie ich dachte – was meinen Sie, Mr. Sanders?«
Der Distriktsgouverneur lächelte. »Ich kann kaum darüber urteilen«, entschuldigte er sich, »ich bin nämlich selbst Wesleyaner.«
»Oh!« sagte Patricia und verließ die Veranda verwirrt.
Bones erhob sich schweigend, ging zu seinem Vorgesetzten hinüber und streckte seine Hand aus.
»Bruder«, sagte er mit gebrochener Stimme.
»Was, zum Teufel, machen Sie da?« fuhr ihn Sanders an.
»Sie haben gesprochen wie ein treuer Christ, meine liebe, alte Exzellenz. Wir werden unser Bestes tun, Patricia wieder zur rechten Herde zurückzuführen.«
Am Abend hatte Sanders eine freudige Nachricht zu verkünden.
Bones war unter Anleitung Patricias damit beschäftigt, die Strickkunst zu erlernen. Aber Sanders unterbrach dessen künstlerische Tätigkeit.
Was würden Sie zu einer Erholungsfahrt den Strom hinauf in das Land der Isisi sagen?«
Hamilton sprang auf. »Erholungsfahrt?« fragte er bestürzt.
Sanders nickte. »Wir fahren morgen dorthin, um ein Religionspalaver abzuhalten – Bucongo, der Häuptling der unteren Isisi, ist ein etwas zu begeisterter Christ geworden. Ahmet hat mir verschiedene Berichte über ihn geschickt. Ich habe das Palaver schon seit Wochen immer verschoben, aber die Zentralverwaltung hat mir mitgeteilt, daß sie nichts dagegen hat, wenn ich einmal eine Erholungsreise ins Innere mache. So paßt es ganz gut, wir können alle zusammen fahren.«
»Bravo!« rief Hamilton. »Bones, lassen Sie sofort die Strickerei und ordnen Sie das Packen der Vorräte an.«
Bones kniete auf dem Stuhl, stützte die Ellbogen auf den Tisch und schaute seinen Vorgesetzten unwillig an.
»Wie der gute alte Francis Drake sagte, als die spanische Armada . . .«
»Machen Sie, daß Sie in den Vorratsraum kommen, Sie ungehorsamer Mensch!« befahl Hamilton, und Bones machte, daß er fortkam.
Der Raum auf der »Zaire« war beschränkt. Aber zusätzlich war noch das kleine Dampfboot da, das außer zur Einziehung des Tributs in den verschiedenen Dörfern selten benützt wurde.
»Ich könnte Bones mit der ›Wiggle‹ fahren lassen«, sagte Sanders. »Ich fürchte nur, er läßt sie dann irgendwie auf eine Sandbank auflaufen. Miß Hamilton wird in meiner Kabine wohnen, und wir beide nehmen die kleineren Kabinen.«
Bones wurde das alles mitgeteilt. Er sprang auf vor Freude, daß er sein eigenes Schiff haben sollte, und widerlegte sofort alle Einwände. Ja, er hatte sie schon alle beantwortet, bevor sie überhaupt ausgesprochen wurden.
Patricia war entzückt über die bevorstehende Fahrt. »Wird es auch Kämpfe geben?« fragte sie atemlos. »Wird man uns angreifen?«
Sanders schüttelte lächelnd den Kopf.
»Halten Sie sich nur an mich«, sagte Bones zuversichtlich. »Vertrauen Sie nur Ihrem alten Bones. Wenn Sie in der Schlacht mein Banner sehen, dann wissen Sie, wohin Sie sich zu wenden haben.«
»Du mußt dich aber erst vergewissern, ob es auch wirklich ein Banner ist«, unterbrach ihn Hamilton. »Du mußt gut aufpassen, daß du es nicht mit seinen großen Füßen verwechselst, mit denen er in der Luft umherstrampelt. Als wir das letztemal einen Zusammenstoß hatten . . .« Und er erzählte eine Geschichte, die für Bones nicht gerade sehr ehrenvoll war. Aber Bones widersprach dauernd.
Es war kurz vor der Abfahrt, als Hamilton seinen Untergebenen beiseite nahm.
»Bones«, sagte er freundlich, »ich weiß, Sie sind ein großer Navigator, und meine Schwester, die viel Sinn für Humor hat, würde Sie ja sehr gern am Steuer der ›Wiggle‹ sehen. Da der Distriktsgouverneur aber eine Vergnügungsfahrt machen will, wäre es das beste, wenn Sie einen der Leute steuern ließen.«
Bones richtete sich beleidigt zu voller Größe auf. »Mein lieber, alter Offizier«, erwiderte er ernst, »ich kann nicht annehmen, daß Sie abfällig von meiner Intelligenz und meinen Fähigkeiten sprechen wollen . . .«
»Schlagen Sie sich bloß diesen dummen Gedanken aus dem Kopf«, sagte Hamilton, »deswegen rede ich doch gerade mit Ihnen.«
»Ich stehe unter Ihrem Befehl«, entgegnete Bones mit dem Gesicht eines christlichen Märtyrers, »und gemäß Paragraph 156 der Dienstvorschriften . . .«
»Nun hören Sie doch mit dem Unsinn auf! Ich gebe Ihnen im Augenblick gar keine Befehle, ich wollte Ihnen nur einen vernünftigen Rat erteilen. Wenn Sie natürlich selbst einen Hanswurst aus sich machen . . .«
»Ich habe nicht die leiseste Absicht, das zu tun, mein lieber Vorgesetzter – und ich lasse mich auch nicht durch meine Umgebung beeinflussen.«
Er stand stramm, grüßte militärisch und ging dann zu den Baracken.
Bones hatte Schwierigkeiten, die Vorräte zu packen. In Wirklichkeit war schon alles gepackt, als er zur »Wiggle« kam, und ein anderer wäre sehr zufrieden darüber gewesen. Aber Bones ließ alles wieder ausladen und packte dann nach seiner eigenen Weise. Als er damit fertig war, konnte auch der Dümmste erkennen, daß das Dampfboot nach der einen Seite überhing und große Gefahr bestand, daß es umschlug, bevor es überhaupt die Fahrt antrat. Alle Vorräte mußten also wieder ausgeladen werden. Hamilton übernahm nun selbst die Aufsicht über die Arbeiten und fluchte heftig auf seinen Untergebenen.
Als alle zur Abfahrt fertig waren, erinnerte sich Bones daran, daß er sein Logbuch vergessen hatte, und es gab eine neuerliche Verzögerung.
»Haben Sie jetzt alles?« Sanders lehnte sich müde und ärgerlich über die Reling.
»Es ist alles in Ordnung«, entgegnete Bones und grüßte seinen Vorgesetzten militärisch, lachte dabei aber Patricia an.
»Haben Sie auch Ihre Heißwasserflasche und Ihre Lockenwickel nicht vergessen?« fragte Hamilton ironisch.
Bones würdigte ihn keines Blickes, gab seinem Ingenieur ein Zeichen, und die »Wiggle« fuhr, wie es auch sonst ihre Gewohnheit war, im großen Bogen vom Kai ab. Bones war aber nicht darauf gefaßt gewesen, er stolperte und wäre beinahe ins Wasser gefallen, wenn er sich nicht an den heißen Schornstein geklammert hätte. Mit einer eleganten Bewegung fand er seine Balance gerade noch zur rechten Zeit, um die kleine Flagge der »Zaire« zu grüßen, als er an ihr vorbeifuhr. Unter den Augen Hamiltons nahm er mit der größten Seelenruhe das Steuer in die Hand und lenkte die »Wiggle«, bis sie am Ufer festsaß.
Dies ereignete sich alles in dem kurzen Zeitraum von drei Minuten.
»Wenn Sie sich bloß Ihren verrückten Schädel dabei eingeschlagen hätten«, fuhr ihn Hamilton an, der nicht zu Unrecht sehr böse war, »dann hätte der Unfall doch wenigstens einen gewissen Wert gehabt.«
Es dauerte eine halbe Stunde, bis die »Wiggle« wieder flott war, denn um das zu erreichen, mußten alle Vorräte ausgepackt, zum Betonkai getragen und nachher aufs neue zum Schiff gebracht werden.
»Sind Sie jetzt fertig?« fragte Sanders.
»Jawohl, zu Befehl, Sir!« antwortete Bones kleinlaut.
*
Bucongo, der Häuptling der unteren Isisi, hatte einen Streit mit seinem Schwager über eine gewisse Sache, die seine Ehre verletzte. Er brachte sein Leben in Gefahr, denn eines Morgens fand man seinen Verwandten tot auf, von einem Speer durchbohrt. Dies entdeckte Sanders aber erst nach der großen Untersuchung, die den Ereignissen folgte, die hier erzählt werden sollen.
Der Schwager hatte boshaft geschworen, daß Bucongo in Verbindung mit Teufeln stehe. Bucongo war in seiner frühen Jugend von katholischen Missionaren aufgegriffen worden und hatte lange Zeit in der Station zugebracht, um geheimnisvolle Riten und Zeremonien zu erlernen. Er selbst hatte sich dabei nie recht wohl gefühlt. Sein Schwager war in einer andern Missionsstation aufgezogen worden, und man hatte ihn gelehrt, daß Gott im Strom lebe und daß es notwendig sei, in die Fluten des Stromes einzutauchen, um seines Ju-jus ganz teilhaftig zu werden.
Zwischen den Wassergott-Leuten und den Kreuzgott-Leuten gab es immer Streitigkeiten. Sie sprachen verächtlich voneinander, obwohl keiner von ihnen seinen Glauben richtig verstand. Die zu dem katholischen Glauben Bekehrten waren allerdings im Vorteil, denn sie hatten von den Geistlichen eine Zinnmedaille erhalten, auf der Herzen und sonnenähnliche Strahlen zu sehen waren. (Diese Medaillen waren das beste Heilmittel gegen Zahn- und Leibschmerzen.) Die Protestanten hatten ihren Anhängern nur ein geheimnisvolles Etwas mit auf den Weg gegeben, das in der Eingeborenensprache als A'lamo bezeichnet wurde – was Gnade bedeutet.
Als sie nun aber von ihren mit den Medaillen prunkenden Rivalen aufgefordert wurden, diese Gnade zu zeigen, waren sie sehr niedergeschlagen und beschämt, denn sie mußten zugeben, daß A'lamo ein unsichtbarer Zauber war, der aber trotzdem nach ihren Angaben ein wirksamer Zauber war, denn er schützte vor dem Ertrinken und heilte Warzen und Furunkel.
Bucongo, der einflußreichste und stärkste Anhänger der Kreuzgott-Leute, der sogar ein neues Ritual erfunden hatte, vergnügte sich daran, den Missionaren der Baptisten zuzusehen, die knietief im Wasser standen und damit beschäftigt waren, die Seelen der Bekehrten reinzuwaschen.
Er war sogar gegen den jungen Ferguson unverschämt geworden, der der Leiter der amerikanischen Baptisten-Mission war. Aber zu seiner größten Verwirrung hatte ihn dieser mit einem linken Schwinger zu Boden gestreckt, denn Ferguson war früher ein guter Boxer im Mittelgewicht gewesen, als er noch auf der Harvard-Universität studierte.
Er brachte seine Beschwerde vor Sanders, der an der Vereinigung des Isisi- und N'gombi-Stromes angekommen war und dort sein Palaver abhielt. Bucongo war mit verbundenem Gesicht vor dem Distriktsgouverneur erschienen und sehr unfreundlich empfangen worden.
»Gehe und verehre deinen Gott in Frieden und lasse alle andern Leute auch ihre Götter verehren. Sage den weißen Leuten keine schlechten Worte, denn sie sind sehr schnell, wenn sie ärgerlich werden. Auch ist es ungehörig, daß ein schwarzer Mann zornig zu seinen Herren spricht.«
»O Herr«, erwiderte Bucongo, »im Himmel sind alle Menschen gleich, die weißen und die schwarzen.«
»Wir sind aber nicht im Himmel, und hier am großen Strom hat jeder seinen Rang und seine Stellung nach seinem eigenen Verdienst. Morgen werde ich in dein Dorf kommen und mich nach gewissen geheimen Feiern und Festen erkundigen, die du abhältst und von denen die Gottesmänner nichts wissen – das Palaver ist aus.«
Nun war Bucongo in gewisser Beziehung mehr als ein gewöhnlicher Bekehrter. Er war ein Mann von hervorragender Intelligenz und hatte überraschend originelle Einfälle. In der römischen Kirche war er Laien-Missionar gewesen und hatte viele Leute zu einer merkwürdigen Religion bekehrt, deren Ritual den guten Jesuitenpatres allerdings nur halb enthüllt wurde. Es wurde ein großes Palaver abgehalten, wobei er seine ganze Gemeinde vorstellen mußte. Der Gottesdienst fand auch statt, wurde aber von einem Ziegenopfer, einer Zauberprozession und einem Beschwörungstanz unterbrochen. Die Vertreter der katholischen Mission waren sprachlos. Bucongo wurde vor eine Missionskonferenz berufen und erhielt einen energischen Verweis.
Er entschuldigte sich und tat Buße, aber die Sache hatte damit ein Ende. Es fanden sich auch genügend Beweise, daß dieser begeisterte Christ gründlich zu Werke gegangen war und auf eigene Faust eine neue Religion gegründet hatte.
Die Lage war schwierig, und andere Religionsgemeinschaften hätten wahrscheinlich gezögert, eine Reform in Angriff zu nehmen, durch die sie eine große Anzahl von Anhängern verloren.
Das Schicksal der Bucongo-Gemeinde war besiegelt, als er in seinem Ärger eine halbe Tagesreise in seinem Boot den Strom entlangfuhr und zu der Hauptmissionsstation kam. Pater Carpentier, ein Mann mit langem, wallendem Bart, gutmütigem roten Gesicht und braunen Armen, hörte ihm im Schatten seiner Hütte zu und rauchte dabei nachdenklich eine lange Pfeife.
»Und Pentini«, schloß Bucongo, »selbst Sanders tut mir Schande an, weil ich ein Kreuzgott-Mann bin. Er ist, soweit ich weiß, ein Anhänger des Wassergottes.«
Der Pater betrachtete sinnend dieses verirrte Schaf seiner Herde. »O Bucongo«, sagte er liebenswürdig, »in den Ländern am Strom leben viele wilde Tiere. Einige fliegen und einige schwimmen, einige laufen schnell und einige verbergen sich in der Erde. Sage mir, welche von ihnen tun das Richtige?«
»O Herr, sie tun auf verschiedene Weise alle das Richtige.«
Pater Carpentier nickte. »Auch gibt es in den Wäldern zwei Arten von Ameisen – die einen leben in Nestern auf dem Baum, die andern graben ihren Bau tief in die Erde. Sie sind von derselben Gattung und nähren sich in gleicher Weise. Aber Gott hat ihnen in ihre kleinen Köpfe gegeben, daß die einen auf die Bäume klettern und die andern in die Erde graben sollen. Sie haben beide recht. Wenn sich aber die Baumameisen und die Erdameisen treffen und einander bekämpfen, dann haben beide unrecht.«
Bucongo, der vor dem Pater auf der Erde gehockt hatte, erhob sich traurig. »O Herr, diese Geheimnisse sind zu hoch für einen armen Mann. Ich kenne einen besseren Ju-ju, und zu dem werde ich gehen.«
»Da hast du keine weite Reise, Häuptling«, sagte der Pater streng. »Ich habe Geschichten von Geistertänzen im Walde gehört und von einem gewissen Bucongo, der dabei der Anführer ist – auch spricht man von einem Menschenopfer, das stattfand, und von Bekehrten, denen ein Kreuz mit einem glühenden Eisen eingebrannt wird.«
Der Häuptling sah seinen früheren Lehrer wütend an, wandte sich um und ging, ohne ein Wort zu verlieren, zu seinem Boot zurück.
Am nächsten Morgen schickte Pater Carpentier durch einen Boten einen dringlichen Brief an Sanders. Der Distriktsgouverneur las das Schreiben und runzelte die Stirn. Er ließ den Brief sinken und kam an Deck, wo Hamilton mit seiner Angelrute saß.
»Was gibt es?« fragte dieser schnell, als er sich nach Sanders umschaute.
»Bucongo von den unteren Isisi macht Dummheiten. Ich habe von seinen religiösen Versammlungen gehört und bin ein wenig beunruhigt. Das wird ein großes Ju-ju-Palaver geben, wenn ich mich nicht sehr täusche. Wo ist Bones?«
»Er ist mit meiner Schwester zu der Bucht gegangen – er sagt, daß dort viele kleine weiße Reiher nisten, und ich glaube, er hat recht.«
Sanders wurde unruhig.
»Schicken Sie sofort ein Kanu aus, um die beiden zurückzuholen. Das ist Bucongos Gebiet, und ich traue diesem Teufel nicht.«
»Wem? Bones oder Bucongo?« fragte Hamilton unschuldig.
Aber Sanders war nicht zum Scherzen aufgelegt.
*
Zur selben Zeit saß Bones vor der phantastischsten religiösen Versammlung, an der jemals ein Geistlicher oder ein Laie teilgenommen hatte.
Das Schicksal und Bones hatten Patricia durch eine schöne Waldlichtung geführt – sie hatten die »Wiggle« eine halbe Meile weiter unten am Strom verlassen, weil dort viele Untiefen waren, so daß sie nicht weiterfahren konnten, und Bucongo in einem großen Augenblick getroffen.
Bones glaubte auf eine der üblichen Versammlungen zu stoßen, die dieser bekehrungstüchtige Häuptling der unteren Isisi so häufig abhielt. Er stand an der äußeren Peripherie des großen Zuhörerkreises. Die Leute beobachteten schweigend, wie ein junges Mädchen ganz gegen ihren Willen mit Bucongos Gott bekannt gemacht werden sollte.
Sie lag vor dem großen Steinaltar, auf dem ein schrecklicher Götze stand, der mit einem Auge auf die Andächtigen herniederschaute. An Händen und Füßen war sie an Pfähle gebunden, die in den Grund getrieben waren.
Vor dem Altar selbst loderte ein Holzfeuer, in dem zwei Eisen glühend gemacht wurden.
Bones sah dies nicht, denn er starrte mit offenem Munde auf Bucongo. Auf dem Kopf des Häuptlings saß zweifellos eine Mitra, aber es war eine geflochtene Schnur aus Lederriemen darum gebunden, von der ein Kranz von Affenschwänzen herabhing. Als Chorrock trug er ein Leopardenfell. Sein Gesicht war mit roter Camholzfarbe bestrichen, und um seine Augen hatte er zwei weiße Kreise gemalt.
Bucongo war gerade dabei, eine aufreizende Ansprache zu halten, als die beiden weißen Menschen auf der Bildfläche erschienen. Seine Hand war schon ausgestreckt, um das eine glühende Eisen zu ergreifen, als Patricia außer sich vor Schrecken plötzlich in den Kreis lief und Bucongo das Marterwerkzeug aus der Hand riß. Sie warf es in weitem Bogen mitten unter die Zuschauer, die auseinanderstoben.
»Wie darfst du das tun! Das ist ja unmenschlich!« rief sie atemlos. »Du schrecklicher Kerl!«
Bucongo starrte sie an, sagte aber nichts, sondern wandte sich an Bones.
Er hatte in diesem Augenblick einen großen Entschluß zu fassen und mußte mit den Gewohnheiten seines ganzen Landes brechen. Seine Erziehung veranlaßte ihn, halb die Hand zum Gruß vor dem weißen Mann zu erheben, aber plötzlich kochte und siedete etwas in seinem wahnsinnigen Gehirn und stachelte ihn auf. Ein wilder, unvernünftiger, brutaler Trieb, den er von seinen Vorfahren geerbt hatte, zwang ihn zu einem andern Handeln. Bones hatte seinen Revolver erst halb gezogen, als ihn der Schaft des Häuptlingsspeers zwischen die Augen traf.
So kam es, daß er bald darauf mit Patricia vor Bucongo saß. Seine Füße und seine Hände waren mit Grasstricken zusammengebunden, und das Mädchen an seiner Seite war in keiner besseren Lage als er.
Sie war sehr erschrocken, aber sie zeigte es nicht. Sie war auch unfähig, den Wortwechsel zu verstehen.
»O Tibbetti«, sagte Bucongo, »du siehst mich als einen Gott vor dir stehen – ich habe jetzt mit allen weißen Leuten Schluß gemacht.«
»Es wird nicht lange dauern, bis wir mit dir Schluß machen, Bucongo.«
»Ich kann nicht sterben, Tibbetti«, erwiderte der Häuptling zuversichtlich, »das ist etwas Wunderbares.«
»Auch andere Leute haben das gesagt, und ihre Witwen sind wieder Frauen geworden und haben vergessen, daß sie Witwen waren.«
»Dies ist ein neuer Ju-ju, Tibbetti.« Bucongo zeigte auf den Götzen, und seine Augen leuchteten seltsam auf. »Ich bin der größte von allen Kreuzgott-Männern, und es ist mir enthüllt worden, daß ich viele Nachfolger haben werde. Und ihr, du und die Frau, werdet die ersten von allen weißen Leuten sein, die das Zeichen des gesegneten Bucongo tragen werden. Und in zukünftigen Tagen werdet ihr eure Brust entblößen und sagen: Dies tat Bucongo, der Gnadenreiche und Wundervolle, mit seinen herrlichen Händen.«
Bones trat der kalte Schweiß auf die Stirn, und sein Mund war trocken. Er wagte kaum, Patricia anzusehen.
»Was sagt er?« fragte sie leise.
Bones zögerte, aber dann übersetzte er ihr die Drohung des Schwarzen.
Sie nickte.
»O Bucongo«, sagte Bones, dem plötzlich ein Gedanke kam. »Obgleich du Böses tust, ich will es doch ertragen, aber dann sollst du wenigstens diesen meinen Wunsch erfüllen. Brenne mich allein auf der Brust, denn wenn jeder von uns gebrannt wird, dann sind wir für Lebenszeit aneinander gebunden, und du siehst doch, wie häßlich diese Frau ist mit ihrer dünnen Nase und ihren blassen Augen. Auch hat sie lange Haare wie das Gras, aus dem die Webervögel ihre Nester bauen.«
Er sprach laut und eindringlich, und seine Worte schienen überzeugend zu sein, denn Bucongo zögerte und sah Patricia an. Sicherlich war die Frau in jeder Hinsicht häßlich. Ihr Gesicht war weiß, sie hatte dünne Lippen und war so mager, als ob sie nicht genügend zu essen bekommen hätte.
»Das sollst du für mich tun, Bucongo«, sagte Bones drängend, »denn Götter tun keine bösen Dinge, und es wäre eine schlechte Tat, wenn du mich mit dieser häßlichen Frau verheiraten würdest, die nur schmale Hüften und eine böse Zunge hat.«
Bucongo war unentschlossen. »Ein Gott tut nichts Böses«, erwiderte er dann, »aber ich kenne die Gedanken der weißen Männer nicht. Wenn es wahr ist, werde ich dich zweimal brennen, Tibbetti. Du sollst dann mein Anhänger für immer sein, und ich will die Frau nicht anrühren.«
»Es ist gut so«, sagte Bones.
»Was meint er? Will er uns gehen lassen?« fragte Patricia.
»Ich erklärte ihm, daß es eine böse Strafexpedition geben wird«, log Bones, »und er entgegnete, daß er nicht daran denke, ein so hübsches Mädchen wie Sie anzurühren. Schließen Sie die Augen, meine liebe, gute Miß Hamilton.«
Sie tat es schnell, halb ohnmächtig vor Entsetzen, denn Bucongo kam mit einem glühenden Eisen in der Hand auf sie zu. Auf seinen Zügen lag ein wohlwollendes Lächeln.
»Dies soll ein immerwährender Segen für dich sein, Tibbetti«, sagte er väterlich.
Das Eisen versengte schon Bones' seidenes Hemd, als der Oberpriester des neuen Kultes plötzlich angerufen wurde.
»O Bucongo«, sagte eine Stimme.
Der Häuptling wandte sich mit furchtverzerrtem Gesicht um und wich vor der Mündung eines Revolvers zurück.
»Sage mir jetzt«, sprach Sanders in ruhigem Ton, »können Leute wie du sterben? Denke schnell nach, Bucongo!«
»O Herr«, erwiderte Bucongo heiser. »Ich glaube, ich kann sterben.«
»Wir werden es sehen«, sagte Sanders.
Erst nach dem Abendessen hatte sich Patricia wieder so weit erholt, daß sie über die aufregenden Vorgänge am Morgen sprechen konnte.
»Es war sehr schlecht von dir«, sagte sie zu ihrem Bruder, der sich wenig um ihren Vorwurf kümmerte, »daß du in der Nähe unter den Bäumen standest, alles hörtest und sahest, und erst im allerletzten Augenblick kamst.«
»Das war mein Fehler«, unterbrach sie Sanders, »ich wollte sehen, wie weit dieser Bucongo gehen würde.«
»Verdammt gedankenlos«, brummte Bones halblaut, aber doch hörbar.
Sie sah ihn ernst an, dann wandte sie sich wieder an Hamilton.
»Ich muß wissen, was Bones gesagt hat, als er zu diesem schrecklichen Mann sprach. Hast du gesehen, daß Bones mich ansah, als ob ich . . . ich weiß kaum, wie ich es ausdrücken soll. Was hat er denn über mich gesagt?«
Hamilton sah zur Decke, dann räusperte er sich.
»Also, mein lieber, alter Kamerad, benehmen Sie sich!« stieß Bones heiser hervor.
»Ja, er sagte . . .« begann Hamilton.
»Leben und leben lassen«, bat Bones erregt. »Corpsgeist und Diskretion, mein lieber Captain!«
Hamilton sah ihn fest an.
»Er sagte zu dem Häuptling, daß er zweimal gebrannt werden wolle, damit dir nichts geschähe.«
Patricia starrte Bones groß an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»O Bones«, sagte sie mit unterdrücktem Schluchzen. »Sie sind . . . wirklich ein feiner Kerl.«
»Sprechen Sie nur weiter«, erwiderte Bones zusammenhanglos und zerdrückte selbst eine Träne in diesem großen Augenblick.