Edgar Wallace
Die Gräfin von Ascot
Edgar Wallace

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

20

Diese scherzhafte Bemerkung machte Eindruck auf Julian. Er dachte sofort an den alten Mann, den er in seiner Wohnung ertappt und dessen Adresse er sich notiert hatte.

Als er jedoch die verschiedenen Möglichkeiten erwog, sah er wieder davon ab. Die Sache erschien ihm zu gefährlich. Aber langsam und allmählich kam er doch wieder auf diesen Plan zurück. Er selbst wollte ja dieses waghalsige Abenteuer nicht unternehmen; er hatte gerade genug von Herman gesehen und gehört und wollte nicht riskieren, ihm in die Arme zu fallen. Aber er selbst brauchte sich diesen Unannehmlichkeiten ja auch nicht auszusetzen; er konnte doch einen anderen für sich arbeiten lassen, wie er es früher schon getan hatte. Man konnte dem Mann ja genügend Geld zahlen, so daß er schweigen würde. Er überdachte alle möglichen Folgen und Einzelheiten, und je mehr er über den Plan nachsann, desto besser gefiel er ihm.

Er schrieb eine kurze Nachricht und brachte sie selbst zur Post. Allerdings mußte er mit der Gefahr rechnen, daß der Brief in falsche Hände fiel, aber auch dann konnte man ihm nichts anhaben. Mit diesem tröstlichen Gedanken wartete er auf eine Antwort.

Um neun Uhr klingelte es. Er legte die Zeitung hin, öffnete die Wohnungstür und begrüßte Mr. Smith, der an diesem Abend noch abstoßender aussah als sonst.

»Kommen Sie herein«, sagte er.

Der Mann nahm die Mütze in die Hand und folgte ihm in das kleine Arbeitszimmer.

»Nehmen Sie Platz.«

Julian wies ihm einen Stuhl an, der vom Schreibtisch möglichst weit entfernt stand. Es hatte fast den Anschein, als ob ihm die Atmosphäre, die dieser Mann in die Wohnung brachte, unangenehm sei.

»Nun, wie geht es Ihnen?«

»Ich bin am Verhungern«, erwiderte der andere in schlechter Laune. »Man kann überhaupt keine anständige Arbeit bekommen, wenn diese Polypen immer hinter einem her sind.«

»Polypen? Ach, Sie meinen die Kriminalbeamten von Scotland Yard? Werden Sie denn von denen verfolgt?«

»Ja, die schikanieren mich, wo und wann sie nur können«, log Smith glatt. »Wenn man gerade eine Anstellung erhalten könnte, kommen sie dazu und erzählen dem neuen Chef, daß man ein alter Verbrecher ist, der im Zuchthaus gesessen hat. Und dann liegt man wieder auf der Straße.«

Das war eines dieser Märchen, mit denen er schon klügere Leute als Julian getäuscht hatte. Aber der junge Mann kümmerte sich im Augenblick nicht darum, was Smith sagte. Er dachte nur an seinen Plan. »Ich habe eine kleine Sache für Sie.«

Die Worte waren ihm entschlüpft, bevor er sich richtig darüber klar wurde, daß er damit diesem gefährlichen Mann auf Gnade und Ungnade ausgeliefert war.

Smith verzog das Gesicht.

»Leider bin ich schon zu alt und zu schwach, um schwer arbeiten zu können«, protestierte er. »Ich habe die besten Jahre meines Lebens im Gefängnis verbracht, da können Sie nicht von mir erwarten –«

»Ich glaube, bei der Sache brauchen Sie sich nicht sehr anzustrengen«, entgegnete Julian bedächtig. »Und die hundert Pfund, die Sie dadurch verdienen können, sind auch nicht zu verachten. Dazu kommt, daß Sie meinen Auftrag innerhalb einer Stunde erledigen können.«

Er sah, wie die Augen des anderen interessiert aufleuchteten.

»Vor allem muß ich betonen, daß das, was ich Ihnen sage, nichts mit mir persönlich zu tun hat. Es geschieht im Interesse eines Freundes, der von gewisser Seite erpreßt werden soll.«

Smith nickte.

»Ach, die haben Sie wohl in die Enge getrieben?« fragte er gespannt. »Nun, das kann jedem passieren, daß er in eine solche Patsche kommt. Ich werde Ihnen helfen, so gut ich kann.«

»Ich habe Ihnen doch schon erklärt, daß es sich nicht um mich, sondern um einen guten Freund handelt. Ich weiß nicht einmal, ob alles, was er mir gesagt hat, wahr ist. Es wäre ja auch möglich, daß er sich einen Scherz mit mir macht, vielleicht ist an der ganzen Sache nichts Wahres. Eine gewisse Mrs. Carawood soll Briefe und Dokumente besitzen, die ihm wahrscheinlich schaden können. Besonders in der letzten Zeit ist die Gefahr größer geworden, da er die Absicht hat, sich zu verheiraten.«

»Wo wohnt die Frau denn?«

»Penton Street siebenundvierzig. Notieren Sie sich das.«

Er schob ihm Bleistift und Papier zu, und Smith schrieb mit großer Anstrengung die Adresse auf.

»Das liegt in Pimlico – ist es ein kleines Haus?«

»Es ist ein Laden, in dem man alte Kleider kaufen kann. Soviel ich erfahren habe, verwahrt sie die Schriftstücke in einem schwarzen Holzkasten, der unter ihrem Bett steht.«

»Die Sache ist leicht«, erwidert Smith verächtlich. »Ist ein Wachhund auf dem Grundstück? Aber schließlich kommt es darauf nicht an. Schlafen Männer im Haus?«

»Nur ein junger Mann, sonst niemand. Sie selbst . . . nun, ich könnte es ja so einrichten, daß sie an dem betreffenden Abend nicht zu Hause ist. Nehmen wir einmal an, Sie gehen nächsten Donnerstagabend hin. Mit dem jungen Mann werden Sie schon fertigwerden. Außerdem erinnere ich mich, daß Mrs. Carawood einmal sagte, er gehe immer sehr früh zu Bett. Er schläft in einer Kammer unterm Dach. Das Zimmer von Mrs. Carawood selbst liegt im ersten Stock, und soweit ich unterrichtet bin, ist es die Tür linker Hand, wenn Sie die Treppe hinaufkommen. Ich muß noch sagen, daß der Kasten zwei Schlösser hat –«

»Ach, reden Sie doch nicht von Schlössern!« unterbrach ihn Smith. »Damit werde ich leicht fertig. Wenn sie die Papiere in einem Safe aufbewahrt hätte, dann hätte ich vielleicht die ganze Nacht damit zu tun, aber ein Holzkasten! Was für Briefe und Schriftstücke soll ich Ihnen denn bringen?«

»Nehmen Sie alle Dokumente, die Sie finden, an sich, stecken Sie sie in eine Ledertasche, bringen Sie sie vor meine Wohnungstür und gehen Sie dann wieder fort. Ich gebe Ihnen fünfzig Pfund vorher, und fünfzig Pfund erhalten Sie, wenn Sie die Sache erfolgreich durchgeführt haben. Sie finden das Geld unter der äußeren Matte vor meiner Wohnungstür. Und hier haben Sie einen Schlüssel zum Haus. Ich warte persönlich auf Sie, und wenn Sie ohne die Papiere kommen, kriegen Sie auch kein Geld.«

Smith sah ihn scharf an. »Ist die Sache nicht etwas riskant für Sie?« fragte er dann.

Julian wollte nicht daran erinnert werden. Er hatte sich schon überlegt, welches Alibi er vorbringen wollte, wenn die Sache vor die Polizei kommen sollte. Im schlimmsten Fall standen immer noch seine Aussagen gegen die des alten Zuchthäuslers, der wegen Mordes verurteilt worden war, und unter diesen Umständen war es nicht zweifelhaft, wem das Gericht Glauben schenken würde. Die Sache war das Risiko schon wert. Selbst wenn er keinen materiellen Vorteil davon haben sollte, hatte er sich doch in den Augen Maries gerechtfertigt.

»Ja, ich weiß wohl, daß ich für meinen Freund ein Risiko auf mich nehme«, sagte Julian ernst. »Aber ich traue Ihnen, daß Sie mich nicht verraten werden.«

Mr. Smith versicherte ihn natürlich seiner Anständigkeit.

Julian holte eine Whiskyflasche und goß dem Mann ein Glas ein. Smith taute auf, als er die Flasche sah.

»Keinen Whisky – ich trinke nur Kognak.« Julian kam seinem Wunsch nach. »Ja, Sie können mir die Sache ruhig anvertrauen, ich war immer zuverlässig. Ach, wenn ich doch nur noch meine Gesundheit und Kraft von früher und ein paar gute Leute hätte, auf die ich mich verlassen könnte.«

»Was würden Sie dann anfangen?« fragte Julian.

»Dann hätte ich bald ein paar hunderttausend Pfund.«

»Ach was, hunderttausend Pfund! Das ist doch Unsinn!«

»Nein, wirklich nicht, es ist die reine Wahrheit. Ich weiß eine Sache, auf die manche jahrelang warten würden, aber sie haben niemals Glück, daß ihnen so etwas über den Weg läuft. Ich sage Ihnen, da könnte man ein großes Vermögen machen.«

Julian bot dem Mann eine Zigarre an, aber Smith lehnte dankend ab.

»Ich habe mit dem Herzen zu tun. Vor einer Woche wäre ich beinahe erledigt gewesen, da wurde sogar ein bekannter Spezialarzt vom Westend gerufen, Sie scheinen das nicht zu glauben, aber es stimmt doch. Sie können alle Leute fragen, die in meiner Straße wohnen.«

»Wer hat denn dafür bezahlt?«

Smith berichtete eine merkwürdige Geschichte. Er war am Hanover Square gewesen und hatte jemanden beobachtet – eine Frau. Nachher hatte sich dann herausgestellt, daß sie nicht die Person war, die er suchte, sondern eine Herzogin.

»Ein Detektiv hat mir das gesagt, der ein Büro in dem Haus hat – er war eigentlich kein richtiger Spürhund, nur so eine Art Privatdetektiv.«

Julian richtete sich plötzlich in seinem Stuhl auf.

»Heißt er vielleicht Morlay?«

»Ja, ganz recht . . . Ich sah den Namen an der Tür.

»Und was passierte dann?«

Smith erzählte weiter. Nachdem Morlay ihn verlassen hatte, blieb er selbst noch auf der Straße stehen und starrte auf den Eingang des Hauses, als plötzlich ein Auto vorfuhr. Zwei Männer stiegen aus, die einen schweren Ledersack ins Haus trugen. Sie fuhren mit dem Fahrstuhl in die Höhe, aber einen der beiden hatte er erkannt – es war Harry, der Kammerdiener.

Mit dem zusammen hatte er im Gefängnis gesessen, und zwar hatten sie benachbarte Zellen. Sie hatten auch in derselben Abteilung gearbeitet. Damals hatte ihm Harry von einer großen Sache erzählt, einem Ding, das er drehen wollte, sobald er wieder in Freiheit war. – Harry war nämlich Amerikaner und der geschickteste Bankräuber, den es auf der Welt gab.

»Als ich ihn sah, wußte ich, daß sie das Ding gedreht hatten«, sagte Smith. »Das ist ihre Methode: Einige Wochen, bevor sie den Plan ausführen, mieten sie ein feines Büro, und dort leben sie, nachdem sie das Geld aus der Bank geholt haben. Und ich sage Ihnen, ich bin froh, daß Harry mich in dem Augenblick nicht erkannt hat – sonst wäre ich jetzt eine Leiche.«

Julian lauschte atemlos. Smith ahnte nichts von dem Einbruch in der Westkanadischen Bank, da er keine Zeitungen las. Aber Julian wußte, daß die Diebe eine große Summe erbeutet hatten.

»Harry hat mir gesagt, man kann immer ein möbliertes Büro mit einem Safe mieten – das heißt, manchmal kaufen sie auch ein Geschäft für den Zweck, um einen anständigen Firmennamen zu haben. Das haben sie nämlich in diesem Fall getan. Und wenn dann nach einem Monat alles vorüber ist, bringen sie ihre Beute in Sicherheit. Da staunen Sie! Ja, das ist eine Sache. Die Polizei sucht sie überall, und die halten sich direkt vor ihrer Nase auf! Wenn ich noch jung wäre, würde ich das auch so machen.«

Julians Gedanken wirbelten durcheinander. Er vergaß sogar den Auftrag, den er dem Mann gegeben hatte.


 << zurück weiter >>