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Detektiv Bones

Mr. Harold de Vinne war ein großer, breitschultriger Mann, der an einer umfangreichen Zigarre rauchte. Er war nicht mehr schlank und hatte gute Umgangsformen. Zwischen sechs Uhr nachmittags und zwei Uhr nachts war er der liebenswürdigste Mensch der Welt, aber von zehn bis vier Uhr nachmittags tat er alles, um diesen guten Ruf wieder zu zerstören.

Er war einer der vier großen Cityleute, die die Vermögen bedeutender Gesellschaften kontrollierten.

Er war so reich, daß er alles Geld, das nicht ihm gehörte, als unrechtmäßigen Besitz ansah, und als Mr. Augustus Tibbetts bei einer Gelegenheit ihm durch ein Geschäft 17 500 Pfund abnahm, mußte schleunigst der Familiendoktor de Vinnes herbeigerufen werden, da er beinahe im Sterben lag (das ist nur symbolisch gesprochen, denn de Vinne hatte weder Familie, noch brauchte er einen Doktor – er kurierte sich stets mit einigen Patentmedizinen).

Captain Hamilton, der früher bei den Haussas in Afrika als Offizier gedient hatte und jetzt der Partner der Firma Tibbetts & Hamilton Ltd. war, zog sich nach einem heftigen Anfall von Malaria nach Brighton zurück, um sich zu erholen. Aber nach einigen Tagen kam eines Morgens ein Sonderbote zu ihm. Es war Ali, der dem Kanostamm in Afrika angehörte, sich aber als Araber ausgab. Außerdem war er auch noch ein Haji und durfte deswegen einen grünen Turban tragen, denn er hatte die Pilgerfahrt nach Mekka gemacht.

Hamilton war nicht gut gelaunt. Er schaute erstaunt auf den Mann, der in einer roten Uniform mit goldenen Tressen vor ihm stand.

»O Mann,« sagte er mürrisch in Küstenarabisch zu ihm, »warum läufst du in einem solchen Anzug herum?«

»O Herr,« sagte Ali, »meine Kleider sind nach den Zeichnungen Tibbettis angefertigt und goldene Verzierungen geben der Erscheinung des Subjekts ein wohlhabendes Aussehen, aber sie ziehen die Aufmerksamkeit der Jugend auf sich.«

Hamilton schaute durch das Fenster auf der Vorderseite des Gebäudes und sah dort eine Menge Jungen stehen, die sehnlichst auf das Wiedererscheinen des romantisch gekleideten Mannes warteten, den sie den Rajah von Bong nannten.

Hamilton nahm den Brief und öffnete ihn. Er war natürlich von Bones. Auf dem Umschlag stand, viermal unterstrichen, »Eilt sehr«.

»Mein lieber, alter Partner Ham, ich habe eine Offerte von Browns, Sie kennen doch das große Schuhgeschäft, das so viele Filialen in London hat. Der alte Browns will sich vom Geschäft zurückziehen. Das Syndikat hat versucht, die Firma aufzukaufen. Deshalb habe ich die ganzen Läden und alle Vorräte für 105 000 Pfund gekauft. Das Syndikat ist furchtbar aufgebracht. Hier ist alles wohlauf, mit Ausnahme meiner netten, armen, jungen Sekretärin, die sich beim Brotschneiden den Finger verletzt hat. Doktor sagt aber, die Sache sei nicht gefährlich.«

Hamilton atmete schnell. Es stand fest, daß Bones einen Schuhladen oder eine ganze Sammlung von Schuhläden gekauft hatte, und es kam ihm die schreckliche Gewißheit, daß Bones überhaupt keine Ahnung von Schuhen hatte.

Er seufzte. Er seufzte immer und hatte doch selten Grund dazu.

Bones war am Kaufen. Gerade vor einer Woche hatte er die Wochenschrift »Der Sonnenfleck« gekauft, eine satirische wöchentliche Revue menschlicher Schwächen. Die Möglichkeiten dieses Kaufes hatten Hamilton krank und schwach gemacht. Er war nach Hause gegangen und hatte Bones im Bureau zurückgelassen, als er einen Leitartikel diktierte, der einen heftigen Angriff auf die Regierung enthielt. Als er am nächsten Morgen wieder ins Geschäft kam, entdeckte er zu seiner Freude, daß die Zeitung mit tausend Pfund Verdienst an die Besitzer eines Konkurrenzunternehmens verkauft war.

Aber Bones ... und 105 000 Pfund ...!

Das war ernst. Und trotzdem hatte er keinen Grund zu seufzen und sich zu fürchten, denn gerade als Hamilton den Brief las, schüttelte Bones heftig den Kopf, während Mr. de Vinne, der Eigentümer des Phit-Phine Schuh-Syndikats, ihm ein Angebot machte, bei dem er fünfzehntausend Pfund verdiente. Und gerade in dem Augenblick, als Hamilton ein Billett nach London kaufte, drückte Bones dem Sekretär des Syndikats feierlich die Hände, das heißt nur die eine, denn in der anderen hielt er den Scheck, der einen Verdienst von 17 500 Pfund für ihn bedeutete. Dies war einer von Bones' großen Erfolgen, der Hamilton dazu brachte, seinem Partner blindlings zu vertrauen ... Trotzdem ...

Eine Woche später las Bones die Morgenzeitung. Er fand aber nichts Besonderes, als er die Todesanzeige von Mr. John Siker las, einem bekannten Privatdetektiv, der in seiner Wohnung in Clapham Common gestorben war. Er schaute sich nach Geschäften um und las deshalb jeden Morgen die Zeitung, denn das Kauffieber hatte ihn noch nicht verlassen.

Hamilton saß an seinem Tisch und brachte die Geschäftsbücher in Ordnung. Er verglich die Einnahmen, die Ausgaben und die Scheckbücher, in denen nur gelegentlich die Abschnitte ausgefüllt waren. Da hörte er, wie Bones »Schwindel, Schwindel!« sagte und diesem Anzeichen entnahm er, daß Bones den Teil der Zeitungen erreicht hatte, in dem die neuen Gesellschaften ihre Prospekte veröffentlichten und zur Subskription ihrer Aktien einluden. Bones hatte die feste Überzeugung, daß alle neuen Gesellschaftsgründungen auf Betrug aufgebaut waren und von Schwerverbrechern ausgingen. Wenn für Schuldverschreibungen sieben Prozent angeboten wurden, so konnte er nur ironisch lachen. Die Gutachten hervorragender Finanzleute entlockten ihm nur ein mitleidiges Lächeln.

»Diese Leute tun alles für Geld«, erklärte er Hamilton.

Bones legte die Zeitung weg.

»Nichts, aber auch gar nichts«, sagte er, ging zu der Tür des äußeren Bureaus, klopfte an und verschwand in dem Zimmer der jungen Dame, von der er nicht anders als in Ausdrücken größter Hochachtung sprach, und die er seine junge Sekretärin nannte.

»Liebes Fräulein,« sagte er, als er auf der Schwelle stehen blieb, »darf ich nähertreten?«

Sie lächelte ihn an und das genügte schon, um Bones in einen bemitleidenswerten Zustand zu versetzen. Aber an diesem Morgen mußte er seine Augen schließen, um nicht eine Vision vor sich entstehen zu lassen, die zu schön war, um wahr zu sein.

»Sind Sie nicht wohl, Mr. Tibbetts?« fragte sie schnell und ängstlich.

»Es ist nichts, mein liebes Fräulein«, sagte er und fuhr scheinheilig mit der Hand über die Stirn. »Ich habe einen Schwindelanfall, ich bin zu lange aufgeblieben«, sagte er heiser. »Ich habe einer bösen Leidenschaft gefrönt – ach, es ist ganz schlimm!«

»O, Mr. Tibbetts!« Sie war wirklich sehr erschrocken. »Ich bin sehr traurig. Sie sollten nicht trinken, Sie sind doch noch so jung ...«

»Trinken?!« sagte Bones beleidigt und erstaunt. »Sie alter Schwätzer! Schriftstellerei!«

Er hatte tatsächlich schon genügend Gedichte geschrieben, um einen ganzen Band damit zu füllen. In diesen Versen kehrten immer neue Reime auf Marguerite wieder, aber davon wußte sie noch nichts.

Marguerite war aber schon daran gewöhnt, daß Bones von Zeit zu Zeit solche Anfälle bekam und lenkte geschickt das Gespräch aufs Geschäft.

»Hier ist ein Brief von Mr. de Vinne«, sagte sie.

Bones rieb sich die Nase und sagte »Oh!«

Er mußte noch an das Geschäft denken, das er mit diesem Mann abgeschlossen hatte. Aber es belastete sein Gewissen nicht im mindesten. Aber Mr. de Vinne war wütend auf Bones, der ihm das Schuhgeschäft vor der Nase weggekauft hatte, so daß er 17 500 Pfund zusetzen mußte.

»Der Brief ist nicht sehr erfreulich!« sagte das junge Mädchen.

»Lassen Sie mich ihn lesen, meine liebe, junge Miß«, sagte Bones bestimmt.

Über dem Schreiben stand als Anrede »Mein Herr« und dann sprach der Verfasser von seiner vieljährigen Erfahrung als Kaufmann in der City von London und schrieb, daß ihm noch nie eine solche Gemeinheit wie die von Augustus Tibbetts Esq. vorgekommen wäre.

»Ich erinnere mich jetzt,« schrieb der mißvergnügte Mr. de Vinne, »daß ich an dem Tage, an dem Sie die Firma Browns aufkauften, im Kinway-Restaurant zu Abend speiste, und daß Sie an dem Tisch direkt hinter mir saßen. Ich kann nur vermuten, daß Sie ein vollständig vertrauliches Gespräch (dick unterstrichen) zwischen mir und einem meiner Direktoren belauschten und die Kenntnis davon aufs gröblichste mißbrauchten.«

»Sprechen Sie niemals bei Tisch, meine liebe Sekretärin,« sagte Bones, »das ist nicht gut, auch nicht für den Magen.«

Der Brief drückte ferner noch die Absicht des Schreibers aus, fürchterliche Rache für dieses unehrenhafte Betragen zu nehmen, dessen Opfer er geworden war.

Bones schaute ängstlich auf seine Sekretärin. Das Urteil Mr. de Vinnes kümmerte ihn nicht im mindesten, aber es war ja möglich, daß die junge Dame seine Handlungsweise nicht billigte, und das erfüllte ihn mit Furcht.

»Es ist kein guter Brief«, sagte Marguerite. »Soll ich eine Antwort darauf schreiben?«

»Muß ich denn darauf antworten?« meinte Bones, der Mut faßte. »Ich werde Ihnen diktieren.«

Er ging in dem Raum auf und ab und legte die Stirne in fürchterliche Falten.

»Mein liebes, altes Ding«, begann er.

»Soll ich wirklich schreiben ›Mein liebes, altes Ding‹?« fragte sie.

»Nein – beginnen Sie so: ›Mein lieber Griesgram –‹«

Sie zögerte und schrieb dann: »Sehr geehrter Herr!«

»›Sie lassen sich jetzt zu sehr gehen und zeigen Ihren niederträchtigen Charakter‹, wiederholte er, ›und ich lehne es ab, überhaupt noch etwas mit Ihnen zu tun zu haben. Sie fallen mir furchtbar auf die Nerven.‹ – Muß ich noch mehr sagen?« fragte Bones.

Die junge Dame schrieb: »Sehr geehrter Herr, es würde keinen Zweck haben, Ihren heutigen Brief zu beantworten oder die Diskussion über Ihre Beschwerden noch fortzusetzen.«

Bones ging zu seinem Bureau zurück und fühlte sich bedeutend wohler.

Hamilton verließ an diesem Nachmittag schon früh das Geschäft. Nachdem sich auch die Sekretärin mit einem freundlichen Gutenacht verabschiedet hatte, war Bones allein und gähnte über seiner Zeitung. Plötzlich klopfte es an der Tür des äußeren Bureaus.

»Herein!« rief er laut.

Ein junger Mann in Trauerkleidung trat ein.

»Ich fürchte, ich komme etwas spät!«

»Das meine ich auch, mein Lieber!« sagte Bones. »Aber kommen Sie nur herein und nehmen Sie Platz in Ihrem schwarzen Anzug. Mein tiefstes Beileid und all so was.«

Der junge Mann mochte vierundzwanzig Jahre alt sein und sah ungesund aus, denn er war als Halbinvalide vom Kriege zurückgekehrt.

»Es ist heute allerdings sehr spät, um diese Sache zu besprechen. Aber ich erfuhr ihren Namen erst vor einer Stunde.«

Bones nickte. Man muß sich vergegenwärtigen, daß er immer auf etwas Wunderbares gefaßt war, selbst wenn die Geschäftszeit zu Ende war.

»Mein Name ist Siker.«

»Ein netter, guter Name.« Bones erinnerte sich undeutlich, diesem Namen schon vorher begegnet zu sein.

»Wahrscheinlich haben Sie die Todesanzeige meines Vaters gelesen? Sie stand in der Morgenzeitung, obwohl er schon vorige Woche starb.«

Bones legte die Stirn in Falten.

»Ich kann mich nicht auf den Mann besinnen. Lassen Sie mich einen Augenblick nachdenken – natürlich, das Detektivbureau!«

Der junge Mann nickte bestätigend.

»Ja. John Siker war mein Vater, ich bin sein einziger Sohn.«

Bones wartete.

»Ich habe gehört, Mr. Tibbetts oder es ist mir wenigstens berichtet worden, daß Sie einträgliche Geschäfte kaufen, die einen guten Gewinn abwerfen.«

»Das ist richtig!« stimmte Bones zu. »Aber sie müssen einen sehr großen Gewinn abwerfen!«

»Sikers Detektivbureau hat zwanzig Jahre lang zweitausend Pfund jährlich abgeworfen. Wir haben eine der besten Kundenlisten im ganzen Reich, fast jeder bessere Geschäftsmann steht mit uns in Verbindung. Wenn man der Sache ein wenig mehr Aufmerksamkeit schenkt als mein Vater es in den letzten beiden Jahren tun konnte, ist viel Geld damit zu machen.«

Bones richtete sich mit strahlenden Augen in seinem Stuhl auf. Die glänzenden Aussichten eines solchen Kaufs standen plötzlich vor seinem romantischen Gemüt.

»Wollen Sie das Geschäft verkaufen, mein lieber, alter Sherlock Holmes?« fragte er. Aber dann überlegte er sich, welche Rolle er dabei spielen sollte und schüttelte den Kopf. »Nein, nein, mein Lieber, ich bin furchtbar traurig und all so was, aber das kann ich nicht tun. Das schlägt nicht in meine Branche. Ganz und gar nicht. Daß ich etwas mehr von Detektivbureaus als die meisten anderen verstehe, stimmt schon, aber ich kann mich nicht damit abgeben. Was verlangen Sie denn dafür?«

»Ich dachte, drei Jahreseinkommen wären angemessen«, sagte der junge Mann zögernd.

»Also sechstausend Pfund?«

»Jawohl. Aber ich möchte nicht, daß Sie das Geschäft ohne weiteres kaufen. Sie können die Bücher von Ihrem Rechtsanwalt oder von Ihrem Bücherrevisor prüfen lassen. Dann werden Sie finden, daß ich Ihnen alles ganz genau berichtet habe. Mein Vater hat jährlich zweitausend Pfund aus dem Geschäft ziehen können, aber man kann die Einnahmen auf viertausend steigern. Um das Bureau in Gang zu halten, sind nur drei Leute nötig, die die ganze Arbeit tun. Eigentlich brauchten Sie nur den Geschäftsführer Hilton, der die anderen instruiert.«

»Aber warum wollen Sie denn verkaufen, Sie alter, unvorsichtiger, junger Mann? Warum wollen Sie ein Geschäft, das zweitausend Pfund im Jahr einbringt, für sechstausend Pfund verkaufen?«

»Weil ich mich nicht gesund genug fühle, es weiter zu führen. Es stört mich auch in meinem anderen Beruf – ich bin nämlich Musiker.«

»Das ist ein hübscher, netter Beruf«, sagte Bones und reichte ihm die Hand über den Tisch. »Nun hören Sie. Ich werde mir die Sache heute nacht überlegen. Geben Sie mir Ihre Adresse und die Adresse Ihrer Rechnungsführer. Ich werde Sie morgen früh aufsuchen.«

Hamilton saß am nächsten Morgen um zehn Uhr an seinem Schreibtisch. Bones kam in tiefen Gedanken erst um elf. Als Hamilton ihn mit einem frischen ›Guten Morgen‹ begrüßte, nickte er nur düster und ernst und war vollständig geistesabwesend. Hamilton fuhr in seiner Arbeit fort, bis er merkte, daß jemand ihn dauernd anstarrte. Als er aufschaute, sah er, daß es Bones war.

»Was, zum Teufel, gucken Sie mich denn immer an?« fragte er gereizt.

»Ihre Schuhe!« war die überraschende Antwort.

»Meine Schuhe?« Hamilton zog sie schnell unter dem Schreibtisch an sich und betrachtete sie. »Was ist denn mit meinen Schuhen?«

»Sie sind mit Schmutz bespritzt, Sie alter, leichtfertiger Mensch«, sagte Bones entschieden. »Sie sind diesen Morgen von Twickenham gekommen.«

»Natürlich, da wohne ich doch. Ich dachte, das wüßten Sie.«

»Ich weiß es wohl. Aber auch, wenn ich es nicht gewußt hätte, würde ich es gesagt haben. Ist Ihnen noch nicht ausgefallen, mein lieber Hamilton, daß der Schmutz in London ganz verschieden ist? Der Twickenham-Schmutz unterscheidet sich wesentlich von dem Schmutz von Balham. Sie glauben wahrscheinlich, diese Unterschiede kommen gar nicht in Betracht, mein lieber, alter Partner, Sie alter Bursche! Und Sie können sich auch gar nicht denken, daß das etwas ausmacht. Nun nehmen wir einmal den Schmutz von Peckham an. Er unterscheidet sich von allen Schmutzsorten dadurch, daß er dunkler ist –«

»Warten Sie einen Augenblick – haben Sie ein Geschäft gekauft, in dem Straßenschmutz gehandelt wird?«

»Nein«, sagte Bones fast beleidigt.

»Meine Beweisführung ist die. Sie haben Twickenham-Schmutz an Ihren Füßen, deshalb kommen Sie von Twickenham. Auf dem Weg zur Eisenbahnstation haben Sie angehalten, um eine Zeitung zu kaufen, dann dachten Sie aber über etwas nach, was Ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm – vielleicht haben Sie ein böses Gewissen – ich wette sogar darauf!«

»Woher wollen Sie denn das wissen?«

»Dort liegt Ihre Zeitung auf dem Tisch – und Sie haben sie noch nicht einmal aufgeschlagen!«

»Stimmt«, gab Hamilton zu, »ich habe sie nämlich eben erst gekauft, bevor ich ins Bureau kam!«

»Hm,« sagte Bones, »ich will Sie nicht hinters Licht führen, mein lieber, alter Partner – ich habe Sikers Geschäft gekauft.«

Hamilton legte seine Feder hin und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.

»Was ist denn das für ein Geschäft?«

»Sikers Detektivbureau! Es ist bekannt von einem Ende des Landes bis –«

»Ach so! O weh!« rief Hamilton. »Sie wollen ein wenig Detektiv spielen!«

Bones schmunzelte.

»Ich habe es sofort genommen, mein lieber Freund. Sie kennen doch meine Art und Weise –«

Hamilton sah ihn vorwurfsvoll an und Bones hustete.

»Aber was in aller Welt wollen Sie denn mit einem Detektivbureau anfangen?« Hamilton stand auf, ging zu Bones hinüber und steckte sich eine Zigarette an. »Das ist ein Geschäft, nach dem gerade keine große Nachfrage ist. Und wie stellen Sie sich persönlich zu der Sache? Sie können doch unmöglich Ihren Namen mit einer solchen Firma verknüpfen?«

Aber Bones erklärte, daß er schon immer auf eine solche Gelegenheit gewartet hätte. Die Sache war so gut organisiert, daß sie von selbst lief. Er brauchte weiter nichts zu tun, als die Gewinne einzustreichen. Die Schwierigkeit des Namens hatte er sehr schlau gelöst.

»Ich habe alles schon mit den Rechtsanwälten besprochen – die Kaufverträge zeichne ich unter dem Namen Mr. Senob. Ich wette, mein lieber, alter Ham, Sie wissen nicht, wie ich auf den Namen gekommen bin.«

»Das ist doch einfach Bones von rückwärts gelesen«, sagte Hamilton geduldig. »Sie haben schon vor mehreren Jahren diesen Trick mir gegenüber angewandt.«

Bones räusperte sich unzufrieden.

Es klang alles sehr logisch und überzeugend, aber Hamilton ließ sich nicht überzeugen. Er wartete auf ein unvermeidliches Aber und hatte sich auch nicht getäuscht, denn jetzt kam es.

»Aber natürlich werde ich das Geschäft nicht lange sich selbst überlassen«, sagte Bones und zuckte die Schultern. »Die Einkünfte lassen sich verdoppeln, wenn ein fähiger Mann an der Spitze steht, der mit allen modernen Verbrechen vertraut ist.«

Hamilton lächelte spöttisch und beleidigend.

»Meinen Sie sich damit?«

»Jawohl, ich meine mich, Ham, mein wohlgenährter, alter Zweifler«, sagte Bones höflich. »Ich glaube nicht, daß Ihnen schon voll bewußt ist, was ich alles über das Aufspüren von Verbrechen weiß.«

»Sie verrückter Esel! Detektivbureaus beschäftigen sich doch meistens nicht mit schweren Verbrechen, dafür ist die Polizei da. Sie werden hauptsächlich von eifersüchtigen Frauen aufgesucht, die ihre Männer beobachten lassen wollen.«

»Das ist doch ganz klar«, sagte Bones zustimmend. »Und dazu eigne ich mich ja auch besonders. Ich habe gestern abend schon ein kleines Probestück geliefert.« Er zog einen Zettel aus der Tasche. »Sehen Sie einmal, Sie haben gestern um ½9 im Criterion zu Abend gespeist – und zwar mit einer Dame, einer großen, hübschen Dame. Sie war auch wirklich nett und lieb, mein alter Knabe, und ich kann Ihnen nur herzlich gratulieren – sie heißt nämlich Vera.«

Hamilton wurde rot.

»Sie haben das Restaurant zehn Minuten nach neun verlassen und eine Autodroschke Nr. 667 432 benützt – habe ich nicht recht?«

»Soll das etwa heißen, daß Sie mich beobachtet haben?« fuhr Hamilton ihn unsanft an.

Bones nickte.

»Ich bin Ihnen vor der Piccadilly-Untergrundstation begegnet, dann habe ich Sie zum Theater und dann nach Hause verfolgt. Sie haben das Auto Nr. 297 431 genommen – und es hat eine furchtbar lange Zeit gedauert, bis Sie wieder aus der Wohnung der Dame kamen, eine furchtbar lange Zeit«, sagte Bones eindringlich. »Was hatten Sie bloß so lange zu reden in Veras Elternhaus?«

»Bones,« sagte Hamilton entsetzt, »ich denke, Sie sind jetzt weit genug gegangen!«

»Und ich denke, Sie sind etwas zu weit gegangen, mein lieber, alter Freund. Das habe ich mir wirklich gedacht.« Er schüttelte mißbilligend den Kopf. »Ich habe Sie ganz genau beobachtet.« Dann schritt er tänzelnd in das Bureau seiner schönen Sekretärin. Hamilton saß mit rotem Kopf an seinem Schreibtisch und war nicht gerade erfreut über das, was er gehört hatte.

Bones fuhr am nächsten Morgen zu dem Detektivbureau. Er trug seinen dunkelsten Anzug und einen schwarzen Schlapphut und schlich sich wie ein Dieb von der Autodroschke zu dem Bureau, so daß er fast den Eindruck eines Bankräubers machte. Aber es nahm sich niemand die Mühe, ihn zu beobachten.

Die Firma Siker hatte große Bureauräume und wenig Angestellte. Nur Hilton, der Geschäftsführer, und ein Schreiber waren zugegen, als Bones seine Karte überreichte. Er wurde sogleich von Mr. Hilton in einen sehr einfachen Raum geführt. An den Wänden waren große Regale mit unzähligen Aktenkästchen aufgestellt.

Mr. Hilton war ungefähr fünfundfünfzig Jahre alt und hatte einen nüchternen Gesichtsausdruck. Er war blaß und sah nicht sehr glücklich aus. Er sprach fast wie ein Leichenbitter und überlegte sich jedes Wort, aber sein Blick war ruhig und durchdringend.

»Nehmen Sie, bitte, Platz, Mr. Senob«, sagte er. »Ich habe bereits eine Mitteilung von den Rechtsanwälten bekommen und nehme an, daß ich in Ihnen den neuen Eigentümer der Firma begrüßen kann, der die Stelle meines hochverehrten Chefs einnimmt, dem ich neunundzwanzig Jahre treu gedient habe.«

Bones schloß die Augen und hörte diese Begrüßungsrede feierlich an.

»Persönlich bin ich davon überzeugt«, sprach Mr. Hilton weiter, »daß der Verkauf dieses Geschäftes ein großer Fehler der Familie Siker ist. Die Sikers waren schon seit vier Generationen Detektive.« Er sagte das wie ein Altertumsforscher. »George Siker gründete das Geschäft im Jahre 1814 in diesem Gebäude. Zweiundvierzig Jahre lang führte er die Firma unter dem Titel ›Sikers vertrauliches Auskunftsbureau‹. Dann folgte ihm sein Sohn James, das war der Großvater des verstorbenen John Siker. George hatte dreiundzwanzig Jahre lang –«

»Ja, das stimmt alles, das stimmt alles«, sagte Bones. »Der liebe, alte George – nun, niemand kann ewig leben, mein lieber, alter Geschäftsführer. Es dreht sich jetzt darum, wie können wir dieses nette, alte Geschäft heben?«

Er sah sich nicht gerade begeistert in dem kahlen Raum um.

Bones empfing an diesem Morgen viele Besucher, aber es waren keine verschleierten Damen oder in Mäntel gehüllte Herzöge, auch vertrauten sie ihm nicht ihre tiefsten Geheimnisse an, und er erfuhr nichts von schauerlichen Geschichten und Schicksalen.

Zuerst kam Mr. Carlow Borker von der Firma »Borkers Auskunftei«, ein großer Mann mit einem Zylinder, der sich bitter darüber beklagte, daß der alte Siker ihm schon vor vielen Jahren eine Option auf sein Geschäft gegeben habe.

Es war eine äußerst einseitige Unterhaltung.

»Also, ich sage Ihnen, Siker, wenn Sie jemals verkaufen wollen ... Dann sagte er zu mir: Borker, mein Junge, Sie brauchen mir nur einen annehmbaren Kaufpreis zu nennen ... Ich sagte zu ihm, Siker, lassen Sie niemand anders dieses Geschäft kaufen ...«

Dann kam ein früherer Polizeiinspektor Stellingsworth von der Firma Stellingsworth' Detektivagentur, ein düsterer Mann, der die Schwierigkeiten und Tragödien des Detektivlebens in den schwärzesten Farben ausmalte, aber trotzdem Sikers Agentur kaufen und Bones tausend Pfund dabei verdienen lassen wollte.

Bones brachte drei glückliche Tage damit zu, das Geschäft zu reorganisieren. Er kaufte von einem Büchsenschmied in der Nähe eine Menge Handfesseln, die er in dekorativer Anordnung hinter seinem Sitz an der Wand aufhängen ließ. Auch besorgte er sich heimlich, da er wohl ahnte, daß der melancholische Mr. Hilton wenig damit zufrieden sein würde, einen großen Kasten, der bis zum Rande mit künstlichen Bärten in allen möglichen Farben gefüllt war.

Dem staunenden und kritischen Hamilton erzählte er dann von seinen neuesten Errungenschaften.

»Heute war ein wunderbarer Fall da«, sagte er am dritten Abend begeistert. »Eine niederträchtige, alte Dame hat sich mit einem niederträchtigen, alten Offizier in ein Verhältnis eingelassen. Der Ehemann ist schrecklich eifersüchtig – wie der Mann die Frau liebt!«

»Welcher Mann?« fragte Hamilton zynisch.

»Ich spreche doch von meinem Klienten!« sagte Bones würdevoll.

»Glauben Sie denn, Bones, daß es ein nettes Geschäft ist, mit dem Sie sich da beschäftigen? Persönlich halte ich es für unmoralisch.«

»Was meinen Sie mit unmoralisch?« fragte Bones beleidigt.

»Ich meine, daß es nicht anständig ist, sich in das Privatleben anderer Leute einzumischen.«

»Das Leben anderer Leute ist eben dazu da, daß man sich darum kümmert«, sagte Bones geheimnisvoll, indem er den Vorwurf Hamiltons zurückwies. »Eine Untersuchung der netten, alten Motive fördert die moderne Wissenschaft. Ich fühle, daß ich eine Pflicht der Allgemeinheit gegenüber erfülle, wenn ich die bösen Menschen an den Pranger stelle und die Sünden der Mitwelt ans Tageslicht bringe.«

»Aber das ist doch nicht ehrenwert«, sagte Hamilton hartnäckig. »Glauben Sie denn, daß es eine anständige Beschäftigung ist, überall herumzurennen und Details über das Privatleben anderer Leute zu sammeln?«

»Sicher ist das ehrenhaft, sicher, mein lieber, alter Freund. Das ist eine öffentliche Pflicht. Niemals soll der Nachwelt berichtet werden, daß Tibbetts zurückschreckte, als das Vaterland ihn rief. Sie verstehen doch, was ich meine?«

»Nicht im mindesten.«

»Sie wollen aber auch gar nichts zulernen!« Bones schlug mit seiner knochigen Hand auf den Tisch. »Wie sagt der römische Dichter? ›Alles Menschliche ist furchtbar interessant!‹«

Am nächsten Morgen fuhr Bones wieder mit großem Eifer zu seinem Detektivbureau. Gleich nach seiner Ankunft kam Hilton in das Privatbureau.

»Heute bringen wir eine Sache zu Ende«, sagte er mit großer Befriedigung. »Es war sehr schwierig, den Mann zu beobachten, aber ich hatte den Fall einem tüchtigen Detektiv übergeben. Hier sind seine Berichte.«

Er hielt ein umfangreiches Aktenstück in der Hand.

»Das ist ja sehr gut, ausgezeichnet! Ich hoffe, wir werden den Übeltäter vors Gericht bringen!«

»Er ist gerade kein Übeltäter,« bemerkte Hilton. »Wir haben die Untersuchung für einen unserer besten Kunden angestellt.«

»Das ist wirklich außerordentlich interessant. Ich freue mich, daß wir einen solchen Erfolg hatten.« Bones lehnte sich mit halbgeschlossenen Augen in seinen Stuhl zurück. »Sagen Sie mir doch, was haben Sie entdeckt?«

»Der Mann ist etwas verrückt«, sagte Hilton.

»Wer? Unser Kunde?«

»Nein, der Mann, dessen Leben wir ausgekundschaftet haben.«

»So? Nun erzählen Sie aber!«

»Ich wundere mich, daß Mr. de Vinne sich so über ihn geärgert hat.«

»de Vinne?« fragte Bones und richtete sich auf. »Harold de Vinne, der Geldmann?«

»Ja, er ist einer unserer ältesten und besten Kunden.«

»So, so«, sagte Bones, aber er war nicht mehr so begeistert.

»Sie müssen verstehen, der Mann hat ihn furchtbar geärgert, beschwindelt und ihm allerhand Mögliches angetan. Ich glaube aber, daß wir jetzt genügend Material zusammengebracht haben, um ihn unmöglich zu machen.«

»O ja«, sagte Bones höflich. »Was haben Sie denn herausgebracht?«

»Er ist furchtbar verliebt in seine Sekretärin.«

»Wer?« fragte Bones.

»Na, der Mann, der Mr. de Vinne geärgert hat. Früher war er Offizier an der Westküste Afrikas, ist bekannt unter dem Namen Bones. Aber sein wirklicher Name ist Tibbetts.«

»Ach so«, sagte Bones tonlos.

»Wir haben alles über ihn ausgekundschaftet. Er hat eine Wohnung in Jermyn Street, und sein Mädchen, diese Sekretärin, speist mit ihm zu Abend. Sie sieht ganz hübsch aus.«

Bones sprang auf und ging wütend auf und ab.

»Hilton, Sie haben einen vollständig unschuldigen Mann beobachtet und eine liebenswürdige, nette Sekretärin, die niemand etwas zuleide tut!«

Man kann sich denken, wie empört Bones war.

»Sie behaupten also, daß dieses Bureau sich soweit erniedrigt, in dem Privatleben anständiger Leute herumzuschnüffeln und unschuldige Sekretärinnen zu verdächtigen? Schämen Sie sich!« Seine Stimme überschlug sich. »Geben Sie mir die Berichte!«

Er riß sie Hilton aus der Hand und warf sie ins Feuer.

»Nun rufen Sie Mr. Borker an und sagen Sie ihm, daß ich ihn geschäftlich sprechen möchte. Und stören Sie mich nicht, denn ich muß einen wichtigen Brief schreiben.«

Er nahm einen Geschäftsbogen vom Ständer, und seine Feder kratzte zornig auf dem Papier. Der Brief war an Mr. de Vinne adressiert, und als Mr. Borker am nächsten Morgen Sikers Detektivbureau übernahm, hatte diese berühmte Auskunftei einen guten Kunden verloren.


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